TEIL II: Einführung in die Informationsethik

Rafael Capurro

 
 
 

6. Systematische Aspekte (I)

 
6.1 Menschenrechte
6.2 Verantwortung auf Mikroebene
6.3 Verantwortung auf Mesoebene
6.4 Verantwortung auf Makroebene

Übungen
 

Zur Einführung 

Capurro, Rafael:  Informationsethik - Eine Standortbestimmung  
ICIE: systematic aspects  
Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige Wissensgesellschaft (pdf)    

Fallbeispiele aus Telepolis  

Googles Sündenfall (Peter Riedlberger): Wer googelt, der provoziert den Grimm der sanftmütigen Gottheit.  
Datamining und Gerüchte-Sammeln gegen den Terror (Janko Röttgers): Während das Terrorist Information Awareness-Programm weiter für Kritik sorgt, bastelt das Pentagon an einer neuen Denunziations-Datenbank. 
Wanglian (Weigui Fang) Cyber-Liebe in China  
Du gleichst dem Geist, den du begreifst (Peter V. Brinkemper): Filmus interruptus einer revolutionären Nano-Theologie: Die deutsche Kritik hat große Schwierigkeiten mit "Matrix Reloaded". Aber was ist von einer Kritik zu halten, die an Maßstäben eines Handlungskinos und eines Bildrealismus von vorgestern festhält?  
Zumindest im Internet soll die Freiheit grenzenlos sein (Florian Rötzer): Das amerikanische Repräsentantenhaus hat den "Global Internet Freedom Act" verabschiedet, durch den viele interessante Fragen gestellt würden, wenn er tatsächlich Gesetz werden sollte  
Das Datengitter (Mario Sixtus) Das CERN war die Keimzelle des WorldWideWeb. Zünden die CERN-Forscher nun die zweite Stufe der Medienrevolution? 

 


     

TELEPOLIS
 


 
 

6.1 Menschenrechte

Die folgenden ethischen Überlegungen über die Verantwortung von  Informationsspezialisten haben als Grundlage die “Allgemeine Erklärung der Menschenrechte” darunter insbesondere:     

- Achtung vor der Menschenwürde (Art.. 1)  
- Vertraulichkeit (Art.. 1, 2, 3, 6) 
- (Chancen-)Gleichheit (vor dem Gesetz) (Art.. 2, 7) 
- Recht auf Privatheit (Art.. 3, 12) 
- Recht auf freie Meinungsäußerung (Art.. 19) 
- Recht auf Beteiligung am kulturellen Leben (Art.. 27) 
- Schutz der materiellen und geistigen Arbeit (Art. 27) 

Wie wir im ersten Teil gesehen haben, unterscheiden wir zwischen:     
M O R A L: im Sinne der gelebten Sitten und Traditionen     
E T H I K: im Sinne eines kritischen Diskurses über Moral     
R E C H T: im Sinne von staatlich sanktionierten Normen     

 

 
 

6.2 Verantwortung auf Mikroebene

Informationsspezialisten haben eine ethische Verantwortung gegenüber den Nutzern (Mikroebene) in mehrfacher Hinsicht:     
  • Der Nutzer hat das Recht auf Achtung seiner Freiheit und Menschenwürde (Art. 1)

  • Mögliche ethische (sowie moralische und rechtliche) Konflikte können entstehen: 
    - durch den Schutz der Freiheit anderer Kunden 
    - durch die Pflicht gegenüber der Organisation  
    - mit dem Gesetz. 
        
  • Der Nutzer hat das Recht auf einen ungehinderten Zugang zu Informationen (Art. 19)

  • Mögliche ethische (sowie moralische und rechtliche) Konflikte können entstehen: z.B. jemand versucht eine Datei oder eine Veröffentlichung zu kopieren: Verstoß gegen Copyright? Allgemeine 'Unsitte'?    
        
  • Der Nutzer hat das Recht auf (Chancen-) Gleichheit sowie auf Teilnahme am kulturellen Leben (Art. 27)

  • Mögliche ethische (sowie moralische und rechtliche) Konflikte können entstehen: 
    - gegenüber den Sitten eines Landes  
    - gegenüber bestimmten ethnischen Minderheiten,     
    - gegenüber rechtlichen Bestimmungen.
  • Der Nutzer hat das Recht auf Privatheit (Art. 3)
  • Mögliche ethische (sowie moralische und rechtliche) Konflikte können entstehen:   
     
    - mit Maßnahmen der Organisation bezüglich personen- bezogener Daten     
    - mit rechtlichen (oder politischen) zweifelhaften Eingriffen.    
        
