1.
TWISTING METAPHYSICS: KANT UND HEIDEGGER
Sie
springen
in die Augen, die Bindestriche in Sein und Zeit. Die
bedeutendste
der Bindestrich-Formeln ist wohl "In-der-Welt-sein" (1).
Dazu bemerkt Heidegger:
"Der
zusammengesetzte Ausdruck 'In-der-Welt-sein' zeigt schon in seiner
Prägung
an, daß mit ihm ein einheitliches Phänomen gemeint
ist.
(SZ 53)
Dem
stehen
zwei Möglichkeiten gegenüber: Fehlen die Bindestriche, dann
könnte
man meinen, daß es sich um "zusammenstückbare Besände"
(ebd.) handelt. Bildet man ein Wort, z.B. "Innerweltlichkeit",
dann
geht die "Mehrfältigkeit konstitutiver Strukturmomente" (ebd.)
womöglich
verloren, denn "Innerweltlichkeit" stellt lediglich ein Strukturmoment
von "Welt" dar, so wie "Welt" als ein Strukturmoment zum
"In-der-Welt-sein"
gehört. Mit dieser Formel erhält die mit der "Und"-Verbindung
im Titel aufgeworfene Frage eine nur auf das spezifisch Menschliche
bezogene vorläufige Antwort. Die Vorläufigkeit des
daseinsanalytischen
Fundaments zeigt an, daß dieser Ausgang in sich gegenwendig
ist.
Heideggers
Bindestrich-Formel drückt eine Wende in der Geschichte des Denkens
aus. Wogegen wendet sich das Denken? Antwort: Gegen die neuzeitliche
Trennung
von Mensch und Welt. Diese Wende vollzieht sich mit Blick auf die
antike
Ontologie und auf ihre Verdrehung durch die Kantische Kritik. In Kants
Programm einer kritischen Metaphysik stellt die in
Transzendentalphilosophie
umgedrehte Ontologie eine "Propädeutik" dar, der dann die
rationale
Physiologie, Kosmologie und Theologie sowie die Metaphysik der Sitten
folg(t)en
(2).
Wenn
Kant zwischen "Fortschritte" und "Überschritte" der Metaphysik
unterscheidet
und letztere lediglich in "praktisch-dogmatischer Rücksicht"
zuläßt
(3), dann vollzieht das (sein) Denken eine Wende, in
der die "dogmatische" Metaphysik einbezogen und sozusagen in einer
neuen
'Masche' eingewoben und verdreht wird. Während für die
dogmatische
Metaphysik Übersinnliches mit Prädikaten sinnvoll
ausgesprochen
und erkannt werden kann, stellt Kant eine kritische Trennung auf, indem
er Grundkategorien der Sprache zu Formen des erkennenden Subjekts
umkehrt
und das vorhergehende 'subjectum' im Hinblick auf seine theoretische
Erkennbarkeit
von jenen Formen abhängig macht, also zum 'Gegenstand' des
Erkennens
verwandelt. Aufgrund der Abhängigkeit der Grundkategorien von der
Leiblichkeit des Erkennenden, schränkt Kant ihre theoretischen
Ansprüche
auf Gegenstände sinnlicher Erfahrung ein."
In Sein
und Zeit vollzieht Heidegger eine Drehung des
Kantischen Programms
einer transzendentalen Ontologie, indem er die Trennung zwischen
Erkenntnis
und Gegenstand sprengt und das einheitliche Phänomen des
menschlichen
Existierens in der Welt erschließt. Über diese Drehung
schreibt
Heidegger ca. 35 Jahre nach Sein und Zeit folgendes:
"Sein
und Zeit ist vielmehr dahin unterwegs, auf dem Wege über die
Zeitlichkeit
des Daseins in der Interpretation des Seins als Temporalität einen
Zeitbegriff, jenes Eigene der "Zeit" zu finden, von woher sich "Sein"
als
Anwesen ergibt. Damit ist aber gesagt, daß das in der
Fundamentalontologie
gemeinte Fundamentale kein Aufbauen darauf verträgt. Stattdessen
sollte,
nachdem der Sinn von Sein erhellt worden wäre, die ganze Analytik
des Daseins ursprünglicher und in ganz anderer Weise wiederholt
werden."
(4)
Diese
"Wiederholung" dreht sich 'gegen' die fundamentalontologische Drehung,
um sie erneut zu verdrehen. Aber schon an mehreren Stellen von Sein
und Zeit stellt Heidegger die Notwendigkeit einer "Wiederholung"
des
fundamentalontologischen Ansatzes in Aussicht. Programmatisch weist er
vor der Ausarbeitung der Zeitlichkeit der Alltäglichkeit,
Geschichtlichkeit
und Innerzeitigkeit auf die "Verwicklungen" einer Ontologie des
Daseins hin. Er stellt fest, daß das Sein des Daseins "erst im
Horizont
des geklärten Seins des nichtdaseinsmäßigen Seienden,
das
heißt auch dessen, was, nicht zuhanden nicht vorhanden, nur
'besteht'"
seine "umfassende ontologische Durchsichtigkeit" bekommt (SZ 333). Was
ist aber das, was "'besteht'"? Der Ausdruck "besteht" steht in
Anführungszeichen,
da gerade das Sein dessen, was "besteht", erst geklärt werden
soll.
Es ist aber 'etwas', was 'unabhängig' von den
Konstitutionsleistungen
des Daseins eben für sich besteht. Gemeint ist damit, wie sich
noch
zeigen wird, die Natur.
2.
