Einführung
Wenn
ein
öffentliches Gebäude seiner Bestimmung übergeben wird,
setzt
man voraus, dass die Bauherren sich dieser Bestimmung auch bewußt
waren, ja, dass sie versucht haben, ihr so gut wie möglich zu
entsprechen.
Gemäß dieser Vorstellung steht diese Bestimmung im Sinne
eines
nur annähernd erreichbaren Ideals gewissermaßen schon fest,
sie ist allgemein bekannt, so daß man sie eigentlich nicht
ausdrücklich
thematisieren muß. Sie kommt höchstens in einer
feierlichen
Floskel bei der Einweihung des Gebäudes zur Sprache.
Im
Folgenden möchte ich einige Gedanken über eine solche
Selbstverständlichkeit
zur Sprache bringen. Ich frage also: Was ist die Aufgabe der
Universität?
Wie läßt sich der universitäre Raum von dieser Idee her
bestimmen? Welche ist die Grundfrage einer Universität?
I.
Was ist die Aufgabe der Universität?
Eine
Universität
ist, wie jeder weiß, ein Ort an dem man eine akademische
Ausbildung
bekommt. Den Mittelpunkt bilden die in den unterschiedlichen
Fächern
zu vermittelnden Inhalte. Diese Tätigkeit wird von einem
Lehrkörper
ausgeübt, deren zugleich forschender Körper ist. Dieses
Zwitterwesen
aus Menschengehirn und Papageienschnabel steht einer Masse von
menschlichen
Wesen gegenüber, die sozusagen den äußeren Rahmen einer
Universität bilden.
Ortega
y Gasset hat diese merkwürdige und weit verbreitete Vorstellung in
Frage gestellt (Ortega 1956; Capurro 1999). Mit Hinweis auf die
damalige
(1930) Studentenbewegung schreibt er als Antwort auf die Frage nach der
"Aufgabe der Universität" Folgendes:
"Es
ist dieses: Die Zeit als Ganzes, die Gegenwartslage des
Unterrichtswesens
auf der gesamten Welt, drängt danach, dass der Lernende wieder zum
Mittelpunkt der Universität werde und dass deren Wesen im
Studierenden
und nicht im Professor beschlossen sei, so wie es in den Zeiten ihrer
größten
Unverfälschtheit gewesen ist." (Ortega 1956: 221)
Allerdings
halte ich die Forderung Ortegas, aus Fachleuten, die den harten Kern
des
"Massenmenschen" darstellen, gebildete und für die Führung
des
Staates geeignete Leute zu machen, für eine romantisierende Vision
der Eliten und eine nur negative Auffassung dessen zu sein, was der
Masse-Metapher
zugrunde liegt.
Es
mag zunächst wie eine triviale Feststellung klingen, dass wir, wie
der Psychoanalytiker Medard Boss in Anschluß an Heideggers
Existenzialanalytik
schreibt, keine "Psyche-Kapseln" sind, sondern einer gemeinsamen Welt
aufgeschlossen
sind, wo wir uns mit den anderen bei denselben Dingen aufhalten (Boss
1975).
Weil wir eine gemeinsame Welt mit-(anderen)-teilen,
können
wir uns auch etwas mitteilen. In diesem gemeinsamen Verstehens- und
Verständigungsprozeß
bilden wir stets Bedeutungsnetze, von wo aus wir das uns Begegnende
deuten
und/oder (kausal) erklären. Ein Charakteristikum jener
Wissensform,
die wir Wissenschaft nennen, ist die Entwicklung von Sichtweisen und
Methoden,
d.h. von Bedeutungsnetzen unter bestimmten Perspektiven und mit Hilfe
einer
bestimmten Begrifflichkeit mit dem Zweck der Erklärung der
Phänomene
sowie der Prognose. Wir sprechen auch von Fächern oder
Fachgebieten,
um den gemeinsamen und stets vorläufigen Verstehens-,
Erklärungs-
und Verständigungsrahmen einer Fachgemeinschaft zu kennzeichnen.
Karl
Popper hat dem Denken in Disziplinen das Denken in Problemen
entgegengesetzt
(Popper 1965: 67). Diese Gegenüberstellung setzt
aber
eine schubladenartige Vorstellung des Begriffs Fachgebiet voraus.
