EINFÜHRUNG IN DIE INFORMATIONSWISSENSCHAFT

 
Rafael Capurro
 
 
 
 

Kapitel 2: Historische Aspekte

 
 
 

Inhalt

2.1 Zur Entstehung der Informationswissenschaft
2.2 Meilensteine der internationalen Entwicklung der IT
2.3 Meilensteine der Entwicklung der Fachinformation in Deutschland 
2.4 Zur Vertiefung 
2.5 Für Fortgeschrittene 

Übungen 
 

 
 

 

2.1 Zur Entstehung der Informationswissenschaft

Die Informationswissenschaft ist, wie der dänische Informationswissenschaftler Peter Ingwersen in seinem Beitrag für die Encyclopedia of Library and Information Science mit dem Titel Information and Information Science bemerkt, eine junge Wissenschaft. Der Ausdruck information science geht auf den Gründer des britischen Institute of Information Scientists (IIS), Jason Farradane, im Jahre 1958 zurück (Ingwersen 1995). Farradane wollte damit, so Ingwersen, einen Unterschied machen zwischen den Wissenschaftlern die im Labor arbeiten und denen die sich mit dem Management der wissenschaftlichen und technischen Information befassen. Informationswissenschaftler sollten sich mit der wissenschaftlichen Forschung des Informations- und Kommunikationsprozesses in der Wissenschaft befassen. Da das Fachwissen zur damaligen Zeit in Form von Dokumenten vorlag, entstand dafür die Bezeichnung Dokumentar (documentalist). 

Der Unterschied zwischen einem Dokumentar und einem Bibliothekar lag vor allem in der fachlichen Spezialisierung des Dokumentars gegenüber der allgemeinen sowie der auf soziale und kulturelle Belange bezogenen Orientierung der Bibliothekare vor allem an öffentlich zugänglichen Bibliotheken. Ein engerer Bezug zwischen Dokumentaren und Bibliothekaren bestand allerdings im Bereich der wissenschaftlichen Bibliotheken und der Spezialbibliotheken sowie in Zusammenhang mit der bibliographischen Tätigkeit an Bibliotheken. Der Dokumentar sollte sich, ferner, von der dokumentarischen Einheit "Buch" lösen und eben auf einzelne Dokumente - zum Beispiel auf einzelne Beiträge innerhalb eines Buches oder innerhalb eines Zeitschriftenheftes - eingehen. Er sollte diese "dokumentarischen Bezugseinheiten" (DBE), wie man sie später in der deutschen Fachterminologie nannte, tiefer erschließen - zum Beispiel mit Hilfe von Fachthesauri, Klassifikationen und Kurzfassungen oder abstracts - als das in Bibliotheken der Fall war. Im Klartext, der Dokumentar sollte sich primär mit den Inhalten der Dokumente in bezug auf spezialisierte Gebiete befassen. 

Die Bezeichnung Bibliothekswissenschaft geht auf Martin Schrettinger: Versuch eines vollständigen Lehrbuchs der Bibliothekswissenchaft, Band 1-2. München, 1808-1829, zurück. Dieser Begriff wurde im 20. Jahrhundert z.B. durch Pierce Butler: An introduction to library science (Chicago 1933), sowie auch vom indischen Bibliothekswissenschaftler S.R. Ranganathan: Preface to library science (Delhi 1948), gebraucht. Die Bezeichnung Dokumentation wurde von Paul Otlet: Traité de documentation. Le livre sur le livre. Théorie et pratique (Brüssel 1934) eingeführt. Otlets "Traité" gehört zu den ersten informationswissen- schaftlichen Lehrbüchern.

Michael Buckland hat die Anfänge der library and information science am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts folgendermaßen zusammengefaßt: 