ÜBER DIE METAPHYSIK HINAUS UND ZU IHR ZURÜCK
Heideggers
Denken ist in sich gegenwendig. So trägt das frühe Hauptwerk
den Titel Sein und Zeit und kündigt zugleich innerhalb des
I. Teils eine Wende im Titel des 3. Abschnittes an "Zeit und Sein". Auf
sie verweist Heidegger in der Vorlesung von SS 1928 Metaphysische
Anfangsgründe
der Logik (GA 26). Der Analytik des Daseins folgt die Analytik der
Temporalität des Seins. Es lohnt sich, diesen Text genau zu
lesen:
"Dieses
Ganze der Grundlegung und Ausarbeitung der Ontologie ist die
Fundamentalontologie;
sie ist 1. Analytik des Daseins und 2. Analytik der Temporalität
des
Seins. Diese temporale Analytik ist aber zugleich die Kehre, in
der die Ontologie selbst in die metaphysische Ontik, in der sie
unausdrücklich
immer steht, ausdrücklich zurückläuft. Es gilt, durch
die
Bewegtheit der Radikalisierung und Universalisierung die Ontologie zu
dem
in ihr latenten Umschlag zu bringen. Da vollzieht sich das Kehren, und
es kommt zum Umschlag in die Metontologie. Fundamentalontologie und
Metontologie
in ihrer Einheit bilden den Begriff der Metaphysik." (5)
Was
"metaphysische
Ontik" und "Metontologie" besagen, geht hieraus nicht hervor, sondern
wird
erst bei der Erörterung der "Leitsätzen" zu Sein und Zeit
deutlich, worauf ich im dritten Abschnitt zu sprechen komme. In Sein
und Zeit wird ein solcher "Umschlag" an zwei entscheidenden und
gleich
lautenden Stellen angesprochen, die den vorläufigen
drehungsbedürftigen
Charakter dieser Exposition ankündigen.
In
derselben Vorlesung (GA 26, 181) stellt Heidegger das Problem der
Metaphysik
aus zwei Perspektiven, einer "mehr äußerlichen" und einer
"schon
mehr in das Zentrum des Problems weisenden" dar. Die äußere
Perspektive betrifft eine aus der Zeitperspektive sich ergebende
Einteilung
der 'metaphysica specialis'. Die "in das Zentrums des Problems"
weisende
Perspektive ist die der Ontologie im Sinne des Unterschiedes von Sein
und
Seiendem. Diese stellt nicht nur die Frage nach der Mannigfaltigkeit
der
Seinsregionen, sondern hinterfragt die dieser zugrundeliegende
Unterscheidung
zwischen 'essentia' und 'existentia' als Problem einer Artikulation des
Seins. Heideggers These in Sein und Zeit lautet, daß
diese
Unterscheidung insofern keine universale sein kann, als sie dem aus
'essentia'
und existentia' bestehenden 'actus' bzw. Wirklichkeit den Vorrang
gegenüber
der 'potentia' bzw. Möglichkeit einräumt, während die
Analytik
des Daseins zeigt, daß zumindest im Falle der Seinsweise eines
Seienden, nämlich des Menschen, die Möglichkeit, zwar nicht
"früher"
aber "höher" ist als die Wirklichkeit (SZ 38), womit auch die
Kategorie
der Möglichkeit sich in ein Existenzial, das "Möglichsein",
verwandelt
(6).
Diese Falsifikation der
Metaphysik bedeutet aber keineswegs,
daß
die Metaphysik von der Daseinsanalytik überholt oder ersetzt wird.
Denn Letztere entspringt erst dann, "wenn eine mögliche
Totalität
von Seiendem schon da ist" (GA 26, 199). Das "Seiende im Ganzen" ist
das
Thema der Metaphysik, zu dessen Auslegung die Hermeneutik des Daseins
den
Ausgang bildet. Diese Auslegung setzt also, wie Heidegger betont, die
faktische
Existenz des Daseins (also seine 'existentia') und "diese wiederum das
faktische Vorhandensein der Natur" (also all dessen, was durch eine
'essentia'
bestimmt werden kann) voraus. Der Ausdruck "Vorhandensein" ist aber in
bezug auf die Natur unpassend, da es sich bei diesem Bereich, wie oben
bemerkt, um das handelt, was weder vorhanden noch zuhanden, sondern
für
sich "besteht".
Die
Daseinsanalytik muß, aufgrund dieser "metaphysischen Ontik" "in
der
sie unausdrücklich immer steht", eine "metabolé", d.h.
einen
"Umschlag" vollziehen. Es ist kein Zufall, wenn Heidegger den Satz, in
dem er die gegenwendige Aufgabe der Philosophie als "universale
phänomenologische
Ontologie" im Gegensatz also zur Partikularität der
Daseinsanalytik
bestimmt, zu Beginn und am Ende von Sein und Zeit wörtlich
wiederholt. Dieser Satz, der als "Richtmaß jeglicher
philosophischen
Untersuchung festgehalten wird", lautet:
"Philosophie
ist universale phänomenologische Ontologie, ausgehend von der
Hermeneutik
des Daseins, die als Analytik der Existenz das Ende des
Leitfadens
alles philosophischen Fragens dort festgemacht hat, woraus es entspringt
und wohin es zurückschlägt." (SZ 38 und 436)
Der
Satz
scheint zunächst deutlich auszusprechen, daß Philosophie aus
der "Existenz" "entspringt" und in diese "zurückschlägt".
