Rückblick
und Ausblick
Der
Wirtschaft stellt die Frage nach dem Nutzen von Information in
den
Mittelpunkt. Information soll so gemanaged werden, daß
sie
den Zwecken eines Unternehmens dient. Grundlegend für die
Informationswirtschaft
ist die auch in der Informationswissenschaft getroffene Unterscheidung
zwischen Daten, Information und Wissen. Diese theoretische
Unterscheidung
hat einen handfesten praktischen Sinn, nämlich die verschiedenen
Abteilungen
eines Unternehmens, wo Daten, Informationen und Wissen "verarbeitet"
werden
miteinander in Verbindung zu setzen. Unternehmensentscheidungen sind
wesentlich
von Wissen über die jeweiligen Sachverhalte abhängig. Aber,
darüber
hinaus, ist das Wissen eines Unternehmens - sowohl das Wissen "in den
einzelnen
Köpfen" der Mitarbeiter als auch das "kollektive Wissen" - ein intellektuelles
Kapital ersten Ranges. Nonaka und Takeuchi machen auf den
Prozeß
der Wissensschaffung im Unternehmen aufmerksam, indem sie dem impliziten
Wissen eine zentrale Rolle in der kreativen unternehmerischen
Wissensspirale beimessen.
Davenport
und Prusak zeigen, wie verschiedene Formen von Informations- und
Wissensmanagement
in Unternehmen stattfinden können. Probst et al. heben sowohl den
Unterschied als auch die Kontinuität zwischen Daten,
Informationen
und Wissen im Sinne eines stetigen Strukturierungs- und
Vernetzungsprozesses
hervor. Sie unterstreichen den abstrakten oder situationsunabhängigeren
Charakter von Information gegenüber Wissen, indem sie Wissen auf
den
individuellen und "kollektiven" Einsatz beziehen.
Die
Informationswissenschaft (information science) entstand Mitte
dieses
Jahrhunderts in Zusammenhang mit der Informationsexplosion vor
allem
in den Naturwissenschaften, die zugleich eine Dokumentenexplosion
war. Sie war eng mit der traditionellen Bibliothekswissenschaft
verbunden.
Sie richtete aber das Augenmerk weniger auf die Informationsträger
und auf ihre Ordnung und Vermittlung, als vielmehr auf die Inhalte
selbst. So wurde die Frage nach dem intellektuellen Zugang zur
Information
zu ihrer Kernfrage. Mit der Erfindung des Computers fand eine
umwälzende
Entwicklung statt. Die bisher in Form von Bibliographien und
Referateorganen
verarbeiteten Informationen d.h. Surrogate von Originaldokumenten, die
mit Hilfe von Klassifikationen, Thesauri und Kurzfassungen (abstracts)
erschlossen wurden, standen nunmehr als Online-Datenbanken zur
Verfügung.
Im Mittelpunkt des theoretischen und praktischen Interesses stand die
Frage
nach dem Suchen und Wiederfinden solcher Informationen (information
retrieval). Die Weiterentwicklung in der Computeranwendung
führte
dann zur heutigen Weltvernetzung sowie zu Hypertextmethoden der
Wissensdarstellung.
Die Frage nach dem intellektuellen Zugang zur Information
verschärfte
sich.
Information
in der Informationswissenschaft hat eine zweifache Ausrichtung. Sie
bezieht
sich, einerseits, dem alltagssprachlichen Informationsbegriff folgend,
auf die Veränderung der Erkenntnis, sie hat aber auch,
andererseits,
mit dem Träger oder dem Medium zu tun. Michael Buckland verweist
auf
diese doppelte Verwendung und betont, daß "Informationsdinge" ("information-as-thing")
eine entscheidende Rolle in der Informationswissenschaft spielen. Er
stellt
aber zugleich fest, daß das für alle Dokumente - und das
sind,
für Buckland, im Prinzip, alle möglichen
physisch-faßbaren
Dinge -, die einen informativen Charakter haben, nicht im Sinne
einer physikalischen Eigenschaft, sondern nur mit Bezug auf menschliche
Erkenntnis - Information als Metaprädikat - ausgesagt werden
kann.
Kurz, Dinge sind potentiell informativ. Ihre
Informativität
hängt von der konkreten Situation sowie von ihrem relativ stabilen
Evidenzcharakter ab.
