hermeneutik

 
 
 
Hermeneutik der Fachinformation. Freiburg, München: Alber 1986.

Habilitationsschrift vorgelegt an der Fakultät Philosophie der Universität Stuttgart (1989). Lehrbefugnis für das Fachgebiet Praktische Philosophie am 17.01.1990 (Siehe hier). Antrittsvorlesung am 2.05.1990: Ethik und Informatik. Die Herausforderung der Informatik für die Praktische Philosophie.

Rezensionen
Klaus Wiegerling,
 
Phenomenological Inquiry (1986) 10, 152-154.
Rolf Thiele, Bibliothek (1987) 3, 358-363.
Bernd Lorenz, Zt.f.Bibliothekswesen und Bibliographie. (1987) 34, 289-290.
Karl Leidlmair, Philosophisches Jahrbuch (1988) 95 Jg., 216-218.
Martin Hielscher, Philos. Literaturanzeiger (1988) 41, 345-348.



Weitere Arbeiten zur Hermeneutik:
  • R. Capurro, J. Holgate (Eds.): Messages and Messengers - Angeletics as an Approach to the Phenomenology of Communication, München: Fink 2011.

Aufsätze
Siehe: https://www.capurro.de/db.htm#Hermeneutik
See:

 

INHALT



I.1. Das Geschäft der Hermeneutik
a) Zum Begriff des Vorverständnisses  
b) Zur theoretischen und praktischen Tragweite des Begriffs des  Vorverständnisses   
c) Die Metaphern von "Horizont", "Dreieck" und "Zirkel"   
d) Der systematische Ort einer Hermeneutik der Fachinformation 

I.2. Vorbegriff der Fachinformation   
a) Zum gegenwärtigen Selbstverständnis von Fachinformation in der Bundesrepublik   
b) Zum gegenwärtigen internationalen Selbstverständnis von Fachinformation   
c) Zum gegenwärtigen alltäglichen Selbstverständnis von Fachinformation 

I.3. Beiträge zur Hermeneutik der Fachinformation  
a) B. Langefors' "infologischer" Ansatz   
b) A. Diemers Informationshermeneutik   
c) N. Henrichs' semiotisch-hermeneutischer Ansatz   
d) Unthematische hermeneutische Reflexionsmomente in informations- wissenschaftlichen Ansätzen 

 
II.1. Zur Kritik erkenntnistheoretischer Modelle in der Informations- wissenschaft  
a) Zur Kritik des Abbild-Modells   
b) Zur Kritik des Sender-Kanal-Empfänger-Modells   
c) Zur Kritik des platonistischen Modells  

II.2. Hermeneutische Auslegung einiger Grundzüge des Mensch-seins    
a) Das Miteinandersein der Menschen in einer gemeinsamen Welt   
b) Der Grundzug der Mitteilung   
c) Der Praxis-Bezug und das Fragen 

II.3. Zur Konstitutionstheorie der Fachinformation  
a) Das Miteinandersein der Fachleute in einer gemeinsamen Welt: die Fachgemeinschaft   
b) Die fachliche Erschließung der Welt: das Fachgebiet   
c) Der fachliche Mitteilungsprozeß: die Fachkommunikation 



III.1. Hermeneutische Fragen beim Aufbau von Datenbasen    
a) Das Vorverständnis der Fachklassifikation    
b) Das Vorverständnis der Indexierung       
c) Das Vorverständnis des Referierens   

III.2. Hermeneutische Fragen beim Retrieval  
a) Die hermeneutische Konstituion des Online-Dialogs    
b) Die "Search-and-Find"-Methode als ein hermeneutischer Prozeß    
c) Die Frage nach der Relevanz des Retrievalergebnisses  

III.3. Das Information Retrieval als Beitrag zur Sozialisation der Fachinformation  
a) Die Frage nach der Publizität der Fachinformation   
b) Die Frage nach der Humanisierung des Technikeinsatzes   
c) Die Frage nach den sozio-kulturellen Implikationen des Information Retrieval



 
 
 
 

EINLEITUNG


"[...] σκεψάμενον δέ, ἐὰν ερς, μεταδιδόναι κα μοί"
"[...] und wenn du es durch dein Nachdenken gefunden hast, dann teile es auch mir mit"

(Platon, Cratylus 440 d)


Die gegenwärtig modernste Methode zur Verarbeitung, Speicherung, Wiederfindung und Verbreitung von (schriftlich) fixierten Fachinformationen, nämlich das "Information Retrieval", wirft eine Reihe von Fragen auf, die in der philosophischen Diskussion unter die Rubrik "Hermeneutik" fallen.

Die Hermeneutik befaßt sich mit dem Verstehen und sie hat, bevor sie zu einer allgemeinen bzw. philosophischen Hermeneutik entwickelt wurde, diese Fragen in Zusammenhang mit der Interpretation von "klassischen" Texten (insbesondere theologischen, aber auch literarischen, juristischen usw.) eingehend thematisiert: aus den Fragen, die z.B. die Interpretation von juristischen Texten aufwarf, entwickelte sich eine juristische Hermeneutik usw. Von hier aus ist es verständlich, daß, wann immer die Auseinandersetzung mit dem schriftlich Fixierten im Mittelpunkt steht, eine dem jeweiligen Textinhalt entsprechende Hermeneutik entsteht, wobei es unwichtig ist, ob die behandelten hermeneutischen Fragen ausdrücklich unter diesem Namen erörtert werden oder nicht.

Sammlung, Auswertung, Verarbeitung, Speicherung, Wiederfindung, Vermittlung und Nutzung von Fachinformationen weisen auf eine lange Geschichte hin, die aber nicht Gegenstand dieser Untersuchungen ist.[1] Unser sogenanntes Informationszeitalter kann u.a. als solches mit Recht gekennzeichnet werden, nicht weil es so etwas wie Information oder Fachinformation in früheren Epochen nicht gab, sondern weil diese Sachverhalte in unserer Zeit besonders 'frag-würdig' geworden sind. Der Verlust an Selbstverständlichkeit ist das Kennzeichen einer hermeneutischen, d.h. interpretationsbedürftigen Situation. Fachinformation als hermeneutische Frage? Das betrifft die Frage nach ihrem Verstehen und unser Selbstverständnis.   

Wenn heute die Prozesse der Produktion, Vermittlung und Nutzung von Fachinformation sich in einem nicht nur technologischen Umbruch befinden, dann ist das nicht einem "blinden Fortschritt" zuzuschreiben (obwohl es in diesem Bereich an "Fortschrittsgläubigkeit" nicht mangelt), sondern einer (vermutlich sich lange anbahnenden) Änderung des Verhältnisses des Menschen zu diesem Sachverhalt. Worauf diese Änderung zurückzuführen ist, ist eine weitere hier nicht zu erörternde Frage. Worin diese Änderung besteht, sofern sie heute mit dem Begriff der Fachinformation zum Ausdruck kommt, kann vielleicht im Laufe der folgenden Untersuchungen deutlicher werden. In diesem Falle könnten wir auch mit der Fragwürdigkeit unseres Bezuges zur Sprache als Information besser fertig werden.[2] Die Ausarbeitung dieses Bezuges seitens einer Hermeneutik der Fachinformation versteht sich als ein Beitrag dazu.

Der Gang dieser Untersuchungen kann folgendermaßen angedeutet werden: Im ersten Teil soll die Fragestellung umrissen werden. Das erste Kapitel ist der Erörterung einiger hermeneutischer Grundbegriffe, die der gesamten Untersuchung zugrunde liegen, gewidmet. Im zweiten Kapitel soll ein Vorbegriff von Fachinformation, ausgehend von seinem gegenwärtigen Verständnis, dargelegt werden. Schließlich werden einige Beiträge zur Hermeneutik der Fachinformation analysiert.

Im zweiten Teil wird die Frage nach der Grundlegung einer Hermeneutik der Fachinformation behandelt. Die Tragweite des dargelegten Ansatzes wird zunächst durch die Auseinandersetzung mit in unserem Bereich vorherrschenden Modellen erprobt. Anschließend werden in Anknüpfung an die Ansätze von Martin Heidegger, Medard Boss und Hannah Arendt einige Grundzüge des Mensch-seins thematisiert. Anhand dieser hermeneutischen Auslegungen wird der Versuch unternommen, eine Konstitutionstheorie der Fachinformation zu erarbeiten.

Im dritten Teil schließlich werden jene hermeneutischen Fragen aufgeworfen, die sich in Zusammenhang mit dem Information Retrieval, d.h. mit der Speicherung und Wiedergewinnung von Fachinformationen aus dem Computer, stellen. Diese Beiträge zur Hermeneutik des Information Retrieval erfolgen vorwiegend am Beispiel der bibliographischen Datenbasen. Dabei wird auch die Tragweite unseres Ansatzes im Hinblick auf andere Möglichkeiten der elektronischen Informationsspeicherung und -wiedergewinnung zum Ausdruck kommen. Die Erörterung des Information Retrieval als Beitrag zur Sozialisation der Fachinformation beschließt diese Untersuchungen.

Der besondere Charakter einer Hermeneutik der Fachinformation, zu deren Kern zweifellos gegenwärtig die sich aus dem Information Retrieval ergebenden Fragen gehören, kann folgendermaßen hervorgehoben werden: Es geht um das Verstehen im Sinne einer Grundstruktur des Mensch-seins. Von hier aus soll der Zusammenhang der zwischenmenschlichen Kommunikation, insbesondere im Hinblick auf die Vermittlung von schriftlich fixiertem Wissen bzw. von Texten erläutert werden. Es geht also bei dieser Hermeneutik weder um das Verstehen von Naturerscheinungen noch von geschichtlichen Ereignissen. Ferner, und im Unterschied zu anderen Hermeneutiken, die sich auch mit dem Verstehen von Texten befassen und sich dabei z.B. auf ein bestimmtes Gebiet beschränken, geht es hier um fachliche Texte in einem umfassenden Sinne. Schließlich werden diese Texte, ihrem ursprünglichen Mitteilungscharakter entsprechend, als Fachinformation verstanden. Als besondere Problematik des Verstehens von Fachinformationen stellt sich hier nicht so sehr die Frage nach dem Verstehen von gedruckten Texten, wie es bisher die "Texthermeneutiken" getan haben, sondern die nach dem Verstehen von im Computer gespeicherten Fachinformationen. In unserer Darstellung werden wir exemplarisch auf die hermeneutischen Fragen, die sich im Falle von bibliographischen Datenbasen stellen, eingehen.

Die Schnittmengen aus diesen unterschiedlichen Sachverhalten bilden das Ziel und die Grenze dieser Untersuchungen.


 
 
  
 

I. UMRISS DER FRAGESTELLUNG

I.1. Das Geschäft der Hermeneutik   
I.2. Vorbegriff der Fachinformation
I.3. Beiträge zur Hermeneutik der Fachinformation
  
 
 
  
  

I.1. Das Geschäft der Hermeneutik

Vorbemerkung

a) Zum Begriff des Vorverständnisses   
b) Zur theoretischen und praktischen Tragweite des Begriffs des  Vorverständnisses   
c) Die Metaphern von "Horizont", "Dreieck" und "Zirkel"   
d) Der systematische Ort einer Hermeneutik der Fachinformation   

Vorbemerkung

Zweck dieses Kapitels ist nicht eine ausführliche Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Forschung auf dem Gebiet der (philosophischen) Hermeneutik,[3] sondern eine Einführung in den insbesondere für diese Untersuchungen zentralen Begriff des Vorverständnisses. Seine theoretische und praktische Tragweite soll angedeutet und einige damit zusammenhängende Metaphern sollen erläutert werden. Schließlich soll der systematische Ort einer Hermeneutik der Fachinformation dargestellt werden. Da in der gegenwärtigen (philosophischen) Diskussion der Begriff "Hermeneutik" mit unterschiedlichen zum Teil polemischen Vorurteilen vorbelastet ist, erscheint es als notwendig, zumindest zwei mögliche Mißverständnisse auszuräumen.

Zum einen könnte man meinen, es handelt sich bei der Hermeneutik um einen Diskurs bzw. um ein "Geschäft", das vorwiegend die ("verstehenden") Geisteswissenschaften betrifft, die sich dadurch methodisch von den ("erklärenden") Naturwissenschaften unterscheiden lassen. Zum anderen könnte der Verdacht aufkommen, die Hermeneutik beträfe im Grunde nur die theoretische Seite unseres Verhältnisses zur Wirklichkeit und wäre somit einseitig (bzw. in der Marxistischen Terminologie "idealistisch").

Wenn Hermeneutik als ein möglicher Rahmen für eine Fragestellung verstanden wird, die sich, wie in unserem Fall nicht nur außerhalb methodologischer Grenzziehungsstreitigkeiten zwischen Fachbereichen bewegt, sondern auch den Bereich des Handelns einschließt, dann entspricht dies einem kritischen Selbstverständnis von Hermeneutik, das sich zum einen aus dem Dialog mit der analytischen Philosophie und der Wissenschaftstheorie,[4] zum anderen aus der praktischen Wende der philosophischen Hermeneutik selbst ergeben hat, die, jenseits von theoretisch-methodologischen Absolutheitsansprüchen, die Inkarnation menschlichen Denkens in einem Handlungszusammenhang als ursprünglich positiv bewertet.[5] In diesem Sinne bedeutet die Beschäftigung mit dem Verstehen nicht bloß die Thematisierung einer bestimmten Erkenntnisart des Menschen, sondern die Auslegung einer Grundstruktur des Mensch-seins.[6] Wir wenden uns zu Anfang dieser Grundstruktur zu.

a) Zum Begriff des Vorverständnisses 

Wenn "Verstehen" nicht als Gegenbegriff zu "Handeln" aufgefaßt wird, bedeutet es, daß beide Begriffe gleichursprünglich verbunden sind. Gleichursprünglich, d.h. Verstehen ist immer schon ein Sichverhaltenkönnen des Menschen im Hinblick auf die ihm (individuell und kollektiv) offenen Möglichkeiten. In einem später zu entfaltenden Sinne (vgl. II, 2) verstehen wir uns immer schon mit den Anderen bei denselben Dingen der gemeinsamen Welt. Dieser Sachverhalt des "Sich-immer-schon-verstehens" wird sprachlich mit der Vorsilbe "vor" ausgedrückt, so daß von "Vorverständnis" die Rede ist. Von hier aus läßt sich die Grundstruktur des Verstehens folgendermaßen darstellen:[7]

Verstehen 1 (V1): im Sinne vom (alltagssprachlichen) Verstehen bzw. Nicht-Verstehen von sinnlichen Gegebenheiten in ihrer Bedeutung; deshalb auch die Bezeichnung "Sinnverstehen" bzw. Verstehen schlechthin.

Verstehen 2 (V2): damit ist das Erfassen des Zu-Verstehenden in einem Sinnzusammenhang gemeint. Wir begegnen z.B. den Dingen als diesen oder jenen (V1) in einem (gemeinsamen und zugleich sich jeweils ändernden) Bedeutungs- und Verweisungszusammenhang. In bezug auf die Herausarbeitung dieses Sinnzusammenhanges bei Texten nennen wir dieses Verstehen Interpretation.

Verstehen 3 (V3): hier geht es um das Verstehen der Weltoffenheit selbst, in der wir sind. Wir können vom Vorverständnis im engeren Sinne sprechen.

Diese Differenzierung zeigt nur Momente einer einheitlichen Struktur. Diese Struktur ist "die ontologische Basis für die Konstitution des hermeneutischen Wirklichkeitsbereiches".[8] Wenn als Ausgangspunkt einer hermeneutischen Reflexion das gemeinsame Austragen der Weltoffenheit und der uns begegnenden Dinge angesetzt wird, dann ist das zugleich ein "realistischer" und ein "kritischer" Ausgangspunkt. Ein "realistischer", indem hier nicht etwa mit der "skandalösen" Frage nach der Realität de "Außenwelt" angefangen wird und ein "kritischer", indem gerade die (in der neuzeitlichen Philosophie besonders beliebte) Vorstellung von einer "Außenwelt" mit dem Korrelat einer in sich geschlossenen "Psyche" bzw. eines hypostasierten Bewußtseins in Frage gestellt wird. Ferne begreifen wir den Menschen sowohl in seiner Sozialität als auch in seinem theoretisch-praktischen Verhalten. Die bereits angesprochene Tragweite der Hermeneutik soll in bezug auf den Begriff des Vorverständnisses näher erläutert werden.

b) Zur theoretischen und praktischen Tragweite des Begriffs des Vorverständnisses 


Mit der Aufdeckung des Phänomens des Vorverständnisses und der damit verbundenen Aufhebung der traditionellen Unterscheidung zwischen inneren und äußeren Zusammenhängen der dem Menschen begegnenden Dinge, entfallen jene Methodenvorbehalte, wovon oben die Rede war. Es kann gezeigt werden, daß in unterschiedlichen philosophischen Ansätzen diese Struktur, wenn auch nicht immer in derselben Weise, angesprochen wird.[9] So spricht z. B. H.-G. Gadamer von "Vormeinung" und "Vorurteil", K.R. Popper von "Horizont von Erwartungen",[10] Th. S. Kuhn von "Paradigmen" usw. Der Begriff des Vorverständnisses kommt z.B. in der Wissenschaftstheorie so zum Tragen, indem anerkannt wird, daß wissenschaftliche Erkenntnisse paradigmatischen Änderungen unterliegen. Damit sind philosophische, historische, psychologische, methodologische usw. Dimensionen gemeint. Es gibt keine Letztbegründung bzw. keinen endgültigen Beweis von Theorien durch "nackte Tatsachen". Erfahrung ist wiederum immer "theoriebeladen". Voraussetzungen haben in den Wissenschaften sowohl eine "richtungsweisende" als auch eine "abschirmende" Funktion.[11] Das Ideal einer reinen Wissenschaft entspringt einem außerwissenschaftlichen Vorverständnis, nämlich dem Ideal des "theoretischen Lebens", während wir es in Wahrheit mit einer Pluralität von Wissenschaften zu tun haben, die innerhalb ihrer Vorverständnisse zu einer sonst nicht erreichbaren Präzision ihrer Aussagen gelangen. Damit ist auch die grundsätzliche Trennung zwischen reinen und angewandten Wissenschaften fragwürdig. "Es war besonders das Verdienst Heideggers", schreibt W. Wieland, "schon in einer Zeit, in der wissenschaftstheoretische Probleme noch nicht auf allgemeines Interesse rechnen konnten, auf diese 'technischen' Komponenten in der gesamten neuzeitlichen Wissenschaft aufmerksam gemacht zu haben."[12]

Es läßt sich also kein archimedischer Punkt finden, der zur endgültigen Grundlegung unseres Wissens (und Tuns!) führen würde. Das bedeutet, daß unser Wissen auf intersubjektive Verständlichkeit aufgebaut ist, diese aber auf "subjektive" Evidenz, d.h. auf einen Ort verweist, der letztlich offen bleibt. Das ist auch der Grund warum wir, wenn wir intersubjektives Wissen anstreben, erst einmal wissen müssen, was die anderen sagen.[13] Es liegt an uns, wann wir diesen Regreß (vorläufig) abbrechen. Vorverständnisse, die zu wissenschaftlichen Theorien entfaltet werden, lassen sich ebensowenig unter Ausschluß "subjektiver" Evidenz wie unter Ausschluß des jeweiligen fachlichen Mitteilungsprozesses konstituieren. Diese Aussage zu entfalten, sie in bezug auf die gegenwärtigen technischen Möglichkeiten dieses Prozesses zu setzen, ist eine der zentralen Aufgaben einer Hermeneutik der Fachinformation.

Die Tragweite des Begriffs des Vorverständnisses läßt sich auch im Bereich der Praxis ermessen. Die pragmatische Dimension der Hermeneutik und mit ihr der Struktur des Vorverständnisses wurde von K.O. Apel in Anschluß an Ch. S. Peirce ausgearbeitet. Mit der Aufgabe des theoretischen Ideals einer in sich geschlossenen sich selbst begründenden reinen Wissenschaft (mit dem damit zusammenhängenden Ideal eines "Weltkalküls"), erfolgt eine pragmatische Wende in der Wissenschaftstheorie die in eine hermeneutisch-pragmatische Fragestellung mündet, nämlich die nach dem in der realen Welt handelnden Interpretant: "Setzt man als Subjekt der Zeicheninterpretation nicht die szientistisch begrenzte Interpretationsgemeinschaft der Experimentatoren, sondern die der geschichtlichen Interaktionsgemeinschaft, so scheint mir auch hier ungeachtet des Umstands, daß die Interpretation jetzt in irreversibler Form mit einer der Verhältnisse verändernden Tätigkeit verschränkt ist ein regulatives Prinzip möglichen unbegrenzten Fortschrittes auffindbar zu sein."[14] Der Begriff des Vorverständnisses, sofern damit der gemeinsam ausgetragene Bezug zur Weltoffenheit und zu den uns begegnenden Dingen (V3) gemeint wird, liegt also sowohl der Interpretations- als auch der Interaktionsgemeinschaft zugrunde, denn in beiden Fällen erweist sich als notwendig, sowohl auf die eigenen Voraussetzungen als auch auf die gegenseitige Bedingtheit zu reflektieren, um somit mögliche Verdogmatisierungen zu vermeiden.[15] In der Sprache J. Habermas handelt es sich hier um den Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Interesse, nämlich um eine "Universalpragmatik".[16]

Gadamer hat am Beispiel des Streites zwischen erkenntnistheoretischen und -pragmatischen Ansprüchen die relativierende  Rolle des Vorverständnisses folgendermaßen ausgedrückt: "Zwar stimme ich Habermas zu, daß ein hermeneutisches Vorverständnis immer im Spiele ist und daher der reflexiven Aufklärung bedarf. Aber darin halte ich es doch wiederum mit der 'kritischen Rationalität', daß ich eine völlige Aufklärung für illusionär halte."[17] Hermeneutik ist, mit anderen Worten, "Replik auf menschliche Endlichkeit". [18]

Inwiefern die angedeutete Leistungsfähigkeit des Begriffs des Vorverständnisses in Theorie und Praxis für die hier zu erörternde Problematik der Fachinformation von zentraler Bedeutung ist, wird sich im Laufe dieser Untersuchungen erweisen.

c) Die Metaphern von "Horizont", "Dreieck" und "Zirkel" 

Wenngleich Metaphern zur Erläuterung bzw. Verbildlichung eines Sachverhaltes dienen können und sollen, geben sie zugleich aufgrund ihrer teilweise sachlichen Unangemessenheit Anlaß zur Kontroverse. Sie sollen deshalb vom Phänomen selbst unterschieden und gegebenenfalls kritisiert werden. Drei Metaphern sind in unserem Fall von Bedeutung.  

Es handelt sich zum einen um die Metapher des "Horizonts". Mit ihr wird üblicherweise das Vorverständnis der Weltoffenheit ("Welt als Horizont" bei Edmund Husserl) (V3), aber auch die konkreten Bedeutsamkeitsbezüge, von wo aus wir die uns begegnenden Dinge in ihrem jeweiligen Sinne vor-verstehen, gemeint. Heidegger wendet diese räumliche Metapher z.B. auf die in sich gegliederte und dem Menschen offene Zeitlichkeit an und zeigt, inwiefern von diesem "horizontalen Schema" aus wir uns selbst und die uns begegnenden Dinge verstehen. Gegenüber der Metapher von der "Form", die in Zusammenhang mit dem Phänomen der Erkenntnis (z.B. bei Kant) eine Verzerrung dieses Phänomens darstellen könnte, schreibt Heidegger:

"Die Bedeutsamkeitsbezüge, welche die Struktur der Welt bestimmen, sind daher kein Netzwerk von Formen, das von einem weltlosen Subjekt einem Material übergestülpt wird. Das faktische Dasein kommt vielmehr, ekstatisch sich und seine Welt in der Einheit des Da verstehend, aus diesen Horizonten zurück auf das in ihnen begegnende Seiende."[19]

Um die Dynamik der Zusammenkunft unterschiedlicher Vorverständnisse, z.B. die des Autors, des Textes selbst, des Lesers, die sich stets zu einem neu bildenden Horizont "verschmelzen", ohne sich aber gegenseitig aufzuheben, spricht Gadamer von "Horizontverschmelzung".[20] Man kann ferner von "Horizontvorgabe", "Horizontverschiebung", "Horizontwechsel", "Horizont- stabilisierung" usw. sprechen. Wir sahen auch, daß z.B. in der Wissenschaftstheorie von "horizon of expectations" (Popper) die Rede ist. Diese Metapher wird uns insbesondere bei der Erörterung des Zusammenspiels unterschiedlicher Vorverständnisse während des Information Retrieval von nutzen sein  (vgl. III,1). 

"Dreieck" und "Zirkel" unterstreichen jeweils die im Verstehensvorgang enthaltenen Momente bzw. die Dynamik des Vorganges. Das Dreieck "Produzent-Werk-Rezipient", das in den jeweiligen "Horizonten" eingebettet ist, kann auf Verstehensprozesse in unterschiedlichen Bereichen angewandt werden: z.B. in der Medizin (Arzt-Gesundheit-Patient), in der Pädagogik (Lehrer-Erziehungs-Ziel-Zögling) und eben auch im Informationsbereich (Interpret-Wissen -Zeichen) (vgl. I, 3).[21]

Die Metapher vom Zirkel des Verstehens stammt aus der antiken Rhetorik und besagte, daß man das Ganze eines Textes aus dem Einzelnen und das Einzelne aus dem Ganzen verstehen müsse. Das Verstehen eines Textes vollzieht sich vor dem Hintergrund eines Sinnentwurfs, der in der Aus-einander-setzung mit dem Text "aufs Spiel gesetzt" wird. Dieser Vorgang betrifft die Struktur des Verstehens überhaupt, indem wir wir sahen, es auch in den Wissenschaften kein voraussetzungsloses Wissen gibt, bzw. "Sinnverstehen" (V1) immer von einem vorausgehenden Verständnis eines Sinnzusammenhanges (V2) bedingt wird. Diese Struktur wird in den Wissenschaften nicht vermieden, sondern ausgenutzt, wenn z.B. Vorverständnisse als heuristische Prinzipien im Hinblick auf Zu-erklärende ins Spiel gebracht werden, um dementsprechend beibehalten bzw. geändert zu werden. Mit dem Zirkel des Verstehens ist hier die Hypothetizität aller Erkenntnis gemeint. [22]

Es war Heidegger, der diese Struktur als konstitutiv zum Menschen und seinem Welt- und Selbstverständnis auffaßte und das Vorverständnis nicht bloß als Methode, sondern als einen eminent menschlichen Vorgang auslegte. "Das entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus, sondern in ihn nach der rechten Weise hineinzukommen."[23] Damit ist zugleich gesagt, daß dieser "Zirkel" kein "circulus vitiosus" im Sinne der Logik ist. W. Stegmüller hat die Zirkelmetapher im Sinne der Logik kritisiert. [24] Es läßt sich zeigen, daß z.B. das von Stegmüller verlangte Kriterium der Überprüfung von Kohärenz und logischem Zusammenhang sowohl im Hinblick auf den Text als auch auf die Interpretation bereits "zirkulär" anzuwenden ist. "Zirkel des Verstehens" ist aber, wie Stegmüller selbst andernorts betont, keine Bezeichnung eines "Pseudoproblems", sondern "einer ganzen Begriffsfamilie von Problemen", die zum Teil in einem engen Zusammenhang zu dem "Problem der Theoriebeladenheit der Beobachtung" stehen.[25]

Mit dem "hermeneutischen Zirkel" wird also eine grundlegende Dimension angesprochen, die die gesamte menschliche Existenz durchzieht. Jede menschliche Aktivität enthält eine Reihe nicht-thematisierter Vorverständnisse, ein "tacit background" (im Gegensatz zur "analytic reflection"), das durch die hermeneutische Reflexion artikuliert wird.[26] Diese "Zirkularität" des Verstehens bedingt die "Erfahrung des Neuen" bzw. den Erkenntnisfortschritt in den Wissenschaften, die ihre Vorurteile mit äußerster Exaktheit durchleben.[27] In der Gründlichkeit des Irrens liegt das besondere exakte Moment der empirischen Wissenschaft begründet.[28] Das Sokratische Wissen des Nichtwissens wird methodologisch stets eingesetzt. Im übrigen hat Heidegger selbst auf die Unangemessenheit dieser Metapher in bezug auf das Verstehen im Sinne einer Grundstruktur des Mensch-seins hingewiesen.[29]

d) Der systematische Ort einer Hermeneutik der Fachinformation 

Aus dem Gesagten geht u.a. hervor, daß das primäre Geschäft der Hermeneutik nicht die Entwicklung einer Methode, sondern die Explikation eines Grundzuges des Mensch-seins ist. Dieser Grundzug, nämlich der des Verstehens, kann unter einer formalen und einer materialen Hinsicht untersucht bzw. dargestellt werden. Aufgabe der formalen Hermeneutik ist die phänomenologische, ontologische und erkennentistheoretische Deutung des Verstehens im Sinne einer Grundstruktur des Mensch-seins. Im Mittelpunkt steht hier die Verklammerung von Mensch und Welt im Sinne des gemeinsamen Austragens der Weltoffenheit und der uns begegnenden Dinge. Das Vorverständnis (V3), also daß wir uns immer schon, "vor" jedem anderen Verstehen, so verstehen, bezeichnet nicht primär einen Vorgang eines Subjektes, sondern eine Dimension des Mensch-seins. Da jede materiale Hermeneutik auf diese originäre Dimension zurückweist, werden je nach untersuchtem Gegenstand die formal-hermeneutischen Momente in Beziehung zu diesem Sachverhalt gebracht und spezifisiert. Dabei läßt sich eine hermeneutische Theoretik und eine hermeneutische Positivik entwickeln. Im ersten Fall handelt es sich um die Aufstellung eines spezifischen hermeneutischen Modells, im zweiten um die Thematisierung des Gegenstandes von diesem Modell aus.[30] Da sich in vielen Wirklichkeitsbereichen materiale Hermeneutik bzw. Bereichshermeneutiken entwickeln lassen, wird hier, im Hinblick auf eine Bestimmung des systematischen Ortes einer Hermeneutik der Fachinformation, auf eine solche Aufzählung verzichtet. Gleichwohl soll aber der sachliche Zusammenhang mit traditionsreichen Bereichshermeneutiken aufgezeigt werden (Abb. 1).

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Abb. 1: Der systematische Ort einer Hermeneutik der Fachinformation

Eine Hermeneutik der Fachinformation teilt mit anderen Bereichshermeneutiken die Gegebenheit der Sprache. Wie in verwandten Bereichshermeneutiken auch, spielt die schriftliche Fixierung von Sprache (Text) eine besondere Rolle. Texte lassen sich wiederum nicht vom sie konstituierenden Mitteilungsprozeß trennen. Die Explikation dieses Phänomens spielt in unserem Bereich eine besondere Rolle. Eine materiale Theoretik der Fachinformation muß die konstitutiven Momente dieses Phänomens zur Sprache bringen. Die Positivik, die die Gegebenheiten selbst thematisieren soll, wird in unserem Fall am Beispiel der im Computer gespeicherten bibliographischen Datenbasen entwickelt. Das Beispiel beschränkt sich sowohl auf eine bestimmte Vermittlungsart als auch auf eine bestimmte Form der Verobjektivierung. Im Hinblick auf die formale Hermeneutik ist darauf hinzuweisen, daß die in diesem Kapitel umrißhaft aufgezeichneten phänomenologischen, ontologischen und erkenntnistheoretischen Momente des Verstehens weiter thematisiert werden, wobei die Reichweite des hermeneutischen Ansatzes gegenüber anderen Modellen erkennbar wird. Dieser formale hermeneutische Ansatz soll zur Grundlegung einer Hermeneutik der Fachinformation (materiale Theoretik und Positivik) dienen. Schließlich ist zu bemerken, daß so wie die Hermeneutik des Information Retrieval exemplarisch ein Phänomen  der Hermeneutik der Fachinformation thematisiert, so auch wiederum die letztere sich auf eine (allgemeine) Informationshermeneutik zurückführen läßt, wo u.a. die zusammenhängenden Vorgänge des Verstehens und der Mitteilung dargestellt werden.[31] Auf diesen Zusammenhang soll auch der zu entwickelnde hermeneutische Ansatz hinweisen (vgl. II, 2).

Die vorliegenden Untersuchungen verstehen sich als Weiterführung der Ansätze, die insbesondere von Heideggers Denken ausgingen. Wenn Hermeneutik heute diese Anstöße nicht weiter mit sich trägt, dann bleibt sie, wie O. Pöggeler schreibt, "ohne Tiefe und Schärfe".[32] Zugleich sind aber diese Untersuchungen ein Vordringen zu neuen Fragestellungen, die z.T. jenseits traditioneller Hermeneutik liegen. Dadurch wird sich nicht nur die universale Offenheit der Hermeneutik als ein Weg heutigen Philosophierens zeigen, sondern auch die Möglichkeit ergeben, eine gewisse hermeneutische "Blindheit" für den eigentlichen Leistungssinn bestimmter Phänomene zu überwinden, die ihr den Einspruch der "Panhermeneutik" brachte.[33]

 
 
  

I.2. Vorbegriff der Fachinformation

Vorbemerkung  
a) Zum gegenwärtigen Selbstverständnis von Fachinformation in der Bundesrepublik.
b) Zum gegenwärtigen internationalen Selbstverständnis von Fachinfor- mation.  
c) Zum gegenwärtigen alltäglichen Selbstverständnis von Fachinformation.   

Vorbemerkung 

Gegenstand dieser Untersuchungen ist der Bereich der Fachinformation, dessen Begriff, d.h. seine konstituierenden Momente, es zu erarbeiten gilt. Vor einer solchen begrifflichen Analyse soll aber zunächst das Selbstverständnis dieses Bereiches, so wie es sich heute zeigt, dargestellt werden. Dieses Erscheinungsbild ist weniger durch eine theoretische als vielmehr durch die praktische Entwicklung, ja durch den sozial-politischen Gestaltungswillen bestimmt. Die Entwicklung nimmt ihren Ansatz im wissenschaftlichen und insbesondere im naturwissenschaftlich-technischen Bereich, da es hier aufgrund der exponentiell anwachsenden Anzahl von Publikationen zu einer Krise des überlieferten Mitteilungswesens, d.h. zu einer "Informationskrise" kommt. Dabei tritt zum einen die soziale Natur der Wissenschaft, zum anderen die wirtschaftliche Komponente bei der Vermeidung bzw. Nicht-Vermeidung von Doppelarbeit, besonders im Falle von teuerer (staatlich subventionierter) Forschung, deutlicher zu Tage. Schließlich wird dieses Erscheinungsbild durch die technische Entwicklung, insbesondere durch die Anwendung des Computers als Medium für die Speicherung und Vermittlung von Fachinformationen, geprägt.

Im Folgenden phänomenologisch ausgearbeiteten Vorbegriff der Fachinformation soll exemplarisch auf das gegenwärtige Selbstverständnis in der Bundesrepublik Deutschland sowie im internationalen Bereich eingegangen werden. Im dritten Abschnitt werden die Grundzüge dieses Selbstverständnisses gegenüber dem alltäglichen Vorverständnis hervorgehoben. Was ist also der philosophischen bzw. hermeneutischen Reflexion vorgegeben, wenn heute von Fachinformation die Rede ist?

a) Zum gegenwärtigen Selbstverständnis von Fachinformation in der Bundesrepublik Deutschland 

Der Bereich Fachinformation in der Bundesrepublik wurde in der Gegenwart wesentlich durch das "Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation (IuD-Programm) 1974-1977" geprägt.[34]

Dieses Programm hatte seinen Schwerpunkt "auf dem wissenschaftlichen und technischen Informationswesen". Dabei werden unter den Begriffen "wissenschaftlich und technisch" alle Fachdisziplinen sowie interdisziplinären und aufgabenbezogenen Bereiche einschließlich der Information über wirtschaftliche, soziale, juristische und politische Gegebenheiten und Entwicklungen verstanden.[35] Diese Bestimmung bedeutet einerseits eine Einschränkung gegenüber dem gesamten Bereich des Informationswesens, andererseits setzt sie nicht nur ein umfassendes Verständnis der Begriffe "Wissenschaft" und "Technik" voraus, sondern sie schließt Wissensbereiche ein, die nicht zu dem Bereich wissenschaftlicher Forschung, wie breit auch immer er aufgefaßt werden mag, gehören. Gemeint ist ein Wissen über wirtschaftliche, soziale, juristische und politische Gegebenheiten, also der gesamte Bereich der Fachpraxis. Mit "Fachdisziplinen" sind ferner alle interdisziplinären und aufgabenbezogenen Bereiche umfaßt, jenseits also sowohl von materialen und formalen Eingrenzungsstreitigkeiten als auch von den Abgrenzungen zwischen theoretischen und praktischen Erkenntniszielen.

Diese Bestimmung spiegelt sich in dem geplanten Aufbau von sechzehn Fachinformationssystemen sowie von vier Informationseinrichtungen mit besonderer Zweckbestimmung wider. Es handelt sich dabei um folgende Fachbereiche:
Gesundheitswesen, Medizin, Biologie, Sport
Ernährung, Land- und Forstwirtschaft
Chemie
Energie, Physik, Mathematik
Elektrotechnik, Feinwerktechnik, Maschinenbau
Hüttenkunde, Werkstoffe, Metallbe- und -verarbeitung
Rohstoffgewinnung, Geowissenschaften
Verkehr
Raumordnung, Bauwesen, Städtebau
Verbrauchsgüter
Wirtschaft
Recht
Bildung
Sozialwissenschaften
Auslandskunde
sowie um Informationseinrichtungen für Umwelt, Patente, technische Regelwerke und Forschungsvorhaben.
Dementsprechend berücksichtigt das IuD-Programm ein breites Spektrum an möglichen Benutzern bzw. an Fachleuten:
in der Forschung: hier ist der Wissenschaftler i.e.S., d.h. der "Forscher" gemeint;
bei praktischen Aufgaben: hier ist an die "Praktiker" gedacht. Der Unterschied gegenüber den "Forschern" wird anschaulich, "wenn man etwa die Arbeitsweise des Krebsforschers mit der des praktischen Arztes, die Interessen des Historikers mit denen des Politikers oder den Informationsbedarf des Molekularbiologen mit dem des Landwirts vergleicht."[36] Auch Entscheidungsträger und Führungskräfte in den öffentlichen Organen und in der Wirtschaft sind hiermit umfaßt.
Schließlich werden "Bürger" und "gesellschaftliche Gruppen" genannt, sofern diese für die Erfüllung ihrer Interessen und Aufgaben "fachliche Informationen in allgemeinverständlicher, übersichtlicher und leicht zugänglicher Form" benötigen."[37]

In diesem umfassenden Sinne gehören also zur Fachinformation alle wissenschaftlichen und technischen Disziplinen, einschließlich der (möglichen) Querschnittsbeziehungen und der aufgabenbezogenen Forschung, sowie der gesamte Bereich der Fachpraxis. Dem entspricht das breit aufgefaßte Ziel dieses Bereiches, sein eigentlicher Leistungssinn also, nämlich "zur Lösung der wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen, politischen und sozialen Aufgaben unserer Zeit" beizutragen.[38] Im Hinblick auf das hier nicht im einzelnen zu analysierende Strukturkonzept wurde außerdem erwogen, daß die Frage nach der Eingrenzung der Fachbereiche bei der Bildung der Fachinformationssysteme maßgeblich mehr von empirischen Kriterien, als von den "herkömmlichen wissenschaftstheoretischen Beziehungen" geleitet sein sollte.[39] Hiermit sich fachliche Gemeinsamkeiten zwischen den Benutzergruppen sowie zwischen der Fachliteratur in ihrer empirisch zu ermittelnden Einschränkung gemeint, wobei Rücksicht auf geschichtlich gewachsene  Aufgabenverteilung genommen wird. Schließlich spielt ein drittes praktisch-politisches Kriterium in der Frage nach der Bestimmung der Fachbereiche eine Rolle, nämlich die Ressortverantwortlichkeit. Aus diesen Erwägungen ergibt sich die bereits erwähnte vorläufige Gliederung.

Obwohl das vorgelegte Konzept aus unterschiedlichen Gründen nicht realisiert werden konnte und zum Beispiel aufgrund der technischen Entwicklung eine höhere Konzentration des Angebots von Datenbasen in einem ("Host"-) Computer möglich wurde, bedeutet dieses Programm u.a. einen ersten Versuch, das Gebiet der Fachinformation inhaltlich und methodisch zu bestimmen. Zu diesem Selbstverständnis gehört ein breiter, nicht so sehr wissenschaftstheoretisch als eher empirisch, geschichtlich und praktisch-politisch gewonnener Wissenschaftsbegriff sowie das die Wissenschaft z.B. umfassende aber in seinen Quellen und seinem Zweck über sie hinausgehende Gebiet des für die Praxis benötigten Fachwissens.

Drei Momente, die eng miteinander zusammenhängen, sind zu berücksichtigen, wenn von Fachinformation die Rede ist, nämlich: das Fachgebiet, das Fachwissen und die Fachleute. Wir werden im zweiten Teil dieser Untersuchungen auf diese Zusammengehörigkeit eingehen und sie theoretisch begründen. Es ist aber bezeichnend, daß eine andere praktisch-politische Bestimmung von Fachinformation,[40] womit die Ziele des IuD-Programms fortgesetzt werden sollen, folgendermaßen vorgenommen wird:

"Fachinformation ist jener wichtige Teil allen Wissens und aller Informationen, der für den Fachmann bei der Bewältigung seiner Aufgaben nützlich ist; diese Definition ist damit nicht scharf abgrenzbar; sie klammert aber weite Bereiche allgemeiner Informationen aus, z.B. Informationen, die der Unterhaltung und Werbung oder als Lehrmaterialien dienen; trotz mancher Unschärfe hat sich der Begriff der Fachinformation als brauchbar erwiesen."[41]

Im ersten Teil der Definition kommen die drei konstituierenden Momente zum Ausdruck, nämlich das Fachwissen, der Fachmann und die jeweiligen Fachaufgaben. Fachinformation wird erneut in einer unscharfen aber offensichtlich "brauchbaren" Weise gegenüber dem gesamten Bereich möglicher Informationen abgegrenzt. Praktisch-politisch wird sie als "Ressource",  "wie Energie und Rohstoffe", oder als "Produktionsfaktor", "wie Kapital und Arbeit", aufgefaßt. Als Fachleute werden angesprochen: Wissenschaftler, Ingenieure, Planer, Führungskräfte, Rechtsanwälte usw. Die breite Auffassung von Fachinformation spiegelt sich wider in dem Hinweis auf die in den USA angebotenen Datenbasen, die "weit über den wissenschaftlichen Bereich hinaus" auch Wirtschafts-, Industrie- und Marketinginformation umfassen.

Im neuen Fachinformationsprogramm 1985-1988 der Bundesregierung werden folgende Gebiete genannt:
Wissenschaftliche und technische Fachinformation für Forschung und Entwicklung: Naturwissenschaften, Technik, Sozial- und Geisteswissenschaften.
Ressortspezifische Fachinformation: Biowissenschaften, Umwelt, Verkehr, Patente, Recht, Arbeit und Soziales, Statistik, Bildung, Staatenkunde, Informationssysteme von Parlament und Regierung.
Wirtschaftsinformation. [42]

Wir finden hier, in anderer Konstellation und mit anderen Schwerpunkten in bezug auf die staatliche Förderung, den Fächerkatalog des früheren "IuD-Programs". Demnach umfaßt Fachinformation neben den Ergebnissen von Wissenschaft und Forschung auch in der Wirtschaft anfallende und im Wirtschaftsprozeß benötigte Informationen, sowie im staatlichen Bereich verfügbare Informationen.

Man könnte also, wenn man den gesamten Bereich meint, von Fachinformation i.w.S., wenn man "nur" die wissenschaftliche Information (diese aber in ihrem breitesten Sinne) meint, von Fachinformation i.e.S. sprechen. In diesem letzten Fall führt der Begriff Fachinformation auch über eine enge Auffassung des Wissenschaftsbegriffes hinaus. Betroffen sind Fachleute, die sowohl in der Forschung (Wissenschaftler i.e.S.) als auch in der Praxis (berufliche Praktiker) tätig sind. Schließlich sei darauf hingewiesen, daß der gesamte Bereich von Fachinformation sich zum Teil schon in den von deutschen Anbietern ( = "Hosts") elektronisch gespeicherten und abrufbaren Datenbanken widerspiegelt.[43]

Auch in der Deutschen Demokratischen Republik läßt sich im Gebrauch des Terminus Fachinformation eine gewisse terminologische und inhaltliche Übereinstimmung mit dem hier dargelegten Sachverhalt feststellen.[44]

Die Einsicht in die soziale Natur des Wissens und somit auch der Fachinformation, die, außer der angesprochenen inhaltlichen Breite, dem öffentlichen bzw. staatlichen Selbstverständnis von Fachinformation in der Bundesrepublik in der Gegenwart angehört, bedeutet zugleich das Bewußtsein, daß Fachinformation immer in einer konkreten Gesellschaft verankert ist. Es wäre, mit anderen Worten, ein Zeichen "kultureller Entfremdung",[45] wenn eine sich ihrer Kultur bewußte Gesellschaft Beitrag in diesem Bereich, sowohl was die Inhalte als auch was die Organisation der Vermittlung betrifft, nicht leisten bzw. anderen völlig überlassen würde. Nur so kann m.E. die jetzt darzustellende internationale Dimension der Fachinformation nicht nur einen transkulturellen, sondern auch einen interkulturellen Charakter erreichen (vgl. III, 3,c).


b) Zum gegenwärtigen internationalen Selbstverständnis von Fachinformation 

Die Geschichte dieses Bereiches in der Gegenwart ist die seiner zunehmenden Bedeutung, sowohl was die fortschreitende thematische Ausweitung als auch was die Anzahl und Vielfältigkeit der hiermit befaßten privaten und staatlichen Institutionen betrifft, die insbesondere bei der Erstellung von Datenbasen in den einzelnen Ländern und auf internationaler Basis zusammenarbeiten.

Die Entwicklung der thematischen Breite unseres Bereiches in der Gegenwart beginnt, wie A. J. Mihajlov und R.S. Gilarevskij anmerken,[46]  in den fünfziger und Anfang der sechziger Jahre innerhalb der Wissenschaft. Es waren insbesondere bestimmte naturwissenschaftliche und technische Disziplinen, wie z.B. Chemie, Physik, Kernforschung, gemeint, wenn von der Anwendung automatisierter Methoden für die Informationsvermittlung die Rede war. Ende der sechziger Jahre weitet sich dieses Selbstverständnis auf andere Disziplinen aus. Aber erst in den siebziger Jahren liegt das moderne umfassende Selbstverständnis von Fachinformation der Möglichkeit ihrer elektronischen Vermittlung zugrunde. Gemeint ist damit, daß "die wissenschaftliche Information, wie weit man sie auch begrifflich fassen möge, für Informationssysteme, die die Lösung von sozialen Problemen so hohen Verallgemeinerungsgrades abzusichern haben, unzureichend ist", d.h. daß diese Technik "auch für viele andere Informationsarten (wie ökonomische Informationen, politische Informationen, Produktionsinformationen und anderes") anwendbar ist.[47] Das moderne Selbstverständnis von Fachinformation thematisiert sich also insbesondere in bezug auf eine besondere Art der Vermittlung, was wiederum heißt, daß es unthematisch dieser Entwicklung vorausgegangen war.

Eine andere weitreichende weil nicht nur auf die Gegenwart und auf den Zusammenhang mit einem bestimmten Vermittlungsmedium bezogene Darstellung bietet der sogenannte "Little-Report".[48] Demnach hängt die Deutung des Begriffs Fachinformation ("scientific and technical information" = STI) vom jeweiligen "Wert- und Handlungskontext", in dem dieser Sachverhalte eingebettet ist, ab. Es wird zwischen drei grundsätzlichen Möglichkeiten, die als "Epochen" ("eras") bezeichnet werden, unterschieden. Wenngleich eine Epoche jeweils vorherrschen kann, bedeutet das nicht, daß die anderen völlig verschwinden oder daß die Möglichkeit der Koexistenz ausgeschlossen wäre. Diese "Epochen" und ihre entsprechende Kontexte sind:

1) Die "Disziplin-orientierte Epoche": hier gilt das ethische Prinzip des "Wissens um des Wissens willen". In der Gegenwart war diese Epoche etwa bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges vorherrschend. Mit Hinweis auf das ethische Prinzip wird aber auch Aristoteles erwähnt. In dieser Epoche sind insbesondere jene wissenschaftlichen Disziplinen führend, die sich mit der physikalischen Realität befassen. Die Informationsvermittlung durch Fachzeitschriften, Bücher, Seminare, wissenschaftliche Gesellschaften und Ausbildungsinstitutionen bleibt innerhalb des Kreises der jeweiligen Disziplin. Charakteristische institutionelle Form der Informationsvermittlung ist die Forschungsbibliothek. Wichtiges Medium ist das gedruckte Wort. Wachstumsbedingt entstand die Notwendigkeit, sich bibliographische Übersichten zu schaffen und sie später in Datenbasen umzuwandeln. Ähnlich geschah es mit Sammlungen von Messwerten und dergleichen. Der Übergang zu anderen Disziplinen findet z.B. durch Kongresse oder durch einige interdisziplinäre Zeitschriften statt. Da es sich hauptsächlich um Grundlagenforschung handelt, sind Werde wie Veröffentlichungsfreiheit, Freiheit der Forschung innerhalb der eigenen Fachgrenzen, dominierend.[49] Der herkömmliche Wert der Fachinformation wird als relativ gering geschätzt. Ethisch gesehen, sollte sie den Forschern frei verfügbar sein. Trotz veränderter Verhältnisse besteht diese Epoche, so die Autoren, heute noch in dieser Form: die Quantität und Diversifikation der Fachinformation ist größer, die Kosten (z.B. für Bücher, Zeitschriften usw.) sind gestiegen, und manche Datenbasen (Chemical Abstracts wird hie erwähnt) sind aufgrund ihrer Größe und Komplexität kostspielig geworden.

