SKEPTISCHES WISSENSMANAGEMENT


Rafael Capurro


 
Vortrag an der Akademie für Technikfolgenabschätzung am 23.1.2001 sowie bei der 4. Tagung "Wirtschaftsethische Fragen der E-Economy" / Ausschuss für Wirtschaftsethik der Allgemeinen Gesellschaft für Philosophie, 15.-17. November 2001, Stuttgart. In: Peter Fischer, Christoph Hubig, Peter Koslowski (Hrsg.): Wirtschaftsethische Fragen der E-Economy. Heidelberg: Physica Verlag 2003, S. 67-85. Englische Übersetzung: Sceptical Knowledge Management erschienen in: Hans-Christoph Hobohm Ed.: Knowledge Management. Libraries and Librarians Taking Up the Challenge. IFLA Publications 108, München: Saur 2004, 47-57. Portugiesische Übersetzung: Gestâo do conhecimento cético. In: Perspectivas em Gestâo & Conhecimento, 1 (1) 2011, 4-14.

 
 
 
 
INHALT

Einführung

I. Implizites und explizites Wissen oder Hermeneutik revisited  
II. Wissensarten nach Sanchez, Zahn und Aristoteles 
Ausblick

Literatur

 
   
   
  

EINFÜHRUNG


"Ich bestreite, dass wir wissen, ob wir etwas wissen oder nicht wissen; noch nicht einmal das wissen wir oder wissen es nicht; noch überhaupt, ob etwas ist oder nichts ist." So lautet die gegenüber dem Sokratischen Nicht-Wissen gesteigerte Skepsis des Metrodor von Chios, eines Schülers des Demokrit, in einem von Cicero tradierten Zitat (Diels/Kranz 1956, B1). Managen läßt sich nur, was ist und wovon wir ein Wissen haben können.

Also läßt sich Wissen nicht managen. Skeptisches Wissensmanagement - ein Oxymoron?
Demgegenüber steht unsere heutige gewaltige Wissens- und Informationsindustrie und die durch sie mitverursachte dritte industrielle Revolution. Die Industriegesellschaft ist zu einer Wissensindustriegesellschaft geworden. Es steht also nicht nur fest, dass wir wissen, sondern, dass wir viel wissen und wissen können. Die Frage ist nur, wie wir das Wissen und das Wissenkönnen nutzen.

Der Skeptiker hat kein Kriterium um wahre von falschen Meinungen zu unterscheiden. Er enthält sich deshalb des Urteils und erreicht damit die innere Ruhe (ataraxia). Er beherrscht, so Friedo Ricken, "die Kunst, 'Erscheinungen' (phainomena) und 'Gedanken' (noumena) einander entgegenzusetzen. Er ist imstande, zu jeder Wahrnehmung eine andere zu finden, die mit der ersten nicht vereinbar ist." (Ricken 1994, 105). Paradoxerweise können wir sagen, dass der Skeptiker ein Manager des Nicht-Wissens ist. Sein Ziel ist, wie schon bei Sokrates, therapeutisch: Er will nämlich vom vorschnellen Urteil sowie vom Dünkel (oiesis) heilen und dafür letztlich, im Unterschied zur sokratischen Heilkunst, den Patienten von der Wahrheitssuche befreien (Ricken 1994, 106-107).  

Paradox ist auch, dass der Skeptiker zwar den Dogmatiker, der nach sicherer Erkenntnis (episteme) sucht, bekämpft, aber als Ziel seiner Lebenstechnik eine Lebensform anstrebt, bei der der Wert der 'inneren Ruhe' feststeht. Dafür muß er die Wahrheitssuche und die Suche nach Werturteilen aufgeben. Dogmatiker und Skeptiker haben aber etwas gemeinsam, sie kritisieren die Einstellung der bloßen Meinung (doxa). Skeptisches Denken, so Long, "findet sich überall da, wo die Kluft zwischen göttlichem und menschlichem Verstand betont wird." (Long 1995, Sp. 940) Der Skeptiker radikalisiert die Frage des Vertrauens in göttliches Wissen, indem er seine Skepsis auf das menschliche Wissen, sei es im Alltag (doxa) oder in der Wissenschaft (episteme), ausdehnt. Aus der Sicht des Skeptikers ist Wissensmanagement eine Technik, die etwas vorgibt, was sie nicht leisten kann. 

Ricken stellt das Denken von Peirce, Wittgenstein und Heidegger in die skeptische Tradition, sofern sie nämlich fundamentalistische Ansprüche der mit Descartes einsetzenden neuzeitlichen Philosophie in Frage stellen. Skeptische Argumentationsfiguren, wie die fünf Tropen des Agrippa (ca. 1. Jh. v.Chr.) der Dissens (diaphonia), der unendliche Regreß, die Relativität des Urteilenden, die Setzung einer Hypothese und der Zirkelschluß , finden sich teilweise heute wieder zum Beispiel in der Kritik des naiven Realismus durch das 'Münchhausen-Trilemma' eines Hans Albert (Ricken 1994, 161). Die antike Philosophie wiederum reagierte auf den Skeptizismus mit unterschiedlichen Strategien. Dazu gehören zum Beispiel die Platonische Kritik des sensualistischen Seinsbegriffs und die aristotelische Differenzierung der Wissensarten. 

