EINLEITUNG
Wonach
soll sich verantwortungsvolles Handeln in einem bestimmten Bereich,
etwa
dem der Fachinformation, richten? Wer so fragt, möchte
wahrscheinlich
drei Arten von Richtlinien oder Normen seines Handelns ausfindig
machen,
nämlich:
- technische
Vorschriften, die zur Erreichung der gewünschten Zwecke dienen
sollen,
ohne aber darauf zu achten, ob diese Zwecke "gut" oder "böse" sind;
- pragmatische
Ratschläge, die das Wohlgedeihen eines bestimmten
Handlungsbereiches
ermöglichen sollen;
- sittliche
oder moralische Gebote, die dem Handeln den eigentlichen menschlichen
d.h.
freien Charakter geben, indem sie es vor dem Hintergrund eines
unantastbaren
Horizontes, vergleichbar dem der Naturgesetze, stellen.
Bekanntlich
hat Kant, der in seiner Grundlegung zur Metaphysik
der
Sitten auf diese drei Aspekte hinweist (1), das allgemeine
Gesetz des sittlichen Handelns folgendermaßen formuliert:
"handle
nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst,
daß
sie ein allgemeines Gesetz werde." (2)
Heider
Müller-Merbach,
ehemaliger
Präsident der International
Federation of Operational Research Societies stellte kürzlich
die Frage nach dem Handlungsschwerpunkt der "O.R. community" in bezug
auf
jene drei von Kant aufgezeichneten Möglichkeiten menschlichen
Handelns
(3). Was der O.R. community recht ist, sollte uns billig
sein.
Zunächst
sollten wir uns aber im Klaren sein, daß die ethische
Fragestellung
keineswegs in einen Rigorismus der leeren Formeln oder, noch schlimmer,
im schwärmerischen Ton einer "Sonntagspredigt" enden bzw. damit
beginnen
muß. Ganz im Gegenteil! Es wäre wiederum eine Naivität
(vermutlich mit schlimmen Folgen) zu glauben, daß wir die Ziele
unseres
Handelns, in diesem so wie in jedem anderen Bereich, gewisermaßen
ab ovo setzen können. Wenn wir also auf der einen
Seite nicht
einfach bereit sind, sittliche Gebote dogmatische zu akzeptieren und
wir
uns, auf der anderen Seite, eine sittliche Handlung nicht vorstellen
können,
die etwa nur auf utilitaristische Kriterien (oder auf
"pragmatische
Ratschläge" also) gründet, dann bleibt nur der Weg einer offenen
ethischen Reflexion übrig. Damit meine ich eine Reflexion, die
sowohl
empirisch-deskriptiver als auch normativer Natur sein sollte (4).
I.
INFORMATIONSETHOS UND INFORMATIONSETHIK
Diese
Reflexionsarten haben als Gegenstand das, was man mit den Begriffen
"Ethos"
bzw. "Ethik" bezeichnen könnte. Unter "Informationsethos" sind
also
Sitten und Gewohnheiten einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaft in
Bezug
auf den Erwerb, die Speicherung, die Vermittlung und die Nutzung von
Wissen
zu verstehen. Die empirische Analyse dieses Sachverhalts ist Sache
verschiedener
Wissenschaften, wie etwa der Ethnologie, Geschichte, Soziologie,
Psychologie
usw. Mir scheint, daß eine solche Analyse in unserem Bereich
weitgehend
fehlt. Die Untersuchung der jeweils herrschenden
Informationsgewohnheiten
sowie der damit zusammenhängenden Wertmaßstäbe liefert
aber keine Soll-Aussage. Diese ist Sache einer "Informationsethik",
d.h.
der Analyse und Begründung dessen, was getan werden sollte.
Eine normativ-ethische Reflexion kann sich zunächst am geltenden
Recht,
etwa in unserem Fall, am Art. 5 GG, orientieren und sich in einem
bestimmten
juristischen Rahmen entfalten. Sie kann aber die Frage
grundsätzlich
behandeln, z.B. als Teil einer philosophischen Anthropologie und somit
nicht nur das vorherrschende "Ethos" in Frage stellen, sondern auch auf
die u.U. ungenügende Tragfähigkeit der rechtlichen Grundlagen
hinweisen (5). Schließlich besteht auch die Möglichkeit,
im Rahmen einer "metaethischen" Reflexion, die Formen moralischer
Aussagen
und Argumente in unserem Bereich zu untersuchen.