Diese kognitive Sicht von Information, die
sich von einer aus
der Nachrichtentechnik
und Kybernetik herkommende Tradition abhob, wurde durch Ingwersen, in
Anschluß
an Brookes, Shera, Kochen und Belkin, weiter ausgebaut. Für Peter
Ingwersen steht der Wunsch nach Information und somit die kognitiv
unbefriedigende Lage des Benutzers ("anomalous state of
knowledge")
im Vordergrund. Von hier aus stellen sich die Fragen nach der
möglichen
Darstellung, Organisation und Effektivität von
Informationssystemen.
Für Ingwersen bedeutet Information eine Veränderung in der
Wissensstruktur
des Erzeugers und des Empfängers. Der Gebrauch dieses Begriffs im
Bereich der maschinellen Datenverarbeitung gilt nur als
metaphorisch.
An
diesen Ansatz knüpft der von der Semiotik (Peirce) und Kybernetik
2. Ordnung (v.Förster, Maturana, Varela, Luhmann) herkommende
Søren
Brier an. Brier kritisiert aber die individualistische Tendenz
des
bisherigen Kognitivismus und stellt den Informationsbegriff in den
Rahmen
der triadischen Struktur der Zeichen (Zeichen, Objekt,
Interpret).
Diese cybersemiotische Sicht, die Brier als einen dynamischen
Interpretationsprozeß
auffaßt, führt dann zur Modifizierung der von Buckland
vorgeschlagenen
vier Arten von Information (Information-als-Wissen,
Information-als-Prozeß,
Information-als-Ding und Informationsverarbeitung). Mit
Information-als-Wissen
sind jetzt Interpretationsstrukturen gemeint, die aufgrund
eines
Interpretationsprozesses entstehen. Dokumente
("Informationsdinge")
sind potentielle Information und die mechanische
Informationsverarbeitung
hat lediglich mit Signalverarbeitung zu tun. Brier
erläutert
die Konsequenzen dieser Sicht etwa für die Auffassung des
Indexierungsprozesses
oder für die Probleme der Wissensdarstellung.
Wenn
das Problem der Interpretation, wie die kognitivische Sicht und
die "Cybersemiotics" betonen, zum Mittelpunkt der
Informationswissenschaft
und zur entscheidenden Dimension des Informationsbegriffs gehört,
dann ist es kaum verwunderlich, daß die aus einer alten Tradition
sich berufende Theorie der Interpretation oder Hermeneutik
als Rahmen für die Informationswissenschaft in Erwägung
gezogen
wird. Ausgehend von einer sich aus der Hermeneutik weiterentwickelnden
philosophischen Anthropologie, hob ich einige Grundzüge
menschlichen
Seins hervor, die für eine hermeneutische Auffassung von
Information
unerläßlich sind. Von Information können wir dann
sprechen,
wenn wir mit einer menschlichen Gemeinschaft zu tun haben, die
ausdrücklich
einen Problemhorizont oder ein Fachgebiet teilt, und im
Rahmen
dieses Vorverständnisses Bedeutungsgehalte durch
verschiedene
Medien austauscht. Ein solcher Austausch ist also immer schon durch
einen Verstehensprozeß bedingt und schließt die
Veränderung
der praktischen und/oder theoretischen
Verstehensstrukturen
(Vorverständnisse) ein. Aufgrund des sozialen Charakters
eines
ausdrücklich "mit-geteilten" oder Mit-anderen-Menschen-geteilten
Vorverständnisses
haben die Bedeutungsgehalte eine relativ stabile Bedeutung und
sind,
wie Peter Janich bemerkt, sprecher-, hörer-, und
darstellungsinvariant.
Auf
der Grundlage des umgangsprachlichen Gebrauchs von Information im Sinne
von Mitteilung oder Unterrichtung, fand die von Claude Shannon und
Warren
Weaver eingeführte nachrichtentechnische Deutung von Information
statt,
in welcher die semantischen und pragmatischen Dimensionen ausgeklammert
wurden. Im Gegenzug zu dieser Deutung wurde der Informationsbegriff
sowohl
seitens der Sprachwissenschaft als auch durch die aufkommende
Kybernetik
vielfältig modifiziert und in unterschiedlichen Bereichen
verwendet.