Im Folgenden soll exemplarisch gezeigt werden, wie in der gegenwärtigen betriebswirtschaftlichen Diskussion um das Wissensmanagement klassische Fragen und Argumentationsfiguren aus den skeptischen und kritischen Traditionen der Hermeneutik und der Wissenschaftstheorie sowie aus der aristotelischen Wissenstypologie zum Ausdruck kommen.

I. IMPLIZITES UND EXPLIZITES WISSEN ODER HERMENEUTIK REVISITED


In seinem Buch "The Tacit Dimension" (1966, Dt. Implizites Wissen, 1985) hatte der Biologe und Wissenschaftstheoretiker Michael Polanyi auf die Bedeutung des impliziten Wissens (tacit knowledge) hingewiesen. Er meinte damit, "daß jeder unserer Gedanken Komponenten umfaßt, die wir nur mittelbar, nebenbei, unterhalb unseres eigentlichen Denkinhalts registrieren – und daß alles Denken aus dieser Unterlage, die gleichsam ein Teil unseres Körpers ist, hervorgeht." (Polanyi 1985, S. 10). Das implizite Wissen ist, so Polanyi, die Grundlage des sogenannten objektiven Wissens. 

Nonaka und Takeuchi stellen den Begriff des impliziten Wissens in den Mittelpunkt ihres Modells der Wissensschaffung im Unternehmen. Gegenüber der Vorstellung, dass Wissen nur durch die Aufnahme von expliziten Informationen und deren Verarbeitung entsteht, betonen sie, dass eine Information im Sinne von "einer Nachricht von einem Unterschied" ("information is a difference that makes a difference", G. Bateson) nur in Verbindung mit konkreten Vorstellungen und Handlungen in einem dynamischen Kontext einen Sinn hat: "Information ist ein notwendiges Medium oder Material für die Bildung von Wissen", aber sie wird erst zum Wissen, wenn sie "kontext- und beziehungsspezifisch" wird (Nonaka/Takeuchi 1995, S. 70). 

Die Umwandlung vom impliziten zum expliziten Wissen oder, mit anderen Worten, das Explizitmachen eines impliziten Kontextes ist eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung neuen Wissens. In diesem Prozeß finden verschiedene Formen der Wissensumwandlung statt, nämlich:

  • Vom impliziten zum impliziten Wissen – die Sozialisation
  • Vom impliziten zum expliziten Wissen – die Externalisierung 
  • Vom expliziten zum expliziten Wissen – die Kombination
  • Vom expliziten zum impliziten Wissen – die Internalisierung.

Drei dieser Formen, nämlich Sozialisation, Kombination und Internalisierung, sind bisher in gängigen Organisationstheorien zu finden. Die Kombination ist wiederum eine zu lernende Kernfähigkeit von Informationsmanagern. Das Neue bei diesem Ansatz ist die Einbettung dieser Fähigkeit im Kontext unternehmerischer Kreativität. Dabei heben Nonaka und Takeuchi nicht nur die bisher unbeachtete Dimension des impliziten Wissens hervor, sondern sie stellen sie in einen dynamischen Zusammenhang mit anderen Formen der Wissensmitteilung, den sie als ein spiralförmiges Zusammenwirken auffassen.

Das Hervorbringen von Wissen beruht auf dem Zusammenwirken von kontextbezogenen, auf subjektiver Relevanz basierenden Auswahl- prozessen, die in Form von Wertpräferenzen und Wunschvorstellungen meistens und größtenteils implizit bleiben. Diese Ressource zu mobilisieren und zwar sowohl bei jedem Mitarbeiter des Unternehmens als auch in seinem ganzen Umfeld, bildet das Ziel dieses wissensbezogenen Ansatzes. Mit ihrem Ansatz gehen also Nonaka und Takeuchi über die weitverbreitete Vorstellung von Wissensmanagement im Sinne von Handhabung des expliziten Wissens hinaus (Takeuchi 1998).

Eine Weiterführung dieses Ansatzes stellen Von Krogh/Ichijo/Nonaka in ihrem Buch "Enabling Knowledge Creation" dar (2000). Im Vorwort heißt es:

"This is a book about knowledge enabling. It is our strong conviction that knowledge cannot be managed, only enabled." (Krogh/Ichijo/Nonaka 2000, vii)

Gemeint ist die Einsicht, dass wir zwar Information im Sinne von explizitem Wissen managen können, dass dies aber nur Teil der umfassenderen Aufgabe der Wissensschaffung (knowledge creation) darstellt. Was wir dabei tun, ist dann nicht Wissen, sondern die Bedingungen der Wissensschaffung zu managen. Dazu gehören die folgenden "knowledge enablers":

  • Schaffung einer Wissensvision
  • Gespräche managen 
  • Mobilisierung von 'Wissensaktivisten'
  • Schaffung des richtigen Kontextes Globalisierung lokalen Wissens