Die Metapher des Gebiets läßt aber auch die Möglichkeit
zu, das Gebiet im Sinne eines von einer Gemeinschaft von Fachleuten
eröffneten
Horizont verstehen, das durch seine Vorläufigkeit und
Durchlässigkeit
zu anderen Horizonten gekennzeichnet ist (Capurro 1986). Solche
Horizonte
ermöglichen
erst die auftauchenden Probleme aus unterschiedlichen Perspek- tiven zu
sehen
und dementsprechend auch konkrete und in bezug auf bestimmte
Perspektiven
entworfene Lösungen zu suchen. Dieser doppelte Charakter eines
Fachgebiets,
seine Tendenz zur Verfestigung und Abkapselung und seine
Horizonthaftigkeit
und Durchlässigkeit, kommt in derjenigen Institution besonders zum
Ausdruck, in der eine Gemeinschaft ihre Aufgabe darin sieht, an
Entstehung,
Bestand und Fortbildung eines Fachgebiets andere Menschen teilhaben zu
lassen. Damit wären wir beim Kern einer, wie wir sie nennen
könnten,
Studentenuniversität.
Eine
Universität ist ein Raum wissenschaftlicher Öffentlichkeit.
Man
kann grob zwischen formellen und informellen Kommunikationsformen
unterscheiden,
durch die sich eine solche Öffentlichkeit konstituiert. Dabei darf
aber nicht vergessen werden, das diese sich zwar von der gemeinsam mit-geteilten
Weltoffenheit durch das Methodische unterscheidet, dass sie aber keine
in sich geschlossene Offenheit ist. Im Gegenteil, ihre
Durchlässigkeit
oder Transparenz ist auch ein Kennzeichen, dass hier keine Geheimlehre
behütet wird. Der Form der Mitteilung, nämlich Rede oder
Schrift,
liegt zunächst der Unterschied zwischen informell und formell
zugrunde.
Es
handelt sich dabei um einen fließenden oder wechselnden Grad des
Öffentlichmachens. Gedruckte Veröffentlichungen waren zur
Zeit
der Aufklärung das Paradigma wissenschaftlicher Kommunikation.
Für
Kant war die Zensurfreiheit in diesem Bereich, die Gewährleistung,
dass man von seiner Vernunft "öffentlichen Gebrauch" machen kann
und
somit das entscheidende Kriterium der Aufklärung. Unter
"öffentlichem
Gebrauch" verstand er jenen Gebrauch "den jemand als "Gelehrter" von
ihr
(der Vernunft, RC) vor dem ganzen Publikum der "Lesewelt" macht" (Kant
1975: 55; Capurro 1991: 129
ff).
Das
Zusammenspiel von formellen und informellen Kommunikationsformen hat
durch
die weltweite Vernetzung ungeahnte Möglichkeiten der
Durchlässigkeit
sowohl zwischen den Disziplinen als auch zwischen ihnen und der
Öffentlichkeit
ins Spiel, ich meine auch ins universitäre Spiel, gebracht. Dabei
gelten solche Bezüge in beiden Richtungen: Die Universität
muß
wissen, was draußen geschieht, und die
Öffentlichkeit
kann und soll vom methodischen Logos der Wissenschaft erfahren.
So gesehen, stellt sich der universitäre Raum, dessen Mittelpunkt
die Studierenden sind, als ein durch alte und neue Formen der
Mitteilung
bestimmter Raum
In
der schon erwähnten Schrift spricht Ortega vom "ökonomischen
Prinzip", welches nicht nur in der Wirtschaft, sondern eben auch in der
Lehre und Forschung eine entscheidende Rolle spielt. Im Falle der
Universität
geht es um die Begrenztheit an Zeit, Gedächtnis, Intelligenz,
Konzentration,
aber auch, so möchte ich hinzufügen, an Geld und leiblichem
Aushaltevermögen
der Lehrenden und Lernenden. Zum Kern der universitären
Wissensökonomie
gehören alle formellen und informellen Kommunikationsformen.
II.
Wie läßt sich der universitäre Raum von dieser Idee der
Universität her bestimmen?
