2.3
Ethik im 19. und 20. Jahrhundert
Georg
Wilhelm Friedrich Hegel
(1770-1831) kritisiert die Kantische Ethik als abstrakt. Das Kantische
Primat der (individuellen) Moralität wird durch das Primat der
(sozialen) Sittlichkeit ersetzt. Hegel denkt die Sittlichkeit sowohl in
Bezug auf Institutionen ("objektiver Geist") als auch in ihrer
geschichtlichen Entwicklung, die er in der "Phänomenologie des
Geistes" darstellt.
Karl Marx
(1818-1883) wird die Hegelschen Philosophie als idealistisch
kritisieren und das Primat der (materialistischen) Praxis fordern.
Søren
Kierkegaard
(1813-1855) kritisiert ebenfalls die Hegelsche Philosophie
des absoluten Geistes und betont die Existenz des einzelnen
Individuums. Er unterscheidet zwichen drei "Stadien" der menschlichen
Existenz, nämlich das Ästhetische, das Ethische und das
Religiöse.
Friedrich
Nietzsche (1844-1900) wendet sich vor allem gegen die
christliche Moral und den (platonischen) Idealismus. Er
befürwortet eine "Umwertung aller Werte" auf der Grundlage des
"Willens zur Macht".
Der Soziologe Max
Weber (1864-1920) prägte den Unterschied
zwischen "Gesinnungsethik" und "Verantwortungsethik", d.h.
zwischen einer .Ethik, die sich jeweils nach den Absichten oder nach
den
Auswirkungen des Handelns orientiert.
Max Scheler
(1874-1928) kritisiert den Formalismus in der Ethik und
plädiert für eine "materiale Wertethik". Im Mittelpunkt steht
die Objektivität des Sittlichen in einem vom menschlichen Wollen
unabhängigen Wertereich. Der Mensch hat die Fähigkeit des
"Wertfühlens".
Im 20. Jahrhundert entsteht die Analytische Ethik auf der Grundlage des
linguistic turn,
d.h. des Primats der Sprachanalyse in der Philosophie. Diese Wende
unterscheidet die Philosophie des 20. Jahrhunderts vom neuzeitlichen
Paradigma der Bewußtseinsphilosoh8ie sowie vom klassischen
ontologischen Ansatz. Ethische Probleme werden auf der Grundlage von
Sprachanalyse und Begriffsbestimmung behandelt. Der englische Philosoph
G.E. Moore
(1873-1958) entwickelt hierfür das Instrumentarium in
seiner "Principia Ethica" indem er fragt, was "gut" bzw. "Gut-sein"
heißt. Auch wenn wir das Wort "gut" nach Moore nicht definieren
können, wissen wir intuitiv, was damit gemeint ist. Auf der Basis
dieser Intuition entwickelt der analytische Philosophie die Bedeutung
des Begriffs des Guten. Von solchen intuitionistischen
Ansätzen (G.E. Moore, Carritt, Prichard, Ross) unterscheiden sich
die Emotivisten (C.L. Stevenson). In seinem Werk "The Language of
Morals" (1952) untersucht der Philosooph R.M. Hare die
moralische
Sprache als eine Unterart der präskiptiven Sprache.
Die existentialistische Ethik ensteht zu Beginn des 20. Jahrhunderts
und findet einen ersten Niederschlag im Werk von Albert Camus
(1913-1960). Das Sinnproblem ist für Camus das dringenste Problem
des Lebens. Camus' Erfahrung des Absurden ist der Ausgangspunkt
für seine Frage nach dem Sinn. Es gilt dann die Erfahrung des
Absurden auszuhalten, so wie es Camus in seinem Roman "Die Pest"
beschreibt, verkörpert durch den Arzt Bernhard Rieu
Ein weiterer prominenter Vertreter der existentialistischen Ethik ist Jean-Paul
Sartre (1905-1980), der zugleich den Marxismus kritisiert, da
dieser das Problem der Individualität nicht angemessen
berücksichtigt. Für Sartre gibt es kein überzeitliches
Wesen des Menschen, sondern das Wesen des Menschen ist seine Existenz.
"Ist der Existentialismus ein Humanismus" ist die Verteidigungschrift
von Sartres Existentialismus. Der Mensch ist das, was er aus sicht
macht. Es gibt keine objektive (moralische) Maßstäbe, wonach
er sich richten müsste.
Sartres Lebensgefährtin Simone de
Beauvoir (1908-1986) entwickelt
eine Ethik der Ambivalenz in Anschluß an Sartre und wird auch zu
einer prominenten Vertreterin der Frauen innerhalb der von Männern
beherrschten philosophischen Zunft.
Der französischen Philosoph jüdischer Herkunft Emmanuel
Lévinas (1906-1995) plädiert für eine Ethik der
Alterität, die er den totalisierenden Ansätzen entgegenstellt
("Totalité et Infini"). Ethik gilt für Lévinas als
'erste Philosophie' und geht der Ontologie voraus.
Der amerikanische Philosoph John Rawls
(1921-2002) entwickelt eine
einflußreiche "Theorie der Gerechtigkeit" die an den
kontraktualistischen Ansätzen der Moderne anknüpft. Seine
Auffassung von Gerechtigkeit als Fairneß basieet auf dem Prinzip,
wonach jedermann gleiches Recht im System gleicher Grundfreiheiten
zukommt. Soziale und wirtschaftliche Ungleichheiten sind so zu
gestalten, dass venünftigerweise zu erwarten ist, dass sie zu
jedermanns Vorteil dienen. Positionen und Ämter müssen jedem
offen stehen.
Die von den Philosophen Karl-Otto Apel
(1922) und Jürgen
Habermas
(1929) entwickelte Diskursethik gilt als Versuch, die Kantische
Moraltheorie auf der Basis kommunikationstheoretischer Annahmen zu
begründen. Der zentrale Begrif der Diskursethik ist der des
"praktischen Diskurses" als der Ort, an dem Geltungsansprüche
bezüglich Handlungsnormen kritischen thematisiert werden. Auf der
Basis einer symmetrisch konzipierten Kommunikationssituation, in der es
keine Privilegierungen zugelassen werden, gilt nur die Herrschaft des
besseren Argumetns. Alle Menschen können an einem solchen
Gespräch teilnehmen, sofern sie die Bedingungen für ein
solches Gespräch erfüllen und akzeptieren.
Michel
Foucault (1926-1984) gilt als ein Hauptvertreter der postmodernen Ethikansätze.
Seine Philosophie basiert auf der Erfahrung des Widerstands des
Einzelnen gegenüber der "Biomacht". Er entwickelt "Technologien
des Selbst" und thematisiert die Frage der Sexualität ("Der
Gebrauch der Lüste", "Die Sorge um sich"). Im Mittelpunkt stehen
die Lebenstechniken der "Sorge um sich" und eine Selbstkultur, in der
die Menschen ihr Leben als Kunstwerk gestalten. Dennoch ist Foucaults
Ethik keine individualistische Ethik, sondern sie ist eingebettet in
Entlarvungsstragegien von gesellschaftlichen Entfremdungspraktiken vor
allem gegenüber dem, was er "intolorabel" nennt.
Schließlich sind die Ansätze der ökologischen Ethik,
der Bioethik sowie der Technikethik, darunter insbesondere der
Informationsethik zu erwähnen.
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