Dieser multidisziplinäre Gebrauch gab Anlaß zu der
Frage,
ob die jeweils gekennzeichneten Sachverhalte - etwa die Zunahme von
Organisation
auf physikalischer oder auf biologischer Ebene, oder die
Selbstorganisation
eines Organismus, oder die Veränderung der Erkenntnisstruktur
eines
Menschen, oder die Veränderung der Selbstreferenz sozialer Systeme
- so unterschiedlich sind, daß der Informationsbegriff
meistens
nur in homonymer, höchstens aber in analogischer
Weise
gebraucht werden kann.
Wir
sahen, daß zum Beispiel für Peter Janich Information
primär
in den Kontext zwischenmenschlicher Kommunikation gehört und nur metaphorisch
in anderen Bereichen verwendet wird. Die Analyse des
Informationsbegriffs
in den Naturwissenschaften durch Carl-Friedrich von Weizsäcker
brachte
die Spannung zwischen subjektiver und objektiver oder, besser,
objektivierter
Information zum Ausdruck. Als Lösung des sog. "Capurroschen
Trilemmas"
zeigte sich die Möglichkeit, die Informationsbegriffe miteinander
zu vernetzen, um sowohl ihre Unterschiede als auch ihre
"Familienähnlichkeiten"
(Wittgenstein) zu erhalten.
Unser
Weg endete beim Wort Information. Die auf den ersten Blick verwirrende
Vielfalt von Informationsbegriffen ist, was die wissenschaftlichen
Bestimmungen
anbelangt, ein Ausdruck lebendigen Denkens, was nichts anders
bedeutet,
als daß wir Worte in verschiedenen Kontexten und somit metaphorisch
verwenden, wobei wir den einen oder anderen Kontext jeweils den Vorzug
geben. Wie sinnvoll oder irreführend solche Verwendungen sind,
läßt
sich nicht a priori entscheiden. Die exakte Definition
eines
Begriffs innerhalb eines Fachgebietes wird aber zum Dogma und somit zur
Abtötung schöpferischen Denkens, wenn sie sich von den
verwandten
Bedeutungen abkoppelt und scheinbar isoliert vom Bedeutungsnetz der
Sprache,
von den Worten also, zu bestehen glaubt.
In
diesem Sinne schreibt der Philosoph Hans-Georg Gadamer:
"Ohne
Begriffe zum Sprechen zu bringen, ohne eine gemeinsame Sprache
können
wir nicht die Worte finden, die den Anderen erreichen. Der Weg geht vom
Wort zum Begriff - aber wir müssen vom Begriff zum Wort gelangen,
wenn wir den Anderen erreichen wollen. Nur so gewinnen wir ein
vernünftiges
Verständnis füreinander. Wir haben nur so die
Möglichkeit,
uns zurückzustellen, um den Anderen auch gelten zu lassen."
(Grondin
1997, S. 110).
Was ist
Information? Information ist ein Wort, genauer gesagt, ein Fremdwort.
Unsere
Analyse der Wortgeschichte führte uns scheinbar weit weg von den
praktischen
Belangen eines heutigen Informationsmanagers, nämlich zu den
lateinischen
und griechischen Wurzeln. Wir lernten dabei, daß Information sich
von informatio ableitet und daß dieses Wort in der
lateinischen
Umgangsprache sowie in verschiedenen fachspezifischen Anwendungen
gebraucht
wurde. Die Bedeutung eines Wortes, so Wittgenstein, ist sein Gebrauch
in
der Sprache.
Wir
gingen den alten Verwendungen nach und stellten fest, daß
informatio sowohl im ontologischen Sinne von "Formung
eines Stoffes"
als auch im erkenntnistheoretischen Sinne von "Formung der Erkenntnis"
gebraucht wurde. Wir fanden außerdem heraus, daß die in
diesem
Wort vorhandene Wurzel forma auf bedeutungsschwere und
philosophisch
sehr einflußreiche griechische Begriffe (eidos, idea,
morphé,
typos) zurückgeht, die bei Platon und Aristoteles und in
Anschluß
daran, in der mittelalterlichen Tradition in diesem doppelten Sinne
gebraucht
wurden. Die Verfolgung in der Neuzeit zeigte, daß der
Verfall
der ontologischen Bedeutung, während die
erkenntnistheoretische
in die neuzeitlichen Sprachen übergeht. Im Deutschen wird für
informatio das Wort Bildung gebraucht,
während das Fremdwort Information erst im 20. Jahrhundert
üblich
wird.
