"Das
Capurrosche Trilemma"
((1))
Mit dem Terminus ‘Information’ ist es, wie könnte es anders sein,
wie mit dem Terminus ‘Form’: neben seiner umgangsprachlichen Verwendung
haben wir mit einer Fülle an technischen Bestimmungen zu tun, die
den Ausdruck auf bestimmte Geltungsbereiche einschränken. Eine
lupenreine
Trennung zwischen den umgangsprachlichen und den wissenschaftlichen
Bestimmungen
geht immer auf Kosten der wechselseitigen und wandelbaren
Verwandschaften
zwischen den verschiedenen Sprachfamilien, in denen die
Einzelprägungen
beheimatet sind. Die Spannung zwischen Wort und Begriff, die auch
diesem
Beitrag von Janich zugrundeliegt, wäre damit aufgehoben. Soll der
Terminus ‘Form’ (oder ‘forma’, ‘species’, ‘eidos/idea’, ‘morphe’,
‘typos’...)
auf den sinnlich-wahrnehmbaren Umriß eines natürlichen
Dinges
eingeschränkt werden? Oder sollen wir ihn nur bei der
(handwerklichen)
Herstellung eines künstlichen Gegenstandes verwenden? Gibt es aber
nicht außer den sinnlich-wahrnehmbaren auch die
geistig-wahrnehmbaren
Formen?
((2))
Als ich vor zwanzig Jahren eine etymologische und ideengeschichtliche
Untersuchung
des Informationsbegriffs unternahm (Capurro, 1978), bin ich in der Tat
auf die "großen lateinischen Wörterbücher" (Janich
((16)))
gestoßen. Das war damals nicht selbstverständlich. Man
gebrauchte diesen Ausdruck entweder umgangsprachlich mit
angelsächsischen
‘modernen’ Resonanzen oder im Shannonschen Kontext. Schnelles knappe
Hinweise
im "Historischen Wörterbuch der Philosophie" (Schnelle,
1993)
erschienen 1976. Information war, so schien es, kein genuin
philosophischer Begriff. Carl-Friedrich von Weizsäckers Vortrag
"Sprache
als Information" aus dem Jahre 1959 (Weizsäcker, 1974) mit den
Andeutungen
auf den Zusammenhang des Informationsbegriffs mit dem "platonischen
Eidos"
und der "aristotelischen Form" "so eingekleidet, daß auch
ein
Mensch des 20. Jahrhunderts etwas von ihnen ahnen lernt"
(Weizsäcker,
1974, S. 51) gaben mir den entscheidenden Anstoß, um der Sache
genauer
nachzugehen.
((3))
Was ich dabei fand, war etwas mehr als einige Hinweise auf
wörtliche
und übertragene Verwendungsweisen der lateinischen Termini
‘informatio’
und ‘informare’. Da waren zum Beispiel die Prägungen im
organologischen,
artifiziellen, philosophischen, pädagogischen, juristischen...
Bereich.
Dabei entdeckte ich nicht nur, daß dieser Begriff im
philosophischen
Denken der lateinischen Antike (z.B. bei Cicero und Augustinus) und des
Mittelalters eine entscheidende Rolle spielte - und zwar sowohl im
ontologischen
(‘informatio materie’) als auch im erkenntnistheoretischen Sinne
(‘informatio
sensus’, ‘informatio intellectus’) -, sondern auch, daß diese
Prägungen
unmittelbar auf den griechischen Ursprung bezogen waren. Ferner
konnte
ich feststellen, daß die modernen Nationalsprachen diesen
Terminus
vorwiegend in der erkenntnistheoretischen Deutung in die Alltagssprache
übernahmen, was wohl mit dem Niedergang der scholastischen
Ontologie
zusammenhängt.
((4))
Die von Janich angeprangerte "Technisierung" und "Naturalisierung" des
modernen, wissenschaftlichen Informationsbegriffs (Janich ((18))) haben
also ihre Wurzeln in Antike und Mittelalter. Die
Einschränkung
dieses Begriffs auf den erkenntnistheoretischen oder "semantischen"
Bereich
(Janich ((49))) steht in der neuzeitlichen Tradition seiner
Bedeutungsentwicklung.
