I.
OTTS HEIDEGGER-"BIOGRAPHIE"
Otts
Heidegger-"Biographie" ist eigentlich keine Biographie (Ott 1988). Sie
ist auch nicht "unterwegs" zu ihr. Das Buch ist eher ein Beitrag zur
Aufklärung
des "Falls H.", d.h. der dazugehörenden "Fakten" und
mutmaßlichen
"Motive", vor allem derjenigen, die H. selbst nicht als seine "wahren"
erkannte oder(später) erkennen wollte. Diese Einschränkung
stützt
sich zunächst im Äußeren. H. wurde am 26.
September
1889 geboren und starb am 26. Mai 1976. Otts Buch befaßt sich von
S.43 bis S.127 (also rund 80 von ca. 350 Seiten) mit der Zeit zwischen
1889 und 1930, anschließend S. 129 bis 340 (also ca. 210 Seiten!)
mit der Zeit zwischen 1930 und 1950, wobei aus diesen 20 Jahren im
Leben
H.s das eine (!) Jahr 1933 etwa 100 Seiten umfaßt. Natürlich
waren Heideggers letzte 25 Jahre für die Klärung des Falles
unerheblich.
Waren sie das?
Aber
auch im Inneren klaffen bei Ott Anspruch und Wirklichkeit
auseinander.
Es geht um den Anspruch des "Historikers", der scheinbar bemüht
ist,
mit seinem "Rüstzeug" nicht dem Philosophen "am Zeug zu flicken"
(S.
138), sondern "die sehr schwierige Strecke des Lebensweges" (S. 13)
(die
bekanntlich nicht 1951, sondern 1976 "endete") zu gehen. Der Versuch
aber,
"die philosophiegeschichtliche Komponente" auszuklammern, ist, zumal im
Falle der Biographie eines Philosophen (!), genauso unverständlich
und letztlich, wie sich noch zeigen wird, undurchführbar, wie die
Tatsache, daß er nahezu alle Zeugnisse von "Wegbegleitern"
ausklammert
(die Ott kurz erwähnt: S. 13-14), zumal, wenn diese nichts zum
"Fall
H." beizutragen haben. So ist der Hinweis auf die Ausklammerung von
Hannah
Arendt kaum verständlich: die vorhandenen Quellen erlauben hier
wohl
die Einbeziehung. Mit diesem Argument (Unzugänglichkeit der
Quellen)
müßte man den ganzen "Fall H." auch auf sich beruhen lassen,
da wichtige Quellen wohl in der DDR oder anderswo sind.
Ott
will seine "Biographie" von einem aus H. gewonnen "Prinzip" her (also
doch
nicht "rein historisch") strukturieren (S. 12). Dieses "Prinzip" ist
eine
Bemerkung H.s (in einem Brief an Jaspers 1935), in der er den
christlichen
Glauben sowie das "Mißlingen des Rektorats" als die "zwei
Pfähle"
kennzeichnet, für das, was "überwunden sein möchte" (S.
42). Das ist natürlich kein von H. aufgestelltes "Prinzip" zum
Schreiben
von Biographien, sondern eine, freilich wichtige, Bestandsaufnahme
seines
Lebens! Das eigentliche "Prinzip", das der Analyse eines menschlichen
Lebens
letztlich würdig ist, hat José Ortega y Gasset zum Ausdruck
gebracht: Es ist nämlich, so möchte ich das nennen, das
"Prinzip
Schiffbruch" (1). Menschliches Leben - im biographischen und nicht
biologischen
Sinne des Wortes also - ist ein Drama, das sich "von innen", d.h. von
der
Aufgabe (oder "Berufung") her begreifen läßt. Es gab viele
Um-
und Irrwege im Denken und Leben Heideggers, nämlich in bezug auf
seine(n)
"Denker-Beruf(ung)".
