EINFÜHRUNG IN DIE INFORMATIONSWISSENSCHAFT

 
Rafael Capurro
 
 
 
 

Kapitel 8: Soziale, rechtliche, politische 

und ethische Aspekte der Informationsgesellschaft

 
 
 

Inhalt

8.1 Theorien der Informations- und Wissensgesellschaft 
8.2 Online-Recht 
8.3 Informationspolitik 
8.4 Informationsethik 
8.5 Zur Vertiefung 
8.6 Für Fortgeschrittene 
Übungen 
 
 
 
 
 

    8.1 Theorien der Informations- und Wissensgesellschaft

    Einführung 
    8.1.1 Was bedeutet 'Informationsgesellschaft? 
    8.1.2 Theorien der Informationsgesellschaft 
    8.1.3 Die Komplexität der Informationsgesellschaft und die Vertrauensfrage 
    8.1.4 Das Recht auf Kommunikation 

    Einführung

    Vgl. Projekt "Identität und Geschichte der Informationswissenschaft" (Universität Saarbrücken). 
     
    Zur aktuellen internationalen Debatte um die Informationsgesellschaft vgl. die Website der WSIS (World Summit on the Information Society), die vom Netzwerk Neue Medien und von der Heinrich Böll Stiftung initiiert wurde: worldsummit2003.de 

    Wir entwickeln uns von einer Informations- zu einer Wissensgesellschaft. Das heißt nicht, dass die eine durch die andere ersetzt wird, sondern, dass Information und Wissen zusammengehören. Was wir wissen ist immer schon das Ergebnis eines Informations- oder Mitteilungsprozesses und umgekehrt, durch den Informationsprozeß wird Wissen allgemein verfügbar gemacht. Beide Prozesse sind medialer Natur. Das älteste Informations- und Wissensmedium ist der menschliche Leib selbst, vor allem in Form gesprochener Sprache. Was aber genau unter Informations- bzw. Wissensgesellschaft zu verstehen ist, ist Gegenstand kontroverser Debatten.

    Einen Überblick über die verschiedenen Theorien der Informationsgesellschaft bietet: 
    Frank Webster: Theories of the information society (London 1995)

    Grundlegend:

    Manuel Castells: Das Informationszeitalter (Opladen 2004)
    Teil I: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft
    Teil II: Die Macht der Identität
    Teil III: Jahrhundertwende

    8.1.1 Was bedeutet 'Informationsgesellschaft'?

    Die Bezeichnung Informationsgesellschaft hat mehrere Wurzeln, die bis in die 60er Jahre reichen. Webster analysiert fünf Definitionen, die in fünf verschiedenen aber aufeinander wirkenden Bereichen angesiedelt sind. Dabei ist aber zu bemerken, dass jede menschliche Gesellschaft eine Informationsgesellschaft ist, sofern nämlich Menschen miteinander kommunizieren und Wissen austauschen. Was sie voneinander unterscheidet, ist nicht zuletzt die Frage der unterschiedlichen Medien und der medialen (R-)Evolutionen (Capurro 2000). 

    8.1.1.1. Technologische Definition 

    Es ist üblich von Informationsgesellschaft in Zusammenhang mit der Wirkung des Computers und der Telekommunikation auf die Gesellschaft zu sprechen. Die Informationsversorgung wird mit der Elektrizitätsversorgung  und die Computerrevolution mit der industriellen Revolution verglichen. Es ist dann die Rede von der Transformation der Industriegesellschaft in die Informationsgesellschaft bzw. von der dritten technologischen Revolution. In diesem Zusammenhang gehört auch der sog. "Weinberg-Report" Science, Government, and Information (1963) (dt. Wissenschaft, Regierung und Information, DGD Hrsg., Frankfurt a.M. 1964), der, verursacht durch den 'Sputnik-Schock', den Anstoß für die moderne Dokumentation und für das Engagement des Staates in diesem Bereich gab. 
    Vgl. Peter Drucker: The Age of Discontinuity 1969

    8.1.1.2. Ökonomische Definition 

    Wissenschaftler wie Fritz Machlup (The Production and Distribution of Knowledge in the United States, 1962), Peter Drucker und Marc Porat (The Information Economy, 1977) haben in den 60er und 70er Jahren auf die ökonomische Bedeutung der Wissensproduktion für die Gesellschaft hingewiesen. 
    Vgl. die Theorie von der 'Aufmerksamkeitsökonomie' (M.H. Goldhaber, G. Frank). Siehe dazu die Aufsätze in: Kunstforum, Bd. 148, Dez.1999/Januar 2000. 

    8.1.1.3. Arbeitsbezogene Definition 

    Demnach ist die Informationsgesellschaft durch eine Veränderung am Arbeitsmarkt gekennzeichnet: Die 'alten' industriebezogenen Berufe werden durch die 'neuen' teilweise abgelöst.  
    Vgl. Marc Porat: The Information Economy, 1977 
    Daniel Bell: The Coming of Post-Industrial Society, 1973. 

    8.1.1.4. Raum-zeitbezogene Definition 

    Sie bezieht sich auf die Informationsnetzwerke und auf ihren Einfluß auf die Umorganisation von Raum und Zeit, insbesondere in bezug auf die vernetzte Ökonomie. 
    Vgl. Manuel Castells: The Informational City, 1989 
    Anthony Giddens: The Nation State and Violence 1985 
    Ulrich Beck: Risikogesellschaft, 1986 
    -: Was ist Globalisierung? 1997 

    8.1.1.5. Kulturelle Definition 

    Sie bezieht sich zunächst auf den Einfluß der (Massen-)Medien auf die Gesellschaft, zuletzt aber, seit dem Aufkommen des Internet, auf die dadurch verursacheten kulturellen Veränderungen. 
    Vgl. Anthony Giddens: The Transformation of Intimacy 1992 
    Florian Rötzer: Die Telepolis. Urbanität im digitalen Zeitalter 1995 
    -: Digitale Weltentwürfe, 1998 

    8.1.2 Theorien der Informationsgesellschaft (nach Webster)

    8.1.2.1 "The information society as post-industralism: Daniel Bell"

    Der amerikanische Soziologe Daniel Bell (1919-) entwickelte den Begriff der "post-industriellen Gesellschaft"  ("post-industrial society") als eine Informationsgesellschaft in seinem Buch: The Coming of Post-Industrial Society: A Venture in Social Forecasting (1973, 1976). Die Rolle von Information in Bells Theorie wird von Webster folgendermaßen hervorgehoben: 
    "Why should Bell feel able to boldly state that 'the post-industrial is an information society' (1976a: 467) and that a 'service economy' indicates the arrival of post industrialism? It is not difficult to understand information's place in the theoretisation. Bell explains with a number of connected observations. Crucially it involves the character of life in different epochs. In pre-industrial society life is 'a game against nature' where 'one works with raw muscle power' (Bell, 1976a: 126); in the industrial era, where the 'machines predominates' in a 'technical and rationalized' existence, life 'is a game against fabricated nature' (ibid.). In contrast to both, life in a 'post-industrial society (which) is based on services...is a game between persons' (p. 127). Here 'what counts is not raw muscle power, or energy, but information." (Webster 1995: 36)
    Fraglich bleibt dabei, ob Bells Gegenüberstellung zwischen einer Gesellschaft, die Güter produziert und eine, die sich mit (Informations-)Dienstleistungen beschäftigt, nicht eine Übersimplifizierung bedeutet. Die gegenwärtige Entwicklung des E-Commerce zeigt, dass nicht nur der Handel mit, sondern auch die Produktion von (materiellen) Gütern durch die IT weitgehend revolutioniert aber doch nicht ersetzt wird oder werden kann. 

    Die Informationsgesellschaft, so der französische Kommunikationswissenschaftler Armand Mattelart, entstand bei Daniel Bell als Kampfansage an die (politischen) Ideologien (D. Bell: The End of Ideology, 1960). Demnach sollte die "post-industrielle Gesellschaft" eine auf dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt gegründeten Gesellschaft sein. Vgl. A. Mattelart: Comment est né le mythe d' Internet. In: Le Monde diplomatique, August 2000, S. 26. 