Janich kritisiert mit Recht die Übertragung des anthropologischen
Informationsbegriffs auf materielle und technische Prozesse, die
"Analogiebildung"
also (Janich ((48))). Bar-Hillel sprach in diesem Zusammenhang
von
einer "semantischen Falle" (‘semantic trap’) (Bar-Hillel, 1973, 296).
Die
Frage ist aber, ob er sich dadurch nicht den Weg zu einer
multidisziplinären
oder, besser, transdisziplinären Auffassung dieses Begriffs
versperrt.
((5))
Damit komme ich zu dem, was Peter Fleissner und Wolfgang Hofkirchner
(Fleissner/Hofkirchner,
1995) das "Capurrosche Trilemma" nennen. Dieses Trilemma besagt in
Kuerze,
daß angesichts der Tatsache, daß der Informationsbegriff in
vielen Fachgebieten sowie im Alltag unterschiedlich verstanden wird,
drei
Möglichkeiten für einen kritischen Gebrauch
offenstehen:
1. Der Informationsbegriff
bedeutet in allen Bereichen dasselbe
(Univozität),
was dazu führt, daß er, zum Beispiel, in der Physik im
selben
Sinne gebraucht werden kann, wie in der Welt des Menschen,
die qualitativen Unterschiede verschwinden. Eine e-mail ist eine Form
von
Zellreproduktion usw.
2. Der Informationsbegriff
bedeutet in jedem
Bereich
nur etwas Ähnliches (Analogie). Dann stellt sich die Frage,
welcher
Bereich den Vorrang hat (‘primum analogatum’). Nachteile:
Reduktionismen
oder Anthropomorphismen. Alles was im Bereich des Information
Management
‘Information’ heißt, läßt sich mit physikalischen
Methoden
messen usw. Dagegen wendet sich Janich entschieden, wenn er diesen
Begriff
ausschließlich im kulturellen Bereich angesiedelt wissen will.
3.
Der Informationsbegriff bedeutet jeweils etwas anderes
(Äquivozität).
Wenn aber dasselbe Zeichen auf unvergleichbare Designate hinweisen
kann,
haben wir es mit dem Babelturm-Syndrom zu tun. Die
einzelnen
wissenschaftlichen Bereiche kapseln sich ab. Es gibt dann nur
gegenseitiges
Achselzucken oder Polemik.
((6))
Fleissner und Hofkirchner schlagen als Ausweg aus diesem Trilemma das
Paradigma
der Selbstorganisation vor. Demnach würden sich die
Bestimmungen
der einzelnen Bereiche in der jeweiligen Prägung des
Informationsbegriffs
niederschlagen. Die Evolution stellt eine Geschichte der Metamorphosen
des Informationsgeschehens dar. Sie knüpfen damit
ausdrücklich
an die Prägungen des lateinischen Begriffs ‘informatio’ an:
"In-Formation:
das selbstorganisierte Sich-in-Form-bringen gleich welchen Systems"
(Fleissner/Hofkirchner,
1995, 131). In zahlreichen Gesprächen sowie zuletzt in der "Second
Conference on the Foundations of Information Science" (Wien, 1996,
Proceedings
erscheinen in: World Futures 1997/1998) stellten wir uns die Frage nach
einem Ausweg aus dem Trilemma. Mir kam das Paradigma der
Selbstorganisation
wie eine modernisierte oder ‘kybernetisierte’ Version des
dialektischen
Materialismus (DIAMAT) vor, und ich nannte sie deshalb DIAINF
(dialektischer
Informatismus) (Capurro/Fleissner/Hofkirchner 1997). Ich bin aber auf
der
Suche nach einem nachmetaphysischen Denken.
((7))
Im Gegensatz zu Janich will ich den unterschiedlichen Prägungen
des
Terminus Information in verschiedenen Bereichen Rechnung tragen, ohne
sie
aber unter einem Dach, dem der
Informationswissenschaft,
unterbringen zu wollen. Mir scheint, daß die heute populär
gewordene
aber kulturgeschichtlich leider wenig erforschte Metapher des Netzes
(mit
seinen ‘Knoten’ und ‘links’) oder des Hypertextes einen anderen Ausweg
aus dem Trilemma bietet als den der evolutionären Integration oder
des Ausschlußverfahrens. Der Informationsbegriff oder, besser
gesagt,
die verschiedenen Prägungen dieses Terminus in unterschiedlichen
Kontexten,
mit ihren jeweiligen metaphorischen und metonymischen
Überschneidungen
und "Familienähnlichkeiten" (Wittgenstein), ließen sich dann
weniger vielleicht im Sinne einer "transversalen Vernunft" (W. Welsch)
als eher in Form eines "kreativen Spinnen" (E. Martens) von
unterschiedlichen
individualisierbaren Denk- und Handelnsfäden (E. Martens, 1991)
sowohl
miteinander als auch mit anderen ‘Verwandten’ verknüpfen, nicht
zuletzt
auf Internetbasis.
