I.
SEIN UND ZEIT
Entstanden:
1922(?)-1926
Erstausgabe:
Halle 1927 (in: Jahrbuch für Philosophie und
phänomenologische
Forschung Bd. VIII)
GA 2
Heideggers
Hauptwerk stellt einen der philosophischen Höhepunkte dieses
Jahrhunderts
sowie des abendländischen Denkens überhaupt dar. Ziel des
Werkes
(dessen 2. Teil nicht erschien) ist die Ausarbeitung der Frage nach dem
Sinn von Sein, d.h. jener Frage, die seit Platon und Aristoteles den
Kern
philosophischer Forschung (als Ontologie bzw. Metaphysik) bildet.
Heideggers
Originalität kommt bereits im Zugang zu dieser Frage zum Ausdruck:
Keine abstrakte Seinslehre soll entwickelt werden, sondern die Frage
soll
ihren Sinn zunächst bei demjenigen Seienden, das sie stellt, also
bei uns selbst, aufweisen. Da wir als Menschen, im Unterschied zu allem
anderen Seienden, uns zum Sein und insbesondere zu unserem Sein
(unserer
'Existenz') in fragender Form verhalten, hebt Heidegger die Seinsart
des
Menschen ab und nennt sie "Dasein".
Die
Abhandlung will jedoch nicht als eine philosophische Anthropologie
verstanden
werden. In der Einleitung wird der Seinsfrage ein "ontologischer
Vorrang"
gegenüber den in den Wissenschaften umgrenzten und immer wieder
in
"Krisen" geratenden Sachgebieten und ihren Grundbegriffen
eingeräumt.
Die Grundlegung dieser Ontologien wird durch eine
"Fundamentalontologie"
geleistet, die in einer "existenzialen Analytik des Daseins" gesucht
wird.
Kernpunkt
dieser Analytik ist die Einsicht, daß das Dasein sich nicht nur
"ontisch"
zu den Seienden verhält, sondern daß es sie zugleich auch in
ihrem jeweiligen Sein zu verstehen sucht. Dieses Seinsverständnis
nennt Heidegger "ontologisch". Die Methode der Untersuchung ist eine
phänomenologische:
Das "Phänomen", "das Sich-an-ihm-selbst-zeigen- de", d.h. die je
besondere
Art, wie uns Seiendes begegnet, liegt nicht offen zutage, sondern wird
im "logos" erschlossen und somit "offenbar".
Von
den drei vorgesehenen Abschnitten des 1. Teils, nämlich:
1.
"Die vorbereitende Fundamentalanalyse des Daseins",
2.
"Dasein und Zeitlichkeit",
3.
"Zeit und Sein",
wurden
zunächst nur die beiden ersten ausgearbeitet. Heidegger hat
später
sowohl Beiträge zum 3. Abschnitt als auch zum 2. Teil
geliefert.
Im
1. Abschnitt wird die "Grundverfassung" des Daseins als das
"In-der-Welt-sein"
bestimmt. Heidegger hebt die Art und Weise, wie das Dasein in der Welt
ist, vom sonstigen nicht "daseinsmäßigen" Seienden ab. Die
Seinscharaktere
des Daseins nennt er "Existenzialien" im Gegensatz zu den "Kategorien".
Eine Kernthese lautet, daß die herkömmliche Ontologie (etwa
bei Descartes) das Dasein durch ihm unangemessene "Kategorien" bestimmt
hat. Nur der Mensch "existiert", d.h. verhält sich zum
nicht-menschlichen
Seienden sowie zu sich selbst in der Form des Seinsverstehens. Er hat
sein
eigenes Sein zu sein, er kann sich aus seinen Möglichkeiten
wählen.
Die Ausarbeitung der "Existenzialien", die im Dienste der Seinsfrage
steht,
geht hermeneutisch bzw. "zirkelartig" vor: Während im 1. Abschnitt
die Modi des "uneigentlichen" Seins des Daseins phänomenologisch
ans
Licht kommen, werden diese im 2. Abschnitt im Zusammenhang mit der
Zeitlichkeit,
d.h. vor dem "eigentlichen" Horizont menschlichen Lebens,
wiederholt.
Der
im 1. Abschnitt zentrale Ausdruck "In-der-Welt-sein" deutet auf ein
einheitliches
Phänomen hin; dessen Strukturmomente sind:
(a)
die "Weltlichkeit" der Welt, d.h. das Gefüge von "pragmatischen"
Sinnzusammenhängen,
in denen wir alltäglich eingebettet sind ("Umwelt"), wozu das
"Besorgen"
und unser Verhältnis zu den Dingen als dem "Zuhandenen" (im
Gegensatz
zu "Vorhandenem") gehört;
(b)
das "Wer", d.h. das Dasein, sofern es im Modus der durchschnittlichen
Alltäglichkeit
("Man") ist;
(c)
das "In-sein", d.h. die Phänomene der "Befindlichkeit",
"Verstehen"
und "Rede".
Die
Grundbefindlichkeit der "Angst" gibt Aufschluß über die
wesenhafte
Endlichkeit des eigenen Seinkönnens. Das Dasein ist als
existierend
seiner Faktizität (bzw. "Geworfenheit") überantwortet und der
Alltäglichkeit "verfallen"; seine einheitliche Grundstruktur
faßt
Heidegger im Ausdruck "Sorge" zusammen.
Im
2. Abschnitt ("Dasein und Zeitlichkeit") stellt Heidegger die Frage, ob
das Dasein im "Vorlaufen" zu seinen Möglichkeiten als eine
"Ganzheit"
aufgefaßt werden kann. Dabei zeigt sich, daß es in unserer
faktischen Existenz eine äußerste, unüberholbare
Möglichkeit
gibt, nämlich den Tod. Während das alltägliche Dasein
den
Tod flieht, besteht auch die Möglichkeit eines "eigentlichen"
Seins
zum Tode, d.h. eines "Vorlaufens" in diese letzte Möglichkeit, die
zugleich die Unmöglichkeit jeglichen "Seinskönnens" ist. Die
Möglichkeit eines "eigentlichen Seinkönnens" wird auch von
der
"Stimme des Gewissens" bezeugt: das Dasein bleibt grundsätzlich
seine
Existenz "schuldig", da seine Möglichkeiten aus einer letzten
Unmöglichkeit
entspringen. Das Dasein ist nicht nur nichtig hinsichtlich seiner
Faktizität
(oder "Geworfenheit"), sondern auch in seinem konkreten "Entwurf". Erst
in der "Entschlossenheit" erschließen sich dem Dasein seine
faktischen
Möglichkeiten, denen gegenüber das "eigentliche Selbstsein"
im
"fürsorgenden Mitsein" handeln kann.
Als
"Sich-worweg" gründet das Dasein in der Zukunft, als
"Schon-sein-in..."
in der "Gewesenheit", als "Sein-bei..." in der Gegenwart. Die Einheit
der
Strukturmomente der "Sorge" liegt in der Zeitlichkeit: "Zeitlichkeit
zeitigt
sich ursprünglich aus der Zukunft: Die ursprüngliche Zeit ist
endlich" (§ 65). Die Analyse kehrt nun zum alltäglichen
Dasein
zurück und erschließt "Verstehen", "Befindlichkeit",
"Verfallen"
und "Rede" sowie die Phänomene des praktischen Umgangs mit
"Zuhandenem",
des "theoretischen Entdeckens" (d.h. der Wissenschaft) und der
Räumlichkeit
von der Zeitlichkeit her. Das Seiende "zwischen Geburt und Tod" zeitigt
seine Möglichkeiten als "Geschichte". In der Alltäglichkeit
lebt
das Dasein lediglich ein "Heute".
Die
traditionelle Ontologie hat es nach Heidegger verfehlt, das Sein des
Daseins
ursprünglich von der Zeitlichkeit her aufzufassen, so daß
von
ihr aus kein Weg "von der ursprünglichen Zeit zum Sinn des Seins"
führt (§ 83).
Sein
und Zeit wirkte nachhaltig nicht nur in der philosophischen
Forschung
vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern auch in den Wissenschaften
(z.B. Medizin/Psychoanalyse: M. Boss, Physik: C.F. von
Weizsäcker).
Die Hermeneutik wurde insbesondere von H.-G. Gadamer in bezug auf die
Phänomene
der Kunst und Literatur weiter ausgebaut.
Vgl.
"Was ist Metaphysik"
Literatur:
H.
Feick: Index zu "Sein und Zeit", 1980
O.
Pöggeler: Der Denkweg M. Heideggers, 1983
F.-W.
von Hermann: Hermeneutische Phänomenologie des Daseins, 1987.
R.
Capurro: Heidegger und
Aristoteles
(1988).
II.
DIE GRUNDPROBLEME DER PHÄNOMENOLOGIE
Entstanden:
1927
Erstausgabe:
Frankfurt a.M. 1975
GA 24
Die
im Rahmen der Gesamtausgabe (GA 24) erschienene Schrift gibt die
Marburger
Vorlesung des Sommersemesters 1927 (Erscheinungsjahr von Sein und
Zeit)
wieder. Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, daß Heidegger, wie
es in einer Marginalie der Vorlesungshandschrift heißt, eine
"Neue
Ausarbeitung des 3. Abschnittes von Sein und Zeit" vornimmt.
