2.
Das wissensschaffende Unternehmen
Die
japanischen
Wirtschaftswissenschaftler Ikujiro Nonaka und Hirotaka Takeuchi
veröffentlichten
1995 ein Buch mit dem Titel The Knowledge-Creating Company
(dt.: Die Organisation des Wissens. Wie japanische Unternehmen
eine brachliegende
Ressource nutzbar machen, Nonaka und Takeuchi 1997). Die Grundidee
dieses Ansatzes hatten die Autoren 1986 in der Harvard Business
Review
veröffentlicht. Der Erfolg japanischer Unternehmen läßt
sich mit der Rubgy-Metapher erläutern: Alle Spieler bringen mit
ihren
jeweiligen persönlichen und gemeinsamen Interessen den ‘Ball’,
also
die Ziele des Unternehmens, durch ihre Interaktion an seine Bestimmung.
Diese Metapher steht der Metapher des Staffellaufs entgegen, bei dem
der
Ball in festgelegter und linearer Weise von einem Team zum
nächsten
weitergegeben wird.
Dabei
greifen die Autoren auch ein altes und klassisches Thema auf,
nämlich
die Frage, wie neues Wissen entsteht und wie es mitgeteilt wird. Nonaka
und Takeuchi stellen der westlichen dualistisch geprägten
Tradition
das auf Harmonie, Ganzheit und Konkretheit gerichtete japanische
Denken entgegen. Dennoch spielt für die Autoren der vom
Wissenschaftstheoretiker
Michael Polanyi entwickelte Begriff des impliziten Wissens (tacit
knowing) eine entscheidende Rolle bei der Schaffung neuen
Wissens.
In
seinem Buch The Tacit Dimension (dt. Implizites Wissen
Polanyi
1985) hatte Polanyi die Bedeutung von körperlichen Reaktionen als
eine Form von verinnerlichten Handlungen oder eben von implizitem
Wissen analysiert, das zum Beispiel auch in Form von moralischen
Annahmen
oder auch von wissenschaftlichen Theorien unsere Praxis leiten.
Für
Polanyi - der sich auf die Philosophen Wilhelm Dilthey (1833-1911) und
Hans Lipps (1889-1941) beruft - ist das implizite Wissen die Grundlage
des objektivierten Wissens. Polanyi meint,
"daß
jeder unserer Gedanken Komponenten umfaßt, die wir nur mittelbar,
nebenbei, unterhalb unseres eigentlichen Denkinhalts registrieren – und
daß alles Denken aus dieser Unterlage, die gleichsam ein Teil
unseres
Körpers ist, hervorgeht." (Polanyi 1985, S. 10)
Er vergleicht
den Vorgang des Explizitmachens von implizitem Wissen mit dem
biologischen
Phänomen der Emergenz. Wissensvermittlung beruht, so Polanyi, auf
einer immer vorwiegend implizit bleibenden Tradition, die keine
Aufklärung
restlos explizit machen kann. Das ist kein Plädoyer für
Traditionalismus
oder gar Obskurantismus, die Einsicht, daß die Wissenschaft aus
dem
Bewußtsein der Begrenztheit ihrer Sichtweisen ihre Stärke
zur
neuen Entdeckungen zieht.
Das
ist genau, was die sinnliche Wahrnehmung uns lehrt, indem wir bestimmte
Aspekte des Wahrgenommenen mit dem Bewußtsein von weiteren uns
verborgenen
Sichtweisen verbinden. Es kommt also bei der Entdeckung neuen Wissens
darauf
an, das explizite Wissen als möglicher Ausdruck einer nicht
völlig
erkannten impliziten Dimension zu erkennen. Wenn aus Fakten
Möglichkeiten
werden, führen sie u.U. zu ganz überraschenden
Einsichten.
John
Gundry nennt das implizite Wissen know-why im Gegensatz zum
expliziten know-what und zur gegenseitigen Interaktion oder know-how.
Takeuchi
und Nonaka greifen den Begriff des impliziten Wissens auf und verstehen
ihn so, daß dieses Wissen sowohl körperliche als auch
geistige
Dimensionen aufweist. Implizites Wissen ist das Ergebnis sowohl von learning
by doing als auch die Verinnerlichung von Werten und Idealen in den
konkreten Individuen. Ein Unternehmen besteht aber aus der Interaktion
von allen beteiligten Individuen. Aus dieser zweiten Prämisse
folgt
dann, daß Kreativität und neues Wissen im Unternehmen nur
unter
Einbeziehung des impliziten Wissens der Mitarbeiter stattfindet. Die
Verwandlung
von implizitem in explizites Wissen ist für die Autoren der
Schlüssel
der Frage nach dem Erfolg japanischer Unternehmen.