2) Die "Aufgaben-orientierte Epoche": oder "mission-oriented era". In der Gegenwart ist es die Zeit der fünfziger bis Mitte der sechziger Jahre, wobei eine Überlappung mit "Era I" stattfindet. Beide Epochen überlappen sich ihrerseits heute mit "Era III". Das Prinzip ist das der "Wahrheit der Wissenschaft", jetzt aber bezogen auf technische Gebiete. In der Vergangenheit wird z.B. auf den Bau der Pyramiden verwiesen. In der (US-)Gegenwart ist es die Zeit der Atomenergiebehörde, de NASA usw. Charakteristisch ist die Notwendigkeit, unterschiedliche Disziplinen in bezug auf ein Ziel zu koordinieren und anzuwenden. Nutzer sind hier vorwiegend Anwender (Ingenieure, Techniker), die in einer Gruppe mehrer Jahre zusammenarbeiten. Aufgrund der Komplexität der Informationsvermittlung entstehen hier Informationszentren und -systeme. Es ist die eigentliche "Geburtsstunde" des "Information Retrieval". Der ökonomische Wert der Fachinformation wird höher geschätzt. Anfänglich war der Nutzerkreis auch der der betroffenen Institution. Die Systeme waren, wie in der Epoche I, relativ geschlossen. Träger der gedruckten Information sind nicht so sehr Zeitschriften und Bücher, sondern "reports" und sonstige sogenannte "graue Literatur". Dabei entsteht anfänglich die Schwierigkeit der Rückkopplung dieser typischen "Era-II-Literatu" für die interessierten "Era-I-Benutzer". Umgekehrt war der Zugang aufgrund des  Veröffentlichungsvorganges gewährleistet. Da der konkrete Bezug der Fachinformation zunächst sehr eng an die gegebene Aufgaben gebunden war, zeigten andere Praktiker z.B. aus der Industrie wenig Interesse daran.

3) Die "Problem-orientierte Epoche": ethisches Grundprinzip ist hier die "Lösung gesellschaftlicher Probleme". In der Gegenwart beginnt dieser Epoche Ende der 60er Jahre. Sie beinhaltet weiterhin das Prinzip der "Wahrheit der Wissenschaft" aber auch "Weisheit" und "Pragmatismus". Man arbeitet im offenen, nicht völlig kontrollierbaren System menschlicher Interaktionen. Rechtliche, soziologische, ökonomische und demographische Informationen gehören dazu. Angesprochen sind staatliche Stellen (Parlament, Verwaltung) aber auch alle Art von Industrieunternehmen, Politiker in allen Ebenen, Planer, Journalisten usw. Als Informationsmedium spielen Datenbasen eine entscheidende Rolle. Sie werden u.a. von Beratern und sonstigen Informationsvermittlern benutzt. Marktmechanismen gewinnen an Bedeutung. In den Anfängen der menschlichen Entwicklung standen z.B. andere Problem als die unserer heutigen Zivilisation im Vordergrund. Zu den letzteren zählen die Autoren: Energie, Umwelt, Wirtschaft, Sicherheit, Gesundheit, Verkehr, Recht, Wohnen, Wohlstand. Anstelle des zu engen Begriffs "wissenschaftliche und technische Information" ist jetzt von "wissenschaftlicher, technischer und gesellschaftlicher Information" die Rede. Die Probleme sind schwierig zu definieren ("ill-defined") und zu lösen. Sie bedürfen zugleich zentraler  und dezentraler Lösungen. Kritische Werturteile sind notwendig. Diese dritte Epoche ist also durch eine thematische Erweiterung des Begriffs Fachinformation gekennzeichnet, die auch eine entsprechende Erweiterung der möglichen Nutzer beinhaltet. Von diesem erweiterten sozialen Kontext aus gesehen zeigen sich deutlich die Grenzen der beiden anderen Epochen. Allerdings ist der neue Kontext nicht so genau abgrenzbar, obwohl bestimmte Schwerpunkte, wie die bereits erwähnten ökonomischen, sozial-politischen, rechtlichen und demographischen, erkennbar sind. Gegenüber den anderen Epochen sind die Rückkoplungsmechanismen zwischen Informationsanbietern und -nutzern auch nicht so genau realisierbar. Die Parallelität zwischen diesem Kontext und dem im "IuD-Programm" bzw. im neuen "Fachinformationsprogramm" abgezeichneten läßt sich in vieler Hinsicht herstellen.

Daß wir uns international in der dritten Epoche befinden, die, wie erwähnt, die beiden anderen mit einschließt, kann z.B. anhand der thematischen Breite der weltweit angebotenen Datenbasen festgestellt werden. Eines der bekanntesten Datenbankverzeichnisse[50] zählt 2764 Datenbasen im Jahre 1985, gegenüber 400 im Jahre 1979. (51. Sie lassen sich nach verschiedenen Gesichtspunkten unterscheiden: z.B. nach Fachgebiet, Zielsetzung, geographischer oder chronologischer Abdeckung, Periodizität der gelieferten Daten und schließlich auch nach der Art der Daten, die sie enthalten (Abb. 2).

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Abb. 2: Klassifikation von Datenbasen nach der Art der Daten, die sie enthalten (nach Cuadra, 1985)

Ein Überblick der thematischen Breite der heute weltweit angebotenen Datenbasen (Abb. 3) zeigt zugleich die fachliche Vielfalt der angesprochenen Nutzer: Ingenieure, Chemiker, Sozialwissenschaftler, Manager, Erzieher, Rechtsanwälte, Ökonomen, Philosophen, Ärzte, Landwirte usw.[52]


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Abb. 3: Thematische Breite weltweit angebotener Datenbasen (nach Cuadra, 1981)


Dabei ist auch zu bemerken, daß diese Datenbasen in ihrer überwiegenden Mehrheit für Fachleute, in einem durch die Thematik angedeuteten breiten Sinne gedacht sind. Dennoch spiegelt das elektronische Medium bereits heute nicht nur den erweiterten Bereich der Fachinformation im Sinne der "Problem-orientierten-Epoche" wider. Ähnlich wie das Gedruckte oder der Rundfunk sind Datenbasen ein universelles Medium, so daß eine thematische Auflistung, die z.B. Eintragungen wie "Reisen", "Restaurants", "Shopping" "General interest" enthält, nur partiell für das Gebiet der Fachinformation zutrifft. [53]

Schließlich gehört zum internationalen Selbstverständnis von Fachinformation in bezug auf das elektronisch Medium, daß nur Datenbasen berücksichtigt werden, die öffentlich zugänglich sind. Es handelt sich hier um das bedeutende Prinzip der Publizität, auf das wir später zurückkommen werden (Vgl. II, 2 c sowie III, 3, c).

Zusammenfassend können wir festhalten, daß insbesondere vier Themenkomplexe zum internationalen Selbstverständnis von Fachinformation gehören, nämlich:
Wissenschaft (i.e.S., insbes. Naturwissenschaft) und Technik
Wirtschaft, Finanzen, Industrie (einschl. Handel, Kreditwesen, Marketing)
Sozial- und Geisteswissenschaften (einschl. Rechtswesen)
Multidisziplinäre Bereiche (Politik, Verwaltung, Nachrichtenwesen, Umwelt usw.)

Jede thematische Aufgliederung ist schwierig und unbefriedigend. Sie reicht höchstens für einen (vorläufigen) Vorbegriff der Sache aus. Wir können die gleiche Frage wie Sokrates an Theaitetos stellen, als dieser in bezug auf die Frage nach der Erkenntnis verschiedene Erkenntnisarten aufzählte, anstatt "schlicht und kurz" die gestellte Frage zu beantworten.[54] Eine solche Antwort, die von den verschiedenen Inhalten absieht, um nur die Begriffsmomente zu erarbeiten, werden wir im zweiten Teil dieser Untersuchungen vorlegen (vgl. II. 3)

c) Zum gegenwärtigen alltäglichen Selbstverständnis von Fachinformation 

Manche Fach-Komposita,[55] wie z.B. "Fachmann" oder "Fachsprache", haben in der gegenwärtigen Alltagssprache sowohl positive als auch negative Konnotationen. Man assoziiert sie z.B. mit den Wissenschaften und denkt dabei an isolierte "Fächer" mit ihren eigenen Fachsprache. Schimpfworte wie "fachsimpeln" und "Fachidiot"[56] drücken die Verfallsmöglichkeiten aus. Das Gegenstück ist der "Generalist" oder, in abwertender Form, der "Dilettant".

Fachinformation ist ein neues Kompositum,[57] dessen Einführung, wie wir gesehen haben, eng mit dem Einfluß des Computers und der neuen Kommunikationstechniken insbesondere im Wissenschaftlichen Bereich zusammenhängt. Die Assoziation mit isolierten wissenschaftlichen Disziplinen wird außerdem durch die etymologische Herkunft des Terminus "Fach" gestärkt. [58] Hier zeigt sich, wie J. Austin sagt, daß manche Worte "fast nie" ihren ursprünglichen Sinngehalt völlig verlieren.[59] Die Gegenwartssprache zeigt aber auch, daß Fachinformation in einem Wort- und Begriffsfeld eingebettet ist, in dem nicht nur die Wissenschaften (im weiten Sinne des Wortes), sondern auch aller Art beruflicher Aktivitäten und praktischer Tätigkeiten gemeint sind. Von hier aus, weist die metonymische Anwendung nicht primär auf Bereiche des theoretischen Wissens, sondern auch auf die des praktischen Könnens hin. Man assoziiert also die Fach-Komposita, und darunter auch Fachinformation, sowohl z.B. mit dem aufgeteilten und (in "Fächern") aufbewahrten Wissen (man denke z.B. an das enzyklopädische Wissen des 19. Jahrhunderts) als auch mit dem Erwerben und "Gefangenhalten" von Wissen, im Hinblick z.B. auf seine praktische Anwendung.[60] Dadurch aber, daß Begriffe wie "Fachmann" oder "Fachsprache", auf die bereits erwähnten negativen Konnotationen bzw. Verfallsmöglichkeiten bezogen werden, entsteht die Möglichkeit, daß auch Fachinformation aus dem Gesamtzusammenhang herausgenommen und entsprechend abwertend gedeutet wird. Diese Deutung ist aber nicht zwingend, wie W. Schadewaldt in der folgenden ausführlich wiedergegebenen Passage schreibt:

"Immer wieder tritt in unseren Aussprachen heute die allgemeine Bildung, ganz summarisch, in scharfen Gegensatz zum Spezialistentum und der Fachausbildung. Auch wenn auf den Universitäten bisher das Studium generale für sich abgesondert, an einem bestimmten Nachmittag, dem Fachstudium gegenübersteht, so liegt dem die Vorstellung zugrunde, daß eben auf der einen Seite das bisher nötige spezialistische Fachstudium und auf der anderen die schöne allgemeine Bildung stünde. Demgegenüber bin ich nun der Meinung und da muß ich denn doch für die Universitäten eintreten, wie sie sind und wie sie eigentlich immer waren : daß der feste reelle Boden alles dessen, was die Universitäten zu tun haben, eben doch das Fach ist. Nur: 'Fach' ist ein so häßliches Wort, man denkt an 'Schubfach'. Man kann es indessen auch etwas anders ausdrücken. Man kann, statt 'Fach' Sache sagen, und das hat dann einen besseren Klang. Denn daß der Mensch seine Sache hat und kann: das macht den Menschen noch lägst nicht zu dem schlimm verleumdeten 'Spezialisten', sondern ist ein durch und durch menschliches Erfordernis. Ich wenigstens kann mir keinen wirklich gebildeten Menschen vorstellen, der nicht zunächst einmal eine Sache hat und kann und sie als seine Sache vertritt und mit dieser seiner Sache an seinem bestimmten Ort in der Welt steht und ihn ausfüllt. [...]

Auf der anderen Seite kann man freilich eine Sache auch so haben, daß man völlig in dieser Sache untergeht und gegen alles andere Scheuklappen hat und blind wird; und das ist dann jener vielbesprochene 'Spezialist', der 'Spezialist' im negativen Sinne des Wortes. Danach ist es also eine bestimmte Weise, eine Sache zu haben, welche dann auch zur Bildung führt. Jeder der hierin einige Erfahrungen besitzt, im Praktischen wie auch in der Wissenschaft, wird wissen, daß die Sachen, so wie sie sich in der Welt schichten und ineinander greifen, immer letztlich ins Unendliche führen. Eine Sache wirklich und im echten Sinne haben, führt mit Notwendigkeit zu anderen Sachen, und in konzentrischen Kreisen gelangt man so, den inneren organischen Zusammenhängen folgend
man kann gar nicht anders
  von der Sache, die man zunächst ergreift, sei's es wo es sei, in Raum und Zeit, notwendig zu den allgemeinen Zusammenhängen. Die Sache steht irgendwie im Allgemeinen, ja sie enthält das Allgemeine in sich. Goethe hat das immer wieder betont. Er sagt einmal: 'Einseitige Bildung ist keine Bildung. Man muß zwar von einem Punkte aus-, aber nach mehreren Seiten hingehen.' Dabei gilt es ihm bei der Bildung gleichviel, ob man sie 'von der mathematischen oder philologischen oder künstlerischen Seite her hat, wenn man sie nur hat.' (Gespräche Biedermann 1 S. 503 zu Riemer am 24.7.1807)."[61]

Wenn wir also den Begriff Fach bzw. Fachinformation aufgrund eines gegenwärtig sozial-politischen Selbstverständnisses und trotz des "schlechten Klangs" beibehalten, dann mit der Einsicht, daß die gemeinte  Einschränkung des Blickes weder formal noch inhaltlich vorbestimmt ist, oder, anders gesagt, daß keine wissenschaftliche Disziplin mit Ausschluß anderer, oder eine mehr
theoretische als praktische Sicht der Dinge usw. gemeint wird. Daß es dabei trotzdem jeweils um eine bestimmte Sache geht, die zunächst (und zumeist) zwischen Fachleuten mit-geteilt wird, gehört hiermit genauso zum möglichen Verständnis von Fachinformation in der Alltagssprache, wie die angesprochene Offenheit in formaler und inhaltlicher Hinsicht. Auch das Wort "Sachinformation" würde vor Scheuklappen nicht bewahren. Der Terminus ist außerdem ungebräuchlich im Gegensatz z.B. zum Begriff "Sachbuch", der in der Alltagssprache im Sinne populärwissenschaftlicher bzw. verständlich dargestellter Fachliteratur (!) benutzt wird.[62] Im Falle der Komposita "Sachgebiet" bzw. "Sachbereich" sind die Ausdrücke zum Teil günstiger als die entsprechenden Fach-Komposita, weil der Begriff "Fachbereich" öfter im engeren Sinne wissenschaftlicher Disziplinen während "Sachbereich" im universalen Sinne gebraucht wird.[63]

Wir werden auf diese Termini und auf die zugrundeliegende hermeneutische Problematik im Laufe dieser Untersuchungen zurückkommen. Da der Ausdruck Fachinformation eine neue Erscheinung in der Alltagssprache ist, unterliegt er zwar den angedeuteten Assoziationen, wird aber gegenwärtig in viel stärkerem Maße vom dargestellten sozial-politischen Selbstverständnis geprägt.

 
 
  

I.3. Beiträge zur Hermeneutik der Fachinformation

Vorbemerkung   
a) B. Langefors' "infologischer" Ansatz 
b) A. Diemers Informationshermeneutik
c) N. Henrichs' semiotisch-hermeneutischer Ansatz
d) Unthematische hermeneutische Reflexionsmomente in informations- wissenschaftlichen Ansätzen.

Vorbemerkung 

Der Ausdruck Fachinformation ist ein neuer Name für eine zum Teil alte Sache, deren Verbindungen zur Philosophie vielfältig sind. Man denke z.B. an den Zusammenhang zwischen bibliothekarischen und philosophischen Klassifikationssystemen [64] oder an die neuzeitliche Idee einer Begriffskombinatorik (Leibniz' "ars combinatoria", die freilich in R. Lullus' "ars magna" einen bedeutenden Vorläufer hat). Diese Entwicklung kann zwar bis auf Platon zurückverfolgt werden, aber die Neuzeit wirkte hier entscheidend, indem der Kerngedanke des Schematismus immer mehr von konkreten Inhalten abgelöst und somit die Möglichkeit für die maschinelle Handhabung von Zeichen geschaffen wurde. In der Gegenwart steht Fachinformation insbesondere in Zusammenhang mit ihrer Vermittlung durch computergestützte Informationssysteme im Vordergrund. Hierzu kann die philosophische Reflexion insbesondere durch den hermeneutischen Ansatz einen Beitrag zur Klärung der zugrundeliegenden Strukturmomente leisten.

Die im Folgenden darzustellenden Beiträge lassen sich zunächst im Hinblick auf die Ausdrücklichkeit des Bezuges zur Hermeneutik unterscheiden. Während im Falle der ersten drei Ansätze (B. Langefors, A. Diemer, N. Henrichs) dieser Bezug thematisiert wird, lassen sich bei anderen Untersuchungen hermeneutische Reflexionsmomente nachweisen, die aber nicht als solche ausdrücklich bezeichnet bzw. erkannt werden. Im vierten Abschnitt sollen einige dieser Ansätze erörtert werden.

Ein anderes Unterscheidungskriterium ist das der Herkunft des jeweiligen Ansatzes während Langefors, von den Erfahrungen mit Informationssystemen ausgehend, sich an die Hermeneutik wendet, gehen Diemer und Henrichs von der Hermeneutik aus und versuchen Information bzw. Fachinformation von ihrer hermeneutischen Auslegbarkeit her darzustellen. In den anderen Ansätzen bleibt, wie gesagt, der Bezug zur Hermeneutik unthematisch.

Schließlich muß bemerkt werden, daß diese Beiträge in unterschiedlichem Maß das Phänomen der Fachinformation thematisieren bzw. es vom Bereich der Information überhaupt differenzieren. Manchmal bleibt diese Differenzierung aus oder es wir vorausgesetzt, daß es sich um Fachinformation handelt. Auch die Berücksichtigung des Bezuges zum Computer als Instrument der Informationsvermittlung ist unterschiedlich, wird aber grundsätzlich nicht ausgelassen. Informationshermeneutik, Hermeneutik der Fachinformation und Hermeneutik des Information Retrieval greifen, wie schon erwähnt, ineinander über.

a) B. Langefors' "informologischer" Ansatz 

Zwei Grundfragen stellen sich, nach Langefors, in Zusammenhang mit dem Aufbau von Informationssystemen:[65]

1) welche Information soll das System erbringen, die den Bedürfnissen der Benutzer entspricht? (das "infological problem"),  

2) wie soll das System im Hinblick auf die Nutzung moderner Datenverarbeitungstechnologie strukturiert werden? (das "datalogical problem").
 
Dieser Fragestellung liegt der Unterschied zwischen Information im Sinne von Wissen ("knowledge") und Daten im Sinne von physikalischen Symbolen ("physical symbols") zugrunde. Im ersten Falle bewegen wir uns auf der "infologischen" im zweiten auf der "datalogischen" Ebene. Es geht, mit anderen Worten, um den Unterschied zwischen Daten, die vom Computer verarbeitet werden, und Informationen, die erst durch die begrifflichen Vorstellungen bzw. durch die (Vor-)Verständnisse der Benutzer ("conceptions of the users") konstituiert werden. Langefors spricht auch von "Referenzrahmen" ("frames of reference"), wobei der allgemeine Bezug individueller Referenzrahmen die gemeinsame Wirklichkeit ist. Daß es dem Verfasser insbesondere um wissenschaftliche Information geht, wird aus der folgenden Überlegung ersichtlich: aufgrund der unterschiedlichen Referenzrahmen ist es nötig, will man die Wahrheit ermitteln, sich in bezug auf:
  • den Gegenstand, worüber informiert wird ("subject reference"),
  • die Eigenschaft des Gegenstandes, worüber man etwas aussagt ("property reference"),
  • die Zeitspanne, während der die Eigenschaft bezüglich des Gegenstandes gilt ("time reference")
zu einigen, sagt Langefors in Anschluß an Carnap.[66] Daß die Aussagen wahr sein können, setzt wiederum voraus, daß sie etwas behaupten, was in der Welt existiert. Die "infologische" Ebene umfaßt also eine Begriffs- und eine Referenzstruktur. Von Information im Sinne einer Wissenszunahme, was Langefors "message" nennt, können wir nur dann sprechen, wenn Leute da sind, deren Fragen bzw. Erwartungen der jeweiligen begrifflichen Struktur der Informationen zumindest teilweise entspricht. Die Information muß also für Menschen verstehbar  sein. Von hier aus, d.h. von der Bestimmung einer "infologischen" Ebene, wendet sich Langefors ausdrücklich der Hermeneutik zu. 

Die Hermeneutik, sagt Langefors,[67] beschäftigt sich mit dem Verstehen ("understanding") von Texten, Mitmenschen und dem eigenen In-der-Welt-sein. Demnach ist die Frage, welche spezifischen Daten Information für eine bestimmte Gruppe von Menschen darstellen können bzw. welche Daten uns über bestimmte Phänomene informieren, eine echte hermeneutische Frage. Sie schließt auch die Frage, wie diese Phänomene wahrgenommen und verstanden werden können, ein. Der infologisch-hermeneutische Ansatz gründet in der Ansicht, daß die Information I nicht bloß durch Daten D, sondern auch durch die kognitive bzw. semantische Struktur S konstituiert wird.  
Dazu gehört ferner auch die Zeit t, die notwendig ist, um die Daten zu empfangen bzw. zu interpretieren. Demnach ist  

I = i (D, S, T)
wobei i der Verstehensprozeß ist.

Daraus folgt, daß Daten noch keine Informationen sind und daß nicht jede Information jedem verstehenden Subjekt vermittelt werden kann.[68] Texte "enthalten" also keine Informationen, sondern können einen Informationsprozeß in Gang setzen, wenn eine "empfangende Struktur" da ist. Im Falle von (elektronischen) Informationssystemen, sagt Langefors, wird ein Teil dieser Struktur in Form von Daten gespeichert und vorausgesetzt, daß der Benutzerkreis sie kennt. Eine der Grundregeln der Hermeneutik ist, daß man nur in dem Maße etwas verstehen kann, in dem man ein Vorverständnis ("foreknowledge") von der Sache hat. Das betrifft sowohl eine Vorkenntnis der Regeln, wonach die Aussage gebildet wurde ("rules of formation"), als auch der Interpretationsregeln ("rules of interpretation"). Schließlich muß man den vorgegebenen Referenzrahmen auf den eigenen beziehen.[69] Unser Verstehen von Welt (V3), sagt Langefors in Anschluß an Apel, ist immer schon sprachlich vermittelt. Dieses Vorverständnis S, kann durch die Mitteilung der Aussage e bereichert werden, so daß ihr Inhalt:

e = i (e, S, t)

ist. Der Inhalt e wird jetzt im Kontext S + e verstanden:

e' = i (e, S + e, t)

Dabei können e und e' u.U. identisch sein und dennoch zu unterschiedlichen Zeiten bzw. in unterschiedlichen Kontexten etwas anderes bedeuten. So z.B. wenn eine bestimmte gleichbleibende Temperatur auf eine mögliche Gefahr hindeutet.[70]

Die Frage nach der intersubjektiven Verständigung spielt auf der infologischen Ebene eine entscheidende Rolle. Die Verständigungsgemeinschaft kann wiederum selbst Gegenstand der Analyse sein. Hier stimmen erneut Hermeneutik und "Infology" in ihren Interessen überein. Während Langefors auf der einen Seite seinen "infologischen" Ansatz in enger Verbindung mit der Hermeneutik sieht, stellt er zugleich auf der anderen Seite fest, daß in der Frage der (schriftlichen) Darstellung des Wissens eine bis auf Aristoteles zurückgehende Tradition zu beachten ist, die in der Gegenwart u.a. von Russell, Wittgenstein, Carnap, Piaget und Bar-Hillel fortgeführt wird. Unabhängig von deren "datalogischen" Darstellung, stellt sich zunächst die Frage nach der begrifflichen Struktur, die die Daten zu repräsentieren haben. Diese Frage betrifft aber nicht bloß verschiedene "Ansichten der Benutzer" ("user views"), sondern vor allem die Informationsstruktur bzw. das Vorverständnis ("pre-knowleldge") der anvisierten Benutzer.[71] Ohne Vorverständnis, betont Langefors, sind Daten keine Informationen und sie "enthalten" auch keine Informationen. Einzelne Informationen und allgemeines vorfindliches Hintergrundwissen ("general, pre-existing background knowledge") sind zwei wesentlichen Komponenten, die aller Verarbeitung, Mitteilung und Nutzung von Informationen zugrunde liegen.[72] So gründen Klassifikationen, Thesauri und dergleichen, auf einer solchen gemeinsamen bzw. mitgeteilten Sicht ("basic view").

Solche Vorverständnisse sind aber nicht statisch, wie Langefors in Zusammenhang mit dem von Kuhn erarbeiteten Begriff de "Paradigmas" hervorhebt. In Anschluß an Gadamer betont er die entscheidende Bedeutung des Begriffs des Vorverständnisses, der vor allem mi dem In-der-Welt-sein des Auslegers und nicht so sehr mit dem objektiven Gehalt eines Textes (den es vielleicht nie gegeben hat) oder den vermeintlichen Ansichten eines Autors zu tun hat.[73] Die "infologische" Gleichung ist ein einfaches Beispiel dessen, was in der Hermeneutik "hermeneutischer Zirkel" genannt wird.[74] Entscheidend ist für Langefors die Erkenntnis, daß die gängige Meinung, der Benutzer hätte nur eine partielle Sicht der in einer Datenbasis enthaltenen Daten ("user view"), insofern revidiert werden muß, als, der infologisch-hermeneutischen Einsicht entsprechend, die Informationen, die die Benutzer aus der Datenbank bekommen können, von ihrem "semantic background" abhängig ist. Es ist diese allgemeine mit-geteilte Sicht einer bestimmten Fachgemeinschaft ("community view"), die einer Datenbasis zugrundeliegt. Gewöhnlich, bemerkt Langefors, wird dieses Vorverständnis vom Datenbasis-Hersteller festgelegt. Das hat manchmal zur Folge, daß eine bestimmte Struktur, die vielleicht nicht gewünscht oder geteilt wird, vorherrscht. Wenn man aber die angesprochenen hermeneutischen Aspekte berücksichtigt, muß die Idee einer "community view", die als solche deklariert wird, von der Einsicht ersetzt werden, daß das Erkenntnisinteresse einer Fachgemeinschaft nicht "von außen" bzw. durch eine formale "datenlogische" Struktur, sondern durch Lernen und Verhandeln mit der jeweiligen Fachgemeinschaft bestimmt werden muß. Unterschiedliche aber wohl "versöhnbare" Referenzrahmen sollten also der einen Datenbasis zugrunde legt werden. Gegenüber der Forderung nach einer absoluten Integrität tritt Langefors für eine "Mut-zur-Lücke-Integrität" ein.

b) A. Diemers Informationshermeneutik 

Im Mittelpunkt einer Informationshermeneutik stellen sich für Diemer jene Fragen, die mit der Konstitution des Phänomens Information zusammenhängen. Da Gewinnung, Speicherung und Wiederfindung bzw. Vermittlung von Informationen in der Gegenwart durch das Medium Computer wesentlich geprägt sind, stehen jene Fragen in engem Zusammenhang mit diesen Gegebenheiten.[75]

Sowohl Informations- als auch Kommunikationsprozesse finden im Hinblick auf eine Interpretiergemeinschaft statt. Im ersten Fall stehen die Sachverhalte selbst im Vordergrund. Phänomenologisch gesehen, sagt Diemer in Anschluß an Husserl, gibt es niemals "Wissen-an-sich", sondern immer "Wissen-von" Sachverhalten. Die Phänomenologie spricht dabei von "Noesis" und "Noema", um die zwei Momente der intentionalen Erkenntnis zu kennzeichnen. Dementsprechend bezeichnet Diemer die konstitutiven Momente des Informationsprozesses als Informationsgemeinschaft und "Informeme".[76] "Informeme" bzw. Informationen sind demnach nicht, wie etwa in der Informationstheorie oder in der Alltagssprache, primär durch das Moment der Neuheit charakterisiert, sondern durch ihre Eigenständigkeit bzw. Verfügbarkeit "allen", "überall" und "allezeit". Sie sind dargestellte "Proposeme" bzw. Aussagen. Man könnte das empirische Moment der Neuzeit verallgemeinern und den idealen Adressaten des Informationserstellers und -vermittlers als "Informations-Sokrates" bezeichnen. Ihm steht der "Informations-Gott" gegenüber, der über alles schon Bescheid weiß. Idealiter werden also die Informationen für den Nicht-Wissenden erstellt. Sie sind in der Möglichkeit durch ihren Bezug zum Mit-einander-sein der Menschen konstituiert. "Informeme" bedürfen im Hinblick auf ihre Darstellbarkeit und Verfügbarkeit eines Trägers und, im Hinblick auf ihre Bedeutung, des Horizontes eines Vorverständnisses, d.h. einer von der Interpretiergemeinschaft gemeinsam getragenen bzw. gedeuteten Welt (die Sachverhalte).

Informationsersteller, -vermittler und -sucher sind auf ein Vorverständnis angewiesen. Beispiele dafür bilden die Klassifikationssysteme und Thesauri. Daß sie immer geschichtlicher Natur sind, erläutert Diemer am Beispiel der Dezimalklassifikation im Sinne eines wissenschaftlichen Vorverständnisses der Jahrhundertwende. Gegenüber der Versuchung, geschichtslose Vorverständnisse herstellen zu wollen, fordert er eine "kopernikanische Wende" in der Konzeption der Wissensvermittlung. Diesem phänomenologisch-hermeneutischen Ansatz entsprechend geht es jetzt nicht primär um die Ordnung von Büchern oder Dokumenten, sondern um die Vermittlung von Wissenseinheiten oder "Informemen". [77]

Während also im ersten Fall die Bücher X, mit den in ihnen enthaltenen Wissenseinheiten A, B, C ... in Regalen bzw. in Katalogen geordnet werden:

X(A) ... Regale

X(A,B,C...)... Kataloge

stehen jetzt die "Informeme" selbst im Vordergrund:

A(x), B(x) ... Informationsspeicher

Ordnung, sei es durch Klassifikationen, Thesauri oder durch andere Mittel, ist im letzten Fall nicht Zweck, sondern Mittel.[78] Hiermit stellt Diemer einen möglichen dreifachen Platonismus in Frage:

1) die These von einer absoluten Textgegebenheit, die durch Wörter oder Deskriptoren endgültig bezeichnet werden kann;
2) die These von der absoluten Identität von Autor, Indexer und Sucher;
3) die These von der absoluten Universalität und Eindeutigkeit eines Ordnungssystems.

Die Möglichkeit eines solchen Platonismus entsteht insbesondere in jenen Bereichen, in denen die geschichtliche Dimension eine scheinbar sekundäre Rolle spielt. Je komplexer der mit Fachinformation gekennzeichnete Bereich wird, desto mehr muß man eine solche Idealisierung verlassen. Dieses um so mehr, als im Falle von Informationssystemen Ordnungsschemata die Rolle von Orientierungshilfen spielen.

Wortfelder, Fachklassifikationen, Thesauri, Universallexika usw. sollen dem Fragenden bzw. der jeweiligen Fachgemeinschaft dienen, die jetzt im Mittelpunkt steht und die die Geschichtlichkeit eines jeden Ordnungssystems begründet. Statt eines interpretatorischen Eingreifens der Ordnungssysteme in die Wissenselemente, sollen diese Ordnungssysteme eine formale Funktion übernehmen und sich dem Verstehensprozeß des Fragenden unterstellen (Abb. 4).[79]

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Abb. 4: Der Informationsvermittlungsprozeß als Gegenstand der Informationshermeneutik (nach Diemer) (Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Verfassers)

Die "Informeme" beziehen sich inhaltlich auf das gesamte Wissen der Vergangenheit und der Gegenwart aber auch auf mögliches Wissen. Im Hinblick auf die Anwendung  elektronischer Datenverarbeitung räumt Diemer ein, daß hier nicht so sehr triviales Wissen bzw. Alltagswissen, sondern alle Sachbereiche, d.h. alle Wissenschaftsdisziplinen sowie alle Wissensbereiche des sozialen Lebens (Wirtschaft, Industrie usw.) in Frage kommen. Es geht um "spezialorientierte Anfragen". Hier bietet sich eine mögliche terminologische Unterscheidung, wenn man im Falle der Wissenschaften von Fachbereichen spricht.[80] Wesentlich für den Gesamtbereich, den wir Fachinformation nennen, ist die hermeneutische Konstitution des "Informems", die es uns ermöglicht, zwischen der Bedeutung eines Textes und seiner "äußeren" Erscheinung (die jeweiligen Text-Wörter oder "Tokens") zu unterscheiden. Unterschied und Einheit dieser beiden ASpekte ist insbesondere für die elektronische Verarbeitung und Suche von Bedeutung. Aufgrund des Unterschiedes können wir die "Tokens" maschinell verarbeiten ohne die Bedeutungsebene zu beeinflussen. Bei der Wiedergewinnung aber, und aufgrund des Vorverständnisses des Anfragers, gewinnen die "Tokens" ihren Bedeutungsgehalt wieder. Da aber die "Tokens" es sind, die auch zur Orientierung dienen, sieht Diemer in der Texttreue einen entscheidenden hermeneutischen Vorgang. Der Text selbst gibt Antwort auf die Frage worüber ("on what"), während die Frage was ("of what") einen weiteren (u.U. notwendigen) Schritt darstellt.[81] Da die "Tokens" zunächst neutral d.h. losgelöst von der Tradition einer Wirkungsgeschichte  wiedergefunden werden, kann man dabei nur in einem eingeschränkten Sinne von "Horizontverschmelzung" (Gadamer) sprechen. Diese gelingt erst durch die schrittweise Bildung eines den "Informemen" und den Fragenden gemeinsamen Horizontes (vgl. III). Die "Tokens sind also vorläufig vorverständnisfrei, und der Suchende, der die jeweilige Datenbasis nicht kennt, tappt zunächst im Dunkel.

Es ist eine wesentliche Aufgabe einer "Hermeneutik der Informationswissenschaft" ("information science hermeneutics") oder, wie wir sagen, einer Hermeneutik der Fachinformation, die besonderen Bedingungen zu erarbeiten, die die Wissensgehalte (oder "Informeme") in einer bestimmten Situation konstituieren. Dabei kann es sich um ein bestimmtes Gebiet des gesellschaftlichen Lebens oder der Wissenschaften oder eines historischen Zusammenhangs handeln. Von diesen Bedingungen hängen die Handlungen des Indexers, des "Retrievers" und des Suchenden ab. [82]


c) N. Henrichs' semiotisch-hermeneutischer Ansatz

Henrichs' Ansatz gründet sowohl in der Hermeneutik [83] als auch in den praktischen Erfahrungen beim Aufbau der philosophischen Dokumentation an der Universität Düsseldorf, gemeinsam mit A. Diemer. [84]

Methodisch geht Henrichs zunächst von einem eingeschränkten Wissensbegriff, nämlich von "Wissen im objektivierten Sinne", aus.[85]  Objektiviertes Wissen ist durch zwei Momente gekennzeichnet: Darstellung bzw. (schriftliche) Fixierung und Systematisierung bzw. Kontextualisierung. Daraus ergibt sich die Möglichkeit der öffentlichen Zugänglichkeit und Verfügbarkeit, die, wenn auch nicht immer faktisch, doch prinzipiell gewährleistet ist. Dieser Wissensbegriff ist aber insofern eine Abstraktion, sagt Henrichs, als hier der Mensch ausgeklammert ist. Wenn wir die Intersubjektivität berücksichtigen, sprechen wir von Information bzw. vom objektivierten Wissen als potentieller Information. Die Organisation der Informationsvermittlung bildet der Gegenstand der Informationswissen- schaft. Dabei geht es vor allem um fach-  bzw. aufgabenbezogene Informationsvermittlungsprozesse. Eine Theorie der Fachinformation, deren Kern die Kommunizierbarkeit von fachlichen Bedeutungsgehalten ist, wird durch folgende Momente gekennzeichnet:

1) subjektive Bedingungen: im Sinne einer transzendentalen Subjektivität (Bedingungen der Möglichkeit der Erkennbarkeit bzw. Verstehbarkeit von Bedeutungsgehalten);
2) objektive Bedingungen: formal: Darstellbarkeit von Bedeutungsgehalten; material: Systematisierbarkeit von Bedeutungsgehalten (Ordnungstheorie)
3) Publizität von Bedeutungsgehalten (prinzipielle Zugänglichkeit).[86]

In allen drei Momenten spielt das Verstehen eine entscheidende Rolle, so daß Henrichs in Bezug darauf eine "informationswissenschaftliche Hermeneutik" skizzieren kann. Sie wird folgendermaßen aufgegliedert:[87]

  • Grundlagenprobleme
    • Der hermeneutische Anteil im Informationsbegriff
    • Hermeneutische Bedingungen der Bedeutungsvermittlung (transzendentale Intersubjektivität)
  • Verstehensmomente im Informationsvermittlungsprozeß
    • Feststellung des Informationsbedarfs
    • Selektion der Information (Feststellung der Dokumentationswürdigkeit)
    • Indexierung:
      • Hermeneutische Adäquatheit der Dokumentationssprache
      • Methode;
    • Retrieval
      • Verstehen der Anfragen
      • Relevanzprüfung des Retrievalergebnisses
    • Der Informationsspezialist als drittes hermeneutisches Subjekt zwischen Autor und Rezipient

Hermeneutisch betrachtet stellt sich die Frage, wie "die vom Vorverständnis des Benutzers diktierte Frageformulierung in die Sprache des Thesaurus zu transformieren" ist.[88] Dabei geht es u.a. um die Möglichkeiten und Grenzen von Thesauri für die Suche im Dialog-Retrieval-Systemen mit der damit zusammenhängenden Frage der Relevanz des Retrieval-Ergebnisses.

Zusammen mit jeder terminologischen Normierung findet eine gewisse Reduktion bzw. Vergröberung der jeweiligen Sachverhalte statt. Das ist zwar von Fachgebiet zu Fachgebiet unterschiedlich, aber, gewissermaßen als methodisches Gegengewicht, plädiert Henrichs für einen Indexierungsvorgang auf Textwortbasis, wobei das System entsprechende Listen der Derivate, Komposita usw. anbieten sollte. Die im Text dargestellten (Unter-/Neben-)Thematiken werden mit Hilfe von mit "Relationenindikatoren" verknüpften Deskriptoren erschlossen. Obwohl hier im Falle philosophischer bzw. geisteswissenschaftlicher Literatur eine Genauigkeit bis hin zur originalsprachigen Indexierung angestrebt wird, haben sich diese hermeneutischen Verfahren auch in der Chemie bewährt.[89] Dementsprechend sollten Klassifikationssysteme, die zum Zwecke der Informationsvermittlung eingesetzt werden, maßgeblich unter funktionalen / praxeologischen und nicht etwa unter ontologischen bzw. begriffstheoretischen Aspekten aufgestellt werden.[90]

Vor diesem Hintergrund ist Henrichs' semiotisch-hermeneutischer Ansatz zu sehen, den er als Begründungsversuch der Informationswissenschaft versteht.[91]

Dieser Ansatz, der Peirce' Semiotik verpflichtet ist, steht in Zusammenhang mit anderen informationswissenschaftlichen Begründungstheorien, insbesondere Oesers erkenntnistheoretischen Ansatz,[92] Dahlbergs Ordnungstheorie des Wissens,[93] Diemer "Informemologie", Kunz und Rittels System der Wissensorganisation,[94] Stocks Theorie des Wissenstransfers[95] und Wersigs Informationssoziologie.[96] Während der Informationsbegriff, wie schon gesagt, im Sinne von objektiviertem, d.h. dargestelltem (und somit verfügbarem bzw. mitteilbarem) Wissen eingeschränkt wird, wird der Kommunikationsbegriff seinerseits als im semiotischen Bereich angesiedelt verstanden. Von hier aus ergeben sich jene drei konstituierenden Momente, die Peirce der Semiotik und Henrichs dem Informationsbereich zugrunde legen (Abb. 5). [97]


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Abb. 5: Das semiotische Dreieck und seine Anwendung im Informationsbereich (nach Henrichs)

Der Ansatz ist wesentlich hermeneutisch, da hier objektiviertes bzw. dargestelltes Wissen immer im Horizont einer Interpretationsgemeinschaft, die es nicht nur produziert, ordnet, verarbeitet, vermittelt und verbreitet, sondern es zunächst in seinem Sinn als Bedeutungsgehalt begründet, begriffen wird. Entscheidend bleibt in den verschiedenen Anwendungsebenen die Zusammengehörigkeit der Momente. Andernfalls kommt es beim Informationsbegriff zu ontologischen, nachrichtentechnischen oder psychologischen Vereinseitigungen.[98] Dasselbe gilt auch für die IuD-Praxis, in der das objektivierte Wissen im Hinblick auf seine Vermittlung im Mittelpunkt der Fragestellung steht.

Von dieser Zusammengehörigkeit der Momente aus gründet Henrichs das Postulat der Sozialisation der Information. Gemeint ist damit die Gewährleistung der (gefährdeten) Publizität, insbesondere von Fachinformation ("Spezialistenwissen"), durch entsprechende methodische, technische und ökonomische Maßnahmen. Aufgabe einer "Informationsethik" ist es, Kriterien aufzustellen, die diese prinzipielle Zusammengehörigkeit von Informationssystemen und der Gesellschaft bzw. den entsprechenden Fachgemeinschaften (ethisch) normieren und somit zur Grundlage der Gesetzgebung dienen.[99] Es ist schließlich diese Zusammengehörigkeit die, nach Henrichs, die eigentliche Rechtfertigung für die Entwicklung von Informationssystemen ermöglicht. Diese Rechtfertigung gründet in der Sache selbst, so wie sie in diesem semiotisch-hermeneutischen Ansatz zum Vorschein kommt.[100]


d) Unthematische hermeneutische Reflexionsmomente in informationswissenschaftlichen Ansätzen 

Als Abschluß dieser Darstellung von Beiträgen zur Hermeneutik der Fachinformation soll auf einige informationswissenschaftliche Ansätze hingewiesen werden, in denen zwar nicht ausdrücklich von Hermeneutik die Rede ist, die aber unthematisch eine hermeneutische Reflexionsbewegung vollziehen.

Dabei handelt es sich zunächst um die von N. J. Belkin u.a. entwickelte Theorie des mangelhaften bzw. "anomalischen" Wissensstandes ("anomalous state of knowledge"), kurz ASK-Theorie genannt.[101] Belkin geht davon aus, daß jede Frage nach (Fach-)Information, die insbesondere an ein Information-Retrieval-System herangetragen wird, Ausdruck eines zugrundeliegenden Bedarfs ("need") ist, und daß dieser Bedarf aufgrund eines inadäquaten Wissenszustandes entsteht. Derjenige, der seinen jeweiligen ASK-Zustand erkennt, ist zunächst eo ipso nicht in der Lage, die Anomalie aufzuheben und somit auch nicht in der Lage, das genau zu beschreiben, wonach er fragt. Demnach sind Frageformulierungen und Systemantworten nicht die originäre Grundlage der Informationssituation, sondern die "problematische Situation" (Wersig) selbst und die Erkenntnis, daß der Wissensstand zur Lösung des Problems unzureichend ist.[102]

Dieser Informationsbegriff[103] überschneidet sich weitgehend mit der von Kunz und Rittel vorgeschlagenen Definition von Information als "Wissensänderung",[104] für die auch die "problematische Situation" die grundlegende Bezugskategorie für alle Arten von Informationssystemen bildet. Wenn in bestimmten wissenschaftlichen Disziplinen (bei Kunz und Rittel: die Chemie) eine bestimmte Logik des Vorgehens feststellbar ist, lassen sich spezifische problemorientierte Informationssysteme ("Expertensysteme" und dergleichen) aufbauen.[105]

Alle diese Theorien setzen ein Kommunikationsmodell sowie eine bestimmte Vorstellung von der (sozialen) "Natur" des Menschen voraus. So gibt z.B. Belkin zu, daß sein kognitives Schema in bezug auf das Kommunikationsphänomenen etwas statisch, verglichen etwa mit dem kybernetischen Modell von E. Hollnagel,[106]) wirkt.[107] Hollnagel, der sich auf Peirce beruft, entwirft sein Modell sowohl im Hinblick auf die zwischenmenschlichen als auch auf die Mensch-Maschine Kommunikation. Ein Sender hat die Absicht ("intention") eine Veränderung im Empfänger zu bewirken. Dies geschieht durch eine Handlung, z.B. einen Text, die vom Empfänger interpretiert bzw. verstanden werden muß. Dabei muß aber der Empfänger dem Sender seine Interpretation mitteilen, da sonst der Sender nicht erfahren würde, ob seine Absicht erreicht wurde. Dieses wiederkehrende Schema kann auf die Beziehung zwischen einer Maschine und dem "operator" angewandt werden, da die Handlung des "operators" nur sinnvoll ist, wenn die Maschine in der Lage ist, sie zu verstehen bzw. die Absichten des "operators" zu erkennen. Die Maschine kann dabei den "operator" auf einen möglichen Fehler aufmerksam machen. Dies um so mehr, als die Maschine mit einem "internen Modell" des "operators" ausgestattet ist. Die Richtigkeit ("validation") der Auslegung ist nach diesem Modell unlösbar mit der darauffolgenden handlung verbunden bzw. wird durch diese erst ermöglicht. Mit anderen Worten, der Sender kann erst über die Richtigkeit der Interpretation des Empfängers urteilen, wenn dieser entsprechend reagiert. Dieses Schema, das mit der Metapher des "hermeneutischen Zirkels" verglichen werden kann, läßt die Möglichkeit nicht zu, im Falle einer Störung mit absoluter Sicherheit zu entscheiden, ob diese an der "Absicht" des Senders oder an der Interpretation des Empfängers lag. Im Falle von Maschinen rät Hollnagel diese so zu gestalten, daß sie ein "ewiger Zweifler" in bezug auf sich selbst sind und die Entscheidung über die Korrektur eines möglichen Fehlers dem "operator" überlassen.

Wenngleich dieses Modell nicht als hermeneutisch gekennzeichnet wird, weist Hollnagel auf die Hermeneutik im Sinne eines komplexeren bzw. vollständigeren Interpretationsprozeß hin.[108] In bezug au die Informationswissenschaft sagt Hollnagel, daß sie sich mit der Nutzung von Informationen durch Menschen befaßt, wobei diese Nutzung den Prozeß des Speicherns, Verarbeitens und Vermittelns der Information durch Maschinen einschließen kann.[109] Entscheidend ist dabei die Art, wie Menschen nach Informationen suchen. In dieser Hinsicht muß das kybernetische Modell insofern mindestens begrifflich modifiziert werden, als Menschen (und/oder Maschinen) nicht bloß Informationen empfangen, sondern aktiv danach suchen und somit eher von einem "suchenden" als von einem "empfangenden" System die Rede ist. Hier liegt auch für Hollnagel der Unterschied zur Informationstheorie Shannons, die ausdrücklich die Bedeutungsebene der Mitteilungen außer acht läßt. Zwei kommunizierende Systeme brauchen einen gemeinsamen Wissensstand sowie einen mittleren Zustand des Nicht-Wissens über das Wissen des Anderen. Weder im Falle von absoluter Wissensgleichheit noch von vollkommener Unwissenheit ist Kommunikation nötig bzw. möglich. Diemer sprach von "Informations-Gott" bzw. von "Informations-Sokrates". Im Falle des Information Retrieval entspricht die ASK-Theorie von Belkin, sagt Hollnagel, den Bedingungen eines dynamischen Kommunikationsprozesses.[110]

Diese Dynamik, die Hollnagel kybernetisch darstellt, stellt sich bei beiden Autoren als Alternative zur üblichen Vorstellung des Information Retrieval, die auf dem Prinzip des Vergleichs zwischen einer Formulierung und den möglichen Antworten des Systems beruht, wobei als Kriterium gilt, daß das System der Formulierung so gut wie möglich entsprechen muß ("best-match"-Prinzip). Jetzt wird aber davon ausgegangen, daß der Fragende, gerade aufgrund seines "unvollständigen Wissensstandes" ("Incomplete State of Knowledge"), wie Hollnagel sagt, da Nicht-Wissen eigentlich nichts Negatives bzw. "Anomalisches" ist, sondern, sogar philosophisch, als Idealzustand gepriesen wurde) grundsätzlich immer nur von einem für die Lösung des Problems unvollständigen (Vor-)Wissen ausgeht, dessen Formulierung keine Grundlage für einen Vergleich darstellt. Belkin weist auf das Retrieval-Modell von R.N. Oddy hin, daß dem Benutzer ein formales Bild möglicher Bedeutungszusammenhänge (Autoren, Dokumente, Fachgebiete) graphisch anbietet und entsprechend den Angaben des Fragenden (d.h. seinem Vorverständnis) modifiziert.[111]

Es ist dabei bezeichnend, daß Hollnagel das Paradigma der Kommunikation, so wie es in der ASK-Theorie dargestellt wird, mit der hermeneutischen Methode der Interpretation (geisteswissenschaftlicher) Texte vergleicht.[112] Wenn es also  möglich und sinnvoll ist, die (relative) Unwissenheit des Fragenden als einen entscheidenden Faktor im Prozeß des Information Retrieval aufzufassen, so daß gemäß der Hermeneutik das Verstehen (von Texten) erst beginnen bzw. sich entfalten kann, wenn das Vorverständnis des Fragenden ins Spiel gebracht wird, wodurch eine bestimmte Interpretation entsteht, die wiederum, auf das Vorverständnis bezogen, zu einem neuen (Vor-)Verständnis führt, dann scheint auch sinnvoll, im Informationsbereich eine spezifische Hermeneutik zu entwickeln.