In diesem Ansatz kommen Argumente und Denkfiguren vor, die sowohl in der auf die antike Skepsis zurückgehenden Tradition der geisteswissenschaftlichen Hermeneutik als auch in der wissenschaftstheoretischen Diskussion um das Problem der Kritik wissenschaftlicher Theorien zu finden sind. Dazu gehört zum Beispiel  die Auffassung, dass Wissen "Vermutungswissen" (K. Popper) ist. Das gilt insbesondere für das empirisch falsifizierbare Wissen, das methodisch erworben wird. Trotz der vordergründigen Polemik zum Beispiel eines Hans Albert (1994) gegen die Hermeneutik, gilt diese Einsicht in die vorläufige Natur des Wissens gerade für die hermeneutische Auffassung menschlichen Verstehens im Sinne eines existentiellen Vollzugs, bei dem man auf der Basis eines tradierten und impliziten Vorverständnisses im Prozeß der Auslegung zu einem wiederum revidierbaren Verstehen kommt (Capurro 1986, 17ff).

In einem Brief an Paul Feyerabend schreibt Albert über Gadamers "Wahrheit und Methode" (1975, 1. Aufl. 1960): "Immerhin, ein paar Partien sind ganz interessant, z.B. Vorurteile, wo er einen ganz ähnlichen Standpunkt vertritt wie Popper in der Open Society und den entsprechenden Teilen der Conjectures! Ich war geradezu erstaunt. Popper hat immerhin einen Vorsprung von etwa 16 Jahren! Sollte der Gute ihn (d.h. Gadamer den Karl!) ein bißchen verwertet haben, wo er ihm paßt?" (Zitat nach Grondin 1999, 336). Man könnte diesen Bezug wiederum auf das Verhältnis zwischen Popper und Heidegger herstellen, der in "Sein und Zeit" (§ 31-34) 1927, also etwa zwanzig Jahre vor Popper, die 'Vor-Struktur' des Verstehens thematisiert hat (Heidegger 1976). Sollte der Gute ihn (d.h. Karl den Martin!) ein bißchen verwertet haben, wo er ihm paßt?

Aber jenseits aller Polemik läßt sich feststellen, dass die Einsicht in die Theoriebeladenheit empirischer Erkenntnis einen Sonderfall dessen darstellt, was die philosophische Hermeneutik mit der Metapher vom 'Zirkel des Verstehens' ausdrückt (Capurro 2001). Wenn die Betriebswirtschaft heute auf die Bedeutung des impliziten Wissens aufmerksam macht, dann entdeckt sie an einem neuen Ort eine alte Wahrheit. Es ist auch bezeichnend, dass Von Krogh, Ichijo und Nonaka auf die Bedeutung des Gesprächs sowie auf die Notwendigkeit der Anpassung des global verfügbaren Wissens an die jeweilige konkrete Situation aufmerksam machen. Dabei steht das Medium der elektronischen Vernetzung nicht im Vordergrund wie dies bei der Handhabung expliziten Wissens (Informationsmanagement) der Fall ist.

Dennoch ermöglicht die heutige betriebswirtschaftliche Diskussion um Wissens- und Informationsmanagement eine Korrektur an der Technikfeindlichkeit der Hermeneutik. Ich spreche in diesem Zusammenhang deshalb von einer auf die Möglichkeiten der Informationstechnik positiv sich beziehenden artifiziellen Hermeneutik (Capurro 2000, 1993, 1986). Das Gespräch, das wir führen, ist nicht mehr allein oder vorwiegend face-to-face, sondern immer mehr im Medium des interface. Wie bei jedem Medium bedeutet dies zugleich eine Erweiterung von Möglichkeiten etwa in bezug auf die raum-zeitlichen Einschränkungen des lebendigen, aber auch des gedruckten Wortes. Gerade die klassische Hermeneutik hat die Unterschiede zwischen der Tradierung und der Deutung eines Textes und der Gesprächssituation thematisiert. Die Einsicht in die Differenz des Verhältnisses zwischen Autor und Leser bzw. Sprecher und Hörer war bereits Gegenstand der platonischen Schriftkritik.

Essers und Schreinemakers von der Rotterdam School of Management (Erasmus University) stellen fest, dass Corporate Knowledge Management (CKM) nicht unter dem Paradigma dessen subsumiert werden kann, was die Wissenschaftstheorie in den Worten von Karl Popper als objective knowledge bezeichnet, sofern nämlich dem Management von Unternehmenswissen eine enzyklopädische Wissensauffassung zugrunde liegt (Essers/Schreinemakers 1997). Anders verhält es sich aber, so die Autoren, bei Nonakas  'dynamic theory of organizational knowledge creation', bei der das Wissen von einer Gemeinschaft von Praktikern bzw. einer Fachgemeinschaft geteilt wird. Diese Auffassung, wonach das Wissen nicht losgelöst von  bestimmten Praktiken, Institutionen, Instrumenten usw. aufgefaßt wird, steht dem nahe, was Thomas S. Kuhn "Paradigmen" genannt hat. Es lassen sich aber folgende Unterschiede in der Auffassung von Wissen beim CKM und in der Wissenschaftstheorie feststellen: 

1. Die Wissenschaftstheorie ist an der Analyse der Wissenschaft aus theoretischer Perspektive interessiert, während das Wissensmanagement sich mit Fragen der Anwendung und Nutzung beschäftigt.

