EINFÜHRUNG IN DIE INFORMATIONSWISSENSCHAFT

 
Rafael Capurro
 
 
 
 

Kapitel 3: Grundbegriffe

 
 
 
 

Inhalt

 
Einführung: Paradigmenwechsel in der Informationswissenschaft 

3.1 "Information-as-thing" 
3.2 Das kognitivistische Paradigma 
3.3 "Cybersemiotics" 
3.4 Informationshermeneutik 
3.5 "Information ist Wissen in Aktion" 
3.6 "Domain analysis" 
3.7 Zur Vertiefung 
3.8 Für Fortgeschrittene 

Übungen 
 

 
 
 
 

    Einführung: Paradigmenwechsel in der Informationswissenschaft

    Der Begriff Paradigma (Griechisch parádeigma = Modell, Urbild) wurde durch den amerikanischen Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn (1922-1996) in die wissenschaftstheoretische Debatte eingeführt und machte von da an eine steile Karriere, so dass bald in den verschiedensten Bereichen von einem Paradigmenwechsel gesprochen wurde. In seinem Buch Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962) sprach Kuhn von Paradigmen im Sinne von "anerkannten Beispielen für konkrete wissenschaftliche Praxis, die eine 'normale' Phase wissenschaftlicher Forschung leiten." Wenn Anomalien auftreten, die innerhalb des herrschenden Paradigmas nicht lösbar sind, bahnt sich eine Krise ein, die zu einem Paradigmenwechsel führt. Dadurch verändern sich aber nicht nur die Annahmen und Theorien, sondern auch die apparativen und institutionellen Bedingungen. Wissenschaftliche Revolutionen verlaufen, nach Kuhn, entsprechend einer nicht-linearen Entwicklung. Diese Sichtweise des wissenschaftlichen Fortschritts hat auch weitreichende soziale und kulturelle Konsequenzen  

    Im Falle der Informationswissenschaft kann man beobachten, dass diese sich in ihrem paradigmatischen Selbstverständnis und in partieller Abgrenzung zum Bibliothekswesen als Theorie und Praxis des Information Retrieval seit den 50er Jahren bestimmte. Diese Selbstbestimmung war zunächst objektivistisch orientiert, d.h. sie vernachlässigte weitgehend die Rolle des Erkennenden/Suchenden.   

    Eine Einführung in die Problematik informationswissenschaftlicher  Paradigmenwechsel ausgehend von den epoche-machenden Cranfield-Experimente bietet: D. Ellis: "Paradigmen und deren Vorstufen in der Retrievalforschung". 

    Die Betonung des cognitive viewpoint brachte in den 70er Jahren so etwas wie einen Paradigmenwechsel hervor. Dieser Ansatz wurde in den 80er Jahren aufgrund der Einbeziehung des pragmatischen Kontextes abermals in Frage gestellt. Birger Højrland hat das kognitivistische Paradigma kritisiert und erweitert, indem er die soziale und kulturelle dimension des Wissens in den Mittelpunkt seines Ansatzes stellte. Hier gibt es vielfältige Anknüpfungspunkte mit hermeneutischen, semiotischen und pragmatischen Ansätzen.  

    Die Vielfalt der Auffassungen über Gegenstand und Ziel der Informationswissenschaft kann somit zugleich als Schwäche und Stärke dieses jungen Wissensgebietes aufgefaßt werden. Sie bedeutet eine Schwäche insofern, als disparate Forschungsrichtungen und -ergebnisse sich nicht leicht unter einem Hut bringen lassen, so daß paradoxerweise innerhalb der Informationswissenschaft ein Informations- und  Verstehensproblem entsteht. Sofern dieses Problem aber als solches erkannt wird, ist es möglich, unterschiedliche Zugangsweisen zu einem Gegenstand zuzulassen und festgefahrene Auffassungen durch neue Gesichtspunkte zu erweitern oder sie in ihrem Ausschließlichkeitsanspruch in Frage zu stellen. Mit anderen Worten, was Informationswissenschaft ist, steht nicht ein für allemal fest, sondern wird jeweils theoretisch und praktisch ausgehandelt. Dabei kann es vorkommen, dass 'vergessene' Einsichten plötzlich ganz aktuell werden, und umgekehrt. 

    In einem historischen Rückblick schlägt Julian Warner (2001) folgende Periodirisieung der Entwicklung der Informationswissenschaft vor: 

    1) 1945-1960: Während der Nachkriegsperiode versteht sich die Informationswissenschaft als Antwort auf die technologische Entwicklung im Telekommunikationsbereich. Sie entwickelt sich parallel zur Bibliothekswissenschaft. Ein weiterer Anreiz ist der sog. Sputnik-Schock und der damit zusammenhängende Weinberg-Bericht. Theoretisch ist dieser Periode durch den Einfluß der Informationstheorie von Claude Shannon sowie durch die Kybernetik bestimmt. Rationalität und empirische Methode bestimmen die Cranfield-Experimente. Jesse Shera entwickelt eine sozial-orientierte Bibliothekswissenschaft auf der Basis einer Sozialepistemologie ("social epistemology"). 

    2) 1960-1980: Erste sozial-orientierte Ansätze in der Informationswissenschaft vor allem in Zusammenhang mit dem komplexen Begriff der Relevanz und der Bewertung von IR-Systemen. Eine Annäherung an die Bibliothekswissenschaft findet statt, aber die Cranfield-Tradition und der Einfluß der Informationstheorie sind weiterhin maßgeblich. Die Methoden des Informations Retrieval und ihre Anwendung im wissenschaftlich-technischen Bereich bilden den Kern der Informationswissenschaft. In den Sozialwissenschaften beginnt eine intensive Auseinandersetzung mit dem Begriff der Informationsgesellschaft, die aber von der Informationswissenschaft wenig rezipiert wird. 

    3) 1980-1990: Die rasante technologische Entwicklung sowie die Verbreitung des Computers in der Gesellschaft beeinflußen die Informationswissenschaft. Es ensteht auch eine kaum überschaubare Fülle von Informationsbegriffen. Einige Bereiche der Informationswissenschaft , darunter auch das IR, werden immer mehr von anderen Disziplinen untersucht und 'annektiert'. Im angelsächsischen Bereich beginnt eine intensive Diskussion über die mission der LIS (Library and Information Science Schools).

    4) 1990-2000: Die Informationsgesellschaft wird allmählich zur Realität. Es entwickelt sich eine intensive öffentliche Debatte darüber und es entstehen neue Disziplinen außerhalb der etablierten LIS. Die IR-Systeme, jetzt als Internet-Suchmachinen, verlassen endgültig den engen Bereich der Wissenschaft und werden zu sozialen Instrumenten. 

    Warner zieht das Fazit, dass die Informationswissenschaft eine Chance verpaßt haben mag, sich als Sozialwissenschaft zu verstehen, daß aber diese Chance (noch) offen steht. Ohne diese Ausrichtung riskiert sie den Verlust ihrer Daseinsberechtigung, sofern sie nämlich ihre soziale Nützlichkeit nicht unter Beweis stellt.

    Insofern ist eine vertiefte Auseinandersetzung mit den sozialen, rechtlichen, politischen und ethischen Fragen der Informationsgesellschaft innerhalb der Informationswissenschaft eine unerläßliche Bedingung für ihre künftige Entwicklung (Siehe: Kapitel 8).

    Zur Vertiefung: 
     
    D. Ellis: Paradigms in Information Retrieval Research. In: Encyclopedia of Library and Information Science, Vol. 54, Supplument 17 (1994), 275-291 
    D. Ellis: The Physical and Cognitive Paradigms in InformationRetrieval Research. In: Journal of Documentation vol. 48, no. 1, March 1992, pp. 45-64 
    D. Ellis: Paradigms and proto-paradigms in information retrieval research. In: P. Vakkari, B. Cronin, Eds.: Conceptions of Library and Information Science. Historical, empirical and theoretical perspectives. London, 1992, 165-186.  
    B. Højrland: Library and information science: practice, theory, and philosophical basis. In: Information Processing and Management 36 (2000) 501-531. 
    P. Ingwersen: Information and Information Science. In: Encyclopedia of Library and Information Science, Vol. 56, Supplument 19 (1995), 113-174. 
    T. Saracevic: Information Science: origin, evolution and relations. In: P. Vakkari, B. Cronin, Eds.: Conceptions of Library and Information Science. Historical, empirical and theoretical perspectives. London, 1992, 5-27. 
    J. Warner: W(h)ither information science?/! In: Library Quarterly, 2001, vol. 71, no. 2, 243-255. 
     

    3.1 "Information-as-thing" 

    3.1.1 Vier Aspekte von Information 
    3.1.2 Was ist Wissen? 
    3.1.3 Wann sind Dinge informativ? 
    3.1.4 Was ist der Gegenstand der Informationswissenschaft? 
     

    3.1.1 Vier Aspekte von Information

    In seinem Buch Information and Information Systems geht Michael Buckland (School of Library  and Information Science, University of California, Berkeley), von folgenden Bedeutungen von Information aus: 
     
    • Information als Prozeß (information-as-process): Information ist der Prozeß der Wissensmitteilung oder, nach einer Definition des Oxford English Dictionary (OED), information ist communication of the knowledge.
    • Information als Wissen (information-as-knowledge): Information ist das, was im Prozeß der Wissenvermittlung übermittelt wird. Nach dem OED: knowledge communicated.
    • Information als Ding (information-as-thing): wir sagen, ebenfalls nach dem OED, daß bestimmte Gegenstände informativ sind, weil sie die Qualität haben, Information zu vermitteln. (Buckland 1991, S. 3-4)
     

    Buckland bemerkt, daß die zwei ersten Bedeutungen auf etwas hinweisen, nämlich auf Wissen bzw. auf "Information-als-Wissen", das nicht physikalisch faßbar ist (intangible), während bei der dritten Bedeutung Information in Zusammenhang mit Wissensrepräsentation steht und somit auch mit Dingen, zu tun hat, die faßbar sind. Informationssysteme können unmittelbar nur mit Information in diesem dritten Sinne zu tun haben. Die Bedeutung von "Information-als-Ding" ist dementsprechend, neben den beiden anderen Bedeutungen, grundlegend für die Informationswissenschaft. Informationsverarbeitung (information processing) im Sinne von data processing, document processing und knowledge engineering gehört zu den Dingen bzw. Prozessen, die physikalisch faßbar sind.   

    Buckland unterscheidet vier Bedeutungen von Information, nämlich:   
      
      


    INTANGIBLE
    TANGIBLE
    ENTITY Information-as-knowledge  
    Knowledge  
     
    Information-as-thing  
    Data, document, recorded knowledge
    PROCESS Information-as-process  
    Becoming informed  
      
      
     
    Information Processing  
    Data processing, document processing, knowledge engineering
      
      (Four Aspects of Information, Buckland 1991, S. 6)
     

    3.1.2 Was ist Wissen?

    In bezug auf den Wissensbegriff bemerkt Buckland, daß gerade wenn wir behaupten, daß Wissen als Ergebnis eines Informationsvermittlungsprozesses entsteht und daß Information dabei wahr sein muß, dies ein Wunsch ist, der sich öfter - wie die Wissenschaftsgeschichte zeigt - nicht erfüllt. Mit anderen Worten, "wahr" in bezug auf Wissen meint immer den Glauben, etwas sei wahr. Wissen gründet also im Glauben (knowledge is based on belief) (Buckland 1991, S. 42). Eine Wissensänderung aufgrund eines Informationsprozesses ist eine Glaubensänderung. In diesem Sinne sind Wissen und Information "unfaßbar" (intangible). Die Repräsentation von Wissen ist selbst nicht Wissen, sondern "Information-als-Ding". Sie läßt sich wiederum nutzen, um neues Wissen bzw. neuen Glauben herzuleiten. Nicht die angebliche Wahrheit einer Information ist entscheidend im Hinblick auf ihre Informativität, sondern das Für-wahr-halten.   