"This period, the last decades of the nineteenth century and the first few decades of the twentieth century were also a renaissance period for Library and Information Science. Classification schemes that shape us now were developed then. The essencial features of our present ideas of digital libraries were first discussed. Quite sophisticated ideas about "documents" and their social role, about hypertext, workstations, reading texts remotely on cathode ray tubes, the use of electronics for document retrieval were all under development or under discussion by the 1930s. The technological modernism of those days' policy-makers, with its rhetoric of systems, standards, organization, information machines -engines for social progress! - is still with us, especially among policy makers and the technologically oriented. There was, at least in some quarters, an expansive view of LIS as bringing solutions to the needs of scholars, governments, corporations, organizations, everyone. The close relationship between library practice, business practice, publishing, and the need for innovative standardized technologies for coding and for storing was recognized. Melvil Dewey's contributions are well-known. He wrote in Englih. Many other practical visionaries, such Paul Otlet, Wilhelm Ostwald, Emanuel Goldberg, Georg Schneider, and Suzanne Briet, wrote in French or German, and are largely forgotten. There are rich opportunies for anyone willing to undertake archeology of LIS. (For a convenient introduction to recent work on the history of Information Science see Hahn & Buckland (1998) and Bowden, Hahn & Williams (1999)."  
(M. Buckland: The Academic Heritage of Library and Information Science: Resources and Opportunities, 2000)
Vgl. Bowden, M., T.B. Hahn, R.W. Williams (eds.) 1999: Proceedings of the 1998 Conference on the History and Heritage of Science Information Systems. Medford, NJ: Information Today. 
Hahn, T.B.,  M. Buckland (1998): Historical Studies in Information Science. Medford, NJ: Information Today 

Im Jahre 1931 wurde das vormalige Institut International de Bibliographie - 1898 in Brüssel gegründet - in Institut International de Documentation umbenannt. Darauf folgte 1937 die Gründung der Fédération Internationale de Documentation (FID), die sich u.a. der Pflege der Dezimalklassifikation widmete. Die bibliographische Tätigkeit führte zur Erstellung von regelmäßig erscheinenden Fachbibliographien oder Referateorganen (abstract journals). Anfang der 60er Jahre begann sich dieses Gebiet durch den Einfluß des Computers sowie durch den exponentiellen Zuwachs von (wissenschaftlichen) Veröffentlichungen grundlegend zu ändern. Man begann bibliographische (Fach-)Datenbanken aufzubauen, die in Rechenzentren (Hosts) allmählich einer großen Anzahl vor Wissenschaftlern online zugänglich gemacht wurden. Die Technik eines gezielten Zugriffs zu diesen dokumentarischen Informationen - meistens mittels eines kontrollierten Vokabulars oder eines aus Deskriptoren bestehenden Thesaurus - nannte man information retrieval (IR), d.h. das Wiederfinden (retrieve) von (im Computer gespeicherten) Informationen. Gemeint waren zunächst bibliographische Hinweise zu Dokumenten. 

Im Jahre 1968 änderte das American Documentation Institute seinen Namen und es wurde die American Society for Information Science (ASIS). Im Jahre 1975 definierte die ASIS das Gebiet information science folgendermaßen: 

"Information science is concerned with the generation, collection, organisation, interpretation, storage, retrieval, dissemination, transformation and use of information, with particular emphasis onthe applications of modern technologies in these areas. 
As a discipline, it seeks to create and structure a body of scientific, technological, and systems knowledge related to the transfer of information. It has both pure science (theoretical) components, which inquire into the subject without regard to application, and applied science (practical) components, which develop services and products."
(in: B.C. Griffith, ed.: Key papers in information science. New York, Knowledge Industry Publications 1980; Zitat nach: B. Hjørland: Documents, Memory Institutions and Information Science. In: Journal of Documentation, vol. 56, no. 1, January 2000, 27-41) 

Im deutschsprachigen Bereich wurde die Bezeichnung Information und Dokumentation (IuD) für all diese Tätigkeiten seit 1970 üblich. Ein Beispiel dafür ist die Verwendung dieses Ausdrucks im Programm zur Förderung der Information und Dokumentation (IuD-Programm) 1974-1977 der Bundesregierung. Man verwendete aber auch in diesem Programm die später übliche Bezeichnung Fachinformation, zum Beispiel in bezug auf die zu gründenden Fachinformationszentren (FIZ). 