2. Für Unternehmen kommen dementsprechend  andere Wissensformen als nur die der Wissenschaft in Betracht.

Das Wissensmanagement betont die subjektive Seite des Wissens oder, in der Sprache der Wissenschaftstheorie, das Interesse liegt weniger beim context of justification als beim context of discovery bzw. of application. Dennoch spielt das "objektive Wissen" im Sinne von Poppers World 3 eine nicht zu unterschätzende Rolle im von Nonaka beschriebenen Prozeß der Wissensschaffung. Die Prozesse der Wissenskonversion und insbesondere der Bezug des expliziten Wissens auf implizite Werte und Interessen, läßt die Frage nach den möglichen Konflikten offen, wenn die Mitarbeiter zum Beispiel nicht bereit sind, einen Konsens in bezug auf ein zu entwickelndes Produkt zu erzielen. Ein weiteres kritisches Problem in Nonakas Auffassung von Wissensmanagement sehen die Autoren in bezug auf die Frage nach den Begründungskriterien (context of justification). Nonaka expliziert nämlich nicht, zumindest in diesem von Essers und Schreinemakers zitierten Aufsatz aus dem Jahre 1994, welche Rolle klassische wissenschaftliche Kriterien etwa gegenüber dem ökonomischen Nutzen (return on investment) bei Unternehmens- entscheidungen spielen sollten. Diese Relativierung der Objektivität des Wissens gegenüber den Interessen des Handelnden stellt m.E. eine skeptische Form von Wissensmanagement dar.

Das kommt schließlich auch im von Essers und Schreinemakers diskutierten Problem der Inkommensurabilität verschiedener Paradigmen zum Ausdruck. Paradoxerweise scheint Nonaka diese durchaus praktische Situation, die bis hin zu alltäglichen Pannen und Konflikten reicht, unberücksichtigt zu lassen oder zumindest durch eine harmonisierende Sicht zu verdecken. Demgegenüber betonen die Autoren die Frage der theoretischen und praktischen  interparadigmatischen Konfliktsituationen  ("interparadigmatic disagreement") innerhalb eines Betriebes oder, wie wir sagen könnten, des skeptischen Wissensmanagements, als die "crucial Aufgabe for the ever globalizing civilization of our time." (Essers/Schreinemakers 1997, 31). Damit bringen sie eine entscheidende Korrektur in die Vorstellung hinein, solche Probleme ließen sich dogmatisch, etwa durch die Einigung auf Firmenvisionen, lösen. Das widerspricht aber m.E. dem von Von Krogh, Ichijo und Nonaka beschriebenen dialogischen und innovativen Prozeß der Wissensschaffung nicht. Zugleich aber warnen Essers und Schreinemakers vor der Gefahr, die sich aus dem Relativismus im Bereich der Wissensbegründung ergibt. Es sieht so aus, als ob sie hier eher eine dogmatische Position bevorzugen, während sie in Fragen von Zielen und Strategien eine skeptische Haltung befürworten würden. Diese Umkehrung der Nonaka unterstellten Position ist aber ihrerseits einseitig, denn auch eine Firma kann und muß unter normalen Bedingungen (Kuhns normal science) arbeiten (business as usual), während zugleich in theoretischen Fragen ein Paradigmenwechsel stattfinden kann.

Offenbar liegt dieser Kritik die Frage nach den verschiedenen Wissensarten zugrunde, die im innerbetrieblichen Management eine Rolle spielen, wenn nämlich die Kriterien des 'scientific knowledge' sich nicht auf alle Fragen des 'corporate knowledge' übertragen lassen. Dennoch spielt das begründete Wissen oder Warum-Wissen eine besondere Rolle, die sich nicht mit der kategorialen Einteilung implizites/explizites Wissen deckt. Wir wollen uns im Folgenden mit dem Problem der Wissensarten näher beschäftigen.


I. WISSENSARTEN NACH SANCHEZ, ZAHN UND ARISTOTELES


In ihrem Beitrag "Nachhaltige Wettbewerbsvorteile durch Wissens- management" stellen Zahn, Foschiani und Tilebein (2000) folgende Wissensarten in Anschluß an R. Sanchez dar, nämlich: know-how, know-why und know-what. Sie werden folgendermaßen definiert:

Know-how "bezeichnet die Vorstellung darüber, wie die Teile eines bekannten Systems (bspw. eines Produktes oder eines Produktionssystems) in einem bestehenden Kontext miteinander verknüpft sind und wie dieses System funktioniert. Bei Know-how handelt es sich demnach um eher praktisches Wissen, welches die Beschreibung einer gegebenen Situation mit ihren Einflußgrößen leistet und der effizienten Erfüllung definierter Aufgaben dient:

Im Gegensatz dazu bietet das Know-why "eine Erklärung für die ursächlichen Wirkungsmechanismen, welche einem bestimmten Zustand zugrundeliegen."

