Was ist und wie entsteht Informationsarmut und Informationsreichtum ?

von

Christiane Bohrer


Bedarfsorientiert - angebotsorientiert: Eine Gratwanderung.

Erfahrungen aus der Bibliotheks- und Informationsarbeit des Goethe-Instituts


Das Goethe-Institut hat die Aufgabe, deutschlandbezogene Kulturarbeit im Ausland zu leisten. Vor diesem Hintergrund soll die Frage nach den Voraussetzungen für und dem Wesen von Informationsarmut und Informationsreichtum aus einem kulturellen Blickwinkel heraus beleuchtet werden. Dabei ist zunächst festzuhalten, daß "Information" ein Begriff aus der abendländischen Kulturwelt ist. In einer vom Islam geprägten Kultur oder in der konfuzianischen Kultur zum Beispiel hat das, was wir unter Information verstehen, einen völlig anderen Wert. Informationsarmut und Informationsreichtum sind dort folglich nicht dasselbe wie hier. Daher ist es nützlich, sich der "Einäugigkeit" des abendländischen Fragestellers, der die ganze Welt ins Blickfeld rücken will, bewußt zu sein. Schon das Naheliegende, arm bzw. reich in eine quantitativ ausgerichtete Kategorisierung zu pressen, schränkt das Verständnis der Begriffe zu sehr ein. Um die Qualität dessen, womit die virtuellen Räume zwischen Sender und Empfänger ausgefüllt sind, um das, was Kultur im Leben der Menschen und im Umgang miteinander ausmacht, geht es in mindestens ebenso hohem Maß.

Auf die Beantwortung der Frage nach Informationsarmut und Informationsreichtum lassen die praktischen Arbeitserfahrungen im Goethe-Institut speziell auf dem Gebiet der Informationsvermittlung im Sinne von Wissenstransfer vielleicht einige Rückschlüsse zu. Unter vier Gesichtspunkten soll diese Möglichkeit untersucht werden.


Neugier

Es ist nicht so, daß man überall in der Welt die gleiche Art von Bibliotheken mit deutschen Büchern, Medien und Datenbankanschlüssen hinstellen und sagen könnte: "Hier sind Informationen über Deutschland !", und daß aus der Nutzungsfrequenz dieses Angebots abgelesen werden könnte: Bedarf groß, also Informationsarmut. Oder: Bedarf gering, also Informationsreichtum. Wenn man an solche Bibliotheken in Ländern wie der Türkei oder Israel denkt, erfährt man nämlich im Gegenteil, daß die Nutzungsfrequenz hoch ist, und zwar insbesondere dank derjenigen Nutzer, die bereits gut über Deutschland informiert sind. Andererseits wäre in Afrika oder Indien eine relativ geringe Nutzung zu verzeichnen, obwohl es dort an Information über Deutschland mangelt. Wer auf eine solche Weise Informationsarmut bzw. Informationsreichtum nachweisen wollte, hätte übersehen, daß er mit dem Hinstellen überall gleicher Bibliotheken rein angebotsorientiert arbeitet und somit die Nutzungsintensität zwar kein verläßlicher Maßstab für diesen Nachweis wäre, wohl aber etwas aussagen würde über den Erfolg seines Marketings bzw. seiner Bemühungen, einen Bedarf zu kreieren. Ist dieser Erfolg groß, dann könnte es tatsächlich sein, daß solch ein von deutscher Seite ungefragt an das Gastland herangetragenes Bibliotheksangebot jenes Land doch informationsreicher macht. Informationsreichtum oder Informationsarmut ist somit auch eine Frage von subjektivem Interesse oder von Neugier. Informationsarmut entsteht durch Indifferenz, durch Konzentration auf das Eigene und Abschottung gegen Fremdes, durch Mangel an Lernbereitschaft und Mangel an Informationsbereitschaft. Informationsreichtum entstünde durch das Gegenteil; durch Aufgeschlossenheit und Informationsbereitschaft.


Keine Erkenntnis ohne Wissen, kein Wissen ohne Information, keine Information ohne Zugang zu ihr