Eine
Informationsethik ist nur in groben Umrissen und in wenigen
Ansätzen
vorhanden (6). Besonders zu erwähnen sind aber in
diesem Zusammenhang die von EUSIDIC entwickelten "Codes of Practice",
die
die Tradition von Verhaltenskodizes etwa in der Medizin (Hypokratischer
Eid), Psychologie, Chemie, Ingenieurwissenschaften usw. fortführen
(8). Sie umfassen bisher die folgenden sechs Bereiche:
Produzenten von Datenbasen, Host, Telekommunikation, Electronic Mail,
Informationsvermittler
und Downloading. Ein weiterer Verhaltenskodex zum Bereich "Endnutzer"
ist
in Vorbereitung. So notwendig diese Kodifizierung ethischer
Verhaltensnormen
auch ist, sie kann nicht darüber hinweg- täuschen, daß
sie,
so wie sonstige Verhaltendkodizes auch, lediglich als ein
möglicher
bereichsinterner Rahmen für die Diskussion der konkreten seitens
unvorhergesehenen, ethischen Konflikte aufzufassen ist. Das
heißt,
mit anderen Worten, daß ein solcher Kodex nicht zu einer Art
"Beruhigungsmittel"
bzw. zu einer "Reinhaltungsweste" werden darf. Kodizes lassen ferner,
aufgrund
der bereichsinternen Geltung, die Einbettung der Probleme in
größeren
und vielfältigen Bedeutungs- zusammenhängen außer acht.
Solche
"makroethischen" Aspekte sind aber gerade diejenigen, die nach einem offenen,
nicht fixierten Diskurs verlangen. Warum? Weil es, zumindest für
Menschen,
nicht möglich ist, weder die Entwicklung eines Bereiches
vollständig
zu prognostizieren, noch all die, diesen Bereich beeinflußenden,
Außenparameter zu beachten, geschweige denn über das "Gute"
und "Böse" im voraus eindeutig zu entscheiden. Hier wie anderswo,
aber besonders im sich rasch verändernden und im Ausmaß
seiner
Auswirkungen kaum zu überschätzenden technologischen Bereich,
brauchen wir nicht eine resignierende Skepsis, sondern einen wachenden
Diskurs, der die möglichen Verabsolutierungen und
interessengebundenen
Verzerrungen in Frage stellt. Dabei geht es also nicht primär um
"technische
Vorschriften" und "pragmatische Ratschläge", sondern um die
Einbettung
des Bereiches in die offene Gesamtheit ethischer
Handlungsmöglichkeiten,
in der der Mensch die Entfaltung seiner Menschlichkeit, d.h. Freiheit
und
Würde anstreben kann. Welche Verfallsformen drohen, aus ethischer
Sicht, durch die Entwicklung im Bereich der Fachinformation?
II.
FACHINFORMATION UND IHRE VERFALLSFORMEN
Ich
möchte
drei Aspekte nennen, die mir besonders wichtig erscheinen. Erstens
könnte Information, insbesondere in ihrer elektronischen Gestalt,
gerade die Barrieren aufbauen bzw. vermehren, die es, aufgrund der
vorangehenden
"Krise", abzubauen galt. Das heißt, daß anstelle einer
Reduktion
von Komplexität eine unkontrollierte Informationsvermehrung
stattfindet.
Joseph Weizenbaum hat in einem mit Klaus Haefner
geführten
SPIEGEL-Gespräch auf die "Explosion des Quatsches" hingewiesen
(9). Wersig hat ebenfalls von einer "Quatsch-Explosion" sowie
von der
dadurch verursachten Bedrohung der "Verantwortungsbereitschaft" (sowie
der "Risikobereitschaft" und des "Selbstwertgefühls") gesprochen,
der man nur entgegnen kann, indem man auf der einen Seite auf die
Grenzen
der kalkülisierbaren Information hinweist, während, auf der
anderen
Seite, die Möglichkeiten der Wissensgestaltung, also der
"In-formation"
entfaltet werden (10).