Das know-what wird als "Gestaltungswissen" bezeichnet: "know-what beinhaltet die strategischen Vorstellungen darüber, wie vorhandenes know-how und know-why einzusetzen ist." Das know-what ist, so die Autoren, "in dynamischen Märkten ausschlaggebend für die Responsfähigkeit von Unternehmen", als Ressource aber "ebensowenig dauerhaft wie die übrigen Wissensarten und muß in Lernprozessen immer wieder erneuert werden." (Zahn et al. 2000, 246-248

Anschließend thematisieren die Autoren die Unterscheidung zwischen implizitem und explizitem Wissen und heben dabei auf das ab, was wir das Dilemma des Wissensmanagements nennen könnten: Wird das Wissen explizit, dann ist es zwar dauerhaft, aber es ist auch schwer zu schützen. Bleibt es implizit, läßt es sich leicht(er) schützen, ist aber schwer mitteilbar.

Hansen/Nohria/Tierney (1999) unterscheiden zwischen zwei Strategien des Wissensmanagements bei denen jeweils das explizite und das implizite Wissen im Vordergrund stehen, nämlich:

  • Kodifizierungsstrategie: Explizites Wissen wird in Form von Datenbanken zugänglich gemacht. Beispiele: Andersen Consulting, Ernst & Young.
  • Personifizierungsstrategie: Wissen bleibt an die Person gebunden, die es erworben hat. Der Computer dient vorwiegend als Medium des Wissensaustausches. Beispiele: Bain, Boston Consulting Group (BCG) und McKinsey.

Ich möchte die Wissenstypologie von Sanchez/Zahn mit der aristotelischen Analyse vergleichen. Zu Beginn der "Metaphysik" schreobt er:


"Alle Menschen streben von Natur (physei) nach Wissen (eidenai); dies beweist die Freude an den Sinneswahrnehmungen (aistheseis)." (Met. 980 a) Den Beweis für den menschlichen Wissensdrang findet also Aristoteles dort, wo die antiken  Skeptiker ihn auch finden. Im Gegensatz zu ihnen reduziert sich aber für Aristoteles das Streben nach Wissen im Sinne eines 'sinnlich-geistigen Sehens' (eidénai) nicht auf Wahrnehmungswissen (aistheseis). Er unterscheidet ferner das aus der Erfahrung entstammende Erinnerungswissen (mneme), das einigen Tieren, darunter auch den Menschen, eigen ist. Aristoteles nennt dieses Wissen auch empirisches Wissen (empeiria). Dem Menchen eigen ist aber das Wissen, wie man etwas herstellt (techne) sowie das durch Überlegung (logismoi) entstandene Wissen, die Wissenschaft (episteme). Episteme und techné beruhen wiederum auf empeiría. Ja es ist sogar so, dass aus der Perspektive des Handelnden (to prattein), die empirisch Erfahrenen das Richtige treffen gegenüber denjenigen, die sich mit der Sache nur theoretisch auskennen. Und er fügt den Grund dafür hinzu: 

"Die Ursache davon liegt darin, dass die Erfahrung Erkenntnis des Einzelnen ist, die Kunst des Allgemeinen, alles Handeln und Geschehen aber am Einzelnen vorgeht. Denn nicht einen Menschen überhaupt heilt der Arzt, außer im akzidentellen Sinne, sondern den Kallias oder den Sokrates oder irgendeinen anderen Einzelnen, für welche es ein Akzidens ist, dass er auch Mensch ist. Wenn nun jemand den Begriff besitzt ohne Erfahrung und das Allgemeine weiß, das darin enthaltene Einzelne aber nicht kennt, so wird er das rechte Heilverfahren oft verfehlen; denn Gegenstand des Heilens ist vielmehr das Einzelne." (Met. 981a 15-23)

Dennoch halten wir, so Aristoteles, Techniker und Wissenschaftler für 'weiser' (sophotérous). Die Auszeichnung der sophia als Wissensart hat für Aristoteles mit der Kenntnis der (letzten) Ursachen zu tun, "denn die Erfahrenen (empeiroi) kennen das Daß (to hoti), aber nicht das Warum (to dióti)." (Met. 981 a 29)

Mit anderen Worten, die aristotelische Wissenseinteilung, zumindest in diesem Text aus der "Metaphysik", steht unter dem Vorzeichen des logos, d.h. der Begründbarkeit, deren Möglichkeit sich wiederum dann ergibt, wenn die Menschen sich vom Nützlichen (chresis) abwenden können, und Muße (scholazein) zugelassen ist. Die sophia ist eine solche Wissenschaft über die ersten Ursachen und Prinzipien, "die wir nun suchen".