    8.1.2.2 "Information, the Nation State and Surveillance: Anthony Giddens" 

    Anthony Giddens ist ein führender Sozialtheoretiker Großbritanniens. Für Giddens waren moderne Gesellschaften, d.h. Nationalstaaten, von Anfang an "information societies". Er schreibt:
    "modern societies have been... 'information societies' since their inception. There is a fundamental sense... in which all states have been 'information societies', since the generation of state power presumes reflexively gathering, storage, and control of information, applied to administrative ends. But in the nation state, with its peculiarly high degree of administrative unity, this is brought to a much higher pitch than ever before." (A. Giddens: The Social Theory and Modern Sociology, Cambridge 1987: 178; Zitat nach Webster 1995, 59). 
    Das gilt ganz besonders für die moderne Kriegsführung, die ebenfalls wesentlich eine Informationskriegsführung ist. Der moderne Staat ist ein Überwachungsstaat. Giddens steht in der Tradition kritischer Sozialtheoretiker wie Karl Marx, Emile Dürckheim und Marx Weber, aber auch in intellektueller Nachbarschaft mit postmodernen Autoren wie Michel Foucault, der Jeremy Benthams Metapher des Panoptikums als eines (informationellen) Überwachungssystems übernimmt. Hier sind, wie Webster mit Recht bemerkt, deutliche Anspielungen auch an G. Orwells "Big Brother" (Webster 1995, 73). Giddens hebt aber auch die Chancen der Informationsgesellschaft hervor: Sie muß nicht nur dazu dienen, die Kontrollmöglichkeiten staatlichen Managements zu stärken, sondern sie kann auch die Wahlmöglichkeiten der Bürger mehren (A. Giddens: The Consequences of Modernity, 1990; ders.: Modernity and Self-Identity 1991)   

    8.1.2.3 "Information and Advanced Capitalism: Herbert Schiller" 

    Herbert Schiller war ein berühmter Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Kommunikationswissenschaften an der University of San Diego in Kalifornien. Er steht in der Marxistischen Tradition. Er schreibt: 
    "There is no doubt that more information is being generated now than ever before. There is no doubt also that the machinery to generate this information to store, retrieve, process and disseminate it, is of a quality and character never before available. The actual infrastructure of information creating, storage and dissemination is remarkable." (H. Schiller: The Communications Revolution: Who Benefits? In: Media Development 1983; Zitat nach Webster 1995, 76)
    Webster hebt die wichtigsten Argumente Schillers folgendermaßen hervor: 
    "The first draws attention to the pertinence of market criteria in informational developments. In this view it is essential to recognise that information and communication innovations are decisevily influenced by the market pressures of buying, selling and trading in order to make profit. To Professor Schiller (and also to his wife, Anita, a librarian who researches information trends) the centrality of market principles is a powerful impulse towards the commodification of information, which means that it is, increasingly, made available only on condition that it is saleable. (...) 
    The second argument insists that class inequalities are a major factor in the distribution, access to and capacity to generate information. Bluntly, class shapes who gets what information an what kind of information they may get. Thereby, depending on one's location in the stratatification hierarchy, one may be a beneficiary or a loser of the 'information revolution'. 
    The third key condition of Herbert Schiller is that the society which is undergoing such momentous changes in the information and communication areas is one of corporate capitalism (Williams, 1961)." (Webster 1995, 77)
    Mit anderen Worten, für Schiller findet die moderne Informationsrevolution innerhalb der Klassengesellschaft statt. Sie verfestigt und überbietet die vorhandenen ökonomischen Unterschiede. Webster bemerkt aber zu Recht, dass Begriffe wie information rich und information poor zu unscharf sind, um damit die Komplexität der modernen Gesellschaft analysieren zu können. Die Informationsreichen sind nicht notwendigerweise die großen Unternehmen (corporate capital), sondern der Zugang zur Bildung in öffentlichen Einrichtungen (Universitäten, Bibliotheken etc.) spielt eine wichtige Rolle für eine informationelle Chancengleichheit (Webser 1995, 98).   

    8.1.2.4 "Information Management and Manipulation: Jürgen Habermas and the Decline of the Public Sphere" 

    Jürgen Habermas ist einer der führenden Sozialtheoretiker der Bundesrepublik. Webster befaßt sich nicht mit dem ganzen umfangreichen Werk Habermas oder mit seinem Hauptwerk: Theorie des kommunikativen Handelns (Frankfurt a.M. 1981, 2 Bde.), sondern mit einer frühen aber sehr einflußreichen Schrift, nämlich: Strukturwandel der Öffentlichkeit. Untersuchungen zu einer Kategorie der bürgerlichen Gesellschaft (Frankfurt a.M. 1962, 1990). 

    Habermas beschreibt dabei, wie die Presse durch das Aufkommen des bürgerlichen Rechtsstaates im 19. Jahrhundert sich von einer Gesinnungs- in eine Geschäftspresse wandelte. Hatte sie im 18. Jahrhundert unter dem Druck der Zensur entweder eine polemische oder eine bloß nachrichtenvermittelnde Funktion, so wird sie durch die Legalisierung "vom Gesinnungsdruck entlastet" (Habermas 1990, 278). Mit dem Aufkommen der Massenmedien findet abermals eine Strukturveränderung der Öffentlichkeit statt. Habermas schreibt: 

      "Während die Presse früher das Räsonnement der zum Publikum versammelten Privatleute bloß vermitteln und verstärken konnte, wird dies nun umgekehrt durch die Massenmedien geprägt. Auf dem Wege vom Journalismus der schrifstellernden Privatleute zu den öffentlichen Diensleistungen der Massenmedien verändert sich die Sphäre der Öffentlichkeit durch das Einströmen privater Interessen, die in ihr priveligiert zur Darstellung kommen -, obwohl sie keineswegs mehr eo ipso für die Interessen der Privatleute als Publikum repräsentativ sind. (...) In dem Maße, in dem aber die Öffentlichkeit für geschäftliche Werbung in Anspruch genommen wird, wirken unvermittelt Privatleute als Privateigentümer auf die Privatleute als Publikum ein. Dabei kommt, gewiß, die Kommerzialisierung der Presse der Verwandlung der Öffentlichkeit in ein Medium der Werbung entgegen: umgekehrt wird jene aber auch von Bedürfnissen einer Geschäftsreklame vorangetrieben, die autochton aus ökonomischen Zusammenhängen entsprangen." (Habermas 1990, 284) 
       
    Die dadurch gebildete öffentliche Meinung hat, so Habermas, "mit der endlichen Einstimmigkeit eines langwierigen Prozesses wechselseitiger Aufklärung im Ernst nicht viel gemeinsam" (Habermas 1990, 291), d.h. die Massenmedien kehren letztlich die demokratischen Verhältnisse um, indem sogar "der Staat seine Bürger wie Verbraucher "ansprechen"" muß (Habermas 1990, 292). Die von den Massenmedien beherrschte Öffentlichkeit, und mit ihr Politik, wird medial manipuliert oder, besser gesagt, hergestellt. Habermas' Fazit lautet:
    "Der Streit einer kritischen Publizität mit der zu manipulativen Zwecken bloß veranstalteten ist offen; die Durchsetzung der sozialstaatlich gebotenen Öffentlichkeit des politischen Machtvollzugs und Machtausgleichs gegenüber jener zu Zwecken der Akklamation bloß hergestellten ist keineswegs gewiß; aber als eine Ideologie, wie die Idee der bürgerlichen Öffentlichkeit zur Zeit ihrer liberalen Entfaltung, läßt sie sich nicht denunzieren: sie bringt allenfalls die Dialektik jener zur Ideologie herabgesetzten Idee zu ihrem Ende." (Habermas 1990, 342)
    Webster schreibt: 
    "Reading Jürgen Habemas on the history of the public sphere, it becomes impossible to avoid the conclusion that its future is precarious. His account of its more recent development is gloomy: capitalism is victorious, the capacity for critical thought is minimal, there is no real space for a public sphere in an era of transnational media conglomerates and a pervasive culture of advertising. As far as information is concerned, communications corporations' overriding concern with the market means that their product is dedicated to the goal of generating maximum advertising revenue and supporting capitalist enterprise. As a result their content is chiefly lowest common denominator diversion: action adventure, trivia, sensationalism, personalisation of affairs, celebration of contemporary lifestyles. All this, appropriately hyped, appeals and sells, but its informational quality is negligible. What it does is no more (and no less) than subject its audiences 'to the soft compulsion of constant consumption training' (Habermas, 1989: 192)." (Webster 1995,  104-105)
    In diesem Zusammenhang macht aber Webster (erneut) auf die Funktion von öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Museen, Kunstgallerien etc. Habermas, so Webster, macht letztlich das öffentliche (journalistische) Informationsmanagement für den Niedergang der kritischen Öffentlichkeit verantwortlich. Ironischerweise ist aber Informationsmanagement "vastly more expensive, much more intensive and much more sophisticated applied in the 1990s" obwohl seine Existenz öfter nicht angenommen werden möchte (Webster 1995, 106). Die Lage hat sich also, nach Webster, weiter verschärft.

    Inwiefern trifft aber dieser von Habermas und Webster beschriebene und kritisierte Strukturwandel der Öffentlichkeit für den seit dem Internet einsetzenden Wandel einer durch die hierarchische Struktur der Massenmedien dominierten Gesellschaft zu? Inwiefern ist das Internet kein Massenmedium, sondern ein Medium für die Massen? Inwiefern stellt das Internet die Dichotomie zwischen Individual- und Massenmedien in Frage? Und wie ist in diesem Zusammenhang das Phänomen des digital divide zu verstehen?
    Vgl. dazu v.Vf.: Strukturwandel der medialen Öffentlichkeit (2000) 
    -: Ethical Challenges of the Information Society in the 21st Century (2000) 

    8.1.2.5 "Information and Restructuring: Beyond Fordism?" 

