Zur
Eröffnung des Workshops las RAFAEL CAPURRO ein Grußwort des
Rektors vor. Anschließend leitete er in die Thematik ein, indem er
"Cyberkultur" folgendermaßen definierte: Wenn Kultur das ist, was
der Mensch als "freihandelndes Wesen" (I. Kant) aus sich selber macht,
dann ist Cyberkultur das, was er im Medium der digitalen Weltvernetzung
aus sich selber macht. An Kant anknüpfend stellte der Referent die
Frage, inwiefern die digitale Weltvernetzung das Ende der Aufklärung
bedeutet, und wie dieses "Ende" zu deuten sei. Das führte ihn zu der
Frage, was das Medium Internet in seiner Eigentümlichkeit - etwa gegenüber
dem Aufklärungsmedium Buch - ausmacht. Er stellte fest, daß
das Internet ein Hybridmedium ist. Darunter verstand er zum Beispiel, daß
das Internet zwar ein vorwiegend und vordergründig schriftliches Medium
ist, zugleich aber - nicht nur im Hinblick auf Multimedialität, sondern
auch von seiner Struktur und Geschwindigkeit her - dem mündlichen
Gespräch verwandt ist. Ferner läßt dieses Medium die moderne
Trennung zwischen Theorie und Praxis durchlässiger werden. Die digitale
Weltvernetzung erlaubt unmittelbares Handeln - man denke zum Beispiel an
die Möglichkeiten des "e-commerce" - mit Raum und Zeit überbrückenden
Eigenschaften. Das alles macht die Frage nach einer kritischen Analyse
der sich etablierenden Regeln im digitalen Umgang miteinander, also dessen,
was man Internetmoral nennen könnte, dringend notwendig. Die Reflexion
über Moral nennt man Ethik. Ethik der Cyberkultur heißt also
Reflexion über Internetmoral.
Anschließend referierte KLAUS WIEGERLING (Universität Kaiserslautern und HBI) über Medienethik. Er stellte die These auf, daß die Aufgabe der Medienethik sich nicht auf die Aufklärung über die Cyberkultur reduziert, sondern daß diese in Zusammenhang mit den "alten" Medien zu sehen ist. Er stellte drei Sichtweisen von Medien in Frage, nämlich: 1) Es gibt Inhalte unabhängig von Medien, 2) Medien sind Spiegel der Realität, 3) Medien beeinflussen nicht menschliches Verhalten. Er betonte, daß Medien jeweils eine (mögliche) kulturelle Wahrheitsmatrize liefern. Die Schrift, erläuterte Wiegerling, hatte zum Beispiel in Form der MEGA (Marx-Engels-Gesamtausgabe) als Wahrheitsmatrize der DDR ihre Geltung verloren. Die Schriftkultur wurde durch eine Kultur der Bilder abgelöst. Als Beispiel zur Kritik der zweiten Sichtweise erwähnte er die unterschiedliche Bedeutung, die eine Geschichte an verschiedenen Orten und Zeiten haben kann. Schließlich vertrat er die These, daß der Mensch sich nicht gegen&unl;ber dem Medialen bestimmt, sondern immer durch Medien zu sich selbst kommt und damit sich eine Kultur schafft. Die Verabsolutierung eines Mediums führt zu pathologischen Erscheinungen. Cervantes portraitierte in seinem Quijote die Pathologie des Buches. Im Hinblick auf die Cyberkultur können wir solche pathologische Erscheinungen als digitalen Quijotismus bezeichnen. MIKE SANDBOTHE (Universität Jena) sprach über "Medienethik und Medienkompetenz im Zeitalter des Internet". Er nahm zunächst kritisch zur deutschen Tradition der Kulturkritik Stellung und schilderte anschließend die Umwandlung des Internet von einem Elite- zu einem Massenmedium. Seinen theoretischen Rahmen für die ethische Reflexion über dieses Medium entnahm er dem Ansatz des US-amerikanischen Philosophen Michael Walzer. Walzer unterscheidet drei Wege der Moral. Der "Weg der Entdeckung" basiert auf der Autorität, der "Weg der Erfindung" legt den Wert auf das Verfahren, der "Weg der Interpretation" geht schließlich von der geltenden Moral aus. Sandbothe schloß sich dem dritten Weg an. Er stellte die Maximen der Aufklärung in bezug auf das Internet dar und betonte u.a. die Rolle von Suchmaschinen für die Schaffung von Transparenz im Netz. Allerdings entsteht diese Transparenz - so Sandbothe in Anschluß an Kant - nicht durch eine "bestimmende", sondern durch eine "reflektierende" Urteilskraft. Dies besagt, daß wir nicht von einem feststehenden, sondern von einem dynamischen Orientierungsrahmen ausgehen müssen, um die besagte (relative) Transparenz zu schaffen. Dies macht auch die besondere ethische Verantwortung zum Beispiel eines Informationsmanagers aus. Ferner bietet das Internet auch die Möglichkeit zu einem "deliberativen Rahmen" bzw. zur Herstellung "weltbürgerlicher Solidarität" (J. Habermas). Der australische Philosoph MICHAEL ELDRED (Sydney/Köln) entfaltete in seinem Beitrag "Aufenthalte im Cyberspace (Cyberhaunting)" eine an Martin Heidegger anknüpfende Sicht des Cyberspace. Zunächst