 

2.2 Meilensteine der internationalen Entwicklung der Informationstechnik

 
1822 Charles Babbage stellt der Royal Society ein Modell einer programmgesteuerten Rechenmaschine ("Difference Engine") vor (1833: "Analytical Engine", die über alle Grundbausteine moderner Computer verfügt). 
1889 Hermann Hollerith erhält ein Patent ("Art of Compiling Statistics") für eine Lochkartenmaschine die 1890 bei der 11. Volkszählung in den USA zum Einsatz kommt.
1895 Gründung des Institut International de Bibliographie durch Paul Otlet und Henri Lafontaine in Brüssel. Umbenennungen: Institut International de Documentation (1931); Fédération Internationale de Documentation (FID) (1937) 
1936 Konrad Zuse entwickelt den ersten programmgesteuerten Rechenautomaten. 
1937 Alan M. Turing entwickelt die Universal Discrete Machine ("Turingmachine") 
1945 Vannevar Bush (1890-1974): "As We May Think" (erste Idee eines interaktiven Retrievalsystems) (erschienen in The Atlantic Monthly). 
1946 ENIAC (Electronic Numerical Integrator And Calculator): erster elektronischer Rechner von J.P. Eckert und J.W. Mauchly (University of Pennsylvania) für die US Army entwickelt. 
1949 Claude E. Shannon, Warren Weaver: The Mathematical Theory of Communication.
1951 Mortimer Taube: "The Coordinate Indexing of Scientific Fields" (American Chemical Society, Division of Chemical Literature) 
1952 IBM bringt ihren ersten Rechner (IBM-7101) auf den Markt.
1955 Zweite Computergeneration (Transistoren) (100.000 Additionen pro Sek.)
1961 SMART (System for the Mechanical Analysis and Retrieval of Text) (Computererzeugter KWIC-Index von Chemical Abstracts Service entwickelt von Gerald Salton, Harvard University) 
Dritte Computergeneration (integrierte Schaltkreise und Chips) (160.000 Additionen pro Sek.) 
1963 Weinberg-Report: "Science, Government, and Information" 
1964 MEDLARS: Erster computergestützter Informationsdienst für die Medizin 
1965 ORBIT (Online Retrieval of Bibliographic Information Timeshared) von C. Cuadra bei SDC (System Development Corporation) entwickelte Software für die Dokumente der US Air Force 
1965 Gordon Moore prognostiziert, dass sich die Kapazität von Computerchips jedes Jahr verdoppeln werde ("Mooresches Gesetz") 
1965 Theodore Nelson prägt den Terminus "Hypertext" für das Konzept eines nichtsequentiellen Texts. 
1967 DIALOG: ein von der Firma Lockheed für die NASA entwickeltes Online-System (260.000 Zitate, 24 Terminals) 
1968 Vierte Computergeneration (Large Scale Integration: Integrierte Schaltkreise in Miniaturform; 300.000 Aditionen pro sec.) 
1969 Erfindung des Mikroprozessors durch Ted Marcian Hoff, Basis für den Minicomputer. Von Intel bzw. Texas Instruments hergestellt. 
1969 1969: Das US Department of Defense stattet das Advanced Research Program Agency (ARPA) mit Computern aus, die über Telephon miteinander verbunden sind. Daraus entsteht in den frühen 90er Jahren das Internet. 
1969 UNIX (Erfinder: Ken Thompson) 
MARC (Machine Readable Catalogue): Standard von der Library of Congress (entwickelt von Henriette Avram) 
1969 Die ESA (European Space Agency) beginnt mit dem ersten Online-Retrieval-System in Europa (NASA-RECON Software) 
1971 INIS (International Nuclear Information System): Erste internationale Datenbank entwickelt in der IAEA (International Atomic Energy Agency, Wien) (44 Mitgliedsländer) 
1971 MEDLINE (Online-Version von MEDLARS): erste große Online-Datenbank 
1971 Entwicklung des europäischen Verbundssystems EURONET/DIANE
1972 DIALOG und ORBIT/SDC bieten kommerzielle Online-Datenbanksysteme an
1973 300 Online-Datenbanken zugänglich  
Daniel Bell: The Coming of Post-Industrial Society
1977 Gründung der Online-Zeitschriften: ONLINE, Online Review
