Rasender
Stillstand
Quelle: FAZ, 10. April 2000,
Nr. 85, S. 31
von Thomas A. Becker
Der Autor ist Wissensoziologe
und Gründer der Schweizer Beratungsfirma Knowledge-Dynamics.com.
Es lassen sich, so Becke, zwei Varianten von Wissensmanagement beschreiben:
1. als Pflege von Datenbanken
und Intranets
2. als Spielart der Personal-
und Organisationsentwicklung mit dem Ziel der Schaffung einer Vertrauenskultur.
Die entscheidende Frage
ist, wie Organisationen mit Komplexität umgehen, ohne sie, erstens,
künstlich zu reduzieren, sondern sie mit Hilfe kontrollierter Verfahren
zu bearbeiten. Zweitens, aus Angst vor Komplexität flüchtet sich
eine Organisation in Mechanismen wie Hierarchiebildung oder Steuerungsmedien
wie Moral oder Tradition. Der Autor warnt, drittens, vor einem ständigen
Navigieren zwischen Denken und Handeln, d.h. vor der Vorstellung, "Reflexion
und Entscheidung ließen sich durch ein Management von Komplexität
erleichtern." Er stellt dem betriebswirtschaftlichen Komplexitätsbegriff,
wonach die Dinge "durch Vereinfachung" "in den Griff" zu kriegen sind,
der systemische Komplexitätsbegriff gegenüber, wonach die Entstehung
von Komplexität eine Form der Welt selbst ist. Mit anderen Worten,
Komplexität kann nicht ein für allemal bewältigt werden,
sondern ist eine ständige Herausforderung. Das System muß sein
Verhältnis zur Umwelt als Interaktionsverhältnis bestimmen. Eine
auf das Individuum hin gerichtete moralische Begründung von Kooperation
und Wissensaustausch im Sinne von Altruismus wird jetzt durch eine "etwas
kompliziertere Form von Egoismus" abgelöst, die auf das System hin
zielt. Lösungen werden auf diskursivem Wege, und nicht durch Machtausübung
oder durch Maximalforderungen, ausgehandelt. "Wie kann das Zusammenspiel
von personalem und organisationalem Wissen verstanden und organisiert werden?"
fragt sich der Autor. Da die personale und die organisationale Ebene der
Wissensbasierung unterschieden sind, erweisen sich Konzepte, die Wissen
allein Menschen zuschreiben, als unbrauchbar. Der autor spricht von "systemischer
Intelligenz". "Das Kernproblem des Wissensmanagements ist demnach die Verknüpfung
und Rekombination der personalen und organisationalen Komponente von Wissen
und Innovationskompetenz." Kritisch bemerkt er: "Die Warnung von misslingendem
Lernen in Organisationen sei hier auch an die Adresse jener Berater gerichtet,
die unter dem Etikett Wissensmanagement softwaremäßige aufgepeppte
Versionen von Mind Mapping, Metaplan- und sonstigen Verfahren zur Symbolisierung
und Kodierung personalem Wissens anbieten. Es gibt kein "Think Tool", keinen
"Mind Manager", der personales Wissen in einer Form dokumentieren kann,
die für die Organisation als System lesbar ist. Auch wenn Datenbanken,
Expertensysteme und Knowledge Networks technisch funktionieren, kann die
Organisation nicht lernen, solange die spezifischen Voraussetzungen der
Steuerung sozialer (Wissens-)Prozesse nicht geklärt sind." Wissen
ist eine "widerspenstige Ressource", die sich nicht "im Rahmen preisorientierter
Operationen erfassen" läßt. Beim Wissen kommt es auf die Abnehmer
an. Der informationelle Zugewinn d.h. die subjektive Wahrnehmung der Differenz
des Wissens, bestimmt den Wert den, z.B. der Leser einem Artikel beimisst.
Der Wert ist, mit anderen Worten, nicht abhängig vom Rezipienten.
(R. Capurro)