Das
Musterbeispiel dazu liefern sie mit Hilfe von Hondas Tall Boy.
Aus dem Motto der Geschäftsführung Let’s Gamble (Wer
wagt,
gewinnt), folgte die Idee bzw. die Metapher von der Automobilevolution
und diese mündete in das Bild einer Kugel (kurzes, hohes Auto),
welches
die Detroit-Logik nach Vorrang von Aussehen gegenüber Komfort, in
Frage stellte. Sie schreiben:
"1978
initiierte die Unternehmensführung unter dem Motto "Let’s Gamble"
("Wer wagt, gewinnt") die Entwicklung eines neuen Autokonzepts. Mit
diesem
Slogan bekundete das Topmanagement seine Auffassung, daß die
Modelle
Civic und Accord viel von ihrem Glanz verloren hatten. Zudem erkannten
die Führungskräfte, daß mit der Nachkriegsgeneration
von
jungen Autokäufern auch eine neue Generation von Produktdesignern
mit unkonventionellen Ideen heranwuchs. (...) Aus dem Motto "Let’s
Gamble"
folgte die Entscheidung, ein neues Entwicklungsteam zu bilden, das aus
jungen Ingenieuren und Designern mit einem Durchschnittsalter von 27
Jahren
bestand." (Nonaka und Takeuchi 1997, S. 22)
An diesem
Beispiel zeigen die Autoren die Anknüpfung an implizites Wissen
mittels
Metaphern und Analogien, durch Mittel also, die der Wahrnehmung und der
Intuition nahestehen. Diesen Mitteln stellen die Autoren auch weitere
hinzu,
wie zum Beispiel, das Sich-gegenseitig-Mitteilen von individuellem
Wissen
und die Schaffung von Zweideutigkeit und Redundanz. Auf die Struktur
eines
Unternehmens bezogen, bedeutet dies, daß das mittlere Management
eine entscheidende Vermittlungsfunktion zwischen den Visionen des
Topmanagement
und dem impliziten Wissen der Mitarbeiter spielt.
Der
Schlüssel für die Schaffung neuen Wissens liegt also für
die Autoren in der Umwandlung von implizitem in explizites Wissen.
Diese
Umwandlung nennen sie Externalisierung. Gegenüber der Vorstellung,
daß Wissen nur durch die Einführung von externen
Informationen
und deren Verarbeitung entsteht, betonen sie, daß eine
Information
im Sinne von ‘einer Nachricht von einem Unterschied’ (G. Bateson) nur
in
Verbindung mit konkreten Vorstellungen und Handlungen in einem
dynamischen
Kontext einen Sinn hat. Sie schreiben:
"Information
ist ein notwendiges Medium oder Material für die Bildung von
Wissen".
Information wird zum Wissen, wenn sie "kontext- und
beziehungspezifisch"
wird (Nonaka und Takeuchi 1997, S. 70)
Folgende
Tabelle zeigt die Eigenschaften der zwei Wissenstypen (Nonaka und
Takeuchi
1997, S. 73):
Implizites
Wissen (subjektiv) |
Explizites
Wissen (objektiv) |
Erfahrungswissen
(Körper) |
Verstandeswissen
(Geist) |
Gleichzeitiges
Wissen
(hier
und jetzt) |
Sequentielles
Wissen
(da
und damals) |
Analoges
Wissen (Praxis) |
Digitales
Wissen (Theorie) |
Die
Umwandlung vom impliziten zum expliziten Wissen oder, mit anderen
Worten,
das Explizitmachen eines impliziten Inhaltes ist, so die Autoren, eine
wesentliche Voraussetzung für die Schaffung neuen Wissens. Diese
Einsicht
zeigt die entscheidende Rolle des Informationsmanagements bei der
Schaffung
neuen Wissens. Sie unterscheiden vier Formen der Umwandlung,
nämlich:
- Vom
impliziten
zum impliziten Wissen – die Sozialisation
- Vom
impliziten
zum expliziten Wissen – die Externalisierung
- Vom
expliziten
zum expliziten Wissen – die Kombination
- Vom
expliziten
zum impliziten Wissen – die Internalisierung.