Im
Mittelpunkt von Otts "historischer" Deutung steht jene Aussage (aus der
Freiburger Studentenzeitung vom Nov. 1933) über "den Führer"
als die "heutige und künftige deutsche Wirklichkeit und ihr
Gesetz",
und nicht "Lehrsätze und 'Ideen'". Darunter interpretiert (!) Ott
(S. 160): die kirchlichen Dogmen und Platons Ideenlehre! Dabei
könnte
(!) auch das gemeint sein, was H. 1945 (S. 188 in Otts Buch) sagte,
nämlich
"Parteidoktrin" und die "Idee" der "politischen Wissenschaft" (bzw.
eine
andere "Ideologie", welche die Autonomie, d.h. "Selbstbehauptung" der
Wissenschaft
bzw. der Universität verhindert). Ott nimmt im Falle dieser für
ihn entscheidenden Aussage keinen Bezug auf H.s Antwort im Spiegel-Gespäch
(Neske 1988 S. 86), im Sinne eines "Kompromisses" nämlich. Wie
brüchig
ein solcher Kompromiß war, d.h. wie schnell sich für H. (!)
zeigte, daß nicht die vermeintliche (und wohl erhoffte) "geistige
Revolution", sondern eben "Parteidoktrin" und "politische Wissenschaft"
die Richtung diktierten, zeigt bekanntlich H.s öffentliche (!)
Weigerung
einer weiteren Zusammenarbeit ("Kollaboration" wäre m.E. zu diesem
geschichtlichen Zeitpunkt noch der falsche Begriff). Sechs Monate (!)
später
distanzierte sich also H., indem er eben "den Führer" nicht mehr
für
die Regel seines Seins und zwar "ganz offiziell" (also "historisch"
nachprüfbar)
nahm.
Daß
H. diese oder ähnliche Sätze nicht mehr (H.:
"Dergleichen habe ich schon 1934 nicht mehr gesagt" (Neske 1988, S. 86)
aufstellte, ist aber für den Historiker Ott kein "Beweis",
daß
er sie nicht mehr vertrat. Man lese Penzos Buch über die
Nietzsche-Rezeption
im "Dritten Reich", um einen ungefähren Vergleich über die
eigentlichen
(!) NS-Intellektuellen, und zwar in ihren vielen Schattierungen, zu
bekommen
(Penzo 1987; Capurro 1989).
Man
staunt u.a. darüber, daß H.s eigentliche Auseinandersetzung
mit dem Nationalsozialismus nämlich seine Nietzsche-Vorlesungen,
von
Ott nicht zur Kenntnis genommen werden. Gerade hier sieht man, wie
abgrundtief
seine metaphysische Deutung Nietzsches etwa von der "politischen"
Deutung
Baeumlers oder von der "psychologisch-biologistischen" Deutung Klages'
sich abhob , aus den Jahren 1936/37(Heidegger 1961, I, S.31). Aber
alles
dreht sich bei Ott eben um das Jahr 33. H. als einen schlimmen
Intriganten
und Denunzianten (Fall Staudinger) darzustellen (Otts "Stil" wirkt hier
schon sehr, im pejorativen Sinne des Wortes, "journalistisch"), ist
m.E.
schief: Auch Ott weiß nicht, wer den eigentlichen (!) Anlaß
zu den "Gerüchten" gegeben hatte und wie "offiziell" diese zu ihm,
der immerhin ein "Amt" bekleidete, kamen. H. selbst hatte wohl keine
Ambitionen
bezüglich des Chemie-Lehrstuhls. Es geht hier nicht darum, H. von
einer "Sünde" zu entlasten bzw. ihn zu kanonisieren. Vieles bleibt
im Bereich der Vermutungen (und manchmal auch der Unterstellungen) Der
"Fall" ist "glimpflich abgelaufen" (S. 208). Dabei ist O. ständig
darum bemüht, H.s eigene "Apologie" (oder die sonst kursierenden)
im Licht einer "objektiven Überprüfung mit Hilfe der
historischen
Methode" (S. 212) zu hinterfragen, was ja auch legitim, notwendig und
"heilsam"
ist, was aber auch seine Grenzen hat. Auf diese Grenzen scheint
wiederum
O. nicht genau zu achten, wenn er dem Buch gleich drei "Wegweisungen"
(Hölderlin,
Katholische Kirche, Jaspers) voranschickt. Diese sollen den
Schlüssel
für das Leben, und das heißt eben auch für das Denken
(!)