    In diesem Kapitel geht Webster auf das Phänomen der Massenproduktion und -konsum. Ford, so Webster, war der Pionier jener Technologien die zwischen 1945 un 1973 den Prozeß der industriellen Massenproduktion - begleitet durch staatliche Lenkung - ermöglichten. Demgegenüber steht der Begriff der Globalisierung für die "post-Fordist era". Sie beinhaltet die Expansion transnationaler Unternehmen. Zu der Globalisierung der Märkte, der Produktion und der Ökonomie kam letztlich auch die der Kommunikation. Das Ergebnis davon ist Flexibilisierung der Arbeit, der Produktion und des Konsums. Webster Fazit lautet:
    "It follows from these trends that we may observe in the post-Fordist era the decline of mass production. In place of huge and centralised plant what emerges are globally dispersed units employing in any one place only a few hundred people at the most, though world-wide the organising corporation is likely to have many more locations than before. (...)
    Unfortunately, however, it is precisely this emphasis on radically 'new times' conjured by the concept of post-Fordism that causes most difficulty. The suggestion is that society has undergone deep, systemic, transformation. And, indeed, what else is one to conclude when post-Fordism's characteristics are presented as so markedly different from what has gone before? (cf. Hall and Jacques, 1989). (...)
    Against this it is salutary to be reminded that, to the extent that private property, market criteria, and corporate priorities are hegemonic, and these are acknowledged to be such at least in Regulation School versions of post-Fordism, then a very familiar form of capitalism still pertains. Hence it might be suggested that the term neo-Fordism, with its strong evocation of the primacy of continuities over change, is more appropriate. Put in this way, the suggestion is that neo-Fordism is an endeavour to rebuild and strengthen capitalism rather than to suggest its supersession."  (Webster 1995, 151-153)

    8.1.2.6 Information und Postmoderne 

    Postmoderne ist eine in den 80er Jahren entstandene, insbesondere von Nietzsche beeinflußte Denkrichtung, die sich gegen totalisierende Denkansätze wendet. Gemeint sind dabei nicht nur die politisch diskreditierten geschichtsphilosophischen Thesen des Marxismus, sondern auch positivistische in der Aufklärung verwurzelte Auffassungen des 'wissenschaftlichen Fortschritts'. Postmoderne Autoren, wie z.B. Jean-François Lyotard oder Michel Foucault kritisieren dabei epistemologische und ethische Grundbegriffe wie 'Wahrheit' oder 'Authentizität'. 

    Was hat aber, fragt sich Webster, diese Denkrichtung mit Information zu tun?   

    "A first, and recurrent, response comes from the postmodern insistence that we can know the world only through language. While Entlightenment thinkers subscribed to the idea that language was a tool to describe an objective reality apart from words, the postmodernist asserts that this is 'myth of transparency' (Vattimo, 1992: 18) because it is blind to the fact that symbols and images (i.e. information) are the only 'reality' that we have. We do not, in other words, see reality through language; rather, language is the reality that we see. As Michel Foucault put it, 'reality does no exist... language is all there is and what we are talking about is language, we speak within laguage' (quoted in Macey 1994: 150)." (Webster 1995, 175)
    Webster analysiert folgende Ansätze:

    a) Jean Baudrillard  

    Unsere gegenwärtige Kultur ist für Baudrillard eine Kultur der Zeichen oder, genauer gesagt, der Botschaften. Was uns gegenüber anderen Gesellschaften dabei auszeichnet ist die ununterbrochene Zeichenzirkulation. Dies ist für Baudrillard nicht nur eine Frage der Quantität. Während Autoren wie Herbert Schiller und Jürgen Habermas eine kritische Einstellung demgegenüber einnehmen und nach einer authentischeren Lebensform suchen. Das bedeutet, dass sie eine Realität hinter den Zeichen voraussetzen, die von ihnen in entstellter Weise repräsentiert wird. Für Baudrillard gibt es eine solche Realität außerhalb der Zeichen nicht. Diese sind nicht Repräsentationen, sondern Simulationen. Jedermann, und nicht bloß die Intellektuellen, kann, so Webster über Baudrillard, erkennen, dass die Werbung bloß Werbung, Simulation also, ist: 

    "Everybody, and not just intellectuals, knows that Coca-Cola does not 'teach the world to sing', that Levi jeans won't transform middle-aged men into twenty-year-old hunks, or that Wrigley's cheweing gum will not lead to thrilling sexual encounters. As such, we ought not to get concerned about advertising since the 'silent majorities' (Baudrillard, 1983a) are not much bothered by it." (Webster 1995, 178-79)
    Während Habermas sich Sorgen über den Zerfall der modernen Demokratie durch die Manipulation politischer Information macht, bedeutet für Baudrillard die Idee, dass Zeichen eines Tages eine adäquate Repräsentation von Politik werden könnten nichts anderes als eine Phantasie. Womit wir heute zu tun haben ist für Baudrillard ein Überangebot an Zeichen, die nichts bedeuten. Solche bedeutungslose Zeichen sind bloß Gegenstand 'ästhetischer' Anschauung, sie sind 'spektakulär'. Die moderne Suche nach Authentizität geht an dieser Simulation vorbei. Zeichen sind für Baudrillard selbstreferentiell. Sie sind soziale Konstrukte, die heute dies, morgen aber etwas anderes bedeuten. Der Verlust einer dauerhaften Referenz in einer objektiven Realität führt uns, so Baudrillard, zu einer Hyper-Realität, oder, anders ausgedrückt, für die Postmoderne verliert die Unterscheidung zwischen dem Wirklichen und dem Scheinbaren, oder zwischen dem Authentischen und dem Inauthetischen ihre Kraft. Was folgt daraus? 
    "It follows that, where 'the real is abolished' (Baudrillard, 1983a: 99), the meaning of signs is lost (it is 'imploded'). Nonetheless, we ought not to worry about this, because we always have to recall the postmodern dictum that audiences are subversive of messages anyway. A while ago modernists got themselves into a lather about 'couch potato' television viewers and tourists who visited historical sites, took a photograph, and then, having 'done it', were gone without appreciating the 'real thing'. But how much this underestimates the creativities of ordinary folk - the TV viewer is in fact constantly active, switching channels with enthusiasm, chatting to her pals, using the telephone or shouting out irreverent and irrelevant comments, and the tourist is doing all sorts of things when walking round the Natural History Museum, day-dreaming, wondering why the guide reminds him of his brother, planning dinner, chatting up the girls, musing whether diplodocus ever got toothache...Given such resistance, as it were, to the intended signs, we can conclude that postmodern audiences are a far cry from the 'cultural dopes' modernists so feared, so far indeed that they see and hear nothing, just experience the spectacles which characterise the contemporary." (Webster 1995,  181)
    J. Baudrillard: Die Illusion und die Virtualität (Bern 1994)   

    b) Gianni Vattimo  

    Auch für den italienischen postmodernen Philosophen Gianni Vattimo haben die Medien das Vertrauen in Kategorien wie 'Wahrheit', 'Realität' und 'Authetizität' erschüttert. Die Medien haben uns gelehrt, dass es viele Sichtweisen gibt. Anstelle einer von den Medien manipulierten Massengesellschaft haben wir, so Vattimo, eine Fülle von Minderheiten, die sich jetzt durch die Medien (besser) artikulieren können. In diesem Sinne kritisert Vattimo auch die (Habermassche) Vorstellung einer 'transparenten Gesellschaft'. 
    Vgl. G. Vattimo: Das Ende der Moderne (Stuttgart 1990) 
    -: Die transparente Gesellschaft (Wien 1992) 
    Zu Vattimo vgl. v.Vf.: G. Vattimo, in: J. Nida-Rümelin Hrsg.: Philosophie der Gegenwart in Einzeldarstellungen (Stuttgart 1999) 

    c) Mark Poster 

    Poster bezeichnet die Informationsgesellschaft mit dem Ausdruck 'mode of information'. Das Zeitalter elektronischer Vermittlung ist, gegenüber der Epoche der Oralität und der des schriftlichen Austauschs, durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet: 

    "the era of electronic mediation, when signs are matters of informational simulations, with their non-representational character being critical. Here the self is 'decentred, dispersed, and multiplied in continous instability' (Poster 1990, p. 6), swirlinging in a 'continuous process of multiple identity formation' (Poster, 1994: 174) since the 'flow of signifiers' is the defining feature of the times rather than signs which indicate a given object." (Webster 1995, 182-83)
    Ähnlich wie für Baudrillard bedeutet für Poster die Überfülle der Zeichen zugleich eine Krise der Repräsentation und mit ihr der Kategorien 'Wahrheit' und 'Authentizität. 
    Vgl. M. Poster: The Mode of Information: Poststructuralism and Social Context (Cambridge 1990)   

    d) Jean-François Lyotard 

    Für J.-F. Lyotard bedeutet das Aufkommen der postmodernen (Informations-)Gesellschaft, dass Wissen und Information zu Waren werden. Ferner stellt Lyotard fest, dass die Wissensentwicklung nicht mehr an den Universitäten, sondern in privaten Forschungseinrichtungen stattfindet. Nicht 'Wahrheit', sondern Kriterien wie 'Effizienz' und 'Performativität' sind hier entscheidend. Das hat wiederum entscheidenden Einfluß auf das Selbstverständnis der öffentlichen Bildungseinrichtungen, die sich immer mehr mit utilitaristischen Kriterien messen müssen. Schließlich bedeutet diese Entwicklung,  der gebildete Mensch sich nicht mehr durch den Besitz von Wissen, sondern durch die Fähigkeit auszeichnet, mit der er Wissen aus einem elektronischen Speicher wiedergewinnt: 