    Allerdings ist aber auch unter pragmatistischen Gesichtspunkten eine vollständige Nivellierung von "wahr" und "falsch" in bezug auf Information unsinnig, da, wie der Medienwissenschaftler Lutz Herrschaft bemerkt, 

    "eine informierte Gesellschaft bleibt sicherlich handlungsfähig, doch würde dies dann rasch unmöglich werden, wenn der Anteil fehlerhafter Informationen einen bestimmten Schwellenwert überschritte. Für die Wahrheitsfrage entscheidend ist somit, daß die Bereitschaft, eine Information für wahr zu halten, nicht von objektiven Kriterien abhängt (in vielen, vielleicht den meisten Fällen sind diese ohnehin nicht zugänglich), sondern davon, ob sie mit vertrauten, als zentral oder höherrangig eingestuften beliefs zusammenstimmt." (Herrschaft 1996, S. 175)
    Informationen sind also, kurz gesagt, nicht an sich wahr, aber wir gehen davon aus, daß dies der Fall ist. Was ist aber genau unter "Information-als-Ding" zu verstehen oder, anders ausgedrückt, wann sind Dinge informativ? 
     

    3.1.3 Wann sind Dinge informativ?

    Wenn wir Wissen mitteilen, tun wir dies anhand von bestimmten Trägern oder in irgendeiner physikalisch faßbaren Art. Bucklands Beispiele für "Information-als-Ding" sind sehr verschieden: Bücher in einer Bibliothek, bits und bytes im Falle von computerisierten Informationssystemen und - was zunächst aus dem herkömmlichen linguistisch und textuell orientierten Ansatz der Informationswissenschaft seltsam klingt - Gegenstände in einem Museum (Buckland 1991, S.43). So kann z.B. ein Skelett in einem Museum für Naturkunde ein solches "Ding" sein, das nicht weniger "informativ" ist als z.B. ein Text oder ein Bild aus einer Enzyklopädie. Museen sind also eine bestimmte Art von Informationssystemen. Oder, anders gesagt:
    "Die Grenzen zwischen dem, was ein Informationssystem ist oder nicht ist sind unklar und wir schlagen vor, daß ein System dann ein Informationssystem ist, wenn man es als ein Informationssystem nützt, besonders wenn es gestaltet wurde, um als Informationssystem benutzt zu werden." (Buckland 1991, S. 35, Übers. v.Vf.) 
    Welche Dinge sind aber genau "Information-als-Ding"? Buckland verweist auf den Charakter der Evidenz (evidence): Ein Ding ist genau dann informativ, wenn es in irgendeiner Art und Weise etwas unmittelbar nachweist. 

    Er führt folgende Beispiele an:

    • Daten: d.h. alles, was "verarbeitet" und anschließend benutzt wird. In der Regel bezeichnet man mit "Daten" alles, was im Computer gespeichert ist.
    • Texte und Dokumente: es sind die "Informationsdinge", die in Bibliotheken und Archiven gespeichert und benutzt werden.
    • Objekte: dazu gehören, wie erwähnt, die Exponate in Museen aber auch Gegenstände, die wir in der Umwelt durch direkte Beobachtung wahrnehmen, etwa ein Archäologe, der Artefakte in einer Ausgrabung beobachtet. In diesem Zusammenhang erweitert Buckland den Begriff des Dokuments auf nicht-linguistische Gegenstände
    • Ereignisse (events): wie z.B. Experimente in den Wissenschaften.
     

    Welche Dinge sind also "informativ"? Im Prinzip, so Buckland, kann alles informativ sein, sofern nämlich die Dinge einen Evidenz- oder Zeugnischarakter haben (können), wie das z.B. bei Gerichtsverhandlungen der Fall ist. Buckland verweist in diesem Zusammenhang auf den juristischen Gebrauch des Informationsbegriffs. 

    Ferner bemerkt Buckland, daß Informationsdinge, dann informativ sind, wenn sie in einer bestimmten Situation angetroffen werden. Dies liegt darin begründet, daß "Information-als Prozeß" immer situationsgebunden ist, so daß die Dinge, die einen prozessual-informativen Charakter haben sollen, ebenfalls in bezug auf die jeweilige Situation stehen müssen. Informationsdinge sind also nicht eine "Information an sich", sondern "potentielle informative Objekte" (potentially informative objects) (Buckland 1991, S. 107). Da die Ansichten, über die mögliche situative Relevanz von Dingen und somit über ihren informativen Charakter weit auseinander gehen können, betont Buckland, daß die Informativität als Ergebnis eines Konsenses oder einer Vereinbarung entsteht. Manche Dinge, wie etwa ein Telefonbuch, haben einen ziemlich sicheren oder unhinterfragbaren informativen Status. Wenn wir eine Datenbank aufbauen, tun wir dies ebenfalls auf der Basis einer Vereinbarung über das, was dazugehört und was nicht.   

    Informationsdinge sind, so Buckland zusammenfassend, sinnvoll in einem doppelten Sinne:  
    Erstens, ein Gegenstand kann zu einem bestimmten Zeitpunkt und in einer bestimmten Situation informativ sein. Zweitens, da die Eigenschaft der Evidenz und somit die potentielle Informativität eines Dinges nicht von vornherein feststeht, sprechen wir von Information in bezug auf Dinge, von denen wir annehmen, daß sie diese Eigenschaft auch in Zukunft haben werden (Buckland 1991, S. 51-52). 

    Informationsdinge, etwa eine Datei oder ein Aufsatz, lassen sich vervielfältigen. Die Informationswissenschaft unterscheidet dabei zwischen types (Typ) und tokens (wörtlich: Zeichen, nur scheinbar voneinander unterscheidbar = Kopie). Token ist also die Kopie eines Originals oder eines Typs. So zum Beispiel im Falle eines Buches, wo wir mit einem Typ aber mit vielen tokens zu tun haben. Wenn wir das Vorkommen eines Wortes in einem Text analysieren, um zum Beispiel eine statistische Angabe über seine Häufigkeit zu bekommen, dann ist diese Unterscheidung nicht nur nützlich, sondern notwendig. Sie liegt den gewichtenden Indexierungs- und Retrievalverfahren zugrunde. Die Frage, ob etwas ein type oder ein token ist stellt sich besonders akut in Zusammenhang mit Copyright-Fragen sowie, bekanntlich, in bezug auf Fälschungen von Originalwerken (Buckland 1991, S. 53-54).

    Hier wäre weiter zu fragen, inwiefern die Digitalisierung nicht nur den von Walter Benjamin (1892-1940) diagnostizierten "Verlust der Aura" der Kunstwerke "im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit" und somit den Begriff des Originals hinfällig macht, sondern die Manipulationsmöglichkeiten so leicht macht, daß vordergründige Kopien als Originale ausgegeben werden (Benjamin 1977). Mit anderen Worten, wir hätten dann mit dem umgekehrten Vorgang als den von Benjamin beschriebenen zu tun: Jeder (scheinbare) token behauptet ein type zu sein. Auch hier verschärfen sich natürlich die Fragen nach dem Schutz des geistigen Eigentums.

    Wie Lutz Herrschaft bemerkt, bleibt bei dieser Bestimmung des Informationsbegriffs offen, "inwiefern man sinnvoll sagen kann, "Information" (oder "Informativität") sei ein "Attribut" oder eine "Qualität" physischer Objekte" (Herrschaft 1996, S. 175). Information ist vielmehr, auch im Falle ihrer Verdinglichung, wie Herrschaft in Anschluß an Erhard Oeser bemerkt, ein "Metaprädikat", d.h. etwas, was nicht den Dingen selbst anhaftet, sondern unser Wissen von den Dingen und unser praktisches Verhältnis zu ihnen angeht (Oeser 1976). Dieses Problem wird von den Vertreten des "kognitiven Paradigmas" aufgegriffen.
     

    3.1.4 Was ist der Gegenstand der Informationswissenschaft?

    Die Informationswissenschaft hat für Buckland zwei Dimensionen eine technische und eine soziale. Er schreibt: 
     
      "We can and should be scholarly in all we do, but we can be "scientific" (formal, quantitative) only in limited areas within our sphere of interest. I have found it helpful think in terms of LIS as having two foundations: The technical side, which is what everyone expects whenever one refers to "information systems;" and a human and social side. Any school that does not build and respect both sides cannot address the whole. The range of our interests, dealing as it does with very varied interactions between human beings and documents (broadly understood) entails wide-ranging examinations of human behavior in relation to technology, society, and knowledge. We have to draw not only on formal ("scientific") techniques (algorithms, mathematical and statistical tools), but also social sciences (cultural anthropology, policy analysis, management and leadership), and humanistic (rhetoric, the art of persuasion; semantics, the study of meaning; epistemology, the investigation of knowledge itself). One of the enduring misteries of LIS education is why, considering our necessary concerns with representation, meaning, knowledge, and understanding, the role of humanities disciplines, notably linguistics, philosophy, and rhetoric, is so widely overlooked." 
      (M. Buckland: The Academic Heritage of Library and Information Science: Resources and  Opportunities, 2000)
     
     

    3.2 Das kognitivistische Paradigma

     
    3.2.1 Was ist der Gegenstand der Informationswissenschaft? 
    3.2.2 Wie läßt sich der Informationsbegriff im Kontext der Informationswissenschaft eingrenzen? 3.2.3 Die Informationswissenschaft als kognitive Wissenschaft  
     

    3.2.1 Was ist der Gegenstand der Informationswissenschaft?

    Peter Ingwersens Ansatz geht auf Vorarbeiten von A. Debons, B.C. Brookes, J. Shera, M. Kochen und N. Belkin zurück. Debons prägte den Ausdruck informatology. Brookes entwickelte eine kognitive Sicht der Informationswissenschaft. Er bezog sich dabei auf den Philosophen Karl Popper, der in seiner Spätphilosophie von "drei Welten" sprach, nämlich der "physischen Welt" (Welt 1), der "mentalen Welt" (Welt 2) und einer "dritten Welt" des "objektiven Wissens" (objective knowledge) (Capurro 1986, S. 88 ff). Shera suchte nach einer sozialwissenschaftlichen Fundierung der Bibliothekswissenschaft. Kochen betonte, daß die Bibliotheks- und Informationswissenschaft sich nicht auf die Analyse der Prozesse von Wissensträgern einschränken, sondern daß sie Begriffe wie Information, Wissen und Verstehen in den Mittelpunkt stellen sollte. Belkin faßt den Kern der Informationswissenschaft in fünf Punkten zusammen: 

    1. Information betrifft menschliche kognitive Kommunikationsprozesse 
    2. Die Idee der gewünschten Information (desired Information) 
    3.Die Effektivität von Information, Informationssystemen und Informationsvermittlung (information transfer) 
    4. Das Verhältnis zwischen Information und ihrem Hersteller (generator) 
    5. Das Verhältnis zwischen Information und Nutzer (Ingwersen 1995, S. 143-144). 

    Ingwersen vertieft und erweitert diesen Ansatz wie folgt:  
     

     
    Das erste Element bezieht sich auf die verschiedenen Formen von Informationsvermittlung in verschiedenen Gruppen einer Gesellschaft, wie zum Beispiel innerhalb der scientific community, in einer öffentlichen Bibliothek oder in anderen Umgebungen. Mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Methoden werden hier verschiedene Kommunikationsformen empirisch untersucht. 

    Das zweite Element beschäftigt sich mit der Natur der gewünschten Information. Man versucht, den Informationsbedarf und die verschiedenen ihm zugrundeliegenden (kulturellen, kognitiven, affektiven usw.) Interessen zu ermitteln. 

    Das dritte Element hat mit dem Problem der Effektivität von Informationssystemen beim Informationstransfer zu tun. Man beschäftigt sich hier mit dem Management des Transfers zwischen Nutzern und Informationsträgern, um zum Beispiel den Zugang zu den Beständen einer Bibliothek für ihre Nutzer zu optimieren. 

    Das vierte Element beschäftigt sich mit Analyse und Darstellung von Wissen in Informationssystemen. In den Anfängen waren es vor allem textuelle Formen. Die Erschließungsmethoden (Klassifikation, Indexierung, abstracting) stammten aus alten bibliothekarischen Traditionen. Man analysierte, ferner, durch quantitative Methoden die Wissensproduktion in bezug auf bestimmte Wissensträger sowie auf Worthäufigkeiten und fand bestimmte bibliometrische Konstanten (oder "Gesetze") heraus (S.C. Bradford, A.J. Lotka, G.K. Zipf). Mit Hilfe dieser Gesetze wurden dann die Retrieval-Methoden verbessert. 

