1.1
Herkunft und Bedeutung der Worte Ethik und Moral
Der
Begründer der Ethik als eine selbständige Disziplin war der
griechische
Philosoph Aristoteles (384 - 322 v.Chr.). In seinem für die
abendländische
Tradition grundlegenden Werk “Nikomachische Ethik” (NE) schreibt er,
daß
es zwei Arten von Tugenden gibt, die den menschlichen Charakter
prägen,
nämlich die Verstandestugenden und die ethischen Tugenden.
Während
die Verstandestugenden durch Belehrung erworben werden, werden die
ethischen
Tugenden (‘eethos’ mit Etha = hqoj)
durch Übung und Gewohnheit (‘ethos’ mit Epsilon = eqoj)
ausgebildet:
“Wenn
sonach die Tugend (‘arete’) zweifach ist, eine Verstandestugend
(‘dianoetike’)
und eine sittliche Tugend (‘ethike’), so entsteht und wächst die
Erstere
hauptsächlich durch Belehrung und bedarf deshalb der Erfahrung und
der Zeit; die sittliche dagegen wird uns zuteil durch Gewöhnung
(‘eethos’),
davon hat sie auch den Namen erhalten, der nur wenig von dem Wort
Gewohnheit
(‘ethos’) verschieden ist.
Daraus
erhellt auch, daß keine von den sittlichen Tugenden uns von Natur
zuteil wird. Denn nichts Natürliches kann durch Gewöhnung
geändert
werden. Der Stein z.B., der sich von Natur nach unten bewegt, kann
nicht
gewöhnt werden, sich nach oben zu bewegen, wenn man ihn auch durch
vieltausendmaliges Emporschleudern daran gewöhnen wollte, und
ebensowenig
kann das Feuer an die Bewegung nach unten oder sonst etwas an ein
seiner
Natur entgegengesetztes Verhalten gewöhnt werden.
Darum
werden uns die Tugenden weder von Natur noch gegen die Natur zuteil,
sondern
wir haben die natürliche Anlage, sie in uns aufzunehmen, zur
Wirklichkeit
aber wird diese Anlage durch Gewöhnung.”
(Aristoteles,
Nikomachische Ethik, NE 1103 a 14-25, Übers. G. Bien)
Das deutsche
Wort Moral leitet sich vom Lateinischen mos/mores ab, das wiederum eine
Übersetzung der beiden griechischen Begriffe (eethos/ethos) ist.
In der
Umgangsprache werden die Begriffe Ethik und
Moral oft synonym
verwendet. Im wissenschaftlichen Sinne sollte man aber die Ebene des
Phänomens, d.h. Sitten und Gebräuche im Sinne von Moral, von
der Ebene der Reflexion (Ethik) unterscheiden.
|