    "For a long while to be educated meant to be in possession of a certain body of knowledge; with computerisation, however, it is more a matter of knowing how to access approrpriate data banks than holding the information in one's head. In the postmodern age performativity decrees that 'how to use terminals' is more important than personal knowledge. Therefore, competencies such as 'keyboard skills' and 'information retrieval' will displace traditional conceptions of knowledge (and student profiles will certify that these and other competencies have at least equivalent recognition to more orthodox academic attainments) as 'data banks (become) the Encyclopaedia of tomorrow' (Lyotard, 1993: 51)." (Webster 1995, 186)
    Das führt, so Lyotard, zu einer Relativierung von Wissen oder zu dem, was er das Ende der '"großen Erzählungen" nennt. Mit ihnen geht auch der traditionellen Eliten zu Ende: Ein Professor ist nicht kompetenter für die Wissensvermittlung als eine Datenbank. 
    Vgl. J.-F. Lyotard: Das postmoderne Wissen (Wien 1986) 
     
    e) Ignacio Ramonet 

    Für Ignacio Ramonet, Direktor der in Paris erscheinenden Monatszeitung für internationale Politik "Le Monde diplomatique", bedeuten Informieren und Sich informieren leistungsintensive Vorgänge. Er sieht die Qualität diese Vorgänge vor allem durch das Aufkommen der audiovisuellen Medien, allem voran des Fernsehens, sowie durch den Überfluss an Informationen bedroht. Aus Information wird Infotainment. In seinem Buch "Die Kommunikationsfalle. Macht und Mythen der Medien" (Zürich 1999) schreibt er über eine sich verbreitende Form von "demokratischer Zensur" Folgendes: 

    "Das Konzept der Zensur wird seit jeher mit einer autoritären Staatsmacht in Verbindung gebracht, und in der Tat ist sie eines ihrer wesentlichen Bestandteile. Sie bedeutet Unterdrückung, Verbot, Beschneidung und Vorenthalten von Information, da in den Augen der Autorität eines der wichtigsten Machtmittel gerade darin besteht, die Meinungsäußerung und die Kommunikation all jener zu kontrollieren, die unter ihrer Herrschaft stehen. Das gilt für einen Diktator, das gilt für einen Despot, und das galt auch für einen Richter der Inquisition. 
    In einem freien Land zu leben heißt, unter einem politischen Regime zu leben, das diese Form der Zensur nicht praktiziert und das im Gegenteil das Recht des Bürgers respektiert, sich frei auszudrücken, eine eigene Meinung zu haben, sich zusammenzuschließen, zu diskutieren und öffenltich zu debattieren. 
    Wir erleben diese Toleranz so sehr als ein Wunder, dass wir gar nicht wahrnehmen, wie sich still und heimlich eine neue Form der Zensur eingenistet hat, eine Zensur, die man "demokratische Zensur" nennen könnte. Im Gegensatz zur autokratischen Zensur fußt sie nicht mehr auf der Unterdrückung und Beschneidung von Daten, auf deren Kürzung oder dem Verbot, sie zu publizieren, sondern im Gegenteil auf der Anhäufung, der Übersättigung und dem Überfluss von Informationen." (Ramonet 1999, S. 34-35)
    Angesichts der herrschenden Informationsflut, ist aber, so Ramonet, nicht Resignation, sondern eine erhöhte Verantwortung angebracht: 
    "Vor noch nicht allzu langer Zeit hieß informieren, nicht nur die genaue - und überprüfte - Darstellung einer Tatsache oder eines Ereignisses zu liefern, sondern gleichzeitig einen Komplex von Parametern aus deren Umfeld, die es dem Leser ermöglichten, ihre tiefere Bedeutung zu verstehen. Informieren hieß, auf die Grundfragen zu antworten: Wer hat was gemacht? Wann? Wo? Wie? Warum? Mit welchen Mitteln? Unter welchen Umständen? Und welches werden die Folgen sein? 

    Unter dem Einfluss des Fernsehens, das heute in der Medienhierarchie ganz oben steht und allgemein zum Modell geworden ist, hat sich das geändert. Die Fernsehnachrichten haben mit ihrer Ideologie der "Live-Übertragung in Echtzeit" allmählich eine ganz andere Vorstellung von Information durchgesetzt. Informieren heißt fortan, "laufende Geschichte zu zeigen" oder, mit anderen Worten, die Leser oder die Zuschauer an einem Ereignis teilnehmen zu lassen (wenn möglich live). 

    Hinsichtlich der Information handelt es sich um eine kopernikanische Revolution, deren Auswirkungen noch nicht abzusehen sind. Denn es bedeutet, dass allein schon das Bild des Eregnisses (oder seine Beschreibung) diesem seine ganze Bedeutung zu verleihen vermag. Im Extremfall ist der Journalist in diesem Gegenüber von Fernsehzuschauer-Geschichte sogar überflüssig. Das vorrangige Ziel des Fernsehzuschauers und seine Befriedigung ist es nicht mehr, die Bedeutung eines Ereignisses zu verstehen, sondern ganz einfach zuzuschauen, wie es sich vor seinen Augen abspielt. Diese Koinzidenz wird als lustvoll betrachtet. 
    So hat sich allmählich die Illusion festgesetzt, sehen bedeute verstehen; und jedes Ereignis, so abstrakt es auch sein möge, habe eine sichtbare Seite, die am Fernsehen gezeigt werden können. (...)  

    Allmählich setzt sich in den Köpfen die Vorstellung fest, die Bedeutsamkeit eines Ereignisses sei proportional zu seinem Bilderreichtum. (...) 
    Auch der Zeitbegriff der Information hat sich verändert. Internet verkürzt den Informationszyklus. Der optimale Rhythmus der Medien ist heute die Unmittelbarkeit (die Echtzeit), das Live, und dem vermögen nur Radio und Fernsehen zu folgen. (...) 
    Ein vierter Begriff schließlich aht sich verändert, der grundlegende Begriff des Wahrheitsgehalts der Information. Ein Sachverhalt ist heute nicht mehr wahr, weil er objektiven und strengen Kriterien genügt, die an der Quelle nachgeprüft worden sind, sondern ganz einfach, weil andere Medien die gleichen Behauptungen wiederholen und "bestätigen"...Repetition tritt an die Stelle von Beweisführung; Information wird durch Bestätigung ersetzt. (...) 

    Viele Bürger meinen, sie könnten sich seriös informieren, indem sie , bequem auf dem Diwan ihres Salons sitzend, zuschauen, wie auf dem Bildschirm eine eindrucksvolle Flut von Ereignissen vorüberzieht, die oft an starken, brutalen und spektakulären Bildern aufgehängt sind. Das ist jedoch ein völliger Irrtum, und zwar aus dreierlei Gründen: Erstens einmal sind die Fernsehnachrichten wie eine Fiktion aufgebaut und dienen vorab nicht zur Information, sondern zur Unterhaltung. Zweitens erzeugt die schnelle Abfolge von kurzen, bruchstückhaften Nachrichten (etwa zwanzig pro Sendung) einen doppelten negativen Effekt von Übereinformation und Desinformation (es gibt zu viele Nachrichten, und es wird ihnen zu wenig Zeit gewidmet). Und drittens ist die Illusion, man könne sich ohne Anstrengung informieren, ein reiner Mythos der Werbung. Sich informieren ist anstregend, und diesen Preis muss der Bürger zahlen für das Recht, auf intelligente Weise am demokratischen Leben teizunehmen."  (Ramonet, 1999, S. 171-177) 

    Vgl. Die Aktivitäten des World Social Forum. 
     

    8.1.2.7 "Information and Urban Change": Manuel Castells

    Manuel Castells ist ein führender Theoretiker der Informationsgesellschaft. Er hat seine intellektuellen Wurzeln im Marxismus und seine Position wird von Webster als 'Post-Marxismus' bezeichnet. Castells unterscheidet zwischen den "kapitalistischen Produktionsverhältnissen" ("capitalist mode of production") und den "informationellen Entwicklungsverhältnissen" ("informational mode of development"). Letzteres ist für Castells das "sozio-technische Paradigma", das unsere heutige Gesellschaft auszeichnet, nämlich
    "the emergence of information processing as the core, fundamental activity conditioning the effectiveness and productivity of all processes of production, distribution, consumption, and management" (Castells, 1989, p. 17) (Zitat nach Webster 1995, 194)
    so Castells in seinem Buch The Informational City (1989). Gegenüber einem strengen Marxistischen Denken betont dabei Castells, dass die informationellen Entwicklungsverhältnissen eine gewisse Unabhängigkeit gegenüber den kapitalistischen Produktionsverhältnissen haben. Webster schreibt: 
    "Put vulgarly, 'you may look to a future beyond capitalism, but you're still going to need computer systems to get by." (Webster 1995, 195)
    Paradoxerweise, so Webster, stimmen Manuel Castells und Daniel Bell in dieser theoretischen Sichtweise überein. Elektronische Informationsprozesse verändern wiederum die Produktionsverhältnisse in der Weise wie sie Webster unter dem Stichwort 'post-Fordism' beschrieben hat. Das bezeichnen wir heute wir heute als Globalisierung. Die Auswirkungen nicht nur auf die Ökonomie, sondern auf die gesamte Kultur, auf die Art und Weise wie sich unsere Städte (informational city) und mit ihnen unser Leben verändern, die Entstehung neuer marginalisierter Gruppen etc. sind Phänomene mit denen sich Castells in einem dreibändigen opus sich ausführlich auseinandersetzt. 


    Manuel Castells: Das Informationszeitalter (Opladen 2004, 3 Bde.)