Die
beiden von Heidegger veröffentlichten Abschnitte von Sein und
Zeit
tragen die Überschriften: "Die vorbereitende Fundamentalanalyse
des
Daseins" und "Dasein und Zeitlichkeit". Der 3. Abschnitt sollte "Zeit
und
Sein" heißen.
Die
Vorlesung, die um die Frage nach dem 'Sinn von Sein' kreist, besteht
aus
einem historischen und einem systematischen Teil. In der Einleitung
setzt
sich Heidegger u.a. mit der (Jasperschen) Vorstellung von Philosophie
als
'Weltanschauung' auseinander und hebt seine Behauptung von "Philosophie
als Wissenschaft vom Sein" hervor. Sein setzt Seinsverständnis,
d.h.
die Existenz des Daseins (das allein Sein zu verstehen vermag), voraus
oder, anders ausgedrückt, die Ontologie hat ein "ontisches
Fundament".
Die phänomenologische Methode wird in drei Schritten
beschrieben:
- die
Erfassung
des Seienden auf das Verstehen von dessen Sein ("phänomenologische
Reduktion"),
- das
Entwerfen
des vorgegebenen Seienden auf sein Sein und dessen Strukturen
("phänomenologische
Konstruktion"9
- und
der
kritische Abbau überkommener Begriffe ("Destruktion").
Beim
1.
Teil ("Phänomenologisch-kritische Diskussion einiger
traditioneller
Thesen über das Sein") handelt es sich um eine "Destruktion",
nicht
in der Absicht einer Verurteilung, sondern vielmehr einer "positiven
Aneignung"
der Thesen Kants ("Sein ist kein reales Prädikat"), Aristoteles
("Zum
Sein eines Seienden gehören das Wassein (essentia) und das
Vorhandensein
(existentia)", der neuzeitlichen Ontologie (Sein der Natur (res
extensa)
und Sein des Geistes (res cogitans)) sowie der Logik (Sein der
Copula).
Im
2. Teil ("Die fundamentalontologische Frage nach dem Sinn von Sein
überhaupt.
Die Grundstrukturen und Grundweisen des Seins") steht das
Zeitverständnis
im Vordergrund. Anhand einer Analyse des "vulgären" Zeitbegriffes
bei Aristoteles zeigt Heidegger, daß dieser die Zeitlichkeit und
mit ihr die Daseinsstruktur voraussetzt. In einem zweiten Schritt
analysiert
Heidegger dieses "vulgäre" (bzw. "vorwissenschaftliche")
Zeitverständnis
(Zeit als "Folge von Jetzt") in seinem phänomenologischen Gehalt
(Seinsart
des Uhrgebrauchs, Strukturmomente: Bedeutsamkeit, Datierbarkeit,
Gespanntheit,
Öffentlichkeit) und führt dieses auf seinen Ursprung in der
"existenzialen
Zeitlichkeit" zurück. Diese ist durch einen
"ekstatisch-horizontalen"
Charakter gekennzeichnet, d.h. durch die Einheit des
"Gewärtigens",
"Behaltens" und "Gegenwärtigens". Das Dasein ist das "zeitliche
Seiende
schlechthin". Zeitlichkeit ist die Bedingung der Möglichkeit von
Seinsverständnis:
"Sein wird aus der Zeit verstanden und begriffen". Al eine solche
Bedingung
wird Zeitlichkeit "Temporalität" genannt. Die Grundbestimmung des
"In-der-Welt-seins" ist das Verstehen im Sinne der Bestimmung des
eigenen
Seinkönnens ("Freisein-für"). Zum Seinsverständnis, d.h.
zu unserem Verhalten zu Seiendem, gehört das Verstehen und die
jeweilige
"Stimmung", mit ihrer spezifischen "Helle". Heidegger hebt diese
zeitliche
Interpretation von Sein ab gegenüber dem Platonischen Versuch,
"über
das Sein hinauszugehen", d.h. Sein im Horizont des herstellenden
'demiourgos'
zu interpretieren. Als "In-der-Welt-sein" versteht sich dasein im
"Mit-sein"
mit anderen, mit denen es eine gemeinsame Welt teilt. "Sich aus einer
Welt
verstehen" heißt "Transzendenz".
Im
letzten Abschnitt ("Sein und Seiendes. Die ontologische Differenz")
geht
Heidegger auf die positiven Wissenschaften ein, die sich "in der
Vergegenständlichung
des zuvor schon irgendwie Enthüllten" konstituieren. Im Gegensatz
dazu ist die Ontologie eine "temporale Wissenschaft", d.h. sie
enthüllt
"Strukturen und Möglichkeiten des Seins im Lichte der
Temporalität".
Die Temporalität wird so zum 'apriori' philosophischer
Begriffsbildung
"im Rückgang aus dem faktisch konkreten Wesen der Existenz des
Daseins".
III.
KANT UND DAS PROBLEM DER METAPHYSIK
Entstanden:
1929
Erstausgabe:
Bonn 1929.
Vgl.
GA 3, 21, 24, 25
Die
Abhandlung gehört zu den früh von Heidegger
veröffentlichten
Schriften im Umkreis von Sein und Zeit; in deren "existenzialer
Analytik", welche die Seinsweise des Daseins im Hinblick auf eine
Grundlegung
der Ontologie entfaltete, blieb die Frage offen, wie eine solche
"Fundamentalontologie"
diese Aufgabe erfüllen kann. Diese Frage wird von Heidegger in
Auseinandersetzung
mit Kants Kritik der reinen Vernunft (KrV) entwickelt, wobei,
im
Gegensatz zu der herkömmlichen Deutung durch den Neukantianismus,
der in der KrV eine Erkenntnistheorie sieht, dieses Werk als eine
Grundlegung
der Metaphysik ausgelegt wird.
Die
Schrift ist in vier Abschnitte gegliedert. Im 1. Abschnitt, "Die
Grundlegung
der Metaphysik im Ansatz", stellt Heidegger die Frage: Warum wird
für
Kant die Grundlegung der Metaphysik zur Kritik der reinen Vernunft? In
Anschluß an Platon und Aristoteles wird Metaphysik als "die
grundsätzliche
Erkenntnis des Seienden als solchen und im Ganzen" bestimmt. Über
die Erfahrung des "Sinnlichen" hinaus sucht Metaphysik die Erkenntnis
des
"Übersinnlich-Seienden". In Kants "Copernicanischer Wende" wird,
nach
Heidegger, die Frage nach der Möglichkeit ontischer Erkenntnis auf
die Frage nach der Möglichkeit der Ontologie selbst
zurückgeführt.
Dies heißt wiederum zu fragen, wie es möglich ist, daß
die Erkenntnis von Seiendem überhaupt ("a priori") mit dem
Überschreiten
(Transzendenz) der reinen Vernunft zum Seienden zusammenhängt.
Nach
dem Wesen dieser Transzendenz des Seinsverständnisses fragen,
heißt
transzendental philosophieren.
Im
2. Abschnitt, "Die Grundlegung der Metaphysik in der
Durchführung",
erörtert Heidegger Kants Klärung des Wesens der Endlichkeit
menschlicher
Erkenntnis als "rezeptiver" Anschauung (gegenüber der
"schaffenden"
unendlichen Anschauung Gottes). Endliche Anschauung ist auf den
Verstand
angewiesen. Nach Heidegger gewinnt bei Kant die "transzendentale
Einbildungskraft",
die er als Zeitlichkeit interpretiert, eine einigende Funktion von
Anschauen
und reinem Verstand; sie ist die gemeinsame Wurzel der zwei Stämme
des ichlichen Seienden, nämlich von Sinnlichkeit und Verstand. Die
"ontologische Erkenntnis", die dabei stattfindet, bezieht sich auf
einen
"reinen Horizont", innerhalb dessen Seiendes begegnen kann.
Im
3. Abschnitt, "Die Grundlegung der Metaphysik in ihrer
Ursprünglichkeit",
legt Heidegger im einzelnen die Grundlegungsfunktion der
"transzendentalen
Einbildungskraft" aus und kommt zu dem Schluß, daß Kant vor
dieser unbekannten Wurzel der Wesensverfassung des Menschen zugunsten
des
Verstandes zurückgewichen ist. Damit entfiel auch die
Möglichkeit,
den Zeitcharakter der "transzendentalen Einbildungskraft"
ursprünglich,
d.h. als die Endlichkeit der menschlichen Subjektivität in ihrer
Ganzheit
ermöglichend, zu denken.