  • Der Nutzer hat das Recht auf den Schutz seiner physischen Integrität (Art. 3)
  •  Mögliche ethische (sowie moralische und rechtliche) Konflikte können entstehen:     
    - eine Firma will ein Sicherheitssystem (z.B. Strahlenschutz an Bildschirmen) oder ein System für Behinderte (z.B. Blinden- schrift) einführen, wird aber durch Verwaltungsentscheidungen (Haushaltssperre) daran gehindert.  
    - der Zugang zu bestimmen Informationen über Gesundheit, Arbeit etc. sollte gewährleistet sein, wird aber verwehrt (z.B. Informationen über Geburtenkontrolle aufgrund moralischer Traditionen oder per Gesetz)
    Fallbeispiele: 
     
    INFORMATIONSETHIK 
     
    NETHICS
          
    TELEPOLIS
     
     
     
       

    6.3 Verantwortung auf Mesoebene

    Informationsspezialisten haben eine ethische Verantwortung gegenüber den Institutionen für die sie arbeiten (Loyalität, Vertrauen). Die Rede von einer ethischen Verantwortung gegenüber Institutionen gilt aber nur analog, da Institutionen keine natürlichen Personen sind. Es gilt auch die umgekehrte (umstrittene) Frage, inwiefern nämlich Institutionen eine ethische Verantwortung übernehmen können (Institutionenethik).  Zugleich gilt, dass Institutionen Ausdruck eines gesellschaftlichen Willens sind. Vgl v. Vf.: Reparaturethik oder Lebensgestaltung? (1994)  

    Zur Verantwortung im bibliothekarischen Bereich vgl. v.Vf.: Ethics and Information in the Digital Age (2001) 

    Fallbeispiele: 

    TELEPOLIS
     
     
       

    6.4 Verantwortung auf Makroebene

    Informationsspezialisten haben eine ethische Verantwortung gegenüber der Gesellschaft (soziale Verantwortung). Strittiger Punkt: inwiefern sollte sich das soziale Engagement auf den Informationsbereich beschränken oder inwiefern sollten sich Informations- spezialisten auch bei allgemeinen sozialen und politischen Fragen einmischen. Mögliche ethische sowie moralische und rechtliche Konflikte: z. B. Engagement in strittigen sozialen Fragen geht über die Ziele der Organisation/Firma hinaus, oder wird nicht von allen Mitgliedern der Organisation/Firma akzeptiert.  

    Vgl. v. Vf.: Informationsgerechtigkeit. Ein Nachtrag (2001). 

    Zur Frage des digital divide, d.h. der Spaltung zwischen informationsarmen- und reichen Ländern Vgl. das II. ICIE-Symposium  (2002) 

    Fallbeispiele:

    TELEPOLIS
      

    Fazit 

    Ethische Konflikte lassen sich nicht a priori entscheiden, zum Beispiel durch     

  • den Vorrang der Moral gegenüber der Ethik: Fundamentalismus, 
  • oder des Rechts gegenüber Ethik und Moral: Legalismus 
  • oder eines bestimmten ethischen Prinzips: ethischer Rigorismus 
  • oder der Moralität: Dezisionismus, 
  • sondern sie müssen von Fall zu Fall (Stichworte: Situationsethik, Kontingenz) durch Klugheit und einsichtige individuelle und gemeinsame Abwägung (Kompromisbereitschaft aber auch Zivilcourage) entschieden werden. Nur die Übung im ethischen Denken und moralischen Handeln (‘ethos’) führt zu einem ethisch bestimmten Charakter (‘eethos’), der sowohl die Informationsspezialisten als auch die Institutionen in denen sie arbeiten prägen sollte.
     
     
       

    Übungen

    1) Welche Grundrechte aus der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte haben eine besondere Bedeutung für die Erörterung der ethischen Verantwortung von Informationsspezialisten? Geben Sie einige Beispiele.  
    2) Inwiefern läßt sich von einer ethischen Verantwortung im Falle von Institutionen sprechen? 
    3) Was verstehen Sie unter Informationsgerechtigkeit? 
    4) Erörtern Sie das Problem der digitalen Spaltung (digital Divide) aus ethischer Sicht und nehmen Sie zu den Aktivitäten der Vereinten Nationen in dieser Frage Stellung.

     
     
    Inhalt
    Teil I
    Teil II
     
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