Das
führt uns unmittelbar zum zweiten Aspekt, nämlich zu
der
Möglichkeit einer Situation, in der das Desinteresse an
Information
oder Fachinformation wächst, sei es aufgrund eines
Informationsmangels
(man hungert, sozusagen, im Überfluß) oder eines bloß
quantitativen Informationskonsums, was letztlich zu einem allgemeinen
"Verblödungsprozeß"
beitragen kann. Diesem Verfall könnte man, m.E., nur mittels eines
"Versinnbildlichungsprozesses" entgegensteuern. Damit meine ich die
nicht
nur individuelle, sondern auch gesellschaftliche Fähigkeit eines hermeneutischen,
d.h. kritisch-auslegenden Umgangs sowohl mit dem eigenen als auch mit
dem
"fremden" Wissen. Wir sind aber, m.E., noch weit davon entfernt, diese
Fähigkeit an Schulen und Hochschulen so zu fördern, wie es
angesichts
der "drohenden" Informationsgesellschaft nötig wäre. Das
bedeutet,
mit anderen Worten, daß eine "Informationsethik" Hand in Hand mit
einer "Informationsästhetik" gehen muß, d.h. daß wir
den
ethischen Rahmen unserer Handlungen stets in Zusammenhang mit einem
sinnstiftenden
Prozeß sehen müssen. Unter "ästhetischer Handlung"
verstehe
ich unsere Möglichkeit, die Realität so zu gestalten,
daß
sie zu einer Quelle von Interpretationen werden kann. Die Grundlage
eines
solchen "ästhetischen" Prozesses ist in unserem Fall die Sprache,
d.h. das lebendige Gespräch, etwa zwischen Völkern und
Kulturen,
von wo aus das fragmentarische Wissen, die Information in
elektronischer
Gestalt also, ihren konkreten möglichen Sinn erst gewinnen
kann.
Der dritte
Aspekt, der mit den beiden anderen eng
zusammenhängt,
ist die Gefahr einer Entstehung von Wissensmonopolen aufgrund einer
einseitigen
Privatisierung des Informationswesens. Das könnte den mit der
Aufklärung
begonnenen Prozeß der Demokratisierung des Wissens, etwa durch
die
Schaffung von allgemeinzugänglichen Bibliotheken, gefährden.
Hier sehe ich eine ethische Hauptverantwortung des Staates in unserem
Bereich,
nämlich in der Erhaltung bzw. Schaffung eines demokratischen
Zugangs
zur Information in ihren vielfältigen Formen. Das öffentliche
Bibliothekswesen liefert, glaube ich, ein noch gültiges Paradigma
für verantwortungsvolles staatliches Handeln im Bereich der
Fachinformation.
Meine Kernthese besagt, daß der Staat eine besondere
originäre
(keine subsidiäre) Verantwortung im Prozeß der
Sozialisierung
der Fachinformation hat. Warum soll der Staat hier eine Verantwortung
tragen
und worin liegt die Besonderheit? Der erste Teil dieser Frage weist,
wie
schon erwähnt, auf den seit der Aufklärung einsetzenden
Demokratisierungsprozeß
hin, wozu auch die Wissensproduktion und -verbreitung gehören. Das
Besondere dieser Verantwortung liegt darin, daß der Staat dem
Charakter
der Allgemeinnützlichkeit des Wissens und insbesondere des
Fachwissens
Rechnung tragen sollte. Wenn also der Staat die zunehmende
Privatisierung
des Bereichs der elektronischen Fachinformation fördert, sollte er
zugleich (!) eine demokratische Zugänglichkeit garantieren.
III.
DIE FORDERUNG NACH EINER DEMOKRATISCHEN ZUGÄNGLICHKEIT
Wie
läßt
sich eine solche Forderung verwirklichen?
1.
Das
Paradigma des öffentlichen Bibliothekswesens
Das
(besonders seit der Aufklärung) staatlich geförderte und
gepflegte
System des öffentlichen Bibliothekswesens kann als paradigmatische
"Lösung" des Spannungsverhältnisses zwischen dem allgemeinen
Interesse am gedruckten Wissen und seiner Vermarktung durch das
privatisierte
Verlagswesen dienen. Der Weg zu dieser "Lösung" war nicht leicht.
Die Ansätze im 19. Jh., im Zeitalter der Industrialisierung also,
waren noch zaghaft. Die Suche nach einer Fortsetzung dieses Weges
dürfte
aber, im Informationszeitalter, zunehmend zur Frage des "geistigen
Überlebens"
werden.