Wenn man den Staaten, die bis vor 6 Jahren dem Warschauer Pakt angehörten, Zugang zu mehr Information verschaffen und dadurch zu mehr Wissen verhelfen will, so gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Man kann z.B. dafür sorgen, daß das Telekommunikationsnetz dieser Länder modernisiert und ausgebaut wird. Man kann Sonderkonditionen einräumen für die Nutzung diverser internationaler Datenbanken und Hilfe leisten beim Aufbau eigener Datenbanken. Auch kann man ihnen Bücher schenken
Der ukrainische, weißrussische, kasachische oder georgische Wissensdurstige oder Informationssuchende, gesetzt den Fall die Geldfrage spielte keine Rolle mehr, kommt aber dennoch nicht auf seine Kosten, wenn er nicht weiß, daß und auf welche Weise die Telekommunikationsmöglichkeiten und Datennetze ihm nutzen könnten, und wenn ihm die Existenz der Bücher nicht bekannt ist, oder wenn er nicht an sie herankommt. Die Tausende und Abertausende gespendeter Bücher, die in Osteuropa in den letzten Jahren eingetroffen sind, können nur dann für größeren Informationsreichtum sorgen, wenn die Bibliotheken, die sie zugänglich machen sollen, von Menschen geführt werden, die überzeugt sind von der Notwendigkeit des freien Zugangs zur Information, und die auch die Kraft haben, die Demokratisierung der Informations- und Bibliothekspolitik gegen die oftmals noch nicht aus der Erstarrung gelösten Apparate durchzusetzen.
Damit Informationsreichtum entstehen kann, bedarf es folglich demokratischen Geistes. Es bedarf derjenigen Menschen, die sich für den freien Zugang zur Information engagieren. Das Goethe-Institut hat in den Ländern Osteuropas den Schwerpunkt seiner Bibliotheks- und Informationsarbeit auf solche Aktivitäten gesetzt, die diese Menschen unterstützen.


Informationsarmut entsteht durch Zensur oder Isolation, durch Verhüllung statt Enthüllung. Der informationsarme, von der Information abgeschnittene Bürger ist ein unmündiger Bürger. Die Würde eines solchen Menschen ist angetastet.

Das Goethe-Institut ist auch in Ländern mit repressiven Staatsformen vertreten bzw. vertreten gewesen. Dazu gehörte z.B. das Rumänien Ceaucescus. Daß es nicht immer leicht aber dennoch möglich und lohnend ist, in einem Klima von Unfreiheit und Unterdrückung das Konzept von selbstbestimmter Information, dieses aus dem Siècle des lumières herübergerettete Pflänzchen am Leben zu erhalten, mag das Beispiel der rumäniendeutschen Schriftsteller aus Temeswar und Bukarest zeigen, denen das Goethe-Institut Zugang zu den deutschsprachigen Büchern ihrer westlichen Kollegen verschaffte mit dem Ergebnis eines gewissen inneren Schutzes gegen die Attacken des Regimes. "Es war das ganz private freie Denken und Reden, das einzige, das wir hatten", schreibt Herta Müller in ihrem Artikel Das freie Wort oder das richtige Deutsch (In dieser Armut - welche Fülle! Reflexionen über 25 Jahre auswärtige Kulturarbeit des Goethe-Instituts, hrsg. v. J. Sartorius, Steidl 1996). "Deshalb gab das Gelesene uns Halt, weil es uns nicht täuschte. Für Stunden standen wir, wenn auch nur in der Einbildung, über dem Zugriff des Regimes. Das schützte uns nicht von außen, aber sehr wohl von innen." (Ebd.) Ceaucescu ist tot. Die Erfahrung bleibt. Sie soll beim Nachdenken über Informationsreichtum und Informationsarmut im Kontext multimedialer Informationsmöglichkeiten behilflich sein. Denn: "Die Netzzensur steht nicht nur in China, sondern auch in Bayern und den USA schon vor den Toren des Internet" (Dieter Kramer in einem Vortrag auf der mit "Im Labyrinth der Möglichkeiten" betitelten Tagung des Deutschen Museums München).


Weder zuwenig noch zuviel Information macht informationsreich.

Es gibt Länder, wo ein Interesse an Deutschland, seiner Kultur, Gesellschaft und Geschichte vorhanden ist. Alle irgend greifbaren Informationen über deutsche Kultur, Gesellschaft und Geschichte bereitzustellen, möglichst nachdem sie in die Landessprache - sagen wir ins Griechische oder Polnische - notfalls auch ins Englische übersetzt wurden, würde dennoch nicht ausreichen, um an Informationen reicher zu machen, denn Informationsreichtum entsteht auch durch Begrenzung (bei Beibehaltung von Vielfalt). Auf die Frage: Wieviel Information braucht der Mensch ? wäre also zu antworten: Soviel wie er verkraften kann. Es bedarf der Medienkompetenz, die keineswegs automatisch entsteht; es bedarf der Fähigkeit, sich selektiv zu informieren, und damit der Ausbildung eines freien und kritischen Geistes. Da diese Voraussetzungen in jedem Umfeld neu ausgelotet werden müssen, um die ihnen gemäßen Informationsangebote zusammenstellen oder entwickeln zu können, bedarf es der "personengebundenen persönlichkeitswirksamen und Motivation erzeugenden Vermitlung" (D. Kramer).



Letztes update: Juni 1999


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