Nach Belkin übersehen die auf dem "best-match"-Prinzip basierenden Retrieval-Verfahren den Unterschied zwischen Frage und Aussage. Einer der Grund-Sätze der Hermeneutik besagt, daß jede Aussage erst dann verstanden wird, wenn sie als Antwort auf eine Frage aufgefaßt wird. Nur wenn der Suchende sein Verstehen der Sache als ein Vorverständnis auffaßt, wird jene Dynamik in Gang gesetzt, die kybernetisch darstellbar ist. Auch wenn in einer anderen Hinsicht, wie wir noch sehen werden, das kybernetische Modell in bezug auf die besonderen Charakteristika des menschlichen Verstehens (wovon es ausdrücklich, im Hinblick auf die Gemeinsamkeiten mit Prozessen bei Tieren und Maschinen, absehen will) unzulänglich ist, erweisen sich diese Anwendungen im Informationsbereich als unthematische hermeneutische Ansätze. Dabei spielt das Paradigma des Erkenntnisfortschrittes eine entscheidende Rolle. Wenn auf die Bedeutung von Kuhns "The Structure of Scientific Revolutions"[113] für die Informationswissenschaft ausdrücklich hingewiesen wird,[114] dann ist erneut ein Zusammenhang mit der Hermeneutik gegeben, der bereits erörtert wurde.
Die Fragen drücken gerade aus, was der Nutzer noch nicht weiß oder, hermeneutisch gesprochen, sie drücken den Unterschied zwischen einem Zustand des Noch-nicht-verstehens gegenüber einem Vor-verständnis der Sache aus. Jeder ASK-Zustand geht, nach Belkin, auf einen begrifflichen Wissensstand ("conceptual state of knowledge" und dieser wiederum auf die jeweilige Weltanschauung des Nutzers ("user's image of the world") zurück. Die in Form von Texten gemachten Mitteilungen anderer Mitmenschen, stellen dabei eine mögliche Quelle für die Auflösung der Anomalie dar. Sie können die begriffliche Struktur des Nutzers, sein "Vor-Bild" ("image structure"), ändern. Ein Text wird dann zur Information, wenn aufgrund seiner begrifflichen Struktur das Vorverständnis des Nutzers sich verändert.

 
 
  

II. ZUR GRUNDLEGUNG EINER HERMENEUTIK DER FACHINFORMATION

II.1. Zur Kritik erkenntnistheoretischer Modelle in der Informationswissenschaft    
II.2. Hermeneutische Auslegung einiger Grundzüge des Mensch-seins    
II.3. Zur Konstitutionstheorie der Fachinformation 
 
 
  
  

II.1. Zur Kritik erkenntnistheoretischer Modelle in der Informationswissenschaft

Vorbemerkung
  
 
a) Zur Kritik des Abbild-Modells   
b) Zur Kritik des Sender-Kanal-Empfänger-Modells   
c) Zur Kritik des platonistischen Modells   

Vorbemerkung 

Die Gewinnung eines Begriffs der Fachinformation, d.h. die Erarbeitung der konstitutiven Momente dieses Bereichs ist die jetzt vor uns liegende Aufgabe. Wir sahen zum einen die Möglichkeiten und Grenzen einer phänomenologischen Bestimmung, die in die Sokratische Frage nach einem Begriff mündete. Zum anderen zeigten uns die bisherigen Beiträge zur Hermeneutik der Fachinformation, daß die Thematisierung bestimmter Grundbedingungen des Mensch-seins, insbesondere derjenigen, die in Zusammenhang mit dem Erkenntnis- und Verstehensprozeß stehen, als Grundlage dieser Erörterungen dienen. Es ist hier nicht der Ort, die umfassende philosophische und philosophiegeschichtliche Problematik, die eine solche Thematisierung aufwirft, zu entfalten. Von unserer Aufgabe her sollen die Denkanstöße der philosophischen Hermeneutik in diesem Bereich fruchtbar gemacht werden. Aber erst in der kritischen Auseinandersetzung mit Modellen, die ihren Ursprung vorwiegend in der Erkenntnistheorie haben, kommt die Originalität des hermeneutischen Ansatzes zum Vorschein, ja wird seine Entfaltung gerechtfertigt. Diese Auseinandersetzung soll mit jenen Modellen stattfinden, die in unserem Bereich vorherrschen. Diese sind:

1) das Abbild-Modell,
2) das Sender-Kanal-Empfänger-Modell,
3) das platonistische Modell.

Es ist nicht der Sinn dieser Kritik, die möglichen und bereits zum Teil erfolgreichen Anwendungen dieser Modelle in unserem sowie in anderen Bereichen in Frage zu stellen, sondern auf jene Reduktionen aufmerksam zu machen (und Modelle sind naturgemäß reduktionistisch),[115] die der hermeneutische Ansatz ans Licht bringt.  Dieser in der Kritik implizite Ansatz, soll im nächsten Kapitel ausführlich dargestellt werden. Schließlich muß bemerkt werden, daß die zu erörternden Modelle eine alte und wechselvolle Ideengeschichte hinter sich haben, auf die hier nur umrißhaft hingewiesen wird. Die Analyse ihrer Anwendungen im informations- wissenschaftlichen Bereich hat jeweils nur einen exemplarischen Charakter.

a) Zur Kritik des Abbild-Modells 

Eines der ältesten Zeugnisse, in dem die Rede von Abbildern in Zusammenhang mit dem Erkenntnis- bzw. Wahrnehmungsprozeß ist, ist die Lehre Demokrits.[116] Demnach werden die Abbilder (eidola, apotúposis, émphasis) der Gegenstände in die Luft und dann in unsere Sinnesorgane eingeprägt, "wie beim Eindrücken in Wachs". Dieses berühmten Vergleichs bedient sich auch Platon, der ihn zugleich im Hinblick auf das Angesprochene, nämlich die Bedeutungsgehalte selbst, als "lächerlich" bezeichnet. [117]

Die Sinnstruktur des Gleichnisses, nämlich:
  • Erwerben des Wissens (Lernen und Vergessen), 
  • Besitz des Wissens, 
  • Wiederaufnehmen des verfügbaren Wissens (Urteilen), 
legt auch einen Vergleich mit dem Prozeß des Speicherns und Wiedergewinnens von Information nahe. Die Abbildmetaphorik ist aber für Platon insofern irreführend, als der menschliche Wahrnehmungsprozeß immer schon sprachlich vermittelt ist, so daß die Frage nach der (Wahrheit bzw. Falschheit der) Erkenntnis sich auf der Ebene des "Redens" (légein) über die Dinge selbst und nicht etwa eine bloßen Wahrnehmens, stellt.[118]

Die Geschichte des Abbild-Modells führt von der griechischen Antike über Cicero, Augustinus, Thomas von Aquin, Descartes, W. Whewell u.a., und sie ist wort- und begriffsgeschichtlich eng mit der Bedeutungsentwicklung des Informationsbegriffs verbunden.[119] In der Gegenwart hat z.B. R. Rorty auf die Bedeutung dieser Metapher in der neueren (angelsächsischen) Erkenntnistheorie hingewiesen und die Vorstellung eines spiegelartigen Bewußtseins bzw. von Erkenntnis als eine adäquate Wiedergabe ("knowledge as accurate representation") in Frage gestellt.[120] Zusammen mit Wittgenstein, Heidegger und Dewey geht es Rorty um einen grundlegenden "Paradigmenwechsel", wodurch der Begriff der Erkenntnis ("mind") oder, wie wir in Anschluß an M. Boss sagen, einer "eingekapselten Psyche" verlassen wird.[121] Indem unterschiedliche Diskurse im großen "Gespräch der Menschheit" ("conversation of mankind") zugelassen und einbezogen werden, knüpft Rorty unmittelbar an die Hermeneutik (Gadamer) an. Philosophie ist weniger ein "Fach" als eine "Stimme" in diesem Gespräch, und wir können uns dabei mit Platon unterhalten, ohne daß wir uns auf seine Themen beschränken, d.h. wir können das nach ihm Gedachte ins Gespräch miteinbeziehen (Gadamers "Wirkungsgeschichte" bzw. "Horizontverschmelzung").[122] Die dualistisch-cartesianische Vorstellung der Erkenntnis als eine von der "ausgedehnten Realität" getrennten Sphäre führt, nach Rorty, zur Verabsolutierung eines bestimmten Diskurses bzw. zur Immunisierung gegenüber der Kritik am Paradigma selbst.

W. Steinmüller hat das Abbild-Modell seiner Konzeption der Informationswissenschaft zugrunde gelegt.[123] Es wird dabei von "betrachtenden Subjekten" und einem "betrachteten Objektbereich" ausgegangen. Auf der Seite des Subjektes stehen Begriffe wie "System", "Prozeß" und "Modell". Modelle sind "Abbildungen von etwas für jemand zu einem Verhalten". Es handelt sich um "ein radikal vereinfachte Abbildung des Originals". Diese Erläuterung klingt fast wie eine Entschuldigung, überhaupt von Abbildungen zu sprechen. Informationen sind "rudimentäre zweckspezifische immaterielle Modelle in der Hand von Modellsubjekten". Es bleibt zunächst ein Rätsel, wie solche "immaterielle Modelle" "im Gedächtnis einer individuellen Person haften" sollen. Zum "Subjekt" werden nicht zur einzelne Menschen, sondern auch Gruppen, Nationen, ja sogar "alle Menschen" erklärt. Dadurch wird der Subjektbegriff zusätzlich überstrapaziert. Eine solche Vorstellung gibt nur verzerrt das Phänomen des Bezugs des Menschen zu sich selbst, zu den anderen sowie zu den gemeinsamen Dingen wieder.

Es ist nicht einzusehen, warum Texte "immaterielle Modelle" sein sollen und inwiefern sie mit diesem Ausdruck dem andersartigen Phänomen des menschlichen Gedächtnisses vergleichbar wären. Die Abbildungsrelation steigert sich in die fast phantastische Vorstellung einer Verwaltungsbehörde als eines Subjektes, dessen Daten das Objekt-System Bürger abbilden soll. Aus unerklärlichen Gründen wird durch dieses Modell alles verdoppelt. Erst das Abbild soll dem Subjekt die Möglichkeit eines Verhältnisses zum Objekt geben. Wie aber ein in sich geschlossenes Subjekt aus sich herausgehen, in Beziehung zu einem ihm fremden Objekt treten und ihm sich mittels einer Abbildung aneignen soll, bleibt unerklärlich. Genauso unerklärlich ist die Vorstellung von einem Transport von "immateriellen Modellen" von Subjekt zu Subjekt, was als "Kommunikation" bezeichnet wird. Die Zweckrelation und mit ihr der supponierte Wille eines Subjektes bildet die Grundlage des Abbildungsvermögens, das im Dienste der Beherrschungsrelation steht. Die hier zugrundeliegende Willensmetaphysik bleibt unbefragt. Das Miteinandersein des Menschen und der dadurch ermöglichte Mitteilungsprozeß wird verkürzt im Hinblick auf eine Möglichkeit des Handelns, nämlich die des zweckrationalen, wiedergegeben. Wie ungenügend Metaphern wie "Abbild" und "Modell" auf die Seinsart des Menschen anwendbar sind, wird nicht eigentlich reflektiert. Der paradoxe Begriff einer "immateriellen Abbildung" drückt die tiefe Verlegenheit dieses Modells aus.

Das Vernehmen-Können der Bedeutungsgehalte selbst, d.h. der vielfältigen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge, als die wir die Sachverhalte jeweils so oder so verstehen (das Phänomen des Vorverständnisses also), wird durch die Konstruktion eines abbildenden Subjektes verdeckt. Stattdessen verweist dieses Modell auf eine abbildbare "Wirklichkeit" Insofern entsprechen diese Ausführungen nicht der Absicht des Verfassers, Information im Sinne eines Grundphänomens des Menschen zu verstehen.[124] In diesem Zusammenhang kritisiert er mit Recht die verdinglichenden Vorstellungen von Information im Sinne einer Eigenschaft des Materiellen oder als eine metaphysische supponierte Wirklichkeit. Eine solche Kritik trifft auch einige dialektisch-materialistische Vorstellungen von Information. An einer anderen Stelle [125] wurde A. D. Ursuls Informationsbegriff im Sinne von "widergespiegelter Vielfalt" dargestellt und gewürdigt. Auch die systematische Klassifikation der Informationsarten von Mihaijlov, Cernyi und Gilarevskij[126] gründet in der Widerspiegelungstheorie. In bezug auf die Fachinformation (im engeren Sinne von wissenschaftlicher Information) schreibt Ursul, daß durch die "die im Erkenntnisprozeß gewonnene (in einem System exakter Begriffe, Urteile, Schlüsse, Theorien und Hypothesen fixierte) Information, die Erscheinungen und Gesetze der Umwelt oder der geistigen Tätigkeit der Menschen adäquat abbildet und Voraussicht sowie Veränderung der Wirklichkeit im Interesse der Gesellschaft ermöglicht". [127] Widerspiegelung im menschlichen Bereich gibt es aber nur unter der Annahme, daß es so etwas wie ein spiegelartiges Bewußtsein und eine sich von ihm widerspiegeln-lassende Realität gibt. Hier stellt sich erneut die Frage, ob diese Metapher nicht zu disparaten bzw. irreführenden Annahmen führt. Es ist nicht einzusehen, warum das Vernehmen von Gesetzmäßigkeiten als eine Widerspiegelung aufzufassen ist, anstatt Gesetze sein zu lassen, wo und wie sie sich zeigen. Das Grundphänomen des menschlichen Verstehens braucht wiederum nicht als ein Widerspiegelungsprozeß vorgestellt zu werden, wo, im strikten Sinne des Wortes, nichts widergespiegelt wird. Auch die Netzhaut ist bekanntlich kein Spiegel. Bei H. Engelbert treffen wir erneut eine paradoxe Formulierung, wonach "nichtmaterielle Gegenstände", d.h. wissenschaftliche Informationen, als Produkt eines widerspiegelnden Bewußtseins aufzufassen sind.
[
128]

So nützlich also Begriffe wie "Abbild" und "Modell" in anderen Bereichen sind, in bezug auf die Erörterung des menschlichen Verstehens in seiner Spezifizität führen sie zu metaphysischen Suppositionen, die vielleicht in pragmatischer Sicht hingenommen werden können, die aber dabei stets als solche kritisch beurteilt werden sollten, insbesondere, wenn wie in diesem Fall, das Phänomen des Offenständig-seins in einer gemeinsam ausgetragenen Welt-Offenheit unbeachtet bleibt. Dieses Phänomen ist aber, wie wir noch zeigen werden, die Grundlage für das Vernehmen- und Mitteilenkönnen von (fachlichen) Bedeutungsgehalten.

b) Zur Kritik des Sender-Kanal-Empfänger-Modells 

Das Sender-Kanal-Empfänger-Modell ist eines der am häufigsten gebrauchten Modelle sowohl im Informationsbereich als auch im Bereich der Fachinformation.  Dies hat eine pragmatische und im Hinblick auf bestimmte Phänomene auch seine sachliche Berechtigung, die hier nicht diskutiert bzw. in Frage gestellt werden soll. Zunächst aber ein kurzer ideengeschichtlicher Hinweis.  

Es wird öfter darauf aufmerksam gemacht, daß dieses Modell auf Aristoteles zurückgeht. Gemeint ist damit das Grundschema der platonischen und aristotelischen Rhetorik.[129] Diese Struktur kommt in der aristotelischen Rhetorik folgendermaßen vor:

"Es basiert nämlich die Rede auf dreierlei: dem Redner, dem Gegenstand, über den er redet, sowie jemandem, zu dem er redet, und seine Absicht zielt auf diesen - ich meine den Zuhörer."[130]
Wenn anstatt von Sprecher und Hörer, von "Sender" und "Empfänger" die Rede ist, wird das aristotelische Verständnis der zwischenmenschlichen Kommunikation aus seinem spezifischen Zusammenhang gerissen. Dieser Zusammenhang ist die vom Sprecher und Hörer gemeinsam erfahrene Welt, auf deren jeweilige Bezüge das Gesprochene hinweist.[131] Die mögliche Korrespondenz zwischen dem Gesprochenen und den anvisierten Dingen selbst ist keine Eins-zu-Eins-Beziehung wie bei einem Code-Vorrat. Ziel der menschlichen Kommunikation im Sinne eines Re-konstitutionsprozesses ist nicht die Dekodierung vermittelter Zeichen, sondern die gemeinsame Erkenntnis der Dinge (prágmata), auf die die Worte (möglicherweise) verweisen. Diese gemeinsam erfahrene Realität wird jeweils durch unterschiedliche Erkenntnishaltungen (pathémata) auf verschiedene Art vernommen. Obwohl Aristoteles die Abbild-Metaphorik insbesondere in Zusammenhang mit dem Prozeß der sinnlichen Wahrnehmung verwendet,[132] erkennt der Mensch nicht durch Angleichung der "Seele" an ein physisches Ding, eine wohl phantastische Vorstellung, sondern aufgrund eines anderen menschlichen Verhaltens, nämlich des Denkens, wodurch das Allgemeine am Vernommenen selbst erfahren wird.[133] In bezug auf den fachlichen Kommunikationsprozeß sind bei Aristoteles folgende Sachverhalte zu berücksichtigen:  

a) wir philosophieren in und aus der Sprache als etwas Vorgegebenem. Sie wird aber stets an der "Sache" gemessen.  

b) vorgegeben ist auch die "Tradition", die "communis opinio", d.h. das, was die Menschen, gedacht haben und noch denken (ihre "Theorien"),

c) Aristoteles philosophiert im Hinblick auf die gemeinte Sache. [134] 

Es gibt bei ihm kein System von Wörtern mit festen Bedeutungen, sondern diese werden erst in der sachlichen Diskussion, d.h. in der Verwendung bestimmt. Daher die Genauigkeit mit der Aristoteles die Verwendungszusammenhänge untersucht. Für drei große Bereiche des Kommunikationsprozesses, nämlich den wissenschaftlichen, den rhetorischen und den dichterischen, gibt Aristoteles präzise und umfangreiche "Spielregeln", die wir hier nicht behandeln können. Das mündliche Gespräch und das Gespräch mit der schriftlichen Tradition sind zwei Kernpunkte der aristotelischen Auffassung von Fachkommunikation. Der Schlußsatz des dritten Buches seiner "Rhetorik" faßt in eindrucksvoller Weise diese Auffassung zusammen: "Ich habe gesprochen. Sie haben gehört. Sie kennen nun die Tatsachen. Urteilen Sie nun."[135]

Die klassische Darstellung des Sender-Kanal-Empfänger-Modells, ist diejenige, die C.E. Shannon und W. Weaver in Zusammenhang mit der Entwicklung der "mathematischen Kommunikationstheorie" bzw. der "Informationstheorie" vorlegten.[136] Dieses lineare Modell (Abb. 6) wurde von N. Wiener durch das Moment der Rückkopplung verändert und in eine dynamische bzw. kybernetische Struktur umgewandelt.[137] Beide Ansätze fanden im Informationsbereich zahlreiche Anwendungen.


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Abb. 6: Darstellung des Kommunikationsprozesses nach Shannon and Weaver


Wie an einer anderen Stelle dargelegt wurde,[138] lag dem informationstheoretischen Modell die Voraussetzung zugrunde, daß alle semantischen und pragmatischen Aspekte der zwischenmenschlichen Kommunikation ausgeschaltet und stattdessen nur diejenigen Aspekte berücksichtigt werden sollten, die in Zusammenhang mit der physikalischen Übertragung von Signalen eine Rolle spielen. Es ist also paradox, daß ein Modell, daß unter dieser Voraussetzung entwickelt wurde, gerade in Zusammenhang mit der Mitteilung von (fachlichen) Bedeutungsgehalten gebracht wird.

Dieses Paradoxon hat seine Erklärung zum einen in der erwähnten Voraussetzung, d.h. der Ausgangspunkt ist die reichhaltige Struktur menschlicher Kommunikation, über die eine Reduktion vorgenommen wird. Die ursprüngliche Struktur kommt nur verzerrt zum Vorschein bzw. wesentliche Momente bleiben ausgespart. Es ist z.B. von einer Vermittlung die Rede, nicht aber von der den Vermittelnden (Menschen) gemeinsamen Welt und von den ihnen in ihr aufgehenden Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen. Zum anderen, die Beibehaltung des Wortes "Information" und ihre spezifische mathematische Prägung führten bald zu einer, wie Bar-Hillel es nannte, "semantischen Falle",[139] d.h. es war für die Anwender schwierig, die ausgelassenen aber z.B. im Wort "information" noch anklingenden Momente nicht mitzudenken und somit das Modell als Darstellung der ursprünglichen Struktur zu verwenden.

Wenn durch Wieners Kybernetik dieses Modell in eine dynamische Struktur umgewandelt wird, dann bleibt dabei der menschliche Bereich unspezifiziert, bzw. es wird ausdrücklich auf "Tiere und Maschinen" (!) verwiesen. Steve J. Heims bemerkt deshalb mit Recht, daß die Kybernetik geeignet sei, "die unmenschliche Nutzung von Menschen" ("the unhuman use of human beings") darzustellen.[140] Wenn der grundsätzliche Analogiecharakter dieser Modelle in bezug auf die kognitiven Funktionen vergessen wird, dann geht man zu einer (materialistischen bzw. idealistischen) Metaphysik über, d.h. man vergißt, wie Oeser sagt, daß es sich um Ähnlichkeiten zwischen gänzlich verschiedenen Dingen handelt. [141] Das Sender-Kanal-Empfänger-Modell und seine kybernetische Variante sind in Analogie zum zwischenmenschlichen Mitteilungsprozeß entwickelt worden und nicht umgekehrt!

Es ist also so: daß erst im Hinblick auf eine mit-geteilte Welt wir uns gegenseitig etwas mitteilen können. Wenn das Paar "Sprecher-Hörer" durch "Sender-Empfänger" ersetzt wird, dann findet dabei eine Verengung des Blickes bezüglich der Bedeutungsgehalte statt, die nur methodisch zu rechtfertigen ist, wenn die Anwendungen diesen Rahmen nicht überschreiten. Auch das Schema Sprecher-Hörer selbst kann das Phänomen der menschlichen Kommunikation so einengen, daß dadurch nur Sprechakte im Singular berücksichtigt werden, während die vorausgesetzten Sinnzusammenhänge, d.h. das gemeinsam ausgebildete und ausgetragene Vorverständnis, ausgespart bleiben. Es gibt keinen "reinen Sprecher" so wie es auch keinen "reinen Hörer" gibt. Das wußte bereits Aristoteles, wie wir gesehen haben. Jedes Reden knüpft, wie B. Waldenfels schreibt, an einen Kontext, der aufgegriffen und fortgebildet wird. Wenn ein Text mitgeteilt wird, dann ist es nicht bloß ein Austauschen von Zeichen, sondern der Sinn steht und entsteht zwischen den Zeilen und das heißt zwischen den Partnern.[142] Es kommt also nicht von ungefähr, daß der Versuch einer Anwendung dieses Modells im informationswissenschaftlichen Bereich immer unter Berücksichtigung der ausgelassenen Momente stattfindet, wobei sie dadurch nur teilweise zum Vorschein kommen können.

Es wurde bereits auf das kybernetisch-hermeneutische Modell von Hollnagel hingewiesen (vgl. I, 3, d). Ausdrücklich betonte Hollnagel den Unterschied zur Shannonschen Informationstheorie, die die Bedeutungsebene unbeachtet läßt. Der Begriff "Empfänger" erwies sich als irreführend. Im Hinblick auf das Phänomen des Vorverständnisses wurde schließlich auf die Hermeneutik verwiesen.

Einen anderen Versuch, das kybernetische Modell in unserem Bereich anzuwenden, stellt der H. Stachowiak verpflichtete Ansatz von G. Wersig dar. [143] Das Modell stellt die Interaktion eines Organismus (!) mit seiner Umwelt dar. Auch wenn es sich dabei um den menschlichen Organismus handelt, stehen im Mittelpunkt "materielle und energetische Austauschprozesse mit der physischen Umgebung". Das bedingt, daß zwischen einer "Außenwelt" und einem "internen Außenweltmodell" unterschieden wird. Da die Grundstruktur eines in sich geschlossenen Organismus (mit unterschiedlichen funktionalen Einheiten) und einer "Außenwelt" weitgehend dem der elektronischen Datenverarbeitungsmaschinen entspricht, so daß auf diesem "hohen Abstraktionsniveau" Menschen und Maschinen unter einem Begriff zusammengeführt werden, finden wir hier erneut eine Umkehrung des Analogie-Verhältnisses. Der "Außenwelt" wird ein "Wesen an sich" zugesprochen, das unzugänglich bzw. nur über die funktionale Einheit "Perzeptor" zu erfahren ist. Der Verstehensprozeß wird dieser Begrifflichkeit angepaßt, wobei im Falle der Verknüpfungen von Begriffen im "internen Außenweltmodell" der Verfasser selbst zugibt, daß "dieses mehrdimensionale Modell natürlich nur noch schwer vorstellbar" ist! Die Kategorie der "problematischen Situation" wird im Zusammenhang mit der Notwendigkeit des Organismus, seine "interne Außenwelt" zu verändern, um sich situationsädequat zu verhalten, bestimmt. Mit dem Begriff der Verhaltensänderung grenzt Wersig seinen Ansatz gegenüber der Betonung einer "bloßen" "Wissensänderung" (Kunz und Rittel) ab. Information wird als "Reduktion von Ungewißheit" in bezug auf die "problematische Situation" bestimmt. Obwohl das Modell in vieler Hinsicht ausbaufähig ist [144] und aufgrund der miteinbezogenen sozialen sowie der semantisch-pragmatischen Dimensionen über sich hinaus weist, scheint die kybernetische Begrifflichkeit ungeeignet, um der folgenden Grundeinsicht zu entsprechen, nämlich,

"daß 'Information' als Bestandteil des Erkennens von und sich Auseinandersetzens mit Welt schon immer mehr bedeutete als nur die Gelegenheit zu verschaffen, irgendwelche Wissenselemente greifen zu können. Sie impliziert auch schon immer die Bewertung, Beurteilung, kognitive und affektive Integration dieses Wissens in ein persönliches Bild von Welt und eine persönliche Begegnungsstrategie. Dies war schon immer ein Prozeß, der nicht isoliert von den sonstigen Austauschprozessen des Menschen ablief. Von daher erklärt sich vielleicht auch die Tatsache, daß die organisierten Informationsprozesse häufig recht weit von dem Erfolg entfernt bleiben, den sie anstreben." [145]

In Anschluß an Habermas hat Wersig den Begriff des "Informationshandelns" geprägt, von wo aus die "Akteure", die "Problembewältigung", die "Wissensarten" und die "Interaktionsmodi/-qualität" definiert werden.[146] Eine solche Begrifflichkeit wird m.E. den in Frage stehenden Sachverhalten eher gerecht als die hierfür irreführenden informationstheoretischen und kybernetischen Modelle. Der Kommunikationstheoretiker C. Cherry hat die Übertragung des Sender-Kanal-Empfänger Modells auf die Ebene menschlicher Kommunikation als "einen großen Fehler" bezeichnet.[147]

c) Zur Kritik des platonistischen Modells 

Mit der Bezeichnung "platonistisches Modell" sollen jene erkenntnis- theoretischen Modelle gekennzeichnet werden, die den Bedeutungs- gehalten eine solche ontologische Selbständigkeit zusprechen, daß sie sie für hypostasierte für sich bestehende Entitäten halten. Der Ausdruck "platonistisch" ist insofern zweideutig, als zum einen auf Platon als einen berühmten Vertreter dieses Modells hingewiesen wird, zum anderen aber offen bleiben soll, inwiefern die übliche Vorstellung der platonischen "Zwei-Welten-Lehre" diesem Denken gerecht wird.[148] Daß Platons "Ideelehre" eher eine "Ideenfrage" ist, wurde an anderer Stelle dargelegt.[149] Die Fortwirkung dieser Frage im abendländischen Denken und insbesondere in der Erkenntnistheorie ist bekannt. Bezeichnenderweise hängt sie mit der Etymologie und der Bedeutungsentwicklung des Informationsbegriffs eng zusammen.[150]  Es genügt hier auf Denker wie Epikur oder Augustinus, auf den mittelalterlichen Universalienstreit, auf Descartes und Kant, auf den Hegelschen Begriff des "objektiven Geistes" sowie auf den Umkehrungsversuch des Platonismus durch Nietzsche hinzuweisen,[151] um die Tragweite und Fruchtbarkeit dieser Frage anzudeuten. Eine weitere Ausformung dieses Modells findet man in der Gegenwart in dem ausdrücklich als "platonistisch" bezeichneten Modell von K.R. Popper.[152] Auf ihn stützen sich einige informationswissenschaftliche Ansätze.  

Nicht von zwei, sondern von drei "Welten" ist bei Popper die Rede, nämlich: "physical world" (Welt 1), "mental world" (Welt 2) und "world of intelligibles" (Welt 3). Grundsatz der Popperschen Ontologie ist die folgende Aussage: "the world consists of at least three ontologically distinct sub-worlds".[153] Die "Welt 3" ist die des objektiven Wissens" bzw. des "Wissens ohne erkennendes Subjekt". Obwohl Popper möchte, daß der Ausdruck "Welt" nicht "zu ernst" genommen wird, und mit diesem Hinweis seine Theorie offensichtlich gegen Kritik immunisieren möchte, kann dennoch festgestellt werden, daß damit zugleich auch die gesamte Theorie nicht ernst zu nehmen wäre, zumal wenn, E. D. Klemke schreibt, die Existenz von solchen "Welten" behauptet wird.[154] Der ontologische Grundsatz ist bereits widersprüchlich, da hier die Rede von "the world" (meine Hervorhebung!) ist. Und in der Tat, "Welt" ist, in den Worten C. F. von Weizsäckers, "im philosophisch strengen Sinne ein singulare tantum. Wir leben 'in der Welt'. Es gibt nicht 'eine Welt' oder 'Welten'." [155]

Mit der Vorstellung einer "dritten Welt", nämlich die der "Probleme an sich", will Popper insbesondere die Objektivität wissenschaftlicher Theorien vom Gespenst des Psychologismus und des Soziologismus (marxistischer Prägung) befreien.[156] Dafür muß er den Menschen in eine "Psyche" einkapseln, eine Vorstellung, die so alt ist wie die neuzeitliche Cartesianische Ontologie selbst.[157] Popper kritisiert zwar die Vorstellung von der "Psyche" ("mind") als einen "Eimer" ("bucket") bzw. als eine "tabula rasa" und hebt mit Recht die "Theoriebeladenheit" unserer Erfahrung hervor, stellt aber dabei lediglich die Vorstellung eines passiven Empfängers anstatt die der "Kapsel" bzw. einer "für sich" bestehenden "Welt 2" in Frage. Die "Kapsel" wird lediglich mit einem "suchenden Licht" versehen.[158]   

Wenn wir aber das Mensch-sein von der Weltoffenheit her begreifen, in der wir (also keine isolierte Subjektivität) immer schon sind, dann läßt sich das "Problem" der Popperschen Ontologie, nämlich das der Beziehungen zwischen autonomen "Welten", als ein Scheinproblem entlarven. Die sprachlich durch Wissen und Handeln erschlossene Welt, läßt sich nicht ohne logischen Widerspruch von der sinnerschließenden menschlichen Gemeinschaft, die die Weltoffenheit so teilt, trennen. Dieses entspricht, wie M. Bunge bemerkt, bereits der Syntax des Zeitwortes "wissen". Poppers "Welt 3" ist eine "Platonistische Phantasie".[159]

Der Autonomismus erweist sich als selbstwidersprüchlich: einerseits soll der "knowing subject" ausgeschlossen werden, andererseits wird das schriftlich fixierte Wissen in seiner "potentiality of being understood" begriffen. Es ist gerade diese "Potentialität", schreibt Popper, die aus einem Ding ein Buch macht.[160] Damit ist aber vorausgesetzt, was ausgeschlossen werden sollte. Im Hinblick auf den Begriff "objective" entsteht eine fragwürdige Zweideutigkeit: Es soll damit die schriftliche Fixierung des Wissens, unabhängig vom Inhalt, bezeichnet werden, zugleich aber wird der Eindruck erweckt, als ob es um "objektives Wissen" im Sinne wissenschaftlicher Theorien ginge, um ("objektive") Wahrheit also, an deren Entwicklung die Wissenschaft, "wie beim Bau einer Kathedrale" arbeitet.[161]

Um seine autonomistische These zu untermauern, konstruiert Popper zwei Gedankenexperimente:

Experiment 1: unsere Maschinen und Werkzeuge sind zerstört und auch unser subjektives Wissen davon bzw. das Wissen, wie man sie baut, aber die Bibliotheken und unsere Kapazität von ihnen zu lernen bleibt erhalten. Wir könnten unsere Welt wieder aufbauen.

Experiment 2: wie beim Experiment 1, wobei auch die Bibliotheken verschwinden. Unsere Kapazität aus Büchern zu lernen ist nutzlos ("useless"). Die Wiederentstehung unserer Zivilisation würde Tausende von Jahren dauern.[162]

Wenn wir und aber ein drittes Experiment ausdenken, nämlich, daß die Lernkapazität z.B. durch einen Nuklearkrieg vernichtet wird und die Bibliotheken nicht, dann wären diese sinnlos. Auch wenn es so etwas wie "Menschen" gäbe, die aber jene Lernfähigkeit, d.h. die Möglichkeit, etwas in seiner Bedeutung als so und so seiend aufzufassen, nicht hätten, würden sie vielleicht die "Bücher" als Heizungsmaterial benutzen! Popper begeht hier erneut einen Selbstwiderspruch, da er in beiden Experimenten die Lernkapazität beibehält. Entscheidend ist also nicht das Moment der Autonomie, sondern das der Teilhabe des schriftlich fixierten Wissens an einer menschlichen Welt. Wir können dieses Wissen unabhängig vom jeweiligen empirischen Vollzug betrachten, und dennoch sind Bücher und ihre Inhalte nur in Zusammenhang mit einer menschlich d.h. sprachlich erschlossenen Welt sinnvoll. Vor dem Hintergrund eines Atomkrieges wirkt aber der Autonomismus nicht bloß abstrakt, sondern auch besonders makaber...  

Popper bleibt beim Unterschied zwischen dem empirischen Vollzug und dem logischen Gehalt von Theorien (!) stehen. Die Frage nach der Konstitution solcher Bedeutungsgehalte wird nicht gestellt bzw. sie wird unzureichend beantwortet. Eine Autonomievorstellung dieser Gehalte außerhalb einer sprachlich mit-geteilten Welt, ist so grundlos, wie die Vorstellung einer Sprache "an sich".[163]

Die relative Haltbarkeit bzw. Unabhängigkeit des schriftlich fixierten Wissens gegenüber der Existenz eines Menschen teilen Bücher mit anderen vom Menschen geschaffenen Dingen sowie mit der von ihm nicht geschaffenen Natur mit. Dabei besitzt die menschliche Dingwelt, gegenüber der Bewegtheit der Natur, eine gewisse Haltbarkeit:  
"Diese Gegenstände werden gebraucht und nicht verbraucht, das Brauchen braucht sie nicht auf; ihre Haltbarkeit verleiht der Welt als dem Gebilde von Menschenhand die Dauerhaftigkeit und Beständigkeit, ohne die sich das sterblich-unbeständige Wesen der Menschen auf der Erde nicht einzurichten wüßte; sie sind die eigentliche menschliche Heimat des Menschen." (H. Arendt) [164]
Aber auch bezüglich ihrer Inhalte sind Bücher "relativ". Auch logische Objektivität, eine (von Popper wohl überbewertete) Form der Wahrheit, d.h. der menschlichen Sinn- und Welterschließung, läßt sich, wie Oeser bemerkt, ohne Intersubjektivität nicht konstituieren.[165]

Wir sind ein Gespräch (Hölderlin), wovon das schriftlich fixierte Wissen ein Teil ist. Die von Popper einseitig hervorgehobene Autonomie der Wissensgehalte ist wesensmäßig in bezug auf dieses zeitliche und intersubjektive Gespräch in der Welt zu sehen. Sie ist in diesem Sinne eine relative. Hier ist auch der Grund für die Vorläufigkeit unserer wissenschaftlichen Theorien zu suchen.

Poppers Modell, obwohl problembezogen, ist merkwürdigerweise weltlos. Unser Informationsbereich ist außerdem durch und durch sozial, sowohl in bezug auf die Produktion von Fachliteratur als auch auf ihre Nutzung. Auch die romantische Vorstellung von Wissenschaftlern, die mit allen Mitteln versuchen, wohlbegründete Theorien zu "falsifizieren", würde nur einen (sehr kleinen) Teil der hier in Frage kommenden Wissenschaftlern (von den "Praktikern" ganz zu schweigen!) treffen.[166]

B.C. Brookes hat den Versuch unternommen, dieses Modell der Informationswissenschaft zugrunde zu legen.[167] Brookes geht davon aus, daß die theoretische Struktur einer Wissenschaft, ihre Fundamente und Grundannahmen, solange nicht vertieft werden, als sie für selbstverständlich gelten. Eine ganz triviale Aussage, die aber eine unmittelbare Auswirkung hat in bezug auf jene Wissenschaften, deren gewachsene Superstruktur allmählich über die alten Fundamente hinauswächst. Wir wissen dann eigentlich nicht mehr auf welchem Boden wir stehen. Eine im strengen Sinne hermeneutische Situation!   

Die Grundproblematik hängt für Brooks mit dem Informationsbegriff eng zusammen. Dieser ist aber weder eine bloß subjektive noch eine bloß objektive Kategorie. Bei Popper findet Brookes keine Kenntnisnahme des Informationsbegriffs in diesem umfassenden Sinne. Dabei handelt es sich um den Ausdruck jenes Hinauswachsens der Informationswissenschaft über die autonomistische Vorstellung einer "Welt" des (dokumentarisch festgelegten) Wissens. Sie verdankt ihre Entstehung der Suche nach neuen Wegen der Informationsvermittlung, wodurch der eigentliche Sinn des schriftlich fixierten und veröffentlichten Wissens, nämlich seine Mitteilung, zum Vorschein kommt.  

Brookes übernimmt und erweitert die Poppersche Ontologie. Es geht dabei nicht nur um den Unterschied zwischen den Gegenständen der verschiedenen "Welten", sondern auch um die jeweiligen "Räume". So gibt es den "physical space" aber auch "mental spaces", die ihrerseits unterschiedlich im Falle von "Welt 2" und "Welt 3" sind. Brookes behält die kapselartige Vorstellung des Bewußtseins bzw. die Vorstellung von einzelnen in sich geschlossenen monadischen Subjektivitäten, mit ihren subjektiven "mental spaces". Demgegenüber stehen die Inhalte der "Welt 3", die ein meta-physisches Netzwerk von Bedeutungszusammenhängen bilden ("extra-physical entities which exist only in cognitive [mental or information] spaces"). Die Informationswissenschaft soll sich im wesentlich auf die Analyse dieser hypostasierten Inhalte beschränken. Diese werden "objektive Information" genannt, solange sie nicht ins "objektive Wissen" integriert worden sind. Gegenüber dem "mental space", wo die Bedeutungszusammenhänge strukturell integriert sind, stehen die ("schwer zugänglichen") subjektiven Wissensstrukturen.  

So gerechtfertigt die Analyse verobjektivierter Wissensstrukturen auch sein mag, die Drei-Welten-Metaphysik stellt die Dinge auf den Kopf, indem das eigentlich Primäre, nämlich die lebendige Mit-teilung eines bestimmten Weltverständnisses (z.B. durch eine "scientific community"), wovon das schriftlich fixierte Wissen einen Teil ausmacht, als das Subjektive und Unzugängliche bezeichnet wird. Damit wird weder für die "common sense theory of knowledge", noch für einen Psychologismus oder Soziologismus plädiert. Es handelt sich um die Kritik des Autonomismus, der, bedingt durch metaphysische Suppositionen, die konstitutionstheoretische Frage seiner Gegenstände unbeachtet läßt. Sowohl Popper als auch Brookes sind sich zum Teil der Unhaltbarkeit eines strengen Autonomismus bewußt. So wird bei Popper, in einer Art von Immunisierungsversuch, die Autonomie der schriftlich fixierten Wissensgehalte mit einem "more or less" abgeschwächt, um sie anschließend argumentativ zu untermauern. Plakativ ist die Rede von einem "knowledge without a knower", diesmal aber ohne "more or less".[168] Für Brookes ist der "leere Raum" um uns mit "potentieller Information" erfüllt. Wir können ihn in einer allgemeinen Theorie der Information nicht ignorieren. Das Leben besteht aber nicht bloß aus Lesen und Schreiben!". [169]

Wenn Popper und Brookes in Zusammenhang mit "Welt 3" von einem "Wunder" sprechen, dann stellt sich die Frage, ob das eigentliche "Wunder" nicht die gesamte, die Wissensgehalte und ihre schriftliche Niederlegung erst ermöglichende Struktur ist. Ferner ist sich Brookes auch bewußt, daß sprachliche Thematisierungen keineswegs die Bedeutungs- zusammenhänge ausschöpfen bzw., daß wir nicht in einer mit einem "linguistischen Umschlag geschlossenen Welt" leben.  

Mit dieser Kritik wird also nicht die Objektivierung des Wissens bzw. eines Vorverständnisses in Frage gestellt und auch nicht die Möglichkeit einer logischen Analyse und Darstellung von Wissensgehalten, ob in einem Buch niedergeschrieben oder elektronisch gespeichert. In Frage steht hier eine Metaphysik, die solche Wissensgehalte von den sie bedingenden Momenten herauslöst, um anschließend das "Problem" der Beziehungen zwischen "autonomen Welten" zu stellen. Diese Idealisierung der Wissensgehalte gründet nicht zuletzt in der Vorstellung einer abgekapselten "Psyche" (in "the owner's body"!). Von einem solchen metaphysischen Paradigma her stellte schon Descartes die Frage nach der Existenz der "Außenwelt". Der Autonomismus mündet in einen Mentalismus, der nur nachträglich und ungenügend die Frage nach der "Nutzung" des "objektiven" oder besser "verobjektivierten" Wissens stellen kann.[170]

Eine weitere Anwendung des platonistischen Modells, wenn auch mit grundlegenden Akzentverschiebungen und Ergänzungen, stellt der Ansatz von D. A. Kemp dar.[171] Das kommt bereits zum Ausdruck, indem Kemp nicht von "objektive knowledge", sondern, in Anlehnung an J. H. Sheras  "social epistemology", von "social knowledge" spricht. Ferner steht im Mittelpunkt seiner Überlegungen die Frage nach der Wissensvermittlung.

Als Fazit dieser Kritik können wir festhalten, daß der "menschenlose" und "weltlose" Platonismus am wenigsten geeignet scheint, eine tragfähige Grundlage für den Bereich der Fachinformation zu bilden. Dennoch spielen ohne Zweifel Fragen der Wissensdarstellung eine entscheidende Rolle in einer Hermeneutik der Fachinformation. Wissensdarstellungen stehen aber, wie A. Einstein einmal bemerkte, im Dienste der lebendigen Mitteilung und nicht umgekehrt.[172]

 


 

II.2. Hermeneutische Auslegung einiger Grundzüge des Mensch-seins

Vorbemerkung
  
 
a) Das Miteinandersein der Menschen in einer gemeinsamen Welt   
b) Der Grundzug der Mitteilung   
c) Der Praxis-Bezug und das Fragen

Vorbemerkung

Die vorhergehenden Analysen haben in unterschiedlicher Weise auf bestimmte zum Teil grundsätzliche Unzulänglichkeiten erkenntnistheoretischer Modelle aufmerksam gemacht. Sie bezogen sich auf die dadurch entstandene Unangemessenheit der Thematisierung bestimmter Grundzüge des Mensch-seins. Die Kritik setzte vor allem aus der philosophischen Hermeneutik gewonnene Einsichten voraus, die jetzt entfaltet werden sollen.

In diesem Kapitel sollen aber lediglich jene hermeneutischen Einsichten dargestellt werden, die im Hinblick auf die Grundlegung einer Hermeneutik der Fachinformation maßgeblich sind. Da unser Ansatz den Weg der kritischen Auseinandersetzung gegangen ist, handelt es sich hierbei nicht um eine dogmatische bzw. scheinbar voraussetzungslose Darstellung. Ein solcher Anfang wäre bereits zutiefst unhermeneutisch.

Es könnte dennoch den Eindruck erweckt werden, als ob die folgenden Einsichten, aufgrund ihres grundsätzlichen Charakters, so etwas wie Aussagen über das "Wesen" oder die "Natur" des Menschen wären. Das würde den Rahmen des philosophischen Fragens überschreiten, da dieses, wie Kant schreibt, zwar von Fragen belästigt wird, die es nicht abweisen, sie aber auch nicht beantworten kann.[173] Wie H. Arendt mit Recht bemerkt, sind Aussagen über die "Natur" des Menschen und die Rede von seiner Bedingtheit nicht dasselbe.[174] Im ersten Fall handelt es sich um die Antwort auf die Frage nach der letzten Bestimmung des Menschen. Sie ist Sache der Theologie. Die Auslegung der Bedingungen menschlicher Existenz, wie z.B. Natalität, Mortalität, Rationalität, Sozialität, Weltlichkeit ist auf eine doppelte Weise vorläufig. Einerseits stellt keine von ihnen so etwas wie eine absolute Bedingung unseres Daseins dar, sondern im Gegenteil, unser Fragen stößt dabei immer wieder auf das Faktum seines Bedingtseins, ohne seine Endlichkeit aufheben zu können. Andererseits ist ihre Auslegung, wie Arendt auch klar gesehen hat, vorläufig, da der Mensch in der Lage ist, auf das Wie dieser Bedingtheiten Einfluss zu nehmen, freilich ohne dabei aufzuhören ein bedingtes Wesen zu sein.

Wenn die Philosophie immer wieder darauf hingewiesen und das Fragen als ihre eigentliche Dimension erkannt hat, dann mutet es zumindest paradox an, daß die moderne Wissenschaftstheorie den Charakter der Vorläufigkeit geradezu als entscheidendes Kennzeichen wissenschaftlicher Theorien ansieht, etwas was in der Vergangenheit der Philosophie als ihre entscheidende Schwäche gegenüber den "sicheren wissenschaftlichen Erkenntnissen" vorgeworfen wurde. Wenn man eine philosophische Theorie heute diskreditieren will, sagt man dagegen, sie sei "dogmatisch"! [175]

Die folgenden hermeneutischen (also vorläufigen!) Auslegungen einiger Grundzüge des Mensch-seins sind insbesondere den Ansätzen von M. Heidegger und Medard Boss [176], sowie auch von Hannah Arendt verpflichtet. Sie werden hier soweit entfaltet, als es für die uns bevorstehenden Fragen von besonderer Bedeutung erscheint. [177]

a) Das Miteinandersein der Menschen in einer gemeinsamen Welt

Zu sagen, daß wir der einen gemeinsamen Welt aufgeschlossen sind, daß wir keine monadisch voneinander getrennte Subjektivitäten sind, sondern daß wir uns immer in und aus der Gemeinschaft mit anderen Menschen verstehen und daß wir uns dabei bei denselben Denken unserer gemeinsamen Welt aufhalten, mag wie eine triviale Feststellung erscheinen, und dennoch, wie wir gesehen haben, wird dieses Faktum übersehen bzw. nur verzerrt dargestellt. Entscheidend ist auch, daß dieser öffentliche Raum, den wir gemeinsam konstituieren, von jedem von uns auf seine eigene Weise vollzogen wird. Wir sind also hier fern von der Vorstellung von weltlosen "Psyche-Kapseln". Boss hat diesen Unterschied klar herausgearbeitet. Wörtlich schreibt er:
"Unter dem Phänomen solch wesensmäßigen Miteinander- seins der Menschen in einer gemeinsamen Welt ist nichts dergleichen wie das Vorhandensein einzelner Subjekte vorzustellen, ausgestattet mit je einem abgegrenzten, irgendwo an einer bestimmten Raumstelle vorhandenen Bewußtseins- oder Psyche-Bereich, in den hinein Abbilder von Außenweltobjekten gespiegelt würden. Es bliebe [...] auf immer rätselhaft, wie ein so geartetes Subjekt auch nur zu einem Wissen vom Bestehen einer Außenwelt gelangen könnte. Es könnte auch nie die Natur eines solchen bewußtseins- immanenten Abspiegelungsvorganges begriffen werden. Wäre zudem menschliches Existieren zunächst von der Verfassung einer solch vereinzelten subjekthaften Psyche, würden die Menschen unter sich auch gar nie von den Dingen und Mitmenschen unmittelbar als den gemeinten Dingen und Mitmenschen sprechen können. Sie wären immer nur imstande, deren Abbilder in ihrer eigenen Psyche drinnen zu betrachten und über solche hin und her zu reden, zu dialogisieren. Das Phänomen des miteinander Verhandelns von Menschen zeigt indessen von sich her nichts von einem Dialog zwischen einem Psyche-Inneren und einem anderen Psyche-Inneren über irgendwelches innerpsychisches 'Material'. [...]
Faktisch ist im Gegenteil beim Miteinandersein von Menschen nie etwas anderes zu sehen, als daß sie sich immer schon miteinander bei denselben Dingen ihrer gemeinsamen Welt selbst aufhalten. Dabei vollzieht freilich jedes einzelne Da-sein seinen mit den Mitmenschen gemeinsam zu bestehenden Welt-Aufenthalt auf seine eigene und einzigartige Weise. Seine Grenzen sind durch Zahl und Art der Verhaltensmöglichkeiten bestimmt, die ein jeweiliges Da-sein konstituieren." [178]

Um diesen Unterschied anschaulich zu machen, hat Boss eine graphische Darstellung vorgelegt, die hier in einer etwas vereinfachten und z.T., insbesondere in bezug auf die sprachlichen Erläuterungen, veränderten Form wiedergegeben wird (Abb. 7 und 8).