    (orig.: The Information Age - Economy, Society and Culture. Oxford (1996-1998): Vol. I: The Rise of the Network Society (1996), xvii + 556 pp.; Vol.II: The Power of Identity (1997), xv + 461 pp.; Vol.III: End of Millennium (1998), xiv-418 pp.)

    Bd. 1: Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft
    Bd. 2: Die Macht der Identität
    Bd. 3: Jahrtausendwende

    M. Castells: Internet und die Netzgesellschaft:
    PowerPoint Präsentation (in Deutsch) 


    Ausblick
     

    Webster's Kernfrage lautet dann, am Ende dieses hier nur skizzierten Weges, inwiefern und mit welchem Recht die heutige durch die Informationstechnologien geprägte Gesellschaft zwar in einer gewissen Kontinuität mit der Industriegesellschaft, sofern nämlich beide kapitalistische Gesellschaften sind, steht, zugleich aber durch einen Systembruch ("system break") gekennzeichnet werden soll, wodurch eben der Begriff Informationsgesellschaft steht. Er schreibt:  

    "To repeat the two major complaints about such an approach: it at once singles out technology/technique as the primum mobile of change (which is oversimplistic) while simultaneously presuming that this technology/technique is aloof form the real of values and beliefs. I do not think it has been difficult to demonstrate that it is a misleading perception, but it will keep infecting analysis of informational developments. Above all, it seems to me, it is an approach which misconceives social change because it desocialises key elements of social change, persistently separating technology/technique from the social world (where values and beliefs are found), only to reinsert it by asserting that this autonomous force is the privileged mechanism for bringing about change. Not surprisingly, those who envisage a dramatic but asocial 'information technology revolution' and/or radical shifts in technical efficiency, are easily persuaded that these impact in such a manner as to bring about an entirely novel form of society." (Webster 1995, 219)
    Mit anderen Worten, was Webster kritisiert, ist die Dichotomie, die dadurch entsteht, dass der technischen Entwicklung einer Selbständigkeit zugesprochen wird, wodurch dann dann die Gesellschaft verändert werden soll, während es sich in Wahrheit umgekehrt verhält, nämlich so, dass technologische Prozesse Teil eines komplexen sozialen Wertegefüges sind, so dass erst dann wenn dieses Gefüge verändert wird, wir mit recht von einer 'neuen' Gesellschaft sprechen können. Solange wir unter Information nur ein quantifizierbares Phänomen verstehen und die semantische Dimension vernachlässigen, solange bleibt die Rede vom qualitativen Einfluß der 'Information'(-stechnik) auf die Gesellschaft eine abstrakte Formel. Das Phänomen der quantitativen Zunahme der Information ist zwar ein wichtiges Phänomen unserer Gegenwart, aber, so Webster, dies kann nur dann adäquat verstanden werden, wenn wir die heutige Situation aus der historischen Kontituität zu verstehen versuchen:
    "It appears to me that those who explain informatisation in terms of historical continuities give us a better way of understanding information in the world today.This is not least because they refuse to start with abstract measures of the 'information society' and of information itself. While of course they acknowledge that there has been an enormous quantitative increase in information technologies, in information in circulation, in information networks an what not, such thinkers turn away from such social and deracinated concepts and back to the real world. And it is there, in the ruck of history, that they are able to locate an information explosion that means something substantive and that has discernible origins and contexts: that these types of information, for those sorts of groups, with those sorts of interests are developing." (Webster 1995, 219-220)
    In diesem Zusammenhang ist auch der Ansatz von Jeremy Rifkin: The Age of Access: The New Culture of Hypercapitalism Where All of Life is a Paid-For Experience (2000) (dt. Access - das Verschwinden des Eigentums, Frankurt a.M. 2000) zu sehen. Informationstechnologien und weltweite Vernetzung verändern, nach Rifkin, die klassischen Eckwerte kapitalistischer Produktion, indem sie diese sozusagen überbieten. Dem Zeitalter der Märkte folgt das Zeitalter der Netzwerke. Der Fall Napster und mit ihm der Kampf um die Zugangsrechte im Netz sind deutliche Anzeichen dafür. Das Verhältnis Verkäufer/Kunde verwandelt sich in ein Verhältnis zwischen Anbietern und Nutzern. Aus dem Streben nach Eigentum, wird Streben nach Zugang. Nicht das materielle, sondern das geistige Eigentum hat in der neuen Ökonomie den Vorrang. Das bedeutet aber letztlich, so Rifkin, dass alle Formen kultureller Arbeit sich den Regeln des elektronischen Netzwerkes unterziehen. Diese Form von Hyperkapitalismus birgt aber für eine große Gefahr: Die Geschichte der Menschheit zeigt, so Rifkin, dass die Kultur dem Kommerz vorausgehen muß. Wenn alle Beziehungen von Mensch zu Mensch nur unter dem Vorzeichen von Effizienz und Nützlichkeit gestaltet werden, gerät die Gesellschaft und mit ihr auch die Ökonomie selbst aus dem Gleichgewicht.

    Im Hinblick auf die Zukunft der Informationsgesellschaft prognostiziert Friedemann Mattern (ETH Zürich: Research Group for Distributed Systems) den "Trend zur Vernetzung aller Dinge". Er stellt die bisherige Entwicklung des Internets folgendermaßen dar:

      "War das Internet in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts zunächst noch ein Experimentier- und Forschungsnetz, das Programmierer im Wesentlichen für remote login und Dateitransfer, also den entfernten Zurgriff auf Computerressourcen, verwendeten, so wurde es in den 80er-Jahren, vor allen in der Wissenschaft, zunehmend als Kommunikationsmedium von Mensch zu Mensch benutzt - Email war seinerzeit die dominierende Anwendung. Die 90er-Jahre brachten mit dem WWW dann aber eine ganz andere Nutzungsform hervor: Nun kommunizieren Menschen via Browser auf der einen Seite mit Maschinen, nämlich WWW-Servern, auf der anderen Seite. Damit einher ging eine Vervielfachung des Datenverkehrs; gleichzeitig stellte dies die Voraussetzung für die schnelle Kommerzialisierung und Popularisierung des Internets dar.

      Jetzt zeichnet sich indes ein weiterer Quantensprung ab: Das Internet wird in Zukunft vor allem für die Kommunikation von Maschine zu Maschine - oder vielleicht besser von Ding zu Ding - verwendet werden. Weiterhin werden zwar 'klassische' Anwendungen wie Email und WWW eine wichtige Rolle spielen und sogar umfänglicher als heute benutzt werden, allerdings wird die reine Maschinenkommunikation dominant werden. Dafür sorgen werden viele in Alltagsgegenstände eingebettete Prozessoren und Sensoren im Verbund mit neuen technischen Möglichkeiten der Datenkommunikation." (Friedemann Mattern: Ubiquitous Computing. In: Herbert Kubicek, Dieter Klumpp, Gerhard Fuchs, Alexander Roßnagel Hrsg.: Internet @ Future. Technik, Anwendungen und Dienste der Zukunft. Jahrbuch Telekommunikation und Gesellschaft 2001. Heidelberg: Hüthig Verlag 2001, S. 53).


    Demnach hätten folgende "Quantensprünge" die Entwicklung des Internet geprägt:

    • 70er-Jahre: Experimentier- und Forschungsnetz (remote login, Datentransfer)
    • 80er-Jahre: Kommunikationsmedium von Mensch zu Mensch (Email)
    • 90er-Jahre: Kommunikationsmedium Mensch-Maschine (WWW-Server)
    • 10er Jahre des 21.Jahrhunderts: Kommunikationsmedium Ding-Ding (Alltagsgegenstände, Sensoren, ubiquitous computing, pervasive computing)
Zum Unterschied zwischen "ubiquitous computing" und "pervasive computing" schreibt Mattern:

"Der in diesem Sinne zu verstehende Begriff 'ubiquitous computing' wurde bereits vor über zehn Jahren von Mark Weiser, bis zu seinem frühen Tod 1999 leitender Wissenschaftler am Forschungszentrum von XEROX in Palo Alto, geprägt (Weiser 1991). (...) Generell solle der Computer als Gerät nach Weisers Auffassung verschwinden, dessen informationsverarbeitende Funktionalität aber (eben ganz im wörtlichen Sinne des ubiquitous computing) überall verfügbar sein. Aufdringliche Technik solle einer 'calm technology' Platz machen:

"As technology becomes more imbedded and invisible, it calms our lives by removing the annoyances (...) The most profound technologies are those that disappear. They weave themselves into the fabric of everyday life until they are indistinguishable from it."

Die von Weiser hier anvisierte 'verschwindende Technologie' hat übrigens in programmatischer Hinsicht - und natürlich auch vom Namen her - maßgeblich die im Jahr 2001 gestartete 'Disappearing Computer'-Forschungsinitiative der EU zum ubiquituous computing beeinflußt (www.i3net.org/ser_pub/services/dc/) (...)