Diese
drei Begriffe erscheinen im Sperrdruck. Ist also diese Philosophie
nicht
extrem 'humanistisch', indem sie nämlich den Menschen als Ursprung
und Ziel philosophischen Fragens stellt? Wird nicht alles an den
Menschen
und an sein Denken gebunden? Dieses Mißverständnis, dem
Heidegger
im "Humanismusbrief" ausdrücklich entgegentritt, ist nur dann
möglich,
wenn unter "Existenz" die Wirklichkeit menschlicher Subjekte verstanden
wird. "Existenz" meint aber "das ek-statische Wohnen in der Nähe
des
Seins" sowie "die Sorge für das Sein" (7). Die Existenz,
in die die Analytik der Existenz zurückschlägt, ist die
Existenz
inmitten des "Seienden im Ganzen". Dieses ist der unentfaltete Ursprung
der Analytik, wohin sie also "unterwegs" ist (SZ 437). Man könnte
meinen, daß diese Interpretation des "Rückschlags" erst nach
der "Kehre" stattfindet (8). Wäre es so, hätte
Heidegger nicht schreiben können, daß
"der
Unterschied des Seins des existierenden Daseins gegenüber dem Sein
des nichtdaseinsmäßigen Seienden (Realität zum
Beispiel)"
"doch nur der Ausgang der ontologischen Problematik" ist, "aber
nichts, wobei die Philosophie sich beruhigen kann" (SZ 436-37)
Das
heißt
also, daß nicht die Analyse einer für sich isoliert
bestehenden
menschlichen Existenz den Ausgang der Untersuchung bildet, sondern eben
"der Unterschied" zwischen dem Dasein und den nicht 'existierenden'
Seienden.
Ferner, daß dieser Unterschied nur "der Ausgang" eines
möglichen
(!) Weges "zur Aufhellung der ontologischen Fundamentalfrage" ist (SZ
437),
denn
"das
Ziel ist die
Ausarbeitung der Seinsfrage
überhaupt", wozu also
die Daseinsanalytik "nur ein Weg" ist (SZ 436)
In
der
"Einleitung" zu Was ist Metaphysik? schreibt Heidegger,
daß,
wenn die "Frage nach der Existenz" nicht "im Dienste" der "Frage nach
der
Wahrheit des Seins" stünde, dieses Buch (nämlich Sein und
Zeit) den Titel "Existenz und Zeit" oder "Bewußtsein und
Zeit"
tragen würde (9). Sofern also die "Existenz" einen
Ausgangspunkt der Seinsfrage darstellt, läßt sie sich als
der
Ort, woraus das philosophische Fragen "entspringt" und wohin es
"zurückschlägt",
bestimmen.
Mit
"Existenz" ist also schon in Sein und Zeit (und nicht erst nach
der "Kehre") die "Fundamentalfrage" gemeint. Der Ausdruck "Existenz"
scheint
auf ein "Hinausstehen" aus der Immanenz des Bewußtseins
hinzuweisen.
In diesem Fall könnte der Schritt hinaus und der Hinweis auf ein
Zurückschlagen
im Hegelschen Sinne einer Dialektik der Erfahrung des Bewußtseins
mißverstanden werden. Für Heidegger bedeutet aber "Existenz"
ein ursprüngliches "Draußen-sein" (SZ 62) und die
"Inständigkeit",
von der in der Einleitung zu Was ist Metaphysik? (WiM 15) die
Rede
ist, ist ein "'Innestehen' im 'Aus' und 'Da' der Unverborgenheit". Am
Schluß
der Freiburger Antrittsvorlesung heißt es:
"Die
Philosophie kommt nur in Gang durch einen eigentümlichen Einsprung
der eigenen Existenz in die Grundmöglichkeiten des Daseins im
Ganzen.
Für diesen Einsprung ist entscheidend: einmal das Raumgeben
für
das Seiende im Ganzen; sodann das Sichloslassen in das Nichts, d.h. das
Freiwerden von den Götzen, die jeder hat und zu denen er sich
wegzuschleichen
pflegt; zuletzt das Ausschwingenlassen dieses Schwebens, auf daß
es ständig zurück schwinge in die Grundfrage der Metaphysik,
die das Nichts selbst erzwingt: Warum ist überhaupt Seiendes und
nicht
vielmehr Nichts?" (10)
Erst
wenn
die 'Bedingungen' für den "Einsprung" der "eigenen Existenz" in
die
"Grundmöglichkeiten des Daseins im Ganzen" gegeben sind, d.h. erst
wenn die "Existenz" für das "Seiende im Ganzen" Raum gibt, sich
losläßt
in das Nichts, und dabei im Ausschwingen und Zurückschwingen zu
der
Grundfrage der Metaphysik schwebt, erst dann also läßt sich
den Sinn des "Entspringens" und "Zurückschlagens" des
philosophischen
Fragens aus der bzw. in die "Analytik der "Existenz•" in seiner vollen
Dimension verstehen. Im Verhältnis zu diesem Ursprung,
nämlich
zum schlichten Ereignis, 'daß Seiendes ist', ist das Denken, so
Heidegger
im "Nachwort" zu Was ist Metaphysik?, ein "Wiederhall" der
"lautlosen
Stimme des Seins" (11)
Der
vorläufigen Analyse der "Existenz" in Sein und Zeit liegt
schon
die Frage nach der "Ek-sistenz", d.h. nach einer nicht nur den
Menschen,
sondern ebensosehr alle nichtdaseinsmäßigen Seienden
gewährenden
Offenheit zugrunde. "Existenz" bedeutet in "Sein und Zeit" nicht nur
nicht
das Vorhandensein eines Seienden, sondern auch nicht, im
"existenziellen"
Sinne, "die auf eine leiblich-seelische Verfassung gebaute sittliche
Bemühung
des Menschen um sein Selbst", so wie sie später von der
"Existenzphilosophie"
verstanden wurde. "Existenz" meint "die Aus-setzung in die
Entborgenheit
des Seienden als eines solchen". Das "ek-sistente Dasein", so Heidegger
in Vom Wesen der Wahrheit, ist kein Synonym für "Mensch",
sondern
ist das, was die "Freiheit" des Menschen erst gewährt. Heidegger
setzt
"Freiheit" in Anführungszeichen, um zu zeigen, daß die
Freiheit
des Menschen eine gegenüber der freigegebenen und freigebenden
Offenheit
des Seienden abgeleitete Freiheit ist (12). In den Beiträgen
zur Philosophie schreibt Heidegger:
"172.