    Das fünfte Element schließlich richtet die Aufmerksamkeit der Informationswissenschaft auf die Frage nach Relevanz, Nutzung und (Mehr-)Wert von Information aus der Sicht des Nutzers. Erste Ansätze dafür wurden in England in den 60er Jahren (Cranfield experiments) (Ellis 1991) in Zusammenhang mit der Relevanz von Retrieval-Techniken gemacht, ohne aber die Nutzer direkt zu beteiligen. Es wurden Parameter für die Messung der Effektivität von IR-Systemen (IR = information retrieval) - wie die bereits erwähnten recall/precision-Parameter - entwickelt 

      (Ingwersen 1995, S. 144 und Ingwersen 1992, S. 15 ff.).
     
     
     
     

    3.2.2 Wie läßt sich der Informationsbegriff im Kontext der Informationswissenschaft eingrenzen?

    Was versteht aber Ingwersen genau unter Information im Kontext der Informationswissenschaft? Er sucht eine Eingrenzung dieses Begriffs, die ihm erlaubt, diese fünf Elemente zu berücksichtigen. Er ist sich ferner bewußt, daß die Art und Weise, wie die Informationswissenschaft Information analysiert, nicht die einzige ist, denn zum Beispiel auch die Linguistik, die Pädagogik, die Informatik und die Psychologie beschäftigen sich damit. Schließlich möchte er keineswegs die Frage nach dem medialen Träger von Information und das damit zusammenhängende Problem der Konservierung und Tradierung dieser Träger (und ihrer Inhalte!) außer acht lassen. Diese Frage spielt bekanntlich eine herausragende praktische Rolle in Bibliotheken und Archiven und sie stellt sich heute dringender denn je, nämlich in Zusammenhang mit der Digitalisierung und den neuen Medien.   

    Besondere Aufmerksamkeit richtet Ingwesen auf die Frage nach der gewünschten Information (desired information) und auf das damit zusammenhängende Problem der Relevanz. Der Wunsch  nach Information hat, so Ingwersen mit Hinweis auf Claude Shannon, mit Ungewißheit zu tun. Der deutsche Informationswissenschaftler Gernot Wersig hatte in den frühen 70er Jahren Information als Reduktion von Ungewißheit aufgrund von Kommunikationsprozessen definiert (Wersig 1971; Capurro 1976, S. 234ff). Wersig legt aber, so Ingwersen, den Schwerpunkt auf den Empfänger der Information, anstatt alle Komponenten des Kommunikationsprozesses zu berücksichtigen (Ingwersen 1992, s. 27).   

    Ingwersen knüpft an den von Wersig eingeführten Begriff der "problematischen Situation" sowie an Nicholas Belkins Konzept des anomalous state of knowledge (ASK) ("anomaler Wissenszustand") an, wobei unter "anomal" so etwas wie "außerhalb des Gewöhnlichen" oder "nicht der Norm entsprechend", jedenfalls eine unbefriedigende Situation verstanden wird, woraus der Wunsch nach Information entsteht. Ferner bezieht er sich auf Fritz Machlups Auffassung, daß es sich beim Informationsprozeß um einen kognitiven Prozeß handelt, bei dem ein Informationserzeuger (generator) einen Einfluß auf den Empfänger ausübt, und zwar aufgrund einer sinntragenden Botschaft (a meaningful message) (Machlup 1983). 

    Nach Belkin sprechen wir von Information eines Textes, wenn der Erzeuger ihn aufgrund des "anomalen Wissenszustandes" des Empfängers verändert. Diese Auffassung trägt, so Ingwersen, der Rolle des Informationswunsches (desired information) Rechnung. Für Ingwersen ist aber fraglich, ob zum Beispiel Texte immer in Zusammenhang mit einer genauen Kenntnis des "anomalen Wissenszustandes" des Empfängers modifiziert werden. Ein Informationserzeuger kann stattdessen eine ungefähre Kenntnis des "anomalen" Wissenszustandes seiner potentiellen Leser haben. Anstatt von "Anomalie" zieht Ingwersen die Rede von Ungewißheit, Unvollständigkeit oder Nicht-Adäquatheit vor. Er bejaht auch die Möglichkeit einer allgemeinen oder ungefähren Kenntnis der Wissensstruktur zum Beispiel einer Gruppe von Informationsempfängern.

    Grundlegend für Ingwersen ist die Einsicht, daß Informationsprozesse - gleich ob bei Menschen oder Maschinen - durch ein System von Kategorien oder Begriffen vermittelt werden, die ein Weltmodell darstellen. Dies steht in Zusammenhang mit der kybernetischen Auffassung von Information, wonach Information erst in Zusammenhang mit der Veränderung der Systemstruktur stattfindet. Information, so Ingwersen in Anschluß an Brookes und Belkin, ist das, was eine subjektive oder verobjektivierte Wissensstruktur modifiziert (Ingwersen 1992, S. 31). Eine wichtige Schlußfolgerung ist die, daß dieselbe Information unterschiedliche informationelle Auswirkungen haben kann, je nach Wissensstruktur. Ingwersens Terminologie ist hier ungenau. Er spricht später von data.  Entscheidend ist aber, daß eine Veränderung des Wissenszustandes stattfindet.

    Aus der Sicht des Empfängers ist Information potentielles Wissen. Für den Informationserzeuger sind die Empfänger auch potentielle Empfänger. Nicht wahrgenommene Informationen bleiben Daten (data) für den Empfänger, der sie nicht wahrnimmt und potentielle Informationen für andere mögliche Empfänger. Im Falle eines maschinellen Systems, können wir metaphorisch von Information sprechen, sofern sie nämlich kognitive Strukturen eines menschlichen designers enthalten. 

    Ingwersen faßt die Eigenschaften seines informationswissenschaftlichen Informationsbegriffs folgendermaßen zusammen:
     

       
      Information ist das Ergebnis einer Veränderung in den Wissensstrukturen des Empfängers aufgrund eines Modells des Wissenszustandes des Erzeugers und im Medium von Zeichen.
      (Ingwersen 1992, S. 33) 
       
     

    Mit anderen Worten, Information im Kontext der Informationswissenschaft hat mit menschlicher Kommunikation zu tun, und zwar sofern diese aufgrund dokumentierter potentieller Information (recorded potential information) stattfindet. Die Informationswissenschaft bewegt sich stets auf einer semantischen und pragmatischen Ebene. Sie untersucht im Medium der Sprache die Art und Weise wie diese Prozesse der Wissensänderung stattfinden. Die Analyse kann z.B. auf der Basis von Äußerungen von Benutzern stattfinden oder auch aufgrund der Beobachtung ihres Verhaltens. Dabei sind Informationssysteme und ihre Komponenten - z.B. eine Klassifikation - potentielle Informationen in bezug auf ihre Auswirkung auf die Benutzer. Der Wunsch nach Information läßt sich auf unterschiedlicher Weise durch einen Vermittlungsmechanismus darstellen.
     

    3.2.3 Die Informationswissenschaft als kognitive Wissenschaft

    Die Informationswissenschaft ist eine kognitive Wissenschaft, d.h. sie beschäftigt sich mit Wissen und Wissensveränderungen aufgrund von Informationsprozessen und dabei insbesondere:  
    mit Informationssuche (information seeking) 
    mit dem Design von Information-Retrievalsystemen (IR systems design) 
    mit Interaktions- und Navigationsmechanismen (IR = information retrieval) 
    mit Analyse und Bewertung der Wirkung von Informationssystemen auf die Nutzer (information management 
    mit der Messung der Wirkung von Information auf die Gesellschaft (informetrics) 

    Die Analyse der Suche nach Information (information seeking) stellt für Ingwersen den Kern der Informationswissenschaft dar. Mit anderen Worten, erst wenn wir wissen, welche Information z.B. eine bestimmte Gruppe von Menschen sucht oder wünscht, können wir daran gehen und die passenden Informationssysteme entwerfen, Interaktionsmechanismen gestalten, ihre Auswirkungen untersuchen usw.   

    Ingwersen trennt sich hiermit kritisch von der physikalistischen Tradition der Informationswissenschaft, die, unter dem Einfluß der Shannonschen Informationstheorie, nicht nur die semantische Dimension ausklammerte, sondern davon ausging, daß Dokumente "Informationen enthalten", die dann mit Hilfe maschineller Methoden "gemessen" werden können, worauf wir in der Einleitung zu diesem Modul (Cranfield-Experimente) hingewiesen haben. Er distanziert sich auch von der rationalistischen Tradition, sofern diese nur die linguistische Dimension berücksichtigte, den Erkenntnisprozeß selbst aber und somit den kognitiven Standpunkt unbeachtet ließ (Ingwersen 1995, S. 160). Ingwersens Ansatz steht hiermit in der Nachbarschaft einer hermeneutischen Sichtweise von Information und Informationswissenschaft, worauf wir im vierten Abschnitt eingehen werden. 

    Zur Vertiefung: 
    P. Ingwersen: Cognitive Information Retrieval. In: Williams, Martha E. (ed.): Annual Review of Information Science and Technology (ARIST), published on behalf of the ASIS (American Society for Information Science), Information Today Inc., Medford, N.J., Vol. 34 (1999) 
     
     

    3.3 "Cybersemiotics" 

    3.3.1 Kybernetik und Semiotik 
    3.3.2 Konsequenzen für die Informationswissenschaft 

    3.3.1 Kybernetik und Semiotik

    Søren Brier knüpft an den kognitivistischen Ansatz von Belkin und Ingwersen an. Er tut aber dies aus der Sicht der Kybernetik zweiter Ordnung sowie der Semiotik von Ch. S. Peirce (Brier 1996). Mit Ingwersen teilt er die Ansicht, daß im Mittelpunkt der Informationswissenschaft die Frage nach dem "intellektuellen Zugang" (intellectual access) zur Information steht, im Gegensatz zu der Frage nach dem "physischen Zugang" (physical access) zu Dokumenten (Brier 1996, S. 301). Die Frage nach dem "intellektuellen Zugang" betrifft das Problem von Umfang und Relevanz sowie auch des Zugangs zu Informationen im richtigen Augenblick und am richtigem Ort. 

    Brier hat einen zugleich kybernetischen und semiotischen Ansatz - daher der Ausdruck cybersemiotics - in Auseinandersetzung mit drei informationswissenschaftichen Paradigmen (Griech. paradeigma = Beispiel, Vorbild) oder Modellen entwickelt, nämlich: 
     

    • dem Modell der Dokumentenvermittlung: Dieses Modell, das älteste von allen drei, wird zum Beispiel durch Bucklands Unterscheidung von Information im vierfachen Sinne von "information-as-knowledge", "information-as-process", "information-as-thing" und "information processing" begründet. Etwas - im Prinzip jedes Ding - wird zur Information, wenn es zum Teil eines Erkenntnis- und Wissensprozesses wird. Die Informationswissenschaft stellt, aus dieser Sicht, die Träger potentieller Information, die "Informationsdinge" also, in den Mittelpunkt. Sie beschäftigt sich mit dem Design von Informationssystemen im Sinne der Beschaffung, Erschließung, Speicherung und Wiedergewinnung von Dokumenten, die für unterschiedliche "Konsumentengruppen" (consumers) erstellt werden. Bibliothekare, Archivare und Dokumentare tun dies seit Tausenden von Jahren.
     
    • dem Modell der Informationsverarbeitung: Mit dem Einsatz des Computers verschob sich das Interesse der Informationswissenschaft zu der Frage, inwiefern "kognitive Prozesse" auch in einer Maschine ablaufen können. Dieses Modell wurde sowohl durch die Shannonsche Informationstheorie als auch durch die Kybernetik Norbert Wieners (Kybernetik erster Ordnung) wesentlich beeinflußt. Einige seiner Annahmen waren zum Beispiel: Es besteht keine wesentliche Unterscheidung zwischen Kognition bei Menschen und Maschinen; logisches Denken hat Vorrang gegenüber Intuition und Emotion; Erkenntnisprozesse verlaufen linear; Lernen basiert auf Regeln und Prinzipien; Sprache ist ein formaler Mechanismus, der einer Maschine übertragen werden kann; der Leib spielt bei Erkenntnisprozessen eine untergeordnete Rolle; das Gehirn funktioniert wie ein Computer; es gibt eine im Gehirn "gespeicherte" semantische Struktur; die kulturelle und historische Entwicklung des Menschen spielt in bezug auf Erkenntnis eine untergeordnete Rolle; die Sprache gibt eine objektive Außenwelt wieder. Dieses Modell gab Anlaß zu den Kontroversen um die "Künstliche Intelligenz" in den 70er Jahren. Der Versuch, dieses Modell als Paradigma der Informationswissenschaft einzuführen, scheiterte aber aus zwei Gründen: 1) Er vernachläßigte die schließlich für Dokumentare und Bibliothekare wichtige Frage nach der semantischen Vermittlung vom in Dokumenten gespeicherten Wissen und 2) er berücksichtigte nicht die sozialen und kulturellen Aspekte der Dokumentenvermittlung. Dieses Modell basierte auf einem "objektiven Informationsbegriff" (objective concept of information), der die menschliche Kommunikationssituation außer Acht ließ.
     