Während Weiser den Begriff ''ubiquitous computing' eher in akademisch-idealistischer Weise als eine unaufdringliche, humanzentrierte Technikvision versteht, die sich erst in der weiteren Zukunft realisieren lässt, hat die Industrie dafür inzwischen den Begriff 'pervasive computing' mit einer leicht unterschiedlichen Akzentuierung geprägt (Hansmann u.a. 2001; Burkhardt u.a. 2001): Auch hier geht es um die überall eindringende und allgegenwärtige Informationsverarbeitung, allerdings mit dem primären Ziel, diese eher kurzfristig im Rahmen von Electronic-Commerce-Szenarien und Web-basierten Geschäftsprozessen nutzbar zu machen (Mattern 2001). In dieser pragmatischer Variante, bei der neben diversen mobilen Geräten (wie Smartphones und PDAs) vor allem Kommunikationskonzepte und -protokolle (WAP, Bluetooth, http etc.), Middlewarekonzepte (z.B. SOAP oder Jini) und Technik zur anwendungsneutralen Datenrepräsentation (z.B. XML) eine Rolle spielen, beginnt das ubiquitous computing in der Praxis bereits Fuß zu fassen." (F. Mattern, a.a.O. S. 54-55)

    Diese Auffassung von einer freundlichen und unaufdringlichen Technologie, die im Alltag unsichtbar wird, ist mit der Auffassung von Terry Winograd und Fernando Flores verwandt, die wiederum Anleihen bei Heideggers früher Technikauffassung machen.
    Vgl. Die Informatik und das hermeneutische Forschungsprogramm

    Gute Technik ist dann eine "unauffällige", "unaufdringliche" und "unaufsässige" (Heidegger) Technik, d.h. eine Technik, die sich nicht dazwischen stellt, so dass aus dem "Zuhandenenen" ein "Vorhandenes" (Heidegger) wird.
    Vgl. v. Vf.: Informatics and Hermeneutics

    Ich nenne eine solche unsichtbare im Alltag verschwindende (Informations-)Technik in Anschluß an den italienischen Philosophen Gianni Vattimo eine "schwache Technik".
    Vgl. v.Vf.: Informatik von der Technokratie zur Lebenskunst

    Zum Thema 'disappearing computing' siehe die EU-Websites:

    8.1.3 Die Komplexität der Informationsgesellschaft und die Vertrauensfrage

    8.1.3.1 Die Komplexität der Informationsgesellschaft

    Für Gernot Wersig ist Komplexität der zentrale Hintergrund der Informationsgesellschaft. Er schreibt: 
     
      "Abstrahiert man etwas von den im einzelnen untersciedlichen Gedankengängen, dann werden weitere Ähnlichkeiten sichtbar. Bei allen Autoren spielt der Begriff der Komplexität eine Rolle, Komplexität als ein wesentliches Merkmal unserer Zeit, die mit Ungewißheit verbunden ist. Diese Ungewißheit wiederum führt zum Gefühl der Überforderung. 
    • Für Lyotard ist die Situation der Postmoderne die des Individuums: "Jeder ist auf sich selbst zurückgeworfen. Und jeder weiß, daß dieses Selbst wenig ist. ... Das Selbst is wenig, aber es ist nicht isoliert, es ist in einem Gefüge von Relationen gefangen, das noch nie so komplex und beweglich war. Jung oder alt, Mann oder Frau, reich oder arm, ist immer auf 'Knoten' des Kommunikationskreislaufes gesetzt..." (Lyotard 1986, S. 54-55)
    • Im Habermas'schen Dualismus von Lebenswelt und System, in dem System immer mehr Lebenswelt abstrahiert, liegt die Überkomplexität genau in diesem Abstraktionsmechanismus: "Abstraktionen, die der Lebenswelt aufgenötigt werden ... müssen innerhalb der Lebenswelt verarbeitet werden, obgleich sie die sinnlich zentrierten, räumlichen, sozialen und zeitlichen Komplexitätsgrenzen auch der weit ausdifferenzierten Lebenswelten überschreiten." (Habermas 1981, Bd. 2, S. 580). Derart entsteht "die Paradoxie, daß sich systematische Entlastungen, die durch die Rationalisierung der Lebenswelt ermöglicht werden, in Überlastungen der kommunikativen Infrastruktur dieser Lebenswelt verwandeln." (ebd. S. 554)
    • Für Beck ist die Dimension, die den Erfolg aber auch das Umkippen der Moderne ausmacht, die "lineare Steigerung von Rationalität", die in sich "eine unendliche Komplexität" entwickelt (Beck 1993, S.45). Nebenfolge der Rationalitätssteigerung aber unterdessen Hauptfaktor ist die Individualisierung als Auf- und Ablösung industriegesellschaftlicher Lebensformen, für deren Nachfolge es aber noch keine Selbstverständlichkeiten gibt. "Das Gejammere über Individualisierung... sind meist Reaktionen auf erfahrene Unlebbarkeiten einer Individualsierung, die anomische Züge annimt." (ebd. S.151)
    • Für Giddens taucht Komplexität in zweifacher Hinsicht als Wandlungsfaktor auf: Einmal für die Individuen in der Risikogesellschaft: "Das Gemisch aus Risiko und Chancen ist unter vielen der betreffenden Umstände derart komplex, daß es für die einzelnen überaus schwierig ist zu wissen, in welchem Maße man bestimmten Rezepten oder Systemen Vertrauen schenken und in welchem Maße man es suspendieren sollte" (Giddens 1995), S. 183. Aber Komplexität ist auch im größeren Maßstag für den Wandel verantwortlich: Zu den unbeabsichtigten Konsequenzen, die den Wandel verursachen, zählt er vor allem Planungs- und Bedienungsfehler, die wegen der Komplexität der Systeme und Handlungen als solche unvermeidlich sind." (ebd. S. 189)
(Wersig, Die Komplexität der Informationsgesellschaft, S. 11) 
     

    8.1.3.2 Die Frage des Vertrauens

    Für Rainer Kuhlen sind die Bildung zur "informationellen Autonomie" und die Frage des Vertrauens die entscheidenden soziale und ethischen Herausforderungen der heutigen Informationsgesellschaft. Er schreibt: 
    "Informationsarbeit wird immer mehr zu delegierter Arbeit. Delegation, darauf haben wir hingewiesen, ist immer eine Sache des Vertrauens. (...) Nicht umsonst spielt das Thema des Vertrauens auf den elektronischen Märkten der Gegenwart eine wichtige Rolle. Konsequent haben sich auch im kommerziellen Bereich der Informationswirtschaft so etwas wie Vertrauensmanagement und Vertrauenssicherungsssysteme entwickelt. Die Anstrengungen der Informationswirtschaft sind beträchtlich, Vertrauen aufzubauen, in erster Linie mit Blick auf die Sicherheit der elektronisch durchgeführten Transaktionen, dann aber auch mit Blick auf eine offene Informationssammlungspolitik bzw. auf den Schutz der in den elektronischen Interaktionen abgegebenen persönlichen Daten. Denn ist Vertrauen in die Leistungen nicht vorhanden, wird das Publikum mißtrauisch die Produkte verweigern. War Vertrauensmanagement erfolgreich, dann ist auf den Märkten die Grundeinstellung vertrauensvoller Akzeptanz vorhanden. (...) 

    Entsprechend wissen wir, daß es kein informationelles Schlaraffenland geben wird, in dem die Informationen, uns angemessen aufbereitet, direkt in unsere Gehirne fliegen und dort zu Wissen werden. Information muß erarbeitet werden. Die Voraussetzungen dafür, daß Inforamtion später genutzt werden kann, müssen gegeben sein. Das leistet konstruktive Informationsarbeit. Ebenso müssen die Informationen, wenn sie denn einmal in den vielfältigen Ressourcen auf den Informationsmärkten als potentiell zu Informationen werdende Daten gespeichert sind, erarbeitet werden. Das haben wir redaptive Informationsarbeit genannt. Informationen können nicht einfach per Knopfdruck aus den jeweiligen Schubläden gezogen werden. Und schließlich bedeutet Information erarbeiten, sie in ihrem Wahrheitswert, ihrer Handlungsrelevanz einschätzen und in der aktuellen Situation effizient einsetzen zu können. Dies hat nur als Basisvoraussetzung etwas mit Technik zu tun, erfordert vielmehr neben der informationsmethodischen auch noch soziale und kommunikative Kompetenz. Ohne eigene Informationsarbeit wird es also nicht gehen. Wir haben die Vermutung geäußert, daß informationelle Urteilskraft dann riskiert, defizitär zu werden, wenn die Fähigkeit, eine Information einschätzen zu können, sich nicht mehr durch die Fähigkeit schulen läßt, die Information überhaupt erst zu erarbeiten. 

    Wir schließen uns keineswegs den Erwartungen an, die viele an die Entwicklung der Informationsgesellschaft hegen, daß nämlich die Verfügung über Information nicht mehr differenzierend wirken müsse, da alle auf dem gleichen Stand der Verfügung und Nutzung seien. Information wäre dann kein Wettbewerbsvorteil mehr für Unternehmen. Information wäre kein Karrieremittel mehr im persönlichen Fortkommen, und Unterschiede zwischen informationsarmen und informationsreichen Ländern gäbe es nicht mehr, bzw. wäre nicht mehr der Mangel an Information der Grund für weiterbestehende Differenzen. Verfügung über Information und erworbenes Wissen werden weiter differenzierend wirken. 
    Wie schon nicht alle informationell oder gar materiell oder im Einfluß gleich geworden sind, weil ihnen im Prinzip alle Bücher und Zeitschriften direkt zur Verfügung standen, so wird es auch informationelle Gleichheit selbst dann nicht geben, wenn im Sinne einer informationelle Grundversorgung der Zugriff genauso von der Öffentlichkeit garantiert ist, wie es heute der Fall mit den Bibliotheken ist. (...)