Im
4. Abschnitt schließlich, "Die Grundlegung der Metaphysik in
einer
Wiederholung", versucht Heidegger, die verborgenen Möglichkeiten
der
Kantischen Grundlegung der Metaphysik darzulegen. Dabei zeigt sich,
daß
(a)
die reine menschliche Vernunft nicht nur durch "Endlichkeit", sondern
durch
"Verendlichung", d.h. durch "Sorge" um das Endlich-sein-können
gekennzeichnet
ist;
(b)
die Frage nach der Endlichkeit im Menschen nicht eine bloße
menschliche
Eigenschaft betrifft, sondern aus der Aufgabe der Grundlegung der
Metaphysik
erwächst, und
(c)
die Metaphysik des Daseins (die "Fundamentalontologie") die für
eine
Grundlegung der Metaphysik notwendige Frage, was der Mensch sei,
übernimmt.
Die
Interpretation des Daseins als Zeitlichkeit soll den Zugang zu einem
Verstehen
von Sein auf die Zeit hin ermöglichen, damit die Seinsfrage
"wieder
in ihrer elementaren Wucht und Weite herausdrängen" kann.
Heideggers
Schrift wurde von der philosophiehistorische Forschung scharf
kritisiert.
Dennoch gehört sie vor allem wegen der Kraft und Radikalität
des philosophischen Fragens, mit dem Heidegger die Probleme Kants zu
reaktivieren
vermag, zu den großen Kant-Intepretationen unseres
Jahrhundert.
Literatur
H.
Mörchen: Die Einbildungskraft bei Kant, in: Jahrbuch für
Philosophie
und phänomenologische Forschung, Bd. IX, 1930, 2. Aufl. 1970.
H.
Hoppe: Wandlungen in der Kant-Auffassung Heideggers, in: V. Klostermann
(Hg.): Durchblicke, 1970.
IV.
EINFÜHRUNG IN DIE METAPHYSIK
Entstanden:
1935
Erstausgabe:
Tübingen 1953.
GA 40
Die
Schrift enthält die im Sommer 1935 gehaltene Vorlesung Heideggers
sowie spätere Zusätze, worin die Frage nach dem Sein eine
über Sein und Zeit hinausgehende Radikalisierung
erfährt.
Im
1. Abschnitt wird die Grundfrage: Warum ist überhaupt Seiendes und
nicht vielmehr Nichts? als rangmäßig erste und weiteste
Frage
gedeutet. Sie fragt nach dem Seienden als solchen und im Ganzen, was in
der frühgriechische Philosophie 'physis' genannt wurde. Im
Unterschied
zur 'techne' als dem wissenden "Hervorbringen", meint 'physis' das
Seiende
als "aufgehend-verweilendes Walten". Die Vorlesung will in diese
Grundfrage
hineinführen. Das in der Frage angesprochene "Nichts" wirkt,
zumindest
auf Logik und wissenschaftliches Denken, befremdend. Der erste Teil der
Frage (Warum ist überhaupt Seiendes?) stellt die
Selbstverständlichkeit,
daß die Dinge sind, in Frage und eröffnet so den Bereich des
Seins. Die Seinsfrage bestimmt, für Heidegger, das "geistige
Schicksal
des Abendlandes", d.h. sie betrifft geschichtliche Ereignisse, wie z.B.
die "Flucht der Götter", die "Zerstörung der Erde", die
"Vermassung
des Menschen".
Im
2. Abschnitt geht Heidegger auf die Grammatik und Etymologie des Wortes
'Sein' ein: Der 'modus infinitivus' weist auf eine Abstraktion der
Bedeutung
aus allen besonderen Bezügen hin, das Wort ist jedoch "leer und
von
verschwebender Bedeutung".
Der
3. Abschnitt, "Die Frage nach dem Wesen des Seins", bringt die Frage
nach
dem Verstehen von Sein zur Sprache. Gegenüber der Verflachung, die
sich im Wort kundtut, wird jetzt gefragt, ob das 'ist'
dieMöglichkeit
der Vielfalt in sich birgt.
Der
4. Abschnitt, "Die Beschränkung des Seins", erörtert die
Zusammenhänge
Sein/Werden, Sein/Schein, Sein/Denken und Sein/Sollen. Anhand der
Analyse
dieser Entgegensetzungen sucht Heidegger das Sein nicht mehr als ein
leeres
Wort zu erfahren, sondern sich ihm gegenüber im Einklang mit der
griechischen
Philosophie (Heraklit, Parmenides) und Dichtung (Sophlokes, Pindar), in
einer ursprünglichen Grunderfahrung, offenzuhalten, wohingegen die
"Seinsvergessenheit" als Nihilismus bezeichnet wird. Die Frage nach
dem
Wesen des Seins is zugleich die nach dem Wesen des Menschen, da der
Mensch
"die Stätte der Seinseröffnung" ist. Als solche und weil der
Mensch wesentlich "zeitlich" ist, wurde zwar die Seinsfrage im Hinblick
auf die Zeit ('ousia' als ständige Anwesenheit) gestellt, ohne
daß
aber diese "leitende Blickbahn" ausdrücklich bewußt wurde; Sein
und Zeit setzte hier an.
Heideggers
"Erneuerung" der Metaphysik stellt eine der großen
Herausforderungen
der Philosophie des 20. Jahrhunderts dar.
Vgl.
"Die Frage nach dem Ding"
Literatur
W.
Marx: Heidegger und die Tradition, 1961
O.
Pöggeler: Heidegger und die hermeneutische Philosophie, 1983.
V.
NIETZSCHE
Entstanden
1936-1946
Erstausgabe:
Pfullingen 1961 (2 Bde)
GA 6, 47, 48
Vgl.
GA 43, 44, 46
Das
Werk enthält Vorlesungen, die Heidegger in den Jahren 1936 bis
1940
an der Universität Freiburg i. Br. hielt, sowie Abhandlungen aus
den
Jahren 1940 bis 1946.
Heideggers
Auseinandersetzung mit Nietzsche ist entscheidend für seine
Deutung
der Metaphysik. Sie wurde in den Jahren geführt, in denen sich die
Weltanschauung des Nationalsozialismus auf Nietzsche berief.
Band
I enthält die bis Juli 1939 gehaltenen Vorlesungen; sie sind in
drei
Abschnitte gegliedert. Im 1. Abschnitt, "Der Wille zur Macht als
Kunst",
wird Nietzsche, insbesondere anhand seiner Vorarbeiten zum geplanten
Hauptwerk Der Wille zur Macht, als metaphysischer Denker
gedeutet.
Nietzsche
steht, für Heidegger, in der Tradition der Willensmetaphysik
(Schelling,
Hegel, Schopenhauer) und überschreitet diese in seiner Bestimmung
des Seienden als Wille zur Macht. Dabei kommt der Kunst eine
ausgezeichnete
Stellung zu: Das Schaffen des Künstlers, das Jasagen zum
Sinnlichen,
ist die höchste Gestalt des Willens zur Macht. Heidegger entfaltet
diese Deutung vor dem Hintergrund der Geschichte der Ästhetik. Das
Verhältnis von Wahrheit und Kunst tritt vor allem in Nietzsches
Umkehrung
des Platonismus deutlich hervor.
Im
2. Abschnitt, "Die Ewige Wiederkehr des Gleichen", erörtert
Heidegger
den Gedanken der "ewigen Wiederkunft", als Grundgedanken von Nietzsches
Metaphysik. Es geht dabei vor allem um den "Tod Gottes" bzw. um die
"Vermenschung"
des Seienden. Der Mensch, und nicht Gott, steht jetzt im Mittelpunkt
der
"ewigen Wiederkehr" des Weltwerdens. Was "ewig wiederkehrt", ist nicht
etwa Gott oder die platonische Idee, sondern der Wille zur Macht
selbst,
der im Sinne der Metaphysik als "ständiges Anwesen" gedacht
wird.
Im
3. Abschnitt, "Der Wille zur Macht als Erkenntnis", wird Nietzsche als
"Denker der Vollendung der Metaphysik" gedeutet. Heidegger grenzt diese
Deutung von den herkömmlichen (Biologismus, Lebensphilosophie) ab.
Erkennen heißt nach Nietzsche "Schematisieren eines Chaos nach
praktischem
Bedürfnis". Horizontbildung gehört zum Wesen des Lebens. Die
Vernunft hat einen dichterischen Charakter, d.h. die Denkkategorien
sind
Formen der Lebenserhaltung. In Nietzsches "Perspektivismus" gerät
die metaphysische Wahrheitsauffassung ins Äußerste, indem
das
Werdende in seiner Beständigkeit gedacht wird. Für Heidegger
ist diese Vollendung der Metaphysik zugleich die Not des "anderen
Anfangs"
Mit
dem Text der vorgesehenen Schlußvorlesung beginnt der II. Band.
In
"Die ewige Wiederkehr des Gleichen und der Wille zur Macht" wird das
Voraufgegangene
zusammengedacht. In der Vorlesung "Der europäische Nihilismus"
geht
es um Nietzsches (und Heideggers) Auseinandersetzung mit diesem
Grundzug
unseres Zeitalters. Der Nihilismus, die "Entwertung der obersten
Werte",
wird von Nietzsche von einer "passiven" oder "negativen" Form in eine
"positive"
umgewandelt, indem die "alten Werte" nicht nur durch neue ersetzt,
sondern
auf den wertsetzenden Willen zur Macht zurückgeführt werden.