Das Da-sein und die
Seinsfrage.
Das
Da-sein steht in Sein und Zeit noch im Anschein des
"Anthropologischen"
und "Subjektivistischen" und "Individualistischen" u.s.f., und doch ist
von allem das Gegenteil im Blick; freilich nicht als das zuerst und nur
Beabsichtigte, sondern dieses Gegenteilige überall nur als die notwendige
Folge der entscheidenden Wandlung der "Seinsfrage" aus der
Leitfrage
in die Grundfrage." (13)
Auch
hier
springen Heideggers Bindestriche ("Da-sein", "Gegen-teil") in die
Augen.
Das "Da" ist "die Offenheit des Seienden als solchen im Ganzen" (Beiträge,
296), und das "Da-sein" ist nicht die Seinsweise des Menschen 'tout
court',
sondern eine bestimmte, geschichtlich mögliche Weise, wie "der
Mensch
im Da-sein" bzw. wie "das Da-sein im Menschen" sein kann (Beiträge,
301). Das bedeutet, wie Heidegger kurz davor (unter dem Titel "Das
Da-sein
und das Seiende im Ganzen") erläutert, daß das "Da-sein"
nicht
nur im Bezug zum Menschen, sondern "zum Seienden im Ganzen" zu fassen
ist
(Beiträge, 299). Der "Durchgang durch die Frage nach dem
Menschen"
bildet die Daseinsanalytik von Sein und Zeit (Beiträge,
299). Von hier aus, kehrt sich Heidegger zu der Ausdrucksweise in Sein
und Zeit um und korrigiert die "so noch leicht
mißverständliche"
Deutung, es handele sich beim "Da-sein" in "Sein und Zeit" um die
Weise,
wie der Mensch ist. Diese verdeutlichende Selbstdeutung wird im
nächsten
Satz selbstkritisch nicht nur gegen transzendentale oder metaphysische
Mißverständnisse des fundamentalontologischen Ansatzes
abgehoben,
sondern als eine Ausdrucksweise bezeichnet, die "nicht genügend
Klarheit"
besitzt, um das "Da-sein" als eine geschichtliche Möglichkeit "des
künftigen Menschseins" zu verstehen (Beiträge, 300).
Zur
weiteren Verdeutlichung verweist Heidegger auf die "laufenden
Anmerkungen
zu Sein und Zeit" (Beiträge, 301). In der ersten
Randbemerkung
des Hüttenexemplars zur gleichlautenden Passage über das
"Richtmaß
jeglicher philosophischen Untersuchung" (SZ, 38 und 436) heißt
es:
"'Existenz'
fundamentalontologisch, d.h. auf Wahrheit des Seins selber bezogen, und
nur so!" (Randbemerkung zu S. 38)
und
in
bezug auf diese 'wieder-holte' Passage heißt es dann
lapidar:
"Also
nicht Existenzphilosophie", womit also kein Zweifel (mehr) bestehen
sollte,
daß der Ursprung des Philosophierens nicht nur die menschliche
Existenz,
sondern zugleich das "Seiende im Ganzen" (oder "eine mögliche
Totalität
von Seienden") ist, das, bevor das Seinsverständnis ansetzt,
"schon
da ist" (GA 26, 199). Dieses "schon da ist" ist sowohl zeitlich als
auch
'prinzipell' zu verstehen. Denn einerseits liegt die faktische Existenz
des Menschen in der zeitlichen Nachfolge einer bereits vorhandenen
"Totalität
von Seienden", andererseits aber ist es so, daß das
Seinsverständnis
'prinzipiell' zu spät kommt, um diese Totalität in ihrem
'Daß'
begründen zu können. In diesem Zusammenhang sei bemerkt,
daß
Heidegger "Sein" und "Seinsverständnis" in dieser Drehung seines
Denkens
miteinander verknüpft und von hier aus die "Differenz" zum
Seienden
erschließt. Daraus ergibt sich ein scheinbares Paradoxon. Denn
von
einem vor dem Dasein existierenden Seienden zu sagen, daß es ein
Seiendes (vor dem Dasein) ist, widerspricht offenbar der Aussage,
daß,
um so etwas zu sagen, Dasein bereits (!) existieren muß. Der
Widerspruch
ist nur dadurch lösbar, daß in der Tat, um zu sagen,
daß
Seiendes da ist, bevor Dasein existiert, Dasein existieren muß,
daß
aber diese Aussage keineswegs eine ontische Begründung des
zeitlich
vor dem Dasein existierenden Seienden impliziert, sondern 'bloß'
eine ontologische Bedingung des Verstehens des Seins des
Seienden
darstellt (14).