H.s liefern.
So
ist H.s Denken als eine Säkularisierung des Christentums, in
"Advent-Stimmung",
unbeirrt, stets auf die Stimme des Seins-Orakels hörend (S. 162).
Ott scheint "das Wesen Heideggerschen Denkens" genau zu kennen, wenn er
eben dieses Denken (vor und nach 33) am Satz über den
"Führer"
festnagelt... Alles wird auf 33 vor- und zurückprojiziert, so
daß
dieses Jahr überdimensional (und zwar auch bei Gefahr, die
Geschichte
von hinten nach vorne zu lesen!) im Leben H.s erscheint. Daher auch die
düsteren Töne, mit denen das Bild von H. (und von seiner
Frau:
aufgrund von Oehlkers Darstellung, S. 135, und den Mutmaßungen
(!)
von E. Castelli, S. 158. Daß
sie ihren Mann zu "verteidigen"
suchte,
S. 195, ist wohl verständlich. Kein Wort, wie
gesagt,
über so wichtige Freundschaften wie mit Medard Boss
(langjährige
interdisziplinäre Zusammenarbeit im psychiatrischen Bereich, mit
einem
wichtigen gemeinsamen Buch!) - im Vorwort dieses Buches (Boss 1975)
steht
u.a., daß die "unzähligen Gespräche" mit H. in diesem
Buch
(das H. "seine ganze Werdezeit über" begleitete und stets mit
seiner
Kritik der "philosophischen" Aussagen mitgestaltete) ihren Niederschlag
finde -, C. F. von Weizsäcker, R. Char usw. usw. Alles trägt
eben nicht zum "Fall H." bei.
Vom
"Sein" sagte H. übrigens schon 1936, daß es "Nichts"
wäre,
also am wenigsten "etwas", woran "man" sich halten könnte. S. 341:
"Das Spätwerk reifte", aber leider nicht Otts Biographie. Das
"Geschäft
des Historikers", der sich der "Deutungsversuche" entziehen will (S.
113),
scheitert, indem er eben diese Deutungen immer wieder ins Spiel bringen
muß, und zwar im Sinne der "eigentümlichen Sehnsucht nach
Härte
und Schwere" (Franzen 1988, S. 146 ff). Franzen konzentriert
seine
Deutung auf S. 242-249 einer 530 Seiten (!) umfassenden Vorlesung
(Gesamtausgabe
Bd. 29/30), in der H. "in aller Härte" von der "wesentlichen Not
unseres
Daseins" spricht und dabei die "Zumutung" der Existenz" deutet,
dergegenüber
wir "stark sein" müssen, und zwar um unsere Schwäche (!) bzw.
das Ausbleiben einer Sicherheit unseres Daseins überhaupt zu
ertragen...
Die
Rektoratsübergabe endete nicht mit dem Horst-Wessel-Lied, sondern
(so Schneeberger, Dok.Nr. 45) mit Wagners Huldigungs-Marsch! und - es
begann
mit Brahms Akademischer Fest-Ouvertüre. Nur eine kurze Darstellung
(lediglich S. 242-245) über die Verspottung H.s etwa durch den
Nazi-"Philosophen"
Krieck 1934 (!): "Deine Sprache verrät dich, Galiläer!"
(Schneeberger
1962, Dok.-Nr. 160). Nichts über H.s Wege zur Aussprache
(1937): H. Blick auf Frankreich erfolgte nicht aus "taktischen"
Gründen
erst 1945 (Ott, S. 304). Die Grenzen einer solchen Auffassung von
"Biographie",
zumal der eines Denkers, sind zu offensichtlich.