Dabei zeigt Heidegger, wie in dieser Geschichte des Nihilismus, die
zugleich
Geschichte der Metaphysik von Platon bis Nietzsche ist, ein innerer
Zusammenhang
der Grundpositionen (besonders zu Descartes und Kant) besteht.
Nietzsche,
der "Antimetaphysiker par excellence", vollendet in seiner
Gegenbewegung
die Metaphysik und prägt unser heutiges Zeitalter. Das Sein "als
die
Leere und der Reichtum" wird "zweideutiger" denn je. In den folgenden
Abhandlungen
("Nietzsches Metaphysik", "Die seinsgeschichtliche Bestimmung des
Nihilismus",
"Die Metaphysik als Geschichte des Seins", "Entwürfe zur
Geschichte
des Seins als Metaphysik" und "Die Erinnerung an die Metaphysik")
werden
diese Grundgedanken weiter vertieft.
Heideggers
Auseinandersetzung mit Nietzsche eröffnete, lange vor der
gegenwärtigen
'Nietzsche-Renaissance', neue Wege in der Nietzsche- Forschung und
bereitete
den Boden für eine kritische Reflexion über den Nihilismus
unserer
Zeit vor.
Literatur
O.
Pöggeler: Der Denkweg M. Heideggers, 1983.
E.
Heftrich: Nietzsche im Denken Heideggers, in: V. Klostermann (Hg.):
Durchblicke,
1970.
VI.
DIE FRAGE NACH DEM DING
Entstanden:
1935/36
Erstausgabe:
Die Frage nach dem Ding. Zu Kants Lehre von den transzendentalen
Grundsätzen,
Tübingen 1962.
GA 41
Die
Schrift bringt den Text einer Vorlesung, die im Wintersemester
1935/1936
unter dem Titel "Grundfragen der Metaphysik" in Freiburg i. Br.
gehalten
wurde, und enthält eine Auslegung der Lehre Kants vom "System
aller
Grundsätze des reinen Verstandes" in der Kritik der reinen
Vernunft.
Sie revidiert zum Teil, was in der Abhandlung "Kant und das Problem der
Metaphysisk" gesagt wurde.
Die
leitende Frage dieser Vorlesung, nämlich: "Was ist ein Ding?",
wird
im 1. Teil in ihrer Vielschichtigkeit dargelegt. Von ihrem
alltäglichen
Gebrauch ausgehend wird die Andersartigkeit der philosophischen Frage
(d.h.
der Frage nach der 'Dingheit') gegenüber der
wissenschaftlichen
und technischen Methode hervorgehoben. Dabei zeigen sich zunächst
Raum und Zeit als Dingbestimmungen. Die Dinge sind "je diese", was
zugleich
eine "subjektive" und eine "objektive" Bestimmung zu sein scheint. Das
Ding tritt als metaphysische Kategorie (besonders bei Aristoteles),
d.h.
als Träger von Eigenschaften auf. Diese Bestimmung hängt eng
mit der Wesensbestimmung der Wahrheit im Sinne von
'Übereinstimmung
mit den Dingen' zusammen. Die so verstandene Wahrheit hat ihren Sitz in
der Aussage. Diese Antwort auf die leitende Frage ist nach Heidegger
eine
"geschichtliche", d.h. sie entspringt eine "Grundstellung des Daseins",
wobei der Zusammenhang von Satz, Wahrheit und Ding nicht zufällig
ist. Ihrem Ursprung sieht Heidegger in der Frage nach dem "Unbedingten"
bzw. nach Bedingung und Bedingtsein. Von hier aus analysiert Heidegger
im 2. Teil "Kants Weise, nach dem Ding zu fragen".
Im
1. vorbereitenden Abschnitt wird der "geschichtliche Boden, auf dem
Kants Kritik der reinen Vernunft ruht", dargelegt. Dazu
gehören die
Fragen nach den Kategorien und nach "logos-ratio-Vernunft" sowie das
Heraufkommen
der neuzeitlichen Naturwissenschaft (Newton), die Heidegger von der
antiken
und mittelalterlichen abhebt. Zu Beginn der Neuzeit führt bei
Descartes
die Radikalisierung des Mathematischen zum "Ichsatz" als obersten
Grund.
Von Descartes aus gelangt die Dingfrage über Wolff und Baumgarten
zu Kant.
Der
2. Abschnitt ist eine detaillierte Analyse der Dingfrage in Kants
Hauptwerk.
Im System der Grundsätze des reinen Verstandes sieht Heidegger die
"innere tragende Mitte des ganzen Werkes". Da für Kant der
Gegenstand
unserer Erfahrung die Natur ist, wird Ding als "Naturding" (das "Ding
in
der Erscheinung", im Unterschied zum "Ding an sich")
begriffen.
Heideggers
Auslegung kreist um:
(a)
den obersten Grundsatz aller analytischen Urteile;
(b)
Kants Wesensbestimmung des Urteils;
(c)
den obersten Grundsatz aller synthetischen Urteile;
(d)
die systematische Vorstellung aller Grundsätze des reinen
Verstandes.
Daß
Gegenstände, die wir nicht selbst gemacht haben, uns in einem
"offenen
Gegenüber" begegnen, und zwar so, daß dieses
"Begegnen-lassen
durch uns geschieht", ist, nach Heidegger, das "Grundgeschehnis",
worauf
Kant stieß und das er immer wieder zu fassen suchte. Entscheidend
bleibt aber für Heidegger, auf das "Zwischen", zwischen Mensch
(bzw.
Erfahrung) und Ding, worin wir uns bei der Frage nach dem Ding bewegen,
zu achten. Diese Frage, die auf die Frage: "Was ist der Mensch?"
führt,
öffnet jene Dimension, die beim Begegnen der Dinge diese immer
schon
"überspringt" und "hinaus- und hinter den Menschen
zurückreicht".
Zentraler
Punkt von Heideggers Interpretation ist, daß Kant es unterlassen
hat, "das Offenbare", das uns vor einer Vergegenständlichung zum
Erfahrungsgegenstand
begegnet, in seinem eigenen Wesen zu befragen und zu bestimmen". Die
Kantische
"Entdeckung" war nach Heidegger die Angewiesenheit des Denkens auf die
Anschauung, d.h. seine Gegenstandsbezogenheit. Diese Auseinandersetzung
mit Kant hat Heidegger u.a. in "Der Satz vom Grund"
fortgeführt.
Literatur
H.
Hoppe: Wandlungen in der Kant-Auffassung Heideggers, in: V. Klostermann
(Hg.): Durchblicke, 1970.
VII.
HOLZWEGE
Entstanden:
zwischen 1935-1946.
Erstausgabe:
Frankfurt a.M. 1950
GA 5
In
diesem Band sind sechs Abhandlungen Heideggers aus der Zeit zwischen
1935
und 1946 enthalten. Sie betreffen Fragen der Kunst, der Wissenschaft,
der
Hegelschen Phänomenologie, der Religionskritik Nietzsches, der
Dichtung
und der Ontologie Anaximanders. Trotz des Anscheins der Disparatheit
verlaufen
diese "Holzwege" "im selben Wald".
Die
Abhandlung "Der Ursprung des Kunstwerkes" (1935) faßt drei
Vorträge
zusammen, die sich mit der Bestimmung des Kunstwerkes in kritischer
Distanz
zum "ästhetischen Erlebnis" befassen. In "Das Ding und das Werk"
unterscheidet
Heidegger zwischen "Ding", "Zeug" und "Werk". Im Kunstwerk sieht
Heidegger
"ein Geschehen der Wahrheit" am Werk". Im Werk wird Seiendes in seinem
Sein eröffnet. Das Wesen der Kunst ist "das Sich-ins-Werk-Setzen
der
Wahrheit des Seienden". Mit anderen Worten, Kunst läßt
Wahrheit
geschehen, d.h. sie stellt eine neue Welt von Bezügen auf und
hält
somit "das Offene der Welt" offen, wie im Vortrag "Das Werk und die
Wahrheit"
betont wird. Diese "offene Stelle" wird auch "Lichtung" genannt.
"Schönheit
ist eine Weise, wie Wahrheit west". Im 3. Vortrag "Die Wahrheit und die
Kunst", wird das Kunstwerk von der 'techné' her, d.h. als ein
"Her-vor-bringen"
bestimmt. Die Kunst hat nicht nur eine Geschichte, sie ist wesentlich
geschichtlich.
"Die
Zeit des Weltbildes" (1938) enthält die Deutung einer der
Grunderscheinungen
des gegenwärtigen metaphysischen Zeitalters, nämlich der
Wissenschaft.
Heidegger sieht das Wesen moderner Wissenschaft (im Unterschied zu der
griechischen 'episteme' und zu der mittelalterlichen 'doctrina') in der
Forschung. Diese entwirft ein Gebiet des Seienden und geht mathematisch
und exakt vor. Aufgrund dieses Vorgehens wird sie experimentell
(Tatsachenforschung/Gesetze).