1977 Erste internationale Online Konferenz in London 
1979 US-Netzwerk TYMNET (1200 baud) 
Gründung des Media Lab am MIT durch Nicholas Negroponte 
1980 600 Online-Datenbanken zugänglich
1980 Entwicklung der Lasespeicher (CD-ROM) (Philips und Sony stellen 1981 die CD vor)
1980 Datenkommunikation zwischen Rechnern innerhalb eines Betriebes (lokales Netz, Client-Server-Modell) und externen Rechnern (Rechnerfernnetz). 
1981 Einführung des IBM Personal Computer. Die meisten Kunden benutzen das Betriebssystem PC-DOS, ein Programm, das IBM unter Lizenz von Microsoft verkauft.
1982 Commodore bringt den C 64 auf den Markt (Arbeitsspeicher: 64 KB, Bildschirmgraphik: 16 Farben) 
1983 Am 1. Januar 1983 fand der Übergang vom NCP-Protokoll zum TCP/IP statt: Der Geburtstag des Internet (Ronda Hauben) 
http://www.telepolis.de/tp/deutsch/inhalt/te/14016/1.html 
Das Tabellenkalkulationsprogramm Lotus 1-2-3 wird zur wichtigsten Anwendungssoftware des neuen Computers.
IBM bringt den PC/XT mit einer serienmäßig eingebauten Festplatte auf den Markt.
STN International (The Scientific and Technical Network) (Internationaler Verbund zwischen FIZ Karlsruhe, Chemical Abstracts Service und Japan Center for Science and Technology) 
1983 Magnetbeschichtete Disketten (Floppy Discs) setzen sich als Standardspeicher durch. 
Das Tabellenkalkulationsprogramm Lotus 1-3-3 wird zur wichtigsten Anwendungssoftware. 
Compaq führt einen eigenen PC ein. IBM bringt den PC/XT auf den Markt mit einer serienmäßig eingebauten Festplatte. 
1984 IBM bringt den Personal Computer AT heraus, der erste PC mit dem neuen Intel 286-Prozessor
Apple führt den Macintosh mit einer grafischen Benutzeroberfläche ein, die sich neben der Tastatur mit einer sogenannten Maus bedienen läßt.
1984 Einführung der Macintosch 128 von Apple (8 MHz, 128 KB Arbeitsspeicher) 
1984 EasyNet: kombiniertes Maskierungs- ('front-end') und Zugangssystem ('gateway') für mehrere Datenbankanbieter 
1985 Atari bringt den ST-Rechner heraus. 
Microsoft verkauft die erste Version des Betriebssystems "Windows". Das Programm ist zu langsam und kann nicht mehrere Programme gleichzeitig ausführen.
1985 CD-ROM der Library of Congress LC MARC und dr Grolier's Academic American Encyclopedia 
1987 Datenbankzugang über TYMNET (9600 baud)
1989 Apple bringt den ersten Laptop-Rechner ("Auf dem Schoß"-Rechner) heraus (Macintosh Portable) 
1989 Entstehung des World Wide Web: erfunden von Tim Berners-Lee im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als software engineer am European Particle Physics Laboratory (CERN). Das WWW-Programm wurde 1989 vorgeschlagen und im Dezember 1990 im CERN vorgeführt. Zwischen 1991 und 1993 wurden weitere Spezifikationen (URLs, HTTP, HTML) geschaffen und verbreitet.
1990 4500 Online-Datenbanken werden von mehr als 500 Hosts angeboten, ca. 750 DB auf CD-ROM 
IBM und Microsoft lösen ihre Partnerschaft bei Betriebssystemen. IBM entwickelt OS/2 von nun an allein weiter. 
1991 Gopher (University of Minnesota), WAIS 
Auf der Grundlage des Onlinedienstes America Online (AOL) ist es möglich, elektronische Post (E-Mail) zu verschicken. 
Linus Torvalds entwickelt das Betriebssystem Linus und stellt es kostenlos zur Verbesserung zur Verfügung.
1992 ISOC (The Internet Society) 
1993 Intel bringt den Mikroprozessor Pentium heraus.
Microsoft verkauft mit Windows NT das erste Betriebssystem, das nicht mehr auf dem DOS-Kern von 1981 basiert..
Mosaic: Erster graphischer Browser für PCs, mit offenen Code (Erfinder: Marc Andreessen)
1994  Navigationsprogramm Netscape (Erfinder: Marc Andreessen und Jim Clark)
Gründung des W3C Constortium durch Tim Berners-Lee mit Untersützung von Michael Dertouzos, Director des MIT Laboratory for Computer Science (LCS) 
 
