TEIL I: Einführung in die Ethik

Rafael Capurro

 
 
  

2 Historische Aspekte

2.1 Antike und mittelalterliche Ethik
2.2 Ethik in der Neuzeit
2.3 Ethik im 19. und 20. Jahrhundert
Übungen
 

    
    

2.1 Antike und mittelalterliche Ethik

Sokrates, Platon, Aristoteles
   
Die aristotelische Ethik gründet in der Kritik an seinem Lehrer Platon (428-348 v.Chr.) sowie an Sokrates (469-399 v.Chr.) und die Sophisten bezüglich der Frage nach dem ‘guten Leben’. Sokrates und Platon suchten das Fundament des politischen Lebens in der Idee des Guten.
Aristoteles fragte nach den Vermögen oder Tugenden, die eine Verwirklichung des für den Menschen Guten ermöglichen. Für Aristoteles befaßt sich die Ethik mit der Frage individueller Handlungen, sie war aber untrennbar von den Fragen betreffend die Führung des Hauswesens (‘Ökonomie’, gr. ‘oikos’ = Haus) und die ‘Politik’ (gr. ‘polis’ = Stadtstaat). Ethik, ‘Ökonomie’ und Politik bildeten für Aristoteles eine untrennbare Einheit, die er praktische Philosophie nannte.

Hellenismus 

Diese Traditionen wurden im Hellenismus (einschl. der römischen Welt) fortgesetzt (Epikureismus, Stoa, Neuplatonismus) und veränderten sich durch den Einfluß des Christentums (Augustinus 354-430, Thomas von Aquin 1225-1274).   


Thomas von Aquin 
    
Die theologische Ethik des Thomas von Aquin (1224-1274)  bietet eine systematische Behandlung aller Gebieten menschlichen Handelns aus christlicher Sicht. Kernbegriffe der thomasischen Ethik sind das Gute (bonum), die menschliche Handlung (actio) und die göttliche Gesetzgebung (lex aeterna).


 
  
 

2.2 Ethik in der Neuzeit

Die Neuzeit brachte radikale Veränderungen bezüglich der Selbstauffassung des Menschen. Der Autonomiegedanke, d.h. die Loslösung des Menschen, seiner Werte und seiner Handlungsverantwortung, von einem absoluten Grund (Gott), wurde vorherrschend (R. Descartes 1596-1650, I. Kant 1724-1804).    

Die Frage nach der Nützlichkeit unserer Handlungen (Utilitarismus) trat in den Vordergrund ethischer Reflexion (J. Bentham 1748-1832, J.S. Mill 1806-1873). 
 

  

 

2.3 Ethik im 19. und 20. Jahrhundert


Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) kritisiert die Kantische Ethik als abstrakt. Das Kantische Primat der (individuellen) Moralität wird durch das Primat der (sozialen) Sittlichkeit ersetzt. Hegel denkt die Sittlichkeit sowohl in Bezug auf Institutionen ("objektiver Geist") als auch in ihrer geschichtlichen Entwicklung, die er in der "Phänomenologie des Geistes" darstellt.

Karl Marx (1818-1883) wird die Hegelschen Philosophie als idealistisch kritisieren und das Primat der (materialistischen) Praxis fordern.
Søren Kierkegaard (1813-1855) kritisiert ebenfalls die Hegelsche Philosophie des absoluten Geistes und betont die Existenz des einzelnen Individuums. Er unterscheidet zwichen drei "Stadien" der menschlichen Existenz, nämlich das Ästhetische, das Ethische und das Religiöse.

Friedrich Nietzsche (1844-1900) wendet sich vor allem gegen die christliche Moral und den (platonischen) Idealismus. Er befürwortet eine "Umwertung aller Werte" auf der Grundlage des "Willens zur Macht".

Der Soziologe Max Weber (1864-1920) prägte den Unterschied zwischen "Gesinnungsethik" und "Verantwortungsethik",  d.h. zwischen einer .Ethik, die sich jeweils nach den Absichten oder nach den Auswirkungen des Handelns orientiert.

Max Scheler (1874-1928) kritisiert den Formalismus in der Ethik und plädiert für eine "materiale Wertethik". Im Mittelpunkt steht die Objektivität des Sittlichen in einem vom menschlichen Wollen unabhängigen Wertereich. Der Mensch hat die Fähigkeit des "Wertfühlens".

Im 20. Jahrhundert entsteht die Analytische Ethik auf der Grundlage des linguistic turn, d.h. des Primats der Sprachanalyse in der Philosophie. Diese Wende unterscheidet die Philosophie des 20. Jahrhunderts vom neuzeitlichen Paradigma der Bewußtseinsphilosoh8ie sowie vom klassischen ontologischen Ansatz. Ethische Probleme werden auf der Grundlage von Sprachanalyse und Begriffsbestimmung behandelt. Der englische Philosoph G.E. Moore (1873-1958) entwickelt hierfür das Instrumentarium in seiner "Principia Ethica" indem er fragt, was "gut" bzw. "Gut-sein" heißt. Auch wenn wir das Wort "gut" nach Moore nicht definieren können, wissen wir intuitiv, was damit gemeint ist. Auf der Basis dieser Intuition entwickelt der analytische Philosophie die Bedeutung des Begriffs des Guten. Von solchen intuitionistischen Ansätzen (G.E. Moore, Carritt, Prichard, Ross) unterscheiden sich die Emotivisten (C.L. Stevenson). In seinem Werk "The Language of Morals" (1952) untersucht der Philosooph R.M. Hare die moralische Sprache als eine Unterart der präskiptiven Sprache.