    Die Herausforderung an die Gesellschaft besteht nicht darin, den Informationszugang für alle gleich zu machen, sondern die Voraussetzungen dafür zu schaffen, daß jeder die Chance hat, die Vorteile der möglichen Informationsleistungen zu nutzen. Chancen geben heißt nichts anderes, als Bildung möglich zu machen. Informationelle Chancengleichheit beruht auf informationeller Bildung, deren wesentliches Ziel, wie wir es formuliert haben, informationelle Autonomie ist, nicht in dem Sinne, alles schon selber zu wissen, sondern in der Lage zu sein, sich der vorhandenen Ressourcen auf gewinnbringende Weise zu vergewissern. Ein Mensch in der Informationsgesellschaft hat Chancen, ein autonomes, d.h. selbstbestimmtes Individuum zu werden, wenn er informationskompetent ist. Dieser braucht vor den Konsequenzen der technischen Informationsassistenten nicht bange zu sein." 

      (R. Kuhlen: Die Konsequenzen von Informationsyssistenten, Frankfurt a.M. 1999, S. 378-382) 

    Vgl. Tim Berners-Lee: Der Web-Report. München: Econ 1999.

    Zur Vertiefung: 

    R. Capurro: Ethik im Netz. Stuttgart 2003 
    -: Leben im Informationszeitalter, Berlin 1995, Kap. 3. 
    U. Maier-Rabler: Einführung in die Kommunikationstechnologien 
     

    8.1.4 Das Recht auf Kommunikation 

    Vgl. William J. McIver, William F. Birdsall: Technological Evolution and the Right to Communication: The Implications for Electronic Democracy (2002) (pdf): 

    Prämoderne Entwicklung:  
    Die Entwicklung der Schrift und der frühen Post (2000 v.Chr. - 1793 nChr.):
    -> Ursprünge der heutigen "Telekommunikation" (das Wort entsteht in Frankreich um 1930) in Zusammenhang mit der Verbreitung von schriftlichen Botschaften (Boten, Tiere) bei den Ägyptern (2000 v.Chr.)
    Chinesen (1000 v.Ch.)
    Assyrern (700 v.Chr.)
    Persern (500 v.Chr.).
    -> Skriben als Kaste. 
    -> "Cursus publicus" als 'staatliches' System im römischen Imperium.
    -> Im Frühen Mittelalter verschwinden die staatlichen Postdienste in Europa.

    Vgl. C.H. Scheele: A Short History of the Mail Service. Washington 1970.

    Moderne Entwicklung:  
    Im 18. und 19. Jh. stehen die Postdienste unter staatlicher Kontrolle. Um 1840: postalische Reform in Großbritannien. Briefmarkensystem: bezahlt wird einheitlich und im voraus. 

    Internationalisierung der postalischen Kommunikation:  
    Universal Postal Union (UPU)  (1874)
    Telegraphie (um 1830)
    Telephonie (um 1876)
    Rundfunk (um 1895)
    ITU (International Telecommunications Union) (1934)

    Ökonomische, soziale und kulturelle Rechte bei der elektronischen Telekommunikation von 1948 bis heute: 
    -> Die Universal Declaration of Human Rights (UDHR) (1948):  

Art. 19: "Everyone has the right to freedom of opinion and expression: this right includes freedom to hold opinions without interference and to seek, receive and impart information and ideas through any media and regardless of frontiers." 

Art. 27: "Everyone has the right freely to participate in the cultural life of the community, to enjoy the arts and to share in scientific advancdement and its benefits." 

    Vgl. auch Art. 12 (privacy), Art. 18 (freedom of thought, conscience, and religion), Art. 20 (freedom of peaceful assembly), Art. 26 (right to education). 

    -> Bertolt Brecht: "Theorie des Rundfunks" (1932)
     
    -> Jean d'Arcy (Director of Radio and Visual Services der UN Office of Public Information): "Direct Broadcast Satellites and the Right to Communicate" (1969) 
    -> Massenmedien (Rundfunk und Fernsehen, Printmedien) als hierarchische "Ein-Weg-Medien", die eine Massenmedien-Metalität erzeugen vs. horizontale interaktive Kommunikationsmedien (Brecht, d'Arcy): Unterschied zwischen Information und Kommunikation.
    -> Von hier aus: unterschiedliche gesellschaftliche Entwürfe einschl. der Interpretation der UDHR.
    -> Das Individuum wird immer weniger als passiver Empfänger von Information und immer mehr als aktiver Teilnehmer in einer interaktiven globalen Kommunkation.
     

    Recht auf Kommunikation: 1955 bis heute 

    -> Die Bandung Conference der Non-Aligned Movement 1955
     
    -> Die ITU Plenipotentiary Conference, Montreux 1965 
    -> Das Scheitern der New World Information and Communication Order (NWICO) der UNESCO aufgrund der internationalen Konflikte ("kalter Krieg") (um 1970-1980) 
    -> Das Recht auf Kommunikation aufgrund der Weltvernetzung (Arpanet 1965):  
    partizipative Kommunikation 
    interaktive Kommunikation 
    horizontale Kommunikation 
    mehrweg ("multiway") Kommunikation 
    Kommunikation und Demokratie
    ->
    World Summit on the Information Society (Geneva 2003 - Tunis 2005)
    -> "Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgeselschaft" auf Initative der Heinrich-Böll-Stiftung (2003). Folgende Bereiche und Ziele einer Wissens- und Informationsgesellschaft unter dem Primat der Nachhaltigkeit werden vorgeschlagen:
     

    • Freier Zugriff auf Wissen
    • Wissen, ein öffentliches Gut im Besitz aller ("Commons")
    • Offenheit technischer Stardards und offene Organisationsformen
    • Sicherung der Privatheit beim Umgang mit Wissen und Information
    • Kulturelle und sprachliche Vielfalt
    • Sicherung medialer Vielfalt und öffentlicher Meinung
    • Langzeitbewahrung von Wissen
    • Überwindung der digitalen Spaltung
    • Informationsfreiheit als Bürgerrecht auf politische Beteiligung und transparente Verwaltung
    • Sicherung der Informationsfreiheit in der Arbeitswelt
     

    8.2. Online-Recht

    8.2.1 Zur Einführung 
    8.2.2 Copyright 
    8.2.3 E-Privacy 
    8.2.4 Gesetze und Richtlinien 
    8.2.5 Links 

    8.2.1 Zur Einführung

    Die Probleme des Informations- und Wissensmanagements auf Weltebene treten seit der Globalisierung in Form von digitaler Vernetzung in den Vordergrund. Die nationalen Kontrollmechanismen können hier nur bedingt eingreifen, so dass supranationale Institutionen wie die UN oder Nicht-Regierungsorganisationen (NGO = Non-Governmental Organizations) wie die ISOC (Internet Society) oder die EFF (Electronic Frontier Foundation), durch vielfältige Regulierungsaktivitäten versuchen, diese Prozesse aktiv zu lenken. 

    - T. H. Strömer: Urheberechte und die Legende vom "rechtsfreien Raum" 
     
    Zur Vertiefung: Strömer, T.H.: Online-Recht. Rechtsfragen im Internet und in Mailboxnetzen. Heidelberg 1999. Inhalt: 
    1. Einleitung 
    2. Provider und Onlinedienste 
    3. Wahl der Domain 
    4. Electronic Commerce 
    5. Geistiges Eigentum im Internet 
    6. Newsgroups, Chat und Files 
    7. Internet im Unternehmen 
    8. Datenschutz 
    9. Internationale Aspekte 
    10. Umgang mit der Telekom 
    11. Deutsche Urteile zum Online-Recht 

    8.2.2 Copyright 

    T.A. Lipinski: Information Ownership and Control. In: Williams, Martha E. (ed.): Annual Review of Information Science and Technology (ARIST), published on behalf of the ASIS (American Society for Information Science), Information Today Inc., Medford, N.J., Vol. 33 (1998), 3-38. 

    8.2.3 E-Privacy

    H. Bäumler, Hrsg.: Datenschutz im Internet. 2000 (www.vieweg.de 
    Enhält die Vorträge der Datenschutzexperten anläßlich der Sommer-Akademie Schleswig-Holstein. 

    Aus der Rezension in CYbiz, März 2001, S. 45: 

    "Das Recht auf Anonymität. 
    Einfach unbekannt bleiben ist auch eine Form des Privatseins oder der Anonymität! Wie ist es möglich, im Zeitalter des E-Commerce das Recht auf seine Privatsphäre zu wahren? Der virtuelle Einkauf hält nicht nur Einzug in die deutschen Wohnstuben. Und Diskussionen um den Datenschutz im Inernet werden ständig neu entfacht. Laut Dr. Rüdiger Grimm, Nils Löhndorf und Prof. Dr. Alexander Roßnagel zielt E-Privacy darauf ab, das Wissen über Personen zu reduzieren. 
    Nur so viel Wissen soll über die individuellen Teilnehmer im Internet gesammelt und vearbeitet werden wie für die Zusammenarbeit erfoderlich ist. Diese Definition allerdings scheint im totalen Widerspruch zu E-Commerce zu stehen, das nach Kundenbindung strebt und dafür Kenntnisse über die Kunden voraussetzt. Und während die Anonymität des Nutzers einerseits durch Zuhilfenahme von Cookies oder anderer Überwachungstechnologien immer mehr verloren geht, "mogeln" sich andererseits die Teilnehmer mit erfundenen Daten durch die Websites, und Anbieter quellen über von zu vielen nutzlosen Daten. 
    Dies alles muss nicht sein, denn die Datenschutzexperten gelangen zu der Überzeugung, dass gerade der mangel an E-Privacy eines der größten Hindernisse im gesunden Wachstum von E-Commerce darstellt und dass diejenigen Firmen, die solide E-Commerce-Policies verfolgen und diese auch ihren Kunden glaubhaft machen können, einen wichtigen Marktvorteil den Firmen gegenüber erlangen, die das Problem der Privatsphäre weiter ignorieren." 