Schließlich hat sie den Charakter des "Betriebes". Dieses
neuzeitliche
Weltbild wird gegen das mittelalterliche und das antike abgehoben.
Neben
den Erscheinungen des "Riesenhaften" treten auch die des
"Unberechen- baren"
hervor. Der Mensch ist zum "subjectum" und die Welt zum "Bild"
geworden.
"Hegels
Begriff der Erfahrung" (1942/43) enthält Erläuterungen zu
einem
Stück aus der Vorrede von Hegels Phänomenologie des
Geistes.
Die Auslegung kreist um den von Hegel vorangestellten Titel
"Wissenschaft
der Erfahrung des Bewußtseins". Die beiden Genitive bezeichnen
nach
Heidegger die Subjekt-Objekt-Beziehung des absoluten Subjekts in ihrer
Subjektivität. "Die Erfahrung ist das Gespräch zwischen dem
natürlichen
Bewußtsein und dem absoluten Wissen."
"Nietzsches
Wort Gott ist tot" (aus "Freiburger Nietzsche-Vorlesungen") zwischen
1936-1940) enthält eine Interpretation, die in
Zusammenhang
mit der Frage nach dem Wesen des Nihilismus das "Endstadium der
Metaphysik"
verdeutlichen soll, in dem "das Übersinnliche zu einem
bestandlosen
Produkt des Sinnlichen" wird. Nietzsches "Umkehrung der Metaphysik",
die
im Wort "Gott ist tot" zum Ausdruck kommt, läßt die
metaphysische
Antwort auf die "Seinsfrage" als Nihilismus erscheinen.
Im
Aufsatz "Wozu Dichter?" (1946) bildet Hölderlins Wort (aus der
Elegie
"Brot und Wein") den Zugang einer Erörterung über die
Grundzüge
des gegenwärtigen Zeitalters, so wie sie in dichterischen
Erfahrungen
Hölderlins und Rilkes zur Sprache kommen. Dazu gehören die
Erfahrung
der "entflohenen Götter", der Technik, der Suche nach
Innerlichkeit,
vor allem aber des Wollens. Die dichterische Erfahrung des Heillosen
als
einem solchen öffnet zugleich den Weg des "Heiles" (sowie des
"Heiligen",
des "Göttlichen" und letztlich des "Gottes").
Die
Schrift "Der Spruch des Anaximander" (1946) kreist um die Frage nach
dem
"Entstehen" und "Vergehen" der "Dinge" "gemäß der Ordnung
der
Zeit" bzw. "nach der Notwendigkeit". Heidegger verfolgt hier die Spur
der
"Seinserfahrung", d.h. der "Herkunft des Anwesenden aus dem Anwesen",
wobei
der Unterschied zwischen "Anwesen" und "Anwesendem" "vergessen" bleibt
("Seinsvergessenheit").
Durch
ihre Veröffentlichung 1950 trugen diese Vorträge zur
Verbreitung
und zur Diskussion des Heideggerschen Denkens bei. Seine
Erörterungen
zur Frage der Kunst sind heute besonders lebendig.
Literatur
F.-W.
von Herrmann: Heideggers Philosophie der Kunst, 1980.
O.
Pöggeler: Heidegger und die Frage nach der Kunst von Hegel zu
Heidegger
,1984.
VIII.
DIE TECHNIK UND DIE KEHRE
Entstanden:
1949-1955
Erstausgabe:
Pfullingen 1962
Vgl. GA 79
Die
Schrift enthält zwei Vorträge mit den Titeln: "Die Frage nach
der Technik" und "Die Kehre", die 1949/50 in Bremen sowie auf
Bühlerhöhe
gehalten wurden. Der erste Vortrag wurde in der hier vorliegenden
erweiterten
Fassung 1955 in München gehalten. Zusammen mit dem im Band
"Vorträge und Aufsätze" veröffentlichten Schriften geben
sie
einige
Kernaussagen Heideggers zum Phänomen der Technik wieder.
Der
erste Vortrag gilt der fragenden Erörterung des "Wesens der
Technik".
Diese Frage läßt sich gewöhnlich im Sinne eines 'Was
ist...'
stellen. Demnach ist die Technik ein Tun des Menschen mit Hilfe von
Maschinen
und dergleichen. Diese "instrumentale" Bestimmung der Technik beruht
nach
Heidegger auf der im griechischen Denken (Aristoteles) entwickelten
Vorstellung
der Kausalität. Diese wird als "Verschulden", d.h. als das in das
"Anwesen" Vorkommen-lassen ("Veranlassung") gedeutet. Die griechische
'techne',
das "Her-vor-bringen", gehört zur 'poiesis', d.h. sie ist eine
Weise
des "Entbergens". In ihr geschieht Wahrheit ('aletheia'). Das
Charakteristische
der modernen Technik ist für Heidegger das "Herausfordern". In
dieser
Weise des "Entbergens" wird das Gestellte zum "Bestand". Heidegger
nennt
das in der Weise der technischen Herausforderung Versammelnde das
"Gestell"
(bzw. "Ge-Stell"). Das "Gestell" ist also die Weise, wie die Technik
'west';
es ist das 'Wesen' der Technik. Heidegger unterscheidet somit die
"instrumentale"
Bestimmung der Technik (als Antwort auf eine 'Was-Frage') von dieser
geschichtlichen
bzw. "geschicklichen" Deutung. Auch in der modernen Technik als einem
Geschehnis
des Entbergens waltet das "Rettende" (Hölderlin), d.h. das sich
der
Entbergung Entziehende. Die Technik ist kein "Teufelswerk", sondern ihr
'Wesen' unterliegt dem befreienden Anspruch der Entbergung, sofern der
Mensch der Gefahr begegnet, in ihr die einzige Weise des "Entbergens"
zu
erblicken. In dieser möglichen Besinnung erscheint die Technik in
erneuter
Nachbarschaft zur 'poiesis', d.h. zu den schönen Künsten,
wenngleich
diese Verwandschaft ihre Grundverschiedenheit nicht verschleiern soll.
Im
Vortrag "Die Kehre" bezeichnet Heidegger mit diesem Titel die
Möglichkeit
einer Änderung der menschlichen Einstellung gegenüber der
Technik
im vorher angedeuteten Sinne.
Heideggers
Erörterung der Technik gehört zu den tiefsten und
wirkungsvollsten
philosophischen Einsichten zur Diagnose unserer Zeit. Sie prägen
weitgehend
noch heute die philosophische Diskussion dieses Phänomens.
Literatur
J.
Loscerbo: Being and Technology, 1981
W.
Schirmacheer: Technik und Gelassenheit, 1983
R.
Capurro: Hermeneutik der
Fachinformation,
1986
G.
Seubold: Heideggers Analyse der neuezitlichen Technik, 1986.
IX.
WAS HEISST DENKEN?
Entstanden:
1951-1952
Erstausgabe:
Tübingen 1954
GA 8
Die
Schrift enthält die Vorlesungen vom Winter 1951/52 und vom Sommer
1952. Sie gehört zum Kreis der Schriften des 'späten'
Heidegger,
in denen die Seinsfrage in Zusammenhang mit der Willensmetaphysik
Nietzsches
aus ihrem Ursprung im vorsokratischen Denken 'wieder-holt' wird.
Im
1. Teil. geht es Heidegger zunächst um eine Art Diagnose unserer
Zeit:
"Das Bedenklichste in unserer bedenklichen Zeit ist, daß wir noch
nicht denken." Grund dafür ist nicht nur, daß wir uns nicht
dem "Zu-Denkenden" zuwenden, sondern daß dieses sich "entzieht".
Der Mensch, so Heidegger in Anschluß an Hölderlin, ist ein
Zeichen
auf das Sichentziehende, deshalb "deutungslos". Die Dianose
läßt
erkennen, daß wir "auf dem Weg des Denkens" ("noch nicht") sind.
Ferner ist die Beziehung des Menschen zur Geschichte angesprochen, die,
besonders seit Schopenhauer, im Sinne einer "Weltvorstellung"
aufgefaßt
wird. Heute bestimmt aber die Wissenschaft, welche (Zeit- und Welt-)
Vorstellungen
"in unserem Kopf" sind. In Anschluß an Nietzsche wird der
Gedankengang
fortgeführt: Für Nietzsche gilt es vor allem, die
Überwindung
des bisherigen Menschen zu denken. Die Art des "letzten Menschen" ist
die
des Vorstellens im Sinne des "oberflächlichen Abschätzens".
Es
ist durch den "Geist der Rache" (Nietzsche) gekennzeichnet, wovon er,
nach
Nietzsche, gelöst werden soll. Diese 'moralische' Frage
gründet
aber, Heidegger zufolge, im Metaphysischen. Nietzsches Metaphysik ist
durch
den "Widerwillen gegen die Zeit" gekennzeichnet: "Der Wille will die
Ewigkeit
seiner selbst." Dies kündigt sich zuletzt im "Wesen" der modernen
Technik an.