    • dem kognitiven Modell: Fritz Machlup kritisierte das Modell der Informationsverarbeitung und schränkte dabei den Informationsbegriff auf menschliche Erkenntnisprozesse ein (Machlup 1983, S. 641-671). Auf Machlups Kritik folgten dann die kognitiven Modelle von Belkin und Ingwersen, in deren Mittelpunkt die Frage nach der Interpretation von dokumentarisch vermittelten Bedeutungen stand. Brier will gegenüber Machlup und in Anschluß an die Kybernetik zweiter Ordnung, den Informationsbegriff auf alle lebenden ("autopoietischen") Systeme ausdehnen (Brier 1996, S. 315). Ferner kritisiert er die individualistische Tendenz des kognitiven Modells. Seiner Meinung nach, bindet diese Theorie die Kognition an das erkennende Individuum an, wenngleich sie auch die Frage der sozialen Praktiken nicht ausklammert. Ferner möchte Brier die Informationswissenschaft in den Rahmen einer Zeichentheorie (Semiotik) stellen. Dies soll  zum einen erlauben, zu zeigen, wie Zeichen Bedeutung aufgrund von Kommunikationsprozessen bekommen und, zum anderen, von Informationsprozessen auf physikalischer, biologischer, psychologischer und sozialer Ebenen zu sprechen, ohne diese Ebenen - und somit die Begriffe Information und Kommunikation - über einen Kamm zu scheren.
     

    Somit knüpft Brier an die Kybernetik zweiter Ordnung von Gregory Bateson, Heinz von Förster, Humberto Maturana, Francisco Varela und Niklas Luhmann an. Ferner bezieht er sich auf die Semiotik des amerikanischen Pragmatisten Charles S. Peirce (1839-1914). 

    Für Peirce haben Zeichen eine triadische Struktur: Sie beziehen sich auf etwas und brauchen zugleich einen Interpreten (interpretant), der den Zusammenhang dieser Zeichen zu einer kulturellen Zeichenganzheit herstellt. Ein Zeichen steht für ein Objekt in einer bestimmten Sicht. Diese Sicht bestimmt, welche Differenz eine Differenz für den Interpreten ausmacht. Diese Sicht kann zum Beispiel das Ziel einer (wissenschaftlichen) Untersuchung sein. Peirce faßt diese Zusammenhänge zwischen Zeichen, Gegenstand und Interpreten im Sinne eines Prozesses auf (Brier 1996, S. 328).  

    So wie also das Objekt in einer triadischen Semiotik nicht das Objekt "an sich", sondern die Sicht eines Objektes meint, so ist auch unter dem "Interpreten" (interpretant) nicht eine Person (interpreter), sondern die Auslegung des Zeichen in einem bestimmten Kontext gemeint. Was Zeichen in einer Triade ist, kann wiederum Gegenstand in einer anderen Triade werden. Diese Art von Semiotik läßt sich nahtlos mit einer Kybernetik zweiter Ordnung verbinden, wonach Bedeutung erst in Zusammenhang mit einem autopoietischen oder sich selbst organisierenden System entsteht.   
     

    3.3.2  Konsequenzen für die Informationswissenschaft

    Für Brier ergeben sich hier unmittelbare Konsequenzen für informationswissenschaftliche Fragen. Wenn wir zum Beispiel nach der Bedeutung eines Schlagwortes oder eines Deskriptors (index term) fragen, dann wird aus diesem Zeichen ein Gegenstand, worauf wir mit unseren Fragen hinweisen. Der Nutzer, der sich in der Rolle eines Interpreten befindet, kann wiederum Gegenstand einer Nutzeranalyse werden usw. Mit anderen Worten, Zeichen existieren nie isoliert, sondern sie sind immer in ein semiotisches Netz (semiotic net) eingebettet. 

    Brier sieht hier Parallelen zum hermeneutischen Begriff des Interpretationshorizontes, worauf wir noch eingehen werden. Der semiotische Interpretationsprozeß ist im Prinzip unendlich. Peirce spricht von einer "unendlichen Semiose" (unlimited semiosis). Es ist dieser Prozeß, so Brier, und nicht die mögliche lexikalische Fixierung - zum Beispiel in Form von Klassifikationen oder Thesauri -, der die Bedeutung von Zeichen möglich macht. Brier zieht in Anschluß an D.C. Blair eine andere wichtige Konsequenz für die Informationswissenschaft, nämlich, daß es keine notwendige und vollständige Darstellung oder Wiedergabe eines Textes, etwa in Form einer Kurzfassung, gibt. Auch der Volltext stellt eine Auswahl der möglichen Inhalte oder Perspektiven dar. Das entscheidende Beurteilungskriterium für die Qualität von Informationen ist nicht die "Korrektheit" (correctness), sondern die "Adäquatheit" (appropriatness) (Blair 1990). 

    Wir stehen hier in der Tradition des amerikanischen Pragmatismus und, so Brier, auch in der Nachfolge von Ludwig Wittgensteins (1889-1951) "Sprachspielen" und "Lebensformen" als Rahmen für die Ermittlung von Wortbedeutungen. Brier sieht von hier aus die Möglichkeit einer dynamischen und sozial-orientierten Analyse von Wissensstrukturen in Zusammenhang mit Fachgebieten oder Berufsgruppen, sofern diese nämlich durch das Streben nach Stabilität ihrer Grundbegriffe und -interessen andere Aspekte unterschlagen oder vernachlässigen. Die Bezüge dieses Ansatzes zu den wissenschaftstheoretischen Ansichten des amerikanischen Wissenschaftshistorikers Thomas S. Kuhn sowie zur hermeneutischen Theorie des Vorverständnisses werden hier auch explizit erwähnt. 

    Welche Auswirkungen hat die Cybersemiotics auf die Auffassung von Information? Brier schlägt folgende Veränderungen in der von Buckland vorgelegten Matrix vor:   
      


    INTANGIBLE
    TANGIBLE
    ENTITY Knowledge structures, 'horizons' and 'interpretants', creating self organised meaning (private and mental but part of 'the semiotic web'  
     
    Documents (intersubjective materially recorded, intentional signs (potential information)  
      
      
     
    PROCESS Cognition (meaningful interpretation of inner and outer signs: semiosis, generating private self-organised participation in social actualised knowledge in 'the semiotic web'  
      
     
    Mechanical information processing: syntactic, algorithmic, mechanical manipulation of primary signs (representamens) as signals  
      
     
     
    Vier Arten von Information nach Brier (in Anschluß an Buckland) (Brier 1996, S. 334) 
    Die "nicht-physikalischen" Aspekte der Information betreffen also jetzt interpretatorische Prozesse und deren Ergebnisse. Die "physikalisch" faßbaren Dimensionen beziehen sich auf Dokumente sowie auf die Verarbeitung der Zeichen als Signale. Brier betont, daß für Buckland die Arten von Information auf der linken Seite sich "im Kopf" der Leute befinden, so daß nur sie selbst dazu Zugang haben. Ingwersen hatte bereits argumentiert, daß wir unterschiedliche Informationswünsche typifizieren können zum Beispiel aufgrund sozialwissenschaftlicher Analysen von Benutzeraussagen und -verhalten. Auf der rechten Seite der Matrix wird jetzt ausdrücklich festgelegt, daß Dokumente nur potentielle Information enthalten, die eines Interpretationsprozesses innerhalb eines bestimmten Fachgebietes, eines "Horizontes" oder eines "Interesses" bedarf.  

    In Informationsprozeß als ein Interpretationsprozeß, der auf der Basis eines Dokumentes stattfindet, wird qualitativ vom mechanischen Prozeß der Zeichen- oder Signalverarbeitung unterschieden Der von Brier benutzte Ausdruck von "mechanical information processing" ist hier mißverständlich oder nur metaphorisch gemeint. Denn, wie Brier anschließend betont, einen Übergang von der maschinellen zur menschlichen Informationsverarbeitung und somit eine Substitution des Menschen durch eine Maschine ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Während bei klassischen Dokumentationssystemen - zum Beispiel bei Fachdatenbanken - die Interpretationshorizonte im System mit denen der Nutzer weitgehend übereinstimmten, ist dies im Falle einer universalen Vernetzung wie im Internet viel schwieriger zu erreichen.   

    Die Kernfrage der Informationswissenschaft, nämlich die des intellektuellen Zugangs zur Information steht vor neuen Herausforderungen. Brier denkt vor allem an die Notwendigkeit von Nutzerorientierten Informationssystemen, wie wir sie heute zum Beispiel in Form von Intranets entwerfen. Dafür bietet wiederum die Hermeneutik einen möglichen theoretischen Rahmen. 
     

    Zur Vertiefung: 
    1. J. Warner: Semiotics, Information Science, Documents, and Computers. In: Encycllopedia of Library and Information Science Vol. 54, Supplement 17 (1994), 336-351 
    2. P. Ingwersen: Information and Information Science. In: Encyclopedia of Library and Information Science, Vol. 56, Supplument 19 (1995), 166-167. 
    3. A. Ørom: Information Science, Historical Changes and Social Aspects: A Nordic Outlook. In: Journal of Documentation, vol. 56, no. 1, January 2000, 12-26.. 
    3. D.C. Blair: Language and Representation in Information Retrieval. Oxford 1990. 
     
     

    3.4 Informationshermeneutik

     
    3.4.1 Was ist Hermeneutik? 
    3.4.2 Langefors' "informologischer" Ansatz 
    3.4.3 Henrichs semiotisch-hermeneutischer Ansatz 
    3.4.4 Hermeneutik der Fachinformation 
    3.4.5 Der informationswissenschaftliche Relevanzbegriff aus hermeneutischer Sicht 

    3.4.1 Was ist Hermeneutik?

    Meine Untersuchungen zum Informationsbegriff begannen mit einer Analyse seiner etymologischen und ideengeschichtlichen Entwicklung (Capurro 1978). Ich faßte den informationswissenschaftlichen Informationsbegriff in der Einheit von zwei Momenten, nämlich des ontologischen und des erkenntnistheoretischen auf. Sie entsprechen jeweils dem, was Buckland mit "information-as-thing" und Ingwersen mit "kognitiver" Sicht thematisieren. Was ist Information?
    "Information ist das dokumentarisch vorhandene Wissen, sofern dieses dem Benutzer zugänglich bzw. "nützlich" gemacht wird (Information als kommunizierbares Wissen)" (Capurro 1978, S. 293).
    Im Folgenden sollen zunächst einige Hauptgedanken meiner Schrift: "Hermeneutik der Fachinformation" (Freiburg/München 1986) wiedergegeben werden. Am Schluß soll auch auf die aktuelle Diskussion hingewiesen werden. 

    "Die gegenwärtig modernste Methode zur Verarbeitung, Speicherung, Wiederfindung und Verbreitung von (schriftlich) fixierten Fachinformationen, nämlich das "Information Retrieval", wirft eine Reihe von Fragen auf, die in der philosophischen Diskussion unter die Rubrik "Hermeneutik" fallen. 

    Die Hermeneutik befaßt sich mit dem Verstehen und sie hat, bevor sie zu einer allgemeinen bzw. philosophischen Hermeneutik entwickelt wurde, diese Fragen in Zusammenhang mit der Interpretation von "klassischen" Texten (insbesondere theologischen, aber auch literarischen, juristischen usw.) eingehend thematisiert: aus den Fragen, die z.B. die Interpretation von juristischen Texten aufwarf, entwickelte sich eine juristische Hermeneutik usw. Von hier aus ist es verständlich, daß, wann immer die Auseinandersetzung mit dem schriftlich Fixierten im Mittelpunkt steht, eine dem jeweiligen Textinhalt entsprechende Hermeneutik entsteht, wobei es unwichtig ist, ob die behandelten hermeneutischen Fragen ausdrücklich unter diesem namen erörtert werden oder nicht.  