    8.2.4 Gesetze und Richtlinien

    Online-Recht: mit Urteilen, Rechtslexikon, Gesetzessammlung, Kommentaren und Newslettter 
    IT-Recht: (B. Steckler, FH Bielefeld) 111 Fälle zum Online-Recht 
    Berne Convention for the Protection of Literary and Artistic Works (Paris Text 1971) 

    RA Thomas Feil: Rechtsregeln für Werbebanner-Verträge.  CYbiz, März 2001, S. 90-91:    

    "In der juristischen Diskussion werden die Werbebanner-Verträge als Werkverträge im Sinne der §§ 631ff. BGB eingeordnet. Ziel eines solchen Werbebanner-Vertrates ist es, erfolgreich Werbung zu schalten. Damit ist dieser Vertrag vergleichbar mit den Anzeigen-Verträgen im Printmedium.  
    Allerdings können je nach Fallgestaltung weitere Elemente hinzukommen. Beispielsweise können Werbebaner-Verträge vorsehen, dass ein Teil der geschuldeten Vergütung gegen Sachleistungen ausgetauscht wird. So erfolgt die Vergütung des werbenden Unernehmens durch Lieferung von Waren, die im Rahmen von Internet-Gewinnspielen von dem Website- oder Portalbetreiber weitergegeben werden."
    Entwurf eines Informationsfreiheitsgesetzes (IFG): "Jeder hat nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den Behörden des Bundes ein Recht auf Zugang zu amtlichen Informationen." 

    8.2.5 Links

     

    8.3 Informationspolitik

    8.3.1 Deutschland 
    8.3.2 EU 
    8.3.3 UN 
    8.3.4 Davos oder Porto Alegre? 
     

    8.3.1 Deutschland

    8.3.4 Davos oder Porto Alegre?

    Offizielle Websites:  Links:   
     

    8.4 Informationsethik

    8.4.1 Was ist Ethik? 
    8.4.2 Was ist Informationsethik? 
    8.4.3 Einführung in die Informationsethik 
    8.4.4 Informationsgerechtigkeit 
    8.4.5 Netiquette 
    8.4.6 Infoethik-Websites 
     

    8.4.1 Was ist Ethik?

    Zur Einführung in die Ethik: RTWE  Referat für Technik- und Wissenschaftsethik an den Fachhochschulen des Landes Baden-Württemberg. 

    8.4.2 Was ist Informationsethik?

    Informationsethik dient als umfassende Bezeichnung für ethische Fragen:  
    - im Bereich Informationswirtschaft (Informationsethik i.e.S.) 
    - im Bereich Massenmedien (Medienethik)  
    - in der Informatik (Computerethik)  

    Informationsethik sollte:   
    - die Entwicklung moralischen Verhaltens im Informationsbereich beobachten und kritisieren, 
    - nach der Entstehung der Strukturen und Machtverhältnisse fragen, die das Informationsverhalten bestimmen,  
    - Informationsmythen aufdecken und kritisieren, 
    - verdeckte Widersprüche der herrschenden Sprachnormierung offenlegen, 
    - die Entwicklung informationsethischer Fragestellungen beobachten.

    8.4.3 Einführung in die Informationsethik

    R. Capurro: Ethik  - Informationsethik. Eine Einführung 
    - : Ethik im Bilde 
    - : Aktuelle Entwicklungen zur Informationsethik 
    - : Wahrheitsspiele. Ein E-Mail-Dialog mit Daniel Schmidt über Ehrlichkeit in den Medien  
    - : Ethos des Cyberspace. In: wechselwirkung, Dez.1998/ Jan.1999, 6-8. 
    - : Ethik im Cyberspace. In: M. Buder, W. Rehfeld, Th. Seeger, D. Strauch Hrsg.: Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation.  4. völlig  neu gefaßte Ausgabe, München 1997, Bd. 2, S. 1000-1007. 
    - :  Informationsgerechtigkeit. Zwischen Selbstkontrolle und Weltinformationsordnung. In: medien praktisch, Oktober 1998, H. 88, 22. Jg. S. 42-44.  
    R. Capurro, K. Wiegerling, A. Brellochs: Ethik-Reader (1995) 

    FH-Workshops 
    Studentische Workshops
     
    Zum Zusammenhang zwischen Ethik, Kultur und Ästhetik:

CCMS 
(Communication  Cultural  Media Studies).

    8.4.4 Informationsgerechtigkeit

    • II. ICIE-Symposium zum Digital Divide (2002) 
    • "Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgeselschaft" auf Initative der Heinrich-Böll-Stiftung (2003). Folgende Bereiche und Ziele einer Wissens- und Informationsgesellschaft unter dem Primat der Nachhaltigkeit werden vorgeschlagen:
      • Freier Zugriff auf Wissen
      • Wissen, ein öffentliches Gut im Besitz aller ("Commons")
      • Offenheit technischer Stardards und ofrene Organisationsformen
      • Sicherung der Privatheit beim Umgang mit Wissen und Information
      • Kulturelle und sprachliche Vielfalt
      • Sicherung medialer Vielfalt und öffentlicher Meinung
      • Langzeitbewahrung von Wissen
      • Überwindung der digitalen Spaltung
      • Informationsfreiheit als Bürgerrecht auf politische Beteiigung und transparente Verwaltung
      • Sicherung der Informationsfreiheit in der Arbeitswelt
       
    • YOIS Youth for Intergenerational Justice and Sustainability-Deutschland
    • R. Capurro: Informationsgerechtigkeit (2001) 

    8.4.5 Netiquette:  

    Die Netiquette ist ein Verhaltenskodex für alle Nutzer des Internets. Der Begriff selbst ist ein Kunstwort aus dem englischen Wort »Net« und dem französischen »Etiquette«.
    Mehr erfahren Sie in der Website von netplanet.org: 
     
    netiquette
     

    8.4.6 Ethik-Websites 

     
     
     
    INFORMATIONSETHIK
     
    NETHICS e.V.
     
     

    8.5 Zur Vertiefung 

    R. Capurro: Ethik im Netz. Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2003.
    R. Capurro:  Ethical Challenges of the Information Society in the 21st Century  (2000) Proceedings der EEI21 - MEMPHIS. An Annual Scholarly Symposium: The Ethics of Electronic Information at the 21st Century. The University of Memphis, 5-8 October 2000.
     
     

    8.6 Für Fortgeschrittene

    Richard A. Spinello, Herman T. Tavani (Eds.): Readings in CyberEthics. Boston 2001
     

    Übungen

    1. Nehmen Sie zu einem Ansatz von Informationsgesellschaft Stellung indem Sie diesen mit anderen Ansätzen vergleichen.
    2. Erörtern Sie das Problem des Copyright im Internet.
    3. Erörtern Sie anhand eines Beispiels den Unterschied zwischen einer rechtlichen und einer ethischen Fragestellung im Informationsbereich und nehmen Sie dazu Stellung. 
    4. Erörtern Sie den Begriff des digital divide und nehmen Sie dazu Stellung in Zusammenhang mit den internationalen Entwicklungen (WSIS).
    5. Beschreiben Sie Struktur und Dienste des UNESCO Observatory on the Information Society.

    6. Was ist die "Netiquette"? Erörtern Sie ihren Nutzen in einem speziellen Anwendungsbereich. 
    7. Schildern Sie die Zwischenergebnisse und die offenen Fragen des WSIS-Gipfel und ziehen Sie ein informationspolitisches Fazit.
    8. Nehmen Sie Stellung zu einem aktuellen informationspolitischen Thema in Deutschland.
    9. Was versteht man unter 'ubiquitous computing'?
    10. Was versteht man unter 'Recht auf Kommunikation'?
    11. Nehmen Sie zur Problematik des Vertrauens im Internet Stellung.

 

 
Gesamtübersicht
 
 

Kapitel 1: Lehre und Forschung 
Kapitel 2: Historische Aspekte 
Kapitel 3: Grundbegriffe 
Kapitel 4: Der elektronische Informationsmarkt 
Kapitel 5: Wissenserschließung und -darstellung 
Kapitel 6: Information Retrieval 
Kapitel 7: Wissensschaffung 
Literatur 
 

 
   

Copyright © 2003 by Rafael Capurro, all rights reserved. This text may be used and shared in accordance with the fair-use provisions of U.S. and international copyright law, and it may be archived and redistributed in electronic form, provided that the author is notified and no fee is charged for access. Archiving, redistribution, or republication of this text on other terms, in any medium, requires the consent of the author. 
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