Im
2. Teil stellt Heidegger die Frage: Was heißt Denken? im Sinne
von:
Was heißt uns denken? Was zu denken gibt, ist ein "Bedenkliches".
Bei Dichten und Denken geht es jeweils um Sprache, sofern sich uns in
dieser
etwas "zuspricht". Denken wird dann zu "Dank" und "andenken" vor allem
an das "Wesen" (verbal verstanden!) des Menschen. Was zu denken gibt,
worauf
der Mensch zeigt und es so erscheinen läßt, ist das 'Sein'.
Die Erörterung des Verhältnisses von Denken und Sein ist
Sache
der 'Logik'. Diese steht aber im Geheiß des lógos, d.h.
dessen,
was Parmenides "zu denken" gab. Dies ist vor allem jene Erfahrung vom
"Anwesen
des Anwesenden", vom "Zwiespalt von Seiendem und Sein". Auch
gegenüber
der Technik als dem Ins-Anwesen-bringen vermögen wir vielleicht
dem,
was uns denken heißt, zu entsprechen.
Die
Aus-ein-ander-Setzung von Wissenschaft, Technik, Metaphysik und Denken
gehört zum großen Wirkungsbereich des 'späten
Heidegger'.
Literatur
D.
Sinn: Heideggers Spätphilosophie. In: Philos. Rundschau 14
(1967).
H.-G.
Gadamer: Heideggers Wege, 1983.
X.
DER SATZ VOM GRUND
Entstanden
1955-56
Erstausgabe:
1957
GA 10
Der
Band enthält den Text einer im Wintersemester 1955/56 in Freiburg
i.Br. gehaltenen Vorlesung Heideggers; mit veröffentlicht wurde
ein
Vortrag zum gleichen Thema, der 1956 in Bremen sowie an der
Universität
Wien gehalten wurde. Es handelt sich also um Schriften des
'späten'
Heidegger, in denen er die Grundfrage der metaphysik 'wieder-holt' und
sie in ihrer geschichtlichen Entfaltung, d.h. in der
Fragwürdigkeit
ihres eigenen Grundes, erscheinen läßt.
Der
Satz vom Grund ("Nichts ist ohne Grund") besagt, daß unser
Verstand
stets und überall nach dem Grund Ausschau hält bzw. daß
das menschliche Vorstellen notwendigerweise immer nach einer
Begründung
sucht. Dieses Tun ist Heidegger zufolge älter als der Satz selbst,
der es ausspricht. Genaugenommen ist er (in seiner lateinischen Fassung
"Nihil est sine ratione") zuerst bei Leibniz formuliert, also im 17.
Jh.
Positiv ausgedrückt lautet der Satz: "Jedes Seiende hat einen
Grund."
Da wir nicht alles Seiende, vergangenes, zukünftiges und
gegenwärtiges,
überprüfen können, bleibt er zunächst
ungeprüft.
Dennoch besagt der Satz etwas Notwendiges, er ist ein Grundsatz, und
zwar
der Grundsatz aller Grundsätze, wozu der Satz der Identität,
der des Unterschiedes, der des Wiedespruchs sowie der Satz vom
ausgeschlossenen
Dritten gehören. Der Satz vom Grund setzt aber ein Wissen, wovon
er
handelt, voraus.
Heidegger
entfaltet die verschiedenen Auffassungen eines Grundes vom griechischen
'Axiom' bzw. 'Hypothese', über seine metaphysisch-theologischen
Auffassung
bei Leibniz bis hin zu seiner "Herrschaftsform" im gegenwärtigen
Atom-
und Informationszeitalter. In seiner "Ausdrucksform" "Nichts ist ohne
Warum"
stellt Heidegger den Satz vom Grund der dichterischen Erfahrung des
Angelus
Silesius mit seinem Wort: "Die Ros ist ohn warum" gegenüber.
Mensch
und Rose, präzisiert Heidegger, sind zwar nicht "ohne Grund", aber
so wie die Rose, kann auch der Mensch "ohne das suchende, um sich
blickende
Zustellen der Gründe" sein. Der Satz vom Grund besagt etwas
über
das Seiende und zwar, daß zum Sein des Seienden dergleichen wie
Grund
gehört. Dennoch sind, nach Heidegger, Grund und Sein zu
unterscheiden:
Der Grund bleibt ab vom Sein, Sein ist "Ab-Grund". Von hier aus liest
Heidegger
den Satz vom Grund in einer anderen "Tonart", d.h. anstelle von "Nichts
ist ohne Grund", also anstelle des Bezuges des Satzes zum
Seienden,
hören wir jetzt "Nichts ist ohne Grund", also den
Bezug
zum Sein. Das bedeutet wiederum, daß in der "Incubationszeit"
dieses
Satzes "das Geschick des Seins" sich mehrmals wendet, ohne daß
das
Sein selbst zum Vorschein kommt.
Im
Gegensatz zum Offenkundig-sein des Seienden ist das "Sichtentbergen"
ein
Grundzug des Seins. Das Sein läßt sich nie durch Seiendes
erklären.
Diese Grenze des Seienden wird für Heidegger in Kants Kritik
der
reinen Vernunft deutlich, in der die Vernunft nichts anderes ist
als
das Setzen des zureichenden Grundes für das Erscheinen des
Seienden.
Im "Gegenüber" des Gegenstandes erblickt Heidegger aber den
Hinweis
auf eine mögliche gewandelte Beziehung zum Erscheinenden, etwa im
Sinne von Sein und Zeit, daß der Mensch "im Offenen des
Entwurfes
des Seins" steht und so dem Seienden (verstehend) zu entsprechen
vermag.
Dadurch wird das Sein nicht vermenschlicht, sondern das Denken
öffnet
sich dem geschichtlichen, ihn ansprechenden, in den Erscheinungen des
Seienden
sich zuschickenden Seinsgeschick. Das bedeutet wiederum die
Möglichkeit,
Sein nicht nur, wie die bisherige Metaphysik, als Grund zudenken,
sondern:
"insofern Sein gründen 'ist', und nur insofern, hat es keinen
Grund".
Dieser Sprung in den "Ab-Grund" ist für Heidegger frei von jeder
Willkür,
solange wir ihn, etwa im Sinne Heraklits, aus dem "Geheimnis des
Spiels"
bzw. des "ohne Warum", denken. Wir dürfen Heidegger zufolge eine
solche
denkerische Entsprechung "zugunsten der Raserei des
ausschließlich
rechnenden Denkens" nicht preisgeben.
Literatur
O.
Pöggeler: Der Satz vom Grund (Rezension). In: Philos.
Literaturanzeiger,
11 (1958).
XI.
IDENTITÄT UND DIFFERENZ
Entstanden:
1956-1957
Erstausgabe:
1957
GA 11
Die
Schrift enthält zwei kleine Aufsätze des 'späten'
Heidegger:
"Der Satz der Identität" und "Die onto-theo-logische Verfassung
der
Metaphysik". Der erste ist ein anläßlich des
500jährigen
Jubiläums der Universität Freiburg gehaltener Vortrag, der
zweite
die überarbeitete Fassung zu einer Seminarübung über
Hegels Wissenschaft der Logik. Die Schrift ist ein wichtiges
Zeugnis für
Heideggers Auseinandersetzung mit dem deutschen Idealismus im Sinne
eines
Kulminationspunktes der 'Metaphysik', von wo aus 'Logik' und
'Theologie'
ihre besondere Ausprägung erhalten. Mit dem 'Satz der
Identität'
(in der geläufigen Formel: A = A) ist nach Heidegger das oberste
Denkgesetz
angesprochen, ohne daß aber etwas über das Wesen der
Identität
selbst ausgesagt wird. Im Anschluß an Platon untersucht Heidegger
den Sinn der Identitätsbeziehung, der zunächst nicht darin
liegt,
daß "jedes selber dasselbe", sondern daß "jedes selber ihm
selbst dasselbe" sei. Das heißt: Der Satz der Identität
spricht
eine Vermittlung bzw. eine Synthesis aus, die nach Heidegger im Denken
des deutschen Idealismus zur vollen Entfaltung kommt. Wenn also durch
den
'Satz der Identität' nicht bloß die Gleichheit zweier
Termini
und auch nicht die bloße leere Identität eines Jeden,
sondern
eben eine Vermittlung im eigenen Sein ausgesprochen wird, dann gilt von
ihm, daß er nicht nur ein Grundsatz des Denkens, sondern auch ein
Grundsatz des Seins ist (A ist A). Von hier aus geht Heidegger auf das
Zusammengehören von Denken und Sein bei Parmenides ein. Das Sein
des
Menschen erscheint dabei als dem Sein übereignet und umgekehrt.
Die
gegenwärtig sich "ereignende" Konstellation von Sein und Mensch
nennt
Heidegger das "Ge-Stell". Das "Ereignis" ist also für Heidegger
der
Ursprung (oder "Abgrund"), wo Sein und Denken zusammengehören,
obwohl
es sich als solches noch nicht im "Ge-Stell" zu uns
zuspricht.
