EINLEITUNG
Leben
wir im Informationszeitalter? Diese Frage erinnert an jene, die der
Philosoph
Immanuel Kant (1724-1804) in seiner Schrift Beantwortung der Frage:
Was ist Aufklärung? stellte, nämlich:
"Leben
wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter?"
worauf
er die Antwort gab:
"Nein,
aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung." (Kant 1974,
S.
15)
Leben
wir in einem informierten Zeitalter? Nein, aber wohl in einem
Zeitalter
der Information. Kants Antwort auf die Frage: Was ist
Aufklärung?
lautet bekanntlich:
"Aufklärung
ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten
Unmündigkeit."
(Kant 1974, S. 9)
Selbstverschuldet
ist unsere Unmündigkeit, so Kant, weil wir faul und feige sind und
anstelle selbst zu denken, Vormünder suchen, die dies an unserer
Stelle
tun. Welche Vormünder? Kant schreibt:
"Habe
ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der
für
mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät
beurteilt
u.s.w., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe
nicht
nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das
verdrießliche
Geschäft schon für mich übernehmen." (Kant 1974, S.
9)
Kant war
alles andere als ein Feind des Buches. In dieser Schrift setzt er sich
mit aller Deutlichkeit für die Abschaffung der Zensur ein.
Bücher
sind im Zeitalter der Aufklärung das Medium in dem sich
Kritik
entfalten soll. Wie steht es mit unserem Zeitalter? Können wir
sozusagen
nahtlos Aufklärung durch Information ersetzen? Ist
Information
der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten
Unmündigkeit?
Stellt die globale Vernetzung eine Überbietung des Mediums Buch
dar?
Wie kommen wir vom Zustand eines Zeitalters der Information in den
eines
informierten Zeitalters?
Bill
Gates schreibt:
"Die
Kommunikationsrevolution eröffnet viele Möglichkeiten, ist
aber
kein Allheilmittel. Wir dürfen nicht versäumen, die Vor- und
Nachteile des technischen Fortschritts möglichst breit zu
diskutieren,
so daß die Richtung, die wir am Ende einschlagen, auf einem
gesellschaftlichen
Konsens beruht und nicht auf der Entscheidung weniger Technologien."
(Gates
1996, S. 444)
Mit anderen
Worten, wir sollten über den Mythos Information nachdenken (Gerbel
und Weibel 1995). Zum Mythos Information gesellt sich inzwischen der
Mythos
Internet. Münker und Roesler schreiben im Vorwort des Bandes
"Mythos
Internet":
"Wie
kaum eine andere zeitgenössische technologische Entwicklung
repräsentiert
das Internet die ebenso grundlegenden wie weitreichenden
Veränderungen,
welche die digitale Revolution für die gesellschaftlichen
Kommunikationsverhältnisse
bedeutet. (...) Der Hoffnungen und Ängste ungeachtet beginnen
viele
Bereiche der alltäglichen Praxis bereits heute, in die neu
entstehende
Netzwelt auszuwandern - immer mehr von ihnen ins Netz der Netze, das
Internet,
das seit der Einführung der graphischen und somit
benutzerfreundlichen
Oberfläche des World Wide Web mit geradezu atemberaubender
Geschwindigkeit
weiter wächst." (Münker/Roesler 1997, S. 7-8)
Zweck
der folgenden Untersuchungen ist aber nicht eine Diskussion dieser und
anderer Thesen über die Informationsgesellschaft, sondern eine
Klärung
ihrer begrifflichen Grundlagen, genauer, jenes Begriffs der, wie kaum
ein
anderer in diesem Jahrhundert, für die unterschiedlichsten
Auslegungen
Anlaß gegeben hat und noch gibt, nämlich den
Informationsbegriff.
Worte wie Information und Atom sind Signaturen unseres Zeitalters. Es
lohnt
sich, darüber nachzudenken. Aus dem im Alltag allgegenwärtig
vorkommenden Wort 'Information' haben sich im Laufe dieses Jahrhunderts
immer speziellere Anwendungen und Theorien entwickelt, die sich
wiederum
auf den Alltag auswirken. Aber auch der alltägliche
Informationsbegriff
ist alles andere als einfach und er ist, wenn man genauer hinschaut,
auch
nicht neu, trotz des gegenteiligen Anscheins.
War
bis vor wenigen Jahren das Schlagwort von der Informationsgesellschaft
in aller Munde so scheint es heute vom Begriff der Wissensgesellschaft
überholt zu sein. Information und Wissen sind aber zwei
grundlegende
Worte unseres sozialen Selbstverständnisses, jenseits von
modischen
gesellschaftlichen Selbstzuschreibungen. Es ist auch keineswegs neu,
daß
wirtschaftliche Produktionsprozesse auf Wissen und seiner Vermittlung
beruhen.
Die digitale Informationstechnologie hat aber einen grundlegenden
Wandel
in diesem in seiner praktischen Bedeutung kaum zu unterschätzenden
Bereich bewirkt. Wir beginnen deshalb mit der Analyse des Informations-
und des Wissensbegriffs aus wirtschaftlicher Perspektive.