    Sammlung, Auswertung, Verarbeitung, Speicherung, Wiederfindung, Vermittlung und Nutzung von Fachinformationen weisen auf eine lange Geschichte hin, die aber nicht Gegenstand dieser Untersuchungen ist. Unser sogenanntes Informationszeitalter kann u.a. als solches mit Recht gekennzeichnet werden, nicht weil es so etwas wie Information oder Fachinformation in früheren Epochen nicht gab, sondern weil diese Sachverhalte in unserer Zeit besonders frag-würdig geworden sind. Der Verlust an Selbstverständlichkeit ist das Kennzeichen einer hermeneutischen, d.h. interpretationsbedürftigen Situation. Fachinformation als hermeneutische Frage? Das betrifft die Frage nach ihrem Verstehen und unser Selbstverständnis.   

    Wenn heute die Prozesse der Produktion, Vermittlung und Nutzung von Fachinformation sich in einem nicht nur technologischen Umbruch befinden, dann ist das nicht einem "blinden Fortschritt" zuzuschreiben (obwohl es in diesem Bereich an "Fortschrittsgläubigkeit" nicht mangelt), sondern einer (vermutlich sich lange anbahnenden) Änderung des Verhältnisses des Menschen zu diesem Sachverhalt. Worauf diese Änderung zurückzuführen ist, ist eine weitere hier nicht zu erörternde Frage. Worin diese Änderung besteht, sofern sie heute mit dem Begriff der Fachinformation zum Ausdruck kommt, kann vielleicht im Laufe der folgenden Untersuchungen deutlicher werden. In diesem Falle könnten wir auch mit der Fragwürdigkeit unseres Bezuges zur Sprache als Information besser fertig werden. Die Ausarbeitung dieses Bezuges seitens einer Hermeneutik der Fachinformation versteht sich als ein Beitrag dazu." (Capurro 1986, 9-10) 

    Die erste Entwürfe einer Informationshermeneutik wurden in den 70er Jahren vom schwedischen Informatiker B. Langefors sowie von den deutschen Informationswissenschaftlern und Philosophen Alwin Diemer und Norbert Henrichs ausgearbeitet. 
     

    3.4.2 Langefors' "informologischer" Ansatz 

    "Zwei Grundfragen stellen sich, nach Langefors, in Zusammenhang mit dem Aufbau von Informationssystemen:  

    1) welche Information soll das System erbringen, die den Bedürfnissen der Benutzer entspricht? (das "infological problem"),  
    2) wie soll das System im Hinblick auf die Nutzung moderner Datenverarbeitungstechnologie strukturiert werden? (das "datalogical problem").  

    Dieser Fragestellung liegt der Unterschied zwischen Information im Sinne von Wissen ("knowledge") und Daten im Sinne von physikalischen Symbolen ("physical symbols") zugrunde. Im ersten Falle bewegen wir uns auf der "infologischen" im zweiten auf der "datalogischen" Ebene. Es geht, mit anderen Worten, um den Unterschied zwischen Daten, die vom Computer verarbeitet werden, und Informationen, die erst durch die begrifflichen Vorstellungen bzw. durch die (Vor-)Verständnisse der Benutzer ("conceptions of the users") konstituiert werden. Langefors spricht auch von "Referenzrahmen" ("frames of reference"), wobei der allgemeine Bezug individueller Referenzrahmen die gemeinsame Wirklichkeit ist." (S. 50-51)

    "Die Hermeneutik, schreibt Langefors, beschäftigt sich mit dem Verstehen ("understanding") von Texten, Mitmenschen und dem eigenen In-der-Welt-sein. Demnach ist die Frage, welche spezifischen Daten Information für eine bestimmte Gruppe von Menschen darstellen können bzw. welche Daten uns über bestimmte Phänomene informieren, eine echte hermeneutische Frage. Sie schließt auch die Frage, wie diese Phänomene wahrgenommen und verstanden werden können, ein. Der infologisch-hermeneutische Ansatz gründet in der Ansicht, daß die Information I nicht bloß durch Daten, sondern auch durch die kognitive bzw. semantische Struktur S konstituiert wird. Dazu gehört ferner auch die Zeit t, die notwendig ist, um die Daten zu empfangen bzw. zu interpretieren. Demnach ist 

    I = i (D, S, T)
    wobei i der Verstehensprozeß ist.  
    Daraus folgt, daß Daten noch keine Informationen sind und daß nicht jede Information jedem verstehenden Subjekt vermittelt werden kann. Texte "enthalten" also keine Informationen, sondern können einen Informationsprozeß in Gang setzen, wenn eine "empfangende Struktur" da ist." (Capurro 1986,  51-52)  
     

    3.4.3 Henrichs' semiotisch-hermeneutischer Ansatz 

    "Methodisch geht Norbert Henrichs zunächst von einem eingeschränkten Wissensbegriff, nämlich von "Wissen im objektivierten Sinne", aus. Objektiviertes Wissen ist durch zwei Momente gekennzeichnet: Darstellung bzw. (schriftliche) Fixierung und Systematisierung bzw. Kontextualisierung. Daraus ergibt sich die Möglichkeit der öffentlichen Zugänglichkeit und Verfügbarkeit, die, wenn auch nicht immer faktisch, doch prinzipiell gewährleistet ist. Dieser Wissensbegriff ist aber insofern eine Abstraktion, so Henrichs, als hier der Mensch ausgeklammert ist. Wenn wir die Intersubjektivität berücksichtigen, sprechen wir von Information bzw. vom objektivierten Wissen als potentieller Information. Die Organisation der Informationsvermittlung bildet der Gegenstand der Informationswissenschaft." (Capurro 1986, 62) 

    "Hermeneutisch betrachtet stellt sich die Frage, wie "die vom Vorverständnis des Benutzers diktierte Frageformulierung in die Sprache des Thesaurus zu transformieren" ist. Dabei geht es u.a. um die Möglichkeiten und Grenzen von Thesauri für die Suche im Dialog-Retrieval-Systemen mit der damit zusammenhängenden Frage der Relevanz des Retrieval-Ergebnisses." (Capurro 1986, 63)  
     

    3.4.4 Hermeneutik der Fachinformation

    Mitte der 80er Jahre beschäftigte ich mich mit der Bedeutung der Theorie von Interpretationsprozessen oder Hermeneutik für die Wiedergewinnung von elektronisch-gespeicherten Fachinformationen in Anschluß an Ansätze von Alwin Diemer und Norbert Henrichs (Capurro 1986). In den Geisteswissenschaften hat die Hermeneutik (Griech. hermeneuein = verkünden, dolmetschen, auslegen, interpretieren) eine lange Tradition. In diesem Jahrhundert wurde sie durch Hans-Georg Gadamer (1900-) in Anschluß an Martin Heidegger  (1889-1976)  zu einer philosophischen Disziplin entwickelt (Gadamer 1975). Der Schweizer Psychiater Medard Boss (1903-1990) zog daraus Schlüsse für eine Grundlegung des  Menschenbildes im medizinischen und psychologischen Bereich und wurde zum Begründer der Daseinsanalyse (Boss 1975). 

    Ich entwickelte auf dieser Basis eine "Hermeneutik der Fachinformation" (Capurro 1986) und  nahm dabei zunächst gegenüber drei Auffassungen von Information kritisch Stellung: 

    • Information bildet etwas in der Realität ab.
    • Information ist etwas, was zwischen einem Sender und einem Empfänger übermittelt wird.
    • Information ist etwas, was unabhängig vom Erkennen existiert. 

    Die erste These findet sich mit unterschiedlichen Varianten in klassischen realistischen Erkenntnis- und Wissenstheorien aber auch in der Auffassung des Dialektischen Materialismus, wonach Information die Wirklichkeit widerspiegelt. Die zweite These ist die von den Kognitivisten kritisierte Vorstellung von Information als etwas, was unabhängig von einem menschlichen Erkenntnisprozeß etwa zwischen zwei Maschinen sich vollziehen kann. Die dritte These schließlich gibt die von Buckland vertretene Auffassung von "information-as-thing" wieder. Meine Kritik stimmt mit der von Ingwersen überein, daß wir dabei nur von "potentieller Information" sprechen können. 

    Meine Untersuchung ging von der Einsicht in die zunehmende soziale Bedeutung der wissenschaftlich-technischen Information in einer modernen Gesellschaft aus. Der Prozeß der fachorientierten Wissensmitteilung stand Anfang der 80er Jahre unter dem entscheidenden Einfluß des Computers. Die wissenschaftliche computergestützte Kommunikation lieferte das Modell für unsere heutige Informations- und Wissensgesellschaft. Der Ausdruck Fachinformation, der sich zunächst auf naturwissenschaftliche Gebiete bezog, wurde immer mehr ausgedehnt, je mehr Datenbanken aus den unterschiedlichsten Gebieten produziert und online angeboten wurden. Bereits das IuD-Programm der Bundesregierung 1974-1977 hatte als Ziel die Abdeckung aller Wissensgebiete (BMFT 1975). Der Wissenschaftstheoretiker Helmut Spinner hat für einen umfassenden Wissensbegriff die Formel von Wissen "aller Arten, in jeder Menge, Güte und Zusammensetzung" geprägt (Spinner 1998, S. 104).

    Zugleich stellte sich immer dringender die Frage nach Erschließungs- und Suchmethoden - die notwendigerweise Interpretationsvorgänge sind - für die im Computer gespeicherten Fachinformationen. Es lag auf der Hand die durch die Informationswissenschaft aufgeworfenen Fragen des information retrieval aus der Sicht einer allgemeinen Theorie der Interpretation zu analysieren. Eine solche Theorie unter dem Titel Hermeneutik lag zwar, mit einer langen Vorgeschichte, vor, sie hatte aber keinen Bezug zu den computertechnischen Problemen. Andererseits fehlte meines Erachtens der informationswissenschaftlichen Analyse eine philosophisch-anthropologische und insbesondere eine darin gründende hermeneutische Grundlage.  

    Auf der Basis hermeneutischer Einsichten lassen sich folgende Aspekte menschlichen Verstehens ausarbeiten:   
     
     
     
      Das Miteinandersein des Menschen in einer gemeinsamen Welt: Diese scheinbar triviale Einsicht, stellt eine individualistische Auffassung des Menschen und seines Erkenntnisprozesses in Frage, wie sie etwa Brier gegenüber Ingwersen geltend macht. Der Kommunikationsprozeß ist kein Austausch von sich in isolierten Gehirnen befindenden mentalen Abbildern der Außenwelt, sondern wir teilen mit den anderen Menschen eine gemeinsame Welt oder eine "Offenheit", in der wir dann die uns begegnenden Dinge so oder so, d.h. auf unterschiedliche Weise verstehen.

      Der Grundzug der Mitteilung: Diese "Offenheit" ist nicht nur raum-zeitlich zu verstehen, sondern sie bedeutet auch, daß die Art und Weise wie wir für die Welt und die anderen Menschen und Dinge "offen" sind, auf einem immer schon kulturell und geschichtlich entstandenen Verständnis gründet. Die Erziehung eines Kindes, zum Beispiel, besteht zunächst darin, es mit einem solchen vorgegebenen Vorverständnis vertraut zu machen, was durch das Erlernen der Muttersprache wesentlich geprägt wird. Was wir uns mitteilen, ist also zunächst das, was wir immer schon durch sozio-kulturelle Traditionen "mit-teilen" oder "mit-den-anderen-teilen". Information ist also, gemäß der alltäglichen Bedeutung dieses Wortes, Mitteilung von Bedeutungen oder von Sichtweisen über die uns gemeinsam ansprechenden Dinge. Dies findet aber - und das unterscheidet eine gewöhnliche von einer hermeneutischen Sicht von Information - auf der Grundlage eines Vorverständnisses statt. (...) Kurz, Denken bedeutet immer Denken-mit-anderen. Erst wenn eine gemeinsame Basis gegeben ist, kann ein Sender einem Empfänger eine Nachricht übermitteln.