In
der Seminarübung, in einer unmittelbaren Auseinandersetzung mit
Hegel,
geht es ebenfalls um Sein und Denken, d.h. um das Sein als das absolute
Sichdenken des Denkens. Dabei geht es sowohl um die von Hegel
angesprochene
Geschichtlichkeit der Sache des Denkens als auch um die
Zugehörigkeit
von Hegels Denken selbst zur Geschichte. Während die Sache des
Denkens
für Hegel der absolute Begriff ist, ist sie bei Heidegger "die
Differenz
als Differenz". Während Hegel das geschichtliche Denkgespräch
im Gedachten sucht, liegt es bei Heidegger im "Ungedachten".
Während
Hegel der Geschichte der Philosophie den Charakter der "Aufhebung"
zuspricht,
handelt es sich bei Heiddegger um den "Schritt zurück". Von hier
aus
bestimmt Heidegger die Zugehörigkeit des Hegelschen Denkens zur
"Metaphysik"
und deren "Differenzvergessenheit" (oder "Verbergung", "Lethe"). Die
"Metaphysik"
gipfelt (bzw. beginnt) in der Gottesvorstellung, d.h. sie wird
"Onto-theo-logie".
Diese erscheint im Gewand der "Wissenschaft der Logik" als
begründendes
Denken. Dabei geht es aber um Begründung des Seienden,
während
das Sein in je unterschiedlicher Ausprägung ('Logos', 'Idea',
'Energeia',
'Substanzialität', 'Subjektivität', 'Wille' usw.) als Grund
erscheint.
Wie kommt es aber, daß die Metaphysik als "Theo-Logik" und
"Onto-Logik"
die Differenz (von Sein und Seiendem) unbefragt läßt bzw.
sie
in der Form eines begründenden Gottes ('causa sui') aufhebt? Mit
dieser
Frage (oder diesem "Schritt zurück") öffnet Heidegger den
Weg,
um jene in der metaphysischen Identität aufgehobenen Differenz in
ihrer eigenen Fragwürdigkeit erscheinen zu lassen.
Die
Bedeutung der Schrift liegt hauptsächlich in der
Auseinandersetzung
mit Hegel und in der Bestimmung des onto-theo-logischen Charakters der
Metaphysik.
Literatur
J.
van der Meulen: Heidegger und Hegel oder Widerstreit und Widerspruch,
1964
(2. Aufl.).
H.
Mörchen: Adorno und Heidegger, 1981.
XII.
UNTERWEGS ZUR SPRACHE
Entstanden:
1950-1959
Erstausgabe:
1959
GA 12
In
diesem Sammelband, der Überlegungen des 'späten' Heidegger
zur
Sprache umfaßt, sind folgende Vorträge und Aufsätze
enthalten:
"Die
Sprache" (1950),
"Die
Sprache im Gedicht" (1953),
"Aus
einem Gespräch von der Sprache" (1953/54),
"Das
Wesen der Sprache" (1957)
"Das
Wort" (1958)
"Der
Weg zur Sprache" (1959)
Im
Vortrag "Die Sprache" erläutert Heidegger anhand eines Gedichtes
von
Georg Trakl ("Ein Winterabend") das 'Wesen' der Sprache, d.h. die Art
und
Weise, wie sie 'west'. Sprache 'west' im Gesprochenen, wobei das
Gedicht
als "rein Gesprochenes" gilt. Im Gedicht spricht die Sprache und nicht
etwa der Mensch. Mit dieser paradoxen Formulierung will Heidegger das
durch
das Sprechen des Gedichtes erst Angesprochene, d.h. die durch das
Gedicht
"anwesenden" Verhältnisse, hervorheben. Das so verstandene
Sprechen
"braucht" wiederum den Menschen als Hörer, der dem im Gedicht
ausgesprochenen
"Geheiß" der Welt und Dinge entsprechen kann.
Im
Aufsatz "Die Sprache im Gedicht", der ebenfalls der Erörterung der
Dichtung Trakls gewidmet ist, betont Heidegger die Mehrdeutigkeit
(gegenüber
dem bloß Eindeutigen bzw. dem Vieldeutigen) der dichterischen
Sprache,
wodurch das Angesprochene in "einzigartiger Strenge" zu Wort kommen
kann.
Die Sprache "west" als Sprechen im Gespräch.
Der
Text "Aus einem Gespräch von der Sprache. Zwischen einem Japaner
und
einem Fragenden" behandelt u.a. die Nachbarschaft des Heideggerschen
Sprachverständnisses
zur fernöstlichen Erfahrung der Sprache. Um die Sprache als
Sprache
"wesen" zu lassen, bedarf es eines Gesprächs "von" der Sprache und
nicht "über" diese, d.h. es bedarf eines Miteinandersprechens, in
dem die Sprache als das sich uns Zusprechende im "Schweigen" des
Gesprächs
sich ankündigen kann.
Im
Vortrag "Das Wesen der Sprache" legt Heidegger die wesentlichen Momente
der Erfahrung mit der dichterischen Sprache (im Unterschied zur
wissenschaftlichen
Erforschung der Sprache, etwa als "Informationsinstrument") vor. Wie
die
Erörterung von Stefan Georges Gedicht "Das Wort" zeigt, erfahren
wir
die Sprache bzw. das Wort als das, was den Dingen ihr Sein verschafft.
"Das Sein von jeglichem, was ist, wohnt im Wort. Daher gilt der Satz:
"Die
Sprache ist das Haus des Seins." Die Sprache läßt also
"anwesen".
Der Titel "Das Wesen der Sprache" verweist somit auf das Sprechen
dieses
"Wesens" selbst, d.h. auf eine "Wendung", wodurch das, was sich in der
dichterischen
Erfahrung der Sprache zuspricht, sich niemals wie ein Ding festhalten
läßt.
"Die Sprache des Wesens" wäre wie ein alles "be-wegender" Weg,
meint
Heidegger in Anspielung an das chinesische 'Tao'. Eine solche Bewegung
der Sprache als die Sage über die "Weltgegenden" (Erde und Himmel,
Gott und Mensch) vollzieht sich im "Zeit-Spiel-Raum".
Diese
Einsichten über das "Geheimnis des Wortes", die im "Nachdenken des
Dichtens" zum Vorschein kommen, werden in den Vorträgen "Das Wort"
und "Der Weg zur Sprache" dem "gestellten Sprechen" bzw. der
"Information"
gegenübergestellt. "Auch die Sprache als Information ist nicht die
Sprache an sich, sondern geschichtlich nach dem Sinn und den Grenzen
des
jetzigen Zeitalters, das nichts Neues beginnt, sondern nur das Alte,
schon
Vorgezeichnete der Neuzeit in sein Äußerstes vollendet."
Heideggers
Sprachphilosophie gehört, neben der analytischen
Beschäftigung
mit der Sprache, zum Angelpunkt der Philosophie des 20. Jahrhunderts
und
beeinflußte vor allem die philosophische Hermeneutik.
Literatur
H.-G.
Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen
Hermeneutik,
1975.
O.
Pöggeler: Heidegger und die hermeneutische Philosophie, 1983.
XIII.
VORTRÄGE UND AUFSÄTZE
Erstausgabe:
1954
GA 7
Diese
Sammlung kleiner Beiträge des 'späten' Heidegger
umfaßt:
Teil
I:
"Die
Frage nach der Technik",
"Wissenschaft
und Besinnung",
"Überwindung
der Metaphysik",
"Wer
ist Nietzsches Zarathustra?",
Teil
II:
"Was
heißt Denken?"
"Bauen
Wohnen Denken"
"Das
Ding",
"'...dichterisch
wohnet der Mensch...'"
Teil
III:
"Logos
(Heraklit, Fragment 50)",
"Moira
(Parmenides, Fragment VIII, 34-41)",
"Aletheia
(Heraklit, Fragment 16)".
Die
Beiträge im Teil I kreisen um die Frage nach Wissenschaft und
Technik
in ihrer Zugehörigkeit zur "Metaphysik" und nach der Erfahrung der
Vollendung der Metaphysik im Denken Nietzsches. Die beiden ersten
Beiträge
gehören zu den in der Schrift "Die Technik und die Kehre"
erörterten Gedanken über die
Technik
als eine Weise des "Entbergens" sowie über die "Gefahr" des
"Ge-stells".
Die Wissenschaft ihrerseits als die entscheidende Weise, "in der sich
uns
alles, was ist, darstellt", vermag nur die Natur in ihrer
"Gegenständigkeit",
niemals aber die "Wesensfülle" zu erfassen. Sie bleibt auf die von
sich her anwesende Natur als die unerschöpfliche Quelle des
Fragwürdigen
angewiesen. Die Beiträge um die Vollendung der Metaphysik im
Denken
Nietzsches knüpfen an die Vorlesungen über "Nietzsche" sowie
an die Schrift "Was heißt Denken?" an. Der "Wille zum Willen",
der die Herrschaft
über
die Erde angetreten hat, vermag "die Erde nur zu nutzen", niemals aber
"den Segen der Erde zu empfangen". "Ob das Übermaß an Leid
hier
noch einen Wandel bringen kann?" fragt Heidegger in diesen zwischen
1936
und 1946 geschriebenen Aufzeichnungen. In Nietzsches Zarathustra
erblickt
Heidegger den Januskopf: die Vollendung des Willens und die Frage nach
der Zusammengehörigkeit von 'Sein' und 'Menschenwesen'.
