Einführung
zum Vortrag von Prof. Dr. Riuji Endo University
of Library and Information Science, Tsukuba, Japan "ZEN-Malerei in
Japan" am 28. Juni 1999 im Zentrum für Kunst und Medientechnologie
(ZKM)
Karlsruhe.
Die
"Wahrheit des Seins" ist ein Schatten der "Wahrheit des ZEN" so der
japanische
Philosoph Koichi Tsujimura, der bei Martin
Heidegger
studierte und zur dritten Generation der Kyoto-Schule gehört,
jener
philosophischen Schule also, die Ende des 19. Jahrhunderts die
europäische
Philosophie rezipierte und somit den Beginn der japanischen Philosophie
darstellt. Dieser letzte Ausdruck, ‚japanische Philosophie‘ gibt
viel zu denken. Denn es ist die Frage, ob die Philosophie, wie der
Name selbst verrät, eine europäisch-abendländische
Erscheinung
ist, die auf einer bestimmten Welt- und Seinserfahrung beruht. So
verstanden,
gäbe es keine Philosophie als eben eine
europäisch-abendländische
und erst die Berührung anderer Denkerfahrungen mit ihr, würde
zu dem führen, was wir, wie in diesem Fall, ‚japanische
Philosophie‘
nennen.
Es
ist dann die Frage, ob dann ähnliches gilt für andere
Bereiche,
wie zum Beispiel, den der Malerei. Ist die
europäisch-abendländische
Malerei, mit all ihren Brüchen, auf einem anderen metaphysischen
Boden
gewachsen, als, zum Beispiel, die ZEN-Malerei?
Als
wir mit Prof. Endo im Rahmen eines Seminars
über
die Heidegger-Rezeption durch die Kyoto-Schule letzte Woche
darüber
sprachen, äußerte er sich sehr kritisch darüber, als ob
nämlich die Wahrheit des ZEN sich in einem, platonisch gesprochen,
höheren Ort befinden würde, von wo aus die Schattenwelt des
Heideggerschen
Seins als eine solche erkannt werden könnte. Es ist aber
vielleicht
so, daß dieser Satz, wenn man ihn gegen den Strich liest, eine
positive
Bedeutung bekommt, nämlich die, dass der Schatten des "absoluten
Nichts"
gegenüber der Erleuchtung der ZEN-Erfahrung eine eigene,
flüchtige
Wahrheit besitzt, die sich im Denken und, so könnte man vermuten,
auch im Bild, in der Malerei oder vielleicht eher im flüchtigen
Medium
des Digitalen, nicht zum Ausdruck aber wohl zum Leuchten kommen
kann.
Die
Wahrheit des Seins ist aber, so Tsujimura, insofern die Wahrheit des
ZEN
als beide sich in einem "Vor des Denkens" abspielen. Die Wahrheit des
Seins
spiegelt diesen Bereich im Denken und in der Sprache und nicht in einer
Erfahrung, die mit keiner Sprache zur Sprache gebracht werden
kann.
Die
Wahrheit des ZEN beruht auf der Erfahrung des absoluten Nichts, ein
Wort,
das vom Gründer der Kyoto-Schule, Kitaro Nishida, geprägt
wurde,
und wohl Anklänge an Hegels "absolutem Geist" mitführt. Es
sieht
so aus, als ob von der Tradition des ZEN-Buddhismus her gesehen, das
abendländische
Denken und, so könnte man folgern, die abendländische Malerei
sich auf der Grundlage von Sein, Denken und Sprache bewegen, auch und
gerade
dann, wenn sie meinen, sich davon lösen zu können, und
vielleicht
auch dann, wenn, wie Nietzsche diagnostizierte, "mit dem Sein nichts
mehr
ist". Das Nichts des Seins, der abendländische Nihilismus, ist
eine
für Europa unheimliche Erscheinung, in der sich das Ende der Kunst
im Sinne eines Mediums, wo die Idee zum sinnlichen Scheinen kommt,
abspielt.