      Der Praxis-Bezug und das Fragen: Die Heidegger-Schülerin Hannah Arendt (1906-1975) hatte in ihrem von Heidegger inspirierten Buch Vita activa die Bedeutung der Praxis als grundlegende Verhaltensweise des Menschen hervorgehoben (Arendt 1983). Die vom Menschen "mit-geteilte" Welt ist ein "Bezugsgewebe" unserer tätigen Auseinandersetzung mit den anderen Menschen sowie mit den Dingen. Die dabei entstehenden Bezüge bilden das, was "zwischen" uns ist, unsere "Inter-essen". Aus diesem praktischen Verständnis des Menschen - das, wenngleich in unterschiedlicher Absicht, von Charles S. Peirce und Ludwig Wittgenstein hervorgehoben wird - erwächst das Fragen und insbesondere das wissenschaftliche Fragen. Letzteres dadurch, daß wir von bestimmten "Interessen" absehen und die Dinge innerhalb eines "theoretischen" Rahmens befragen. Dieser Rahmen ist wiederum nicht absolut, sondern hat notwendigerweise eine bestimmte Ausrichtung oder einen Horizont, innerhalb dessen bestimmte Sichten der Dinge zum Vorschein kommen können, andere aber verborgen bleiben. Wir haben keine Möglichkeit, diese Bedingtheit eines Horizonts- oder Verstehensentwurfs zu entgehen. Die Geschichte der Wissenschaft ist eben eine Geschichte des Fragwürdigwerdens von scheinbar feststehenden "Horizonten" oder Theorien. Der Wissenschaftshistoriker Thomas Kuhn spricht von "Paradigmen".
       
       

     

    Der dritte Grundzug schien mir genau auf die von Gernot Wersig und von den Kognitivisten hervorgehobene Bedeutung der "problematischen Situation" oder des "anomalen" Fragezustandes zu treffen. Aufgrund der immer bleibenden Fragwürdigkeit unserer theoretischen und praktischen Entwürfe läßt sich dieser Ansatz auch mit der semiotischen Einsicht in die "unendlichen" Arbeit der Interpretation vereinbaren. 
     
    Wie läßt sich von hier aus Information aus hermeneutischen Sicht auffassen? Ich gab eine Antwort auf diese Frage in bezug auf die Fachinformation. Von Fachinformation und, mutatis mutandis, von Information sprechen wir dann und nur dann, wenn folgende Aspekte zusammentreffen:   
     

    • Die Fachgemeinschaft oder das Miteinandersein der Fachleute in der gemeinsamen Welt: Dies besagt, daß wir nicht zunächst mit einzelnen Nutzern und ihren Informationswünschen zu tun haben, sondern daß jeder Nutzer seine/ihre Wünsche, ob ausdrücklich oder unausdrücklich, immer schon wenngleich nie in identischer Weise aber auch nicht in totaler Verschiedenheit, mit anderen teilt. Individuelle Benutzerwünsche sind also immer soziale Informationsindikatoren.
     
    • Die Fachgebiete oder die fachliche Erschließung der Welt: In der Wissenschaft sind wir gewohnt in Disziplinen oder Fachgebieten zu denken. Das Leben stellt uns aber vor Probleme, die sich nicht innerhalb disziplinärer Grenzen behandeln lassen. Zugleich ist es aber auch so, daß wir deshalb immer mehr in Form von interdisziplinären Fachgebieten denken. Mit anderen Worten, wenn wir ein Problem lösen wollen, suchen wir nach einem passenden Rahmen, innerhalb dessen wir die jeweiligen Fragen behandeln können. Ohne einen solchen Rahmen können wir lediglich Fakten sammeln, und dies verlangt auch letztlich eines Rahmens oder einer Theorie, die uns sagt, was zum Beispiel als ein Faktum zu gelten hat. Die moderne Wissenschaftstheorie hat deshalb mit Recht auf die Theoriebeladenheit menschlicher Erkenntnis hingewiesen. Es gibt keine "nackten Fakten", sondern jede Beobachtung - und umsomehr jede Handlung - findet aufgrund eines vorausgehenden Entwurfs statt. Die Bedeutung eines Wortes ist, so Wittgenstein, abhängig vom Gebrauch innerhalb eines "Sprachspieles". Information gibt es nur auf der Basis eines wie vorläufig und wie durchlässig auch immer vorgegebenen theoretischen und/oder praktischen Rahmens. In der Informationswissenschaft wird diese Problematik der verschiedenen Kontexten in denen Information eingebettet und interpretiert werden kann mit dem Stichwort domain analysis behandelt (Hjorland/Albrechtsen, 1995; Cornelius 1996).
     
    • Die Fachkommunikation oder der fachliche Mitteilungsprozeß: Schließlich sprechen wir von Information oder von Fachinformation, wenn die jeweiligen Bedeutungsgehalte im Rahmen eines mit anderen Menschen "mit-geteilten" Gebietes tatsächlich mitgeteilt werden. Dies kann in der Tat auf der Basis unterschiedlicher Medien stattfinden. Medien stellen aber für sich allein keine Öffentlichkeit her, sondern sie bedürfen stets der beiden anderen Dimensionen, nämlich des Miteinanderseins und des gemeinsamen Frage- und Wunschhorizonts. Gemeinsame Fragehorizonte lassen sich zum Beispiel in Form von Fachterminologien oder einer Klassifikation verobjektivieren und als Grundlage für die Informationssuche einsetzen. So funktionieren zum Beispiel heute die Internet-Suchmaschinen.
     
     

    Information ist ein Prädikat, das wir einer Antwort beimessen, wenn diese in einem explizit mit anderen Erkenntnissubjekten geteilten Rahmen erfolgt. Wir gehen davon aus, dass aufgrund dieses expliziten Vorverständnisses, andere Menschen die Antwort auf die Frage genauso verstehen werden. Dieser explizite Rahmen beruht wiederum auf einem impliziten Vorverständnisses aufgrund dessen wir letztlich an die Wahrheit oder Geltung der Antwort glauben. Dieses Verhältnis zwischem dem impliziten und dem expliziten Vorverständnis ist dynamisch und wiederkehrend. 
     

     

    Zum Informationsbegriff in diesem Kontext gehören, wie Peter Janich in seiner kulturalistischen Auffassung des Informationsbegriffs mit Recht hervorhebt, die Aspekte des Aufforderns, Verstehens und Geltens, sowie, ferner, die der Neuheit und der Relevanz. Nicht alle Formen des Redens sind also Informationen - eine Bitte oder ein Befehl sind keine Informationen - und auch nicht alle Formen von Aussagen, sondern nur die, die sich als Antwort auf eine Frage verstehen und dabei den Kriterien der Neuheit und Relevanz entsprechen.

    Auch und gerade für eine hermeneutische Grundlegung der Informationswissenschaft lautet die Grundfrage der Informationswissenschaft: Wie ist der intellektuelle Zugang zur Information, d.h. zum expliziten Wissen möglich? Diese Frage läßt sich aber nur zureichend beantworten, wenn das Verhältnis zwischem implizitem und explizitem Wissen berücksichtigt wird.

    Wenn die Frage nach dem intellektuellen Zugang zur Information globale technische Ausmaße annimmt, wie es bei der heutigen digitalen Weltvernetzung der Fall ist, werden die hermeneutischen Probleme nicht nur größer, sondern in gewisser Weise auch unbeherrschbar. Wir haben dann nicht nur mit den Grenzen des Verstehens, sondern auch mit den Grenzen der Hermeneutik zu tun (Capurro 1995). Es wird dabei dann deutlich(er), dass die Frage nach dem Zugang zur Information nicht nur intellektueller, sondern zugleich ethischer Natur ist, worauf wir im Modul 8 eingehen werden.
     

    3.4.5 Der informationswissenschaftliche Relevanzbegriff aus hermeneutischer Sicht

    In seinem Aufsatz: "Relevance Reconsidered - Towards an Agenda for the 21st Century: Introduction to Special Topic Issue on Relevance Research" (Journal of the ASIS 45 (3) 1994, 124-134) faßt Thomas Froehlich (School of Library and  Information Science, Kent State University) die Relevanzproblematik im Information Retrieval aus hermeneutischer Sicht folgendermaßen zusammen:
     
      "Hermeneutics can provide a productive framwork for modeling systems and user criteria. Most of the traditional approaches have proven to be too limiting, and a fresh approach would be useful to rethink the essential problems. One of the unstated assumptions about the nature of a relavance judgement is that it is an act of interpretation, an act which the end-user assesses the documents or document surrogates in term of his need in relation to his task, his background, his subject matter, the context, his goals, the norms of his discipline, etc. The same is true from the perspective of the document's placement in the information collection and its surrogation. The database producer (through a selection policy with an eye to the marketplace, i.e., what information will sell) interprets the universe of available information in the area of the subject matter, and develops an acquisition policy to determine what journals, monographs, or articles will be included in the collection. Interpretation is the act of placing a text (document, document surrogate, user need or query) into a context so that the set of interpretations that rames the information collection will coincide with the set of interpretations that frames the context of a user's information need. 
      The notion that has come to signify the role of interpretation in various disciplines is hermeneutics. (...)

      In information retrieval we have an overall hermeneutic or interpretation that centers on the relation of the information collection and the end-users, as mediated by the information system. Looked at from the perspective of the total hermeneutic, researchers are trying to study the collective set of interpretations that end-suers may bring to information systems, the collective set of interpretations that place a document and document surrogate in a system, and the mediation that is supposed to facilitate the coincidence of those interpretations. While all three of these aspects are intrinsically and dynamically connected, one can analyze it under three aspects: the hermeneutic of users, their needs and representations; the hermeneutic of the information collection and its representation and/or surrogation; and the mediation either directly through the system or through an intermediary through the system.
       
      With regard to the user hermeneutic, the users have to interpret their needs to and for themselves, for intermediaries, and for the system. This interpretation involves the relation of the user to his/her subject matter (the consious and unconscious horizon within which the need takes place and is articulated), his/her context and the object of investigation. However, many of the structures by which and through which users make judgements are mediated by their professional education and training in their subject domain, just as the base mental model of the prototypical attorney that Sutton develops is a set of interpretations about core areas of law. Given a particular case to defend, based upon the original interpretation of the core area of law relevant to his case (an interpretation fostered by a shared methodology and enforced through testing processes), he has to interpret the significance or priority of cases already tried, based in anticipation of the court's interpretation. Thus the focus of specialized systems is the prototypical user: given a particular subject matter or domain, the end-user invokes shared norms or criteria, those shared among those who work in a subject matter or domain.That is, systems canbe built on prototypical users related to common tasks (e.g., seeking textual information in an academic library for research purposes) or to an epistemic community: communities of researchers or scientists who share common criteria for the emergence of knowledge (or what comes to be regarded as knowledge at a particular point in time: the orthodoxy).

      Birger Højrland (1993) sees these as "discourse communities," and information systems, rather than modeling individual cognitive processes, would model knowledge domains, disciplines or trades. However, rather than focusing on the discipline per se as Højrland seems to do, it would seem more appropriate to focus on the prototypical user in that domain, discipline, or trade, addressing the kinds of criteria that prototypical users engage in that domain. Like an earlier essay by Froehlich (1989), Højrland sees social epistemology or the sociology of knowledge as critical for analyzing these discourse communities. Such a view seems similar to or consitent with Robert Taylor's (1986) information use environments (IUEs). An analysis of information use environments must explore this dialectic between the prototypical user's profession and his or her information traits and needs as  understood through a certain framework or set of frameworks, e.g. professional or discipline standards.


      In addition to the hermeneutic of the prototypical user there is also the hermeneutic of placing the document or text in the information collection. In this hermeneutic, one must understand how a document or text comes to be chosen for the collection (interpreted to be suitable to their prototypical users by information database producers), then abstracted and indexed (interpreted in terms of a subject classification scheme, itself an interpretation of the subject matter), thorugh which indexing terms are assigned. Even the availability and indexing of full-text is an act of interpretation: the relation of the document to its subject matter may or may not conform to the orthodox language in the subject field or to the system vocabulary or to the subject classification. Clearly, the assumptions made about prototypical users by information collection producers affect the efficiency or possibility of retrieval of appropraite citations or text for the user's need.