Wenn
also der Staat eine subsidiäre Rolle beim Angebot elektronischer
Fachinformation
spielen sollte, dann muß er ein Mindestmaß an
öffentlicher
Zugänglichkeit garantieren. Das soll nicht unbedingt "Information
zum Nulltarif für alle" bedeuten, sondern hier könnte eine
gestaffelte
Struktur geschaffen werden. So könnte z.B. eine Stadtbibliothek
gesonderte
Mittel für die Nutzung von BIBLIODATA bekommen, während die
Bibliothek
des Chemieinstituts der Universität XY eine staatlich
geförderte
Zugangsmöglichkeit zu Chemical Abstracts hätte, was
ja
zum Teil bereits geschieht.
Somit
könnte die bereits bestehende Bibliotheksstruktur als Grundlage
des
staatlichen Handelns zum Zwecke der Sozialisation der Fachinformation
dienen.
Ein staatliches Programm müßte aber hier modellhaft wirken
und
den Übergang zur Akzeptanz, sowohl seitens der Bibliotheken als
auch
der Nutzer, ermöglichen. Aufgrund der Kulturhoheit der Länder
ist eine sorgfältige Planung und Koordination notwendig.
2.
Staatliche
Verantwortung bei der Produktion elektronischer Fachinformation
Es
ist
allgemein bekannt, daß die durch private Verlage gedruckte und
vermarktete
Fachinformation vielfach das Ergebnis öffentlich finanzierte
Forschung
(und Lehre) ist. Dieser Sachverhalt gilt also um so mehr im Falle der
bibliographischen
Datenbasen sowie auch der sog. "Quellen-Datenbasen". Hier muß der
Staat das Prinzip der Allgemeinnützlichkeit in die Waagschale
werfen,
bevor er sich zu einer Privatisierung der Datenbasen-Produktion
entschließt.
Da die Privatwirtschaft stets mit utilitaristischen Kriterien arbeitet,
ist darüber hinaus notwendig, daß der Staat seine besondere
Verantwortung übernimmt, gerade in den Gebieten, die zwar von
allgemeinem
Interesse sind, die aber, aus welchen Gründen auch immer, sind
nicht
vermarkten lassen. Das geschieht zwar bereits, aber eine
verstärkte
Förderung der Fachinformation in den sog. "Geistes- und
Sozialwissenschaften,
also jener Wissenschaften, die sich kaum "industriemäßig"
vermarkten
lassen, findet kaum mehr Achtung. Ferner müßte man in diesem
Zusammenhang bedenken, daß im geistes- und
sozialwissenschaftlichen
Gebiet nicht nur Fachinformationen für die Forschung, sondern in
zunehmendem
Maße für den Bürger von praktischer Bedeutung sind.
Hier
könnte der Staat modellhaft jene "databases for everyman"
schaffen,
die dem Ausdruck einer Informationsgesellschaft einen sozialen Sinn
geben
würden.
Die
staatliche Verantwortung bei der Produktion elektronischer
Fachinformation
ergibt sich sowohl als logische Folgerung des eigenen Engagements in
Forschung
und Lehre als auch aufgrund des sozialen Auftrags. Diese beiden Aspekte
gelten auch für den folgenden Punkt.
3.
Staatliche
Verantwortung beim Angebot elektronischer Fachinformation
Wenn
ein
Nebeneinander von privaten und staatlichen Hosts bestehen soll, dann
muß
der Staat auch dafür sorgen, daß die dort angebotenen
Informationen,
etwa nach dem oben angedeuteten "Stufen-Modell", nicht nur im Prinzip,
sondern auch in einem sozial gerechten Sinne zugänglich werden.
Inwiefern
hier nicht nur die staatlichen Forschungs- und Lehrinstitutionen,
sondern
auch Teile der Privatwirtschaft (etwa kleine und mittlere Unternehmen)
im Rahmen einer sozialen Informationspolitik berücksichtigt werden
sollten, ist nicht nur eine Sache des politisch-wirtschaftlichen
Kalküls,
sondern auch der konkreten finanziellen Grenzen des Staates.