Drei
dieser
Formen, nämlich Sozialisation, Kombination und Internalisierung,
sind
bisher in gängigen Organisationstheorien zu finden. Die
Externalisierung
ist eine Kerntätigkeit des Informationsmanagements. Dieses
beschränkt
sich nicht, wie die Autoren kritisch bemerken, auf die Frage der
Informationsverarbeitung,
sondern betrifft die Fähigkeit einer Organisation, selbst
Informationen
und Wissen zu erzeugen (Nonaka und Takeuchi 1997, S. 52). Das
Neue
bei diesem Ansatz ist die Einbettung des Informations- und
Wissensmanagements
im Kontext unternehmerischer Kreativität. Dabei heben Nonaka und
Takeuchi
nicht nur die bisher unbeachtete Dimension des impliziten Wissens
hervor,
sondern sie stellen sie in einen dynamischen Zusammenhang mit anderen
Formen
des Informations- und Wissensmanagements, das sie als ein
spiralförmiges
Zusammenwirken auffassen. Bei der Externalisierung spielen Analogien
und
Metaphern eine wichtige Rolle.
Die
entscheidende Umwandlung ist die Externalisierung. Sie ist eingebettet
in einem Fünf-Phasen-Modell der Wissensschaffung im Unternehmen,
nämlich:
- Wissen
austauschen
- Konzepte
schaffen
- Konzepte
erklären
- einen
Archetyp bilden
- Wissen
übertragen.
Ein
Beispiel
aus der Praxis der Firma Matsushita in Osaka zeigt in prägnanter
Weise
das Zusammenwirken von implizitem und explizitem Wissen:
"Ein
zentrales Problem in der Entwicklung eines Brotautomaten in den
späten
achtziger Jahren war die Mechanisierung des Teigknetens. Der
Knetprozeß
gehört zum impliziten Wissensvorrat von Bäckermeistern, und
so
verglich man anhand von Röntgenaufnahmen den gekneteten Teig eines
Bäckers mit dem eines Automaten, ohne zu irgendwelchen
Erkenntnissen
zu gelangen. Ikuko Tanaka, die Leiterin der Abteilung
Softwareentwicklung,
wußte, daß es das beste Brot der Gegend im Osaka
International
Hotel gab. Um sich das implizite Wissen über den Knetvorgang
anzueignen,
gingen sie und mehrere Ingenieure beim Chefbäcker des Hotels in
die
Lehre. Es war nicht leicht, sein Geheimnis zu ergründen. Eines
Tages
bemerkte sie jedoch, daß der Bäcker den Teig nicht nur
dehnte,
sondern auch drehte. Durch Beobachtung, Nachahmung und Praxis hatte
Ikuko
Tanaka des Rätsels Lösung gefunden." (Nonaka und Takeuchi
1997,
S. 76)
Aus einer
der Biographie des 1989 verstorbenen Unternehmers Matsushita mit dem
Titel
"Matsushita – der erfolgreichste Unternehmer des 20. Jahrhunderts" von
John P. Kotter, Professor an der Harvard Business School (Kotter 1997)
kann man entnehmen, daß die sich in der Krise befindliche
japanische
Wirtschaft wahrscheinlich stärker als zuvor wiederkommt, wenn sie
die Lehren Matsushitas beherzigt (Lamparter 1998).
Das
Ziel der Informations- und Wissensschaffung in Unternehmen führt
zu
neuen Organisationsstrukturen im Sinne einer Synthese von
hierarchischen
und nicht-hierarchischen oder selbstorganisierenden
Hypertextstrukturen.
Letzteres zeigen Nonaka und Takeuchi am Beispiel von Kao, dem
führenden
japanischen Hersteller für Haushalts- und Chemieprodukte.
Zur
Verwirklichung des Leitgedankens eines freien Informationsaustausches
schaffte
das Unternehmen verschiedene Mechanismen wie zum Beispiel "freien
Zugang
zu Informationen", "offene Raumaufteilung", "offene Besprechungen" und
"fließender Personalwechsel":
"Diese
Instrumente bilden die Grundlage für den Austausch von implizitem
Wissen und seine Umwandlung in explizites Wissen. Um den "freien Zugang
zu Informationen" zu sichern, werden alle Informationen in einer
Datenbank
gespeichert, die überall im Unternehmen auf dafür
eingerichteten
Computersystemen abrufbar sind. (...) Alle Besprechungen bei Kao, auch
Konferenzen der Unternehmensführung, sind für jeden
Mitarbeiter
offen" (Nonaka und Takeuchi 1997, S. 195-196).