In der "Nikomachischen Ethik" faßt Aristoteles die Wissensarten folgendermaßen zusammen: "Der Dinge, durch die die Seele, bejahend oder verneinend, (immer) die Wahrheit trifft, sollen fünf an der Zahl sein; es sind Kunst (techne), Wissenschaft (episteme), Klugheit (phronesis), Weisheit (sophia) und Verstand (nous). Vermutung (hypolepsei) und Meinung (doxa) können auch Falsches zum Inhalt haben." (EN VI, 1139 b 15-18)

Auffallend ist hier die Benennung einer praktischen Wissensform, nämlich die phronesis (Klugheit), die Aristoteles im Rahmen der "Metaphysik" nicht nennt. Das praktische Wissen,  ist jenes Urteilsvermögen, bei dem wir über die Mittel und Wege unseres Handelns im Hier und Jetzt beratschlagen, über das also, was möglich, im Gegensatz zum Unmöglichen oder Notwendigen, ist. Dieser dianoethische Beratungsprozeß Aristoteles unterscheidet zwischen den Tugenden des Charakters (ethische Tugenden) und Tugenden des Verstandes (dianoethische Tugenden) geht also über die bloße cleverness hinaus, indem hier auch eine Überlegung über die menschlich erreichbaren guten Ziele und Zwecke im Einzelfall stattfindet (Rowe 1989). Damit distanziert sich auch Aristoteles von den übermenschlichen Zielen der platonischen Ethik.

Ferner unterscheidet sich diese Wissenseinteilung von der in der "Metaphysik" auch dadurch, dass hier Wissensformen in ihrem Bezug auf Wahrheit (aletheuei) genannt werden, während die "Metaphysik" auch eine aisthetische oder a-logische Wissensform kennt. Wahrheit entsteht aber für Aristoteles erst dann, wenn die Seele die Phänomene "bejahend oder verneinend" trifft, d.h. ent-deckt. Dem stehen jene Wissensformen gegenüber, die, wenngleich auch seelisch bzw. im logos verankert, die Phänomene verdecken und deshalb nicht zu den Verstandestugenden (dianoia) zählen. Je nachdem welche Phänomene wie 'getroffen' werden, lassen sich diese Wissensformen unterschiedlich einteilen. Unterscheiden wir Wissen je nachdem, ob das, was zu treffen ist, unwandelbar oder wandelbar ist, dann teilen sich die Wissensarten in episteme, sophia und nous auf der einen und techne, phronesis auf der anderen Seite, wobei techne  den Bereich des Machens und phronesis den des Handelns betrifft. Dementsprechend können wir unterschiedliche Wahrheitsformen unterscheiden, nämlich eine theoretische, eine praktische und eine poietische, wobei der Unterschied zwischen praxis und poiesis dem zwischen phronesis und techne entspricht: Während techne das poietische Wissen des Herstellbaren (poiesis) meint, bezieht sich das praktische Wissen (phronesis) auf die Möglichkeiten menschlichen Handelns (praxis).


In bezug auf die Unterscheidung von implizitem und explizitem Wissen läßt sich bemerken, dass sie, aristotelisch gesehen, mit der Art und dem Grad der Ausdrücklichkeit zusammenhängt: Empirisches Wissen ist implizit in bezug auf die Kenntnis der Ursachen. Technisches Wissen hat eine andere Form als epistemisches Wissen. Aisthetisches Wissen bleibt als solches implizit. Das praktische Wissen (phronesis) erschließt sich erst im Prozeß der Abwägung, sein Gegenstand aber, nämlich die veränderbaren Regeln, die das Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft bestimmen (ethos), bleibt implizit, sofern nämlich die Bildung des Charakters nicht nur durch Belehrung (didaskalía), sondern durch Gewöhnung (ethous) - wie Aristoteles im Hinblick auf die Herkunft von  Sittlichkeit (eethos mit Etha) aus Gewöhnung (ethos mit Epsilon) bemerkt - stattfindet (NE II,1103 a 17-18).

Die anfangs erwähnte Wissenseinteilung von Sanchez und Zahn läßt sich mit den Aristotelischen Wissensformen folgendermaßen prima facie korrelieren:
  • know-how: empeiria/techne
  • know-why: episteme 
  • know-what: phronesis
Zu den von Sanchez und Zahn genannten Wissensformen könnte man auch noch zwei weitere hinzufügen, worauf mich Manfred Rohr (TA-Akademie) aufmerksam machte, nämlich:
  • know-where
  • know-when.
Die raumzeitliche Lokalisierung des expliziten Wissens ist das, was wir im Alltag mit dem Informationsbegriff kennzeichnen. In bezug auf die Lokalisierung des impliziten Wissen könnten wir von:
  • know-who
sprechen. Man denke in diesem Zusammenhang an den bekannten Spruch des englischen Gelehrten Dr. Johnson (1709-1784), als er sich in der Bibliothek von Mr. Cambridge befand und die Rückseite der Bücher anschaute:

"Knowledge is of two kinds. We know a subject ourselves, or we know where we can find information upon it. When we enquire into any subject, the first thing we have to do is to know what books have treated of it. This leads us to look at catalogues, and at the backs of books in libraries." (Boswell 1986, S. 186) 

Während in der Moderne die Frage der Lokalisierung des expliziten und insbesondere des gedruckten Wissens sich innerhalb der raumzeitlichen Koordinaten einer Bibliothek oder zumindest einer Enzyklopädie stellte, bewirkt die heutige elektronische Weltvernetzung eine prinzipielle Verfügbarkeit des Wissens für jedermann, jederzeit und an jedem Ort. Dass wir dann sowohl gegenüber den Suchmaschinen als auch gegenüber dem im Internet verfügbaren Wissen ein gesundes Mißtrauen entwickeln müssen (Kuhlen 1999), wollen wir dem offenen und teilweise chaotischen Charakter des Netzes entsprechen, bedeutet, dass wir heute mehr den je Wissensmanagement unter skeptischem Vorzeichen betreiben sollten.