Diese
Analysen haben unter anderem gezeigt, daß Information in
Zusammenhang
mit verschiedenen Metaphern verwendet wurde und wird. Zu den
großen
Metaphern des Informations- und Kommunikationsbereichs gehören, so
Klaus Klippendorff, folgende:
- Die
Metapher
der Übertragung von Botschaften: Sie war die einflußreichste
in der Geschichte der Kommunikation. Der Begriff der Botschaft bewirkte
eine Vielzahl technologischer Erfindungen wie zum Beispiel
Bibliotheken,
Straßennetze, Postwesen, elektronische Mails, Anrufbeantworter.
Sie
reduziert aber das Kommunikationsproblem auf ein Transportproblem.
- Die
Container-Metapher:
Ihr liegt die Unterscheidung von Inhalt und Träger einer Botschaft
zugrunde. Wir benutzen sie, wenn wir zum Beispiel von "Briefen in einer
Schatulle", von "Ideen in einem Artikel" sprechen. Irreführend ist
dabei die Idee, daß der Empfänger die Nachricht genauso
wahrnimmt, wie vom Sender intendiert war.
- Die
Metapher
des Mitteilens von Gemeinsamkeiten: Sie liegt zum Beispiel der
hermeneutischen
Vorstellung zugrunde, daß wir nur auf der Basis eines
Vorverständnisses
kommunizieren können. Irreführend ist dabei die Idee,
daß
das, was außerhalb des gemeinsam Vereinbarten liegt, ein Irrtum
sei.
In Kommunikationsfällen führt dies zur praktischen
Abschottung
oder zum Ausschluß derjenigen, die die Fachsprache nicht
beherrschen.
- Die
Argument-Metapher:
Informationen sind potentielle Argumente in Konfliktfällen oder
bei
Entscheidungen. Diese Metapher suggeriert aber, daß bei
Kommunikation
alles auf Sieg oder Niederlage ankommt.
- Die
Kanal-Metapher:
Informationen werden, ähnlich wie bei der
Übertragungsmetapher,
als Dinge verstanden, die von A nach B, wie bei einem
Kanalysationssystem,
versandt werden. Die aktive Leistung von Sender und Empfänger
bleibt
dabei außer Acht.
- Die
mathematische
Theorie der Kommunikation: Sie will Information weder als Materie noch
als Bedeutung, sondern als Maß für logische oder
intellektuelle
Arbeit erfassen. Diese Arbeit besteht im Unterscheiden. Das
führt
zu einer Angleichung zwischen Maschinen und Lebewesen.
- Die
Kontroll-Metapher:
Kommunikation wird als eine Abfolge von Ursache und Wirkung verstanden,
wobei als Ursache jeweils eine allein vom Sender abhängige
Nachricht
oder Information verstanden wird. Die Macht des Senders verzerrt die
Kommunikationssituation,
in der es auf Wechselwirkung ankommt.
Diese
Modelle sind, so Krippendorff, in verschiedenen kulturellen Kontexten
entstanden.
Die Phänomene auf die sie hinweisen, lassen sich nicht
unabhängig
von ihnen verstehen. Wir müssen lernen, mit ihnen kreativ
umzugehen,
indem wir ihre jeweiligen Grenzen erkennen, was nichts anderes
heißt,
als sie in konkreten theoretischen und praktischen Situationen richtig
anzuwenden.
Der
kreative Umgang mit Begriffen bedeutet aber auch, diese in immer neuen
Versuchen miteinander in Verbindung zu setzen, auch und gerade, wenn
die
dabei entstehenden Resonanzen zunächst unerhört klingen. Ein
angepaßtes intellektuelles Ohr ist zwar sowohl für den
Alltag
als auch für die normale Wissenschaft notwendig, aber es hat die
Tendenz,
sich vom Neuen abzuschotten, neue Verwendungen als unwissenschaftlich
zu
diskreditieren und sich den Weg des Lebens, im geistigen und im
materiellen
Sinne, zu versperren. Das ist nicht zuletzt auch die Lektion, die die
unerhörte
und unerwartete Formenvielfalt in der Natur zeigt. Wir sollten ihr im
Geistigen
entsprechen.
Literatur
Grondin,
J. Hrsg.: Gadamer Lesebuch. Tübingen 1997.
Krippendorff,
K.: Der verschwundene Bote. In: K. Merten, S.J. Schmidt, S.
Weischenberg
Hrsg.: Die Wirklichkeit der Medien. Opladen 1994, S. 79-113.