Die Analyse
von verschiedenen Managementmodellen (hierarchisches Modell,
partizipatives
Modell, Middle-up-down-Modell) führt zur Herausarbeitung der Rolle
des Mittelmanagements (drittes Modell) sowie zur Unterscheidung
zwischen:
- Wissenspraktiker
(Mitarbeiter und Linienmanager)
- Wissensingenieure
(Mittelmanager)
- Wissensverwalter
(Führungskräfte).
Gemäß
der Devise, daß ein Unternehmer nicht bloß explizite
Informationen
verarbeitet, sondern ein Erzeuger von neuem Wissen ist und somit
kreativ
gegenüber der Umwelt vorgeht, entwickeln Nonaka und Takeuchi das
Middle-top-down-Modell
des Wissensmanagements im Unternehmen, wo das mittlere Management oder
Wissensingenieure als Vermittler zwischen den Wissenspraktikern
(Mitarbeiter
und Linienmanager) und den Wissensverwaltern (Führungskräfte)
eine Schlüsselrolle spielen. Den Wissenspraktikern ist vor allem
der
Kontakt mit der Umwelt (Kunden) eigen. Zu diesen zählen die
Autoren
die Wissenswerker und die
Wissensspezialisten.
Jene sammeln und erzeugen implizites Wissen in Form von Fertigkeiten,
die
auf Erfahrungen beruhen. Dazu gehören zum Beispiel Angestellte in
der Verkaufsabteilung oder Facharbeiter in der Montage. Ihre
Stärke
liegt darin, daß sie "mit Kopf und Händen" arbeiten. Die
Wissensspezialisten
wiederum sammeln, erzeugen und erneuern Wissen. Sie mobilisieren
strukturiertes
explizites Wissen in Form von technischen, wissenschaftlichen und
anderen
quantifizierbaren Daten. Ich zähle die von uns ausgebildeten
Informationsmanager
zu dieser Gruppe. Sie sollen nicht nur Wissen als Ressource
mobilisieren,
sondern auch an der Schaffung von Wissen mitwirken. Sie kommen dabei
mit
implizitem Wissen d.h. mit den Wissenswerkern in Berührung und
müssen
vor allem mit explizitem Wissen umgehen.
Läßt
sich das japanische Modell in einer globalisierten und auf
Multikulturalität
ausgerichteten Weltwirtschaft mit international agierenden Unternehmen
anwenden? Wie funktioniert multikulturelle Informations- und
Wissensschaffung?
Diesen vielschichtigen Fragen gehen Nonaka und Takeuchi nach, indem sie
anhand von Primera von Nissan und REGA von Shin Caterpillar Mitsubishi
zeigen, wie sich japanische Unternehmen nicht-japanisches implizites
Wissen
aneignen. Die folgende kurze Geschichte in Zusammenhang mit dem
Primera-Projekt
gibt einen Einblick in die Problematik:
"Die
europäische Technologie-Verbindungsstelle von Nissan in
Brüssel
fungierte als Außenposten für das Primera-Projekt. Sie
organisierte
für die Leute aus Japan Fahrten in europäischen Autos, damit
sie hautnah erleben konnten, welche Eigenschaften ein für den
europäischen
Markt bestimmtes Modell besitzen mußte. Die Besucher aus Japan
erkannten
sehr schnell den großen Unterschied zwischen dem, was man ihnen
über
Kurven- und Bremsverhalten erzählt hatte, und dem, was sie nun
selbst
erlebten. Für viele war es ein heilsamer Schock, der eine kreative
Fluktuation auslöste. Nicht wenige der überaus
selbstbewußten
Motorspezialisten kehrten reichlich geknickt von ihrem Ausflug nach
Europa
zurück. Der Außenposten diente auch als Informationszentrum
zur Verbindung von Europa und Japan. Auf diesem Wege gelangten zum
Beispiel
die Informationen nach Japan, daß man einen Sitz brauchte, in dem
man auch bei einer 800-km-Fahrt von Brüssel nach Zürich nicht
ermüdet, oder daß der Warnlichtschalter in der Mitte des
Armaturenbretts
angebracht werden mußte, damit er auch vom Beifahrer
betätigt
werden kann." (Nonaka und Takeuchi 1997, S. 231)
Daraus
läßt sich für die Praxis des Wissensmanagements u.a.
lernen,
daß etwas, was für japanische Produktentwickler notwendig
und
möglich war, nämlich das Kennenlernen von kulturellen,
geographischen
usw. Unterschieden am eigenen Leib, auch zwischen den verschiedensten
Wirtschaftspartnern
möglich und ebenfalls produktiv sein müßte. Bei aller
berechtigten
Euphorie um virtuelle Unternehmen, globalen Informationsaustausch durch
Intranets und Extranets, Virtual Reality u.v.a.m. ist dies auch eine
ernüchternde
Auskunft, die den Blick des global agierenden Herstellers zugleich (!)
auf Lokalität, Individualität und Leiblichkeit
richtet.