Seit
den fünfziger Jahren hat sich eine Wissenschaft etabliert, die
sich
Informationswissenschaft oder information science nennt und die
eng mit der Speicherung und Vermittlung von zunächst gedruckten
später
aber digitalisierten Informationen beschäftigt. Die Technik des information
retrieval stellt heute das Herz der Wissenssuche im Internet dar.
Diese
Wissenschaft hängt sowohl mit der Bibliothekswissenschaft als auch
mit den Medien- und Kommunikationswissenschaften zusammen. Exemplarisch
für diesen ganzen Bereich sollen hier einige Deutungen des
Informationsbegriffs
in der Informationswissenschaft dargelegt werden.
Im
dritten Teil widmen wir uns der Analyse des Informationsbegriffs in
anderen
Disziplinen wie Nachrichtentechnik, Sprachwissenschaft, Kybernetik,
Kulturwissenschaft
und in den Naturwissenschaften. Das ist ein weites Feld. Die
grundlegende
Kontroverse bezieht sich aber auf einen einfachen Sachverhalt:
Information
ist ursprünglich, d.h. im Alltag, ein Begriff den wir mit einer
bestimmten menschlichen Handlung verbinden, und zwar mit einer
intellektuellen
oder, traditionell gesagt, geistigen. Zugleich findet in Zusammenhang
mit
der Entwicklung der modernen Nachrichtentechnik sowie mit deren
Einfluß
auf andere Wissenschaften eine Naturalisierung des
Informationsbegriffs
statt. Das gibt Anlaß zu weitreichenden Kontroversen, die sich
zunächst
auf methodologische Fragen beziehen, bald aber das
Selbstverständnis
des Menschen, seinen Bezug zur Natur sowie zu den von ihm hergestellten
Artefakten betreffen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach
einer einheitlichen Theorie der Information, die alle Bereiche
der
Realität umfaßt (Hofkirchner 1999).
Als
Beispiel für eine solche Theorie, die von den Naturwissenschaften
ausgeht, soll hier die sich über mehrere Jahrzehnte ausdehnende
Problematisierung
des Informationsbegriffs im Werk des Physikers und Philosophen
Carl-Friedrich
von Weizsäcker vorgelegt werden. Nachrichtentheorie und Kybernetik
haben das wissenschaftliche Verständnis von Information
geprägt
und Sprach- und Kulturwissenschaften beeinflußt. Die Kontroverse
um die Naturalisierung des Informationsbegriffs ist in den
letztgenannten
Bereichen besonders virulent. Während Soziologen wie Niklas
Luhmann
den von der Kybernetik geprägten Informationsbegriff bis zu einem
gewissen Grad auch in naturalistischer Form aufnehmen, findet in den
Kulturwissenschaften
eine teilweise kritische bis ablehnende Haltung dieser Anwendung
gegenüber
statt.
Bei
vielen dieser Deutungen wird immer wieder auf den im Wort 'Information'
selbst steckende Hinweis auf den Vorgang des Gestaltens oder
'In-formierens'
hingewiesen. Das ist keine oberflächliche Metaphorik und auch kein
etymologischer Sprachspiel. Carl-Friedrich von Weizsäcker macht
von
der lateinischen Herkunft und vom griechischen Ursprung dieses Wortes
für
seine Theorie der Information ausdrücklichen Gebrauch. Eine genaue
historische Rekonstruktion der Bedeutungsentwicklung des Wortes
'Information'
gibt Auskunft über verschiedene Ausprägungen, die zum Teil
auch
den heutigen Kontroversen zugrundeliegen (Capurro
1978). Im letzten Teil dieser Untersuchung wird diese Entwicklung
in
knapper Form dargestellt.
Was
für ein Fazit läßt sich aus diesen Untersuchung
ziehen?
Zum einen die Einsicht, daß Information nicht nur ein
lelbensweltlicher,
sondern auch ein wissenschaftlicher Schlüsselbegriff ist. Die auf
den ersten Blick verwirrende Vielfalt von Ansichten erscheint nach
einem
vertieften Nachdenken als die Geschichte einer
Anthropologisierung und Naturalisierung zugleich.
Information ist
sowohl eine
anthropologische als auch eine auf nicht-menschliche
Gestaltungsprozesse
bezogene Kategorie. Beides gehört zusammen. Über das Wie
dieser
Zusammengehörigkeit, ob in Form von Analogien, von
evolutionären
Prozessen oder, wie ich vorschlage, von vernetzten Begriffsbeziehungen,
wird heute weiter nachgedacht und bisweilen auch gestritten. In
Aussicht
steht aber nicht einen wie auch immer gearteten Konsens, der alle
Bereiche
und Definitionen unter einem Hut bringt, sondern die Möglichkeit
von
Grenzüberschreitungen und Perspektivenwechsel, wodurch sich der
Reichtum
an Resonanzen, Assonanzen und Dissonanzen womöglich erhöht.
Was
aber aus einer lokalen disziplinbezogenen Perspektive die Lösung
von
bestimmten Problemen und das Entstehen neuer Ansichten bedeutet, bringt
nicht notwendigerweise dieselben Resultate in einem anderen Bereich. So
zu denken ist bestimmt nicht einfach, aber es ist der Mühe
wert.
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