Wenn
wir
das Gesagte als Ansatz für die Bestimmung des universitären
Raums
nehmen, dann bedeutet das, dass wir diesen Raum nicht als etwas
betrachten,
was erst da ist, wenn der Bau errichtet wurde, sondern wir müssen
uns zuvor über seine spezifische Eigenschaft im Klaren sein.
Dieser
Raum wird primär von den Studierenden bestimmt. Sie sind
diejenigen,
die diesen Raum mit-(anderen)-teilen. Nicht nur
Lehrräume,
sondern ebenso sehr Aufenthaltsräume gewinnen dann eine zentrale
Bedeutung.
Diese sind aber, im Unterschied zu anderen Aufenthalts- räumen –
z.B.
die einer Arztpraxis oder eines Bahnhofs – von
der Wissensmiteilung her
bestimmt oder, genauer gesagt, gestimmt. Staunen und Zweifel
gehören
zu den Kernstimmungen unserer wissenschaftlichen Tradition. Die von
ihnen
be- und gestimmte Wissenshaltung ist die des forschenden Fragens. Im
Gegensatz
aber zu praktischen Fragen, die keinen Aufschub dulden, schließen
theoretische Fragen die Stimmung der Geduld ein. Man muß
Spaß
daran haben, immer wieder von Neuem anzufangen, im Geiste eines
Wissenswettbewerbs.
Zu
den Mitteilungsräumen gehören auch die Lehrräume, die
also
nicht jener Ort sind, wo der Dozent Sachverhalte verkündet,
sondern
wo ein gemeinsames fragendes Suchen stattfindet. Sie sind also Orte der
Sammlung, die durch die Stimmung des Ernstes und der heiteren
Gelassenheit
gekennzeichnet sind. Da sowohl Studenten als auch Dozenten von ihrer
Wissensbestimmung
her stets dem Fraglichen oder Unbekannten offen sind, stellt dieses den
eigentlichen Mittelpunkt eines solchen Raumes dar. Sokratisch
ausgedrückt:
Der Bezug zwischen Wissen und Nicht-Wissen macht das Wesen des
Wissenssuchenden
aus. Ein solcher Bezug ist, architektonisch gedacht, der Raum zwischen
den Fragenden. Es ist also eigentlich der leere Raum, dass die
fragende
Aus-einander-setzung und den methodischen Bezug möglich macht. Die
Leere eines solchen Raumes hat aber dadurch ihre eigene Bewandtnis. Sie
ist eine besonders gestimmte Leere, und umgekehrt, die Stimmung der den
Raum Miteilenden, muß von dieser Leere her gedacht werden. Diese
Stimmung ist eine theoretische, gelassene und in sich ruhende. Die
Anonymität
der Leere läßt die Namen derjenigen, die sie mit-teilen
zum Vorschein kommen. Sie gibt auch jene Fragehorizonte frei, die wir
als
Fachgebiete kennzeichnen. Und sie weist über die universitäre
Bestimmung ihres Wesens hinaus, nämlich auf die verschiedenen
Räume
der politischen Öffentlichkeit aber auch auf die ihrer
eigentlichen
Unermeßlichkeit, nämlich auf den kosmischen Raum hin.
Die
Weise, wie die Studierenden die Leere mit-teilen ist das Wort.
Ihm
gegenüber zeigt sich die Leere als das Schweigen, ein beredtes
Schweigen
sozusagen, das auch dem unausgedrückt bleibenden Wort seinen Sinn
gibt. Grundformen der universitären Mitteilung und Bildung (informatio)
sind:
- lectio
oder die gegenseitige Unterrichtung über die zu besprechenden
Sachverhalte,
- locutio
oder die Aussprache und das je eigene Wort über das in Frage
Stehende,
und
- disputatio
oder die gemeinsame Ausarbeitung der offenen Fragen, wodurch der Bezug
zwischen Wissen und Nicht-Wissen zum Ausdruck kommt.
Die
entsprechenden
Verfallsformen gehen von der bloßen Paraphrase, über den
bewußten
Ausschluß gegenteiliger Argumente, die Übernahme fremder
Gedanken
und Ergebnisse als ob sie die eigenen wären, bis hin zur
Verleumdung
sowie zu allen Formen der Polemik.