Die existentialistische Ethik ensteht zu Beginn des 20. Jahrhunderts und findet einen ersten Niederschlag im Werk von Albert Camus (1913-1960). Das Sinnproblem ist für Camus das dringenste Problem des Lebens. Camus' Erfahrung des Absurden ist der Ausgangspunkt für seine Frage nach dem Sinn. Es gilt dann die Erfahrung des Absurden auszuhalten, so wie es Camus in seinem Roman "Die Pest" beschreibt, verkörpert durch den Arzt Bernhard Rieu

Ein weiterer prominenter Vertreter der existentialistischen Ethik ist Jean-Paul Sartre (1905-1980), der zugleich den Marxismus kritisiert, da dieser das Problem der Individualität nicht angemessen berücksichtigt. Für Sartre gibt es kein überzeitliches Wesen des Menschen, sondern das Wesen des Menschen ist seine Existenz. "Ist der Existentialismus ein Humanismus" ist die Verteidigungschrift von Sartres Existentialismus. Der Mensch ist das, was er aus sicht macht. Es gibt keine objektive (moralische) Maßstäbe, wonach er sich richten müsste.

Sartres Lebensgefährtin Simone de Beauvoir (1908-1986) entwickelt eine Ethik der Ambivalenz in Anschluß an Sartre und wird auch zu einer prominenten Vertreterin der Frauen innerhalb der von Männern beherrschten philosophischen Zunft.

Der französischen Philosoph jüdischer Herkunft Emmanuel Lévinas (1906-1995) plädiert für eine Ethik der Alterität, die er den totalisierenden Ansätzen entgegenstellt ("Totalité et Infini"). Ethik gilt für Lévinas als 'erste Philosophie' und geht der Ontologie voraus.

Der amerikanische Philosoph John Rawls (1921-2002) entwickelt eine einflußreiche "Theorie der Gerechtigkeit" die an den kontraktualistischen Ansätzen der Moderne anknüpft. Seine Auffassung von Gerechtigkeit als Fairneß basieet auf dem Prinzip, wonach jedermann gleiches Recht im System gleicher Grundfreiheiten zukommt. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu gestalten, dass venünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu jedermanns Vorteil dienen. Positionen und Ämter müssen jedem offen stehen.

Die von den Philosophen Karl-Otto Apel (1922) und Jürgen Habermas (1929) entwickelte Diskursethik gilt als Versuch, die Kantische Moraltheorie auf der Basis kommunikationstheoretischer Annahmen zu begründen. Der zentrale Begrif der Diskursethik ist der des "praktischen Diskurses" als der Ort, an dem Geltungsansprüche bezüglich Handlungsnormen kritischen thematisiert werden. Auf der Basis einer symmetrisch konzipierten Kommunikationssituation, in der es keine Privilegierungen zugelassen werden, gilt nur die Herrschaft des besseren Argumetns. Alle Menschen können an einem solchen Gespräch teilnehmen, sofern sie die Bedingungen für ein solches Gespräch erfüllen und akzeptieren.

Michel Foucault (1926-1984) gilt als ein Hauptvertreter der postmodernen Ethikansätze. Seine Philosophie basiert auf der Erfahrung des Widerstands des Einzelnen gegenüber der "Biomacht". Er entwickelt "Technologien des Selbst" und thematisiert die Frage der Sexualität ("Der Gebrauch der Lüste", "Die Sorge um sich"). Im Mittelpunkt stehen die Lebenstechniken der "Sorge um sich" und eine Selbstkultur, in der die Menschen ihr Leben als Kunstwerk gestalten. Dennoch ist Foucaults Ethik keine individualistische Ethik, sondern sie ist eingebettet in Entlarvungsstragegien von gesellschaftlichen Entfremdungspraktiken vor allem gegenüber dem, was er "intolorabel" nennt.

Schließlich sind die Ansätze der ökologischen Ethik, der Bioethik sowie der Technikethik, darunter insbesondere der Informationsethik  zu erwähnen.
 
  
 

Übungen

1) Welche ist die Herkunft der Worte Ethik und Moral?     
2) Welche ist die Grundfrage der antiken Ethik? Wie unterscheiden sich die Ethiken von Platon und Aristoteles?     
3) Wie setzt sich die Tradition der antiken Ethik im Hellenismus und im Mittelalter fort?     
4) Welche sind die Grundzüge der ethischen Fragestellung in der Neuzeit?     
5) Was heißt  “Utilitarismus”? 
6) Was versteht Kant unter "Maxime" und was für eine Bedeutung haben Maximen in der Kantischen Ethik? 
7) Was versteht Max Weber unter "Verantwortungsethik"?    
8) Erläutern Sie jeweils zwei ethische Ansätze aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert   
 
 
 
 
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Teil I
Teil II
 
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