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Abb. 7: Subjektivistische Vorstellung des menschlichen Miteinanderseins und des zwischenmenschlichen Mitteilungsprozesses (nach M. Boss)


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Abb. 8: Hinweisende Skizze des Miteinanderseins der Menschen bei denselben Dingen in der mit-geteilten Welt (nach M. Boss)


Die Skizze (!) soll vor allem auf jene Dimension hindeuten, in der wir uns aufhalten, die wir aber in besonderer Weise konstituieren. Arendt nennt diese von uns konstituierte Dimension "den öffentlichen Raum" oder "das Gemeinsame". Damit ist einerseits der Raum, in den jene Erscheinungen "aus der Dunkelheit des Verborgenen und Geborgenen heraustreten", so daß für alle sichtbar, gemeint. [179]

Das "Verborgene" meint zunächst bloß das Privatleben im Gegensatz zum "Öffentlichen". Der öffentliche Raum meint aber andererseits auch jene von uns konstituierte Welt, worauf das Private sich wiederum in seinem ursprünglich privativen Sinne bezieht. Es ist die uns gemeinsame Welt, in der "ungeachtet aller Unterschiede der Position und daraus resultierenden Vielfalt der Aspekte es doch offenkundig ist, daß alle mit demselben Gegenstand befaßt sind".[180] Die Vielfältigkeit der Bedeutsamkeitsbezüge, in der dasselbe sich als ein Selbiges zeigt, kann, so Arendt, durch Gewaltherrschaft oder auch in Massengesellschaften bis zur Unkenntnis verunstaltet werden. Von diesem grundsätzlichen Sinne von "Öffentlichkeit" bzw. Weltoffenheit aus, meint "Verborgenheit" jene bereits angesprochene Bedingtheit des menschlichen Lebens, die wir, zumindest auf philosophischem Wege, nicht aufheben können.
[181]

Die Art, wie der Mensch räumlich und zeitlich "anwest" (bzw. "da ist"), hat ihre eigene Bewandtnis. Das Eigentümliche des Im-Raume-seins des Menschen,  gegenüber den bloß ihren Volumen nach einnehmenden Dingen ist, so Boss wörtlich,  
 
"durch Offenes, Freies, Gelichtetes von solcher Art ausgezeichnet, daß durch dessen Durchlässigkeit hindurch die anwesenden Gegebenheiten den Menschen mit ihren Bedeutsamkeiten und Verweisungszusammenhängen anzusprechen vermögen." [182]
Wir sind also, auch im Falle des Bezuges auf entfernte bzw. gewesene Dinge, immer auf sie selbst, und nicht etwa auf ihre Abbilder, bezogen. Mit der Räumlichkeit unseres In-der-Welt-seins ist immer auch die Zeitlichkeit angesprochen. Gemeint ist damit der Sachverhalt der Dreidimensionalität der Zeit. Im Gegensatz zur Dreidimensionalität des Raumes, wird jene öfter nicht im Hinblick auf die Zusammengehörigkeit ihrer Momente, sondern als eine Art von Linie bzw. Reihe von "Jetzt-Punkten" vorgestellt. Dabei wird aber übersehen, daß wir stets die drei Dimensionen, nämlich Zukunft, Vergangenheit, Gegenwart, wenn auch nicht gleichmäßig, so doch in ihrem gegenseitigen Bezug zeitigen.

b) Der Grundzug der Mitteilung

Von der gemeinsamen raum-zeitlichen Mit-teilung der Welt her ist auch das Phänomen der zwischenmenschlichen Mitteilung bzw. Kommunikation zu sehen. Information ist, so Boss wörtlich,  
"Mitteilung jeweils bestimmter Bedeutungsgehalte von Menschen an Menschen. Sie ist mitmenschliche Übermittlung von Bedeutungsgehalten, die den sich Informierenden jeweils von dem ihnen in ihrer gemeinsamen Welt Begegnenden her aufgehen."[183]
Wir weisen also, sei es durch Verlautbarung oder durch das Niederschreiben, auf die uns aufgehenden Bedeutungsgehalte hin.

Zu Beginn dieser Untersuchungen (vgl. I,1) haben wir bereits auf die Struktur und Rolle des Phänomens des Vorverständnisses aufmerksam gemacht. Vor dem jetzt gewonnenen Hintergrund soll das Gesagte wiederaufgenommen und entfaltet werden.

Wir sahen, daß das Vorverständnis (V3) in bezug auf den Offenheitsbereich, wo wir uns gemeinsam aufhalten, die Voraussetzung für das Verstehen von bestimmten Bedeutungs- und Verweisungs- zusammenhängen ist. Öfter bleiben diese (technischen, beruflichen, familiären usw.) Weltbezüge unthematisch bzw. sie sind uns vorgegeben. "Der Mensch entwirft nie völlig ursprünglich und voraussetzungslos", wie K. Rahner schreibt, "sein Bild von der Welt." Die vorverstandenen Bedeutungsgehalte umfassen eine Reihe von metaphysischen Prinzipien (wie z.B. daß überhaupt Wirklichkeit ist, daß sie dem Widerspruchsprinzip gehorcht usw.) sowie von Weltbildern. Im Hinblick auf die ersten, können sie, wie Rahner weiter formuliert,

"in der immer teilhaften Erfahrung zwar in etwa 'verifiziert', aber nicht eigentlich nachgewiesen werden. [...] Es gibt keinen Standort außerhalb ihrer, von dem aus sie gerichtet werden könnten."

Bezüglich der überlieferten Weltbilder können wir sie, weder als Einzelner noch als geschichtliche Epoche, nach allen Richtungen und in jeder Hinsicht in Frage stellen.

"Auch in der Naturwissenschaft", so Rahner weiter, "entdecken wir nur, was in der Richtung gefunden werden kann, in die die Untersuchung ging. Und das Entdeckte kann nie sagen, was übersehen und verfehlt wurde, und ob das Verfehlte nicht das Gewichtigere gewesen wäre. [...] Jede Eroberung ist darum auch ein Verzicht. Jeder Gewinn auch ein Verlust. Und es fragt sich nur, worauf man in seiner Eroberung verzichten kann, ohne daß der Verzicht ein tödlicher Verlust wird."[184]

Im Hinblick auf diesen Zusammenhang zwischen Vorverständnis und Verstehen erläuterten wir bereits den Ausdruck "hermeneutischer Zirkel" (vgl. I,1,c).

Vor diesem Hintergrund muß auch die von Heidegger angesprochene Struktur der Mitteilung im Sinne einer Artikulation des verstehenden Miteinanderseins" hervorgehoben werden.[185] In bezug auf die Struktur des Verstehens, die im Begriff des Vorverständnisses durch die Vorsilbe "Vor-" bezeichnet wird, hat Heidegger drei Momente unterschieden, nämlich:  

  • den bereits verstandenen Bedeutungszusammenhang, von wo aus etwas untersucht wird (die "Vorhabe")
  • die bestimmte Hinsicht, worunter das Auszulegende gestellt wird (die "Vorsicht")
  • und schließlich, die jeweilige Begrifflichkeit, die durch die Hervorhebung bzw. Ausklammerung bestimmter Bedeutungs- zusammenhänge vorgezeichnet wird (der "Vorgriff").[186]
Diese Struktur spielt in einer Hermeneutik des Information Retrieval eine besondere Rolle, wie noch zu zeigen ist. Wenn das Ausgesprochene bzw. Niedergeschriebene in einem strukturellen Zusammenhang mit dem Prozeß des Verstehens und Mitteilens aufgefaßt wird, dann bedeutet das keineswegs, wie der Platonismus behauptet, daß der Unterschied zwischen der Bedeutung eines Satzes und seiner Interpretation übersetzen wird. Damit so etwas wie eine "Horizontverschmelzung" stattfindet, muß ja ein solcher Unterschied zwischen dem Vorverständnis des Fragenden und dem Horizont des Gefragten vorhanden sein. Der Platonismus bleibt aber, wie wir sahen, bei diesem Unterschied stehen bzw. fragt nicht nach dem Korrelat, das das Seinkönnen einer solchen Bedeutung ermöglichte und ermöglicht. Die Relation wird entweder empiristisch, im Hinblick auf die Bedeutungsgehalte, verkannt. Letzteres führt zur Vorstellung von Sprache als ein "Substrat" mit "Eigenschaften". So wenig aber die ausgesprochenen bzw. niedergeschriebenen und dadurch mitgeteilten Bedeutungsgehalte  hypostasiert werden dürfen, so wenig auch die Sprache selbst bzw. einzelne Fachsprache. Wie Heidegger hierzu wörtlich ausführt:

"Es gibt nicht Sprache überhaupt als irgendein freischwebendes Wesen, an dem die verschiedenen sogenannten Einzelexistenzen Teil hätten. Jede Sprache ist wie das Dasein selbst  in ihrem Sein geschichtlich. Das scheinbar gleichmäßige freischwebende Sein einer Sprache, in dem das Dasein sich immer zunächst bewegt, ist nur ihre Unzugehörigkeit zu einem bestimmten, jeweiligen Dasein, d.h. ihr nächster Seinsmodus im Man. [...] Eine Sprache hat nur solange ihr eigentliches Sein, als ihr aus Verstehen, d.h. aus der Sorge um Entdecktheit des Daseins, neue Bedeutungszusammenhänge und damit – obzwar nicht notwendig –  Worte und Wendungen zuwachsen." [187]

Gegenüber einer bloßen instrumentalen Auffassung der Sprache – wodurch Worte mit Bedeutungen, etwa wie mit Etiketten, zu versehen wären – muß die originäre Dimension des mit-teilenden und mitteilenden Verstehens hervorgehoben werden, von wo aus das Ausgesprochene und Niedergeschriebene "lebt", d. h. sich in seinem Sinn erhält oder wandelt, uns in seiner Aktualität anspricht oder antiquier anmutet.

Man könnte in diesem Zusammenhang den (idealistischen) Einwand erheben, entscheidend sei nicht die Mitteilung, sondern die Freiheit des Denkens, die sich unabhängig von jener, im eigenen "geistigen Reich" entfalten kann. Allein, ein solcher Einwand übersieht den von Kant folgerichtig dargelegten Zusammenhang zwischen Denken und Mitteilung. Wörtlich schreibt er:  
"Die Freiheit zu denken ist erstlich der bürgerliche Zwang entgegengesetzt. Zwar sagt man: die Freiheit zu sprechen, oder zu schreiben, könne uns zwar durch obere Gewalt, aber die Freiheit zu denken durch sie gar nicht genommen werden. Allein, wie viel und mit welcher Richtigkeit würden wir wohl denken, wenn wir nicht gleichsam in Gemeinschaft mit anderen, denen wir unsere und die uns ihre Gedanken mitteilen, dächten! Also kann man wohl sagen, daß diejenige äußere Gewalt, welche die Freiheit, seine Gedanken öffentlich mitzuteilen, den Menschen entreißt, ihnen auch die Freiheit zu denken nehme: das einzige Kleinod, das uns bei allen bürgerlichen Lasten noch übrig bleibt, und wodurch allein wieder alle Übel dieses Zustandes noch Rat geschaffen werden kann."[188]
In unserer Zeit muß man lediglich dazu präzisieren, daß der Mitteilungsprozeß des schriftlich fixierten Wissens, zumal im Bereich der Fachinformation, seinen Sinn nicht mehr allein durch den Veröffentlichungsvorgang zu erfüllen vermag. Ein Mittel, die Transparenz und somit die Publizität des schriftlich Mitgeteilten zu erhalten, stellen die bibliographischen Datenbanken und die Methode des Information Retrieval dar. Die Aussage Kants ließe sich also in diesem Sinne überspitzt formulieren, etwa daß diejenige äußere Gewalt, welche die Freiheit, seine veröffentlichten Gedanken anderen so vermitteln zu können, daß sie auch im Prinzip davon Kenntnis nehmen können, dem Menschen entreißt, ihm auch in dieser Hinsicht die Freiheit mitzuteilen und somit auch zu denken nimmt.[189]

Nach der gewöhnlichen Vorstellung, wie sie etwa z.B. im Sender-Kanal-Empfänger zum Ausdruck kommt, bedeutet Mitteilung von Gedanken so etwas, wie die Vermittlung dessen, was sich in einer Subjektivität abspielt, zu einer anderen empfangenden Subjektivität. Diese Vorstellung wird von Kant in Frage gestellt, indem er auf den inneren Zusammenhang zwischen Denken und Mitteilung aufmerksam macht. Was wir als Einzelne denken, ist immer schon vermittelt, und umgekehrt, was der Einzelne scheinbar nur von sich aus vermittelt, ist das Ergebnis seines Denkens "gleichsam in Gemeinschaft mit anderen". Das Denken des Einzelnen hängt ja sogar, sowohl quantitativ als auch qualitativ ("wieviel und mit welcher Richtigkeit") von seinem Denken-mit-den-Anderen ab. Dieser Zusammenhang ist stets, wie Arendt es richtig gesehen hat, von Herrschaft und Gewalt bedroht. Ein Mensch oder eine Gemeinschaft, dem bzw. der die Möglichkeit Mit-zu-denken bzw. Mit-zu-teilen entzogen wird, gerät in jenen Zustand der Ratlosigkeit, in dem das gemeinsame Austragen der einen Welt in der Vielfalt der vom Einzelnen auf seine Weise vollzogenen Bedeutungsbezüge bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet wird. Von hier aus stellt sich die Frage nach der Freiheit nicht nur als die Eigenschaft eines  Einzelnen gegenüber seinen Möglichkeiten, sondern als jene gemeinsam mit-geteilte Offenheit bzw. als das Offenständigsein gegenüber unseren Mitmenschen und den uns begegnenden Dingen, dessen Artikulation die Mitteilung ist.

Schließlich ist hervorzuheben, daß Kant Sprechen und Schreiben als Grundmöglichkeiten der Mitteilung auffaßt. Daraus läßt sich der Schluß ziehen: sowenig Denken und Mitteilen voneinander trennbar sind, sowenig lassen sich auch die ausgesprochenen bzw. niedergeschriebenen Gedanken als eine "autonome Welt" vorstellen, die ihren Sinn "außerhalb" des Zusammenhangs mit den Mitteilenden sowie mit den angesprochenen Dingen selbst hätte. Denken und Gedachtes sind immer schon ein Mit-geteiltes.

Gegenüber dem flüchtigen gesprochenen Wort verleiht die Schrift unseren Gedanken Festigkeit und Dauer. Der ägyptische Gott Theut pries die Vorteile seiner Erfindung, so erzählt uns Platon, indem er sagte, sie würde die Ägypter weiser und gedächtnisreicher machen. König Thamus befürchtete, sie würde bloß Vielwisser erzeugen.[190] Es ist ein sehr hoher Preis, den wir für die Verdinglichung unserer Rede bezahlen. Anstelle des "lebendigen Geistes" tritt ein "toter Buchstabe".[191] Die Dauer wird zwar, wie bei anderen Dingen auch, durch die Dinghaftigkeit garantiert. Dafür bleibt aber alles Schriftliche wesentlich mit-teilungsbedürftig und ist somit vom Mitteilungsprozeß abhängig, d.h. es ist "relativ". Das kann zwar, vom Standpunk des "das Ewige" suchenden Denkens, als ein Nachteil empfunden werden, für ein hermeneutisches Denken dagegen stellt sich die "Rückverwandlung der Zeichen in Rede und Sinn", wie Gadamer schreibt,  "als die eigentliche hermeneutische Aufgabe" dar, deren Vollzug weder eine "psychische Transposition" in den Horizont des Autors, noch eine Projektion der Subjektivität des Lesers, sondern einen Prozeß des Mit-Verstehens und Mit-teilens darstellt, dessen Kern das Fragen ist.[192] Damit stellt die Hermeneutik jenen dreifachen Platonismus in Frage, nämlich den der absoluten Textgegebenheit, den der absoluten Identität von Autor, Indexer und Sucher und den der absoluten Universalität und Eindeutigkeit eines Ordnungssystems (vgl. I,3,b). Die Möglichkeit einer solchen Infragestellung ist dann gegeben, wenn Texte mit dem sie konstituierenden Mitteilungsprozeß in Zusammenhang gebracht werden.

c) Der Praxis-Bezug und das Fragen

Wir sagten am Anfang dieser Untersuchungen, daß Verstehen und Handeln gleichursprüngliche aufzufassen sind. Diese Gleichursprünglichkeit ist so zu verstehen, daß die Verhaltensweisen des Menschen gemäß den ihnen aufgehenden Bedeutungsgehalten bzw. gemäß den (vor-)verstandenen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen und im Hinblick auf die jeweiligen konkreten Möglichckeiten hin sich entfalten.

"Die Griechen", schreibt Heidegger, "hatten einen angemessenen Terminus für 'Dinge': πράγματα [prágmata], d.h. das womit man es im besorgenden Umfang (πρᾶξις) [praxis] zu tun hat. Sie ließen aber ontologisch gerade den spezifisch 'pragmatischen' Charakter der πράγματα im Dunkeln und bestimmten sie 'zunächst' als 'bloße Dinge'. Wir nennen das im Besorgen begegnende Seiende das Zeug."[193]

Dieser besorgende bzw. praktische Umgang mit den "Dingen" steht nur in einem gewissen Sinne im Gegensatz zum "theoretischen Verhalten".

"Das 'praktische' Verhalten", fährt Heidegger fort, "ist nicht 'atheoretisch' im Sinne der Sichtlosigkeit, und sein Unterschied gegen das theoretische Verhalten liegt nicht nur darin, daß hier betrachtet und dort gehandelt wird, und daß das Handeln, um nicht blind zu bleiben, theoretisches Erkennen anwendet, sondern das Betrachten ist so ursprünglich ein Besorgen, wie das Handeln seine Sicht hat. Das theoretische Verhalten ist unumsichtiges Nur-hinsehen. Das Hinsehen ist, weil unumsichtig, nicht regellos, seinen Kanon bildet es sich in der Methode."[194]

Diese Auffassung bedeutet nicht nur eine Infragestellung des Paradigmas vom Primat des theoretischen Erkennens, sondern in ihrer Positivität gesehen, stellt sie eine Würdigung der Inkarnation des Menschen in der Gemeinschaft mit anderen und in dem mit ihnen verrichteten Handlungen dar, wozu auch das theoretische Verhalten, etwa in den Wissenschaften, gehört. Es handelt sich also nicht um einen Pragmatismus. Diese Hervorhebung des Praxis-Bezugs ist von besonderer Bedeutung für das Verständnis der Technik, als eine Weise des Bezuges des Menschen zur Welt. Wir werden im dritten Teil dieser Untersuchungen diesen Bezug im Hinblick auf die Informationstechnik thematisieren. [195]

Der Praxis-Bezug, das, was Hannah Arendt "vita activa" nennt, umfaßt zum einen den "besorgenden" Umgang mit den Dingen und zum anderen das "fürsorgende" Verhältnis zu unseren Mitmenschen. Im ersten Fall ist, wie schon angedeutet, auch das theoretische Verhalten im Sinne eines "unumsichtigen" bzw. methodischen Hinsehens auf die Dinge miteingeschlossen. In der Sprache Arendts umfaßt die Praxis die Tätigkeiten des Arbeitens, Herstellens und Handelns. Diesen Tätigkeiten geht das Miteinandersein in einer gemeinsamen Welt voraus. Hannah Arendt schreibt: 
 
"Die Vita activa, menschliches Leben, sofern es sich auf Tätigsein eingelassen hat, bewegt sich in einer Mensch- und Dingwelt, aus der es sich niemals entfernt und die es nirgends transzendiert. Jede menschliche Tätigkeit spielt in einer Umgebung von Dingen und Menschen; in ihr ist sie lokalisiert und ohne sie verlöre sie jeden Sinn. Diese umgebende Welt wiederum, in die ein jeder hineingeboten ist, verdankt wesentlich dem Menschen ihre Existenz, seinem Herstellen von Dingen, seiner pflegenden Fürsorge des Bodens und der Landschaft, seinem handelnden Organisieren der politischen Bezüge in menschlichen Gemeinschaften."[196]
Diese von den Menschen konstituierte Welt ist sowohl im "Bezugsgewebe" (Arendt) ihrer Auseinandersetzung mit den Naturdingen als auch in dem ihrer herstellenden Tätigkeit immer schon von jenem anderen Bezugssystem bedingt,   
"das aus den Taten und Worten selbst, aus dem lebendig Handeln und Sprechen entsteht, in dem Menschen sich direkt, über die Sachen, welche dem jeweiligen Gegenstand bilden, hinweg aneinander richten und sich gegenseitig ansprechen."[197]
Gemeinsam bilden diese Bezüge die "Interessen" der Menschen, d.h. das, was "zwischen ihnen" entsteht. Diese können sich nur (weiter-)bilden, wo der Erscheinungsraum, der uns gemeinsam ist, auch als solcher durch den "Gemeinsinn" anerkannt wird. Die Entfremdung dieses Raumes, z.B. durch den Rückzug in die Subjektivität in der Vorstellung einer "Psyche-Kapsel" oder durch die einseitige Betonung des Herstellens in der Konsumgesellschaft, beginnt in der Neuzeit und erreicht einen Höhepunkt, so Arendt, mit dem Sieg des "animal laborans" in der modernen Gesellschaft. Gleichzeitig erreicht die denkende bzw. fragende Auseinandersetzung des Menschen mit der Welt jenen "archimedischen Punkt", wodurch der Mensch nicht bloß an seinen irdischen, sondern vor allem an seinen kosmischen Ursprung erinnert wird, freilich ohne die Frage nach seiner "Natur" beantworten bzw. aufheben zu können.

Wenn auch die moderne Wissenschaft, aufgrund der Art ihres methodischen Hinsehens, die Charaktere des "umsichtigen Besorgens" sowie des "Fürsorgens"[198] nicht vollziehen kann, wird sie, seitens der technischen Kulturen, zur Lösung ihrer Probleme eingesetzt, worauf wir noch im nächsten Kapitel zu sprechen kommen.

Aus dem Gesagten geht u.a. hervor, daß sowohl der "besorgende" als auch der "fürsorgende" Vollzug unseres In-der-Welt-seins verstehend-auslegend d.h. fragender Natur ist. Dabei geht es von den "prinzipiellen" Fragen, wie etwa die "Seinsfrage", über die wissenschaftlichen Fragen bis hin zu den Alltagsfragen. Wenn das Fragen ein Grundzug unseres Mensch-seins ist, dann sind Aussagen, wie die Hermeneutik lehrt, immer schon Antworten auf Fragen und wir können nur verstehen, wenn die vorgängige Frage verstanden wird. Diese hat, wie Hans-Georg Gadamer betont,  

"ihre eigene Sinnrichtung und ist durchaus nicht aus einem Geflecht hintergründiger Motivationen zu gewinnen, sondern im Ausgreifen zu weiteren Sinnzusammenhängen, die von der Frage umfaßt und in der Aussage angelegt sind."[199]
Fragen ist freilich nicht gleich Fragen. "Echte" Fragen unterscheiden sich von Scheinfragen dadurch, wie Gadamer zeigt, daß sie offen sind bzw. daß das Gefragte offen steht. Ferner ist diese Offenheit nicht eine uferlose, sondern ein Fragehorizont umgrenzt sie. Dieser Horizont fehlt etwa bei "schiefen" Fragen. Ferner ist die Kunst des Fragens auch immer die des Weiterfragens, wobei es im Gegensatz zum bloßen Argumentieren, um die Sache geht. Der Horizont des Fragenden, etwa im Falle des Textverstehens, hebt sich vom Horizont, von dem aus das Gefragte verstanden wurde, ab. Die Zusammenkunft dieser beiden Horizonte bzw. die Bildung eines neuen, bezeichnet Gadamer mit dem schon erwähnten Terminus der "Horizontverschmelzung". Fragen bedeutet also nicht das bloße Verstehen einer fremden Meinung, sondern das Offenlegen von Sinnmöglichkeiten."[200]

Von hier aus läßt sich der Begriff des Problems als eine Ablösung des Frageinhalts aus dem Fragezusammenhang (Gadamer) auffassen. Demgegenüber wird aber hervorgehoben, daß der Problembegriff, z.B. in den Wissenschaften, ein zusätzliches Moment gegenüber dem allgemeinen Prozeß von Frage und Antwort, nämlich das der Konstruktion, enthält.

Dazu ist zu bemerken, daß Problemstellungen den entsprechenden Horizont so bestimmen, daß dadurch auch die möglichen Lösungen vorgezeichnet werden. Aristotelisch gesehen, stehen "Probleme" in einem besonderen dialektisch-argumentativen Zusammenhang. Dieser aber, sofern es sich nicht um Scheinprobleme handelt, entsteht dort, wie Chr. Wild bemerkt, "wo der theoretische oder praktische Zusammenhang von Erkanntem oder Anerkanntem fraglich wird."[201] (meine Hervorhebung!). Insofern lassen sich Probleme auf Fragen zurückführen bzw. als eine besondere Form des Fragens auffassen. Das "Fortschreiten von Problem zu Problem" (Popper) in den Wissenschaften, ist ein Fortschreiten innerhalb des beschränkten Fragehorizonts einer Methode und einer bestimmten Begrifflichkeit. Beide lassen sich aber in Frage stellen (!), sogar grundsätzlich, wie im Falle "wissenschaftlicher Revolutionen". In bezug auf die dialektisch-argumentative Kommunikationsform für die Behandlung von Problemen stellt sie ihrerseits, sofern sie nicht sophistisch oder bloß "rhetorisch" ist, eine besondere Form des oben dargelegten Mitteilungsprozesses dar.   

Wild erwähnt die drei Bedingungen, die nach Descartes den Prozeß eines erkenntnisgewinnenden Fragens bestimmen, nämlich:  

  • in jeder Frage muß etwas unbekannt ("ignotum") sein, sonst wäre ja nichts zu untersuchen;
  • dieses Unbekannte muß irgendwie bezeichnet sein ("designatum"), sonst könnten wir nicht nach ihm fragen;
  • dieses Unbekannte kann nur durch etwas Bekanntes ("cognitum") bezeichnet werden.[202]

In bezug auf den Problembegriff kommt, wie Wild hier ausdrücklich sagt, das Moment der Konstruktion "zusätzlich" (!) (Descartes sagt: "insuper") hinzu. Descartes erläutert die Bedingungen des sachgemäßen Fragens mit einem Beispiel, das unmittelbar mit der Methode des Information Retrieval in Verbindung gebracht werden kann: wenn wir nach der Natur des Magneten fragen, dann gehen wir davon aus, daß das, was wir mit diesen zwei Wörtern, nämlich Magnet ("magnes") und Natur ("natura") meinen, kennen und nach dem Unbekannten an den Dingen selbst durch die Verbindung dieser Wörter fragen ("quaerendum").  

Im Falle der "quaestio perfecta", worauf Wild den Problembegriff bezieht, stehen die Lösungsmöglichkeiten fest. Gegenüber der Annahme Descartes, daß alle "quaestiones imperfectas" in "quaestiones perfectas" umgewandelt werden können, ist zu fragen, ob nicht umgekehrt, die Problemlösungen als Problemlösungsversuche aufzufassen sind, so daß die Probleme, durch den nicht abschließbaren Prozeß des Fragens, immer wieder neu, d.h. in Zusammenhang mit neuen Fragehorizonten, gestellt werden können.  

Diese Möglichkeit ist dadurch gegeben, daß in der "quaestio perfecta" ein Reduktionsprozeß stattfindet, wodurch bestimmte Aspekte als "überflüssig" betrachtet werden ("ab omni superfluo conceptu abstrahendam, eoque reducendam"), die wiederum in einer anderen Hinsicht, die gefundene Lösung als fraglich erscheinen lassen können.

Fragen bzw. Probleme haben stets ihren Ursprung im "besorgenden" bzw. "fürsorgenden" Vollzug unseres In-der-Welt-seins. Von hier aus, d.h. vom Praxis-Bezug, ist die Frage nach dem Nutzen des (mitgeteilten" Wissens im Hinblick auf einen "Frage-Zustand", wovon Belkin sprach (ASK-Theorie, vgl. I,3,d), oder auf eine "problematische Situation" (Wersig, Kunz und Rittel), zu stellen. Mit Recht kritisierte Wersig in diesem Zusammenhang die einseitige Betonung der Frage des Nutzers, die immer schon aus einer "fraglichen" oder "problematischen" Situation unseres Miteinanderseins entsteht.

Sowenig der Praxis-Bezug einen Pragmatismus meint, sowenig kann die Nützlichkeit von Antworten bzw. Lösungsversuchen nur z.B. auf das praktische, "umsichtige" Verhalten, also auf den Bereich der Arbeit oder den der Herstellung, und nicht etwa auf das "theoretische" Verhalten oder auf den gesamten Bereich des Handelns, bezogen werden. Dieser umfassende Sinn des Begriffs der Wissensnutzung läßt sich z.B. bei H. Spencer nachweisen.[203] Bei Platon mündet eine solche "Ophiletik" in eine Ethik. [204]

 
  

II.3. Zur Konstitutionstheorie der Fachinformation 

Vorbemerkung
 
a) Das Miteinandersein der Fachleute in einer gemeinsamen Welt: die Fachgemeinschaft   
b) Die fachliche Erschließung der Welt: das Fachgebiet   
c) Der fachliche Mitteilungsprozeß: die Fachkommunikation

Vorbemerkung

Vor dem Hintergrund des gewonnenen Vorverständnisses bezüglich einiger Grundzüge des Mensch-seins soll jetzt der Versuch unternommen werden, einen Begriff der Fachinformation zu entwickeln. Es geht dabei um die Erarbeitung der konstitutiven Elemente dieses Sachverhaltes, die der am Anfang vorgelegten phänomenologischen Analyse unthematisch zugrundeliegen (vgl. I.2). Folgende Begriffsmomente sollen freigelegt werden:

a) Das Miteinandersein der Fachleute in der gemeinsamen Welt: die Fachgemeinschaft.  
b) Die fachliche Erschließung der Welt: die Fachgebiete.  
c) Der fachliche Mitteilungsprozeß: die Fachkommunikation.  

Fachinformation, so lautet unsere These, wird durch die Einheit dieser drei Momente konstituiert. Wir stimmen hiermit grundsätzlich mit der von Henrichs in Anschluß an Peirce entwickelten Informationshermeneutik überein. Der vorliegende Ansatz unterscheidet sich aber von ihr dadurch, daß hier eine zum Teil verschiedene Begrifflichkeit vorausgesetzt wird, wodurch bestimmte Sinnzusammenhänge sich entwickeln lasen, die in der Semiotik angedeutet werden. Ferner soll unser Ansatz das Phänomen der Fachinformation spezifisch erörtern. Entscheiden für beide Ansätze bleibt die Einsicht in die Einheit der drei Begriffsmomente bzw. die Kritik an einseitigen Hypostasierungen.

Eine Konstitutionstheorie soll den logischen bzw. strukturellen Zusammenhang zwischen verschiedenen Begriffsmomenten darstellen. Es ist deshalb ein Fehlschluß, wenn z.B. das platonistische Modell sich genötigt zu sehen glaubt, den (fachlichen) Bedeutungsgehalten eine Eigenständigkeit zu verleihen, um diese gegen die Auslegung auszuspielen. Wir sahen, daß eine solche Argumentation sich auf den empirischen Vollzug bezieht und daß sie die Frage nach der Konstitution des Sachverhaltes ungestellt läßt. Ähnliches gilt für Argumente, die andere Begriffsmomente einseitig betrachten und isolieren, so wenn z.B. in umgekehrter Weise eine Auflösung der Bedeutungsgehalte in psychologischen, soziologischen oder technischen Prozesse stattfindet.

Wenn wir also hier die Erarbeitung einer bestimmten Struktur anvisieren, bedeutet es zugleich, daß die ganz ausentfaltete und insbesondere die für uns gegenwärtig Wirklichkeit dieses Phänomens nicht dargestellt wird. Es bleibt die wesentliche Aufgabe einer Informationswissenschaft, eine solche  Darstellung mit qualitativen und quantitativen Methoden zu leisten. Wissenschaftliche Forschung vollzieht sich aber stets innerhalb eines vorweg aufgeschlossenen Gebietes, eines "Paradigmas", dessen Befragung bzw. Infragestellung Sache der philosophischen Reflexion bleibt. [205]

a) Das Miteinandersein der Fachleute in einer gemeinsamen Welt: die Fachgemeinschaft

Sowenig die Vorstellung von "Psyche-Kapseln" dem Phänomen des Miteinanderseins der Menschen in einer gemeinsamen Welt gerecht wird, sowenig kann auch von atomisierten Fachleuten gesprochen werden. Ein Fachmann "ist" nicht, d.h. ein Fachmann ist nicht zunächst vereinzelt, um anschließend, aus seinem "Psyche-Inneren" hinausgehend, die ihn betreffenden Sachverhalte sowie seinen Fachkollegen zu begegnen. Unserem Ansatz entsprechend, gibt es immer schon das Miteinandersein der Fachleute in einer Fachgemeinschaft. Ferner, versteht sich eine Fachgemeinschaft im Zusammenhang mit den gemeinsam theoretisch und/oder praktisch verrichteten Dingen selbst (πράγματα) (prágmata). Von dieser "pragmatischen" Dimension her, bestimmt eine Fachgemeinschaft, mit unterschiedlichem Ausdrücklichkeitsgrad, den Horizont ihres Handelns, innerhalb dessen konkrete Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge sich bilden können.  

Wenn im Falle der gemeinsam geteilten Weltoffenheit von "Öffentlichkeit" die Rede war, so können wir hier von "Fachöffentlichkeit" sprechen. Diese ist demnach keine "zusätzliche" Öffentlichkeit, sondern sie ist durch die Ausdrücklichkeit eines bestimmten Vorverständnisses gekennzeichnet. Dabei werden die jeweils thematisierten Bezüge sowie die Fachgemeinschaft selbst auf unterschiedliche Weise von anderen Fachgemeinschaften bzw. von anderen Bezugssystemen beeinflußt. Damit sind z.B. die eigene Art und Weise, wie der einzelne Fachmann seine Fachbezüge aber auch sonstige Verhaltensmöglichkeiten bestimmt (sein "Persönlichkeitssystem"), gemeint.[206]

"Fachöffentlichkeit" ist also eine bestimmte von einer Fachgemeinschaft ausdrücklich mit-geteilte Verweisungsganzheit, wozu z.B. gemeinsame Theorien, Probleme, Geräte, Handlungen, Interessen, Einsichten gehören. Erst in Zusammenhang mit einer Fachgemeinschaft ist es sinnvoll, von Fachkommunikation im Sinne des dort stattfindenden Mitteilungsprozesses, und von Fachinformation im Sinne der mitzuteilenden fachlichen Bedeutungsgehalte zu sprechen.

Das Handeln einer Fachgemeinschaft kann sowohl den "besorgenden" Umgang mit den Dingen als auch das "fürsorgende" Verhältnis zu den Mitmenschen umfassen. Die Art des Bezuges zum jeweiligen Sachverhalt kann wiederum "theoretisch" oder "praktisch" sein. Im Falle eines theoretischen Bezuges ist die Fachgemeinschaft eine Gemeinschaft von Wissenschaftlern, im Falle des praktischen Bezuges ist sie eine Gemeinschaft von beruflichern Praktikern. In der phänomenologischen Darstellung wurde gezeigt, daß der Begriff der Fachinformation ursprünglich aus dem wissenschaftlichen Bereich stammt und daß er allmählich auch den Bereich der beruflichen Praxis umfaßte. Ferner zeigte sich, daß Fachinformation auch für einzelne Menschen bzw. Gruppen außerhalb der jeweiligen Fachgemeinschaft von Interesse sein kann. Die Verflechtung der einzelnen Fachgemeinschaften untereinander sowie ihr Einfluß auf die gesamte Gesellschaft ist, zumal im Falle technischer Kulturen, von besonderer Bedeutung.[207] J. Mittelstraß hat darauf hingewiesen, daß technische Kulturen nicht nur ein technisches Problemlösungswissen produzieren, womit also die Probleme wissenschaftlich-technischer Natur gelöst werden sollen, sondern danach streben, "dem vorausgehend, auch Probleme in technische Probleme zu transformieren". [208]

Nicht alle Probleme aber, wie Mittelstraß anschließend bemerkt, lassen eine solche Transformation zu. Besonders die nicht, die nach einem "handlungsleitenden Wissen oder Orientierungswissen" verlangen. In diesem Fall würde eine solche Transformation eine Deformation des Problems zur Folge haben. "Wissenschaftlich-technische Problemlösungswissen" umfaßt wiederum nur einen Teil des in wissenschaftlichen Fachgemeinschaften produzierten Wissens. Da diese Fachgemeinschaften, wie schon erwähnt, eine geradezu paradigmatische Rolle in unserem Bereich spielen, ist es besonders wichtig zu betonen, daß die berufspraxisbezogenen Fachgemeinschaften (im Englischen könnte man hier von "professional community(-ies) sprechen) nicht bloß "Anwender" bzw. "Empfänger" des wissenschaftlichen Fachwissens sind, sondern aus ihrem Handlungshorizont heraus Fachinformationen produzieren, die wiederum für die wissenschaftliche Forschung aber auch etwa für den fachlich interessierten Laien von Bedeutung sein können, worauf wir noch im dritten Abschnitt zu sprechen kommen. Sowenig die einzelnen Fachgemeinschaften kapselartig gegenüber der Gemeinschaft bzw. dem gemeinsamen Miteinandersein in der Welt aufzufassen sind, sowenig lassen sie sich auf bestimmte formale Strukturen reduzieren bzw. sich allein durch sie einschränken. Man denke z.B. an die aufgrund von informellen Kommunikationsprozessen sich bildenden "invisible colleges" im wissenschaftlichen Bereich sowie an die nicht-institutionalisierten praxisbezogenen Fachgemeinschaften in Bereichen wie Handel, Wirtschaft, Kultur usw. Die Bildung einer Fachgemeinschaft hängt also mit der Art des Mitteilungsprozesses aber auch mit den oben genannten geographischen, sprachlichen, wirtschaftlichen usw. Faktoren zusammen. Es ist die Aufgabe einer Informationssoziologie, diese Zusammenhänge wissenschaftlich zu untersuchen.[209]

Wir sahen, daß eine Fachgemeinschaft durch die Bestimmtheit und Ausdrücklichkeit ihres Wissens- und Handlungshorizontes gekennzeichnet ist. Fachleute haben also immer, wie Schadewalt bemerkte,[210] auf eine bestimmte Weise mit einer bestimmten Sache zu tun. Ein Fachmann kennzeichnet sich dadurch, daß er sich in der gemeinsam geteilten Sache auskennt. Man spricht hier von Fachkompetenz und ist geneigt, diesen Begriff nur in einem "positiven" Sinne zu verstehen: der Fachmann ist derjenige, der sehr viel über sein Fach weiß und kann. Diese Bestimmung muß in zweifacher Weise präzisiert werden: erstens, "ad extra", d.h. gegenüber den Dingen, die sich "außerhalb" seines Fachgebietes befinden. Es würde der Konstitution, selbst der gemeinsam mit-geteilten Weltoffenheit widersprechen, wenn der Fachmann, wie Schadewalt an der erwähnten Stelle ausführt, mit Scheuklappen versehen, die Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge, die über seine Sache hinausführen bzw. in sie hineingeführt haben, vernachlässigen würde. Er wäre dabei von der eigentlichen "Quelle" seines (Weiter-)Fragens abgeschnitten. Sein scheinbar "rein" sachgemäßes Handeln könnte sowohl für ihn als auch für andere "tödliche" Konsequenzen haben.

Zweitens, muß der Bezug des Fachmanns "ad intra", d.h. gegenüber seiner eigenen Sache präzisiert werden. Man lernt bekanntlich nie aus. Sokrates hat uns exemplarisch vorgeführt, wie Fachwissen immer an die Grenzen des Nicht-Wissens stößt. Worauf kommt es da an? W. Heisenberg drückt die Antwort folgendermaßen aus:

"Was ist ein Fachmann? Viele würden vielleicht antworten, ein Fachmann sei ein Mensch, der sehr viel über das betreffende Fach weiß. Diese Definition könne ich aber nicht zugeben, denn man könne eigentlich nie wirklich viel über ein Gebiet wissen. Ich möchte lieber so formulieren: Ein Fachmann ist ein Mann, der einige der gröbsten Fehler kennt, die man in dem betreffenden Fach machen kann und der sie deshalb zu vermeiden versteht."[211]

Als Beispiel nennt Heisenberg einen "Fachmann der Metaphysik", eines des Öfteren beschimpften Gebietes also, in dem Abgründe des Nicht-Wissens sich vielleicht am deutlichsten zeigen. Hier kommt es darauf an, den "Abgrund, in dem die Wahrheit wohnt", nicht einfach "wegzureden". [212]

Ein Fachmann sit also ein Mann, der sein Fachwissen als Antwort auf Fragen versteht. Nur weil er die Fragen kennt, kann er die Antworten im Hinblick auf ihre mögliche Tragweite ermessen und dabei auch "die gröbsten Fehler" zu vermeiden versuchen. Der Dilettant oder "Alleswisser" kommt sich, wie Ariston von Keos in Anschluß an Platon darstellt,[213] als einsames Genie vor. Der Fachmann bzw. der (sokratisch) Fragende versteht sich stets im Dialog.

b) Die fachliche Erschließung der Welt: das Fachgebiet

Als Korrelat einer Fachgemeinschaft gilt ein Fachgebiet. Das Wort ist, wie am Anfang erwähnt, mehrfach vorbelastet. Es hat seinen Ursprung im wissenschaftlichen bzw. universitären Bereich und kennzeichnet zunächst eine zum Teil beliebige "schubladenartige" Wissenseinteilung, wovon die "eigentlichen" Fragen bzw. Probleme sich abheben. Es ist Popper zuzustimmen, wenn er sagt, daß wir (!) keine Disziplinen ("subject matter", "discipline"), sondern Probleme ("problems") studieren.[214] Diese können quer durch die Grenzen verschiedener Disziplinen gehen. Die Probleme werden nicht aus einer vorgängigen Definition des zu untersuchenden Sachverhaltes abgeleitet ("Essentialismus"), sondern sie entstehen im Zusammenhang mit einer bestimmten Tradition, innerhalb derer eine Theorie diskutiert oder empirisch überprüft wird. Insofern könnten Theorien doch so etwas wie "Disziplinen" bilden, die als "lockere Gruppierung" ("loose cluster") von revidierbaren Theorien aufzufassen wären. Popper verfällt, wie wir gesehen haben, in einem "Platonismus" bzw. "Theoretizismus", indem er von einer "Welt von Problemen an sich" spricht und den (zum Teil selbstwidersprüchlichen) Versuch unternimmt, diese "Welt" von ihrem strukturellen Zusammenhang mit dem Miteinandersein der Menschen in einer gemeinsamen Welt zu trennen. Der Poppersche Ansatz ist zudem einseitig, indem das "theoretische" Verhalten gegenüber dem "praktischen" Umgang mit den Dingen den Vorrang hat.[215] Popper kritisiert mit Recht den Szientismus bzw. den wissenschaftlichen Dogmatismus positivistischer Prägung, stellt aber, mit seinem "Falsifikationismus", neue Kriterien der Wissenschaftlichkeit auf, die zu einem "Szientifizismus" führen. P. Feyerabend und M. Polanyi haben auf unterschiedliche Weise auf die Fragwürdigkeit dieses Ansatzes hingewiesen.

Demgegenüber ist also zunächst hervorzuheben, daß in derselben Weise wie "Theorien" einen vorgängigen und notwendigen Entwurf des betreffenden Sachverhaltes darstellen, sie die entsprechenden Fragestellungen bzw. Fachfragen ermöglichen. So sind auch Fachleute im Falle ihres "praktischen" Handelns bei den Sachen selbst in einem vorweg erschlossenen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhang. Wenn also weder der theoretischen noch der praktische Umgang einer Fachgemeinschaft sich "im luftleeren Raum" abspielt, sondern immer schon eine Erschlossenheit voraussetzt, und wenn diese vorverstandene Erschlossenheit thematisiert wird, so daß die Kenntnis einer solchen Thematisierung Voraussetzung für das Verstehen der Sache bzw. für die jeweiligen theoretischen oder praktischen Fragestellungen ist, dann kann eine solche thematisierte und eingegrenzte Erschlossenheit Fachgebiet genannt werden. Gemeint sind damit nicht bloß "Disziplinen", sondern auch "Aufgaben" oder "Probleme".  

Ein unmittelbares Verstehen eines Sachverhaltes kann durchaus möglich und "sachlich" sein, ohne daß es sich aber dabei um ein "fachliches" Verstehen handelt, in dem die mit dem Sachverhalt zusammenhängenden Bedeutungen und Verweisungen thematisiert werden. Eine solche fachliche Thematisierung ist durch jene drei Momente des Verstehens gekennzeichnet, die auch dem unthematischen Verstehen zugrundeliegen, nämlich durch:

  • den vorverstandenen hier aber thematisierten bzw. fachlichen Bedeutungszusammenhang, von wo aus etwas untersucht wird oder den Rahmen für die berufliche Praxis bildet,
  • die bestimmte fachliche Hinsicht, worunter das Auszulegende gestellt wird bzw. worauf ein fachbezogener Handlungsprozeß abzielt,
  • und durch die fachliche Begrifflichkeit, wodurch der jeweilige theoretische oder praktische Handlungsbereich von anderen möglichen Zusammenhängen abgegrenzt wird.
Der in Zusammenhang mit einem Fachgebiet von einer Fachgemeinschaft mit-geteilte fachliche Bedeutungsgehalt kann dadurch Fachinformation genannt werden.

Von dieser Bestimmung des Begriffs des Fachgebiets aus läßt sich die am Anfang erörterte Einsicht begründen, daß der Ausdruck "Fach-" zwar immer eine Einschränkung des Blickes bedeutet, daß diese aber weder formal noch inhaltlich noch theoretisch oder praktisch vorbestimmt ist (vgl. I.2.c). Mit anderen Worten, mit dem Begriff des Fachgebietes sollen nicht primär wissenschaftliche bzw. theoretische Bedeutungszusammenhänge eher als Zusammenhänge aus der beruflichen Praxis bezeichnet werden. Damit soll auch nicht an bestimmte "etablierte Fächer" gegenüber "neuen", die sich im Hinblick auf jene Einteilungen als "Querschnitte" erweisen, der Vorrang gegeben werden. Entscheidend bliebt aber, daß eine Fachgemeinschaft ein solches Korrelat, wie provisorisch oder dauerhaft auch immer, bildet. Da es sich dabei um eine Einschränkung des gemeinsam mit-geteilten Offenheitsbereiches handelt, stellt sich natürlich die Frage, inwiefern eine solche Offenheit gewahrt bleibt, d.h. inwiefern trotz der fachlichen Vielfältigkeit die allen gemeinsam betreffenden Bezüge stets weiterhin mit-geteilt werden, so daß die Sinnmöglichkeiten, "problematischen Situationen" usw. unter dem jeweiligen fachlichen Gesichtspunkt auch erschlossen werden. Die Begrifflichkeit eines Fachgebietes wird Fachsprache genannt. Wir sahen, daß die Sprache selbst kein hypostasiertes Substrat bildet, sondern stets in Zusammenhang mit den uns ansprechenden Gegebenheiten wächst, so daß sich das Verstehen durch die artikuliert. Fachsprachen sind die Artikulation einer Fachgemeinschaft im Prozeß ihrer verstehenden Auseinandersetzung mit den von ihr thematisierten Bedeutungszusammenhängen.