Im
selben Augenblick, in dem Heidegger in Sein und Zeit vom
"überspringen"
des Phänomens der Welt und des Seins durch die Cartesische
Ontologie
der Natur spricht, betont er zugleich, daß diese Ontologie
keineswegs
abgewiesen wird, sondern es soll "am Ende doch eine 'Rettung'" dieser
"Weltontologie"
möglich sein (SZ 101). Die Cartesische Ontologie stellt den
(einen)
Anfang der (unserer) Tradition dar. Wenn Heidegger an dieser Stelle auf
den I. Teil, Abschnitt 3 verweist, dann mag eine mögliche Antwort
auf das Warum jenes "Überspringens" der Welt die sein, daß
dieses
"Überspringen" keine Nachlässigkeit eines Philosophen wie
Parmenides
oder Descartes gewesen ist, sondern mit dem "Ursprung" der Philosophie
selbst zu tun hat, nämlich mit dem, woraus
"die
Analytik der Existenz das Ende des Leitfadens alles
philosophischen
Fragens dort festgemacht hat, woraus es entspringt und wohin es
zurückschlägt." (SZ 38 und 436)
Dieser
Anfang ist das, wohin die Analytik "unterwegs" ist. Die Falsifikation
der
Weltontologie durch die Fundamentalontologie weist auf die
Notwendigkeit
eines "Rückgangs" zu dieser mit einem eingeschränkten Recht
wieder
eingesetzten Metaphysik hin. Aber anstatt "dieser• Kehre, wodurch die
Analytik
des Daseins "in die metaphysische Ontik, in der sie unausdrücklich
immer steht, ausdrücklich zurückläuft", (GA 26, 201),
läßt
Heidegger das Sein vom Seinsverständnis ab und läßt den
Menschen dem Sein zugehörend, "ek-statisch" in der Nähe des
"Ereignisses"
"wohnen". Nach dieser Drehung kann sich aber das Denken durch eine
abermalige
Drehung herumdrehen. Bevor ich auf diese dritte Drehung zu sprechen
komme, wenden wir uns der von Heidegger nur angedeuteten aber nicht
ausgeführten
Drehung der Daseinsanalytik zu.
3.
TWISTING DIE DASEINSANALYTIK
Auf die
Notwendigkeit einer Umdrehung der Daseinsanalytik weist Heidegger nicht
nur im schon erwähnten Text zur "metabolé" aus der
Vorlesung
von 1928, sondern auch in den selbstkritischen "Leitsätzen" zu Sein
und Zeit, die in derselben Vorlesung (GA 26, 171 ff)
ausgeführt
wurden, hin. Diese "Leitsätze" stellen einen entscheidenden
Schlüssel
für das Verständnis der in Sein und Zeit begonnenen
aber
nicht zu Ende durchgeführten Drehung der Metaphysik in die
Daseinsanalytik
und zu dieser zurück, nämlich zu den vom
fundamentalontologischen
Ansatz ausgegrenzten Bezirken, dar. Diese Bezirke betreffen Fragen der
philosophischen Anthropologie, d.h. der "faktischen Konkretion" des
Daseins
im Menschen, der Ethik, d.h. der Thematisierung möglicher
"Bindungen"
und "Maßstäben" menschlichen Existierens, und der
'Theologie',
d.h. der Frage nach dem Grund der Existenz. Es handelt sich also um die
Grundfragen der 'metaphysica specialis'.
Die
"faktische Konkretion" des Daseins ist keine neutrale, sondern eine in
Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit nicht nur zeitlich, sondern
ebensosehr
räumlich "zerstreute". Das heißt aber nicht, daß die
"faktische"
Zerstreuung zur Grundlage der "wesenhaften" (zeitlichen oder
"ekstatischen")
gemacht wird. Täten wir das, dann wären "andere
Möglichkeiten
abgeblendet" oder würden sogar "verschlossen bleiben". Mit der
"wesenhaften"
Zerstreuung meint Heidegger aber nicht, daß es ein neutrales
Dasein
und Mitsein ohne Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit faktisch geben
könnte
(eine in Gestalt der Engellehre bzw. der 'getrennten Intelligenzen'
wohl
denkbare Möglichkeit) (15), sondern die "wesenhafte"
Zerstreuung läßt die Möglichkeit für
unterschiedliche
Konkretionen von Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit offen. Der Mensch
teilt zwar mit anderen Lebewesen die (Vor-) Bestimmungen und Wandlungen
seiner Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit, aber im Unterschied zu den
nichtdaseinsmäßigen Seienden 'west' er so, daß er auf
Möglichkeiten hin offen bleibt und diese Offenheit als eine
solche
auch 'wahr-nimmt'. Die 'Wahr-nehmung' des Möglichseins, das
Seinsverständnis
also, macht das eigene unserer Seinweise als (bzw. im) "Dasein" aus.
Dadurch
werden aber unsere sonstigen mit anderen Seienden geteilten
nichtdaseinsmäßigen
Dimensionen verändert.
Wenn
wir aber an dieser Stelle fragen, inwiefern und wie eine solche
Veränderung
stattfindet, wie also z.B. das menschliche Sehen, Schmecken, Riechen,
Hören
und Tasten (um bei dieser klassischen 'Zählung' der Sinne zu
bleiben)
daseinsmäßig zu verstehen sind, dann wäre eine
daseinsgemäße
'aisthetische' Phänomenologie nötig, die aber bei Heidegger
unausgeführt
bleibt. Sie liegt gleichwohl unausdrücklich der Daseinsanalyse von
Sein und Zeit zugrunde. Ich meine, daß das heute
in Mode gekommene
"ästhetische Denken" (W. Welsch) (16) eine bestimmte
Ausformung dieser bei Heidegger offen gelassenen 'metabolé' ist.
Es ist aber die Frage, inwiefern dieser Denkansatz durch die
Daseinsanalyse
hindurchgegangen ist oder in der metaphysischen Einteilung von
"Sinneswahrnehmung"
und "Sinnwahrnehmung" (W. Welsch) und somit im "vorstellenden Denken"
(Heidegger)
verhaftet bleibt.