1995 Microsoft bietet Windows 95 an
1995 Treffen der G 7 in Brüssel über eine "global society of information"
1998 Mit Windows 98 wird der Internet Explorer zum Teil des Betriebssystems 
Mozilla: Netscape Version als open source
1999 Microsoft wird verklagt, gegen das amerikanische Kartellgesetz aufgrund der Verbindung von Windows mit dem Internet Explorer verstoßen zu haben.
 
2000 Treffen der G 8 in Okinawa: Okinawa Charter on Global Information Society 
Mobilfunk-System der dritten Generation (UMTS, Universal Mobile Telecommunications System)
2001 Die Ereignisse vom 11. September führen zu verschiedenen Kontroll- und Überwachungsaktivitäten im Netz. Siehe z.B.: Electronic Frontier Foundation 
Globalisierungskämpfe: Davos Webforum vs. World Social Forum
2002 Sun Microsystems und Microsoft konkurrieren um die Vorherrschaft im Internet aufgrund eines geschlossenen (Microsoft Betriebssystem Windows: Passport) oder offenen (dezentrale Speicherung von Nutzerdaten auf der Grundlage von Verschlüsselungssystemen; Java-Plattform) Standards für Web-Services (zentrales Eingangstor für das Internet, Verknüpfung mit allen Arten mobiler Geräte, geschlossene Informationskette).  
Gründung der Web Services Interoperability Organization (WS-I), Liberty Allianz im Web.
2003
2005
eEurope 2005-Aktionsplan: EMCIS-Website 
World Summit on the Information Society (WSIS) (Genf 2003, Tunis 2005) Homepage
 
 
Pekka Himanen: A Brief History of Computer Hackerism
 
  • The Gospel of Tux (Linus Torvald)
  • The History of Unix (Ken Thompson, Dennis Ritchie, Bill Joy, Richard Stallman)
  • The Internet and the Web (Arpanet, Tim Berners-Lee, Ted Nelson, Marc Andreessen, Jim Clark, Rob McCool, Brian Behlendorf, Keith Porterfield)
  • The Personal Computer (Gordon French, Bob Albrecht, Lee Felsenstein, Steve Wozniak)
  • The PC-based Net as a Social Medium (Ray Tomlinson, Ward Christensen, Randy Suess, John Gilmore, Johan Helsingius)
hackerethic.org
 
 
 
 

Michael Friedewald: Der Computer als Werkzeug und Medium. Die geistigen und technischen Wurzeln des Personal Computers 
Berlin 1999. 

Wolfgang Coy: Zum Geleit 

"Computer umgeben uns überall, die meisten unsichtbar - als eingebettete Systeme in Autos, Aufzügen, Telefonen oder Kameras. Gleichzeitig werden sie überall sichtbar - im Arbeitszimmer, im Wohnzimmer, im Klassenzimmer, im Fernsehen, im IKEA-Katalog. Zuerst standen sie in den klimatisierten Kellern großer Unternehmen, zugänglich nur für die Eingeweihten nach Überwindung komplexer Zugangssperren. Der Rest konnte sie im Film bewundern. In den Achtzigern standen sie plötzlich auf allen Schreibtischen. (...) 
Sind dies alles Erscheinungsformen des gleichen Geräts? Das wird man nicht ohne Weiteres behaupten können. Ein embedded controller ist anders gebaut als ein Mainframe, und beide unterscheiden sich von einer Workstation oder einem PC. Sicher gehören sie der gleichen digitalen Technologie an, doch Mainframes sind tief im Innern Rechenautomaten und Datenverarbeitungsmaschinen geblieben, gewandelt zu großen Archivmaschinen oder zu Servern in internen und externen Netzen. Die eingebetteten Varianten des Mikroprozessors heißen zu recht Mikrocontroller; sie haben mechanische oder elektromechanische Steurbausteine durch allgemeinere, programmierbare Chips und Boards abgelöst. Workstations und PCs sind dagegen multimediale Endknoten in einem neuen Medium geworden, dem Internet. Sie besetzen nun den Begriff Computer so sehr, daß Erstsemester gelegentlich Bill Gates für den Erfinder des Computers halten - wie mir amerikanische Kolelgen glaubhaft versichern. 