Man
könnte erneut in diesem Zusammenhang auf das Paradigma des
öffentlichen
Bibliothekswesens hindeuten. In seinem Buch "Der Verlust des Denkens"
schreibt
der amerikanische Wissenschaftler Theodore Roszak, unter dem
Titel
"Die öffentliche Bibliothek: Das fehlende Glied des
Informationszeitalter",
folgendes:
"Es
ist eine merkwürdige Tatsache, daß in der heutigen
Diskussion
um Information so selten von Bibliotheken die Rede ist . [...] All das
ist sehr bedauerlich, denn wenn computerisierte Informationsdienste
überhaupt
einen natürlichen Platz in der Gesellschaft haben, dann in der
öffentlichen
Bibliothek. Dort kann die Macht und die Reichweite der Technologie bei
gleichzeitiger demokratischer Offenheit maximiert werden." (11)
Roszak
berichtet anschließend von nützlichen Suchaktionen in
Datenbanken,
durchgeführt von der Los Angeles Public Library sowie von der San
Francisco Public Library. Er schreibt:
"Hier
also, in den Bibliotheken der Nation, haben wir ein bereits
existierendes
Netzwerk, das sich über die ganze Gesellschaft erstreckt, fast in
jedem größeren Bezirk eine Station besitzt und von
erfahrenen
Leuten betreut wird. Wenn die notwendigen Geräte für
computerisierte
Nachschlageeinrichtungen in den örtlichen Bibliotheken
konzentriert
wären oder, was aus wirtschaftlichen Gründen noch besser
wäre,
wenn jede örtliche Bibliothek an ein großzügig
finanziertes
regionales Referenzzentrum angeschlossen würde, wäre das der
billigste und schnellste Weg für die breite Öffentlichkeit,
freien
Zugang zu all den Vorteilen zu gewinnen, die das Informationszeitalter
zu bieten haben mag. Private, profitorientierte Informationsdienste
auf
Computerbasis (von denen es eine ständig wachsende Zahl gibt) sind
kein geeigneter Ersatz für die Dienste, die eine Bibliothek als
öffentliche
Nachschlageeinrichtung zu bieten vermag, wenn sie nur die Chance
bekommt
zu zeigen, was sie leisten kann." (12)
Roszak
fordert u.a., daß diese Informationsdienste sich nicht lediglich
auf akademische Belange einschränken, sondern ein breites Spektrum
sozialer Bedürfnisse (wie z.B. Rechtsbeistand, Mietrecht,
Arbeitslosengeld,
Ausbildungsmöglichkeiten, Gesundheits-, Wohlfahrts- und
Verbraucherprobleme)
berücksichtigen sollten. Obwohl also Roszak von "public
libraries",
d.h. von öffentlichen Bibliotheken im engeren (US-amerikanischen)
Sinne spricht, meint er letztlich das gesamte Netz des
öffentlichen
Bibliothekswesens. Ein Überdenken der Aufgaben und Ziele unserer
bundesrepublikanischen
öffentlichen Bibliotheken wäre in diesem Zusammenhang
wünschenswert.
Viele
dieser Gedanken sind weder neu noch besonders originell. Sie wurden
z.B.
von Klaus Lenk mehrfach geäußert (13).
Sie sind nicht besonders originell, da sie lediglich eine in einer
freiheitlichen
Demokratie selbstverständliche Soll-Aussage auf den Bereich der
Fachinformation
applizieren, nämlich die der Mitteilungsfreiheit. Außerdem
liegen
diese Gedanken bereits zum Teil der gegenwärtigen
Informationspolitik
der Bundesregierung zugrunde. Sie könnten aber vielleicht in
einigen
Bereichen deutlicher zum Ausdruck und konsequenter verfolgt werden.
Wenn
also der Staat dem Warenaspekt der elektronischen Fachinformation
Rechnung
tragen will, dann muß er auch dafür sorgen, daß diese
"Ware" ihre ursprüngliche soziale Dimension wieder gewinnt.
Zugegeben:
Auch die Demokratisierung des gedruckten Wortes hat Zeit in Anspruch
genommen.
Ich
fasse zusammen. Wenn also, so könnten wir mit Kant argumentieren,
dein Handeln im Bereich der Fachinformation zur Desorientierung,
"Verblödung"
und Monopolisierung führt, so daß du daraus keine allgemeine
Maxime machen kannst (da du sonst die sichere Zerstörung des
Menschen
in seiner Würde erreichtest), dann ist deine Handlung ethisch
nicht
zu rechtfertigen und, so könnten wir anschließend sagen, sie
wird sicherlich auch nicht zu einer sinnstiftenden d.h.
ästhetischen
Gestaltung dieses Gebietes verhelfen. Wir sehen also, daß eine
informationsethische
Reflexion, wie sie hier nur angedeutet werden konnte, Hand in Hand mit
einer konkreten geschichtlichen Reflexion über das jeweils
herrschende
"Ethos" geht. Das bedeutet u.a., daß im Rahmen einer
freiheitlichen
Demokratie, Information nicht bloß zu einer Ware
reduziert
werden darf, die es lediglich gut zu vermarkten, sondern daß sie eine
genuine menschliche Dimension darstellt, die es zu
erhalten,
pflegen und gestalten gilt. Wir dürfen also Information bzw.