Fachbegriffe sind keine Etiketten, sondern Wegweiser,[216] die in einer bestimmten "Gegend" bzw. innerhalb eines, wie Kant sagt, "Entwurfes der Vernunft" auf ein Mögliches hinweisen. So deutet Carl-Friedrich von Weizsäcker in Anschluß an Georg Picht (und dieser wiederum im Hinblick auf Aristoteles) Begriffe als Wegweiser (Zum Weltbild der Physik, op.cit. S. 266 ff). Kant beschreibt das allmähliche Einleuchten dieses Sachverhaltes mit folgenden Worten:

"Sie begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt, daß sie mit Prinzipien ihrer Urteile nach beständigen Gesetzen vorangehen und die Natur nötigen müssen, auf ihre Fragen zu antworten, nicht aber sich von ihr allein gleichsam am Leitbande gängeln lassen müssen; denn sonst hängen zufällige, nach keinem vorher entworfenen Plane gemachte Beobachtungen gar nicht in einem notwendigen Gesetze zusammen, welches doch die Vernunft sucht und bedarf."[217]
Im gleichen Sinne weist Heidegger auf das "Vorbildliche der mathematischen Naturwissenschaft" hin, nämlich 
"daß in ihr das thematisch Seiende so entdeckt, wie Seiendes einzig entdeckt werden kann: im vorgängigen Entwuf seiner Seinsverfassung."[218]
Mit der Ausarbeitung eines solchen Entwurfes hängen, nach Heidegger,   
"die Leitfäden der Methoden, die Struktur der Begrifflichkeit, die zugehörige Möglichkeit von Wahrheit und Gewißheit, die Begründungs- und Beweisart, der Modus der Verbindlichkeit und die Art der Mitteilung" zusammen.[219]
Entscheidend also für die Bildung fachlicher Bedeutungsgehalte ist die vorgängige Erschließung eines Fachbereiches, wodurch ein Vorverständnis gebildet wird, das stets offen bzw. revidierbar bleibt. Das Vertrautsein einer Fachgemeinschaft bzw. eines Fachmanns mit "seiner Gegend" bildet die Voraussetzung für das Verstehen der Fachsprache. Ein solches Vorverständnis bleibt meistens unausdrücklich bzw. wird jeweils vorausgesetzt. Dieses Vorverständnis bzw. Vertrautsein kennzeichnet den Fachmann gegenüber dem "Laien".  

So bildet der jeweilige "corpus" an Theorien, Einsichten, Vermutungen usw. eines Fachgebietes kein "autonomes" Reich der Ideen, sondern ist das Korrelat einer Fachgemeinschaft und Teil ihres thematisierten Vorverständnisses. Die bloße Akkumulation von Einzelerkenntnissen ergibt nie so etwas wie ein Fachgebiet, sondern setzt dieses jeweils voraus. Die Frage nach der Ordnung des in einem Fachgebiet kumulierten Wissens ist somit eine sekundäre Frage, d.h. sie bleibt stets von den möglichen Änderungen des Vorverständnisses abhängig. Das ist besonders einsichtig im Falle "praktischer" Fachgebiete, in der die Sachverhalte selbst keinen strengen Gesetzmäßigkeiten unterworfen sind. Man denke an Fachgebiete wie Wirtschaft oder Politik aber auch etwa an technische Fächer. Die moderne Wissenschaftstheorie nennt bekanntlich solche Änderungen in den Wissenschaften "Paradigma-Wechsel" bzw. "wissenschaftliche Revolutionen".

Obwohl es also keine definitive Ordnung des Wissens gegen kann, bedingen fachliche Vorverständnisse mögliche vorläufige Ordnungssysteme, wie z.B. Fachklassifikationen und Thesauri, die auch zum Zwecke des Information Retrieval benutzt werden, wie noch zu zeigen ist. Im Vordergrund steht aber für eine Fachgemeinschaft die am Leitfaden eines Vorverständnisses sich stellenden Fragen im Hinblick auf die Sachverhalte selbst. Das Festhalten an einem klassifikatorischen Schema kann dabei genauso irreführend sein, wie die Verdogmatisierung eines Vorverständnisses oder einer bestimmten Begrifflichkeit.

Fachgebiete sollten also "durchlässige" Grenzen haben. Eine solche Durchlässigkeit gilt in verschiedener Hinsicht, wie J. M. Ziman[220] in bezug auf die Physik folgendermaßen bemerkt: 

"Only a technical philistine would cut physics off from its own history; its place in modern civilization; its cultural links; its religious, spiritual, aesthetic significance. If 'the literature of physics' means any book or journal from which a physicist might gain information that would profit him in his professional scientific activities, then it would surely not exclude the writings of Plato or the drawings of Leonardo!"[221]
Grund für die Durchlässigkeit der Zusammenhänge ist die gemeinsam geteilte Welt. Eine weltlose bzw. für sich bestehende Konstruktion von "Problemen an sich" löst ein Fachgebiet strukturell vom konstituierenden Zusammenhang ab. Fachgebiete sind, wie wir gesehen haben,  wesentlich (Welt-)Entwürfe, deren Thematisierung und begrifflichen Ausarbeitung stets als mögliche Antwort auf die fragende Auseinandersetzung mit den Sachverhalten selbst verstanden werden soll. Die in einem Fachgebiet erschlossenen fachlichen Bedeutungsgehalte verlieren nichts an ihrer "Objektivität" bzw. "Selbständigkeit", wenn man sie nicht primär als "autonom" gegenüber einem "Psyche-Bereich", sondern als Korrelat des Miteinanderseins der Menschen bzw. einer Fachgemeinschaft, die immer schon eine gemeinsame Welt mit-teilt, versteht. Die Möglichkeit, sie davon zu abstrahieren, setzt bereits eine solche Struktur voraus. Diese Struktur ist auch die Voraussetzung dafür, daß sie auch mitgeteilt werden können. Ein solcher Mitteilungsprozess gehört, wie Kant mit Recht bemerkte, untrennbar zum gemeinsamen Denkprozeß. Dieses dritte konstitutive Begriffsmoment des Phänomens der Fachinformation soll jetzt erörtert werden.

c) Der fachliche Mitteilungsprozeß: die Fachkommunikation

Der Mitteilungsprozeß fachlicher Bedeutungsgehalte wird Fachkommunikation genannt. Im Hinblick auf diese Mitteilbarkeit können fachliche Bedeutungsgehalte als Fachinformationen bezeichnet werden. Die Kommunizierbarkeit von fachlichen Bedeutungsgehalten stellt den Kern einer Theorie der Fachinformation dar.[222] Ihre konstitutiven Elemente sind zunächst, wie wir gesehen haben, ihre Mitteilbarkeit durch eine Fachgemeinschaft und ihre Thematisierung im Zusammenhang mit einem Fachgebiet. Diese Thematisierung ist Bedingung dafür, daß fachliche Bedeutungsgehalte dargestellt und somit auch mitteilbar werden.  

Zwei Grundmodi zwischenmenschlicher Mitteilung sind Rede und Schrift. Diese Kommunikationsmodi kommen nicht zusätzlich zum Prozeß des Denkens bzw. Thematisierens, sondern jede Thematisierung und Darstellung fachlicher Bedeutungsgehalte ist bereits ein Denken und Handeln in Gemeinschaft. Der Begriff der Fachkommunikation läßt sich demnach folgendermaßen unterscheiden:  

  • wissenschaftsbezogene Fachkommunikation,
  • berufspraxisbezogene Fachkommunikation,
  • bürgerbezogene Fachkommunikation.[223]

Aufgrund des prinzipiellen öffentlichen, d.h. zum Offenheitsbereich einer Fachgemeinschaft gehörenden Charakters fachlicher Bedeutungsgehalte, kann von der Publizität bzw. vom "Veröffentlichungscharakter" der Fachinformation die Rede sein. "Fachkommunikation entzieht sich", wie K. Lenk betont, "der geläufigen Dichotomisierung der Kommunikation in Individualkommunikation und Massenkommunikation. Fachkommunikation ist auch als (personale) Individualkommunikation möglich."[224]

Eine besondere Rolle bei der Publizität von Fachinformationen in allen drei genannten Bereichen spielt die Form der schriftlichen Mitteilung, so daß hier der Begriff der Veröffentlichung beheimatet ist. Dennoch, so wie es Fachveröffentlichungen geben kann, die vornehmlich de jeweiligen Fachgemeinschaft zugänglich sind, man denke z.B. an die sogenannte "graue" Literatur im wissenschaftlichen Bereich (Reports, Konferenzberichte, Dissertationen usw.), so kann auch mündlich Mitgeteiltes einen größeren Kreis als die eigentlich unmittelbar gemeinte Fachöffentlichkeit erreichen. Der Begriff der Veröffentlichung muß aber seinerseits in der Gegenwart im Hinblick auf das elektronische Medium erweitert werden, wenn man z.B. an Möglichkeiten wie "elektronisches Publizieren" oder "Bildschirmtext" denkt. Von dieser Bestimmung der Publizität fachlicher Bedeutungsgehalte her, erscheint die platonistische Vorstellung einer "autonomen Welt" der Theorien usw., deren "Autonomie" besonders durch die schriftliche Fixierung gewährleistet werden soll, als besonders widersinnig. Durch das Moment der Publikation soll die Verfügbarkeit der Fachkenntnisse unterstrichen werden. Das jeweilige "Fachpublikum" bildet deshalb ein konstitutives Moment dieses Vorgangs. Durch die schriftliche Fixierung werden fachliche Bedeutungsgehalte nicht in einem außerweltlichen Bereich angesiedelt, sondern sie gehören weiterhin strukturell zur menschlichen Welt und zu ihrer dreidimensionalen Zeitlichkeit. Vergangenes Fachwissen kann sich deshalb stets dabei in ein mögliches "verwandeln".

Ein Instrument, womit diese "Verwandlung" bzw. "Wieder-holung" vollzogen werden kann, ist die moderne Technik des Information Retrieval. Der Sinn dieser Technik ist, durch die exponentiell wachsende Anzahl der Fachveröffentlichungen bedrohte (!) Publizität des Fachwissens wiederherzustellen. Solche Publizität war solange selbstverständlich, als sie mit dem Veröffentlichungsvorgang gewährleistet war oder zu sein schien. Hier ruhte (und ruht!) auch der Sinn der Aufbewahrungsauftrags der Bibliotheken, nämlich in der Gewährleistung der Publizität ihrer Bestände (Bereitstellungsauftrag).[225] Hiermit soll natürlich nicht in Frage gestellt werden, daß außer einem gegenwärtigen und zukünftigen Interesse auch ein historisches bzw. vergangenheitsbezogenes Interesse am veröffentlichten Fachwissen vorhanden sein kann. Dabei bleibt die Frage nach der "Aktualität" bzw. dem "Verfall" ("obsolescence") sowohl im Hinblick auf die Nutzung des Wissens als auch auf das mögliche "Erkenntniswachstum" letztlich offen, auch wenn sie in den jeweiligen Fachgebieten differenziert zu stellen und auch vorläufig zu beantworten ist. [226] Eine solche Differenzierung ist auch im Hinblick auf den Stellenwert mündlicher Mitteilungen zu leisten. In bezug auf die oben genannten Bereiche der Fachkommunikation läßt sich generalisierend folgendes sagen:[227]

1) Wissenschaftsbezogene Fachkommunikation:

Die Bedeutung der schriftlichen Mitteilung von Fachinformationen ist in der Gegenwart durch die schon angedeutete exponentiell wachsende Anzahl der Publikationen dokumentiert.[228] Wie wir am Anfang gesehen haben, führte auch in diesem Bereich die "Informationskrise" in der Gegenwart zu einer neuen Entwicklung in Zusammenhang mit der Anwendung automatisierter Methoden bei der Speicherung und Wiedergewinnung von Fachinformationen.

Die Bedeutung der Fachkommunikation in den Wissenschaften ist so entscheidend, daß von Kommunikation als dem "Wesen der Wissenschaft" die Rede ist.[229] Es ist dabei kennzeichnend, daß sowohl formelle als auch informelle Kommunikationsformen die Struktur wissenschaftlicher Öffentlichkeit prägen. Es geht dabei nicht so sehr um den Unterschied zwischen der schriftlich fixierten bzw. veröffentlichten Mitteilung und der mündlichen Mitteilung, sondern um die Tragweite der Publizität beider Mitteilungsformen:

Formelle Kommunikationsformen können einen höheren Grad an Publizität haben als informelle.
Der Zugang zum formell Mitgegeilten ist leichter, seine Speicherung dauerhaft gesichert.
Das formell Mitgeteilte hat einen relativ niedrigeren Aktualitätswert.
Formelle Mitteilungen müssen in der Regel bestimmte Standards des jeweiligen Fachgebiets erfüllen.
Informelle Mitteilungen, seien sie schriftlich oder mündlich, bedeuten eine unmittelbare Begegnung bzw. Interaktion zwischen den Fachleuten.[230]

Diese Charakterisierung ist insofern zu relativieren, als z.B. eine formelle Kommunikationsform einem Fachmann einen "schnelleren" Zugang zur Fachinformation ermöglichen kann, formelle Mitteilungen können aber wiederum u.U. einen "niedrigeren" wissenschaftlichen Wert haben als informelle usw. Entscheidend bei der informellen Kommunikation ist aber der persönliche bzw. zwischenmenschliche Zusammenhang, was man auch "invisible college" nennt. Hier spielen schriftliche und mündliche Mitteilungen eine gleichwertige Rolle. Man teilt sich brieflich Forschungsergebnisse mit, man trifft sich bei Konferenzen und Vorträgen, man schickt sich "preprints", d.h. Konferenzbeiträge, die noch nicht abgehalten wurden usw. "Invisible colleges" werden aufgrund wissenschaftlicher Verdienste gebildet, wobei geographische, sprachliche, politische usw. Bedingungen eine Rolle spielen können.[231] Es gibt schließlich in jeder Wissenschaft Kenntnisse, die "von Generation zu Generation mündlich vermittelt werden" (Ziman), genauso wie die Kommunikation "von Person zu Person" (Price) innerhalb einer kleinen Fachgemeinschaft unerlässlich ist.[232]

Das man formelle und informelle Kommunikationsformen nicht immer klar auseinanderhalten kann, sondern eher ihr Zusammenwirken und ihre gegenseitige Durchdringung als das kennzeichnende Phänomen der wissenschaftlichen Fachkommunikation begreifen muß, bringt erneut die Einheit der konstitutiven Momente der Fachinformation deutlich zum Ausdruck.

2) Berufspraxisbezogene und bürgerbezogene Fachkommunikation:

Die angesprochene Durchdringung ist in der praxisbezogene Fachkommunikation von entscheidender Bedeutung. Ähnlich wie im Alltag ist hier der unmittelbare Zugang zum Bedeutungsgehalt selbst, anstelle des "Umwegs" über die Fachliteratur, durch informelle Kommunikationsformen gewährleistet. Der theoretisch Forschende kann u.U. besonders an der Einbettung eines solchen Inhaltes in einen thematisierten Zusammenhang interessiert sein. Dennoch, wie schon angedeutet, spielt auch in der Wissenschaft eine solche Unmittelbarkeit eine besonders wichtige Roll: man denke z.B. an die numerischen Datenbanken in den Naturwissenschaften. Man kann sogar sagen, daß eine Mitteilungsform, die "zwischen" dem formellen und dem informellen Weg liegt, dem Bedürfnis nach einem raschen und unmittelbaren Zugang zu den Bedeutungsgehalten entspricht. Durch das "elektronische Publizieren" könnte hier eine weitere Verflechtung beider Kommunikationsformen zustande kommen. Hiermit müsste auch die für die Aufrechterhaltung der formellen Kommunikationsformen entscheidende Frage nach dem geistigen Eigentum in einer neuen bzw. erweiterten Form gestellt werden.[233]

Der Zusammenhang zwischen den verschiedenen Kommunikationsformen in der beruflichen Praxis kommt in der Funktion des Informationsvermittlers ("information broker") besonders deutlich zum Vorschein. So stelle diese, z.B. in einer Industriefirma, den persönlichen Bezug innerhalb der Firma dar, während sie gleichzeitig die Literatur eines Fachgebietes verfolgen und informelle Kontakte "nach außen" pflegen. Dieser Zusammenhang ist im Hinblick auf die Prozesse des Technologietransfers und der Innovation besonders wichtig. Eine solche Rolle kann, wie Lancaster mit Recht bemerkt,[234] auch auf nationaler Ebene von Bedeutung sein. In der beruflichen Praxis, in der es also um die Suche nach konkreten Lösungen  bzw. um Entscheidungsfindungsprozesse geht, hebt Lancaster das unerlässliche Moment der Interpretation bzw. der Anwendung der vorhandenen Kenntnisse auf den Einzelfall hervor.[235] Es handelt sich hier um den hermeneutischen Vorgang der Applikation: in erster Linie kann der Fachmann, der die Sachverhalte und die Literatur seines Fachgebietes kennt, im Einzelfall diesen Vorgang vollziehen. Die Literatur eines Fachgebietes, schreibt Lancaster, liefert von sich aus keine fertigen Rezepte. Sie bleibt, sowohl in bezug auf theoretische als auch auf praktische Probleme, stets interpretationsbedürftig. Dieser hermeneutische Charakter des schriftlich fixierten Fachwissens unterstreicht erneut die Einheit der konstitutiven Momente der Fachinformation.

Im Hinblick auf die bürgerbezogene Fachkommunikation ist dabei hervorzuheben, daß die mögliche universelle bzw. sehr breite Zugänglichkeit von Fachinformationen die Frage der Applikation erst recht offen läßt. Die universelle Zugänglichkeit ist aber in einer anderen Hinsicht von Bedeutung. Sie kann nämlich in gewisser Weise verhindern, daß eine Fachgemeinschaft sowohl gegenüber der Gemeinschaft sich verschließt und u.U. einen eigenen "Herrschaftsbereich" bildet. Die Zugänglichkeit ermöglicht Kritik und Pluralität auch "von außen". Das kann von besonderer Bedeutung sein, wenn im Anwendungsfall die verschiedenen Sinnmöglichkeiten offengelegt bzw. aufgedeckt werden sollen.

Sowenig Denken und Mitteilen getrennt betrachtet werden dürfen, sowenig auch darf das Denken der Gemeinschaft bzw. ihrer einzelnen Mitglieder vom prinzipiellen Zugang zur Fachinformation abgekoppelt werden. Diesem Bezug liegt das Grundrecht der Informationsfreiheit zugrunde.[236] Inwiefern hier die Vermittlung der Fachinformation durch die elektronischen Medien zugleich eine Gefahr und eine Chance darstellen kann, soll im folgenden Teil dieser Untersuchungen zur Sprache gebracht werden (vgl. III,3.c).

Schließlich soll darauf hingewiesen werden, daß die wissenschaftliche Forschung fachlicher Kommunikationsprozesse sich noch im Anfangsstadium befindet. Hierzu gehören z.B. soziometrische Studien über die Mitteilungsstruktur einer Fachgemeinschaft,[237] "informetrische" bzw. "bibliometrische" Analysen der zu einem Fachbereich gehörenden Fachliteratur,[238] semiotische Untersuchungen über statistische Eigenschaften der Fachsprache eines Fachgebietes, über die begrifflichen Zusammenhänge und ihre möglichen schriftlichen Darstellungsformen und über den Zusammenhang dieser Darstellungen mit den Informationssuchenden bzw. mit der jeweiligen Fachgemeinschaft.[239] Eine besondere Form der Darstellung und Vermittlung von Fachinformation stellen im Computer gespeicherte Datenbasen dar. Die Methode zur Wiedergewinnung dieser Informationen, das Information Retrieval, wirft spezielle hermeneutische Fragen auf, die wir im nächsten Teil dieser Untersuchungen behandeln wollen.

 

 
 
  

III. ZUR HERMENEUTIK DES INFORMATION RETRIEVAL

III.1. Hermeneutische Fragen beim Aufbau von Datenbasen
III.2. Hermeneutische Fragen beim Retrieval    
III.3. Das Information Retrieval als Beitrag zur Sozialisation der Fachinformation 
   
 
 
   

III.1. Hermeneutische Fragen beim Aufbau von Datenbasen 

Vorbemerkung
a) Das Vorverständnis der Fachklassifikation
b) Das Vorverständnis der Indexierung   
c) Das Vorverständnis des Referierens


Vorbemerkung
 

Es war vermutlich Calvin N. Mooers, der 1950 den Ausdruck "information retrieval" für das Suchen und Auffinden von "Informationen" aus einem Computerspeicher prägte.[240]  Die Entwicklung begann mit der Erstellung von bibliographischen Datenbasen. Die dabei suchbare und auffindbare Information besteht aus den Hinweisen zur veröffentlichten (einschließlich "grauen") Literatur eines Fachgebietes. Obwohl der Begriff des Information Retrieval ursprünglich die Informationen selbst und nicht so sehr die Information über Dokumente meinte, wurde und wird er heute zum Teil noch mit "Referenz-Retrieval" gleichgesetzt.[241] Dennoch, wie wir am Anfang gesehen haben, stellen bereits "Referenz-Datenbasen" eine Möglichkeit des Information Retrieval dar. Hinzu kommen die "Quellen-Datenbasen", die die gesuchte Information selbst, sei es numerische oder textuelle, anbieten. Man spricht hier auch von Daten-/Fakten-Retrieval. Eine weitere daran anschließende Entwicklung bilden die sogenannten Expertensysteme mit der damit zusammenhängenden Forschung im Bereich der "künstlichen Intelligenz".[242] Beim Aufbau einer Datenbasis wird ein Teil des thematisierten Vorverständnisses zum Zwecke seiner (gezielten) Wiederfindung verobjektiviert. Hermeneutisch gesehen sind also Datenbasen verobjektivierte Vorverständnisse. Demnach stellen sich unterschiedliche hermeneutische Fragen, je nachdem was für ein Vorverständnis und in welcher Weise es dargelegt und "retrieval-fähig" gemacht wird.

Im folgenden wollen wir diese Problematik einer Hermeneutik des Information Retrieval exemplarisch am Beispiel der bibliographischen Datenbasen erläutern. Unsere  Darstellung ist insofern generalisierend als hier nicht auf die Unterschiede bei den einzelnen Fachgebieten eingegangen werden soll. Im Falle bibliographischer Datenbasen gelten als Fachinformation die Hinweise (u.U. auch der gespeicherte Originaltext) auf die Literatur eines Fachgebietes. Wie Oeser mit Recht bemerkt,[243] muß das, was als Information gelten kann, vor und nicht nach der automatischen Verarbeitungsprozeß feststehen. Dieses Vorverständnis bezieht sich im Falle bibliographischer Datenbasen auf die "dokumentarischen Bezugseinheiten" (DBE) bzw. "Dokumentationseinheiten" (DE).[244] Bereits vor der Beschaffung und Auswertung der DBE, muß das jeweilige Fachgebiet abgegrenzt werden. Der darauf folgende Dokumentationsprozeß, der zum Aufbau einer bibliographischen Datenbasis führt, besteht in der formalen Erfassung und inhaltlichen Erschließung der DBE sowie in der entsprechenden Computerverarbeitung, wodurch die Suche nach den vorgegebenen Kriterien ermöglicht wird. Wir werden im folgenden auf die hermeneutischen Fragen, die sich insbesondere bei der inhaltlichen Erschließung stelltn, eingehen. Sie gehören zu einer "ars designandi", die die Voraussetzung für die im nächsten Kapitel zu behandelnden hermeneutischen Fragen einer "ars quaerendi" bilden. Die Fragen, die mit der allgemeinen Darstellung insbesondere der sogenannten "formalen Angaben" einer DBE (z.B. Autor, Institution, Quelle, Sprache) zusammenhängen (man könnte von einer "ars disponendi" sprechen), sind aber auch von hermeneutischer Bedeutung, indem z.B. dadurch die zur Fachgemeinschaft gehörenden Fachleute, die jeweiligen Institutionen und sprachlichen Gegebenheiten in dieser Art von Datenbasen ausdrücklich thematisiert werden.

Das vorrangige Ziel einer bibliographischen Datenbasis ist aber der gezielte Zugriff auf fachliche Bedeutungsgehalte bzw. Fachinformationen, die in den erfaßten Dokumenten enthalten sind. Im Gegensatz einerseits zum "Faktenretrieval" oder zu "Expertensystemen" bieten bibliographische Datenbasen in der Regel keinen unmittelbaren Zugang zum Gesuchten, in diesem Fall zum Originaltext ("Volltext"). Gegenüber den bibliothekarischen Systemen andererseits, steht hier die Anordnung und Wiederfindung der Inhalte der Dokumente und nicht die Lokalisierung der Dokumente im Vordergrund (vgl. I,3,b). Die weiteren konsequenten Schritte stellen, neben der Volltext-Speicherung, zum einen die Faktendatenbasen dar die u.U. auch einen bibliographischen Teil enthalten können zum anderen die schon erwähnten Expertensysteme, wodurch, wie Kuhlen bemerkt, "das gesamte Fachwissen von definierten Teilgebieten in die Konzeption von Frage-Antwort-Systemen eingebracht werden" soll.[245]

Das Information Retrieval in seinen verschiedenen Formen unterstreicht also die Einheit der konstitutiven Momente der Fachinformation. Im Falle bibliographischer Datenbasen kommt die Vermittlungsfunktion der schriftlichen Fixierung besonders zum Ausdruck. Bei Frage-Antwort-Systemen werden in verstärktem Maße außer fachlichen Vorverständnissen auch allgemeine sprachliche Strukturen verobjektiviert, so daß eine weitere Formalisierung des Prozesses der Fachkommunikation stattfindet bzw. eine neue Form der fachlichen Mitteilung möglich wird. Voraussetzung für ein erfolgreiches Retrieval ist, daß der Fachmann am lebendigen Vorverständnis "seiner" Fachgemeinschaft teilhat, so daß er sich in der jeweiligen Verobjektivierung zurechtfinden kann und, u.U. über die jeweilige "Antwort" hinaus, seine Frage weiterbringen kann. Fachgemeinschaft und Fachgebiet bilden den "relativen" Rahmen auf die sich Fachinformation und Fragender beziehen. Sowenig es einen einzigen Fachmann gibt, sowenig gibt es eine "absolute Information", unabhängig von einem System. "Systemtheoretisch gesprochen", schreibt Oeser, "können neue Informationen einem System immer nur aus dessen Umgebung zufließen."[246] Informationssysteme (Oeser spricht von der Wissenschaft als einem "Informationssystem"), sind demnach niemals vollständig, bzw. sie bleiben "relativ" zum jeweiligen Mitteilungsprozeß.

Vorfahren der modernen computerisierten Informationssysteme sind u.a. die Enzyklopädien. Ziel einer Enzyklopädie, schrieb Diderot im berühmten "Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers",[247] ist die Sammlung und Vermittlung von Erkenntnissen, wobei er sich zugleich über die Grenzen dieser Aufgabe in bezug auf die "revolutionäre" Entwicklung der Erkenntnisse und Erfindungen sowie über die damit zusammenhängende Entwicklung der Fachsprachen bewußt war. Ferner bringt Diderot jenen Grundzusammenhang zwischen Mensch und Welt zur Sprache, der stets den "relativen" Rahmen unserer Erkenntnisse bildet.[248]

Bei der inhaltlichen Erschließung von Dokumenten im Hinblick auf den Aufbau von bibliographischen Datenbasen stellen sich insbesondere jene hermeneutischen Fragen in einer spezifischen Form, die mit der Struktur des Verstehens zusammenhängen. Es geht dabei um:

a) die Klassifikation, d.h. um die Zusammengehörigkeit der in einem Dokument dargestellten Sachverhalte zum thematisch vorverstandenen Fachgebiet bzw. zur jeweiligen "Hinsicht", unter der die Sachverhalte ausgelegt wurden;  

b) die entsprechende fachliche Begrifflichkeit, d.h. um den Vorgang der Indexierung 

c) schließlich um die thematisierten Sachverhalte selbst, sofern sie in verkürzter Form wiedergegeben werden, also um den Vorgang des Referierens.

Diese Vorgänge sollen ermöglichen, daß beim Retrieval so etwas wie eine "Horizontverschmelzung" zwischen dem verobjektivierten Vorverständnis und dem Vorverständnis des Suchenden stattfinden kann. Die aufgebaute bibliographische Datenbasis ist somit wesentlich hermeneutischer Natur: sie ist das Ergebnis einer bestimmten Form der Verobjektivierung eines Vorverständnisses und setzt stets dieses beim Retrieval voraus.
 

a) Das Vorverständnis der Fachklassifikation  

Wissensbezogene Klassifikationen können in verschiedenen Verwendungsbereichen und dabei im Hinblick auf unterschiedliche Intentionen entwickelt werden.[249] Im Bereich der Wissensvermittlung sind zwei Möglichkeiten zu nennen:  

  • bibliothekarisch-bibliographische Klassifikationen: sie bezwecken die Anordnung von Dokumenten bzw. Büchern z.B. in Regalen und mittelbar die Vermittlung ihrer Inhalte;
  • "dokumentarisch-informemologische" Klassifikationen: hierzu gehören die Klassifikationen im Bereich des Information Retrieval. Sie bezwecken die Verortung von Fachinformationen im EDV-Speicher und nicht die Lokalisierung der Dokumente.
Im weiten Sinne des Wortes kann auch der im nächsten Abschnitt zu erörternde Vorgang der Indexierung als ein Modus des Klassifizierens bzw. können Klassifikationen und Indexierungsformen als unterschiedliche Stufen eines Vorganges, der denselben Zweck erfüllt, betrachtet werden. Man spricht auch in diesem Zusammenhang von "Dokumentationssprachen".

Fachklassifikationen im Information Retrieval dienen also nicht der Fixierung der Dokumente oder ihrer Inhalte an einem Ordnungsschema, sondern sie sollen die Hinsichten bzw. "Horizonte" freilegen, worunter ein Sachverhalt in einem Dokument behandelt wurde bzw. worunter der Suchende zu ihm gelangen kann. Demnach setzt eine Fachklassifikation die Bestimmung eines Fachgebietes ("subject field") voraus.[250] In diesem Sinne sagten wir oben (III.3.b), daß Klassifikationen ein "sekundäres" Problem sind.

Die Entwicklung einer Fachklassifkation gibt u.U. die jeweilige Dynamik eines Fachgebietes wieder. Beim Vorgang des Klassifizierens sollen die jeweiligen Sachverhalte in ein "präkoordiniertes" d.h. im voraus festgelegtes "weitmaschiges" Netz von (poly-)hierarchischen Beziehungen eingebettet werden, so daß bei der Suche mögliche Bezüge aufgedeckt bzw. thematisch zusammengehörende Dokumente wiedergefunden werden können. Diese insbesondere aus dem Information Retrieval gewonnene Vorstellung von Fachklassifikationen als Netzwerke ("Facettenprinzip") scheint wiederum ihre eigentlichen Zweck in den Wissenschaften zu entsprechen als die herkömmliche lineare monohierarchische Vorstellung.[251]

Eine Fachklassifikation stellt also den dem Dokumentar, dem Autor und dem Suchenden gemeinsamen Rahmen dar oder, mit anderen Worten, sie bildet das vorläufige thematisierte Vorverständnis einer Fachgemeinschaft. Insofern steht im Mittelpunkt des Klassifizierens die Öffnung der Bedeutungsgehalte auf die zum Teil vorverstandenen Hinsichten und die dadurch zu ermöglichende Bildung von neuen Horizonten bei der Suche. Dabei vollzieht der Dokumentar, wie auch der Autor und der Suchende, eine "kreisförmige" Bewegung ("hermeneutischer Zirkel"), indem, vom Text ausgehend, auf das Vorverständnis bzw. auf die Fachklassifikation reflektiert und diese wieder auf die thematisierten Sachverhalte bezieht. Der "Zirkel" ist ein bleibender bzw. ein methodischer. Es ist eine "Zirkelbewegung", in der die Sachverhalte und deren vielfältige Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge ausgelegt werden bzw. in ihren Beziehungs- und Deutungsmöglichkeiten offen bleiben. Die Fachklassifikation soll diese hermeneutische Bewegung und die an ihr Teilnehmenden zusammenhalte ohne die jeweiligen offenen Sinnmöglichkeiten zum Erstarren zu bringen. Sie kann sowenig eine "Wirklichkeit an sich" als eine "Dokument an sich" "abbilden". Die Vorstellung von einer Fachpublikation "an sich" ist genau so absurd, wie die Vorstellung einer "Welt" von "Problemen an sich", oder die der Wortbedeutungen "an sich", d.h. unabhängig vom Satz. Die moderne sprachanalytische Philosophie hat auf diesen letzten Sachverhalt mit hinreichender Klarheit aufmerksam gemacht.[252]

Wenn es also keine absoluten objektiven Kriterien gibt, mit deren Hilfe eine objektive Wirklichkeit begrifflich "abbildbar" wäre, dann stellen Fachklassifikationen einen von einer Fachgemeinschaft vorläufig vereinbarten bzw. bewährten Verständigungsrahmen dar. Es ist insofern mißverständlich, sie primär als Ordnungssysteme zu bezeichnen, sondern sie sollte eher, sofern sie diesen "Abbildungsanspruch aufgeben, als Verständigungssysteme bzw. Verständigungsinstrumente aufgefaßt werden.[253] Im Information Retrieval bzw. beim Aufbau von bibliographischen Datenbasen ist diese Einsicht besonders wichtig, da das Klassifizieren eines Dokumenteninhaltes im Hinblick auf die darauffolgende Suche stattfindet, und diese ist immer ein Teil des Verständigungsprozesses einer Fachgemeinschaft. Fachklassifikationen sind also nur insofern als Ordnungssysteme zu bezeichnen, als sie im verstehenden Suchprozeß der Orientierung und somit auch der (möglichen) Verständigung dienen.

Ferner ist zu bemerken, daß das einer Fachklassifikation zugrundeliegende Fachgebiet nicht nur, wie oben dargelegt, theoretischer, sondern auch praktischer Art sein kann. Insofern können Fachklassifikationen nicht nur einen gnoseologischen, sondern auch einen praxeologischen Charakter haben. Das ist z.B. bei einem aufgaben- oder problemorientierten Fachgebiet der Fall. Ein und dasselbe Dokument kann also u.U. vor dem Hintergrund verschiedener Horizonte gesehen und gestellt werden. Diese können das fachliche Vorverständnis einer Datenbasis bilden, sie können aber auch unterschiedlichen Datenbasen zugrunde liegen, so daß ein Dokument möglicherweise mehrmals aber jeweils aus unterschiedlichen klassifikatorischen Gesichtspunkten "geordnet" d.h. anzutreffen ist. Dieser beim heutigen reichhaltigen Angebot an Datenbasen häufige Sachverhalt, hat somit nicht den Charakter einer bloßen Wiederholung, genauso wenig wie das mehrmalige Hinweisen aus unterschiedlichen Gesichtspunkten aber innerhalb der einen Fachklassifikation etwa als ein Nachteil zu bezeichnen wäre. Das Gesagte gilt natürlich auch im bibliothekarischen Bereich, aber mit den schon gemachten Einschränkungen bezüglich der unterschiedlichen Intentionen.

Entscheidend bleibt also, daß, wenn beim Aufbau von Datenbasen der Inhalt eines Dokuments klassifiziert wird, dieses stets mit der Einsicht stattfindet, daß er keinem absoluten und zeitlosen Ordnungssystem zugeordnet wird, sondern, daß die Sachverhalte in bezug auf ein von einer bestimmten Fachgemeinschaft und im Hinblick auf bestimmte Erkenntnis- bzw. Handlungsinteressen thematisiertes Vorverständnis zu setzen sind, so daß die möglichen Hinsichten unter denen der Sachverhalt betrachtet wird und werden kann zum Ausdruck kommen. Hiermit ist die Möglichkeit einer universalen Klassifikation auch zum Zweck des Information Retrieval nicht grundsätzlich in Frage gestellt, sofern diese wiederum relativ zu bestimmten Handlungsinteressen bleibt, und keinen Standpunkt des "absoluten Wissens" behauptet. Die Geschichte der Wandlung der Universalklassifikationen liefert hierfür ausreichende Beispiele ihrer Relativität.[254] Fachklassifikationen spielen im Information Retrieval eine besondere Rolle, da sie, insbesondere im Falle umfangreicher bibliographischer Datenbasen, die Bildung von thematisch zusammenhängenden Dokumentenmengen, unabhängig von der jeweiligen Begrifflichkeit, ermöglichen. Da sie das währende und sich bewährende Vorverständnis einer Fachgemeinschaft thematisieren, bieten sie ine gewisse Kontinuität und Konsistenz als Verständigungshorizont beim Aufbau einer Datenbasis sowie beim Retrieval. Sie werden deshalb in der überwiegenden Mehrzahl der gegenwärtig erstellten und angebotenen bibliographischen Datenbasen gebraucht. Sie stellen aber eine in der Regel grobe "Vernetzung" der "Hinsichten" dar, und haben dadurch sowohl eine Reduktion der spezifischen Begrifflichkeit als auch eine Einschränkung der Kombinationsmöglichkeiten zur Folge.

Aus diesem Grund werden sie durch andere Kennzeichnungsverfahren ergänzt bzw. ersetzt. Letzteres bleibt zwar der Ausnahmefall, zeigt aber auch die Grenzen dieses Verfahrens. Ein Beispiel bildet hierfür die Philosophische Dokumentation am Philosophischen Institut der Universität Düsseldorf, wobei das auf Textwörter basierende Verfahren auch auf andere Fachgebiete übertragbar erscheint.[255] Wir werden auf diese Problematik im nächsten Abschnitt eingehen. Zwei Argumente werden gegen die Verwendung von Fachklassifikationen, insbesondere in Zusammenhang mit der Philosophie, genannt: erstens, Klassifikationen sind am temporären Entwicklungsstand der Wissenschaft orientiert und bedürfen einer laufenden Anpassung, die das schon gespeicherte Material nicht mehr berücksichtigen kann. In der Philosophie läßt sich ohnehin auch ein solches temporäres Schema schwer fixieren, nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen Zusammenhänge mit allen Wissenschaften, die dauernden Veränderungen unterworfen sind. Zweitens, indem Klassifikationen ein bestimmtes Vorverständnis fixieren, tragen sie einen "ideologischen" Stempel, was in der Philosophie, aber auch in anderen (Geistes-)Wissenschaften, der Ausdruck einer schulischen Richtung sein kann. Diese Argumente sprechen also gegen die oben genannten Vorteile der Kontinuität und Konsistenz und weisen auf den reduktionistischen Charakter einer Klassifikation hin. Eine Alternative, die nicht ausschließlich zu sein braucht, ist ein Verfahren, das zunächst die eingeschränkten, weil im voraus festgelegten ("präkoordinierten") Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge erweitert, sie aber zugleich in ihren Kombinationsmöglichkeiten offen läßt. Ein solches Verfahren orientiert sich an der Begrifflichkeit eines Fachgebietes bzw. bringt dieses als verobjektiviertes Vorverständnis ins Spiel.

  
b) Das Vorverständnis der Indexierung  

Ausgehend von dieser Fragestellung folgten, historisch gesehen, die "postkoordinierten" Systeme bzw. die Methode der "gleichordnenden Indexierung" ("coordinate indexing").[256] Demnach werden die einzelnen u.U. normierten bzw. "kontrollierten" Begriffe einer Fachsprache gleichwertig behandelt, d.h. sie werden nicht in einem System vorgefertigter Hinsichten aufgehoben, sondern jeder Begriff stellt sozusagen eine eigene Hinsicht dar, wie sie das Wort "Index" (lat. "indicare" = hinweisen) es ausspricht.[257] Obgleich die Begriffe in ihren vielfältigen Beziehungen untereinander gekennzeichnet werden können, bildet jeder eine gleichwertige Eintragung, und sie werden erst während des Retrieval miteinander verknüpft. Darauf bezieht sich der Hinweis "postkoordiniert". Die kontrollierte Festlegung einer fachlichen Begrifflichkeit führt zur Bildung eines "Thesaurus". Dessen Termini werden "Deskriptoren" genannt. Wersig faßt die Merkmale eines Thesaurus wie folgt zusammen:[258] 

  • Ein Thesaurus geht aus von der natürlichen Sprache (insbesondere der Fachsprache) eines bestimmten Fachgebietes, dem Sprachgebrauch innerhalb des Fachgebietes (d.h. der dort üblichen Kommunikationspraxis).
  • Ein Thesaurus ist ein Sprach-Kontrollinstrument. Kontrolle wird ausgeübt über: Elemente des Vokabulars, Synonyme, Polyseme.
  • Ein Thesaurus ist ein bedeutungsdarstellendes Instrument (begriffliche Kontrolle).
  • Ein Thesaurus ist ein systembezogenes Instrument.
  • Ein Thesaurus ist ein präskriptives Instrument. Die Vorschriften betreffen: zur Indexierung zugelassene Termini, zur Suche verwendbare Termini, Interpretation von Indexierungs- und Suchtermini.
  • Ein Thesaurus ist ein Orientierungsinstrument über das betreffende Fachgebiet (Sprach- und Kommunikationsgebrauch, Bedeutungs- und Denkstrukturen), sowie über das betreffende System, in dem er eingesetzt wird (Indexierungs- und Retrievalgebrauch, Bedeutungsstrukturen).
Ein Thesaurus verobjektiviert einen Teil des begrifflichen Vorverständnisses eienr Fachgemeinschaft und stellt dieses als einen normierenden Horizont dar. Sowenig es aber eine Fachgemeinschaft "an sich" oder "Probleme an sich" gibt, sowenig gibt es auch eine Fachsprache "an sich".[259] Die verobjektivierte Fachsprache ist aber, ähnlich wie die Fachklassifikation, an einem temporären Stand der Wissenschaft orientiert. Sie gibt außerdem ein idealisiertes bzw. auf Eindeutigkeit reduziertes Bild einer in Wirklichkeit nicht genau abgrenzbaren Fachsprache wieder. Dennoch scheint hier ein künstlicher Gegensatz vorzuliegen, wenn man die Methode des kontrollierten Vokabulars, die zudem durch die Vergabe von "freien" Schlagworten "ergänzt" werden kann, der auf der "natürlichen Sprache" basierenden entgegensetzt.[260] Auch Fachklassifikationen wurden lange Zeit der Thesaurus-Methode entgegengesetzt, während man sie heute als komplementäre Methoden betrachtet. Ein solches Nebeneinander von Fachklassifikation(-snotationen) (CC=classification codes) und "controlled terms" (CT) läßt sich folgendermaßen veranschaulichen (Abb. 9).

Diese Aufnahme zeigt u.a. die Eintragungen aus der Klassifikation (Abb. 20) bzw. dem Thesaurus (Abb. 11) für eine "DE" aus der vom Fachinformationszentrum Energie, Physik, Mathematik erstellte Physik-Datenbasis PHYS
.


hermenu9

Abb. 9: Beispiel aus der Physik-Datenbasis "PHYS"



hermeneu10

Abb. 10: Beispiel aus der Physik Klassifikation



hermeneu11

Abb. 11: Beispiel aus dem Physik- Thesaurus


Die schon erwähnte im Philosophischen Institut der Universität Düsseldorf angewandte Indexierungsmethode, die fast gleichzeitig von R. Fugmann auch entdeckt und auf dem Gebiet der Chemie angewandt wurde, stellt einen gangbaren Mittelweg dar, der die Vorteile eines kontrollierten Wortschatzes (Thesaurusprinzip) mit denen der auf der "natürlichen Sprache" basierenden Verfahren verbindet.

Auf der "natürlichen Sprache" basierende Indexierungsmethoden gehen nicht von einem vorgefertigten Vorverständnishorizont in Form eines Thesaurus oder einer Fachklassifikation aus, sondern nehmen als verobjektiviertes Vorverständnis den vorliegenden Text des Dokuments (meistens nur den Titel und gegebenenfalls die Kurzfassung) und "invertieren" ihn mit Hilfe des Computers unter Ausschluß der syntaktischen Formen. Wenn die dabei entstehenden Textwort-Listen im Hinblick auf Synonyme und dergleichen überprüft werden, ergibt sich eine Art nicht im voraus normierender und ständig wachsender "freier" "Thesaurus".[261] Verwandte Methoden sind z.B. das "automatische Indexieren" unter Einsatz eines Thesaurus[262] oder die Selektion von im Text vorkommenden Termini mit Hilfe statistischer Gewichtungsverfahren, wie im Falle des von G. Salton entwickelten SMART-Systems.[263] Die Konsistenz dieser Systeme beruht nicht zuletzt darauf, daß die ausgewählten Texte bereits innerhalb des Horizontes eines Fachgebietes vorkommen, dieser Horizont aber nicht im voraus verobjektiviert, sondern "dynamisch" mit Hilfe des eingehenden Textmaterials gebildet wird. Lancaster betrachtet solche dynamische auf der "natürlichen Sprache" bzw. auf der tatsächlichen Sprache des Dokuments basierende Indexierungsmethoden, wodurch das begriffliche Vorverständnis eines Fachgebietes erst nachträglich verobjektiviert wird ("postcontrolled vocabulary", als einen wichtigen zukünftigen Trend im Information Retrieval.[264] Zugleich stellt er aber fest, daß vorgefertigte hierarchische bzw. netzwerkartige Strukturen komplexe und umfassende Suchen erleichtern, indem sie dem Suchenden einen Teil seiner "intellektuellen Last", d.h. des währenden und sich bewährenden Vorverständnisses einer Fachgemeinschaft, bereits beim Aufbau einer Datenbasis abnehmen, um es ihm verobjektiviert bei der Suche anzubieten.

Wenn man aber zum einen die Unzulänglichkeiten vorgefertigter Bezugsrahmen, seien es Fachklassifikationen und/oder Thesauri, vermeiden will und zum anderen die Begrifflichkeit eines Dokuments, mit den dort dargestellten Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen nicht preisgeben will, dann führt der Weg zu einer Methode, die, ausgehend vom vorhandenen Textmaterial bzw. von den Dokumenten eines Fachgebietes, die dort thematisierten Relationen unter Berücksichtigung der tatsächlich verwendeten Begrifflichkeit darzustellen versucht. Das von Diemer und Henrichs entwickelte Dokumentationsverfahren gründet auf dieser Einsicht. Im Hinblick auf die Kennzeichnung der thematischen Relationen der Textwörter untereinander gilt folgende einfache Regel:
 
"Alle Namen und Sachwörter, die untereinander thematisch verbunden sind, erhalten wenigstens eine gemeinsame Indexzahl, deren numerischer Wert dabei überhaupt keine Rolle spielt. Die Vergabe von Indexzahlen bezieht sich immer nur auf die jeweilige literarische Arbeit. Namen und Sachwörter werden völlig gleich behandelt, wenn sie auch immer im Abstract   einer besseren Übersicht wegen, aber auch aus Gründen der maschinellen Recherche voneinander getrennt sind."[265]

Eine Informationseinheit (oder DE) sieht dann folgendermaßen aus (Abb. 12).


hermeneu12

Abb. 12: Beispiel für die Kennzeichnung der thematischen Relationen der Textwörter (nach dem Verfahren von A. Diemer und N. Henrichs)


Sie ist wie folgt zu lesen: Der in der Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 1, Jahrgang 1946 von Paul Ferdinand Linke verfaßte Aufsatz mit dem Titel: "Gottlob Frege als Philosoph" befindet sich im angegebenen Band auf den Seiten 75-99 und ist inhaltlich durch das aus den historischen Autoren (in diesem Abschnitt können auch die Namen philosophiegeschichtlicher Epochen und Schulen und Regionalbibliographien, sowie von Namen abgeleitete Ismen enthalten sein) Frege bis Hilbert und durch das aus den SachwörternMathematik bis Physik  bestehende Abstract gekennzeichnet.

Die den historischen Autoren und Sachwörtern angefügten Indizes beschreiben folgende von Linke behandelte Zusammenhänge: Frege, Gottlob steht in Kombination zu allen vorkommenden Namen und Sachwörtern aufgrund seines Indexintervalls 1-7, das alle Indizes einschließt. Brentano, Franz ist zur verknüpfen mit: Frege, Gottlob, Hilbert, David, Logik aufgrund des gemeinsamen Index 2, usw.[266] Somit werden die sonst in einem Thesaurus vorgefertigten "Relationenindikatoren" zwischen den Deskriptoren zur Deskribierung der konkreten Zusammenhänge in einem Dokument gebraucht, so daß bei der Suche nach dem Zusammenhang, z.B. zwischen  F. Brentano und Psychologie, dieses Dokument, aufgrund des Fehlens einer gemeinsamen Indexziffer zu beiden Sachwörtern, nicht gefunden wäre, im Gegensatz zum Ergebnis ohne "Relationenindikatoren". Da in der Philosophie, aber auch in anderen Fachgebieten, die Treue zum vom Autor tatsächlich gebrauchten Vokabular eine besondere Bedeutung hat, richtet sich dieses Verfahren nach der Maxime "Genauigkeit vor Vollständigkeit", d.h. es werden die Nachteile, die eine Indexierung ohne kontrolliertes Vokabular mit sich bringt, vor allem die Erschwerung der Voraussehbarkeit der gespeicherten Begrifflichkeit, im Kauf genommen. Dafür werden aber bei der Suche Wortlisten unterschiedlicher Art zur Orientierung angeboten.[267]

Während also für ein Fachgebiet wie die Philosophie die Treue zur Autorsprache bis hin zur Maxime der originalsprachigen Indexierung sowie der Volltextinvertierung führt,[268] stellt sich bei einem Fachgebiet wie der Chemie, die über eine relativ stabile und von einer Fachgemeinschaft anerkannte Fachsprache verfügt, die Frage, ob das Konzept der "Relationenindikatoren" nicht gleichzeitig mit dem Thesaurusprinzip zu verbinden wäre. Diesen Weg ist R. Fugmann gegangen.[269] Er nennt fünf Axiome, die der Theorie und der Praxis des Indexierens und Klassifizierens zugrunde liegen:[270]

1. Axiom der Definierbarkeit: eine Sammlung relevanter Fachinformationen, kann nur in dem Maße erfolgen, in dem ein Fachgebiet ("topic") definiert wird.