      There is a third hermeneutic, obviously intimately connected with the other two, that of system mediation, whereby the system or the system through an intermediary interprets the relation of the system to the user (need/stated query): for most commercial systems the mediation is based on string matching for coincidental words or phrases. If the user's query has a set of words (free-text) or a descriptor or set of descriptors (controlled vocabulary), those document which have the same strings will be retrieved. Such a system is obviously a weak link. But if one can generate a prototypical user model of the information system, one may be able to enhance system performance, by including additional criteria that would allow users to rank or filter output, based upon prevailing orthodox assumptions: e.g., the quality of a journal research institution. (...) 
      If one sees relevance judgements as a process of interpretive frames or hermeneutics based upon prototypical users with finite set of criteria for relevance judgements, one may be able to evolve a better conceptual framework for designing and developing systems. Based on research that delineates prototypical hermeneutics for users or the information collections, one may be able to facilitate the mediation between the information collection and user needs. In order to give flesh to this notion, much additional theoretical and empirical work is required, too much to attempt for this introduction. Rather, what is proposed here is another approach to foster that agenda." (meine Hervorhebungen, RC)

    In dieser Darstellung lassen sich sowohl die drei wesentlichen Komponenten von Information bzw. Fachinformation aus hermeneutischer Sicht nämlich:

    - Hermeneutik der Fachgemeinschaft oder user hermeneutic
    - Hermeneutik des Fachgebietes oder information collection hermeneutics,
    - Hermeneutik der Fachkommunikation oder system mediation hermeneutics

    als auch die zentrale Bedeutung des Begriffs des (verobjektivierten) Vorverständnisses (framework, prototypical user, "discourse communities") unschwer (wieder-)erkennen (Capurro 1986).

     

    Zur Vertiefung: 

    1. I.A. Hoel: Information Science and Hermeneutics: Should Information Science Be Interpreted as a Historical and Humanistic Science? in: Conceptions of Librery and Information Science, Proc. of the First CoLIS Conf., Tampere, Finland, 1991. P. Vakkari, B. Cronin, eds. London, 1992, 69-81. 
    2. I. Cornelius: Information and Interpretation. In: P. Ingwersen, N. Ole Pors (eds.):  Proceedings CoLIS 2. Second International Conference on Conceptions of Library and Information science, October 13-16, 1996. The Royal School of Librarianship, Copenhagen (1996),  11-21 
    3. P. Ingwersen: Information and Information Science. In: Encyclopedia of Library and Information Science, Vol. 56, Supplument 19 (1995), 166-167.
    4. R. Capurro: Hermeneutik der Fachinformation. München/Feiburg 1986.


     

    3.5 "Information ist Wissen in Aktion"

     
    3.5.1 Information aus pragmatischer Sicht 
    3.5.2 Rahmenbedingungen der Umwandlung von Wissen in Information 
    3.5.3 Informationswissenschaft im interdisziplinären Kontext 
    3.5.4 Der Wahrheitsgehalt von Wissen und die Eigenschaften von Information 
     

    3.5.1 Information aus pragmatischer Sicht

    Rainer Kuhlen vertritt einen pragmatischen Informationsbegriff, den er wie folgt darlegt: 
     
     
     

    "Diese Darstellung ist im wissenschaftlichen und curricularen Kontext der Informationswissenschaft entstanden - entsprechend versuchen wir, aus einem informationswissenschaftlichen Verständnis von Information die Flut der Information über den Informationsmarkt zu filtern. Für diese Auseinandersetzung mit dem Informationsbegriff wollen wir etwas weiter ausholen. Nicht jeder, der sich über den Informationsmarkt informieren will, muß diese Diskussion im einzelnen nachvollziehen. Wir fassen daher den Grundgedanken so zusammen: Aus informationswissenschaftlicher Perspektive ist Information handlungsrelevantes Wissen oder, in einer Formel zusammengefaßt, Information ist Wissen in Atkion. Entsprechend interessieren aus informationswissenschaftlicher Perspektive Methoden, Verfahren, Systeme, Organisationsformen und deren jeweilige Rahmenbedingungen, mit deren Hilfe aus gesellschaftlich produziertem Wissen Information für aktuelle Problemlösungen erarbeitet bzw. aus Information neues Wissen produziert werden kann. Der Prozeß der Erarbeitung von Information beläßt Wissen nicht in seinem Rohzustand, vielmehr ist er als Transformations- oder, mit einer gewissen Bewertung, als Veredelungsprozeß anzusehen."

    (Kuhlen 1996, 34) 
      

     

    Wissen und Information bedingen sich gegenseitig und zwar so, dass potentiell aktuelles Wissen sich durch den Prozess der Informationserarbeitung (Transformation 1) in Information d.h. in zum Handeln nutzbares Wissen umgewandelt wird. Und umgekehrt: Information läßt sich durch den Prozeß der Informationsverwaltung (Transformation 1) in (potentiell nutzbares) Wissen umwandeln. Die Umwandlung von Wissen in Information nennt Kuhlen "Erzeugung  informationeller Mehrwerte"

    Die Informationswissenschaft ist somit die Theorie und Praxis informationeller Mehrwerte. Der Informationsmarkt ist der Ort der Erzeugung, Verteilung und Nutzung informationeller Mehrwertprodukte und -dienstleistungen.

    Neuerdings hat Kuhlen seine Definition "Information ist Wissen in  Aktion" unter Berücksichtigung der Bedeutung des sog. impliziten Wissens als "Information ist Wissen in kontextualisierter Aktion" bzw. "Information als kontextualisiertes Wissen" präzisiert (Kuhlen 2001, 70). Dadurch kommt die paradigmatische Nähe dieses Ansatzes sowohl zu hermeneutischen als auch zu sozial-kognitivistischen und sozial-pragmatischen Positionen besonders zum Ausdruck.

    Vgl.: R. Kuhlen: Nicht-explizites Wissen aus der Sicht der Informationswissenschaft, In: Forschungsinstitut für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung (FAW Ulm) im Auftrag des Bundesministeriums für Bildun/g und Forschung: Management von nicht-explizitem Wissen: Noch mehr von der Natur lernen. im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, März 2001, S. 69-81. 
    Online: http://www1.faw.uni-ulm.de/deutsch/publikationen/bmbf-studie/index.html 
     

    3.5.2 Rahmenbedingungen der Umwadlung von Wissen in Information

    Der Vorgang der Umwandlung von Wissen in Information wird, so Kuhlen, von mehreren Kontingenzfaktoren oder Rahmenbedingungen beeinflußt, nämlich:  

    - Individuelle Informationsverarbeitungskapazität 
    - Aufgabenkomplexität 
    - zeitliche Restriktionen 
    - ökonomische Bedingungen 
    - Stand der Informations- und Kommunikationstechnologien 
    - Strukturierung der Ablauforganisation / Grad der Formalisierung / Programmierung 
    - Strukturelle Vorgaben der Organisation / Aufbaustruktur 
    - informationelles Klima 
    - normative Vorgaben (Zwecke und Ziele von Organisationen) 
    - informationelle Kultur: kulturelle und gesellschaftliche Makrostrukturen  
    (Kuhlen 1996, 36) 
     

    3.5.3 Informationswissenschaft im interdisziplinären Kontext

    Kuhlen nennt auch eine Reihe von (weiteren) Disziplinen, die sich mit Information befassen, nämlich: 

    - Informatik und KI 
    - Psychologie / Kognitionswissenschaft 
    - Wirtschaftswissenschaft / Wirtschaftsinformatik / Verwaltungswissenschaft 
    - Bibliothekswissenschaft / Wissenschaftliche Dokumentation  
    - Kommunikationswissenschaft 
    - Linguistik 

    (Kuhlen 1996, 37) 

    Die Informationswissenschaft rückt aber schon in ihrem Namen den Informationsbegriff in den Mittelpunkt, auch wenn dieser Begriff durchaus aus dem Gesichtspunkt anderer Disziplinen anders definiert werden kann und wird (Capurro 2000; Capurro 1999a). Was den informationswissenschaftlichen Informationsbegriff auszeichnet ist, so Kuhlen, das "pragmatische Primat" sowie die Unterscheidung von Wissen und Information. Den nicht weniger kontroversen Wissensbegriff definiert Kuhlen als "den Bestand an Modellen über Objekte bzw. Objektbereiche und Sachverhalte, über de nIndividuen zu einem bestimmten Zeitpunkt verfügen bzw. zu dem sie Zuganghaben und der mit einem zu belegenden Anspruch für wahr genommen wird." (Kuhlen 1996, 38) Problematisch an dieser Definition ist die Einengung won Wissen auf das explizite Wissen, also auf Wissen im Sinne von 'know that' im Gegensatz zu 'know how', wie wir im Modul 7 erörtern werden. Auch der Begriff der "mentalen Repräsentationen" ist umstritten, da er eine Verdoppelung der Realität suggeriert und dadurch zu einem unendlichen Regreß führt. Einen Ausweg aus dieser Frage bietet z.B. der hermeneutische Begriff des Vorverständnisses. Immerhin bemerkt Kuhlen, dass aus Daten, wie sie zum Beispiel in einem Buch enthalten sind, erst durch den Verstehensprozeß Wissen entstehen kann: 

    "Ein Buch kann deshalb nichts wissen, weil es keine Mechanismen enthält, seine eigenen Daten zu lesen und zu verstehen. Der Mensch, sofern er über das Zeichen- oder mediale Repräsentationssystem des Buches verfügt, kann dies. Ähnlich verfährt er mit maschinellen Systemen. Das maschinelle Informationssystem wird von Menschen als weitere externe Ressource benutzt, um daraus dauerhaftes Wissen zu gewinnen oder um daraus direkt verwertbare (und dann vielleicht auch wieder zu vergessende) Information zu erarbeiten." (Kuhlen 1996, 39)

    3.5.4 Der Wahrheitsgehalt von Wissen und die Eigenschaften von Information

    Da die Begründung und somit den Wahrheitsgehalt von Wissen sehr unterschiedlich sein kann, lassen sich Informationen aus unterschiedlichen Ebenen der "epistemologischen Skala" d.h. des unterschiedlichen Grades an Wahrheit einer Aussage ableiten oder erarbeiten. Eine solche Wissensskala sieht etwa so aus: 

    - wahre Aussagen 
    - gesicherte Aussagen 
    - empirisch evidente Aussagen 
    - plausible Aussagen 
    - Annahmen 
    - Vermutunggen 
    - Meinungen 
    - Falsche Aussagen 

    Kuhlen betont, dass Information nichts über den Wahrheitswert aussagt, sondern "einer anderen Dimension angehört, in der nicht über Wahrheit ausgesagt wird. Information wird eher unter Begriffen wie Zuverlässigkeit (Reliability), Nützlichkeit, Handlungsrelevanz, Aktualität, Vollständigkeit oder Kosten diskutiert." (Kuhlen 1996, 40). Durch den Informationsbegriff sollte nicht die für die "abendländische Wissenschaftstradition begründende Unterscheidung von Doxa (Meinung) und Episteme (gesicherte Erkenntnis) verwischt (werden): Dies unterscheidbar zu halten, ist Aufgabe der Informationsprofession." (Kuhlen 1996, 40-41)  

    Denn, wie Kuhlen richtig betont, der Informationsmarkt umfaßt nicht nur den Markt für wissenschaftliche Informationen. Durch Informationen können Aussagen sicherer werden, wie dies schon die nachrichtentechnische Definition von Information im Sinne von Reduktion von Unsicherheit oder Ungewißheit andeutet. Information kann aber auch Unsicherheit beim Rezipienten erzeugen: "Information wird adressatenbezogen und damit gerichtet vermittelt, sie ist in hohem Maße rezeptionsabhängig, d.h. von der Situation und dem Kontext des Informationsnutzers bestimmt." (Kuhlen 1996, 41) Da zur Situation die Zeitabhängigkeit gehört, gehören außer der pragmatischen Relevanz oder die Nützlichkeit, die Aktualität und der Neuigkeitswert zu den wesentlichen Merkmalen von Information. Kuhlen zieht daraus die Schlußfolgerung, dass für den Informationsmarkt, die Informationsgüter auf die individuellen Nutzungsanforderungen zugeschnitten sein sollte:  

    "Der Informationsmarkt lebt von der Vielfalt der Informationsprodukte und - dienstleistungen bzw. von den Möglichkeiten, Wissen auf höchst diversifizierte Weise bereitzustellen. Betrachtet man diese Entwicklung durch den Informationsmarkt aus kulturkritischer Sicht, so wird man zweifellos zu dem Ergebnis kommen, daß der Anstieg der Wissensproduktion keineswegs parallel zum Anstieg der Informationsprodukte verläuft." (Kuhlen 1996, 42).
    Mit anderen Worten, was schon für das Gutenberg-Zeitalter zutraf, nämlich die Schaffung von Redundanz durch die gedruckte Wissensverteilung, potenziert sich durch weltweite elektronische Wissensmärkte. Chancen und Risiken dieser Entwicklung sind Gegenstand der Informationsethik, worauf wir im Modul 8 eingehen werden. 