Es
bleibt auch offen, wie eine daseinsgemäße
Phänomenologie
der Geschlechtlichkeit aussehen kann. Das Weiterdenken dieser Frage im
Wirkungskreis von Medard Boss zeugt von den Möglichkeiten der
'metabolé
(17). Das "neutrale Dasein" trennt den Menschen von
den sonstigen leiblichen und geschlechtlichen Seienden und bedeutet
somit
seine "metaphysische Isolierung". Diese Isolierung bringt den Menschen
vor dem eigenen Sein. Dieses 'vor dem eigenen Sein zu sein' oder, wie
Heidegger
sich ausdrückt "in seiner Existenz zu sich selbst zu gehören"
(GA 26, 172), ist das, was abgeblendet bleibt, wenn wir uns
zunächst
als Gattungswesen verstehen. Aber die Umkehrung dieser Sicht bedeutet,
daß wir als diejenigen, die (soweit wir wissen) allein mit dieser
Weise zu sein konfrontiert sind, mit dem Frage zu tun haben, wie wir in
eine Welt hineingehören, wo die nichtdaseinsmäßigen
Seienden
sich eben leiblich und geschlechtlich "zu sich selbst" nicht
gehören
(18). Ferner: Da dieses 'Zu-sich-selbst-gehören'
nicht das Ganze des Menschenseins ausmacht, stellt sich die
umgekehrte
Frage, wie der Mensch sein Geschlechtlichsein 'wahr-nimmt' und zwar
nicht
nur vom Verstehen, sondern ebensosehr von der Gestimmtheit her. Eine
'Wieder-holung'
der Daseinsanalytik ausgehend von der Frage nach der
Geschlechterdifferenz,
wie sie Michael Eldred unternommen hat, stellt eine mögliche
'metabolé'
des Denkweges von "Sein und Zeit" dar, wobei aber Eldred die
Geschlechterdifferenz
als eine der Geschlechtsneutralität des Daseins vorausgehende
Bestimmung
auffaßt. Die Neutralität gibt in Wahrheit nur die
männliche
Dimension wieder (19). Problematisch scheint mir dabei,
daß die Neutralität nicht als ursprüngliche
Zerstreutheit
aufgefaßt wird. Es ist dann die Frage, inwiefern die
Quantifizierung
der Differenz ("Zweiheit") die Frage nach ihrer qualitativen
Unbestimmtheit
verkürzt.
"Es
ist ein Problem", schreibt Heidegger, "wie das Dasein als wesenhaft
freies
in der Freiheit des faktisch gebundenen Miteinanderseins existieren
kann."
(GA 26, 175)
Denn,
so könnte man diesen knappen Hinweis weiterführen, die
Freiheit
des Daseins im Sinne der Offenheit und des Transzendierens faktischer
Bindungen
realisiert sich vor dem Hintergrund der "Geworfenheit" in solche
Bindungen
und im Hinblick auf mögliche Ausformungen. So aufgefaßt ist
Freiheit "der Titel für zentrale Probleme (Unabhängigkeit,
Bindung,
Regelung, Maßstab)" (GA 26, 175), d.h. für jene
"Existierkunst",
wovon Heidegger schreibt, daß sie darin besteht,
"das
jeweilig Ergriffene als das schlechthin Einzige in seinem Handeln zu
behandeln
und sich dabei gleichwohl über die Endlichkeit seines Tuns klar zu
sein" (GA 26, 201)
Heidegger
kennzeichnet diese die Verwirklichungen übertreffende Dimension
mit
dem Platonischen Ausdruck "epékeina" (GA 26, S. 249).
Diese
Dimension des Möglichen übertrifft insofern uns selbst, als
sie
nicht nur alles faktisch Existierende in seinen Möglichkeiten,
sondern
auch das Dasein selbst entläßt. So erfährt sich
das Dasein als des Grundes bedürftig. Die Technik als
Naturbeherrschung
kann diese metaphysische Ohnmacht nicht lindern, sondern im
Gegenteil:
"diese
Herrschaft ist der eigentliche Beweis für die metaphysische
Ohnmacht
des Daseins, das die Freiheit nur in seiner Geschichte sich gewinnt."
(GA
26, 279)
Die
technische
Beherrschung der Natur zeigt also, daß der Mensch eines Grundes
bedarf
und daß er deshalb sowohl in bezug auf sich selbst als auch in
bezug
auf das Seiende die Frage nach dem Grunde stellt.
Wie
aber das wesenhafte Freisein mit der "faktischen Konkretion", d.h. mit
und in der Geschichte der individuellen und sozialen Bindungen
zusammenhängt,
wie also eine daseinsgemäße politische Phänomenologie
und
eine Phänomenologie der Technik aussehen könnten,
läßt
sich aus diesen Andeutungen nur erahnen.
Schließlich
kündigt Heidegger eine theologische 'metabolé' an. Das
Dasein
erscheint nicht nur als das, was sich grundlos und "neutral" auf sein
Möglichsein
hin entwirft, sondern als "geworfen und befangen" in der Natur, von der
es sich "tragen lassen" kann, mit der es sich aufgrund der Zerstreuung
sogar "identifiziert" (GA 26, 174). Hier kommt die Dimension der
"Einfachheit
und 'Sorglosigkeit' eines absoluten Getragenseins" in das Dasein
hinein,
also eine Dimension, die den Bereich des Göttlichen oder des
Numinosen
anspricht. "Einfachheit" und "Sorglosigkeit" (Heideggers
Anführungszeichenn
weisen auf die Identität und Differenz mit dem Grundzug der
"Sorge"
in Sein und Zeit hin), sind spiegelbildliche Verdrehungen des
"Verfallens"
und der "Sorge", welche das von der Zeitlichkeit her interpretierten
Sein
des Daseins kennzeichneten.
Es
bleibt aber hiermit ebenfalls nur angedeutet, wie eine
daseinsgemäße
Phänomenologie des Göttlichen durch die Drehung der
Daseinsanalytik
ausgeführt werden kann. Der Hinweis in Sein und Zeit,
wonach
eine "ursprünglichere und 'unendliche' Zeitlichkeit" sich
vielleicht
durch die "via negationis et eminentiae" "konstruieren" ließe,
deutet
ebenfalls auf einen offenen Denkweg hin (SZ 427).