Fachinformation
nicht losgelöst von den anderen Dimensionen sehen, aus denen sie
ihren
Sinn erst erhält. Diese sind:
- der
Bedarf
menschlichen Handelns an Orientierungswissen;
- das
Recht
eines jeden, sich frei mitzuteilen bzw. von den freien Mitteilungen
anderer
zu erfahren;
- die
Vielfalt
menschlicher Wissensformen mit ihrem unterschiedlichen Leistungssinn;
- das
menschliche
Verstehen: Wenn Informationen mögliche Antworten sind, dann
müssen
wir erst das Fragen lernen, d.h. wir müssen vielleicht
zuerst
lernen, daß nur wer zu fragen weiß, auch Informationen als
Antworten, die stets vor einem Horizont der Fragwürdigkeit zu
sehen
sind, aufzufassen vermag. Das ist etwas, daß, angesichts der
kommenden
vermutlich sich rasch und in vielen Lebensbereichen verbreitenden
KI-Systeme,
immer mehr an Bedeutung gewinnen sollte.
Mit
anderen
Worten, im Informationszeitalter brauchen wir eine
"hochentwickelte"
Hermeneutik (14). Damit meine ich nicht bloß eine
zusätzliche wissenschaftliche Disziplin, die sich "mit dem
Verstehen
beschäftigt", sondern die tatsächliche Kultivierung
sinnstiftender
Sprech- und Sprachhandlungen, also der Sprachpflege in Wort und
Schrift.
Dies betrifft u.a. die schöpferische Fähigkeit im Umgang mit
der eigenen Sprache sowie die Aneignung von fremden Sprachen und ihren
Werken, d.h. von anderen Zugangsformen zur gemeinsamen "Realität".
Ich meine, daß so etwas in einer durch die Informations- und
Kommunikationstechnologien
"zusammengeschrumpften" Welt nicht nur eine "schöne Sache",
sondern
eine Sache des geistigen Überlebens ist. In einem mehrsprachigen
Kontinent
wie Europa ist dies sogar eine "conditio sine qua non".
SCHLUSS
Wenn
wir
also, zum Schluß dieser Ausführungen, beim Zusammenhang
zwischen
Sprache und Information angekommen sind, dann ist das vielleicht kein
Zufall
(15). Im "Rausch" der Sprachmanipulation könnten
wir nämlich vergessen, daß Sprache nicht lediglich ein
Instrument
zur Fixierung und Vermittlung von Informationen, sondern eine
hochentwickelte,
über Jahrtausende gewachsene, "weiche Technologie" ist (16),
die es, ähnlich wie die Wälder und die Luft, zu schützen
und zu pflegen gilt, wollen wir die "sprachfähigen" Wesen bleiben,
die wir (noch) sind. Hier liegt vielleicht auch die tiefste ethische
(und
ästhetische) Herausforderung, die die "stille Revolution",
nämlich
die der Informationstechnologie, an uns "sprachbedingte" Wesen stellt.
Vielleicht werden wir sie aber, wie bei der Ökologie, erst
begreifen,
wenn es fast zu spät ist.
Was
gehört also zum verantwortungsvollen Handeln im Bereich der
Fachinformation?
Verantwortungsvolles Handeln setzt immer die Bewegung der Reflexion
voraus.
Wir müssen also erst ein breites öffentliches Engagement in
einem
ethischen Diskurs fördern, und dieses im
Entscheidungsfindungsprozeß
mit einbeziehen.
Zweitens,
müssen wir die wissenschaftliche Analyse unseres
"Informationsethos"
vorantreiben. Unser Informationszeitalter wird erst einen Sinn
gewinnen,
wenn wir in der Lage sind, seine "glänzenden" Leistungen in
Beziehung
zu den anderen reichhaltigen Formen der zwischenmenschlichen Mitteilung
zu setzen. Dies zu erforschen könnte als eine "schöngeistige"
Beschäftigung aufgefaßt werden. Aber vielleicht wollen wir
auch
in diesem Bereich nicht ganz "sinn-" bzw. "sprach-los" sein.
Informationsethos und Informationsethik: auf das "und" kommt
es also
an!