    3.6 Domain analysis

    3.6.1 Was bedeutet "domain analysis"? 
    3.6.2 Philosophische Analyse und empirische Wissenschaft  
     

    3.6.1 Was bedeutet "domain analysis"?

    Hier sind die Arbeiten der dänischen Informationswissenschaftler Birger Hjørland und  Hanne Albrechtsen zu erwähnen. 

    Im Mittelpunkt dieses Ansatzes steht der Begriff des knowledge domain. bzw. des domain analysis.  Kognitive Prozesse vollziehen sich nach Hjørland und Albrechtsen nicht im Kopf eines (isolierten) Subjektes, sondern sie sind sozialer und kultureller Natur. Erkenntnis gibt es nur auf der Basis eines mit anderen geteilten (Fach-)Gebietes. Sie schreiben: 

      "The domain-analytic paradigm in information science (IS) states that the best way to understand information in IS is to study the knowledge-domains as thought or discourse communities, which are parts of society's division of labor. Knowledge organization, structure, cooperation patterns, language and communication forms, information systems, and relevance criteria are reflections of the objects of the work of these communities and of their role in society. The individual person's psychology, knowledge, information needs, and subjective relevance criteria should be seen in this perspective. 
      The domain-analytic paradigm is thus firstly a social paradigm, conceiving of IS as one of the social sciences, promoting a social psychological, a sociolinguistic, a sociology of knowledge, and a sociology of science perspectives on IS. The domain-analytic paradigm is secondly a functionalist approach, attempting to understand the implicit and explicit functions of information and communication and to trace the mechanisms underlying informational behavior from this insight. Thirdly it is a philosophical-realistic approach, trying to find the basis for IS in factors that are external to the individualistic-subjective perceptions of the users as opposed to for example the behavioral and cognitive paradigms." (Hjørland/Albrechtsen 1995, 400) (meine Hervorhebungen)
     

    Damit steht dieser Ansatz, wie die Autoren selbst hervorheben (Hjørland/Albrechtsen 1995) in  der Nähe hermeneutischer Einsichten, der "activity theory" des russischen Psychologen L.S. Vygotsky, sowie des Pragmatismus und Konstruktivismus, und in kritischer Distanz zum Kognitivismus. Sie stellen diesen Ansatz dem Kognitivismus folgendermaßen gegenüber:
     

    "Cognitivism"
    "The Domain-Specific View"
    Priority is given to the understanding of isolated user needs and intrapsychological analysis. Intermediating between producers and users emphasises psychological understanding Priority is given to the understanding of user needs from a social perspective and the functions of information systems in trades or disciplines
    Focus on the single user. 
    Typically looks at the disciplinary context as a part of the cognitive structure of an inividual - if at all.
    Focus on either one knowledge domain or the comparative study of different knowledge domains. Looks at the single user in the context of the discipline.
    Mainly inspired by AI (Artificial Intelligence) and cognitive Psychology. Mainly inspired by knowledge about the information strctures in domains, by the sociology of knowledge and the theory of knowledge ("Science studies").
    The psychological theory emphasizes the role of cognitive strategies in performance The psychological theory emphasizes the interaction among attitudes, strategies, and knowledge in cognitive performance.
    Central concepts are individual knowledge structures, individual information processing, short- and long term memory, categorical vesus situational classification Central concepts are: scientific and professional communication, documents (including bibliographies), disciplines, subjects, information structures, paradigms, etc.
    Methodology characterized by an individualistic approach. 
    (Methodological individualism has some connection to a general individualistic view, but the difference between "cognitivism" and "the domain-specific " is not a different view political perception of the role of information systems, but a different theoretical and methodological approach to the study and optimization of information systems).
    Methodology characterized by an collectivistic approach. 
    (Methodological collectivism has some connection to a general collectivistic view, but the difference between "cognitivism" and "the domain-specific view" is not a different political perception of the role of information systems, but a different theoretical and methodological approach to the study and optimization of informaiton systems).
    Best examples of application: User interfaces (the outer side of information systems). Best examples of application: subject-representation/classification (the inner side of information systems).
    Implicit theory of knowledge: mainly "rationalistic"/"positivistic", tendencies towards hermeneutics Theory of knowledge: Scientific realism/forms of social constructivism with tendencies towards hermeneutics
    Implicit ontological position: Subjective idealism. Ontological position: realism
     

    (Hjørland/Albrechtsen 1995, 412) 

    Nicht also die Nutzer, sondern das (Fach-)Gebiet steht im Mittelpunkt dieses Ansatzes: 

      "Users are not stereotypes, they have changing knowledge and hypotheses, which are an integrated parat of the highly synchronized writer-reader cognition in the domain. The main problem for information systems therefore is to reflect the domain, not the individual users" (Hjørland/Albrechtsen 1995, 412)

    Als Beispiele für informationswissenschaftliche Forschungsgebiete nennt Hjørland: 
    - Developing new systems of classification and indexing (or evaluate and revise existing systems
    - Evaluate the coverage and quality of different databases
    - Determine whether citation indexing is more efficient than term based indexing 
    - Determine whether classification systems like Dewey or the UDC are obsolete
    - Determine whether different kinds of domains/disciplines need different kinds of indexing principles
    - Developing subject guides in different domains of knowledge and mapping information rescources
    - Examine the needs for specific information services in concrete domains (such as medicine, music or psychology) or by concrete target groups such as high school students 
    (Hjørland 2000a, 514ff). 

    3.6.2 Philosophische Analyse und empirische Wissenschaft

    Hjørland macht deutlich, inwiefern die verschiedenen  Auffassungen von Information und Informationswissenschaft auf zugrundeliegenden philosophischen Positionen beruhen.  
    Er faßt diesen Sachverhalt folgendermaßen zusammen:
     
     
    Philosophical Approaches Introductions Applications in LIS
    (Social)  Constructivism Downes, 1998 Frohmann (1990, 1994b); Myers (1990); Touminen and Savolainen (1997)
    Critical Rationalism (Karl Popper) Jarvie, 1998 Swanson (1977)
    Empiricism and positivism Alston, 1998; Friedman, 1998 The dominant research traditions in IR, User Studies and Bibliometrics are seen as instances of implicit empiricism (Hjørland, 1997). Example: Cleverdon, Mills and Keen (1966). Olson (1994)
    Feminist epistemology Code, 1998 Olson (1994)
    Hermeneutics and phenomenology  Howarth, 1998; Inwood, 1998 Benediktsson (1989); Budd (1995) ("hermeneutical phenomenology"); Capurro (1986); Cornelius (1996a, b), Dreyfus and Dreyfus; and Winograd and Flores (1987)
    Historicism Thornhill, 1998 Historicist perspectives are often implicit in studies of the history of libraries, literatures, classficiations etc. More explicit historicist perspectives are often connected to hermeneutic, pragmatic and historical-materialistic perspective.
    Marxist philosophy of science Miller, 1998 Belkin (1975); Michaljlov, Cernyj and Giljarevskij (1980); Staber (1978); Steiger (1973)
    Paradigm-theory (Th. Kuhn) Hoyningen-Huene, 1998 Hjørland (1997)
    Postmodernism and Poststructuralism Ermarth, 1998; Gutting, 1998; Sim, 1998 Miksa (1998)
    Pragmatism Rorty, 1998 Blair (1990); Hjørland (1997)
    Rationalism Markie, 1998 The dominant research tradition in classification research (Ranganathan/facet analysis) are seen as implicit instances of rationalism (cf. Hjørland, 1997). Example: Langridge (1976, 1989)
    Realism (including critical realism) Collier,1998; Finc, 1998; Keat, 1998 Hjørland (1997)
    Systems theory Ryan and Bohman, 1998 Foskett (1972, 1974, 1980); Mansfield (1982); Marchant (1980); Mattessich (1982); Neelameghan (1974); Orr (1977); Parker (1970); and Strong (1982)
      

    (Hjørland 2000a, 525) 

    Hjørlands Fazit lautet: 

      "All research, both inside and outside LIS, is influenced by some philosophical traditions. There is no escape from this. There is no neutral ground. You can be unaware of or silent about your orientation; but  that only is a choice, whre you are hiding the consequences of  your research strategy.  
      Philosophical positions may be implicit or explicit, recognized or unconscious. Often researcher in, for example, the hermeneutic tradition are explicit about their philosophical approach, while, for example researchers in the positivistic tradition are silent about this. Positivistic research is often silent because it conceives itself as "scientific": the only valid  approach. Even the discussion of its own assumptions is often claimed to be "non-relevant" or "non-scientific". Therefore positivism is sometimes labeled "the invisible theory of science". Such a claim is of course both wrong and unscientific. The nature of science is to investigate its own assumpitions and methods." (Hjørland 2000a, 526)  
       
    Philosophische Analyse, so Hjørland und Albrechtsen mit Recht, sollte nicht empirische Wissenschaft ersetzen, sondern die Interpretation empirischer Daten und den Entwurf von Forschungsrichtungen leiten (Hjørland/Albrechtsen 1995, 418). 

    Literatur: 

    Birger Hjørland/Hanne Albrechtsen: Toward a New Horizon in Information Science: Domain-Analysis. In: Journal of the ASIS 46 (6) 1995, 400-425 
    Birger Hjørland: Informationseeking and subject representation: an activity-theoretical approach to information science. Westport, Connecticut, London: Greewood Press 1997 
    -: Documents, Memory Institutions and Information Science. In: Journal of Documentation, vol. 56, no. 1, January 2000, 27-41 
    -:  Library and information science: practice, theory, and philosophical basis. In: Information Processing and Management 36 (2000a) 501-531. 
    -: Information Retrieval, Text Composition, and Semantics. In: Knowledge Org. 25 (1998) No. 1/2, 16-31. 
     

3.7 Zur Vertiefung

1. R. Kuhlen (1996): Informationsmarkt. Konstanz. (Kap. 2) 
- (1999): Die Konsequenzen von Informationsassistenten. Frankfurt a.M. (Kap. 5) 
2. R. Capurro (2000): Informationsbegriffe und ihre Bedeutungsnetze 
- (1999a): Einführung in den Informationsbegriff  
3. G. Wersig (1996): Die Komplexität der Informationsgesellschaft. Konstanz (Kap. IV). 
 

3.8 Für Fortgeschrittene

1. E. K. Jacob, D. Shaw: Sociocognitive Perspectives on Representation. Williams, Martha E. (ed.): Annual Review of Information Science and Technology (ARIST), published on behalf of the ASIS (American Society for Information Science), Information Today Inc., Medford, N.J., Vol. 33 (1998), 130-185. 
2. Machlup, F., Mansfield, U. Eds. (1983): The Study of Information. Interdisciplinary Messages. New York. 
 

Übungen

1. Was versteht Buckland unter "information-as-thing"? 
2. Welche Bedeutung spielt der Begriff der "gewünschten Information" ("desired information") im kognitiven Ansatz? 
3. Welche sind die wichtigsten Forschungsgebiete der Informationswissenschaft nach Ingwersen? 
4. Was versteht Brier unter cybersemiotics? 
5. Erörtern Sie die Grundfrage der Informationswissenschaft aus hermeneutischer Sicht. 
6. Erörtern Sie Kuhlens Theorie der informationellen Mehrwerte. 
7. Nehmen Sie zu Højrlands Aussage: "All research, both inside and outside LIS, is influenced by some philosophical traditions. There is no escape from this" Stellung. 
8. Begründen Sie Ihre Auffassung von Information als Gegenstand der Informationswissenschaft.
 
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Gesamtübersicht
 
 

Kapitel 1: Lehre und Forschung 
Kapitel 2: Historische Aspekte 
Kapitel 4: Der elektronische Informationsmarkt 
Kapitel 5: Wissenserschließung und -darstellung 
Kapitel 6: Information Retrieval 
Kapitel 7: Wissensschaffung 
Kapitel 8: Soziale, rechtliche, politische und ethische Aspekte 
Literatur 
 

 
   

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