Bei den von Sanchez/Zahn erwähnten Wissensarten ist aber aus aristotelischer Sicht darauf hinzuweisen, dass die phronesis nicht bloß auf betriebliche Wettbewerbsvorteile, sondern auf die Versittlichung des Handelnden abzielt. Know-how und Know-why stehen im Dienste des, aristotelisch gesprochen, sittlichen Wissens. Dieses braucht den Bezug auf gute Ziele, die für Aristoteles nicht absolut, sondern Gegenstand einer auf Möglichkeiten hin orientierten einsichtigen Beratung sind, bei der es um das Gute für den Menschen insgesamt oder um das gute Leben (eu zen) geht.

Über den Zusammenhang zwischen Information, Wissen und Weisheit schreibt T.S. Eliot:

"Where is the wisdom we have lost in knowledge?
Where is the knowledge we have lost in information?"
(Eliot 1986, Choruses from 'The Rock', 1934, I)

Skeptisches Wissensmanagement bedeutet dann, dass der  dogmatische Umgang mit Wissen innerhalb eines in bezug auf implizite und explizite Voraussetzungen, Auswirkungen und Ziele skeptischen (gr. sképtomai = bedenken, untersuchen) Beratungsprozesses eingebettet sein muß. Das meint auch die Rede von Wissensdiskursen in Zusammenhang mit Technikfolgenabschätzung (TA-Akademie) (Nennen 2000) und das ist auch der Zweck jener Form von wissenschaftlicher Reflexion, die wir Informationsethik nennen (Capurro 2000b). Dass dies keine bloß schöngeistige Aktivität für PR-Maßnahmen und Sonntagsreden ist, zeigen die jüngsten Skandale in der Lebensmittelwirtschaft, wo der ungehemmte Wissensmißbrauch, um zum Beispiel Kälber oder Schweine schneller und billiger wachsen zu lassen, katastrophale Auswirkungen hat, nicht zuletzt für diejenigen Industriezweige, die ein solches Wissensmanagement betreiben.


AUSBLICK


Ich möchte abschließend kurz auf den Wandel im Bereich der Wissens(re)präsentation eingehen, um die heutigen Chancen eines skeptischen Wissensmangements innerhalb der anfangs erwähnten dritten industriellen Revolution, im Zeitalter des Internet also, anzudeuten. Unsere heutige Lage im Wissensbereich läßt sich vielleicht in ihrer Spezifizität herausarbeiten, wenn wir sie mit der Perspektive, die die französischen Enzyklopädisten Ende des 18. Jahrhunderts eröffneten, vergleichen. Die Metapher vom Kreis des Wissens, die Denis Diderot und Jean Le Rond D'Alembert verwendeten, ist zwar älter
der Ausdruck enkyklos paideia geht auf die Sophistik zurück (Schalk 1972) , aber die französischen Enzyklopädisten brachten, in Anlehnung an Ephraim Chamber, einen Paradigmenwechsel gegenüber der herkömmlichen systematischen Ordnung, indem sie das Wissen alphabetisch ordneten. Das bedeutete den Verzicht auf Linearität und den Übergang vom 'Kreis des Wissens' zum 'Netz des Wissens' (Hendrich 1999). Diese Wissensordnung ist dann nicht mehr nur enzyklopädisch, sondern endiktyopädisch (gr. diktyon = Netz). Zu diesem Wechsel schreibt D'Alembert:

"Wir glauben, für die Verwendung der alphabetischen Ordnung gute Gründe gehabt zu haben. Es schien uns bequemer und einfacher für unsere Leser zu sein, die das Wort, über das sie sich zu unterrichten wünschen, leichter in einem alphabetisch angelegten Wörterbuch als in irgendeinem anderen finden können. Hätten wir jede Wissenschaft für sich behandelt und für jede ein gesondertes Wörterbuch angelegt, dann hätte sich nicht nur die angebliche Zusammenhanglosigkeit der alphabetischen Reihenfolge in dieser neuen Anordnung tatsächlich breitgemacht, sondern eine solche Einteilung wäre auch beträchtlichen Unklarheiten ausgesetzt, infolge der großen Anzahl häufig vorkommender, gemeinsamer Wörter in den verschiedenen Wissenschaften, die man hätte mehrfach wiederholen oder aufs Geratewohl einsetzen müssen. Andrerseits wäre bei einer getrennten Darstellung jeder Wissenschaft in einer geschlossenen Abhandlung nach der Reihenfolge der auftretenden Gedanken - nicht der Wörter - die Form unseres Werkes noch unhandlicher für die große Menge unserer Leser geworden, die nichts ohne mühevolles Suchen würden finden können. (...)
Hätte es sich übrigens darum gehandelt, über jede Wissenschaft und jede Kunst eine Abhandlung in der üblichen Form anzufertigen und diese Einzelbesprechungen dann in einer Enzyklopädie zu vereinigen, dann würden wir schwerlich so zahlreiche Personen für dieses Werk gewonnen haben, und die meisten unserer Mitarbeiter hätten zweifellos die gesonderte Herausgabe ihrer Arbeit der Gemeinschaftsausgabe mit vielen anderen zusammen vorgezogen. Außerdem hätten wir in Verfolgung dieses letzterwähnten Planes auf die Benutzung der englischen Enzyklopädie verzichten müssen, von deren Ruf wir ebenso beeindruckt waren wie von dem damaligen "Prospectus", der in der Öffentlichkeit Anklang gefunden hatte und nach dem wir uns zu richten gedachten." (D'Alembert 1997, 96-97) 

Um mit dem letzten marktorientierten Grund anzufangen. Es handelt sich dabei um die von Ephraim Chamber 1728 in England veröffentlichte "Cyclopaedia or an universal dictionary of arts and sciences". D'Alembert argumentiert ferner pragmatisch oder, wie wir heute sagen, nutzerorientiert. Er will "die große Menge unserer Leser" erreichen. Er setzt voraus, dass die Leser nicht (mehr) enzyklopädisch gebildet sind und er ist sich bewußt, dass "die auftretenden Gedanken" teilweise mit denselben Wörtern mit je nach Kontext unterschiedlicher Bedeutung (Synonymproblem) ausgedrückt werden, so dass man, wie wir heute sagen, unterschiedliche Fachwörterbücher hätte anlegen müssen, was wiederum den doch globalen Anspruch der Enzyklopädie sowie auch deren möglichen ökonomischen Erfolg in Frage gestellt hätte.

Die anschließende Entwicklung brachte aber nicht nur die Zersplitterung der Wissenschaften mit ihren jeweiligen Fachsprachen, sondern zuletzt eine neue Form der Vernetzung, bei der die raum-zeitlichen Grenzen des enzyklopädisch und endiktyopädisch Gedruckten aufgrund der globalen elektronischen Vernetzung von Menschen und Dokumenten zugleich gesprengt wurden. Es entstand eine digital-vernetzte, zugleich informative und kommunikative Globalität, eine digitale Endiktyopädie.

Stellt die globale digitale Vernetzung eine Chance oder eine Gefahr für den skeptischen Umgang mit Wissen dar? Wenn wir uns an die Platonische Schriftkritik erinnern (Capurro 2000c), dann bedeutet jegliche schriftliche Wissensfixierung eine Gefahr für den skeptischen Umgang mit Wissen, sofern nämlich im face-to-face Dialog oder in der Selbstbesinnung die Möglichkeit zu einer gegenseitigen kontextuellen Entwicklung des Verstehensprozesses gegeben ist, denn, so König Thamus gegenüber den Argumenten des Schrifterfinders Theut:

"diese Kunst wird Vergessenheit schaffen in der Seele derer, die sie erlernen, aus Achtlosigkeit gegen das Gedächtnis, da die Leute im Vertrauen auf das Schriftstück von außen sich werden erinnern lassen durch fremde Zeichen, nicht von innen heraus durch Selbtbesinnen. Also nicht ein Mittel zur Kräftigung, sondern zur Stützung des Gedächtnisses hast du gefunden." (Phaidr. 275)

Dazu ist aber zu sagen, dass die Weltvernetzung zugleich ein schriftliches und ein mündliches Medium darstellt, allerdings mit den Möglichkeiten und Grenzen, die das interface gegenüber dem face-to-face ausmachen. Die Wissensgesellschaft braucht das Korrektiv eines skeptischen Denkens, will sie nicht in Dünkel und Aufblähung verfallen. Sie ist Teil des Problems und nicht Teil der Lösung. 

LITERATUR

    Albert, H. (1994): Kritik der reinen Hermeneutik. Tübingen. 

    Albrecht. M. (1995): Art. Skepsis; Skeptizismus (II.Neuzeit) in: Ritter, J., Gründer, K. Hrsg.: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Darmstadt, Sp. 950-974. 

    Aristoteles (1994): Metaphysik. Übers. v. H. Bonitz. Reinbek bei Hamburg 
    - (1985): Nikomachische Ethik. Übers. von E. Rolfes, Hrsg. G. Bien. Hamburg. 

    Boswell, J. (1986):  The Life of Samuel Johnson. London. 

    Capurro, R. (2001):  Lässt sich Wissen managen? Eine informationwissenschaftliche Perspektive. In: M. Michelson, W.-F. Riekert Hrsg.: Informationswirtschaft. Innovation für die Neue Ökonomie. Wiesbaden, S. 139-172. 
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    Letzte Änderung: 2. Januar 2017




    

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