Höchste
Qualitätsleistung erreicht man gerade im Falle industrieller
Massenanfertigung
durch Veränderung festgefahrener und einverleibter Vorurteile.
Dies
ist aber wiederum nur möglich, wenn die Bereitschaft da ist, den
Standpunkt
des Anderen am eigenen Leibe zu erfahren und den wahrgenommenen
Unterschied
explizit zu machen. Das Programm zur Informations- und Wissensschaffung
in einem Unternehmen läßt sich als ein Sieben-Schritte
Prozeß
beschreiben:
- Eine
Wissensvision
schaffen
- Eine
Wissensgemeinschaft
bilden
- Ein
energiegeladenes
Interaktionsfeld erzeugen
- Auf
dem
neuen Entwicklungsprozeß aufbauen
- Das
Middle-up-down-Management
einführen
- Auf
eine
Hypertextorganisation umstellen
- Ein
Wissensnetz
mit der Außenwelt einrichten.
Die
Bedeutung
der Informations- und Wissensschaffung gegenüber ihrer
bloßen
Verarbeitung im Unternehmen wird von den Autoren folgendermaßen
unterstrichen:
"Unternehmen
stellen sich auf ein unsicheres Umfeld nicht nur durch passive
Anpassung
ein, sondern auch durch aktives Zusammenwirken. Unternehmen können
sich verwandeln. Dennoch werden sie häufig als passiv und statisch
betrachtet. Ein Unternehmen, das rasche Veränderungen im Umfeld
dynamisch
bewältigen will, darf Informationen und Wissen nicht nur effizient
verarbeiten, es muß sie selbst hervorbringen. Es muß sich
durch
die Auflösung des existierenden Wissenssystems und durch die
Entwicklung
innovativer Denk- und Handlungsmodelle selbst erneuern." (Nonaka und
Takeuchi
1997, S. 64)
Das
Hervorbringen
von Wissen beruht auf dem Zusammenwirken von kontextbezogenen auf
subjektiver
Relevanz basierenden Auswahlprozessen, die in Form von
Wertpräferenzen
und Wunschvorstellungen meistens und größtenteils implizit
bleiben.
Diese Ressource zu mobilisieren und zwar sowohl bei jedem Mitarbeiter
des
Unternehmens als auch in seinem ganzen Umfeld bildet das Ziel dieses
Ansatzes.
Im Jahr des Erscheinens der deutschen Übersetzung des Buches von
Nonaka
und Takeuchi gab die Unternehmensberatung Dr. Wieselhuber & Partner
das Handbuch Lernende Organisation. Unternehmens- und
Mitarbeiterpotentiale
erfolgreich erschließen heraus (Wieselhuber 1997), in dem
namhafte
deutsche Firmen – darunter Mercedes Benz AG, DG-Bank, Bayerische
Hypotheken-
und Wechsel-Bank AG, München, AEG, Lufthansa-Consulting GmbH,
Festo
AG Esslingen, Mannheimer Versicherung AG - auf die Bedeutung von
Lernprozessen
als Instrument des Unternehmungswandels hinwiesen.
Aus
theoretischer Sicht nahmen Georg Schreyögg und Christian Noss
(Institut
für Management, Freie Universität Berlin) (Schreyögg und
Noss 1997) zum Ansatz von Nonaka und Takeuchi folgendermaßen
kritisch
Stellung. Schreyögg und Noss fassen Unternehmen als Wissenssysteme
auf. Neues Wissen entsteht im Zuge von Lernprozessen auf der Grundlage
vom eigenen Wissen einer Organisation. Diese Einsicht steht der
traditionellen
mechanistischen Auffassung gegenüber, wonach Lernprozesse
lediglich
reaktiv als Resultat von Anstößen (Stimuli) stattfinden.
Organisationen
beruhen auf einer spezifischen "Wissensbasis" – bestehend aus Routinen,
Patenten, technischen Aufzeichnungen aller Art usw. –, die dann durch
Lernprozesse
verändert wird. Die klassische Einteilung organisatorischer
Wissenselemente
unterscheidet zwischen Regel- und Faktenwissen. Zum ersten
zählen
kausal erklärte Zusammenhänge aller Art. Wissen ist demnach
dann
wirksam, wenn auf der Grundlage von Regeln der faktische Erfolg
tatsächlich
eintritt.