((8))
Zum Schluß möchte ich den Ansatz von Janich in zweifacher
Weise
‘weiterspinnen’. In Zusammenhang mit meinen etymologischen
Untersuchungen
zum Informationsbegriff stieß ich auf den griechischen Begriff
der
Botschaft ("angelia"). Mir wurde aber erst später deutlich,
daß
der Logos-Begriff mit seinen Attributen von Bedeutung und
Geltung
nur eine mögliche begriffliche Verwandschaft zu unserem
heutigen
umgangsprachlich anthropologisch bestimmten Informationsbegriff
darstellt.
In der von Janich entwickelten "kulturalistischen" Bestimmung des
Informationsbegriffs,
die der des philosophischen Logos-Begriffs sehr nahe steht, fehlen drei
wichtige Dimensionen, nämlich Relevanz (die jeweils
Kontext-abhängig
ist), Neuheit und Mitteilung. In einer Untersuchung zur "Genealogie der
Information" stellte ich die These zur Diskussion, daß "die
dichterische
Gestaltung des Mitteilungsprozesses eine Abschwächung der
Machtstrukturen
des Mythos bedeutete, so wie wiederum die Geburt der Philosophie in der
athenischen Agora zu einer Infragestellung des mythisch-dichterischen
Botschaftsbegriffs
(‘angelia’) führte (...). Die Herrschaft des philosophischen
‘logos’
mit ihren spezifischen Machtstrukturen trat an." (Capurro 1995, 99,
vgl.
Capurro 1996).
Der
Logos erscheint heute im Horizont vernetzter Botschaften. In diesem
Sinne
und entgegen der geläufigen Meinung, geht der anthropologische
Informationsbegriff
dem Wissens- und Logosbegriff voraus. Der Logos, mit seinen
Ansprüchen
an Bedeutung und Geltung, wird in den Botschaftsnetzen ‘flüssiger’
und ephemer, dadurch auch lebensnah, zumindest der Möglichkeit
nach.
Er gewinnt die Züge von Relevanz, Mitteilung und Neuheit, die dem
Angelia-Begriff eigen waren. Zu den Mythen des Logos kommen aber auch
neue
Mythen hinzu.
Literatur
Bar-Hillel,
Y.: An Examination of Information Theory, in: ibid.: Language and
Information,
London, 1973, 3. Aufl., 275-297.
Capurro,
R.: Leben im
Informationszeitalter, Berlin
1995.
Capurro,
R.: On the
Genealogy of Information, in: K.
Kornwachs,
K. Jacoby, Ed.: Information. New Questions to a Multidisciplinary
Concept,
Berlin 1996, 259-270.
Capurro,
R.: Information.
Ein Beitrag zur
etymologischen
und ideengeschichtlichen Begründung des Informationsbegriffs,
München
1978.
Capurro,
R., Fleissner, P., Hofkirchner, W.: Is a Unified
Theory of Information Feasible? in: Informatik Forum Bd. 11, 1/97,
36-45.
Fleissner,
P., Hofkirchner, W.: In-formatio
revisited. Wider den dinglichen
Informationsbegriff,
in: Informatik Forum, Bd. 8, 3/95, 126-131.
Martens,
E.: Der Faden der Ariadne. Über kreatives Denken und Handeln,
Stuttgart
1991.
Schnelle,
H.: Information, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd.
4, Darmstadt 1993, 356-357.
Weizsäcker,
C. F. von: Sprache als Information. In: Die Einheit der Natur,
München
1974, 39-60.
P.
Janich: Replik
2.
Philosophische
Einwände, 2.3 Wissenschaftstheoretisches. In:
Ethik und Sozialwissenschaften 9 (1998) Heft 2, S. 258-259.
"((30))
R.