Die
Lernenden, die Lehrenden sowie selbst auch Lernenden, der Prozeß
der Mitteilung und die Sachverhalte geben dem universitären
von den Studierenden mit-geteilten Raum seine Bestimmung und
damit
auch seine besondere Stimmung, nämlich die von Ernst und Spiel.
Dementsprechend
ist die Mitte der Lehr- und Lernräume sowie der
Aufenthaltsräume
eine schweigende Mitte oder eine Mitte die das Wort spendet, zum Reifen
bringt und in sich wieder aufnimmt.
Ein
universitärer Raum ist ein Ort der Wissenszeugung. Es herrscht
dabei
das allgemeine Gesetz der Promiskuität. Feste oder
dogmatische
Bindungen am eigenen Wissenshorizont verwandeln dieses in einen
Spiegel,
wo der Suchende stets und überall nur sich selbst zu sehen vermag.
Promiskuität schließt Obszönität, Zeugungslust und
Fremdenliebe ein. Unter Obszönität verstehe ich die
mutige
Suche nach der nackten Wahrheit. Der universitäre Logos
ist
ein sozusagen unverschämtes Wort. Die Frage nach einer Ethik von
Wissenschaft
und Technik findet hier ihre Wurzeln. Die wissenschaftliche Hybris
besteht
darin, zu glauben, dass es so etwas wie eine vollkommene Enthüllung
geben kann. Das unverschämte Wissen bleibt aber stets
offen
und vorläufig und es ist erst aus dieser Grundscham vor seinem
eigenen
Wesen, dass es auch ent-hüllend sein kann.
Dementsprechend
ist der Sinn des Enthüllens nicht der Exhibitionismus, sondern die
Zeugung. Dabei unterscheiden sich die Hervorbringungen des
universitären
Wortes und die jeweiligen Räume von anderen Weisen des produktiven
Logos. Man denke zum Beispiel an den theatralischen Logos,
welcher nach der Einheit und Trennung von Bühnen- und
Zuschauerraum
verlangt, oder auch an den Logos der Geschäftswelt,
welcher
alles Qualitative zum Schmuck der Quantität macht und wo der Raum
(und die Zeit) als eine zu überbrückende Dimension erscheint.
Demgegenüber bestimmt der universitäre Logos seinen
Raum
als einen Ort der Entblößung, oder der Wahrheit im Sinne der
Un-Verborgenheit (Griechisch: aletheia) (M.
Heidegger). Diese
ist zugleich immer schon Weg, Methode, Prüfung. Sie ist sich weder
ihres Ursprungs noch ihres Zieles sicher. Dass der universitäre
Raum
ein Ort der Wahrheit ist, bedeutet, dass die an der Entdeckung und
Zeugung
des Fremden Beteiligten das Wort anders als an anderen Orten mit-teilen
und mitteilen.
Folgende
Charakteristiken kennzeichnen die Mitteilung des universitären
Wortes
und mit ihr den ihr entsprechenden Raum:
1)
Es handelt sich um eine sammelnde Mitteilung. Demgegenüber ist
etwa
der theatralische Logos eine Form der ekstatischen also
außer
sich gehenden Mitteilung. Die extremste defizitäre Form der
Sammlung
stellt eine Irrenanstalt dar. Gegenüber der religiösen
Sammlung
stellt sich im universitären Raum die Offenheit der Bezüge zu
anderen Räumen des Politischen als ein Positivum dar. Er ist ein
sammelnder
aber zugleich ein durchlässiger und durchscheinender
Raum.
2)
Der universitäre Logos ist zwar grundgebend oder -suchend
(Griechisch: logon didonai) aber frei, grundlos oder
undogmatisch.
Ich habe schon
auf den Charakter der Obszönität des Logos
hingewiesen.
Demgegenüber stehen solche Räume, in denen der Logos
sei
es auf einem festen geistigen Grund, wie etwa bei einem Tempel oder
einer
Kirche, sei es auf einem weltlichen Machtgrund, wie etwa einer Burg
oder
einer Verteidigungsanlage gegründet und mit-geteilt wird.