Diese
Verknüpfung von Regelwissen und faktischem Erfolg greift aber, so
die Autoren, zu kurz, da sie andere Wissensarten nicht
berücksichtigt,
darunter "die heute so viel diskutierte Differenz von explizitem bzw.
artikuliertem
und implizitem "unterschwellig" vorhandenem Wissen" (Schreyögg und
Noss 1997, S. 70) Gegenüber dem von Gregory Bateson als "digitales
Wissen" bezeichneten expliziten Wissen weisen Schreyögg und Noss
auf
die von Nonaka und Takeuchi vorgestellten Formen der Wissenskonversion
hin. Sie unterscheiden zwischen drei Lerntypen, nämlich:
Lernen
I: Veränderung des impliziten oder expliziten Wissens, "die jedoch
im Rahmen bestehender Grundüberzeugungen und Basisprämissen
der
Organisation entwickelt wird"
Lernen
II: "Vorherrschende Basisannahmen und Grundsätze werden in Frage
gestellt
und durch neues Orientierungswissen (...) ersetzt"
Lernen
III: das "das Wissen um die Lernprozesse selbst zum Inhalt hat."
(Schreyögg
und Noss 1997, S. 73)
Die
von Nonaka und Takeuchi ausgearbeiteten vier Modi der internen
Wissensgenerierung
in Organisationen werden in bezug auf diese drei Lernformen gesetzt.
Das
Explizitmachen vom impliziten Wissen findet im Falle von Lernen II und
III so statt, daß keine Zurücknahme in die Sozialisierung
oder
Internalisierung führt. Dies gilt ausschließlich für
Lernen
I. Die permanente Lernfähigkeit des Unternehmens wird durch
Externalisierung
und Kombination stets wachgehalten. Damit stellen Schreyögg und
Noss
das Spiralmodell teilweise in Frage. Sie kritisieren dabei
ausdrücklich,
daß die Generierung von Wissen im Spiralmodell beim Individuum
beginnt
und sich dann in der Gruppe sowie in der Organisation weiterentwickelt.
Sie sehen als problematisch an, daß der
Wissenserzeugungsprozeß
beim Individuum beginnen soll. Demgegenüber betonen sie, daß
der Ausgangspunkt die organisatorische Wissensbasis ist. Dieser Kritik
wäre zu entgegnen, daß das Spiralmodell zwar einen solchen
Ausgangspunkt
suggeriert, während in Wahrheit alle vier Modi
gleichursprünglich
sind, so daß das implizite Wissen des Individuums immer schon
seinen
Ausgang in einem sozialisierten Internalisierungsprozeß nimmt,
der
wiederum teilweise auf externalisiertem und kombiniertem Wissen
basiert.
Eine
zweite Kritik richtet sich gegen die These, daß die
Restrukturierung
der Wissensbasis durch selbstgeneriertes neues Wissen den Durchgang
durch
alle vier Modi voraussetzt, während dies in Wahrheit nur für
Lernen I zutrifft. Außerdem ist es nicht sinnvoll oder, wie ich
hinzufügen
möchte, notwendig – und letztlich auch in vielen Fällen nicht
möglich -, immer implizites in explizites Wissen oder umgekehrt zu
überführen. Es ist nur die Frage, ob dies von Nonaka und
Takeuchi
behauptet wird.
So
ziehen die Autoren die Schlußfolgerung, die vier Typen der
Wissenskonversion
je nach Lernform unterschiedlich zu behandeln und andere Formen der
Wissensgenerierung
je nach Bedarf stärker zu berücksichtigen. Dazu zählen
zum
Beispiel der Systemvergleich im Sinne des Benchmarking, das
Experimentieren
oder das neugierige Suchen. Diese und andere Lernformen scheinen mir
aber
wiederum in das Modell von Nonaka und Takeuchi integrierbar (Capurro
1999).