Wie
stellt sich aber dann die Malerei in einer Tradition dar, die nicht auf
dem Sein, auf Denken und Sprache, sondern auf dem Nichts, dem
Vor-Denken
und der Sprachlosigkeit beruht? Wie verhält sich das Bild zu dem,
was ‚vor-bildlich‘ ist? Ist die Wahrheit der abendländischen
Malerei
ein Schatten der Wahrheit der ZEN-Malerei? Wie kann und will die
ZEN-Malerei
das Nichts oder, besser ausgedrückt, die Erfahrung des Nichts
darstellen?
Oder ist diese Frage bereits abendländisch gedacht? Man erinnere
sich
an den Unterschied zwischen einem ZEN-Gespräch und einem
sokratischen
Gespräch: obwohl sich beide im selben Medium, in der Sprache also,
bewegen, will der ZEN-Meister durch die Aufgabe eines Koan den
Schüler
ins Vor-Denken einüben, bis er nämlich in den Bereich selbst
springt, der dem logischen und kausalen Denken vorausgeht. Höre
das
Klatschen der einen Hand, gibt der Meister den Schüler zum
vor-denken.
Eine seltsame Aufgabe, denn das Geräusch des Hände-Klatschens
wird ja erst durch zwei Hände verursacht. Wie steht es aber mit
diesem
Geräusch selbst? Will vielleicht der Meister den Schüler dazu
bewegen, vom kausalen und logischen Denken abzusehen, weg-zu-denken, um
die Phänomene selbst in ihrer Unbegründetheit zum Vorschein
kommen
zu lassen?
Wenn
dem so ist, dann ist die Frage berechtigt, ob eine Malerei, die auf dem
Boden der abendländischen Metaphysik entstanden ist, vergleichbar
ist mit einer Malerei, die der Wahrheit des ZEN entspricht. Welcher ist
der Status der ZEN-Malerei? Ist sie ein Schatten der Wahrheit des ZEN?
Gehört sie also zur Wahrheit des Seins? Oder offenbart sie
vielmehr
das Nichts?
Was
passiert aber, wenn die Welt vom Standpunkt der Wahrheit des Seins und
ihres Verschwindens im europäischen Nihilismus betrachtet wird?
Und
was passiert, wenn die Welt vom Standpunkt der Erschöpfung der
Wahrheit
des Nichts, der Erschöpfung des ZEN-Buddhismus also, betrachtet
wird?
Der Tod Gottes und die Euro-Amerikanisierung Japans scheinen zwei
bedeutende
Ereignisse, die, aufeinander bezogen, eine neue geistige Konstellation
eröffnen. Wir sollten die Gelegenheit wahrnehmen, um zurück
in
die Geschichte dieses anderen großen Anfangs zu blicken, denn
indem
wir in das Nichts des ZEN-Buddhismus blicken, schauen wir im Spiegel
der
Malerei in unsere Gegenwart. Und dennoch ist der abendländische
Nihilismus
und die Erfahrung vom Ende der Kunst nicht das gleiche wie das absolute
Nichts und seine Darstellung in der ZEN-Malerei.
Professor
Endo sagte mir, daß wir versuchen könnten, nicht face-to-face,
sondern back-to-back, von
Rücken zu Rücken, miteinander zu
kommunizieren. Denn auch wenn wir alle jetzt zusammenrücken,
haben
wir doch unterschiedliche Herkünfte, so daß die Gegenwart,
die
in den homogenen Bildern des Cyberspace (sind sie wirklich homogen?)
zum
Ausdruck kommt, sowohl von der Wahrheit des Seins als auch von der
Wahrheit
des ZEN her auf Möglichkeiten hin offen(er) wird. Solche
Möglichkeiten
lassen sich aber am ehesten wahrnehmen, wenn sie von ihrer Herkunft her
im Bild aufleuchten. Was ist aber dann ein Bild? Was sind
ZEN-Bilder?
Literatur
Letzte
Änderung: 6. September 2017