Durch den Charakter der Grundgebung unterscheidet sich wiederum der
theoretische Logos von dem der bloßen Meinung. Aus dem
Spiel
zwischen Grundlosigkeit
und Grundsuche gewinnen wissenschaftliche Theorien und Methoden ihren
eigentümlichen
Charakter der Vorläufigkeit und Fragwürdigkeit. Die Einheit
von
Grundsuche und Grundlosigkeit unterscheidet diesen Logos vom Logos
der Zerstreuung oder der bloßen Meinung in seinen
vielfältigen
auch räumlichen Formen sowie auch vom rein gewinnorientierten Logos
der Geschäftswelt.
3)
Der universitäre Logos ist, schließlich, ein offener
und ein öffentlicher. Das unterscheidet ihn vom privaten Logos
innerhalb "der eigenen vier Wände" (H. Arendt 1981: 68) und von
den
entsprechenden defizitären Formen wie zum Beispiel vom
Gefängnis.
Die öffentliche Mitteilung und Mit-teilung des theoretischen Logos
hat ihre eigene Bewandtnis. Sie bietet nämlich einen eigenen
öffentlichen
Raum für die anderen Logoi. Diese haben ein sozusagen
Anrecht
auf Asyl innerhalb des universitären Raums. Sie können dort,
in der Fremde also, zumindest zeitweilig, jene Grundrechte des
theoretischen Logos für sich beanspruchen, sich sammeln,
ihre
bisherigen
Grundlagen in Frage stellen, sich anderen Logoi öffnen.
Den
verschiedenen Logoi gegenüber kann sich aber der
universitäre Logos seinerseits nicht mehr anmaßen,
eine
Wissenshierarchie
zu bilden, die dann als Maßstab des eigenen Raumes dient. Er
würde
aber seine eigene Aufgabe ebenfalls verraten, wenn er die Logoi
bloß in sich aufnehmen würde, ohne sie dabei eigens zu
bestimmen.
Es sind gerade verfestigte Hierarchien, die er sprengen kann und sich
abkapselnde
Bereiche, die er in vielfältigen Beziehungen bringen kann. Nicht
also
das Hierarchische, sondern das Fließende, Ver- und Entbindende
ist
seine Hauptaufgabe. Dieser Charakter des Unterwegsseins gab den Namen
jener
Denkschule, die neben der Platonischen, zu Beginn der
abendländischen
Universitätstradition steht, nämlich der peripatetischen.
Dabei
unterscheidet sich die Verräumlichung des denkerischen
öffentlichen
Unterwegsseins dadurch dass diese, im Unterschied zum Beispiel zur
Durchgangshalle
eines Bahnhofs, ihren Zweck in sich selbst findet, sie ist ein
bleibender Durch-Gang.
Eine
jeden spezifischen Bau sprengende Form des theoretischen Durchgangs war
die Sokratische, die sich in jenen öffentlichen Räumen kat'
exochen verräumlichte, nämlich in der Agora und
in
der Palästra. Während die Platonische Akademie bereits an
ihrem
Eingang eine Warnung aufstellte, wurde die Schule des Aristoteles
gerade
durch jenes Gebäude bezeichnet, das für den Durchgang der
Öffentlichkeit
bedacht war, nämlich die Wandelhalle. Beide Mitteilungsmodelle
stehen
zu Beginn unserer universitären Tradition. Sie verkörpern mit
unterschiedlichem Schwerpunkt die zugleich esoterische oder
schulbildende
und exoterische oder öffentliche Natur des wissenschaftlichen
Wissens
und seiner Mitteilung.
Eine
Universität ist weder eine Insel der Seligen noch der Ort
politischer
Entscheidungen, sondern die von ihr konstituierte Öffentlichkeit
hat
gegenüber der Religion und der Politik eine eigene Würde und
Autonomie, die emphatisch in der Neuzeit zum Vorschein kam. Ich meine,
dass die Universität diese Autonomie heute, am Ende der Moderne,
ohne
Emphase vertreten soll. Das bedeutet, das sie die Schwäche des
eigenen Logos erkennen muß. Dieses "schwache Denken" (G.
Vattimo 1989),
hat keine ideologischen Machtambitionen. Es soll weder die Wege der
politisch-ethischen
Entscheidungen vorbestimmen noch bildet es sich ein, über alle
Dimensionen
menschlichen Existierens Bescheid zu wissen.