Der
Ansatz von Nonaka und Takeuchi wird auch in verschiedenen
Beiträgen
des von Hans Dietmar Bürgel (Lehrstuhl für Forschungs- und
Entwicklungsmanagement,
Universität Stuttgart) herausgegebene Buch Wissensmanagement:
Schritte
zum intelligenten Unternehmen (Bürgel 1998) gewürdigt. Der
Herausgeber
betont im Vorwort seinen persönlichen Anstoß für die
Auseinandersetzung
mit der Frage des Wissensmanagements in Unternehmen, nämlich die
Aussage,
daß Wissen in Unternehmen zwar vorhanden, aber nur bis maximal
40%
genutzt wird:
"Das
muß einen Betriebswirt natürlich stutzig machen und auf
Abhilfe
sinnen lassen, hieße es doch geradezu, daß der
überwiegende
Teil des in den Unternehmen und in den Köpfen der Mitarbeiter
vorhandenen
Wissens nicht genutzt würde – eine enorme Ressourcenverschwendung
und Wertschöpfungsbarriere." (Bürgel 1998, S. V)
Das
Schlüsselwort
um dieses Defizit zu beheben ist für Bürgel tacit
knowledge,
"verborgenes
Wissen, das durch geeignete Organisation genutzt wird, indem diese die
Mitarbeiter vor allem in den mittleren Hierarchien anspricht, sie zu
Kreativität
aufruft, die ihren Lauf nehmen darf." (ebda.)
Bürgel
und Zeller betonen in ihrem Beitrag Forschung und Entwicklung als
Wissenscenter
(Bürgel und Zeller 1998), daß der "Königsweg" vom
aktuellen
zum künftigen Wissen, bei dem Erfahrungs- in
Rationalitätswissen
übergeht, als Wissensquelle der Wissensnutzung angesehen werden
sollte.
Zu diesem führt "kritisch hinterfragtes Erfahrungswissen in
Neukombination
von Wissenselementen aus explizitem und implizitem Wissen" (Bürgel
und Zeller 1998, S. 58) Implizites Wissen bedarf ganz besonders der
Aufmerksamkeit
des Managements:
"Dies
sind die Kenntnisse und Erfahrungen der Mitarbeiter oder auch in der
Unternehmenskultur
gebundene Wertvorstellungen, die zu besonderen Synergien führen
können."
(ebda.)
Der
F&E-Prozeß
ist ein Wissensprozeß, bei dem die von Nonaka und Takeuchi
beschriebene
Wissensspirale auf individueller und kollektiver Ebene eine conditio
sine qua non (eine notwendige Bedingung) darstellt.
In ihrem
Buch Working Knowledge stellen Thomas Davenport und Laurence
Prusak
(1997) eine Reihe von Analysen aus der Praxis des Wissensmanagements
dar,
die Sinn und Zusammenhang von Information und Wissen in der
unternehmerischen
Praxis in einem anderen Kulturkreis verdeutlichen.
Ihr
erster Fall ist das virtuelle Teamwork-Programm von British Petroleum
(BP),
einem globalen Unternehmen auf der Suche nach lokalen Verbindungen. Im
Jahr 1993 (!) gab die für die Suche und Herstellung von Öl
zuständige
Abteilung BPX (BP Exploration) ihren 42 selbständigen
mittelgroßen
Firmen die Freiheit, ihre Prozesse selbst zu gestalten und nach lokalen
Lösungen zu suchen. Aufgrund des 1994 lancierten Virtual
Teamwork
Program sollten diese Firmen in der Lage sein, von verschiedenen
Lokalitäten
aus miteinander zu kooperieren. Das Projekt entstand nicht mit der
Überschrift
"Wissensmanagement", aber es ging um Wissensteilung und
–mitteilung.
Das
Ziel war nicht die Bildung eines Informations- oder Wissensarchivs,
sondern
die Vernetzung von Experten. Dabei stand nicht die
Kommunikationstechnologie
in Mittelpunkt, sondern die gemeinsame Arbeit. Das für die Technik
verantwortliche Team sprach von coaching und nicht von training,
um die aktive Rolle der Nutzer hervorzuheben. Die folgende Episode
zeigt
Sinn und Erfolg dieses frühen virtual teamworking im
Bereich
des Wissensmanagements.
Als
1995 wegen eines Hardware-Fehlers ein Übungsschiff in der Nordsee
seine Operationen nicht weiterführen konnte, stellten die
Ingenieure
die Hardware vor einer kleinen Videokamera auf, die mit einer der
virtuellen
Gruppenstationen von BP verbunden war. Sie riefen über Satellit
das
Bureau eines Experten in Aberdeen an, der die defekte Hardware am
Bildschirm
analysierte und zugleich mit den Bordingenieuren sprach. Das
führte
rasch zur Behebung der Panne. In der Vergangenheit hätte man zur
Lösung
dieses Falles den Fachmann mit dem Helikopter hinfliegen oder ein
anderes
Schiff (Kostenpunkt: $ 150,000 täglich) hinschicken müssen.