Die
Beiträge im Teil II sind der Frage nach Denken, Wohnen und Dichten
sowie ihrer Zusammengehörigkeit gewidmet. Der Vortrag "Was
heißt
Denken?" knüpft an die gleichnamige Schrift an. Die Vorträge
"Bauen Wohnen
Denken"
und "... dichterisch wohnet der Mensch..." behandeln die Frage nach dem
menschlichen Wesen. Das Wohnen wird als das "Schonen" der Erde
verstanden.
Der Mensch wohnt "auf der Erde", was zugleich heißt "unter dem
Himmel",
"vor den Göttlichen", in Gemeinschaft mit anderen ("das
Miteinander").
Die Zusammengehörigkeit der "Vier" (Erde und Himmel, die
Göttlichen
und die Sterblilchen) nennt Heidegger "das Geviert".
"Demgemäß
ist das wohnende Schonen vierfältig." Zum Wohnen gehört das
"bauende
Hervorbringen", das über die griechische 'techne' hinaus, das
'Geviert'
'einfältig' in die Dinge einzulassen hat. Im Anschluß an
Hölderlin
("... dichterisch...") verweist Heidegger darauf, daß das
"Maß"
des Wohnens "das Dichterische" (im Sinne des "Maß- Empfangens"
einer
unbekannten bzw. "göttlichen" Dimension) ist. Im Vortrag "Das
Ding"
erläutert Heidegger die "Versammlung" des "Gebierts" in der
Erfahrung
der Dinge: "Wir sind - im strengen Sinne des Wortes - die Be-Dingten.
Wir
haben die Anmaßung alles Unbedingten hinter uns gelassen."
Im
Teil III sind drei Beiträge mit Erörterungen zu Heraklit und
Parmenides enthalten. Heidegger deutet die Grundworte 'Logos', 'Moira'
und 'Aletheia'. Im 'Logos' sieht er den Namen für "das Sein des
Seienden",
ohne daß aber die Griechen "das Wesen der Sprache unmittelbar aus
dem Wesen des Seins dachten". In der 'Moira' kündigt sich die
"Entbergung
der Zwiefalt" (Anwesen/Anwesende) an, die aber zugleich verschwiegen
bleibt.
'Aletheia' schließlich verweist, so wie 'physis', auf die
"schwebende
Innigkeit von Entbergen und Verbergen und somit auf die "Lichtung"
selbst."
Heideggers
Erörterungen haben in ihrer Vielfalt die Philosophie des 20.
Jahrhunderts
ungeahnte Perspektiven eröffnet, nachhaltig ist besonders sein
Einfluß
auf die Theologie.
Literatur
A.
Jäger: Gott. Nochmals M. Heidegger, 1978
R.
Schaeffler: Frömmigkeit des Denkens?, 1978
H.-G.
Gadamer: Heideggers Wege, 1981
W.
Marx: Gibt es auf Erden ein Maß?, 1983
XIV.
WEGMARKEN
Entstanden:
1929-1967
Erstausgabe:
1967
GA 9
Die
Schrift enthält zwölf Aufsätze Heideggers aus den Jahren
1929-1964. Darunter sind besonders hervorzuheben:
"Was
ist Metaphysik?" (WM),
"Vom
Wesen des Grundes" (WG),
"Vom
Wesen der Wahrheit" (WW),
"Platons
Lehre von der Wahrheit" (PLW),
Brief
über den "Humanismus" (HB)
sowie
"Zur Seinsfrage" (SF).
Bei
"Was ist Metaphysik?" handelt es sich um Heideggers Antrittsvorlesung
in
Freiburg (1929) mit den später hinzugefügten Texten
"Einleitung"
(1949) und "Nachwort" (1943). In Anschluß an die in "Sein und
Zeit" aufgeworfene Frage nach dem "Sinn von Sein" zeigt
Heidegger,
daß der Bezug des Menschen zum Seienden, insbes. in den
Wissenschaften,
die "Frage nach dem Nichts" als ein sinnloses Unternehmen erscheinen
läßt.
Dabei beruft er sich auf die Bedingung der Möglichkeit der
Erfahrung
vom "Seienden im Ganzen". Diese Grunderfahrung, die sich uns in
gewissen
Stimmungen, "wenngleich selten genug", kundtut (wie etwa in der "Angst"
oder in der "tiefen Langeweile"), zeigt, daß die Offenbarkeit des
Seienden" (also daß es Seiendes ist und nicht Nichts) zugleich
die
ursprüngliche Transzendenzerfahrung des Daseins (und mit ihr sein
Selbstsein und seine Freiheit) ermöglicht. Als "Platzhalter des
Nichts"
erfährt das Dasein erst seine Endlichkeit, die es vor die Aufgabe
stellt, Natur und Geschichte immer neu zu erschließen. Ein
solches
Fragen ist nicht "Nihilismus", sondern, wie es im "Nachwort"
heißt,
der Beginn einer Verantwortung. Es bringt den Menschen in die Nähe
des Rätsels, das sich nicht nur mit dem Seienden, sondern, wie es
in der "Einleitung" heißt, "mit dem Sein des Seienden ereignet
hat".
Die
Abhandlung "Vom Wesen des Grundes" (1929) bedenkt die "ontologische
Differenz"
als "das Nicht zwischen Seiendem und Sein". Wenn das "Wesen des
Grundes"
aus der "Differenz" erfahren wird, dann weil dieses Wesen in der
Endlichkeit
der Freiheit des Daseins selbst gründet. Es ist die menschliche
Transzendenz,
die das Begründen ermöglicht, und diese ist wiederum als
"Freiheit
zum Grunde" zu verstehen. Heidegger deutet diese Erfahrung als ein
"Hörenkönnen",
also als eine wesentlich dialogische Erfahrung.
Auch
in "Vom Wesen der Wahrheit" (1930) betont Heidegger seine Auffassung
von
Freiheit als Freiheit "zum Offenbaren eines Offenen" bzw. als "das
Seinlassen
von Seienden". Wahrheit wird von "Richtigkeit" (im Sinne von
"Übereinstimmung"
einer Aussage mit einer Sache) unterschieden: Das Wesen der Wahrheit
als
das Verhalten des Menschen zum Offenen ist die Freiheit. Zur Wahrheit
gehört
wesensmäßig die "Unwahrheit" als die "Verbergung", d.h. das
Seiende im Ganzen entzieht sich in seinem Eigensten der
"Entbergung".
In
"Platons Lehre von der Wahrheit" (1930/31; 1942) deutet Heidegger die
Platonische
Auffassung von Wahrheit, so wie sie im 'Höhlengleichnis' (Politeia)
zum Ausdruck kommt, als "Unverborgenheit" eines Unverborgenen (der
'idea').
Damit steht Platon für Heidegger am Beginn der metaphysischen
Warheitsauffassung,
die in Nietzsche ihren Kulminations- punkt erreicht. In "Zur Sache des
Denkens"
hat Heidegger später diese Platon-Deutung revidiert.
Im
Brief über den "Humanismus" (Brief an Jean Beaufret, Paris) (1947)
stellt Heidegger die "humanistischen" Auslegungen des Menschen in
Frage,
sofern diese das Humane nicht vom Sein her denken. "Der Mensch ist der
Hirt des Seins", betont Heidegger im Anschluß an Sein und Zeit.
er nimmt dabei zu einigen Vorwürfen (Nihilismus, Atheismus)
Stellung.
Das "Denken des Seins" sucht dabei das Eigene.
Dieses
kommt in "Zur Seinsfrage" (1955) besonders zum Vorschein, wo Heidegger
die metaphysische Antwort auf die Seinsfrage, die in der modernen
Technik
gipfelt, von der Fragwürdigkeit des Seins her deutet. Er betont
aber
dabei zugleich die Dürftigkeit und Vorläufigkeit der Sprache
des "andenkenden Denkens".
In Wegmarken
sind ferner folgende Schriften
enthalten:
"Hegel
und die Griechen" (1958),
"Kants
These über das Sein" (1961),
"Vom
Wesen und Begriff der Physis. Aristoteles' Physik B,1", (1939)
"Aus
der letzten Marburger Vorlesung" (1928).
Bei
der Aufnahme in die Gesamtausgabe wurden hinzugefügt:
"Anmerkungen
zu K. Jaspers' Psychologie der Weltanschauungen" (1919-1921) und
"Phänomenologie
und Theologie" (1927).
Heideggers
Deutung der Metaphysik beeinflußte nachhaltig die Philosophie des
20. Jahrhunderts.
Literatur
W.
Marx: Heidegger und die Tradition, 1961.
H.-G.
Gadamer: Heideggers Wege, 1983.
M.
Müller: Existenzphilosophie, 1986.
Letzte
Änderung: 16. August 2017