2. Axiom der Ordnung: jede Sammlung relevanter Informationen zu einem Fachgebiet ist ein schöpferischer Ordnungsprozeß.

3. Axiom des zureichenden Ordnungsgrades: je größer die Informationssammlung bzw. die Anzahl der Suchfragen, desto mehr steigt die Forderung nach dem Ordnungsgrad.

4. Axiom der Vorhersehbarkeit: der Erfolg einer Suche nach relevanten Informationen hängt von der Möglichkeit der Vorhersehbarkeit der Aussagen und Begriffe der jeweiligen Datenbasis ab.

5. Axiom der Genauigkeit: der Erfolg einer Suche nach relevanten Informationen hängt von der Genauigkeit, womit Aussagen und Begriffe wiedergegeben werden, ab.

Diese Axiome weisen auf den hermeneutischen Zusammenhang zwischen dem Vorverständnis einer Fachgemeinschaft und seiner Verobjektivierung hin. In dem Maße, in dem das System dieses Vorverständnis beim Aufbau einer Datenbasis berücksichtigt und dem Suchenden auf unterschiedliche Art und Weise anbietet, kann jene "Horizontverschmelzung" stattfinden (vgl. III,2)

(ähnlich wie die Namen werden diese in der Folge ihres Vorkommens im Text behandelt)

c) Das Vorverständnis des Referierens

Obwohl die technischen Bedingungen für die elektronische Voll-Text-Speicherung und -Suche bereits gegeben sind, besteht die Mehrheit der heute angebotenen bibliographischen Datenbasen aus Hinweisen zu der Originalliteratur, wobei in der Regel, außer den bibliographischen Angaben und den genannten Orientierungssystemen, auch eine Kurzfassung ("abstract") des Inhalts erstellt bzw. angeboten wird. Die Erstellung einer solchen Kurzfassung ist nicht nur ein Problem, das allgemeine hermeneutische Fragen der Textinterpretation, sondern zugleich auch Fragen einer Hermeneutik des Information Retrieval betrifft.

Gemeint ist damit nicht nur die bloße Speicherung und Abrufbarkeit der Kurzreferate, sondern vor allem die Möglichkeit ihrer "Invertierung", wodurch, wie oben angedeutet, die jeweilige Begrifflichkeit, unabhängig von einem "festen" Vokabular (Thesaurus) suchbar wird. Kurzfassungen sind demnach, wie die schon erwähnten Verfahren, Orientierungshilfen.[271] In diesem Sinne werden Kurzfassungen aufgrund der Voll-Text-Speicherung nicht obsolet, wenn sie nicht als Surrogate des Originaltextes, sondern als ein weiteres Verfahren zur Verobjektivierung der Bedeutungsgehalte im Hinblick auf das Retrieval verstanden werden. Kurzfassungen können die durch Fachklassifikation und Begrifflichkeit angedeuteten Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge in einer volleren syntaktischen und semantischen Form zum Ausdruck bringen. Sie können ein Vorverständnis des Originaltextes, z.B. im Falle von fremdsprachlichen Veröffentlichungen, ermöglichen. Sie können aber auch, aufgrund des notwendigen interpretatorischen Eingriffes, das "Axiom der Genauigkeit" nicht befolgen. Das mag für viele Fachgebiete, wie wir gesehen haben, nicht ausschlaggebend sein, während in anderen Fällen eine besondere Form des Referierens, die auf eine Deskribierung der Bedeutungszusammenhänge abzielt, ohne diese jedoch inhaltlich auszulegen, vorzuziehen ist (Abb. 12).

Als Orientierungshilfe weist ein Kurzreferat besondere Vorteile auf: es erleichtert die Auswahl der Dokumente, hilft die "Sprachbarriere" zu überwinden, hilft den "eiligen Leser" Zeit zu sparen usw.[272]

Im Rahmen einer Hermeneutik des Information Retrieval sind also zwei Funktionen von Kurzreferaten hervorzuheben: sie dienen als Ganzes bei Relevanzentscheidungen und sie können "invertiert" werden und stellen somit eine Bereicherung der Suchbegrifflichkeit dar. In diesem Fall lösen sich Kurzreferate als Suchhilfe in eine Indexierungssprache auf.

Die Frage nach der Darstellung des "wesentlichen Inhalts" eines Dokuments ist, wie schon erwähnt, eine im Rahmen einer allgemeinen Texthermeneutik zu behandelnde Frage. Hier genügt der Hinweis, daß die Hermeneutik den Platonismus einer "absoluten Textgegebenheit" in Frage stellt, so daß das Referieren nicht auf die vermeintliche "Wiedergabe" des "Wesens" eines "Inhaltes" abzielt, sondern bestimmte im Text thematisierte Zusammenhänge andeutet, die zu ihren Verständnis ein Vorverständnis voraussetzen. Da dieses Vorverständnis, wie schon gesagt, nur ein vorläufiges ist und Texte nicht "an sich", sondern immer nur zu diesem offenen Horizont "relativ" bleiben, ist die übliche Auffassung von Kurzreferat als eine "Wiedergabe" des "Wesentlichen" nur als relativ zum jeweiligen, u.U. verobjektivierten Vorverständnis zu verstehen. Diese Systembezogenheit kann auch maschinell hergestellt werden, während ein Autorenreferat u.U. in dieser Hinsicht von einem maschinell erstellten (bzw. fremderstellten) Referat in seiner "Wiedergabe" abweichen würde. Ein Kurzreferat kann also, entsprechend der Einbettung des Dokuments in ein Fachgebiet und in der im Hinblick darauf aufgebauten Datenbasis, von diesem Horizont her "geformt" werden. Das kommt z.B. in den Regeln bzw. Hinweisen zu seiner Herstellung in bezug auf bestimmte Datenbasen zum Ausdruck. Die Art der Hinweise hängt auch mit der Dokumentenart (Monographie, Patent, Report usw.) zusammen.[273]

Schließlich muß bemerkt werden, daß bereits Titel, Untertitel sowie andere mögliche Arten von Inhaltsangaben (Inhaltsverzeichnisse, Auszüge usw.) auf die thematisierten Bedeutungsgehalte hindeuten und als weitere Suchhilfen beim Retrieval dienen.



 
  
  
  

III.2. Hermeneutische Fragen beim Retrieval 

Vorbemerkung

a) Die hermeneutische Konstitution des Online-Dialogs    
b) Die "Search-and-Find"-Methode als ein hermeneutischer Prozeß    
c) Die Frage nach der Relevanz des Retrievalergebnisses

Vorbemerkung

So wie der Aufbau einer Datenbasis ein schöpferischer Prozeß, d.h. eine "ars" ist, so ist es ebenfalls der Prozeß der Wiedergewinnung von im Computer gespeicherten und für die Suche aufbereiteten (bibliographischen) Fachinformationen, das Information Retrieval 

Wenn wir in diesem Zusammenhang von "ars quaerendi", d.h. der Kunst des fragenden Suchens (und Findens) sprechen, dann im Hinblick auf eine andere traditionsreiche und mit unserer Kunst verwandte Methode, nämlich die der "ars inveniendi". Vermutlich war Cicero der erste, der von "ars inveniendi" als der Kunst des Findens von rhetorischen Argumenten sprach, während die "ars judicandi" sich mit der Evaluierung und Strukturierung der Argumente in der Rede befaßte. Cicero beruft sich auf Aristoteles, der im Zusammenhang mit der dialektischen Kunst eine "Topik" bzw. eine "Heuristik" entwickelte.[274]

Es war aber vor allem Leibniz, der die Begriffe "ars inveniendi", d.h. ein algebraisches Verfahren zur Auffindung neuer Wahrheiten (innerhalb einer Wissenschaft) und "ars iudicandi", d.h. ein algebraisches Verfahren zur Entscheidung über die Wahrheit eines Satzes, prägte.[275] Beide Verfahren betreffen also den Findungsprozeß noch nicht bekannter Wahrheiten. Sie sollen der Wahrheitsfindung dienen. Demgegenüber, bemerkt Leibniz an anderer Stelle,[276] steht der gesamte Bereich der schon bekannten und "nützlichen" Wahrheiten ("verités utiles", "connnoissances solides et utiles"). Diese sind zum Teil schriftlich fixiert, befinden sich aber in großer Unordnung ("desordre"), zum Teil sind sie nicht geschrieben, besonders die, welche die Berufspraxis betreffen ("gens de profession"). Um sie zu ordnen und auffindbar zu machen, müsste man sie sammeln bzw. erst niederschreiben, Kataloge erstellen, genaue Register ("indices") mit Verweisen aller Art wären nötig usw. Leibniz erwähnt in diesem Zusammenhang auch die Frage nach dem Suchen von bereits bekannten, gesammelten und geordneten Erkenntnissen, wodurch wir erst in unserem Wissen und Tun fortschreiten können.[277]

In Anschluß an Leibniz wollen wir von "ars quaerendi" (der entsprechende griechische Ausdruck könnte, im Unterschied zu "Heuristik" etwa "Heuretik" heißen) sprechen. Eine ähnliche begriffliche und terminologische Unterscheidung wird im Bereich der "künstliche-Intelligenz-Forschung" zwischen "heuristics" (Technik zur Verbesserung der Effizienz eines Suchprozesses) und "heuretics" (das Wissen um die Suchkunst selbst) gemacht.[278] Es geht um die Kunst des Suchens und Findens von Erkenntnissen, sofern diese bereits (schriftlich fixiert) vorliegen. Im Unterschied zur "ars inveniendi" und "iudicandi" geht es nicht um einen Prozeß der Wahrheitsfindung, sondern im Mittelpunkt des suchenden Fragens steht die Relevanz bzw. die Nützlichkeit ("vérités utiles"!) des Gefundenen. Die Wahrheitsfrage stellt sich also sowohl bei "Referenz-" als auch bei "Quellen-Datenbasen" (Abb. 2) vor der Eingabe (z.B. bei der Evaluierung von numerischen Daten und, selbstverständlich, beim Aufbau von bibliographischen Datenbasen) bzw. nach der Suche. Der Erkenntnisfortschritt (auch Leibniz' Auffindung neuer Wahrheiten durch die "ars inveniendi" bzw. Klärung des noch unvollkommenen Erkannten durch die "méthode de la certitude") und die Möglichkeit, Erkenntnis in die (berufliche) Praxis umzusetzen, gründen nicht zuletzt in der "Kunst", das bereits Gewußte zu suchen und zu finden.  

Inwiefern die sogenannten Expertensysteme auch eine "ars inveniendi", oder zumindest eine unmittelbare Unterstützung dafür, darstellen können und sollen, bleibe offen. Die "ars quaerendi" bezieht sich hier auf den Prozeß des Fragens im Hinblick auf die Auffindung (möglicherweise) relevanter Fachinformationen. Am Beispiel der bibliographischen Datenbasen wollen wir den hermeneutischen Hintergrund des Retrieval-Prozesses in Zusammenhang mit:
a) der Konstitution des Online-Dialogs,  
b) der "Search-and-Find"-Methode,  
c) der Frage nach der Relevanz des Retrievalergebnisses,  
erörtern.

a) Die hermeneutische Konstitution des Online-Dialogs

Obwohl der Ausdruck "Online-Dialog" längst in der Praxis des Information Retrieval eingebürgert ist,[279] könnte der Einwand erhoben werden, daß der ursprüngliche Ort des Begriffs "Dialog" wohl das zwischenmenschliche Verhältnis ist. Für die Hermeneutik besteht aber eine leitende Gemeinsamkeit zwischen dem Textverständnis und der Verständigung im Gespräch. Dieses besteht darin, daß es in beiden Fällen um ein Verständnis über eine Sache geht und daß dieses Verständnis, wie wir oben gezeigt haben, sich als Frage im Medium der Sprache vollzieht.[280] Wir können diese leitende Gemeinsamkeit im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen dem Fragenden und der im Computer gespeicherten Datenbasis ausweiten, indem hier eine eigene Dynamik nicht nur von Seiten des Fragenden, sondern auch von der des Textes zustande kommt, die sich dadurch von der Erfahrung des Verständnisses eines gedruckten Textes unterscheidet. Diese Dynamik ist der des zwischenmenschlichen Dialogs vergleichbar, indem hier das System eine dem verobjektivierten Vorverständnis gemäße "Antwort" gibt.  

Diese Gemeinsamkeit sollte aber nicht als eine Anthropomorphisierung dieses Vorganges gedeutet werden, denn, wie Oeser mit Recht bemerkt, "der informationsverarbeitende Automat ist in Analogie zum Menschen gebaut und nicht umgekehrt".[281] Die hermeneutische Situation gegenüber Texten unterscheidet sich von der des zwischenmenschlichen Gesprächs u.a. dadurch, daß der Text stets des Interpreten bedarf, um "zu Worte zu kommen".[282] Auch Datenbasen bedürfen des Interpreten und bei ihrer Befragung findet jene Verbindung aufgrund der gemeinsamen Sache statt, die auch das wirkliche Gespräch charakterisiert. So wie im Falle des Textes von einem "hermeneutischen Gespräch" die Rede ist, so scheint es auch hier berechtigt, von einem "Online-Dialog" zu sprechen. Die dem Online-Dialog eigene Dynamik wird aber dadurch möglich, daß hier bestimmte Vorverständnisse fixiert werden, die den Rahmen und die Grenzen des "antwortenden" Systems bilden. Indem der Fragende die Datenbasis befragt, bringt er sein Vorverständnis der thematisierten Sachverhalte, das er mit der jeweiligen Fachgemeinschaft mit-teilt, ins Spiel. Erst im Licht dieses "Profils", werden die gespeicherten Daten zu Fachinformation, indem sie in einen bestimmten Mitteilungsprozeß einbezogen und von diesem "geformt" werden.[283]

Die Zusammenkunft zwischen einem Fragenden und einem (Informations-)System ist als ein hermeneutischer Prozeß zu deuten, in dessen Verlauf der offene Horizont des Fragenden und der fixierte Horizont des Systems sich vorläufig "verschmelzen", d.h. das verobjektivierte Vorverständnis erscheint jeweils als (mögliche) Antwort auf eine Frage und wird somit verstehend im Online-Dialog wiedergewonnen. Bei dieser "Horizontverschmelzung" zeigt sich zugleich die Identität und die Differenz der sich auf- bzw. abhebenden Horizonte. (Abb. 13)

 


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Abb. 13: Hermeneutische Konstitution des Online-Dialogs

 
  
  

Auf der einen Seite haben wir den offenen Horizont des Fragenden, eingebettet im Vorverständnis der Fachgemeinschaft. Aus der Auseinandersetzung mit den Sachverhalten in ihren vielfältigen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen entspringen die jeweiligen Fragen bzw. Probleme unterschiedlicher Art. Wir sahen, daß Belkin den Begriff des "anomalous state of knowledge" (ASK-Zustand) als Bezeichnung für den Zustand eines Noch-nicht-verstehens vor dem Hintergrund eines bereits gewonnenen Vorverständnisses prägte. Ein solcher Zustand ist immer schon, wie Belkin mit Recht betont,[284] durch die Interaktion mit unseren Mitmenschen sowie mit der Welt, die wir gemeinsam mit-teilen, vermittelt.

Auf der anderen Seite steht der fixierte Horizont des Systems. Dieser ist zwar ausbau- (bzw. "lern-")fähig, d.h. er kann und wird ständig erweitert und aktualisiert, bleibt aber stets auf die ihm aus dessen Umgebung zufließenden und bereits in ihrer Bedeutung als potentielle Fachinformation vorverstandenen Daten angewiesen. Das gilt sowohl für die "Zielinformationen" selbst, also in unserem Fall für die Literaturhinweise, als auch für die unterschiedlichen Suchmittel (Thesaurus, Klassifikation usw.).

Beim Online-Dialog vollzieht sich eine mehrfache "Horizontverschmelzung" auf unterschiedlichen Ebenen: so z.B. auf einer "kontextfreien" Ebene, in der die Fachbegrifflichkeit des Fragenden, die eine offene und "diachronische" ist, mit den fixierten "synchronischen" Thesaurusbegriffen zusammenkommt. Die Deskriptoren werden zwar "kontextfrei" aber nicht "horizontfrei" angeboten, wenn wir den Thesaurus als Ganzes als einen (fixierten) Sinnhorizont auffassen. Da sie aber wiederum auf die entsprechenden Texte verweisen bzw. den Zugang zu ihnen ermöglichen, sind sie auch nicht völlig "kontextfrei" und erlauben deshalb eine weitere Stufe der "Horizontverschmelzung" z.B. mit dem Titel der Dokumente oder mit den Kurzfassungen.

Im Falle eines auf der "natürlichen Sprache" basierenden Retrieval-Systems bilden zum einen das jeweilige Fachgebiet und zum anderen das tatsächlich gespeicherte und "invertierte" Textmaterial einen Horizont, der sich dem Fragenden unter Umständen nur allmählich als Gegenstand einer möglichen "Verschmelzung" anbietet, so daß wir am Anfang vor einem Grenzfall dieses Phänomens stehen und deshalb nur bedingt von "Horizontverschmelzung" sprechen können.[285]

Die Grenzen einer "Horizontverschmelzung" sind außerdem im Falle von bibliographischen Datenbasen offensichtlich: Literaturhinweise sind ein zu dürftiger Anhaltspunkt, als daß sie dem reichhaltigen Horizont des Fragenden entsprechen könnten. Sie können aber zugleich auf die Möglichkeit einer solchen Entsprechung aufmerksam machen und somit den dynamischen Vorgang der Horizontbildung unterstützen, beschleunigen, vereinfachen usw. 

Das Gelingen der unterschiedlichen "Horizontverschmelzungen" hängt natürlich im beträchtlichen Maße davon ab, ob der Fragende selbst den Online-Dialog durchführt oder ob ein anderer für ihn sucht bzw. fragt. Ein erfahrener "Searcher" aber,  der das System und die jeweilige Datenbasis kennt, kann u.U. eine notwendige vermittelnde Rolle einnehmen und tritt dabei als zusätzliche Interpretationsinstanz zwischen dem System und dem Fragenden ein. Der stattfindende Verstehensprozeß zwischen dem Fragenden und dem "Searcher" ist dann Gegenstand der allgemeinen Hermeneutik. Die hier beschriebene "ideale" Situation ist die des sich mit dem System auskennenden Fragenden, der selbst den Online-Dialog durchführt ("end user"). In der Praxis ist man heute häufig auf eine vermittelnde Instanz ("intermediary") angewiesen.[286]

b) Die "Search-and-Find"-Methode als ein hermeneutischer Prozeß 

Der Online-Dialog ist ein Suchprozeß, den ursprünglich der Fragende selbst durchführt und der somit stets auf seinen Fragehorizont bezogen bleibt. Das Fragen ist aber wiederum weder als "innerpsychischer Zustand" eines "Subjektes", noch als ein anonym auf ein "für sich bestehendes Fach" bezogen, zu deuten. Im ersten Fall lösen wir den Fragenden von der Fachgemeinschaft bzw. vom Miteinandersein ab, im zweiten hypostasieren wir Fachgebiete bzw. den Horizont einer Fachgemeinschaft.

Mit Recht kritisiert D.R. Swanson[287] die Vorstellung des Retrieval-Prozesses als eine bloß auf den Horizont eines Fachgebietes ("topic") bezogene Suche. Er vergleicht in diesem Zusammenhang das Information Retrieval mit dem (Popperschen) Modell der wissenschaftlichen Forschung als einen Prozeß von "Versuch-und-Irrtum" ("trial-and-error"). Kreative wissenschaftliche Forschung, erklärt Swanson, geht nicht von einem "Fachgebiet", sondern von einem "Problem" aus, d.h. es wird eine Vermutung (bzw. eine "Theorie") aufgestellt und auf ihren Wahrheitsgrad geprüft. Es handelt sich dabei um einen interaktiven bzw. rekursiven Prozeß.

Wir bemerkten schon, daß "Fachgebiet" und "Problem" nicht antagonistisch aufzufassen sind. Es wäre ebenso einseitig, sich "Probleme an sich", d.h. losgelöst von einem mit-geteilten "Fachgebiet" (im oben angedeuteten Sinne) vorzustellen. Swanson meint aber offenbar einen solchen Antagonismus nicht, sondern hebt den Bezug auf den Horizont des Fragenden hervor. Die Analogie zwischen der "trial-and-error"-Methode und dem Information Retrieval gründet darin, daß in beiden Fällen ein Fragender von einer von ihm bestimmten Frage (bzw. "Vermutung") ausgeht und die gefundenen  Antworten bzw. "Lösungen" nicht "absolut", sondern als Quelle neuen Fragens versteht. Damit ist der beiden Prozessen gemeinsame hermeneutische Charakter des Fragens angesprochen. Die Analogie kommt aber in verschiedener Hinsicht im Retrieval-Prozeß zu kurz. Wir sagten oben, daß das Ziel dieses Prozesses nicht die Prüfung der Wahrheit einer Aussage bzw. Theorie, sondern die Suche nach relevanten bzw. "nützlichen" Erkenntnissen ist. Der Fragende sucht mögliche im Hinblick auf seine Fragestellung relevante Erkenntnisse, wobei er nur Hinweise auf diese am Bildschirm unmittelbar zu sehen bekommt. Aber auch wenn er zugleich den Originaltext oder, im Falle von Faktendatenbasen, die gesuchte Angabe finden würde, wäre ein solcher Prozeß nicht dem einer automatisierten "ars inveniendi" gleichzusetzen. Im Falle der wissenschaftlichen Forschung geht es um "Wahrheit" und "Irrtum", freilich als ein offener Prozeß, ohne "absolute" Kriterien. In diesem engen Sinne von "Irrtum" bzw. "Fehler" kann aber beim Information Retrieval nicht gesprochen werden, da die Suche nach Literaturhinweisen nicht dazu führt (und sie ist auch nicht notwendigerweise im Hinblick darauf erfolgt) den Wahrheitsgehalt der Frage (oder den der Frageformulierung) zu bestätigen oder zu widerlegen.  

Außerdem stellt dieses Modell ein Ziel, nämlich das einer bestimmten Form wissenschaftlicher Forschung, in den Vordergrund, während es in Wahrheit, wenn wir z.B. an die berufliche Praxis denken, eine Vielfalt von Zielen für einen solche Suche geben kann. In diesem Sinne schränkt z.B. S.P. Harter dieses Modell als Analogon der Online-Suche ein.[288] Gefundene aber nicht relevante Literaturhinweise sind somit schwerlich als "Fehler" zu kennzeichnen und eine entsprechende Modifizierung der Frage (vielleicht zunächst und zumeist nur der Frageformulierung) bedeutet nicht, daß man ihren Wahrheitsgehalt testet. Der Begriff "Fehler" ist hier relativ zum Zweck und im Rahmen von Relevanz zu sehen. Wir werden im nächsten Abschnitt auf den Relevanzbegriff eingehen.

Der offene Charakter des Retrieval-Prozesses sowie sein Bezug auf den Horizont des Fragenden, der sein Vorverständnis ins Spiel bringt und dabei unterschiedliche Zwecke verfolgen kann, läßt sich demnach allgemein als ein hermeneutischer Prozeß deuten und dessen wiederkehrender und "stimulierender" Charakter als eine besondere Ausformung des "hermeneutischen Zirkels" erkennen. Da es sich hier um einen allgemeinen, d.h. in bezug auf verschiedene Motivationen offenen Prozeß des Suchens und Findens (von Hinweisen auf Erkenntnisse) handelt, soll nicht, wenn schon nach einer "Formel" gesucht wird, von "trial-and-error", sondern von "search-and-find" die Rede sein. Damit hat aber "das Gefundene" nicht die Funktion, den Suchprozeß abzuschließen, genauso wenig wie im Falle von "trial-and-error" die "Fehler" einen bloß negativen Charakter haben. Durch die gefundenen Hinweise sowie auch durch den Suchprozeß selbst, kann das Vorverständnis des Fragenden in vieler Hinsicht erweitert, bereichert, verändert werden und stellt sich somit als neue Grundlage für das weitere Suchen dar. Wir lernen nicht nur aus unseren "Fehlern", sondern auch aus unseren "Erfolgen".

Im Falle von bibliographischen Datenbasen ist der "Search-and-Find"-Prozeß nicht "heuristischer" (im Sinne der "ars inveniendi", sondern "heuretischer" (im Sinne der "ars quaerendi") Natur. Es geht dabei nicht primär um den Wahrheitsgehalt der "Antwort" auf die Frage, sondern um die Suche nach entsprechenden relevanten Dokumenten bzw. deren Hinweise, in denen möglicherweise eine Antwort zu finden ist, die wiederum Anlaß zu neuen Fragen geben kann.[289] Vor dem Hintergrund der eigentlichen Frage ("question") des Suchenden, d.h. eines "ASK-Zustandes" (Belkin), wozu sowohl der Bezug zu einem Fachgebiet ("specific topic") als auch die Thematisierung des fragwürdigen Sachverhaltes ("problem") gehört, geht es also bei der Online-Suche nicht bloß darum, die "beste bzw. "systemgerechteste" Frageformulierung ("query") aufzustellen ("best-match"-Prinzip), sondern um den Zusammenhang der Frageformulierungen und der "Antworten" des Systems mit dem Vorverständnis des Suchenden.[290] Die "Search-and-Find"-Methode besteht darin, das Gefundene stets in die Suche einzubeziehen, so daß die Suchstrategie, die Suchtaktik und unter Umständen die Suchziele selbst verändert bzw. beibehalten werden.

Es lassen sich eine Reihe von methodischen Schritten dieses Suchprozesses unterscheiden, wobei die Vorbereitungsphase von besonderer Bedeutung ist:[291]

1) Zur Vorbereitungsphase gehört die Analyse der Frage, z.B. durch eine (graphische) Darstellung der Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge, in die sie eingebettet ist (Liste der Begriffe und Fachgebiete, Hinweise auf relevante Publikationen, Angaben über den Umfang der Suche, zeitliche Einschränkungen usw.).
Im Hinblick auf die Suche selbst sind zu berücksichtigen:
Entscheidung über die Datenbasis (-en) und den entsprechenden Anbieter ("Host"),
Vorbereitung der Frage im Hinblick auf die Suche: Auswahl der möglichen Suchbegriffe und der "Suchtaktiken" bzw. "-strategien". Diese lassen sich nicht verallgemeinern, sondern hängen sowohl von der Frage als auch von der Struktur der Datenbasis ab.[292]

2) Die Durchführung der Suche selbst erfolgt mit Hilfe der Booleschen Operatoren AND, OR, und NOT, die eine Erweiterung bzw. Einengung der Fragestellung ermöglichen. Die üblichen "Befehle" ("commands"): "base", "display", "find", "show", "tab", "print" usw. (Abb. 14) bilden einen möglichen Rahmen der Interaktion mit dem System.


hermeneu14

Abb. 14: Kommandos der Common Command Language (CCL)

Entscheidend für eine erfolgreiche Suche ist, daß der Fragende die Bedingungen einer "Horizontverschmelzung" erfüllt: diese sind zum einen das Sichauskennen im Fachgebiet bzw. in der Fachsprache, und zum anderen die Beherrschung des Systems. Wer diese Bedingungen nicht erfüllt, tappt nur im Dunkeln herum, und wird durch "Versuch-und-Irrtum" wahrscheinlich nicht sehr weit kommen. Das größte Hindernis für eine erfolgreiche Online-Suche liegt aber vermutlich in der Unfähigkeit des Fragenden,  sein eigenes Vorverständnis stets zu revidieren bzw. offen zu halten. Deshalb nennt M. J. Bates, neben den unterschiedlichen "information search tactics" in bezug auf die verobjektivierten Vorverständnissen (z.B. Taktik der Suchformulierung, "Termini-Taktik2 usw.), auch eine "idea tactics", die den kreativen Denkprozeß des Suchenden betriff. [293]

Aber auch wenn die Bedingungen einer "idealen" Online-Gesprächssituation erfüllt sind, dürfte der von C. W. Cleverdon heran gezogene Vergleich des Vorgangs des Informationsabrufes mit einem vom Zufall bestimmten Prozeß nicht überraschen.[294] Dieser Vergleich hebt die Grenzen, die sowohl der Verobjektivierung von Vorverständnishorizonten (Thesauri, Fachklassifikationen, Abgrenzung einer Fachsprache, Indexierungsvorgang, unterschiedliche Aufbereitung durch das System usw.) als auch der Übereinstimmung zwischen zwei "das selbe Thema" Suchenden, zugrundeliegen, hervor. Letzteres bedeutet, daß diese "Selbigkeit" in bezug auf unterschiedliche Horizonte der Fragen und der Fragenden eine relative ist bzw. sein kann. Ferner zeigt dieser Vergleich, daß "Horizontverschmelzung" stets "Horizontabhebung" beinhaltet. Der Online-Dialog ist sowohl in seiner Durchführung als auch in seinem Ergebnis ein optimierbarer Prozeß, der, gemäß seiner hermeneutischen Struktur, einen Wahrscheinlichkeitscharakter hat. Eine solche Optimierung kann z.B. durch eine Methode des Gewichtens von Suchdeskriptoren[295] oder auch durch Suchhilfen, wie graphische Darstellungen, Wort- und Begriffsfelder, flexible Interaktionssprache usw. erreicht werden. Zweck dieser Optimierungen ist, den hermeneutischen Prozeß des Suchens und Findens von Erkenntnissen zu fördern. Der Vorläufigkeitscharakter des Information Retrieval entspricht den offenen Bezügen, in die der Suchende eingebettet ist. Diese betreffen, wie wir gesehen haben, sowohl die Struktur der Fachgemeinschaft bzw. des Miteinanderseins selbst, als auch die der vielfältigen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge, auf die das Mitgeteilt verweist bzw. verweisen kann. Das trifft natürlich auch für das Retrieval von Daten, Fakten usw. zu.

c) Die Frage nach der Relevanz des Retrievalergebnisses

Im Mittelpunkt des suchenden Fragens steht die Relevanz bzw. Nützlichkeit der Retrievalergebnisse. Es ist der Fragende selbst, der ursprünglich die Relevanzfrage stellt und beantwortet. Das Urteil des Nutzers ist aber, wie G. Salton mit Recht betont, für die Evaluierung des Informationssystems von entscheidender Bedeutung, wenn man davon ausgeht, daß Informationssysteme keinen Selbstzweck erfüllen, sondern ein Mitteilungsmodus der Fachgemeinschaft sind.[296] Von allen Paramatern, die bei der Bewertung eines Retrievalsystems eine Rolle spielen, ist die Frage nach der Relevanz der Ergebnisse die wohl entscheidenste. Obwohl hier von Retrievalergebnissen die Rede ist, liegen die im folgenden zu differenzierenden Ebenen dem Suchprozeß  selbst zugrunde, besonders wenn dieser vom Fragenden selbst, d.h. vom tatsächlichen Nutzer, durchgeführt wird, und wenn er diesen Prozeß durch die Zwischenbewertung der Literaturhinweise bestimmt.

Die Suche nach "objektiven" Bewertungs- bzw. Relevanzkriterien und die Tatsache, daß öfter Literaturrecherchen von einem Vermittler durchgeführt werden, geben zunächst Anlaß, die Relevanzfrage ohne Rücksicht auf den Nutzer zu stellen. Man spricht von "systemorientierter Bewertung"[297] oder von "objective view" (Salton), im Gegensatz zur "subjective view" bzw. "benutzerorientierten Bewertung". Die systemorientierte Bewertung berücksichtigt das Verhältnis zwischen dem thematischen Horizont der Frage und dem der gefundenen Literaturhinweise. Der Fragende kann sich aber auch auf dieser Ebene bewegen und lediglich auf die "topische Relevanz" (Swanson)[298] achten, ohne über die "problemspezifische" Relevanz zunächst zu entscheiden.

Zur systemorientierten Bewertung gehört auch der Vorgang des Vergleichs ("matching") z.B. zwischen der Suchformulierung und der betreffenden verobjektivierten Suchsprache. Man kann diese Ebene als eine Vorstufe betrachten und erst dann von Relevanz sprechen, wenn aufgrund der Ergebnisse des Vergleichsprozeses, der Fragende bzw. der Vermittler ein Urteil bezüglich der Zugehörigkeit der Literaturhinweise zur angesprochenen Thematik ausspricht. Wenn das System diese zweite Ebene als das entscheidende Relevanzkriterium ansieht und die tatsächliche Beurteilung des Nutzers ausklammert, kommt es zu der von Swanson, Harter, Möhr u.a. angesprochenen Verzerrung des Relevanzproblems. Die Relevanzebenen sind also wohl zu differenzieren, ohne sie aber gegeneinander auszuspielen.

Die benutzerorientierte Bewertung findet im Horizont eines erfolgreichen "matching" sowie einer bestimmten Thematik bzw. eines Fachgebietes statt. Das Verhältnis des Retrievalergebnisses zur spezifischen Einbettung der Frage ins Vorverständnis des Nutzers bildet die dritte Relevanzebene. Lancaster,[299] Salton[300] u.a. sprechen hier nicht von Relevanz, sondern von Pertinenz. Entscheidend ist dabei die Einsicht, daß die Pertinenz vom Horizont des Fragenden konstituiert wird.[301] Von der Pertinenz aus gesehen ist die "Objektivität" der Relevanz lediglich eine Abstraktion. Da wiederum das Ergebnis des Retrieval-Prozesses Literaturhinweise sind, gewinnt das Pertinenzurteil erst seinen vollen Gehalt, wenn die Dokumente selbst in die Betrachtung einbezogen werden, und wenn eine Aussage über deren tatsächliche Verwertung gemacht wird bzw. gemacht werden kann.

Zur Quantifizierung der Relevanz des Retrievalergebnisses verwendet man gewöhnlich zwei Parameter, nämlich die Rückgewinnungsquote oder "recall" und die Trefferquote oder "precision". Diese Parameter sollen jeweils folgende Verhältnisse zum Ausdruck bringen: (Abb. 15)

hermeneu15

Abb. 15: Herkömmliche Relevanzparameter

 
Diese Quoten sind in verschiedener Hinsicht problematisch.[302] Zunächst muß hervorgehoben werden, daß der Relevanzbegriff in diesen Parametern meistens undifferenziert bleibt bzw. lediglich im Sinne der (topischen) Relevanz und nicht der Pertinenz gebraucht wird. Ferner könnten diese Parameter auch im Hinblick auf die Vorstufe des "Vergleichs" ("matching") angewandt werden. Der Referenzrahmen ist dann jeweils: 
  • die Suchformulierung bzw. die Suchtaktik,
  • der thematische Horizont der Frage,
  • der konkrete Horizont des Fragenden.
Die Parameter  werden ferner in ihrer Aussagekraft eingeschränkt, wenn lediglich die Literaturhinweise als Grundlage der Relevanz bzw. Pertinenzentscheidung zugrunde gelegt werden. Die Zahl der in der Datenbasis nachgewiesenen relevanten (geschweige die der pertinenten) Dokumente läßt sich nur in einem Experiment feststellen, in dem man alle gespeicherten Dokumente überprüft. Pertinenzentscheidungen sind außerdem vom dynamischen und offenen Horizont des Fragenden abhängig: die Sicht eines Dokuments kann bereits die restlichen gefundenen Dokumente unter einem anderen Licht erscheinen lassen.[303] Außerdem ist die Quantifizierung pertinenter Dokumente wenig sinnvoll, da ihre Bedeutung sehr unterschiedlich sein kann, so daß ein gemeinsamer Nenner nur eine Nivellierung dieses Sachverhaltes bedeuten würde. Dementsprechend ist die Bildung von Quoten, zumal im Falle der Pertinenz sehr problematisch. Wenn man schließlich bedenkt, daß eine bibliographische Datenbasis eine Auswahl der Literatur eines Fachgebietes darstellt und daß sowohl bei ihrem Aufbau als auch bei der Suche die oben dargelegten hermeneutischen Momente von zentraler Bedeutung sind, dann dürfen auch die systemorientierten Relevanzquoten nur als grobe approximative Werte verstanden werden. Daß der Begriff des "nicht-relevanten Dokumentes" ("Ballast", "fall-out") auch entsprechend relativiert werden muß, ist offensichtlich. Salto nennt drei charakteristische Pertinenz-Parameter:
  • Die Neuigkeitsquote, d.h. das Verhältnis der gefundenen und, aus der Sicht des Nutzers, relevanten Dokumente zu den ihm davon unbekannten ("novelty ratio").
  • Das Verhältnis aller für den Nutzer relevanten gefundenen Dokumente zu den ihm bereits bekannten und relevanten ("coverage ratio").
  • Das Verhältnis aller vom Nutzer analysierten relevanten Dokumente, zu der Gesamtzahl relevanter Dokumente, die er gern hätte analysieren wollen ("sought recall").[304]

Das Neuigkeitsparameter, das auf den ersten Blick eindeutig erfaßbar erscheint, hat eine unterschiedliche Gewichtung, je nachdem in welchem Bedeutungszusammenhang das Neue gesehen wird. Auch im zweiten Fall mag es z.T. schwierig zu ermitteln und letztlich auch von geringer Bedeutung sein, wenn der Nutzer eine bestimmte Zahl der ihm bekannten und relevanten Dokumenten nennen soll. Die letzte Quote hat schließlich einen bloßen hypothetischen und z.T. willkürlichen Charakter.

Daß Pertinenz sich schwer quantifizieren läßt, bedeutet nicht, sie wäre nicht faßbar. Untersuchungsmethoden, die die qualitativen Komponenten dieses Phänomens berücksichtigen, sind hier nötig. Die zu ermittelnden Mengen werden dabei nicht zu "Richtwerten" nivelliert, sondern jeweils im qualitativ-inhaltlichen Bezug zum Nutzer, seinem Vorverständnis, seinem "wechselnden) Interessen- und Zielhorizont, zur jeweiligen Fachgemeinschaft und zum Fachgebiet usw. geprüft und beurteilt.[305] Der Verzicht auf Pertinenz-Untersuchungen zugunsten lediglich der systemorientierten Bewertungsmethoden, würde vermutlich zu einer Verfestigung der jetzigen Information-Retrieval-Systeme führen, anstatt sie stets an ihrem eigentlichen Sinn zu messen, um daraus neue Anstöße für eine weitere Entwicklung in den unterschiedlichen Ebenen zu erhalten.

Die Erörterung  der Relevanzfrage beim Information Retrieval kann als ein spezieller Fall einer allgemeinen Untersuchung des Grundphänomens der Relevanz im Sinne eines dauernden Vorganges, der in der Bildung und Infragestellung von individuellen und sozialen Vorverständnissen besteht. In diesem Zusammenhang sei auf die maßgeblichen phänomenologischen Analysen von A. Schütz hingewiesen.[306] Vor diesem Horizont verliert die Relevanzfrage einen vielleicht unterschwelligen "pragmatistischen" Charakter, der in Begriffen wie "Nutzer", "Zweck" usw. zum Ausdruck kommt. Die (mögliche) "pragmatische" Relevanz von in (bibliographischen) Datenbasen gespeicherten und durch "Search-and-Find" wiedergewonnenen Fachinformationen, sollte in bezug auf jenen umfassenden Sinn von "Praxis" verstanden werden, der sowohl das "theoretische" als auch das "praktische" Verhalten des Menschen umfaßt (vgl. II,2.c).


 
 
  
  

III.3. Das Information Retrieval als Beitrag zur Sozialisation der Fachinformation

Vorbemerkung  
a) Die Frage nach der Publizität der Fachinformation
b) Die Frage nach der Humanisierung des Technikeinsatzes
c) Die Frage nach den sozio-kulturellen Implikationen des Information Retrieval

Vorbemerkung

Ziel dieses Kapitels ist eine Erörterung des Beitrags des Information Retrieval, insbesondere in der Form der hier besprochenen Datenbasen, zur Sozialisation der Fachinformation. Diese Frage gehört zu einem größeren Fragekomplex, der mit dem Titel "Informatisierung der Gesellschaft" angedeutet werden kann.[307] Vermutlich sind die utopischen Vorstellungen eines Y. Masuda bezüglich der "information society" (oder "post-industral society" oder "computopia")[308] Phantasiewünsche, die sich bei ihrer Verwirklichung u.U. in ihr Gegenteil verwandeln können. Eine ausgewogenere Auffassung der "information society" scheint Daniel Bell zu vertreten.[309] Bell hebt dabei die besondere Bedeutung, die die wissenschaftlich-technische Information und ihrer Vermittlung durch Datenbasen und (internationale) Netzwerke, spielt, hervor. Er betont aber zugleich die "heuristische" Natur des Information Retrieval, die zum einen in der auf eine "ideale" Logik nicht reduzierbaren Ambivalenz der Sprache und zum anderen in der wechselnden Kontextualität des Wissens gründet. Der Begriff der "wissenschaftlich-technischen Information" ist aber, wie wir gesehen haben, in verschiedener Hinsicht zu eng, um das mit "Fachinformation" angesprochene Phänomen zu umfassen. Zum einen besteht die Gefahr einer methodologischen Einseitigkeit bei der Bestimmung des Wissenschaftsbegriffes. Zum anderen bleibt dieser Begriff einseitig an der wissenschaftlichen Forschung orientiert und vernachlässigt jenen Bereich der professionellen Praxis, der zum Kern der "Problem-orientierten Epoche" (vgl. I,2,b) gehört. Ein einschlägiger Kritiker der ungehemmten Computerisierung der Gesellschaft mit der dazugehörenden "Computergläubigkeit", die den Reichtum des menschlichen Verstehens bzw. Vorverstehens mit dem Maßstab des elektronischen Mediums messen will, ist J. Weizenbaum.[310] Daß er keine Dämonisierung dieser Technik meint, sondern vor ihrer Fetischisíerung warnt, kommt in seinen kritischen Fragen zum Ausdruck.[311] In diesem Sinne gehört der gesamte Fragekomplex zu einem internationalen und interkulturellen Gespräch, das bisher nur in Ansätzen geführt worden ist.[312] Die folgenden Ausführungen beschränken sich aber, wie oben gesagt, auf die Frage des Beitrags des Information Retrieval zur Sozialisation der Fachinformation.

Unserem hermeneutischen Ansatz entsprechend wird Fachinformation durch den fachlichen Mitteilungsprozeß einer Fachgemeinschaft in bezug auf die jeweils thematisierten Sachverhalte konstituiert. Wir sahen, daß Fachkommunikation sich auf vielfältiger Weise vollzieht und ihren Sinn aus der Struktur der gemeinsam mit-geteilten Weltoffenheit erhält. Wir ließen die Frage offen, inwiefern die elektronische Vermittlung von Fachinformation insbesondere in der Gestalt des Information Retrieval zur Erhaltung der prinzipiellen Publizität der Fachinformation beitragen kann (vgl. II,3.c) Diese Frage gewinnt besondere Bedeutung, wenn man die unterschiedlichen sozialen Bereiche, in denen Fachinformation eine Rolle spielt, bedenkt. Diese gehen von der Sicherheit über Beschäftigung, Industrie, Wirtschaft bis hin zur Ökologie und Sozialplanung.[313] Die inhaltliche Behandlung der hiermit zusammenhängenden Fragen sprengt die Grenzen dieser Arbeit. Über die jeweiligen spezifischen Unterschiede hinaus lassen sich aber drei Problembereiche erkennen, die für die Erörterung des sozialen Auftrags des Information Retrieval entscheidend sind, nämlich:

a) die Frage nach der Publizität der Fachinformation,
b) die Frage nach der Humanisierung des Technikeinsatzes, besonders im Hinblick auf künftige Entwicklungen,
c) die Frage nach den sozio-kulturellen Implikationen des Information Retrieval.[314]

Diese Frage gehören zu einer bisher nur in Ansätzen vorhandenen Ethik der Fachinformation, d.h. sie "umkreisen" die Frage nach der Weltoffenheit, in der sich jene Dimension unseres Miteinanderseins ereignet, der wir stets überantwortet bleiben. [315]

 

a) Die Frage nach der Publizität der Fachinformation

Die Einsicht in die bedrohte Publizität der Fachinformation entfaltete sich zuerst, wie oben dargelegt, im wissenschaftlichen Bereich (I.2.b). Das Information Retrieval, insbesondere in der Form von bibliographischen Datenbasen, kann dabei als ein Versuch angesehen werden, um mit der "Literaturflut" bzw. der "Informationskrise" fertig zu werden. Es handelt sich zunächst um einen Beitrag, der den Sinn des Vorganges der Publikation erhalten bzw. ausweiten soll. Es ist aber insofern keine "radikale" Lösung, als das komplexe Problem des "Erkenntniswachstums" mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen in den einzelnen Fachgebieten dadurch überschaubarer aber nicht gelöst wird.
"Informationssysteme", schreibt Henrichs, "sollten sein Instrumente der Konstitution zwischenmenschlicher Kommunikation bzw. Instrumente der Störungskompensation zwischenmenschlicher Kommunikation. Nur von hierher lassen sie sich allein rechtfertigen. Diese Zielsetzung erfordert ein Nachdenken über Rollen im Informations- bzw. Kommunikationsgeschehen, und auch hier bedarf es wohl der Entwicklung von Kriterien, nämlich von Verhaltenskriterien. Was fehlt, ist eine normative Informationsanthropologie, eine Informationsethik."[316]
Diese Zielsetzung ist ferner in zweifacher Hinsicht zu begrenzen. Zum einen stellen bibliographische Datenbasen Teile des menschlichen Wissens, und meistens in Form von Hinweisen, zur Verfügung, und man würde sicherlich in die "Mythologie" verfallen, wenn man an eine "totale Information" dächte. Es gibt dementsprechend auch keine "totale Bibliothek".

Nicht nur Schriften, sondern auch Datenbasen bedürfen außerdem, wie die Hermeneutik lehrt, des lebendigen Vorgangs der Interpretation und der Applikation. Zum anderen sind Datenbasen eine Möglichkeit zwischenmenschlicher Kommunikation. Der Beitrag des Information Retrieval zu diesem Kommunikationsprozeß betrifft zunächst die Fachgemeinschaft(en) selbst. Aufgrund des Spezialisierungs- prozesses in den Wissenschaften sowie der Professionalisierung gesellschaftlicher Handlungsbereiche soll das Information Retrieval:

den Informationsprozeß in den einzelnen Fachgebieten,
den interdisziplinären Informationsprozeß,
den Informationsprozeß in der beruflichen Praxis   
und schließlich den gegenseitigen Informationsaustausch zwischen Wissenschaft und Praxis effektiv mitzugestalten helfen.

Sozialisation der Fachinformation bedeutet die Wiederherstellung des ursprünglichen Sinnes des Veröffentlichungsvorganges, nämlich die Mitteilung der fachlichen Bedeutungsgehalte in einer Form, daß diejenigen, die davon "Nutzen" ziehen sollten, auch davon Kenntnis nehmen können. Das Information Retrieval ermöglicht, daß diese Publizität, die "de facto" fachlich, geographisch usw. eingeschränkt bleiben könnte, erweitert und auch in Zusammenhang mit unterschiedlichen Wissens- und Handlungszielen gebracht werden kann. G. Rózsa hat auf das Spannungsverhältnis zwischen dem Forschungs- und dem Informationsprozeß hingewiesen.[317] Diese zum Teil paradoxen Verhältnisse, wie z.B.:
zwischen der Forschung in einem bestimmten Fachgebiet und der möglichen Relevanz eines unbestimmten (und unstrukturierten) Potentials and Forschungsergebnisse,
zwischen der Wissensakkumulation und ihrer relativ geringen produktiven Nutzung,
zwischen dem exponentiellen Zuwachs an Veröffentlichungen und der "Kurzlebigkeit" ihrer Inhalte,
das Paradoxon zwischen der zunehmenden Differenzierung von wissenschaftlichen Fachbereichen und ihrer gegenseitigen Durchdringung,
die Spannung zwischen dem sozialen Wissensbedarf und der Komplexität wissenschaftlicher Erkenntnisse,
der Kontrast zwischen dem Informationsangebot und seiner geringen Nutzung,
die Schwierigkeiten beim Zugang zu den Originalveröffentlichungen und die Rolle der Informationsvermittlung,
die mangelhafte Durchdringung zwischen der Forschungssystematik und der Dokumentationsmethodik,
die Institutionalisierung des Informationsprozesses und die Interdependenz mit dem Forschungsprozeß,
und schließlich die Notwendigkeit von theoretischer Forschung und praktischer Tätigkeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Information und ihre erst beginnende Entwicklung gelten auch für den Bereich der beruflichen Praxis. Das Information Retrieval kann ein entscheidendes Instrument zum Abbau solcher Kommunikationsstörungen darstellen. Die Entwicklung auf diesem Gebiet im letzten Jahrzehnt, man denke z.B. an das steigende Angebot an Datenbasen und ihre Nutzung, and die Speicherung von Volltexten, an die Entwicklung von "Expertensystemen", an die wachsende Durchdringung des Informationsangebotes für die wissenschaftliche Forschung und die berufliche Praxis usw. steigt, daß der Beitrag des Information Retrieval erkannt und anerkannt wird.[318]

Diese Publizität bedeutet aber mehr als nur die Zugänglichkeit der Fachinformation zu der sie konstitutierenden Fachgemeinchaft(en). Sowenig diese "atomistisch", d.h. getrennt von der gemeinsam mit-geteilten Weltoffenheit aufgefaßt werden darf, sowenig darf auch die "Öffentlichkeit" der Fachinformation lediglich im Sinne der "Fachöffentlichkeit" aufgefaßt werden. Bürgerbezogene Fachkommunikation bedeutet, wie wir oben sahen (vgl. II,3,c) einen Teil der Verwirklichung des Grundrechtes auf Meinungs- und Informationsfreiheit. Inwiefern stell das Information Retrieval hierzu nicht nur eine Chance, sondern vielleicht eine Gefahr dar?