4.
IM SCHWINDEL DER TECHNIK: SYNTHETISCHES DENKEN
Heideggers
Denken des "Ereignisses" bedeutet eine gegenüber dieser
'metabolé'
sich herauslösende Bewegung, in der die 'Eigen-Ständigkeit'
und
Grundlosigkeit der Natur ('physis') und der Technik zur Sprache
kommen, ohne daß das Denken sie in ein (Seins-)Verständnis
einfangen
könnte. Indem Heidegger sich auf den "Ab-Grund", der Zeit und Sein
"gibt", (20) hinwendet, artikuliert sich die Mitte,
die das Da-sein ebenso wie das nichtdaseinsmäßige Seiende
(Natur
und Technik) freigibt, als eine die Perspektive des menschlichen
Daseins
transzendierende, den Menschen bzw. "das künftige Menschsein"
zugleich
in einen offenen und 'ab-gründigen' Bezug setzende Mitte. Ich
nenne
ein Denken, das diesen Bezug zwischen Menschsein, Natur und
Technik
bedenkt, ohne ihn in eine utopisch-imaginäre oder dialektische
Synthese
aufzuheben, "synthetisches Denken.• Das synthetische Denken steht zum
Denken
des "Ereignisses" wie die in den "Leitsätzen" angedeuteten
"metabolé"
zum Ansatz von Sein und Zeit.
'Synthetisch'
soll hier auch den Klang des Englischen 'synthetics' haben, also
ein Denken, das das Künstliche in seiner 'relativen'
Eigenständigkeit,
d.h. sowohl in seinem Eigenen als auch in seinem Verhältnis zur
Natur
und zum Menschen, bedenkt. In Anschluß an Heideggers Umdrehung
der
Daseinsanalytik in das Denken des "Ereignisses", geht ein synthetisches
Denken von der Gratuität des eigenen 'Daß' sowie des
abgründigen
'Daß' von Natur und Technik aus, um aber, in Angesichts des
"Ereignis
Technik" (W. Schirmacher) (21), sich der "faktischen
Konkretion" des Künstlich- synthetischen zuzuwenden.
Ich
meine, daß das Denken des "Ereignisses" und des "Gevierts" eine
solche
'metabolé' in sich birgt, so wie die Daseinsanalytik die
angedeutete
Drehung in die "faktische Konkretion" des Daseins offen
läßt.
Eine von der Grundlosigkeit des "Ereignisses" her gedachte
'synthetische'
Zusammengehörigkeit von Natur, Mensch und Technik ist eine stets scheiternde
Synthese, da ihre Mitte abgründig ist. Ein synthetisches
Denken
kehrt also nicht in sich selbst zurück, sowenig wie es in Natur
oder
in Technik zurückkehrt, sondern es hält die Spannung seines
stetigen
Scheiterns zwischen Technizismus, Humanismus und Naturalismus zu
vermitteln,
aus.
Die
technische Umwandlung der Verhältnisse sowohl zu uns selbst als
auch
zu allen nicht-daseinsmäßigen Seienden ist nicht zu
übersehen.
Die Technik öffnet sich in unabsehbarer Weise auf ein
Möglichsein
hin, das alle unsere Prognosen und 'Folgenabschätzungen'
übertrifft.
Eine instrumentalisierende Sicht der Technik hilft uns nicht der
Tragweite
dieses Phänomens Rechnung zu tragen. Zugleich kann aber der
Mensch,
(an)gespannt im Möglichsein der Technik, der (und seiner) Natur
weder
theoretisch noch praktisch ausweichen. Die Naturwissenschaft
läßt
uns über diese Zugehörigkeit keinen Zweifel aufkommen,
wenngleich
sie uns über den 'Sinn' des Evolutionsprozesses keine Auskunft zu
geben vermag, so daß wir uns dabei noch rätselhafter
vorkommen.
Ein
synthetisches Denken sucht eine "Herausdrehung" (Heidegger) aus einem
an
Naturkategorien orientierten Denken, indem es sich ebensosehr dem
Künstlichen
zuwendet (22). Die Frage, die sich der Techniker-Mensch
stellt, läßt sich in Anschluß an Nietzsche
folgender- maßen
formulieren:
"Um
den Helden herum wird Alles zur Tragödie, um den Halbgott herum
Alles
zum Satyrspiel; und um Gott herum wird Alles - wie? vielleicht zur
'Welt'?"
(Jenseits von Gut und Böse, n. 150)
Um
den
Techniker herum wird Alles - wie? zur 'virtuellen Realität'? Die
Seinsfrage
erhält im künstlichen Bereich 'widernatürliche', d.h.
'trügerische',
Antworten in Form z.B. von anthropomorphen Vorstellungen denkender
Maschinen.
Aufgabe eines synthetischen Denkens ist es, inmitten der "faktischen
Konkretion"
des Künstlichen dem Fragwürdigen und Abgründigen jener
Vorstellungen
nicht auszuweichen. Es ist unübersehbar, daß die Technik,
von
ihrem Möglichsein her, in den Bereich der Phantastik führt,
ja
daß sie sich als Phantastik nicht nur literarisch, sondern auch
in
ihren konkreten Ausformungen gebärdet. Ich denke dabei nicht nur
an
die 'Visionen' mancher Forscher im Bereich der 'Künstlichen
Intelligenz',
sondern auch an die Träume, die seit jeher technische
Entwicklungen
vorausgegangen sind (23), und die uns auf unterschiedliche
Weise 'jenseits' des irdischen Raumes, 'jenseits' von Leid und Tod, ja
letztlich, wie im Atomzeitalter in zynischer Form, uns als Menschheit
ins
Jenseits schicken können. Die technische Phantastik ist aber auch
eine Form, wie die Gottesfrage sich 'techno-theo-logisch', in Umkehrung
des Platonischen Demiurgs, stellt (24). Die Techno-theo-logie
ist eine neue Form von Gnosis.