kontrastierte er die griechische Erfahrung der Lenkung (Griech. "kybernein") etwa eines Schiffes, mit der heutigen Auffassung von Management, sofern letztere nämlich weder dem Zufall noch dem Göttlichen einen Wirkungsraum zuläßt. Er stellte anschließend die Frage nach dem Sinn von Raum im Cyberspace. Er betonte, daß dieses, wie auch im Falle des Fernsehens, eine durch das "Ent-fernen" gekennzeichnete Erfahrung bedeutet. Das Medium tritt bei diesem Vorgang in den Hintergrund und wird durchlässig. Der Bezug zu einem solchen Medium verwandelt den Menschen in einen Cyborg. Durch das Aufheben der Entfernung, durch die "Ent-fernung" also, fällt die gewöhnliche räumliche Erfahrung der Platzmannigfaltigkeit sowie die damit zusammenhängende leibliche Ausgerichtetheit weg. Dies ist der Grund, warum der Mensch sich in einem solchen Medium "leiblos" oder "geisterhaft" (Engl. "haunting") vorkommt. Das Leben im Cyberspace hat mit einem "Herumgeistern" zu tun. Zugleich richten wir uns in einem solchen Raum ein, indem wir gewohnte Orte schaffen. Hier knüpfte Eldred an die ursprüngliche Bedeutung des griechischen Wortes "ethos" in seiner doppelten Schreibweise - nämlich mit einem kurzen E (Epsilon) (im Sinne von Gewohnheit) und mit einem langen E (Eta) (im Sinne von Wohnort) - an. Ethik hat mit der Frage zu tun, wie wir uns einen gewohnten Ort (im Cyberspace) einrichten. FRANK THISSEN entwarf eine "Konstruktivistische Medientheorie" indem er die Erfahrungen der Entzauberung und Atomisierung in unserer Gesellschaft durch Video- (Francis Ford Coppola) und Musikbeispiele erläuterte. Er bezog sich auf Ergebnisse der Hirnforschung, wonach das Gehirn die Realität nicht passiv abbildet, sondern sie "verarbeitet" und ständig neu konstruiert. Das bedeutet, daß eine solche interpretatorische Leistung, die sich aber nicht in einem isolierten Gehirn, sondern in der leiblichen und vor allem sprachlichen Interaktion mit anderen Menschen vollzieht - nicht von außerhalb der Realität, sondern "in" ihr stattfindet. Die Weltkonstruktion im Medium Gehirn liefert uns das Paradigma für eine gemeinschaftliche Konstruktion von Welt in und durch "künstliche" Medien. Mit anderen Worten, wir schaffen uns durch Medien Bezugssysteme und geben uns dadurch eine "relative" Antwort auf jene "unentscheidbaren Fragen", die unser Dasein bestimmen. Indem wir das tun, übernehmen wir zugleich die Verantwortung dafür und werden uns über ihre Relativität bewußt. Dies führt zu einer Haltung der Toleranz gegenüber anderen möglichen Antworten. GÖTZ GROSSKLAUS (Universität Karlsruhe) entwarf, ausgehend vom ursprünglichen menschlichen Medium, nämlich dem menschlichen Leib, eine Mediengeschichte, die durch epochemachende Umbrüche gekennzeichnet ist. Er verwies zunächst auf vier mediale Prinzipien der Weltaneignung, nämlich: Oralität, Schrift, Bild und Zahl, die jeweils als Leitmedien in verschiedenen Kulturen dienten. Was zunächst im Leib als Medium vereint war, wurde allmählich Gegenstand verschiedener Ablösungen. Davon zeugen zum Beispiel die platonischen Dialoge, wo der Umbruch von der Oralität zur Schrift thematisiert wird. Am Ende dieser Entwicklung steht heute das Verschwinden des Leibes in den digitalen Medien. Dazwischen fanden in Europa mehrere Umbrüche statt, die jetzt, im Folge der Globalisierung, sich auf andere Kulturen auswirken. Ein solcher Umbruch fand zum Beispiel 1450 mit der Erfindung der Druckerpresse durch Gutenberg statt. Mit der Erfindung der Daguerreotypie 1830 wurde eine abermalige neue Entwicklung eingeleitet, die zu den heutigen digitalen Medien führt. Die Heraufkunft des Bildes und ihre globale Verbreitung stellt andere nicht am Bild orientierte Kulturen, wie etwa den Islam, oder Kulturen mit einer anderen Bildtradition, wie etwa der japanischen Kultur, vor große Herausforderungen. Die hier aufgeworfenen Fragen einer interkulturellen Medienwissenschaft sind erst in Ansätzen behandelt. In Frage steht vor allem, inwieweit das europäische "Kulturprogramm" sich weltweit durchsetzt oder Vermischungen mit anderen medialen Traditionen zuläßt. Mögliche Strategien sind dabei: Abwehr, Mißverständnis, Adaption, Assimilation bis hin zu einer medialen Weltgemeinschaft. Letztere kann als Plattform für kulturelle Vielfalt verwirklicht werden. Sie kann aber auch zur Uniformität führen. Eine Ethik der Cyberkultur muß sich diesen Fragen stellen. Der
Workshop endete mit einer von Studierenden geleiteten Podiumsdiskussion
zu den von den Referenten aufgeworfenen Fragen.
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