Aber wer hat den PC erfunden? Wo kommen diese allgegenwärtigen, alltäglichen Medienmaschinen her? Michael Friedewald geht dieser Frage als Technikhistoriker nach - und er findet Antworten, die weit über noch vorhandene Oral History oder die gängigen journalistischen Aufbereitungen hinaus führen. Der PC ist nicht die bruchlose Fortsetzung der Mainframes als mikroelektronische Kopie, wie es selbst Informatiker sehen möchten, sondern der technische und kulturelle Schnittpunkt unterschiedlicher Linien der Software- und Geräteentwicklung aber auch unterschiedlicher Anwendungslinien. 
In der vorliegenden Darstellung wird klar, daß der PC eine eigenständige Geschichte hat, die ebenso wiedie Geschichte der Großrechner in den Zweiten Weltkrieg zurückweist. Nur: Es waren nicht John v. Neumann und Howard Aiken, die den PC erahnt haben, sondern Vannevar Bush (und, wenn ich das hinzufügen darf, auch Konrad Zuse mit seinem früh angedachten Graphomaten). Der PC kommt also vom MIT, als aus Princeton oder aus Harvard. Es ist vielleicht kein Zufall, daß Vannevar Bush tief in der Analogrechentechnik verwurzelt war und Digitalrechnern zutiefst mißtraute. Weshalb sein Memex als digital gesteuertes Archiv analog repräsentierter Texte und Bilder konzipierte - bis schließlich Forresters Whirlwind, als digitale Basis des radargesteuerten Raketenfrühwarnnetzes SAGE ebenfalls am MIT entwickelt, im Monat mehr Geld verplanen durfte als Bush einem ganzen Jahr zur Verfügung stand. 

Bush konnte seine Ideen eines persönlichen Archivierungssystems nicht umsetzen. Seine Vorstellungen von persönlicher Software und persönlichen Geräten fanden aber andere Wege zu ihrer Realisierung, ironiserweise auch über die militärische Forschungsförderung. Joseph C. R. Licklider war sowohl Psychologe wie Mathematiker und Physiker, mit einem Arbeitsplatz am MIT. Dort lernte er nicht nur Digitalcomputer aus erster Hand kennen, er erkannte auch die Möglichkeit, oder soll man sagen: die Notwendigkeit, diese Maschinen als persönliche Arbeitshilfen weiter zu entwickeln. Die "Man-Computer Symbiosis" wurde zu seiner Leitidee. Die Chance, diese Erkenntnis umzusetzen, bot sich ihm durch den Wechsel zur Advanced Research Projects Agency (ARPA), wo er 1962 zum Direktor des Information Processing Techniques Office ernannt wurde. Unter seiner Leitung wurden grafik- und interaktionsfähige Maschinen entwickelt, aus denen mit Hilfe des 1971 erfundenen Mikroprozessors diejenigen Kleinstrechner wurden, die man heute als PCs bezeichnet.  

(...) 

Um die wilden Ideen einer Multimedia-Maschine umsetzen zu können, wurde Smaltalk als Sprache der Wahl bei Xerox PARC entwickelt, andere, wie Apples HyperTalk, führten diesen Einstieg fort, bis das WWW und in seinem Gefolge Java das Internet als zwingende Erweiterung des Tischmediums PC charakterisierte. Vernetzung, Interaktion, multimediale Datenspeicherung und -verarbeitung kennzeichnen den Stand des Mediums Computer heute - ein Medium, das alle anderen simulieren kann, sie aber auch auflöst. Ein weltweit verbreitetes Medium, das doch das Ende der Massenmedien andeutet - natürlich nicht im Rückgriff auf die individuelle Handarbeit, sondern in Form eines mass-customized medium, eines Mediums, daß für jeden Nutzer und jede Nutzerin in gefälliger Weise zurechtgestutzt werden kann. The medium for the rest of us! Sie wollen Infos über Perserkatzen: Bitte hier ist www.perserkatzen.de; sie wollen mehr Nachrichten über Leguane: Bitte hier ist alt.pets.reptiles.lizards.iguana (leider nur in Englisch) - und Sie können Fragen stellen oder Kommentare schicken. Sie wollen keine Sex- oder Gewaltdarstellungen aus dem  Internet: Bitte Microsofts Internet Explorer enthält ein passendes Filterprogramm. Sie wollen nur Sexbilder: Drehen Sie doch einfach den Filter um ;-) 

Es ist Michael Friedewalds Verdienst, diese Entwicklung in ihrer Kontinuität, aber vorallem in ihren Brüchen klar und deutlich zu zeigen. Sein Text beweist, daß die Geschichte des PCs bereits zu einem Stück Geschichte geworden ist. Er legt die relevanten Fakten offen - jenseits aller spekulationen über den Charakter einer kommenden "Informationsgesellschaft". 