III.
Welche ist die Grundfrage einer Universität?
Die
heutige
Universität ist eine Massenuniversität. Im Gegensatz zu
Ortegas
berühmter Analyse des "Massenmenschen" (Ortega 1960), muß
diese
Charakteristik nicht etwas Negatives bedeuten. Gerade die 68er und die
88er Studentenbewegungen zeigen, trotz ihrer Unterschiede, dass diese
Masse
nicht einfach die Vorteile dieser Institution (und vermutlich auch
nicht
die der politischen Institution) im Sinne des "zufriedenen Herrchens"
wahrnimmt
und sich dabei weigert, die Führung zu übernehmen. Der
"Aufstand"
richtet sich gerade gegen jene Formen der Universität, in denen
die
Studenten in die Peripherie geraten.
Eine
Massenuniversität als Studentenuniversität ist aber in einem
anderen Sinne eine positive Chance. Ortega sah nämlich im
"Massenmenschen",
dessen Kern der an Universitäten ausgebildete Spezialist war
(ist),
etwas, was durch ein "ökonomisches" Bildungssystem überwunden
werden könnte und sollte. Die Hauptaufgabe der Universität
lag
für ihn darin, dass diese den Studenten außer der
beruflichen
Ausbildung die gesamte Kultur der jeweiligen Zeit vermitteln sollte, um
aus einem bloß ausgebildeten Fachmann einen gebildeten Menschen
zu
machen. Daher sollte der Mittelpunkt der Universität eine
"Kultur-Fakultät"
sein, in der auf synthetisch-systematischer Weise die wichtigsten
Ergebnisse
oder Sichtweisen der Grunddisziplinen (Physik, Chemie, Geschichte,
Sozialwissenschaften,
Philosophie) vermittelt würden. Ortega fand mit Recht, dass der
universitäre Logos nicht allein der Logos der
Forschung ist,
sondern dass
dieser in seiner Kopplung mit dem Bildungsauftrag zu sehen ist.
Ich
meine aber, dass die Gegenüberstellung 'Spezialisten oder
Durchschnittsmenschen
vs. gebildete Menschen' schief ist, sofern nämlich Bildung nicht
aus
einem Kanon von Wissensinhalten, sondern aus der Einsicht in die
Instabilität
oder Grundlosigkeit des Wissens entsteht. Das bedeutet, dass weder
einzelne
Fächer noch das Wissen insgesamt den Kern der Bildung ausmachen.
Dieser
ist eine offene aber bestimmbare Leere. Eine Studentenuniversität
muß Raum für sie schaffen, bei der es um all dessen geht,
was
mit und ohne unsere Mitwirkung zu erscheinen vermag. Die Grundfrage
des Wissensuchenden ("was/warum ist...") ist instabil und
läßt
sich weder durch ein Fach noch durch einen Fächerkanon genau
eingrenzen
und festlegen.
Wenn
dem so ist, dann ist auch das Gebäude einer Universität
grundlos
oder hat keine arché. In diesem wie in anderen
Fällen
müssten die Architekten Wunder vollbringen, zumal, wenn sie rein architektonisch
denken. Sie müssten zuerst an die mitzuteilende Leere
denken,
und erst danach bauen. Ein solches grundloses, ohne
Maßstab
und Lineal konzipiertes Gebäude ist ein imaginärer und
offener
Bau, eine gebrechliche Struktur, etwas Vorübergehendes. Es hat
etwas
von einem Zelt sowie von der Ruhe eines spanischen Innenhofs, wo das
Wachsende
und Fließende zum Verweilen einladen. Es ist umgreifend, aber
ohne pathos. Es ist sozusagen ein ironisches Gebäude. Es
beherbergt
scheinbar Macht und Gewinn. Aber das, was man zu wissen und zu
können
meint, wird in seiner Vorder- und Hintergründigkeit mit-geteilt
und durch-gehend in Frage gestellt.
Was
ist eine Universität und wie läßt sich von dieser Idee
aus der universitäre Raum bestimmen? Das ist, in der Tat, ein
weites
Feld, ein campus sozusagen.