Synthetisches
Denken zeichnet sich im Gegensatz zur technischen Gnosis dadurch aus,
daß
es die Spannung zur Natur und zwar zu der von uns umgeformten,
"herausgeforderten"
(Heidegger) und zerstörten Natur aushält. Denn ebenso
unübersehbar
wie die Entwicklung der Technik ist auch die Selbstzerstörung
unserer
natürlichen Grundlagen und zwar durch jene Technik, die sich als
gnostischer
Erlösungsweg zeigt. Der Gedanke einer möglichen Flucht zu
einem
anderen 'Stern' angesichts einer nicht mehr bewohnbaren Erde,
gehört
nicht nur ins Reich der techno-(theo-)logischen Phantasien, sondern er
bedeutet auch eine reale Flucht vor dem tatsächlichen Leiden und
vor
dem, was wir tun könnten, um dieses Leiden zu lindern.
Außerdem
würde uns eine planetarische Flucht keineswegs aus dem
Verhältnis
zur Natur entlassen.
Mitzubedenken
hat ein 'synthetisches" denken die "faktische
Konkretion" der ökonomischen Abgründe, um den
'Gesetzmäßigkeiten'
des Kapitals Widerstand zu leisten, aus der Perspektive derer
nämlich,
die 'nur' ihre, im wörtlichen Sinne, 'nackten' Faktizität ins
'Spiel' bringen und, wie E. Lévinas immer wieder betont, die
logische
Geschlossenheit des Denkens anklagen (25). In diesem
Sinne muß ein synthetisches Denken auch die Spannung zwischen dem
'Logos' und den flüchtigen, 'granulierten' und vorwiegend durch
'künstliche'
Medien verfügbaren Mitteilungen, über alles, was der Fall
ist,
d.h. der Information, aushalten. Es ist dann die Frage, wie in dieser
künstlichen
Agora so mit-gedacht werden kann, daß der 'Logos', durch die
Fragilität
und Bodenlosigkeit der 'Informationen' und 'Imaginationen'
"abgeschwächt"
(G. Vattino), der "faktischen Konkretion" der Not den Vorrang
einräumt
(26).
Dieses
in Nietzsches Seiltanztechnik geübte und ohne Fangnetz vollzogene
Denken zwischen dem abgründigen 'Daß' von Natur und Technik,
macht unser Sein im "Ereignis Technik" aus. Nur angesichts dieses
'Abgrunds'
lassen sich die Ansprüche von Naturalismus, Technizismus und
Humanismus
'synthetisch' einschränken, ohne die 'Künstlichkeit' einer
solchen
Synthese durch die Vorstellung eines (natürlichen oder rationalen)
Systems, begründet durch eine entsprechende Systemtheorie, zu
verzerren.
Wird es dem Denken bei diesen vielen Drehungen nicht schwindlig? Von
Kant
sagte Heidegger, daß man bei ihm "wie bei keinem Denker sonst die
unmittelbare Gewißheit hat: er schwindelt nicht." Und er
bezeichnet
anschließend als die "ungeheuerste Gefahr" in der Philosophie,
die
des Schwindelns:
"Aber
wo die größte Gefahr des Schwindelns ist, da ist auch die
Höchste
Möglichkeit der Echtheit des Denkens und Fragens. Das
Bedürfnis
für diese Echtheit zu wecken und wachzuhalten ist der Sinn des
Philosophierens."
(27)
Wolfgang
Welsch hat auf die innere Verwandschaft zwischen 'schwindeln' und
'schwindlig
werden' aufmerksam gemacht. Wann schwindelt die Philosophie? Wenn sie
so
feststeht, daß es einem nicht mehr schwindlig wird oder wenn das
Denken aus den Verdrehungen ein Spiel macht, so daß es einem
dabei
auch nicht mehr schwindlig wird? Ist es Kant deshalb so 'schlechthin'
zu
vertrauen, weil er die Dinge so verdreht, daß es einem nicht
schwindlig
wird? (28). Die Dimensionen des "Wirbels" und des "Absturzes",
die das Dasein in der Bodenlosigkeit seines alltäglichen
technologischen,
ökologischen und wirtschaftlichen Wahns kennzeichnen, sind nichts
anderes als die umgekehrte Lektüre jenes "Sprunges" des Satzes vom
Grunde in den Ab-Grund des Seins, wodurch der 'Kritizismus' zum
Nihilismus
verdreht wird.
Allerdings
wollte Heidegger keineswegs, wie Welsch meint, diesen "Schwindel der
Philosophie"
durch die Eigentlichkeit eliminieren, sondern die Eigentlichkeit
besteht
gerade darin, vor diesem alltäglich stattfindenden Absturz nicht
wegzuschauen.
Insofern ist die Eigentlichkeit eine Bewegung der Entfremdung in die
Unheimlichkeit,
ohne den Tag und seine Aufklärung gegen eine andere
(phantastische)
Welt zu vertauschen. Denn die eigentliche Existenz ist nichts "was
über
der verfallenden Alltäglichkeit schwebt", sondern sie ist
"existenzial
nur ein modifiziertes Ergreifen dieser." (SZ 179). Philosophie ist ein
Vollzug von abgründigen Kreisbewegungen. Heidegger stellt dieses
Kreisen
sowohl der linearen Vorstellung eines "Fortschrittes" als auch dem "Weg
der Dialektik" entgegen (29).
|