Capurro zentriert seinen Kommentar
um ein nach ihm
benanntes
Trilemma (in ((5)), wonach (in meiner Diktion) das Wort Information in
allen Anwendungsbereichen entweder dasselbe, etwas Ähnliches oder
etwas Verschiedenes bedeutet, und "als Ausweg aus diesem Trilemma das
Paradigma
der Selbstorganisation" (in ((6))). Hier fehlt offensichtlich eine
klare
Unterscheidung zwischen der Beschreibung faktischen Sprachgebrauchs und
der Möglichkeit einer (zweckgebundenen, kontextbezogenen)
Normierung.
Das Trilemma verliert ja schon seine Brisanz, wenn tatsächliche
Sprachgebräuche
so verstanden werden, daß sie sich auf bestimmte Kontexte
beziehen,
die (aus Bequemlichkeitsgründen, aber oft aus Gründen
tatsächlicher
Unmißverständlichkeit) nicht ausdrücklich genannt
werden.
Dazu ein Vergleich: Es stört doch nicht wirklich, daß z.B.
das
Wort "Masse" für den klassischen Physiker, den Soziologen und den
Elektrotechniker völlig verschiedene Bedeutungen hat. Bei
drohenden
Konflikten oder Trilemmata nenne man einfach den Kontext hinzu, um
Mißverständnisse
zu vermeiden. Die Schwierigkeiten beim Wort "Information" sind aber
wohl
mehr denjenigen zu vergleichen, die jemand hat, wenn er z.B. für
die
klassische Mechanik die dort übliche Verwendung des Wortes "Masse"
als eines Fachterminus explizit angeben möchte: Die
Physikbücher
schweigen.
Die
Newtonsche Formulierung ist genauso wie moderne
axiomatische
entweder definitorisch zirkulär oder operativ lückenhaft.
Dies
hat sich in der Entwicklung von der klassischen zur relativistischen
Physik
als außerordentlich störend und problematisch erwiesen und
ist
auch nicht durch den nachträglichen semantischen Holismus einer
analytisch-deskriptiven
Wissenschaftstheorie behoben, wonach die klassische, die
speziell-relativistische
und die allgemein-relativistische Physik "verschiedene Massenbegriffe"
hätten. Die Fachwissenschaften nehmen sich - legitimerweise - das
recht heraus, ihre Fachterminologie nach ihren eigenen
Bedürfnissen
zu normieren.
Wenn
also mit Capurros "Selbstorganisations-Paradigma" nicht mehr
gemeint
ist, als daß sich im Laufe der Wissenschaftsgeschichte bestimmte
Normierungen faktisch etablieren, sehe ich keine Einwände. Es ist
aber etwas ganz anderes, sich der Frage zu widmen, ob nicht "Masse" wie
"Information" für bestimmte Theorien explizit, zirkelfrei und
lückenlos
definiert, operationalisiert und sonstwie festgelegt werden können
und sollen. Das "Capurrosche Trilemma" verschwindet völlig, wenn
diese
Option mit geeigneten wissenschaftstheoretischen Mitteln ergriffen
wird.
Dies habe ich für den Massenbegriff (wie für andere
Grundbegriffe
der Physik, de Chemie und der Biologie) mit handlungstheoretischen und
sprachphilosophischen Mitteln publiziert - und jetzt für den
Informationsbegriff
versucht. Dabei glaube ich, mich ansonst mit den Ausführungen von
Capurro
durchaus zu treffen. Widersprechen muß ich
ihm nur,
daß in meinem Vorschlag "drei wichtige Dimensionen, nämlich
Relevanz, Neuheit und Mitteilung" fehlen. Ganz im Gegenteil! Durch
Rückgang
auf das Auffordern (vgl. I-Text ((51)) bis ((54))) sind alle Kriterien
(man fordert niemanden zu einer Handlung auf, die er schon gerade
ausführt,
beobachtet Verständnis und Befolgen durch den Aufgeforderten und
tut
dies insgesamt im Normalfall in einer gemeinsamen Praxis) erfüllt,
ist diesen drei Aspekten eine ganz prominente Rolle zugedacht. Da dies
aus Platzgründen hier nicht weiter ausgeführt werden kann,
sei
auf mein Buch: "Was ist Wahrheit?" (C.H. Beck, München 1996)
hingewiesen."
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