Prof. Wolfgang Coy 
Humbodlt-Universität zu Berlin 
Institut für Informatik, Informatik in Bildung und Gesellschaft. 
 

 
 
 

2.3 Meilensteine der Entwicklung der digitalen (Fach-)Information in Deutschland

 
1948 Neugründung der DGD, Deutschen Gesellschaft für Dokumentation (1941) 
1950 Gründung der nfd, Nachrichten für Dokumentation
1957 Gründung der Zentralstelle für Atomkernenergie-Dokumenation (ZAED) (ab 1977 Teil des FIZ Energie, Physik, Mathematik) 
1961 Gründung des Vereins Deutscher Dokumentare (VDD) 
1961 Gründung des Instituts für Dokumentationswesen (IDW), Frankfurt a.M. in der Max-Planck-Gesellschaft 
1963 Gründung des Zentralinstituts für Information und Dokumentation (ZIID) (Berlin/Ost) 
1964 Gründung der Zentralstelle für maschinelle Dokumentation (ZMD), Frankfurt a.M. 
1966 Einführung des Faches Dokumentationswissenschaft an der FU Berlin
1967 Gründung des Lehrinstituts für Dokumentation (LID), Frankfurt a.M.
1968  Gründung der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD). 
1974 Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation (IuD-Programm 1974-1977). Geplant sind sechszehn Fachinformationszentren (FIZ) und vier Informationseinrichtungen mit besonderer Zweckbestimmung: Umwelt, Patente, Technische Regelwerke, Forschungsinformation.
1977 Gründung des FIZ Energie, Physik, Mathematik (FIZ 4) (heute: FIZ Karlsruhe), Gründung der Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID) (1987 teilweise in die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) integriert) 
1978 Gründung der Online-Benutzergruppe in der DGD 
1980 Erstes deutsches Online-Informationstreffen in Köln 
1980 Lehrstuhl für Informationswissenschaft an der Universität Konstanz   
1982 BMFT (Bundesministerium für Forschung und Technologie) Leistungsplan Fachinformation (1982-1984)
1982 Gründung des FIZ Chemie
1982 INKA-Host (Informationssystem Karlsruhe) als Service-Rechenzentrum für FIZ 5 (Hüttenkunde), FIZ 6 (Geowissenschaften), FIZ 8 (Bauwesen), FIZ 16 (Technik) und FIZ 3 (Chemie). Das DIMDI (Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information, Köln) wird als Host von der Zentralstelle für Agrardokumentation (ZADI) benutzt: Datenbanksystem GRIPS (General Relation Based Information Processing System) und Retrievalsprache DIRS (DIMDI Information Retrieval System).
1983 STN International: Online-Verbund zwischen FIZ Karlsruhe, Chemical Abstracts Service (CAS) und dem Japan Information Center for Science and Technology (JICST). Retrievalsprache Messenger. 
1983 Deutsche Bundespost führt Bildschirmtext (BTX) ein
1985 Fachinformationsprogramm 1985-1988 der Bundesregierung. Aufbau von großen Faktendatenbanken: Beilstein (organische Chemie), Gmelin (inorganische Chemie) 
1990 Fachinformationsprogramm 1990-1994 der Bundesregierung 
1996 Programm der Bundesregierung 1996-2000: Information als Rohstoff für Innovation
1997 Die Fachinformationsanbieter bieten Zugang über das WWW an
 
1999 Gründung des International Center for Information Ethics (ICIE)
2000 Aktionsprogramm der Bundesregierung:Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts 
Lizenzen für das Mobilfunk-System der dritten Generation UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) in Wert von 100 Mrd. DM
 
2002 SteFi: Studieren mit Fachinformationen bmb+f Projekt "Nutzung elektronischer wissenschaftlicher Informationen in der Hochschulausbildung"  
Arthur D. Little-Studie im Auftrag des bmb+f: Zukunft der wissenschaftlichen und technischen Information: Strategiekonzept  
BMBF-Positionspapier: Information vernetzen - Wissen aktivieren (pdf) (2002)
2003 Deutsche Beiträge zum World Summit on the Information Society (WSIS): gipfelthemen.de 
Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgesellschaft (pdf)
 
2004 Informationsgesellschaft Deutschland 2004-2006
2005 Informationstechnologie in Unternehmen und Haushalten 2005
 
 

2.4 Zur Vertiefung 

Rainer Kuhlen, Thomas Seeger, Dietmar Strauch (Hrsg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, München 2004.