"Das Recht auf Information", schreibt K. Lenk, "reduziert sich auf das Recht, die anderen freiwillig und zudem meist in ihrem Interesse gegebenen Informationen aufnehmen zu dürfen. Unmittelbar läßt sich daher aus dem Grundrecht der Informationsfreiheit keine Verpflichtung herleiten, bei gegebenen technischen Möglichkeiten und gegebener Notwendigkeit besserer Informationsversorgung den Kreis des Öffentlichen weiter fasse. Etwas anderes muß aber gelten, wenn ein Großteil der Fachinformation nicht mehr öffentlich zugänglich wäre, sondern nur noch in restringierten Zirkeln kursierte. Wenn derartige Restriktionen der Informationsverbreitung quantitativ und qualitativ ein bestimmtes Maß überschritten, so wäre der Mindeststandard an Information als Voraussetzung freier Selbstbestimmung und Verwirklichung des Demokratieprinzips verfehlt. Diese Gefahr ist mit dem zunehmenden Einsatz elektronischer Medien durchaus gegeben."[319]

Diese Gefahr wüchst zum einen aus der Technizität des Mediums gegenüber z.B. der "Demokratie des gedruckten Wortes",[320] zum anderen aus der Möglichkeit einer Unterwerfung dieser Technik unter den Mechanismus des Marktes. Auf die Frage nach der Humanisierung des Technikeinsatzes werden wir im Nächsten Abschnitt eingehen. Ein bezug auf beide Gefahren ist Lenk zuzustimmen, daß die öffentlichen Bibliotheken (im weiten Sinne des Wortes) "als Sicherungsnetze für grundrechtliche Mindeststandards der Fachkommunikation" wirken sollen.[321] Neben dem Aufbewahrungs- und Bereitstellungsauftrag können Bibliotheken auch die Funktion der Informationsvermittlung übernehmen und somit auch zur Verwirklichung des politischen Prinzips der "Chancengleichheit" beitragen.[322] Fachinformation kann somit zu "einer Sache des Bürgers" werden, z.B. im Hinblick auf seine Aufklärung im Prozeß der Meinungsbildung. Hier sind auch computergestützte Verfahren zu entwickeln, welche die "Umsetzung von Spezialistenwissen in Information für den interessierten Bürger" ermöglichen.[323] In diesem Zusammenhang sind z.B. jene "databases for everyman",[324] zu erwähnen, die bereits heute angeboten werden, und die den "Alltagsbedürfnissen" entsprechen sollen. Zum Teil eignen sich auch dafür ausgewählte Ausschnitte aus fachlichen Datenbasen, die möglicherweise von einem nicht-fachlichen Vorverständnis aus, zumindest teilweise, verstehbar sind. Auch wenn zur Zeit diese Durchdringung von fachlichen Datenbasen und Alltagsinformation sich noch in den Anfängen befindet (und so lange bleibt das Wort von der "information society" eine z.T. leere Hülse), handelt es sich um ein Feld, dessen Bedeutung immer mehr erkannt wird.[325]

b) Die Frage nach der Humanisierung des Technikeinsatzes

Das "Moorsche Gesetz" besagt, daß Information Retrieval Systeme dann weniger benutzt werden, wenn es für den Nutzer mühsamer und beschwerlicher ist, aus ihnen Information zu bekommen, als sie nicht zu bekommen.[326] Das ist um so mehr der Fall, als in vielen Fachbereichen, zumal der berufsbezogene Praxis, "informelle Kommunikationsformen" (Kontakt mit Kollegen, eigene Dateien usw.) als aktueller und "pertinenter" erachtet werden als z.B. der Besuch einer Bibliothek oder die Nutzung einer Datenbasis. Sozialisierung der Fachinformation im Sinne der Humanisierung des Technikeinsatzes läßt sich in zweifacher Hinsicht erörtern, nämlich im Hinblick auf den Menschen, insofern er sich das Information Retrieval als eine Mitteilungsmöglichkeit "einverleibt", und im Hinblick auf diese Technik selbst, insofern hier weitere Entwicklungen möglich sind, wodurch kommunikationshemmende Barrieren abgebaut werden können.

Zum ersten Aspekt muß zunächst bemerkt werden, daß das Information Retrieval vor dem Hintergrund einer "Technosphäre", bzw. eingebettet in eine "technische Kultur" zu sehen ist. Es ist diese technisierte Umwelt, die eine "Einverleibung" dieser Technik erst möglich macht. Durch einen solchen Bezug, D. Ihde spricht von "embodiement relations"[327] kann z.B. das Information Retrieval unseren Erfahrungshorizont erweitern, indem etwa in kurzer Zeit der gezielte Zugriff auf Milliionen von Literaturhinweisen (bzw. Daten und Fakten aller Art bis hin zu den "Antworten" der Expertensysteme) möglich ist. In Analogie zum Mikroskop können wir sagen, daß der Computer hier etwas sehen läßt, was "mit dem bloßen Augen" nicht (oder nur sehr schwer) zu sehen wäre. Daß dieses "Sehen" wiederum eine eigene "Opazität" bzw. Unschärfe aufweist, wurde oben gesagt. Es ist aber die Frage, in welcher Form eine solche Einverleibung stattfinden kann.

Eine andere Analogie drängt sich auf, nämlich die des Überganges von einer Kultur, in der die mündliche Tradition herrschte, zu einer Schriftkultur. Der englische Ausdruck "computer literacy" bringt diese Fragestellung zum Ausdruck.[328] Bewegen wir uns aber in Richtung einer "papierlosen Gesellschaft"[329] Nichts scheint einer solchen Vorstellung ferner als die gegenwärtigen bibliographischen Datenbasen, die auf Gedrucktes hinweisen. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, daß in verschiedenen Hinsicht das elektronische Medium vieles, was heute gedruckt wird, u.U. ersetzen kann. Lancaster sieht eine solche Entwicklung im Bereich wissenschaftlicher Zeitschriften voraus.[330] Wir würden uns aber m.E. selbst eine Falle bauen, würden wir einen Gegensatz zwischen z.B. dem "Buch" und dem "Computer" konstruieren. Man hat auch das Ende der Presse in Zusammenhang mit den ersten Rundfunkübertragungen vorausgesagt. Wenn das elektronische Medium Möglichkeiten bietet, die das Gedruckte nicht bieten kann, dann heißt das wiederum nicht, daß die jeweiligen Eigenschaften nivelliert werden könnten oder sollten.

Computernetze werden vermutlich einen wichtigen Bestandteil der Interaktion zwischen dem Nutzer bzw. dem "Leser" und den Bibliotheken darstellen.[331] Daß das "elektronische Publizieren" nicht nur wirtschaftliche und urheberrechtliche Probleme, sondern auch Manipulationsgefahren und somit eine Gefährdung der Sozialisation der Fachinformation mit sich bringen kann, soll nicht verschwiegen werden.[332] Hier dürfte man auch die Ansätze bezüglich der Humanisierung des Technikeinsatzes suchen. Solche Ansätze sind z.B. in der Verbindung von "papierlosen Informationssystemen" und "personal computers" zu finden, die dem Nutzer die Möglichkeit bietet, dezentral Fachinformation zu speichern und sie auch gegebenenfalls zu drucken. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, daß die Speicherung von "Volltexten" die herkömmlichen" bibliographischen Datenbasen keineswegs überflüssig macht, sondern diese eher in ihrem Sinn als Suchinstrument ergänzt und vollendet. Die Humanisierung des Technikeinsatzes betrifft aber auch den Prozeß des Aufbaus von Datenbasen. Hier sind vor allem Entwicklungen bei der automatischen Dokumenteneingabe, bei der automatischen Indexierung und Klassifizierung (vielleicht auch beim Referieren) und bei der optischen Speicherung zu erwarten.[333]

Der noch sehr formalisierte "Online-Dialog" soll sowohl im Zusammenhang mit Formulierungsmöglichkeiten in "natürlicher Sprache" als auch im Hinblick auf die "Lernfähgikeit" des System weiterentwickelt werden.

"Heutige Informationssysteme", schreibt K. Ganzhorn, "verlangen teilweise noch perfekte Befehls- und Abfrage-Information. Nicht einmal eine Leerstelle am falschen Platz oder ein falsch gesetztes Komma wird manchmal toleriert, sondern mit eisigem Schweigen gerügt. Demgegenüber sind menschliche Sprache und Ausdrucksweise stets imperfekt und redundant zugleich. Unser Gehirn hat aber weitreichende assoziative Fähigkeiten, um aus imperfekter und gleichzeitig redundanter Information die richtigen Bedeutungen mit Hilfe von Bezügen zum Hintergrundwissen abzuleiten. [...] Dabei gelangt der Informatiker unversehens tief hinein in linguistische Probleme. Aber auch das Einbeziehen von Erkennungslogik, Verhaltensmustern und Lernpfaden wird noch keine volle Humanität der Systemeigenschaften bringen. So etwas wird allenfalls denkbar, wenn Systemprogramme in die Lage versetzt werden, ihre eigene Betriebsgeschichte als Erfahrung zu speichern und daraus für jeden Nutzer spezifische Adaptierungen des Dialog-Betriebs abzuleiten. Doch damit wären wir bereits bei lernfähigen Systemen."[334]

Nicht nur in linguistische, sondern auch, und vor allem in
hermeneutische Probleme gelangt der Informatiker (und der Informationswissenschaftler) auf dem Weg zur Humanisierung des Technikeinsatzes beim Information Retrieval. Die "Einverleibung" des Information Retrieval bedeutet aber zuvor und vor allem eine Integration dieser Technik im Zusammenhang mit den sonstigen reichhaltigen zwischenmenschlichen Mitteilungsformen. Bibliographische, aber auch andere Arten von Datenbasen, sollen stets eine Form der Verwirklichung der "Fachöffentlichkeit" und mit ihr auch Öffentlichkeit darstellen. Wenn sie nicht vor dem offenen Horizont des (und der) Fragenden, worauf sie konstitutiv bezogen bleiben, gesehen und gestaltet werden, würde anstatt eines Humanisierungsprozesses eine Hypostasierung statfinden, wodurch die bereits vollzogene "kopernikanische Wende" in diesem Bereich "ad absurdum" geführt wäre. Diese Integration, die sowohl den Einzelnen als auch das Miteinandersein betrifft, hat somit nicht lediglich den Wissenshorizont, sondern auch den "praktischen"  Lebenshorizont zu berücksichtigen. Das Information Retrieval soll uns ferner von den jeweiligen vielfältigen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen aus fragen helfen, d.h. jenen gemeinsamen Prozeß des Denkens und Mitteilens vollziehen, der stets seinen Ursprung in den uns ansprechenden Dingen selbst hat. Gerade ein technologisch hochentwickeltes Informations- und Kommunikationssystem muß, wie Wersig mit Recht betont, "in eine entsprechende Orientierung auf den menschlichen Faktor hin eingesetzt und mit diesem in eine bedürfnisgerechte Symbiose gebracht werden".[335]

Die aufgrund des technischen Einsatzes gesteigerten menschlichen Funktionen müssen stets von ihrem ursprünglichen Sinnzusammenhang her reflektiert bzw. kritisch bewertet werden. In unserem Fall umfaßt ein solcher Sinnzusammenhang sowohl den Prozeß der Fachkommunikation als auch den uns allen gemeinsam Mitteilungsprozeß, dessen durch Herrschaft und Gewalt bedrohte Vielfalt, wie Hannah Arendt bemerkte, geschützt werden muß, soll unsere mit-geteilte Welt als "human" bezeichnet werden dürfen (vgl. II.2.b)

c) Die Frage nach den sozio-kulturellen Implikationen des Information Retrieval 

Das Phänomen der Technik steht im Mittelpunkt der gegenwärtigen kulturphilosophischen Reflexion.[336] Zum Paradigma einer technischen Kultur gehört auch die technische Ausformung der Fachkommunikation z.B. in der Form des Information Retrieval. Das Information Retrieval scheint also zunächst eine spezifische Form technischer Kulturen zur Lösung ihrer informationellen Probleme zu sein. Zugleicht ermöglicht aber diese Technik eine neue Form der Erhaltung der Publizität von Fachinformation und versteht sich dabei, von ihrem Ansatz her, als eine universelles Instrument dafür. Dieser Anspruch gilt auch für die Fachinformation selbst. In diesem Sinne stellt die von der UNESCO veranstaltete UNISIST-Konferenz fest, daß "wissenschaftliche und technologische, zusammen mit ökonomischer, sozialer und kultureller Information, einen gemeinsamen Besitz der Menschheit" darstellt.[337] Dieser Auffassung entspricht das internationale Selbstverständnis von Fachinformation in der Gegenwart (vgl. I,2,b), und sie kommt zum Ausdruck zum einen in den international erstellten Datenbasen, wie z.B. INIS ("International Nuclear Information System") oder AGRIS ("Agricultural Information System"), und zum anderen in der weltweiten Abdeckung der Literatur eines Fachgebietes. Diese Internationalität gilt aber vor allem im Hinblick auf die Zugänglichkeit zu den Datenbasen mittels Netzwerken. Man spricht von einem internationalen, und man könnte auch sagen "transkulturellen" Informationsfluß ("flow of information"). Von dieser Sicht aus stellt sich die Frage, wie sogenannte "Informationsbarrieren" unterschiedlicher Art abgebaut bzw. (technisch) "überwunden" werden können. Es handelt sich einmal um die "Sprachbarriere", d.h. zum Beispiel nicht nur, daß die erfaßte Literatur in verschiedenen Sprachen geschrieben ist, sondern daß die jeweilige Suchsprache eine vom Suchenden nicht beherrschte Sprache sein kann. Andere "Barrieren" betreffen z.B. die Inhalte der Datenbasen in bezug auf fachliche Abgrenzung, Auswahl der Quellen, Zeitspanne und Aktualität. Wieder andere beziehen sich auf ökonomische und (informations-) politische Bedingungen.[338] Wir haben also Internationalität bzw. prinzipielle Publizität der Fachinformation auf der einen und faktische Einschränkungen auf der anderen Seite.

Diese Auffassung ist korrekt und gerechtfertigt. Sie entspricht auch, so könnte man meinen, jenem Grundzug des Mensch-seins, den wir "das Miteinandersein in einer gemeinsamen Welt" genannt haben. Wir sagen aber auch, daß dieses Miteinandersein zugleich und im Hinblick auf die uns ansprechenden Dinge sich in einer Vielfalt von Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen ausdrückt, die wir uns jeweils gegenseitig mitteilen können bzw. wollen. Wir nennen den Zusammenhang von Sprache, sozialen Gebräuchen, Religionen, ökonomischen und politischen Strukturen, gesetzlichen Vorschriften, wissenschaftlichen Haltungen und Traditionen, technischen Fertigkeiten usw. Kultur. So ist auch das Information Retrieval im Gefüge einer technischen Kultur eingebettet. Es wäre dementsprechend eine einseitige bzw. abstrakte Betrachtung der Fachinformationen selbst, würden wir sie nur im Hinblick auf ihre (potentielle) Universalität und nicht zugleich in ihrer kulturellen Dimension verstehen. Diese Dimension bestrifft, wie M. J. Menou bemerkt,[339] nicht nur die technische Vermittlung der Fachinformation, sondern auch ihre Entstehung und ihre Nutzung. So sind z.B. die jeweiligen Fachgemeinschaften sowohl in den technischen als auch in den vorwiegend agrarischen Kulturen durch unterschiedliche sozio-ökonomische Bedingungen bestimmt. Die thematisierten Sachverhalte haben einen u.U. unmittelbaren Bezug zum sozio-kulturellen Vorverständnishorizont, von von aus bestimmte Frage gestellt werden. Auch die Art der benötigten Fachinformation, ob z.B. mehr wissenschaftlich-technische zu Forschungszwecken oder praxis-bezogene, hängt vom kulturellen Zusammenhang ab. Das bedeutet natürlich nicht, daß die durch andere Kulturen hervorgebrachten Fachinformationen grundsätzlich ungeeignet wäre, die heimischen Probleme zu lösen. Es heißt aber, daß die heimischen Informationsquellen, die unter Umständen in den bisher erstellten bzw. angebotenen Datenbasen nicht aufgenommen werden, berücksichtigt werden, und die "fremden" Quellen kulturell "einverleibt" werden müssen.

Vor einem solchen kulturellen Vorverständnishorizont ist die oben angesprochene Relevanz/Pertinenz-Problematik, z.B. im Hinblick auf eine nationale Informationspolitik, neu zu durchdenken. Als Technik der Informationsvermittlung stößt das Information Retrieval auch auf kulturelle Grenzen. So wäre es z.B. in einem Land "wo alles fehlt", zunächst fehlt am Platz. Das kann bereits mit einem mangelhaften Telefonnetz anfangen. Zugleich aber, wie wir gesehen haben, biett das Information Retrieval die Möglichkeit eines vom kulturellen Vorverständnis des Fragenden bedingten Zugriffs. Diese Möglichkeit könnte sich freilich als ein Zeichen kultureller Entfremdung herausstellen, wenn z.B. ein Land seine eigenen Informationsquellen nicht miterfassen und -anbieten würde. Das daraus entstehende Abhängigkeitsverhältnis gilt nicht nur für die Beziehung zwischen "armen" und "reichen" Ländern, sondern auch zwischen den unterschiedlichen technischen Kulturen selbst.[340] Aber auch innerhalb eines Landes spielen gruppenspezifische Traditionen, zumal bei der Auslegung und Anwendung von Fachinformationen, eine nicht zu unterschätzende Rolle. [341]

Das Information Retrieval kann also gegenüber den technologisch "unterentwickelten" Ländern ein Instrument des "Informationskolonialismus" darstellen. Es kann aber auch eine Chance zur Wahrung ihrer kulturellen Identität und zur "interkulturellen" (und nicht nur "transkulturellen") Kommunikation sein, vorausgesetzt, daß die Produktion, Vermittlung und Nutzung der Fachinformationen nicht in Form einer "Einbahnstraße" stattfindet. Weder Isolation noch Entfremdung sind auch im Falle des Information Retrieval gangbare Wege zur Wahrung der informatorischen Vielfalt. Diese kann z.B. durch Interaktion und Interdependenz beim Aufbau sowie bei der Vermittlung und Nutzung von Datenbasen aller Art erreicht werden.[342] Das setzt wiederum voraus, daß man sich der kulturellen Dimension der Fachinformation bewußt wird und daß man dieses Vorverständnis nicht zum Zwecke eines chauvinistischen Nationalismus einsetzt, sondern zur Verwirklichung einer kommunikativen Gesellschaft, in der die jeweiligen kulturellen Eigenständigkeiten nicht so sehr als "Barrieren", sondern als Bedingungen einer vielfältigen, d.h. humanen mit-geteilten Welt verstanden werden.[343] Von der Fachinformation zur "Informationskultur"?[344]

 

 
  
  

AUSBLICK


Das Information Retrieval stellt in seiner gegenwärtig vorherrschenden Form ein Instrument, und das war der Ausgangspunkt dieser Untersuchungen, zur Verarbeitung, Speicherung, Wiederfindung und Verbreitung von Fachinformationen dar. Daß es aber mehr heißen kann, zeigen bereits die sogenannten "Expertensysteme" bzw. die Forschung im Bereich der "künstlichen Intelligenz". Nachdem der Mensch vom Mittelpunkt des Kosmos verbannt wurde und seiner scheinbar privilegierte Abkunft im Naturprozeß aufgeben mußte, scheint jetzt eine neue "Revolution der Denkart" in bezug auf jene "Eigenschaft", nämlich die "Rationalität", die als unsere besondere Auszeichnung gedeutet worden ist, bevorzustehen. Diese Selbstinfragestellung des Menschen oder einer bestimmten Deutung seiner selbst ist somit nicht nur eine Herausforderung für den wissenschaftlich forschenden bzw. technisch-künstlerisch erfindenden Menschen, sondern zugleich für den über den Sinn seiner selbst und der Welt Fragenden und dabei sich um die Bildung einessneuen Verstehens Bemühenden. Die Philosophie, und insbesondere die Hermeneutik, müssen sich, so meine ich, dieser Herausforderung stellen.[345]

Es ist zu vermuten, daß der Bereich der Fachinformation im hier vorgelegten Sinne ein zentrales Feld der "künstlichen-Intelligenz- Forschung" darstellen wird. Es steht hierbei weniger um die Problematik einer mechanistischen Interpretation des Menschen, etwa im Sinne von La Mettries "l'homme machine",[346] als vielmehr um die Frage nach den Verobjektivierungsmöglichkeiten menschlicher Vorgänge. Damit ist aber ebenso wenig der Homunkulus, wie bei der Chemie der Stein der Weisen gemeint. Und dennoch ist vielleicht die Vorstellung einer nicht nur rechnenden, sondern auch  "denkenden" Maschine etwas, was unser Selbstverständnis als "animal rationale" fragwürdig macht.[347]

Vor diesem Hintergrund erscheinen "Wiederbelebungsversuche", seien sie "philosophischer" oder wissenschaftlicher Art, wodurch z.B. "Gehirn" und "Geist" (oder "Bewußsein", "Psyche", "Seele" usw.) dualistisch gegenüber gestellt werden, um dadurch z.B. einer "physikalistischen" oder "materialistischen" oder "energetischen" Interpretation des Menschen zu entgehen, besonders widersinnig, zumal wenn der Mensch innerhalb eines solchen "Gehäuses" seine "Identität" wiederfinden soll. Stattdessen könnte die Philosophie eine kapselartige Vorstellung des Menschen in Frage stellen, sie könnte bestimmte begriffliche "Vorurteile", die, sei es in der Biologie oder Psychologie oder eben auch in der "künstlichen-Intelligenz-Forschung", Anlaß zu Scheinproblemen geben, in Frage stellen, und sie könnte dabei zugleich auf irreführende Analogieschlüsse, die sich bei der Ontologisierung eines (z.B. kybernetischen) Modells des Menschen bzw. seiner "Intelligenz" (oder "Rationalität") ergeben, hinweisen.

Die wissenschaftliche Forschung im Bereich der "künstlichen Intelligenz" öffnet wiederum der Philosophie und insbesondere der Hermeneutik neue Fragestellungen, indem sie nicht nur ehrwürdige "Paradigmen" revolutioniert, sondern auch indem sie neue instrument-bedingte Verobjektivierungsformen des menschlichen Verstehens schafft und stets über die bisherigen Grenzen seiner Reflexionsgegenstände hinausweist. So erweitert der Mensch auf instrumentalem Wege sein Selbstverständnis. Währen in anderen Bereichen, etwa der körperlichen Arbeit oder der räumliche Fortbewegung, eine solche Erweiterung inzwischen selbstverständlich geworden ist, scheint sie im "geistigen" Bereich Ängste bzw. Phantasievorstellungen hervorzurufen, die nicht zuletzt in unserer bisherigen Selbstinterpretation ihre Wurzeln haben. Nur weil zuvor etwa die "Rationalität" dem Menschen "wesensmäßig" zugesprochen wird, kann sich das "Problem" einer "denkenden Maschine" stellen, die dem Menschen jenen Auftrag der Aufklärung, selbst zu denken, streitig zu machen scheint.

Es liegt hier natürlich nahe zu fragen: was heißt denken? Genauso wie es nahe liegt zu fragen, was Intelligenz oder Rationalität oder Verstehen heißt. Wenn man solche Fragen nicht primär im Sinne einer Definition zu beantworten versucht, sondern auf die Möglichkeiten achtet, worauf diese Begriffe hingewiesen haben bzw. hinweisen können, dann kann die Philosophie den Wissenschaften zu einer Krisis ihrer Grundbegriffe verhelfen (!) und dabei wie Heidegger (Sein und Zeit, § 3) sagt, nicht nur eine "nachhinkende", sondern vor allem eine "produktive Logik" zur Verfügung stellen, die die mögliche Tragweite des jeweiligen Fragens zu ermessen versucht. Es erübrigt sich fast zu sagen, daß solche Versuche, sofern die auf Möglichkeiten hinweisen, vorläufig sind. Nicht nur das Information Retrieval in seinen bereits vorhandenen vielfältigen Formen, sondern auch jene es umfassenden Forschungsbereiche, wie etwa die Informatik, die Informationswissenschaft und die "künstliche-Intelligenz-Forschung", stellen in verschiedener Hinsicht eine Herausforderung des bisherigen hermeneutischen Denkens dar, bzw. die können seitens der Hermeneutik auf ihre Ansätze hin befragt werden. Die hier vorgelegte Hermeneutik der Fachinformation und die beispielhafte Darstellung einer Hermeneutik des Information Retrieval sollten die Möglichkeit einer solchen gegenseitigen Befruchtung von Wissenschaft, Technik und Philosophie zum Ausdruck bringen.

In diesem Zusammenhang sollte daran erinnert werden, daß die Philosophie, indem sie auf die Fragwürdigkeit wissenschaftlicher Grundbegriffe und Modelle hinweist, zugleich das Fragen erschwert, da sie keine fertigen Rezepte liefern kann. Sie kann aber, um es erneut zu sagen, auf bestimmte von einer überlieferten Begrifflichkeit verdeckte bzw. verzerrte Dimensionen einer Fragestellung aufmerksam machen, um somit Möglichkeiten durchscheinen zu lassen. Daß sie sich dabei, von den Wissenschaften aus gesehen, "im Kreise" zu bewegen scheint, dürfte dem mit dem hermeneutischen Denken vertrauten Leser als geradezu mögliches Zeichen vorkommen, daß eine "kritische", d.h. ihr Vorverständnis aufs Spiel setzende Reflexionsbewegung stattfindet.

Hermeneutik bedeutet aber nicht nur, wie wir gesehen haben, die Möglichkeit einer wissenschafts- bzw. erkenntnistheoretischen Reflexion, sondern auch einer Reflexion im Hinblick auf den praktischen Zusammenhang des anvisierten Phänomens. Allein in bezug auf das Information Retrieval konnte eine solche Reflexion hier nur teilweise entfaltet werden. Die heutigen und künftigen Probleme sind aber gerade in diesem Bereich zunehmend komplexer und, wie soeben angedeutet, sowohl innerhalb einer hochentwickelten Industrie-Gesellschaft (bzw. innerhalb einer "post-industriellen" oder "post-modernen" Gesellschaft) als auch weltweit kaum zu unterschätzen.

Eine Hermeneutik der Fachinformation sollte sowenig einem theoretischen als einem praktischen "Informatismus" Vorschub leisten. Das Paradigma des im Computer gespeicherten und verfügbaren Fachwissens stellt keinen neuen "Rationalitätsmaßstab" dar, an dem sich "die Gesellschaft" messen müßte. Die Maßstäbe unseres Denkens und Handelns werden nicht "per Knopfdruck" geliefert. Gleichwohl muß aber sowohl die "theoretische" als auch die "praktische" Bedeutung der Fachinformation in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens erkannt werden.

So nötig wir die Steigerung der Möglichkeiten der Wissensspeicherung und des Wissenszugriffs bzw. der Wissensmanipulation und der Wissensvermittlung haben, da wir, um "mehr" bzw. "Neues" wissen zu können, stets des "alten" Wissens bedürfen, so brauchen wir auch, gegenüber dieser fast unvorstellbaren Erweiterung unseres "Erinnerungsvermögens", jenes "Gift", wovon Nietzsche in seiner Erörterung des Nutzens und Nachteils der Historie für das Leben spricht:

"Mit dem Worte 'das Unhistorische' bezeichne ich die Kunst und die Kraft vergessen zu können und sich in einen begrenzten Horizont einzuschließen; 'überhistorisch' nenne ich die Mächte, die den Blick vor dem Werden ablenken, hin zu dem was dem Dasein den Charakter des Ewigen und Gleichbedeutenden gibt, zu Kunst und Religion." [348]

 


  
 

Endnoten


[1] Vgl. K. Laisiepen, E. Lutterbeck, K. H. Meyer-Uhlenried (Hrsg.): Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation, S. 27-36.

[2] Vgl. v.Vf.: Heidegger über Sprache und Information.

[3] Als einführende Darstellung vgl. A. Diemer: Elementarkurs Philosophie. Hermeneutik. Als grundlegende Erörterung einer philosophischen Hermeneutik vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. Ferner H.-G. Gadamer. G. Boehm (Hrsg.): Seminar: Philosophische Hermeneutik; H.-G. Gadamer: Art. Hermeneutik, in: J. Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. III; O. Pöggeler: Hermeneutische Philosophie; H. Birus (Hrsg.): Hermeneutische Positionen. Als Einführung in englischer Sprache R. E. Palmer: Hermeneutics. Als umfassende systematische Bibliographie vgl. N. Henrichs: Bibliographie der Hermeneutik und ihrer Anwendungsgebiete seit Schleiermacher.

[4] Die Weichen für diesen Dialog lagen bereits bei L. Wittgenstein vor. Vgl. R. Zimmermann: Wittgenstein zwischen Hermeneutik, Phänomenologie und analytischer Systematik. Ferner die Proceedings des III. Int. Kolloquiums "Knowledge and Understanding". In: Dialectica 33 (1979) 3/4 (darin insbesondere der Beitrag von R. Rorty: De l'épistemologie à ll'hermeneutique, der einige Thesen seines Buches: Philosophie and the Mirror of Nature, aufgreift), sowie die Stellungnahmen H.-G. Gadamers in seinem Werk: Wahrheit und Methode, S. 513 ff. Zum Gegensatz "verstehen/erklären" vgl. M. Riedel: Verstehen oder erklären? Zur Theorie und Geschichte der hermeneutischen Wissenschaften. Ferner F. M. Wimmer: Verstehen, Beschreiben, Erklären. Zur Problematik geschichtlicher Ereignisse; G. Pasternack: Philosophische Hermeneutik und materiale Hermeneutik. Vgl. auch G. Floistad (Hrsg.), Contemporary philosophy.

[5] Hier könnte ein Dialog mit der Marxistischen Dialektik anknüpfen. Vgl. z.B. in Zusammenhang mit der Frage nach der Technik D. Ihde: Technics and Praxis, S. XXIV ff. Ideologiekritisch bezüglich eines methodischen Universalitätsanspruches der Hermeneutik J. Habermas: Der Universalitätsanspruch der Hermeneutik. Vgl. auch A. Diemer: Elementarkurs Philosophie, S. 106 ff., der bei Marx sowohl einen "anti-" als auch einen "pro-hermeneutischen" Ansatz aufzeigt. Vgl. dazu G. Petrovic: Der Spruch des Heidegger, sowie die Ansätze zu einer "materialistischen Hermeneutik" bei Th. Metscher: Grundlagen und Probleme einer materialistischen Hermeneutik der Literatur.

[6] Zur Geschichte des Verstehensbegriffes vgl. K. O. Apel: Das Verstehen. Zum Begriff des Verstehens als Grundlage einer "rationalen Hermeneutik" vgl. D. Hirschfeld: "Verstehen" als Synthesis: die evolutionäre Form hermeneutischen Wissens.

[7] In Anlehnung an A. Diemer: Elementarkurs Philosophie, S. 122 ff. Das Wort "Vorverständnis" findet man bei Heidegger in seinen frühen Vorlesungen. Vgl. M. Heidegger: Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffes, S. 414. Vgl. auch R. Bultmann: Das Problem der Hermeneutik.


[8] A. Diemer: Elementarkurs Philosophie, S. 124.

[9] Vgl. N. Henrichs: Das Problem des Vorverständnisses.

[10] K. R. Popper: Objective Knowledge, S. 345, 162 ff. In seiner objektivistischen Hermeneutik betont Popper einseitig die "Autonomie" der "Denkinhalte" (vgl. unten II, 1, c). Zu Poppers Hermeneutik vgl. J. Farr: Popper's Hermeneutics, und die Kritik von K. O. Apel: Comments on Farr's Paper. Ferner G. Radnitzky: Contemporary Schools of Metascience (insbes. Bd. 2). Davon sind die Ansätze zu einer "objektiven Hermeneutik" zu unterscheiden, die, im Gegensatz zur positivistisch-rationalistischen Denktradition, "objektive soziale Sinnzusammenhänge" herauszuarbeiten versuchen. Vgl. H. J. Wagner: Wissenschaft und Lebenspraxis. Das Projekt einer "objektiven Hermeneutik", sowie U. Matthes-Nagel: Latente Sinnstrukturen und Objektive Hermeneutik.

[11] W. Wieland: Möglichkeiten der Wissenschaftstheorie, S. 36 ff.


[12] Ebd. S. 42

[13] Vgl. W. Stegmüller: Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, S. 362 ff.

[14] K. O. Apel: Szientismus oder transzendentale Hermeneutik?; ders.: Transformation der Philosophie, Bd. 2, S. 215.

[15] Vgl. K. O. Apel: Reflexion und materielle Praxis, S. 9 ff.

[16] J. Habermas: Erkenntnis und Interesse, S. 371.

[17]  H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 517. Ders.: Vernunft im Zeitalter der Wissenschaft, S. 78 ff. Ferner L. K. Schmidt: The epistemology of H.-G. Gadamer: An analysis of the legitimization of Vorurteile.

[18] O. Marquard: Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist, S. 3

[19] M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 366. Ferner J. Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Art. Horizont.

[20] H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 290.

[21] Zum hermeneutischen Dreieck vgl. A. Diemer: Elementarkurs Philosophie, S. 139 ff. Zum hermeneutischen Zirkel J. C. Maraldo: Der hermeneutische Zirkel.

[22] Vgl. N. Henrichs: Zum Problem des Vorverständnisses, S. 52.

[23] M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 153.

[24] W. Stegmüller: Der sogenannte Zirkel des Verstehens, S. 63-88.

[25] W. Stegmüller: Walther von der Vogelweides Lied von der Traumliebe und Quasar 3 C 273. Betrachtungen zum sogenannten Zirkel des Verstehens und zur sogenannten Theoriebeladenheit der Beobachtungen. S. 82. Vgl. H. Turks' Kritik an Stegmüller: Wahrheit oder Methode? H.-G. Gadamers "Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik", S. 140 ff.

[26] Vgl. K. R. Pavlovic: Science and autonomy: the prospects for hermeneutic science; A. Kulenkampff: Art. Hermeneutik; R. L. Fetz: Kreis des Verstehens oder Kreis der Wissenschaften?; G. Radnitzky: Contemporary schools of Metascience.

[27] G. Petersen-Falshöft: Die Erfahrung des Neuen, S. 107. Der Verfasser analysiert die Herausarbeitung des Vorganges des Vorverständnisses durch P. Feyerabend und Th. S. Kuhn.

[28] Ebd.

[29] M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 153: "Man wird jedoch unter Beachtung, daß 'Zirkel' ontologisch einer Seinsart von Vorhandenheit (Bestand) zugehört, überhaupt vermeiden müssen, mit diesem Phänomen so etwas wie Dasein zu charakterisieren." Vgl. ebd. S. 314 ff.

[30] Zu diesen systematischen Unterscheidungen vgl. A. Diemer: Elementarkurs Philosophie..

[31] Vgl. M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 34.

[32] O. Pöggeler: Heidegger und die hermeneutische Philosophie, S. 66.

[33] Ebd. S. 365 ff. Vgl. O. Becker: Größe und Grenze der mathematischen Denkweise, S. 169: "Mathematisches und hermeneutisches Denken stehen also in einem merkwürdigen Verhältnis der Komplementarität."

[34] BMFT, Der Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.:) Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation (IuD-Programm) 1974-1977.

[35] Ebd. S. 18.

[36] Ebd. S. 17.

[37] Ebd. S. 18.

[38] Ebd. S. 10.

[39] Ebd. S. 26.

[40] BMFT, Der Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.): BMFT-Leistungsplan: Fachinformation. Planperiode 1982-1984.

[41] Ebd. S. 4.

[42] BMFT, Der Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.) Fachinformationsprogramm der Bundesregierung 1985-1988. Ferner: Stellungnahme des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung über die Fachinformation in der Bundesrepublik Deutschland vom April 1983.

[43] Vgl. Gesellschaft für Information und Dokumentation (Hrsg.): Datenbankführer.

[44] Vgl. J. Koblitz: Bearbeitung und Verarbeitung von Fachinformationen. Koblitz bezeichnet Fachinformation als "eine Art der gesellschaftlichen Information" (S. 11) mit einer "Fülle möglicher Inhalte" (z.B. Gesetze, Theorien, Verfahren, Arbeitsgegenstände, Rechtsnormen) bestimmt, wobei er eine Reihe von (möglichen) Eigenschaften nennt (S. 11). Eine weitgehende Übereinstimmung mit Fachinformation i.w.S. findet man z.B. bei H. Engelbert: Wissenschaftliche Informationstätigkeit und wissenschaftlich-technischer Fortschritt: "Als Informationen, die bei ihrem Empfänger bestimmte Fachkenntnisse voraussetzen und nicht für jedermann bestimmt sind, bilden die wissenschaftlichen Informationen zusammen mit anderen Arten die Unterklasse der Fach-(Spezial-)informationen. Die populärwissenschaftlichen Informationen, publizistischen, ästhetischen und Alltagsinformationen wenden sich dagegen an alle Mitglieder der Gesellschaft, ohne Rücksicht auf ihre fachliche Tätigkeit." (S. 43)

[45] Diese Einsicht liegt z.B. auch dem bekannten französischen "Nora-Report" zugrunde. Vgl. S. Nora, A. Minc: Die Informatisierung der Gesellschaft, S. 83 f.

[46] A.J. Mihaijlov, R.S. Gilarevskij: Zu den Entwicklungsperspektiven der Informatik.

[47] Bbd. S. 4.

[48] V. Giuliano, M. Ernst, J. Dunlop, S. Crooks (A.D. Little, Inc.): Passing the Threshold into the Information Age. Perspective for Federal Action on Information, Vl. I, S. 20 ff.

[49] Vgl. den bekannten "Weinberg-Bericht".

[50] Cuadra Ass. Inc. (Hrsg.): Directory of Online Databases (1985).

[51] Ebd. S. 6. Die Termini "Datenbasis" und "Datenbank" werden hier als synonym gebraucht. Sie werden aber manchmal in den einzelnen Sprachen und aus unterschiedlichen Gesichtspunkten definiert.

[52] Cuadra Ass. Inc. (Hrsg.): Directory of Online Databases (1981). Im "subject index" von Cuadra (1985) werden 342 Gebiete genannt.

[53] "Partiell" ca. außer dem allgemeinen Interesse, solche Bereiche durchaus fachlich gemeint sein können.

[54] Platon: Theaitetus 146  d - 147 c: "Gar offen und freigebig Lieber, gibst du mir, um eines gefragt, vielerlei und Mannigfaltiges statt des Einfachen [...] Es ist also eine lächerliche Antwort von dem, welcher gefragt wird, was Erkenntnis ist, wenn er darauf durch den Namen irgendeiner Kunst antwortet [...] Dann auch, obwohl er schlicht und kurz antworten konnte, beschreibt er einen unendlichen Weg."

[55] Geläufige Komposita sind z.B. Facharbeit, Facharzt, Fachaufsatz, Fachausbildung, Fachausdruck (-begriff), Fachberater, Fachbereich (-gebiet, -disziplin, -studium), Fachbibliographie, Fachbibliothek, Fachbuch, Fachgeschäft (-handel), Fachinformation, Fachjargon (-chinesisch), Fachkenntnis (-wissen), Fachkommunikation, Fachkraft, Fachkreis, Fachliteratur (-publikation), Fachmann (pl. Fachleute, Fachwelt, -gelehrte, -referent), Fachpresse, Fachschule (-hochschule), Fachsprache, Fachwörterbuch, Fachzeitschrift.

[56] "Fachsimpeln" gehört, laut Duden, zur Studentensprache des 19. Jahrhunderts. "Fachidiot", im sinne des politisch "Blinden", weist auf den griechischen Begriff "idiotes", d.h. der sich auf sein Privatleben beschränkende an staatlichen Aufgaben uninteressierte Mensch, hin. Vgl. J. Ritter (Hrsg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Art. Laie.

[57] "Fachinformation" kommt weder bei G. Wahrig: Deutsches Wörterbuch, noch in "Meyers Enzyklopädisches Lexikon" vor.

[58] Vgl. J. Grimm, W. Grimm: Deutsches Wörterbuch; A. Götze (Hrsg.): Trübners Deutsches Wörterbuch; M. Lexer Mittelhochdeutsches Handwörterbuch; Der Große Duden, Etymologie. Zum mhd. Terminus "vach" schreibt Lexer:: "vorrichtung zum aufstauen des wassers und zum fischfange (mit einem fanggeflechte), fischwehr [...]; fang (der vögel), fangnetz, [...]; stück, teil, abteilung (einer räumlichkeit, einer wand, mauer, der rüstung, des schildes, etc., falte des schleiers, hemdes) eigentl. u. bildl. (auf das innere übertragen)". Der Duden und Götze setzen das 18. Jahrhundert als Übergangszeit für die Bedeutungsübertragung (hier eine Metonymie) aus dem handwerklichen Bereich auf Wissen bzw. auf Spezialgebiete in Handwerk, Kunst und Wissenschaft. Diese Übertragung schließt "an die konkrete Vorstellung der Fächer in einem Schrank oder Regal an, die heute noch lebendig ist" (Duden). Das Kompositum "Fachmann" stammt aus dem 19. Jahrhundert. Jüngere Bildungen, wie "Facharbeiter", "Facharzt", "Fachschule" usw. folgten. In der Gegenwartssprache lassen sich die Bedeutungen von "Fach" folgendermaßen darstellen: 1) Unterabteilung in einem Raum oder einer Fläche (z.B. Schrankfach); in der Weberei: Zwischenraum zw. den Kettfäden; Mauerstück zw. dem Balkengefüge (Fachwerk); 2) Unterabteilung eines Wissens- oder Arbeitsgebietes (Studienfach, Lehrfach); vom Fach sein, Fachmann sein, etwas von einer Sache verstehen. Entsprechende engliche Ausdrücke im Wissensbereich sind z.B. "specialized field", "scientific and technical information", "expert", "specialist", "professional"; und im Französischen "spécialiste", "spécialité", "information spécialisé", "homme du metier", "professionel" usw.

[59] Vgl. J. Austin: A Plea for Excuses: "[...] a word never  well, hardly ever  shakes off its etymology and its formation. In spite of all changes in and extensions of and additions to its meanings, and indeed rather pervaiding and governing these, there will still persist the old idea [...]" Zitat nach St. A. Erickson: Language and Being. An Analytic Phenomenology, S. 14.

[60] Vgl. die Platonischen Metaphern in bezug auf den Erkenntniserwerb. Theaetetus 197 b ff.

[61] W. Schadewaldt: Die Anforderungen der Technik an die Geisteswissenschaften, S. 36-68.

[62] Diese Unterschiede sind z.B. im bibliothekarischen Bereich üblich. Der Ausdruck "populärwissenschaftlich" ist z.T. mit negativen Konnotationen belastet und wurde durch den Begriff "Sachbuch" zurückgedrängt. Vgl. B. Wichert: Die Annotierung populärwissenschaftlicher Literatur auf dem Gebiet der Naturwissenschaften, die die Einteilung: Sachbücher, Fachbücher, wissenschaftliche Literatur gebraucht, wobei unter "Fachbuch" ein Buch für die berufliche Praxis (!) verstanden wird.

[63] In diesem universalen Sinne verwendet z.B. Diemer den Begriff "Sachbereich" (vgl. unten I, 3, b) I. Dahlberg spricht von "Wissensgebieten". Vgl. I. Dahlberg: Grundlagen universaler Wissensordnung.

[64] Ebd.

[65] B. Langefors: Information Systems.

[66] B. Langefors: Information Systems Theory. Der Hinweis auf Carnap bezieht sich auf R. Carnap: Meaning and Necessity. A Study in Semantics and Modal Logic.

[67] B. Langefors: Hermeneutics, Infology and Information Systems; ders.: Models and Methodologies.

[68] Zur Erläuterung der "infologischen" Dichotomie beschreibt Langefors folgende Situation: ein Techniker beobachtet die Temperatur "a" eines Kessels in einer chemischen Fabrik. Er versteht die Bedeutung von "a", da er die Rolle des Thermometers im Gesamtzusammenhang der Apparatur und der Fabrik kennt. Wenn er diesen Wert einem anderen (nicht anwesenden) Fachkollegen mitteilen will, kann er nicht einfach von "a" sprechen, sondern muß sich auf den beobachteten Gegenstand, auf die Meßskala und auf die Zeit beziehen, bzw. diesen Zusammenhang implizit deutlich machen. Nach der formalen Lösung des Problems (anhand von Darstellungs- und Interpretationsregeln) bleibt also das ("informelle") Problem des Verstehens im Hinblick auf die Informationsstruktur des Empfängers. Dabei muß eine gemeinsame Referenzstruktur im voraus vereinbart werden. Ebd. S. 7 ff.

[69] In Zusammenhang mit der Kontroverse, ob die Hermeneutik eine spezielle Methode der Geisteswissenschaften ist, betont Langefors, daß das Verstehen von Gesetzmäßigkeiten auch ein hermeneutischer Prozeß ist. Das Vorverständnis ist keine bloße Interpolation zwischen dem Verstehen und den "objektiven" Fakte, sondern, pace Wittgenstein II, die Erfahrung der Fakten selbst ereignet sich nur in Zusammenhang mit einem "Sprachspiel". Das Verstehen als "infologisches Zusammenspiel" bildet die Bedingung der Möglichkeit dieser Fakten. Bd. S. 13 ff.

[70] Langefors stellt die Frage, inwiefern hermeneutisches Denken zwar nützlich sein kann aber die entscheidende Frage nach der Wahrheit (das "validation problem") nicht zu beantworten vermag. Umgekehrt stellt er aber die Frage, wie verifiziertes Wissen im Hinblick auf seine Nützlichkeit seine Gültigkeit aufweisen kann. Wenn aber, nur diejenigen Auslegungen als "wissenschaftlich" gekennzeichnet werden können, die auch als vorläufig gelten (vgl. die Frage nach der "Letztbegründung" in der Wissenschaftstheorie"), dann stellt gerade die Hermeneutik die Struktur der kritischen Bewegung der Reflexion dar. Die Verifikationskriterien hängen jeweils von der in Betracht stehenden Sache ab. Die Frage ist also nicht, ob die Hermeneutik eine Wissenschaft ist, sondern ob die Wissenschaft(en) ihre ihr innewohnenden hermeneutischen Momente thematisiert. Langefors zeigt auch, daß die Metapher des "hermeneutischen Zirkels", z.B. bei Fragen der Speicherkapazität im Computer, von Nutzen sein kann (programmierte Begriffsgenerierung, wodurch "einfache" Ebenen in "höhere" überführt werden können).

[71] B. Langefors: Infological Models and Information User Views.

[72] Ebd. S. 22.

[73] Ebd. S. 28.

[74] Ebd. S. 29.

[75] Vgl. A. Diemer: Elementarkurs Philosophie, S. 190 ff.

[76] Vgl. A. Diemer: Informationswissenschaft. Zur Begründung einer eigenständigen Wissenschaft und zur Grundlegung eines autonomen Bereiches "Informationswissenschaften".

[77] Vgl. A. Diemer: Klassifikation, Thesaurus und was dann?

[78] Vgl. A. Diemer: "L'ordre (classification) universel des savoirs comme problème de philosophie et d'organisation.

[79] Vgl. A. Diemer: Elementarkurs Philosophie, S. 193.

[80] Vgl. A. Diemer: Raster zur sachlogischen Klassifizierung des gesamten Wissens nach fachlichen und funktionalen Gesichtspunkten mit hierarchischer Gliederung für ein universales Informationsbankensystem.

[81] Vgl. A. Diemer: Information Science A New Science.

[82] Bed. S. 201 ff.

[83] Vgl. N. Henrichs: Bibliographie der Hermeneutik.

[84] Vgl. N. Henrichs: Philosophie Datenbank. Bericht über das Philosophy Information Center an der Universität Düsseldorf. Ders.: Philosophische Dokumentation.

[85] N. Henrichs: Informationswissenschaft und Wissensorganisation, S. 161.

[86] Ebd. S. 168.

[87] N. Henrichs: Hermeneutik. Eine Einführung in die Theorie der Interpretation (z.B. von Texten) und ihre informationswissenschaftliche Relevanz.

[88] N. Henrichs: Sprachprobleme beim Einsatz von Dialog-Retrieval-Systemen, S. 223.

[89] Vgl. N. Henrichs: Benutzungshilfen für das Retrieval bei wörterbuchunabhängigen indexiertem Material. (Vgl. III, 1, c).

[90] Vgl. H. Henrichs: Gegenstandstheoretische Grundlagen der Bibliotheksklassifikation; ders.: Sozialisation der Information. Zum Aufgabenspektrum der Informationswissenschaft.

