Einige Anmerkungen zum Thema Informationsreich - Informationsarmvon
Andreas Brellochs
In der Diskussion um arme und informationsarme Länder tauchen immer wieder die selben Argumente auf, die zum Teil einer kritischeren Betrachtung bedürfen. Im Rahmen des Workshops 'Informationsarm - Informationsreich' sollen deshalb einige bisher weniger beachtete Argumente zur Diskussion gestellt werden.
Sustainable development? Kann nachhaltige Entwicklung durch das Bereitstellen von Informationstechnik geleistet werden? Auf den ersten Blick allzu einsichtig ist eine Haltung, die davon ausgeht, Entwicklungshilfe nach dem 'Reis-Sack-Prinzip' leisten zu können: Man brauche lediglich die Dritte Welt mit informationstechnischer Infrastruktur und etwas Anwenderwissen auszurüsten, und schon sei die Möglichkeit für diese Menschen vorhanden, am weltweiten Informationsgeschehen aktiv teilzuhaben. Dies kann nicht Ziel einer Entwicklungspolitik sein, die sich als nachhaltig versteht.
Genau solche entwicklungspolitischen Fehler haben früher dazu geführt, daß das gespendete Equipment zur Einrichtung ganzer Maschinenbauunternehmen, verpackt in Überseekisten, am Rande der Wüste verrottete. Die fehlende technische Ausrüstung ist nur eine zu überwindende Hürde, um die Entwicklung gleichberechtigter Partner am Informationsgeschehen zu ermöglichen, wie die folgenden Punkte zeigen werden.
Auswirkung von Informationstechnik: Bewirkt das Vorhandensein von Informations- und Kommunikationstechnik die gewünschten Effekte; z.B. die vielbeschworene Aufhebung oder Verwischung von Klassenunterschieden? Ein gesellschaftliche Demokratisierungseffekt, der häufig zweckoptimistisch herbeigeredet wird, tritt in einem einzelnen Land sicher nicht ein. Soziale Unterschiede können nun einmal nicht durch Technik ausgeglichen werden.
Vielmehr ermuntert Kommunikationstechnik das Entstehen von Ungleichheit, da technisches Wissen niemals über alle sozialen Schichten hinweg gleichmäßig verteilt wird. Die Folge ist eine wachsende Kluft zwischen Besitzern des Technopols1; des technischen Wissens, und denjenigen, die unwissend gehalten werden, um das Wissensmonopol nicht zu gefährden.
Dies muß nicht in jedem Fall ein bewußter Vorgang des Ausschlusses sein, sondern kann einfach Ausdruck der fehlenden Fähigkeit sein, existierende Ressourcen adäquat einzusetzen. Dieses Ergebnis haben z.B. Untersuchungen in Schwellenländern zum Problem der fehlenden wirtschaftlichen Entwicklung ergeben.Prioritäten: "Bringt die gezielte Ausrichtung auf Informationstechnik tatsächlich Vorteile in der ökonomischen Entwicklung, wo große Teile der Bevölkerung durch Hunger, Armut und Analphabetentum in seinen Entwicklungsmöglichkeiten behindert ist?"
Wie in der Diskussion während des Workshops mehrfach erwähnt wurde, haben sich die Menschen wirtschaftlich unterentwickelter Länder zunächst mit wesentlich dringlicheren Sorgen von existenzentieller Bedeutung zu befassen. Die Versorgung mit ausreichend sauberem Wasser und Nahrungsmitteln, und mit einer Mindestbildung ist dabei von bedeutend höherer Priorität als das Bereitstellen von Hard- und Software, um den Sprung in Richtung Schwellenland andenken zu können. Selbst wenn dann einmal der wirtschaftliche Status eines Schwellenlandes erreicht ist, bestehen weitere entscheidende Hindernisse, an Informationsmärkten sowohl als Rezipient, als auch als Produzent teilzuhaben.Produzieren = Profitieren? Wer produziert Information, und wer trägt den wahren ökonomischen Vorteil davon? Einige vormals arme Staaten haben in den vergangenen Jahren eine kleine Mittelschicht entwickelt, die alleine von der technischen Entwicklung profitiert, da sie eine hervorragende Ausbildung erwerben konnten. Dort entstanden tatsächlich qualifizierte Arbeitsplätze, an denen hochwertige Daten zu Bruchteilen der hierzulande üblichen Stundensätze und ohne belastende Lohnnebenkosten produziert werden. Nur zwei Beispiele sind Indien, wo hochqualifizerte Programmierer nach in Deutschland erstellten Pflichtenheften tüfteln, und wo große Teile der Buchhaltungen von Weltkonzernen geführt werden. Weiter China, wo hochmotivierte Arbeitskräfte Tipparbeit leisten, für die sich hierzulande kaum irgend jemand hergeben würde. Die dort erstellten Leistungen können aber nicht etwa zu weltmarktüblichen Preisen für Dienstleistungen verkauft werden, denn die Leistungen werden entweder in abhängiger Beschäftigung erstellt, oder als Werkvertrag zu mageren Bedingungen. Einerseits haben also solche Länder kaum eine Chance, in Eigenregie erstellte Informationsprodukte zu frei verhandelbaren Preisen anzubieten. Sind sie andererseits aber auf Daten angewiesen, müssen sie diese zu den üblichen Weltmarktpreisen einkaufen. Man könnte sagen, dies ist ein neues Kolonisationsmodell der Abhängigkeit.
Dieses Mal wird der Kampf jedoch nicht um Rohstoffe wie Gewürze oder Mineralien geführt, und nicht mehr mit dem Mittel physischer Gewalt. Das Objekt der Begierde sind heute billig produzierte Rohdaten, das Mittel zum Erreichen der Ziele ist heute wirtschaftlicher Druck, und das Halten in wirtschaftlicher Abhängigkeit. Solchermaßen billig eingekaufte Rohware kann zu verschiedenen Informations - Fertigprodukten weiterverarbeitet und am Weltmarkt mit guten Gewinnspannen angeboten werden.
Diese Argumentation ist zugegebenermaßen etwas polemisch dargestellt, doch trifft sie durchaus den Kern dessen, was heute geschieht.
Literatur
1 Postman, Neil (1992): Das Technopol. Die Macht der Technologien und die Entmündigung der Gesellschaft.
Dipl.-Dok. Andreas Brellochs
Wollmatinger Str. 4
78467 Konstanz
Andreas.Brellochs@inf-wiss.uni-konstanz.de
Letztes Update: Juni 1999
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