Wolfgang  Stock: Entwicklung, Struktur und Typologie des Dokumentationswesens: Powerpoint-Präsentation: Informationspolitik. Teil 1: Das Informationsbankensystem (1971); Stellungnahme des Deutschen Bibliotheksverbands zum IuD-Programm (1977); Fachinformationsprogramm 1985-1988; Bibliotheken '93 - Aussagen zu elektronischen Informationen. Teil 2: Weißbuch: Wachstum - Wettbewerbsfähigkeit - Beschäftigung (1993); Grünbücher über die Liberalisierung der Telekommunikationsinfrastruktur und der Kabelfernsehnetze.Europäische Kommission, 1994/1995; Neuorientierung der deutschen Informationspolitik: 1995/1996; Die Informationsgesellschaft: Neue Berufe, mehr Beschäftigung?
Der deutsche und internationale Markt für elektronische Informationsdienste; Inhaltliche Universaldienste.
 

2.5 Für Fortgeschrittene

1. C. Burke: History of Information Science. In: Williams, Martha E. (ed.): Annual Review of Information Science and Technology (ARIST), published on behalf of the ASIS (American Society for Information Science), Information Today Inc., Medford, N.J., Vol. 34, 1999. 
2. History of Information Science. In: Information Processing & Management, vol. 32 (1996) No. 1. 
3. History of Documentation and Information Science. Guest Editors: Michael Buckland and Trudi Bellardo Hahn. In: Journal of the ASIS, Part I (Vol. 48, No. 4, 1997), Part II (Vol. 48, No. 9, 1997) 
4. Historical Studies in Information Science  
Edited by Trudi Bellardo Hahn and Michael Buckland. ASIS 1998 
The field of information science has a broad history spanning nearly a century. Historical Studies in Information Science focuses on the progression of this dynamic and evolving industry by looking at some of its pioneers. This informative volume concentrates on the following areas: Historiography of Information Science; Paul Otlet and His Successors; Techniques, Tools and Systems; People and Organizations; Theoretical Topics; and Literature.  
5. Proceedings of the Conference on the History and Heritage of Science Information Systems Edited by Mary Ellen Bowden, Trudi Bellardo Hahn, and Robert V. Williams. ASIS 1999 The conference on the History and Heritage of Science Information Systems was held on October 23-25, 1998 in Pittsburgh, PA, prior to the ASIS annual meeting. The conference papers explored the history and heritage of the nature, development, and influence of all types of science information systems worldwide. It was co-sponsored by ASIS, the ASIS SIG History and Foundations of Information Science (SIG/HFIS), and the Chemical Heritage Foundation. This was the first conference to explore this topic and should be of great interest to both historians and current practitioners. 
6. B. Hjørland: Documents, Memory Institutions and Information Science. In: Journal of Documentation, vol. 56, no. 1, January 2000, 27-41  
7.  B. Hjørland: Library and information science: practice, theory, and philosophical basis. In: Information Processing and Management 36 (2000) 501-531. 
8. Ch.P. Bourne: On-line Systems: History, Technology, and Economics. In: Journal of the ASIS (1980), 155-160. 
9. M.J. Norton: Introductory Concepts in Information Science. ASIS 2000 
10. UNESCO: World Information and Communication Report 1999-2000 
11. H.H. Hiebel: Kleine Medienchronik. Von den ersten Schriftzeichen zum Mikrochip. München 1997. 

ÜBRUNGEN

1. Schildern Sie die historische Entstehung der Fachinformationspolitik in Deutschland.
2. Welche sind die Meilensteine der internationalen Entwicklung der Informationstechnik?
3. Welche Ziele hatte das IuD-Programm (1970-1974)? Vergleichen Sie dieses Programm mit dem Aktionsprogramm 2006.


 
 
Gesamtübersicht
 
 

Kapitel 1: Lehre und Forschung 
Kapitel 3: Grundbegriffe 
Kapitel 4: Der elektronische Informationsmarkt 
Kapitel 5: Wissenserschließung und -darstellung 
Kapitel 6: Information Retrieval 
Kapitel 7: Wissensschaffung 
Kapitel 8: Soziale, rechtliche, politische und ethische Aspekte 
Literatur 
 

 
   

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