[91] Vgl. N. Henrichs: Von der Dokumentation über die Information zur Kommunikation; ders.: Sozialisation der Fachinformation.

[92] Vgl. E. Oeser: Wissenschaft und Information. Bd. 2: Erkenntnis als Informationsprozeß.

[93] Vgl. I. Dahlberg: Grundlagen universaler Wissensordnung.

[94] W. Kunz, H. Rittel: Die Informationswissenschaften. Ihre Ansätze, Probleme, Methoden und ihr Ausbau in der Bundesrepublik Deutschland.

[95] W. Stock: Wissenschaftliche Information metawissenschaftlich betrachtet. Eine Theorie der wissenschaftlichen Information.

[96] G. Wersig: Informationssoziologie. Hinweise zu einem informationswissenschaftlichen Teilbereich.

[97] Vgl. Ch. S. Peirce: On Signs and the Categories, S. 227: "A sign therefore is an object which is in relation to its object on the one hand and to an interpretant on the other, in such a way to bring the interpretant into a relation to the object, corresponding to its own relation to the object." Zum Zusammenhang zwischen Peirce und der Hermeneutik vgl. K.O. Apel: Der Denkweg von Ch. S. Peirce; ders.: Transformation der Philosophie, Bd. 2.

[98] Vgl. v.Vf. Information. Ein Beitrag zur etymologischen und ideengeschichtlichen Begründung des Informationsbegriffs; ferner: die umfassende interdisziplinäre Studie zum Informationsbegriff von F. Machlup und U. Mansfield (Hrsg.): The Study of Information. Interdisciplinary Messages. Dazu v.Vf. Epistemology and Information Science. Vgl. auch H. Völz: Information. Studie zur Vielfalt und Einheit der Information.

[99] Vgl. v.Vf. Moral Issues in Information Science. Ders.: Zur Frage der Ethik in Fachinformation und -kommunikation; ferner: G. Runge, R. Capurro: Ethische Reflexionen zum Datenschutz im Bereich der Fachinformation (Vgl. unten III, 3, c)

[100] Zur Rolle der Peirceschen Semiotik als Grundlage der Informationswissenschaft vgl. Ch. Pearson, V. Slamecka: Semiotic Foundations of Information Science; außerdem P. Zunde: Predictive Models of Information Systems.

[101] Vgl. N.J. Belkin, R.N. Oddy, H.M. Brooks: ASK for Information Retrieval. Part I. Background and Theory; N.J. Belkin: Anomalous States of Knowledge as a Basis for Information Retrieval; N.J. Belkin, R.N. Oddy: Design Study for an Anomalous State of Knowledge Based Information Retrieval System; N.J. Belkin: Cognitive Models and Information Transfer.

[102] G. Wersig hat die ASK-Theorie als einseitig Nutzer- anstatt Problembezogen kritisiert. Inzwischen hat Belkin seinen ursprünglichen textbezogenen Ansatz sowohl im Hinblick auf den Nutzer als auch auf die zugrundeliegenden Probleme selbst erweitert. Vgl. G. Wersig: The Problematic Situation as a Basic Concept of Information Science in the Framework of Social Sciences: A Reply to N. Belkin. Zu Wersigs kybernetischem Modell vgl. unten II, 1, b.

[103] Vgl. N.J. Belkin, S.E. Robertson: Information Science and the Phenomenon of Information; N.J. Belkin: Information Concepts for Information Science.

[104] W. Kunz, H.W.J. Rittel: Die Informationswissenschaften.

[105] W. Kunz, H.W.J. Rittel: A System Analysis of the Logic of Research and Information Process.

[106] E. Hollnagel: The Relation between Intention, Meaning and Action.

[107] Vgl. N.J. Belkin u.a.: ASK for Information Retrieval, S. 65.


[108] Vgl. E. Hollnagel: The paradigm for understanding in hermeneutics and cognition.

[109] E. Hollnagel: Is information science an anomalous state of knoweldge?

[110] Ebd.

[111] Vgl. N.J. Belkin u.a.: ASK for Information Retrieval.

[112] Vgl. E. Hollnagel: Is information science an anomalous state of knowledge? S. 186: "Or one might equally well have turned of the humanistic sciences, notable the science of hermeneutics, which is concerned with the way in which meaning is interpreted from a text or message, to find the same kind of evidence. It may, however, be of greater value for information scientists to realize that, even within their own discipline, such an undertaking is possible."

[113] Th. S. Kuhn: The Structure of Scientific Revolutions.

[114] De Mey: The relevance of the cognitive paradigm for information science; ders. The Cognitive Paradigm; ders.: Cognitive Science and Science Dynamics. Philosophical and Epistemological Issues for Information Science. Sowohl Belkin als auch Hollnagel weisen auf De Mey hin.

[115] Vgl. die Untersuchungen H. Stachowiaks, der folgende Kriterien für den Modellbegriff aufstellt: jedes Modell hat eine Abbildfunktion, ist spezifisch verkürzend und wird pragmatisch verwendet. H. Stachowiak: Allgemeine Modelltheorie.

[116] Vgl. H. Diels: Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. 2, S. 114 ff.

[117] Vgl. Platon: Theaitetus 220b. Zur Deutung Platons aus der Sicht der neueren Wissenschaftstheorie vgl. W. Detel: Platons Beschreibung des falschen Satzes in Theätet und Sophistes.

[118] Im Mittelpunkt der Kritik Platons steht die Lehre des Protagoras, die auch von Aristoteles kritisiert wird. Vgl. M. Heidegger: Aristoteles, s. 196 ff.

[119] Vgl. v.Vf.: Information. In bezug auf den Terminus Information bei Thomas von Aquin schreibt E. Bloch: "dem entspricht unser heutiges Wort Information bis zur Kaufmannssprache hin." E. Bloch: Zwischenwelten in der Philosophiegeschichte. Aus Leipziger Vorlesungen 1950, S. 91.

[120] R. Rorty: Philosophy and the Mirror of Nature, S. 6 ff.

[121] Vgl. M. Boss: Grundriß der Medizin und der Psychologie.

[122] R. Rorty: Philosophy and the Mirror of Nature, s. 391.

[123] W. Steinmüller: Eine sozialwissenschaftliche Konzeption der Informationswissenschaft.

[124] Vgl. W. Steinmüller u.a.: Materialien zum Informationsrecht und zur Informationspolitik, s. 34.

[125] Vgl. v.Vf. Information, S. 248 ff, 169 ff.

[126] Ebd. S. 252 ff.

[127] A.D. Ursul: Information. Eine philosophische Studie. S. 203(meine Hervorhebung!)

[128] H. Engelbert: Zum Warencharakter der Ergebnisse wissenschaftlicher Arbeit, S. 41. Vgl. G. Groß: Zur Entwicklung einer allgemeinen Begriffsbestimmung und Konzeption der Information; außerdem J. Koblitz: Bearbeitung und Verarbeitung von Fachinformationen, S. 33 ff.

[129] Vgl. A. Hellwig: Untersuchungen zur Theorie der Rhetorik bei Platon und Aristoteles, S. 59; L.W. Rosenfield: Aristotle and Information Theory; außerdem P.R. Penland: Communication Science.

[130] Aristoteles: Rhetorica 1358 b.

[131] Vgl. L.W. Rosenfield: Aristotle and Information Theory, s. 79: "Meaning in this Greek view is logically limited by the constraints of reality. And because it is so limited, the meaning of a word also attains a degree of permanence, in a logical sense, which is characteristic of denotative reference."

[132] Vgl. Aristoteles: De anima 430 a; ders.: De memoria 450 1.

[133] Vgl. Aristoteles: De interpretatione 1, 16 a; ferner die Deutung von M. Heidegger: Logik. Die Frage nach der Wahrheit, S. 162 ff.

[134] Vgl. Aristoteles: Topica 108 a; ders. Sophistici elenhi I, 165 a; ders. Ethica Nicomachea 1098 b; ders.: Metaphysica A, 995 a. Zum gesamten Themenkomplex I. Düring: Aristoteles. Darstellung und Interpretation seines Denkens.

[135] Aristoteles: Rhetorica 1420 a 8 (ερηκα, κηκόατε, χετε, κρίνατε).

[136] C.E. Shannon, W. Weaver: The Mathematical Theory of Communication.

[137] N. Wiener: Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine.

[138] Vgl. v.Vf. Information, s. 104 ff.

[139] Y. Bar-Hillel: An Examination of Information Theory, S. 296.

[140] Steve H. Heims: John von Neumann and Norbert Wiener. From Mathematics to the Technologies of Life and Death, S. 303.

[141] E. Oeser: Wissenschaft und Information, Bd. 2, S. 60 ff. Vgl. S. Thomas: Some Problems of the Paradigm in Communication Theory.

[142] B. Waldenfels: Der Sinn zwischen den Zeilen; ferner C.F. Graumann: Interpersonale Perspektivität und Kommunikation.

[143] G. Wersig: Information Kommunikation Dokumentation.

[144] Vgl. G. Wersig: Ein Kanalmodell als Grundorientierung in der Fachkommunikation.

[145] G. Wersig: Neue Dienstleistungen und Informationsvermittlung- Gedanken zum Modischen in der Information und Dokumentation, S. 171.

[146] G. Wersig: Trennen sich die Wege? Neue Orientierungsmuster der Informationswissenschaft angezeigt.

[147] C. Cherry: World Communication: Threat or Promise? A Socio-technical Approach, S. 4.

[148]
Vgl. N. Fischer: Die Ursprungsphilosophie in Platons "Timaios".

[149] Vgl. v. Vf. Information, S. 30 ff.

[150] Ebd.

[151] Vgl. F. Nietzsche: Werke. Vgl. M. Heidegger: Nietzsche, Bd. I, S. 585 ff.; außerdem W. Kaufmann: Nietzsche, S. 455 ff.

[152] K. R. Popper: Objective Knowledge. An Evolutionary Approach. Zu den folgenden Erörterungen vgl. v.Vf. Zur Kritik von K.R. Poppers platonistischem Modell des Wissens; ders. Epistemology and Information Science.

[153] K. R. Popper: Objective Knowledge, S. 154

[154] E. D. Klemke: Karl Popper, Objective Knowledge, and the Third World, S. 46

[155]
C.F. v. Weizsäcker: Naturgesetz und Theodizee, in: ibid: Zum Weltbild der Physik. Stuttgart 1976, S. 160. Weizsäcker weist auf den theologischen Ursprung der Vorstellung von "möglichen Welten" bei Leibniz hin.


[156]
Vgl. J. W. Grove: Popper "Demystified": The Curious Ideas of Bloor (and some Others) about World 3. In: Philosophy of the Social Sciences 10, 1980, S. 173-180, der u.a. die Einwände seitens der marxistischen Soziologie zu entkräften versucht.


[157] Vgl. H. Arendt:
Vita activa oder Vom tätigen Leben S. 173: "Der Hacken ist nur, daß es ebenso unmöglich ist, aus diesem Feld des Bewußtseins (...) je in eine Außenwelt zu kommen, wie es unmöglich ist, aus dem Bewußtsein der Körperfunktionen sich je eine Vorstellung zu machen, wie ein Körper, einschließlich des eigenen, nun eigentlich in seiner nach Außen in Erscheinung tretenden Gestalt aussieht." Diese Kritik richtet sich gegen Descartes.

[158] K. R. Popper: Objective Knowledge, S. 341.

[159] Vgl. M. Bunge: Treatise on Basic Philosophy. Vol. 2: Semantics I, S. 186.
"To call what is known, i.e. knowledge, a world and assume that it is superimposed on the world of fact (Popper, 1968) is an unnecessary Platonic fantasy. There is only one world and cognitive subjects are part of it and intent on knowing (or ignoring) some chunks of it [...] There is no knowledge without both an object of knowledge and a knowing subject. The claim that there is absolute knowledge, or knowledge in itself, above and beyond concrete knowing subjects, is fantastic. Moreover it violates the very syntax of 'to know', for 'x is known' is short for 'There is at least one y such that y is a knowing subject and y knows x.' Obliterate mankind and no human knowledge will remain."

[160] K. R. Popper: Objective Knowledge, S. 116

[161] Darauf macht D. Rudd: Do we really need World III? Information science with or without Popper, aufmerksam.
Vgl. K. R. Popper, Objective Knowledge, S. 121: "All work in science is work directed towards the growth of objective knowledge. We are workers who are adding to the growth of objective knowledge as masons work on a cathedral".


[162] K.R. Popper: Objective Knowledge, S. 107 ff.

[163] Vgl. M. Bunge: Treatise, S. 2:
"An uninterpreted language, i.e. a well constructed system of artificial signs with no designata, would be as idle and unintelligible as a scientific manuscript after a total nuclear holocaust."


[164] H. Arendt: Vita Activa, S. 124.

[165] Vgl. E. Oeser: Wissenschaft und Information, S. 37:
"Denn wissenschaftliche Erkenntnis will 'objektive Erkenntnis' sein. 'Objektivität der Erkenntnis bedeutet aber nicht die Eliminierung des konkreten erkennenden Subjekts, denn wissenschaftliche Hypothesen und Theorien sind stets Produkte der Tätigkeit eines Konkreten realen Erkenntnissubjekts, sondern 'Objektivität' kann nur Allgemeingültigkeit, Intersubjektivität oder bestenfalls Transsubjektivität bedeutet. Sie kann nicht durch die metaphysische Hypostasierung eines neuen Seinsbereiches, einer Welt der objektiven Probleme und Problemlösungen (K. Popper, Objektive Erkenntnis, Hamburg 1973, S. 172 ff.), sondern allein durch die Verobjektivierung des erkenntnistheoretischen Subjekts erreicht werden."

[166] Vgl. J. Hintikka: Some varieties of information, S. 179: "Hence Popper's emphasis on boldness as a guide of a scientist's life is in reality predicated on a romantic image of a brilliant scientist making his discoveries against all odds. In the sober daylight of the actual history of science, I am afraid, such an image is bound to appear as unrepresentative of the principles of scientific investigation as the charge of the light brigade is of the principles of twentieth-century warfare: it's magnificent, but it is not science."

[167] Vgl. B. C. Brookes: The foundations of information science.

[168] K. R. Popper: Objective Knowledge, S. 107.

[169] B. C. Brookes: The foundations of information science, S. 132.

[170] Vgl. die Ergänzungen zum Popperschen Modell durch "kognitive" Gesichtspunkte bei P. Ingwersen: Psychological Aspects of Information Retrieval; ders.: A cognitive view of three selected online search facilities. Ferner v.Vf.: Epistemology and Information Science.

[171]  D. A. Kemp: The Nature of Knowledge. An Introduction for Librarians.

[172] Vgl. A. Einstein: Ideas and Opinions, S. 342: "Knowledge exists in two forms - lifeless, stored in books, and alive in the consciousness of men. The second form of existence is after all the essential one; the first indispensable as it may be, occupies an inferior position."

[173] Vgl.I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur ersten Auflage.

[174] Vgl. H. Arendt: Vita activa, S. 14.

[175] Vgl. A. Murguía: Le texte du monde.

[176] Vgl. M. Boss: Grundriß der Medizin, der das Ergebnis einer langjährigen Zusammenarbeit mit Heidegger darstellt. Diese Ansätze setzen die bahnbrechenden phänomenologischen Analysen E. Husserls voraus.

[177] Wenn die folgende Terminologie vielleicht in mancher Hinsicht als "zu poetisch" oder "nicht exakt" anmuten könnte, dann sei an den "topos" des Aristoteles, "daß man nicht in allen Dingen in gleicher Weise nach Exaktheit streben dürfe" erinnert (Ethica Nicomachea 1094 b). Das Quantifizieren soll damit keineswegs abgewertet werden.

[178] M. Boss: Grundriß der Medizin, S. 286-287.

[179] H. Arendt: Vita activa, S. 50.

[180] Bbd. S. 57.

[181] In den Begriff der "Verborgenheit" soll also nichts "hineingeheimnist" werden. Man sollte keine "Geheimnisse" dort suchen, wo sie nicht zu finden sind. Das heißt natürlich nicht, daß man die Augen verschließen sollte, wo sie sich vielleicht zeigen könnten. Eine solche Haltung gehört, wie Kant uns das vorgemacht hat, zu einem wahrhaft kritischen Denken.

[182] M.Boss: Grundriß der Medizin, S. 244.

[183] Ebd. S. 56. Es läßt sich dennoch nachweisen, daß der Informationsbegriff "ursprünglich", d.h. etymologisch und ideengeschichtlich, in verschiedenen Bereichen angesiedelt ist. Vgl. v.Vf. Information. Eine Verwendung dieses Begriffs in bezug auf unterschiedliche Sachverhalte ist von daher zwar möglich, zumal wenn Information als logische Kategorie aufgefaßt wird, es sollte aber dabei stets auf die Gefahr disparater Analogien geachtet werden. Vgl. v.Vf.: Heidegger über Sprache und Information.

[184] K. Rahner: Schriften zur Theologie, S. 217

[185] M. Heidegger, Sein und Zeit, Tübingen 1976, S. 162: : "Aussagende "Mitteilung", die Benachrichtigung zum Beispiel, ist ein Sonderfall der existenzial grundsätzlich gefaßten Mitteilung. In dieser konstituiert sich die Artikulation des verstehenden Miteinanderseins. Sie vollzieht die "Teilung" der Mitbefindlichkeit und des Verständnisses des Mitseins. Mitteilung ist nie so etwas wie ein Transport von Erlebnissen, zum Beispiel Meinungen und Wünschen aus dem Inneren des einen Subjekts in das Innere des anderen. [...] Das Mitsein wird in der Rede "ausdrücklich" geteilt, das heißt es ist schon, nur ungeteilt als nicht ergriffen und zugeeignetes." Vgl. H. Lipps' Kritik der (formalen) Logik (Bolzano, Frege, Russell) und seine Auffassung einer hermeneutischen Logik. H. Lipps: Werke. (insbes. Bd. II). Ferner J. Hennigfeld: Der Mensch und seine Sprache. Aspekte der Phänomenologie bei Hans Lipps.

[186] M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 32.

[187] M. Heidegger: Prolegomena zur Geschichte des Zeitbegriffes, s. 373 f. Wenn der "späte" Heidegger schreibt: "die Sprache spricht" bedeutet das m.E. keine Substantialisierung der Sprache, sondern die Möglichkeit eines nicht-instrumentalen Verhältnisses zu ihr: "Ein Sprechen von der Sprache könnte nur ein Gespräch sein." M. Heidegger: Unterwegs zur Sprache, S. 12, 150. Vgl. v.Vf. Heidegger über Sprache und Information.

[188] I. Kant: Was hießt: Sich im Denken orientieren? A, 325 f.

[189] Vgl. v.Vf.: Buchkultur im Informationszeitalter. Überlegungen zum Bezug zwischen Bibliotheken, Datenbanken und Nutzern.

[190] Platon: Phaidros 274 c- 275 b.

[191] H. Arendt: Vita activa, s. 88.

[192] H:-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 371.

[193] M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 68.

[194] Ebd. S. 69.

[195] Zur Frage nach der Technik bei Heidegger vgl. D. Ihde: Heidegger's Philosophy of Technology; W. Schirmacher: Technik und Gelassenheit; v.Vf.: Das Paradigma der technischen Kultur; ders.: Technics, Ethics, and the Question of Phenomenology.

[196] H. Arendt: Vita activa, S. 27.

[197] Ebd. S. 173.

[198] Heidegger unterscheidet zwischen der "einspringend-beherrschenden" und der "vorspringend-befreienden" Fürsorge als zwei extreme Möglichkeiten (vgl. Sein und Zeit, § 26). Für M. Boss liegt diese letztere der Handlung des Psychoanalytikers zugrunde. vgl. M. Boss: Zollikoner Seminare, S. 31. Von hier aus läßt sich die "ethische" Frage bei Heidegger anders stellen als etwa O.F. Bollnow oder E. Lévinas getan haben.

[199] H.-G. Gadamer: Vernunft im Zeitalter der Wissenschaft, S. 101.

[200] H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode. S. 344.

[201] Chr. Wild: Problem, S. 1144

[202] R. Descartes: Regulae ad directionem ingenii, Reg. XIII. Gegenüber der Erwartung Descartes würde den Menschen mit einem "perfekten Automaten" identifizieren, findet man im "Discours de la Méthode" (5e Partie) die folgende Bemerkung über den Leistungssinn menschlicher Sprache:"[...] jamais elles [d.h. die Maschinen, RC] ne pourraient unser de paroles ni d'autres signes en les composant, comme nous faisons pour déclarer aux autres nos pensées. Car on peut bien concevoir qu'une machine soit tellement faite qu'elle profère des paroles [...]; mais non pas qu'elle les arrange diversement pour répondre au sens de tout ce qui se dira en se présence, ainsi que les hommes plus hébétés peuvent le faire." (Meine Hervorhebungen!) Es geht u.a. daraus hervor, daß für Descartes Maschinen (im Gegensatz zum Menschen) nicht mitteilen bzw. (!) denken können, d.h. sie können kein Gespräch führen. Man könnte zwar, sagt Descartes, eine Maschine zu vorprogrammieren, daß sie Wörter von sich zu geben vermag, aber ein solches Reden wäre gerade kein Gespräch (vgl. Ausblick).

[203] Vgl. v.Vf.: Information, S. 181.

[204] Platon: Philebos 58 c.

[205] Vgl. M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 3.

[206] Vgl. S. Plagemann: Variablen in der Benutzerforschung; T.D. Wilson: Recent Trends in User Studies.

[207] Vgl. v.Vf.: Das Paradigma der technischen Kultur.

[208] J. Mittelstraß: Zur wissenschaftlichen Rationalität technischer Kulturen, S. 64.

[209] Vgl. G. Vowe: Information und Kommunikation. Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft; G. Wersig: Informationssoziologie.

[210] W. Schadewaldt: Die Anforderungen der Technik, S. 36 ff. (vgl. I, 2, c).

[211] Vgl. W. Heisenberg: Der Teil und das Ganze, S. 247. Ferner die Ausführungen Platons im Hinblick auf den "Fachmann" ( Οι σοφοί), der aufgrund seines Vorwissens, eine "vor-sichtige" und somit auch "nützliche" Aussage in bezug auf die Zukunft machen kann (vgl. Theaitetus 145 d, 178 a ff)

[212] Eine der "Haupttugenden" eines Fachmanns, ist die der Geduld bzw. der "intellektuellen Geduld mit sich selbst", wie K. Rahner anläßlich der Verleihung des Leopold-Lucas-Preises 1982 (an der Universität Tübingen) es ausdrückte. Sie ist das Eingangstor zur "docta ignorantia" (Nikolaus von Kues) und Voraussetzung für weltanschauliche Toleranz. Vgl. K. Rahner, E. Jüngel: Über die Geduld, s. l37-63.

[213] Vgl. bei Theophrast: Charakterbilder, S. 78 f., sowie Platon: Hippias minor 368 c.

[214] K.R. Popper: Conjectures and Refutations. The Growth of Scientific Knowledge, S. 67.

[215] Popper kritisert mit Recht den Szientismus bzw. den wissenschaftlichen Dogmatismus positivistischer Prägung, stellt aber, mit seinem "Falsifikationismus", neue Kriterien der Wissenschaftlichkeit auf, die zu einem "Szientifizismus" führen. P. Feyerabend und M. Polanyi haben auf unterschiedliche Weise auf die Fragwürdigkeit dieses Ansatzes hingewiesen. Zur Frage nach den unterschiedlichen Wissenschaftsgliederungen zum Zwecke der "Weltorientierung" vgl. K. Jaspers: Philosophie, S. 128 ff.

[216] Vgl. C.F. v. Weizsäcker: Zum Weltbild der Physik, S. 266 ff., der in Anschluß an G. Picht, un dieser wiederum im Hinblick auf Aristoteles, Begriffe als Wegweiser deutet. Grundlegend zum Thema Fachsprache vgl. W. v. Hahn: Fachkommunikation. Entwicklung, linguistische Konzepte, betriebliche Beispiele. Seine Begriffsbestimmung lautet: "Fächer sind Arbeitskontexte, in denen Gruppen von fachlichzweckrationalen Handlungen vollzogen werden. Fachsprachen sind demnach sprachliche Handlungen dieses Typs sowie sprachliche Äußerungen, die konstitutiv oder z.B. kommentierend mit solchen Handlungen in Verbindung stehen." (S. 65). Mit Recht betont der Verfasser, daß es keine "Fächer per se" (sowenig wie "Probleme an sich") gibt.

[217] I. Kant: Kritik der reinen Vernunft, B XIV.

[218] M. Heidegger: Sein und Zeit, S. 362.

[219] Ebd. S. 362 f. (meine Hervorhebung!)

[220] J. M. Ziman: Introduction, S. 9.

[221] Die Literatur eines Fachgebietes stellt, wie Ziman anschließend hervorhebt, eine Sprache, einen Stil, eine Denkungsart dar. So bedient sich die moderne Physik hauptsächlich der englischen Sprache bzw. eines bestimmten "Jargons", sowie mathematischer Symbole. Dies alles kann, so Ziman, u.U. eine Verarmung durch den Verlust sonstiger Ausdrucksmöglichkeiten zur Folge haben.

[222] Vgl. N. Henrichs: Informationswissenschaft und Wissensorganisation.

[223] Vgl. K. Lenk: Anforderungen der Kommunikationsgrundrechte an die Fachinformationsversorgung.

[224] Ebd. S. 6.

[225] v.Vf.: Buchkultur im Informationszeitalter.

[226] Vgl. T.D.C. Kuch: Thematic Analysis in Information Science:the Example of "Literature Obscolescence".

[227] Vgl. K. Lenk, J. Diekamnn, H. Schwab: Recht und Politik der Fachinformationsversorgung, S. 11 ff.

[228] Vgl. G. Windel: Was ist Information und Dokumentation? S. 9 ff.

[229] Vgl. W.D. Garvey: Communication: The Essence of Science.

[230] Ebd. S. 154.

[231] Vgl. F.W. Lancaster: Information Retrieval Systems: Characteristics, Testing and Evaluation, S. 300 ff.

[232] Vgl. J.M. Ziman: Introduction, S. 2; D.J. de Solla Price: Little Science, Big Science, S. 91: "We tend now to communicate person to person instead of paper to paper. In the most active areas we diffuse knowledge through collaboration."

[233] Vgl. K. Lenk: Anforderungen der Kommunikationsgrundrechte.

[234] F.W. Lancaster: Information Retrieval Systems, S. 306.

[235] Ebd. S. 309.

[236] K. Lenk: Anforderungen der Kommunikationsgrundrechte.

[237] Vgl. W.D. Garvey: Communication; F.W. Lancaster: Information Retrieval Systems, S. 300 ff.

[238] Vgl. O. Nacke: Informetrie: Ein neuer Name für eine neue Disziplin; F. Narin, J.K. Moll: Biblioimetrics; M.C. Drott, B.C. Griffith: An Empirical Examination of Bradford's Law and the Scattering of Scientic Literature; D. de S. Price: A General Theory of Bibliometric and Other Cumulative Advantage Processes, ders.: Litttle Science, Big Science.

[239] Vgl. P. Zunde, J. Gehl: Empirical Foundations of Information Science; P. Zunde: Empirical Laws and Theories of Information and Software Sciences (der Band 20 enthält die Beiträge zum ersten "Symposium on Empirical Foundations of Information and Software Science", Georgia Institute of Technology, Atlanta, November 1982).

[240] Vgl. R. Kuhlen (Hrsg.): Datenbasen, Datenbanken, Netzwerke. Bd.1, S. 15.

[241] Vgl. G. Salton, M.J. McGill: Introduction to Modern Information Retrieval, S. 7 ff.

[242] Vgl. L.C. Smith: Artificial Intelligence: Applications in Information Systems; ders.: Artificial Intelligence: A Selected Bibliography; R. Kuhlen: Zur Lage der Künstlichen-Intelligenz-Forschung in der Bundesrepublik Deutschland. (Vgl. Ausblick)

[243] E. Oeser: Wissenschaft und Information, S. 86.

[244] Eine DE geht stellvertretend für eine DBE ein. Vgl. K. Laisiepen u.a.: Grundlagen, S. 106 ff.

[245] R. Kuhlen: Linguistische Grundlagen, S. 728. Vgl. G. Salton, M.J. McGill: Introduction to Modern Information Retrieval, S. 257 ff.

[246] E. Oeser: Wissenschaft und Information, S. 86.

[247] Encyklopédie ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers. Par une société de gens de Lettress. Art. Encyclopédie.

[248] Ebd.: "Une considération, surtout, qu'il ne faut point perdre de vue, c'est que si l'on bannit l'homme ou l'être pensant et contemplateur de dessus la surface de la terre, ce spectacle pathétique et sublime de la nature n'est plus qu'une scène triste et muette. L'univers se tait; le silence et la nuit s'en emparent. Tout se change en une vaste solitude où les phénomènes inobservés se passent c'une manière obscure et sourde. C'est la présence de l'home qui rend l'existence des êtres intéressante."

[249] Vgl. I. Dahlberg: Grundlagen universaler Wissensordnung, S. 30 ff.

[250] B.C. Vickery: Classification and Indexing in Science, s. 11.

[251] Vgl. N. Rescher: Cognitive Systematization: A System-theoretic approach to a coherentist theory of knowledge, und die Rezension von F. Suppe. Ferner E. Oeser: Semantisch-pragmatische Information und Ordnung des Wissens, S. 29-48.

[252] Vgl. E. Tugendhat: Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosoophie.

[253] N. Henrichs: Gegenstandstheoretische Grundlagen der Bibliotheksklassifikation?, S. 131.

[254] Vgl. I. Dahlberg: Grundlagen universaler Wissensordnung.

[255] Vgl. N. Henrichs: Philosophische Dokumentation. Das mit Düsseldorf kooperierende "The Philosopher's Index" (Ohio State University, USA) benutzt ebenfalls keine Fachklassifkation.

[256] Ich meine hiermit die Geschichte der modernen Dokumentation. Die Methode des "Indexierens" hat aber, unabhängig vom Information Retrieval, eine lange Geschichte. Vgl. M. Cornog: A history of indexing technology.

[257] Vgl. H.H. Wellish: "Index": the word, its history, meanings and usages.

[258] G. Wersig: Thesaurus-Leitfaden. Eine Einführung in das Thesaurus-Prinzip in Theorie und Praxis. Vgl. die Rezension von D. Soergel.

[259] Vgl. H. Kalverkämper: Die Axiomatik der Fachsprachen-Forschung; H.J. Schuck: Fachsprache und Gemeinsprache.

[260] Vgl. I.L. Travis, R. Fidel: Subject Analysis, S. 143: "Another clear pattern over the past 20 or 30 years has been the shift from thinking of different retrieval techniques as opposing systems to considering them as complementary."

[261] V.W. Lancaster: Information Retrieval Systems, S. 279 ff.

[262] Vgl. G. Lustig: Weiterentwicklung der automatischen Indexierung im Projekt AIR. Solche Verfahren haben m.E. Aussicht auf Erfolg sofern sie hermeneutisch konzipiert sind, d.h. sofern sie das (Vor-)Wissen eines "erfahrenen Retrievers" zu integrieren vermögen. Vgl. G. Knorz: Automatisches Indexieren als Erkennen abstrakter Objekte, S. 80 ff. Über die Rolle von "Präsuppositionen" und "Weltwissen" in Zusammenhang mit Datenbanksystemen vgl. K. Morik: Überzeugungssysteme der künstlichen Intelligenz, S.123 ff.

[263] G. Salton u.a.: Introduction ot Modern Information Retrieval.

[264] F.W. Lancaster: Trends in Subject Indexing from 1957 to 2000.

[265] N. Henrichs: Philosophische Dokumentation, S. 21.

[266] Vgl. N. Henrichs, H. Rabanus: ALBUM ein Verfahren für Literatur-Dokumentation.

[267] Vgl. N. Henrichs: Benutzungshilfen für das Retrieval, S. 158 f.

[268] Ebd.

[269] G. Fugmann: Toward a Theory of Information Supply and Indexing.

[270] G. Fugmann: Toward a Theory of Information Supply; ders.: On the Practice of Indexing and its Theoretical Foundations.

[271] Vgl. B. Endress-Niggemeyer: Referierregeln und Referate Abstracting als regelgesteuerter Textverarbeitungsprozeß; B. Weßner: Inhaltsangaben zur Kurzorientierung.

[272] Vgl. H. Borko, Ch.L. Bernier: Abstracting Concepts and Methods.

[273] Vgl. IAEA-INIS-4: Instructions for Submitting Abstracts; Zentralstelle für Psychologische Information und Dokumentation (Universität Trier) (Hrsg.): Leitfaden für die inhaltliche Erschließung von Zeitschriftenaufsätzen.

[274] Vgl. Cicero: Topica II, 2; Th. Kisiel: Ars inveniendi: A Classical Source for Contemporary Philosophy of Science.

[275] Vgl. G.W. Leibniz: Dissertatio de Arte Combinatoria. Voraussetzung sind eine "lingua characteristica" und ein "calculus ratiocinator". In bezug auf Th. Hobbes schreibt Leibniz: "merito posuit omne opus mentis nostrae esse computationem" (S. 194) Zum Verhältnis Mensch-Maschine bei Leibniz vgl. M. Schneider: Leibniz über Geist und Maschine.

[276] G.W. Leibniz: Discours touchant la méthode de la certitude et l'art d'inventer, Kap. LIV.


[277] Ebd.:
"Je suis obligé quelquefois de comparer nos connoissances à une grande boutique ou magasin ou comptoir sans ordre et sans inventaire; car nous ne savons pas nous mêmes ce que nous possedons deja et ne pouvons pas nous en servir au besoin. Il y a une se trouvant dans les auteurs, mail il y en a encore bien plus, qui se trouvent dispersées parmi les hommes dans la pratique de chaque profession; et si le plus exquis et le plus essentiel de tout cela se voyoit recueilli et rangé par ordre avec plusieurs indices, propres à trouver et à employer chaque chose là où elle peut servir, nous admirerions peut-être nous mêmes nos richesses et plaindrions notre aveuglement, d'en avoir si peu profité."

[278[ Eine ähnliche begriffliche und terminologische Unterscheidung wird im Bereich der "künstliche-Intelligenz-Forschung" zwischen "heuristics" (Technik zur Verbesserung der Effizienz eines Suchprozesses) und "heuretics" (das Wissen um die Suchkunst selbst) gemacht. Vgl. E. Rich: Artificial Intelligence, S. 35 ff.

[279] Im Deutschen sind die Komposita: Dialoggerät, Dialotteilnehmerdienst, Dialog-Verkehr usw. üblich. Vgl. K. Laisiepen u.a.: Grundlagen der praktischen Information und Dokumentation. Im Englischen werden "online retrieval system" auch als "interactive" oder "conversational" bezeichnet. Vgl. F.W. Lancaster: Information Retrieval Systems, S. 70.

[280] Vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 344 ff. (Vgl. II,2.c)

[281[ Vgl. E. Oeser: Wissenschaft und Information, S. 68.

[282] Vgl. H.-G. Gadamer: Wahrheit und Methode, S. 365.

[283[ Vgl. E. Garfield: What Are Facts (Data) and What Is Information?, der in diesem Zusammenhang auf den etymologischen Ursprung des Informationsbegriffs hinweist. Vgl. v.Vf.: Information.

[284[ N.J: Belkin u.a.: ASK for Information Retrieval, S. 61 ff. (Vgl. I,3,d)

[285[ Vgl. A. Diemer: Elementarkurs Philosophie, S. 194. Ferner: C.P.R. Dubois: The use of thesauri in online retrieval.

[286] Vgl. A.N. Sommerville: The Pre-Search Reference Interview
A Step by Step Guide; K. Markey: Levels of question formulation in negotiation of information need during the online presearch interview.

[287] D.R. Swanson: Information Retrieval as a Trial-and-Error Process.

[288] S.P. Harter: Scientific Inquiry: A Model for Online Searching.

[289] Vgl. M.H. Heine: The "question" as a fundamental variable in information science.

[290] Vgl. H. Brooks, R.N. Ody, N.J. Belkin: Representing and classifying anomalous states of knowledge. (Vgl. I,3,d)

[291] Vgl. W.M. Henry, J.A. Leigh, L.A. Tedd, P.W. Williams: Online Searching. An Introduction; C.H. Fenichel, Th.H. Hogan: Online Searching: A Primer; G. Byerly: Online Searching. A Dictionary and Bibliographic Guide.

[292] Vgl. D.T. Hawkins, R. Wagers: Online Bibliographic Search Strategy Development; M.J. Bates: Information Search Tactics; R.E. Hoover: Online Search  Strategies; R. Fidel: Online Searching Styles: A Case-Study-Based Model of Searching Behavior.

[293] M.J. Bates, Idea Tactics.

[294]  C.W. Cleverdon: Optimierung von Online-Informationsdienstleistungen in Wissenschaft und Technik.

[295] Ebd. Vgl. I. Wormell: Cognitive aspects in natural language and free-text  searching, der die Bedeutung verobjektivierter Wissensstrukturen bei der (online) Suche hervorhebt.

[296] G. Salton u.a. Introduction to Modern Information Retrieval, S. 161. Vgl. die klassische Erörterung des Relevanzbegriffs im Bereich der Informationswissenschaft von T. Saracevic: Relevance. A Review of the Literature and a Framework for Thinking on the Notion in Information Science.

[297] Vgl. M. Möhr: Benutzerorientierte Bewertung von Information-Retrieval-Systemen. Ferner G. Salton u.a.: Introduction to Modern Information Retrieval, S. 176.

[298] D.R. Swanson: Information Retrieval as a Trial-and-Error Process

[299] F.W. Lancaster: Information Retrieval Systems, S. 265-272.

[300[ G. Salton u.a.: Introduction to Modern Information Retrieval, S. 163.

[301[ Vgl. D.R. Swanson: Information Retrieval as a Trial-and-Error Process; M.K. Buckland: Relatedness, Relevance and Responsiveness in Retrieval Systems; B. Boyce: Beyond Topicality; D.A. Kemp: Relevance, Pertinence and Information System Development; P. Wilson: Situational Relevance.

[302] M. Möhr: Benutzerorientierte Bewertung.

[303] F.W. Lancaster: Information Retrieval Systems, S. 264: "Pertinence decisions, then, are very transient, much more so than relevance decisions. They are influenced by both the passage of time and the sequence in which the decisions are made."

[304[ G. Salton u.a.: Introduction to Modern Information Retrieval, S. 176 f.

[305] Vgl. M. Möhr: Benutzerorientierte Bewertung; D. Ellis: Theory and explanation in information retrieval research, der die Bedeutung "behavioristischer" Nutzer-Quellen Analysen (anstelle einer isolierten  Betrachtung subjektiver Wissensstrukturen) hervorhebt.

[306] A. Schütz: Reflections on the Problem of Relevance. Die von Schütz erörterten Relevanzarten, nämlich "topische", "motivierte" und "interpretative" Relevanz, weisen jeweils auf den thematischen Horizont des Fragenden, auf seinen Erwartungshorizont sowie auf  den Bewertungsprozeß hin, wodurch er die "Pertinenz" der Antworten thematisch und "zweckmäßig" analysiert und somit zur Bildung eines neuen Horizontes kommt.

[307] Vgl. S. Nora, A. Minc: Die Informatisierung der Gesellschaft, S. 119 bis 130. Die von den Autoren angesprochene "Sozialisierung der Information", im Sinne eines Mechanismus zur Harmonisierung von Staat und Gesellschaft, geht über die hier zu behandelnde Frage hinaus. Dennoch spielt die Fachinformation, bedingt durch die "Telematik", auch in jenem Sozialisierungsprozeß eine nicht zu unterschätzende Rolle.

[308] Y. Masuda: The Information Society as Post-Industrial-Society.

[309] D. Bell: The Social Framework of the Information Society.

[310] J: Weizenbaum: Once More: The Computer Revolution; ders.: Computer Power and Human Reason. Ferner die "Reviews" von B.G. Buchanan, J. Lederberg, J.McCarthy: Three Reviews of J. Weizenbaum's Computer Power and Human Reason.

[311] J. Weizenbaum: Once More, S. 457: "Who is the beneficiary of our so much-advertised technological progress and who are its victims? What limits ought we, the people generally and scientists and engineers particularly, to impose on the application of computation to human affairs? What is the impact of the computer [...] on the self-image of human beings and on human dignity?"

[312] Vgl. Kommunikative Gesellschaft: Beiträge einer interkulturellen Tagung zwischen Japanern und Europäern.

[313] Vgl. M. Kochen: Information and Society.

[314] Vgl. N. Henrichs: Sozialisation der Information; G. Vowe: Information und Kommunikation, S. 368 ff.; G. Wersig: Informationssoziologie.

[315] Vgl. v.V.: Moral issues in information science.

[316] N. Henrichs: Sozialisation der Information.

[317] G. Rózsa: Scientific Information and Society.

[318] Auf die möglichen faktischen Einschränkungen dieser Publizität werde ich im dritten Abschnitt dieses Kapitels hinweisen. Zur Frage des Datenschutzes vgl. G. Runge, R. Capurro: Ethische Reflexionen zum Datenschutz. Zur Unerläßlichkeit der ungehinderten Mitteilung aller Ergebnisse und Meinungen für das Gedeihen der Wissenschaft sowie zur Erhaltung bürgerlicher Freiheiten vgl. A. Einstein: Aus meinen späten Jahren, S. 52 ff., 176, 199 f.

[319] K. Lenk: Anforderungen der Kommunikationsgrundrechte an die Fachinformationsversorgung, S. 14.

[320] Vgl. Ch. Oppenheim: Data Banks and Democracy.

[321] K. Lenk: Anforderungen der Kommunikationsgrundrechte, S. 19.

[322] Vgl. v.Vf. Buchkultur im Informationszeitalter.

[323] Vgl. S. Artandi: Man, Information, and Society: New Patterns of Interaction; J. Bowen: Computers and information for the citizen. What is missing? Where are the gaps?, R.W. Swanson: The Information Business is People Business.

[324] Vgl. D.R. Dolan: Databases for Everyman.

[325] Ebd. S. 104: "The move toward user-friendly systems is essentially a democratic trend which gives information power to the people. Online systems are no longer in teh hands of online gatekeeprs, but are in the hands of the masses. But do these systems have mass appeal? Offering scholarly information on a menu-driven system hardly constitutes user-friendly. Not until we have databases which are of, by, and for the people will the present systems be truly user-friendly." Vgl. M. Kochen (Hrsg.): Information for Action. From Knowledge to Wisdom.

[326] Zitat bei F.W. Lancaster: Information Retrieval Systems, S. 324: "An information retrieval system will tend not to be used wherever it is more painful and troublesome for a customer to have information that for him not to have it."

[327] D. Ihde: Technics and Praxis, S. 3 ff.

[328] Der Ausdruck "computer literacy" wurde wahrscheinlich auf der 1981 in Lausanne (Schweiz) abgehaltenen Konferenz über "Computers in Education" vom amerikanischen Wissenschaftler A.P. Ershov erstmalig gebraucht. Zum Umfang dieses Begriffs, der von der Fähigkeit mit dem Computer umzugehen bis hin zur kritischen Betrachtung von "science fiction"-Visionen reicht, vgl. Diebold Management Report: "Computer literaca". Ferner Sh. Turkle: The Second Self. Computers and the Human Spirit, die die Art und Weise wie der Umgang mit dem Computer  auf Menschen wirkt und zur Entstehung einer "computer culture" führt, soziologisch und psychologisch analysiert. Zum letzteren Gesichtspunkt vgl. die Rezension zu Turkles Buch von S. Zizek: Un lapsus anti-totalitaire?

[329] Vgl. F.W. Lancaster: The Evolving Paperless Society and its Implications for Libraries. Kritisch dazu Ch. Oppenheim: New Technology: Trends, Limits and Social Effects.

[330] F.W. Lancaster: The Future of Indexing and Abstracting Services.

[331] Vgl. B. Vickery, R. Heseltine, C. Brown: Interactive Information Networks and UK Libraries; K.J. McGarry: The Changing Context of Information; J:H. Shera: Knowing Books and Men; Knowing Computers, Too.

[332] Vgl. K. Lenk: Fachinformationsversorgung im Zeichen technischen Wandelns.

[333] Vgl. G. Salton u.a.: Introduction to Modern Information Retrieval, S. 410 ff.

[334] K. Ganzhorn: Informatik im Übergang (meine Hervorhebung!). Zur Bedeutung von Sprache und Intersubjektivität bei der Gestaltung einer "sanften" Informationstechnik sowie einer humanen "Informationsgesellschaft" vgl. K. Ezawa: Japans Weg in eine Informationsgesellschaft.

[335] G. Wersig: Informations- und Kommunikationstechnologien: Ersatz oder Unterstützung der menschlichen Komponente? Eine einseitige Formalisierung von Kommunikationsprozessen kann negative Folgen haben z.B. für "junge Disziplinen" oder auch für den Innovationsprozeß. Vgl. W. Dijkhuis: An anatomy of innovation, S. 186.

[336] Vgl. G. Hottois: Le signe et la technique. La philosophie à l'épreuve de la technique. Dazu v.Vf.: Technics, Ethics,and the Question of Phenomenology. Ferner H. Lenk: Zur Sozialphilosophie der Technik; F. Rapp, P.T. Durbin (Hrsg.): Technikphilosophie in der Diskussion.

[337] UNESCO Intergovernmental conference on scientific and technological information for development. UNISIST II. Final Report.

[338] Diese "Barrieren" lassen sich auch fachgebietsspezifisch untersuchen. Vgl. E.M. Vedernikova: Information Barriers in Industry.

[339] M.J. Menou: Cultural barriers to the international transfer of information.

[340] Vgl. J. Michel: Linguistic and political barriers in the international transfer of information in science and technology; V. Rosenberg: Cultural and political traditions and their impact on the transfer and use of scientifica information.

[341] Vgl. J. Davies: Linguistic and political barriers in the international transfer of information in science and technology: A reinterpretation.

[342] Vgl. G. Cochrane, P. Atherton: The Cultural Appraisal of Efforts to Allevaite Information Inequity; A. Neelameghan: Some Issues in Information Transfer: A Third World Perspective; H. East: Information Technology and the Problems of Less Developed Countries.

[343] Vgl. F. Krückeberg: Kommunikative Gesellschaft und interkulturelle Begegnung; U. Kalbhen, F. Krückeberg, J. Reese (Hrs.): Gesellschaftliche Auswirkungen der Informationstechnologie; R.L. Chartrand, J.W. Morentz (Hrsg.): Information Technology Serving Society.

[344] Vgl. G. Wersig: Das Kreuz der Fachinformation: Esoterik, Marginalie, Magie oder wohin?

[345] Aus der umfangreichen Literatur zum Thema "Philosophie und künstliche Intelligenz" vgl. auf der einen Seite M. Boden: Artificial Intelligence and Natural Man; A. Sloman: The Computer Revolution in Philosophy, sowie D.R. Hofstadter: Gödel, Escher, Bach, die auf die Tragweite des KI-Ansatzes als Modell des menschlichen "Geistes" hinweisen, während auf der anderen Seite H.L. Dreyfus: Die Grenzen künstlicher Intelligenz; J. Weizenbaum: Computer Power and Human Reason; ders.: Once More: The Computer Revolution, auf die Grenzen dieses Ansatzes aufmerksam machen. Vgl. auch J. Haugeland (Hrsg.): Mind Design; M. Ringle (Hrsg.): Philosophical Perspectives in Artificial Intelligence. Zum Thema "künstliche Intelligenz Forschung und ihre epistemologische Grundlagen" vgl. die gleichnamige Darstellung von W. Daiser. Zur Entwicklung und Anwendung der KI-Forschung vgl. SEAI Institute: Artificial Intelligence: A New Tool for Industry.

[346] Vgl. M. Tietzel: L'Homme machine. Künstliche Menshen in Philosophie, Mechanik und Literatur, betrachtet aus der Sicht der Wissenschaftstheorie. Der Autor hebt die Bedeutung menschlicher "Hintergrundwissen" hervor.

[347] Zum Thema "Denken und Computer" vgl. den klassischen Ansatz von M. Bunge: Do Computers Think? Ferner B. Waldenfels: Mens sive cerebrum. Intentionalität in mentalistischer Sicht; A. Baruzzi: Mensch und Maschine. Das Denken sub specie machinae. Nach W. Stegmüller: Neue Wege der Wissenschaftsphilosophie (S. 21), werden wir niemals über ein vollständiges Erklärungsmodell für den Menschen verfügen (andernfalls, hätten wir uns in eine neue Spezies transformiert), d.h. wir sind für uns selbst nicht transparent. Heidegger pflegte zu sagen, das Leben sei "diesig". Vgl. M. Heidegger: Phänomenologische Interpretationen zu Aristoteles, S. 88.

[348] F. Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen, S. 326.



Literaturverzeichnis
 

Folgende in diesem Literatuverzeichnis zitierten Arbeiten des Verfassers sind online zugänglich:

- Information (1978)
- Heidegger über Sprache und Information (1981)
- Zur Frage der Ethik in Fachinformation und -kommunikation (1981)
- Zur Kritik von K.R. Poppers platonistischem Modell des Wissens (1983) (Siehe Kap. II,1,c dieser Schrift)
- Moral issues in information science (1985)
- Epistemology and information science (1985)
- Technics, Ethics and the Question of Phenomenology (1985)


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Letzte Änderung: 1 Oktober 2024





  
 
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