Die
Panne dauerte nur einige Stunden.
Davenport
und Prusak ziehen die Schlußfolgerung, daß der
Wissenstransfer
von Mensch zu Mensch, genauer face-to-face, besonders effizient
ist, daß aber für Routine-Probleme die Speicherung von
Lösungen
ebenfalls sinnvoll ist. Allerdings sind der Kodifizierung von
Lösungen
zum Beispiel in Form von mit explizitem Wissen funktionierenden
Expertensystemen
vor allem bei komplexen oder nicht scharf definierbaren Problemen –
gegenüber
den euphorischen Prognosen der 80er Jahre -, deutliche Grenzen gesetzt
(Davenport und Prusak, 1997, S. 84). Eine weitere Schlußfolgerung
ist die, daß, wenn Wissen zur Lösung von
unternehmerischen
Problemen beiträgt, sich ein entsprechender Wissensmarkt
entwickelt.
Eine für Unternehmen wichtige Art von explizitem Wissen stellen
Patente
dar. Dieses Wissen muß aber wiederum in der jeweiligen
Organisation
zugänglich gemacht und bewertet werden. Als der
Wissensmanagement-Direktor
("director of intellectual asset management") von Dow Chemicals, Gordon
Petrash, die "vergessene" Bedeutung der 29.000 Patente der Firma
erkannte,
begann er mit einem Evaluierungsprojekt, um festzustellen, welche
Patente verkauft und welche noch benutzt werden könnten. Das
Ergebnis
war die Einsparung von $ 1 Million Gebühren für wenig
genutzte
Patente in den ersten achtzehn Monaten sowie die Eröffnung eines
Potentials
für neue Produkte (Davenport und Prusak 1997, S. 85).
Wichtige
Fragen bei der Strukturierung von explizitem Wissen betreffen zum
Beispiel
die Entscheidung, welche Inhalte in relationalen Datenbanken oder in
Webseiten
verfügbar gemacht werden sollten oder die Einsicht, daß
nicht
immer die Schnelligkeit (velocity), sondern öfter die
Zähflüssigkeit
(viscosity) d.h. die Verdichtung beim Wissenstransfer
entscheidend
ist, etwa im Falle eines Lehrlings, der sich über längere
Zeit
aufgrund eines engen zwischenmenschlichen Kontakts Detailwissen
aneignet
(Davenport und Prusak 1997, S. 102-104). Wesentliche Voraussetzung
eines
effektiven Wissensmitteilungsprozesses ist eine gemeinsame Sprache.
Dazu
ist die Entwicklung eines Thesaurus für die Abfrage von
archiviertem
Wissen unerläßlich (Davenport und Prusak 1997, S.
134-135).
Wie
wichtig das passende Medium ist, zeigen Davenport und Prusak am
Beispiel
von Mobil Oil: Als die Ingenieure in Kansas ihre Erfahrungen mit der
Einsparung
von Dampf bei Bohrungen anderen Stellen in Form eines schriftlichen
Memorandums
mitteilten, geschah nichts. Der Information Manager erkannte, daß
ein Stück Papier das verkehrte Medium war. Tage gemeinsamer
intensiver
Diskussionen erwiesen sich demgegenüber als erfolgreich (Davenport
und Prusak 1997, S. 102-104). Viele Firmen in USA und Europa haben
inzwischen
die Stelle eines Chief Knowledge Officer (CKO)
geschaffen.
Seine Aufgaben sind: :
- Auf die
Bedeutung von Wissen und Lernen aufmerksam zu machen
- Design
- Implementierung
und Kontrolle der Wissensinfrastruktur
- Management
von externen Informations- und Wissensquellen
- Eingabe
von kritischem Input in den Prozeß der Wissensschaffung
- Design
und Implementierung eines firmenadäquaten Kodifizierungskonzeptes
- Messen
und Managen des Wertes von Wissen
- Management
von Wissensmanagern im Unternehmen
- Entwicklung
einer Wissensstrategie
Von allen
diesen Aktivitäten, so Davenport und Prusak, sind drei
entscheidend,
nämlich "die Bildung einer Wissenskultur, die Schaffung einer
Infrastruktur
für das Wissensmanagement und daß sich im Endergebnis alles
ökonomisch auszahlt." (Davenport und Prusak 1997, S. 115) Als
erfolgreiches
Beispiel eines Web-basierten Wissensmanagements stellen die Autoren die
Firma Hewlett-Packard dar (Davenport und Prusak 1997, S. 123 ff)