EINLEITUNG
Die
folgenden
Ausführungen
haben einen zweifachen biographischen
Bezug. Zum einen gehörte ich
der Gesellschaft Jesu an, wo ich Noviziat,
Juvenat und Philosophie in
Uruguay,
Chile und Argentinien zwischen 1963 und 1970
absolvierte. Zum anderen
besuchte
ich Japan im Jahre 1998 im Rahmen eines Forschungssemesters.
Durch
Zufall
betrat ich in Kyoto das ZEN-Kloster Zuiho-in
(Daitokuji-cho),
Zentrum
der
Rinzai-Schule.
Dieses
Kloster ist
insofern einmalig als hier ZEN-Gärten
mit christlicher Symbolik – The Garden
of the Cross mit in
Gestalt
eines Kreuzes geordneten Steinen und The
Garden of the Blissful
Mountain,
ein vom einem (Stein-)Meer umgebenden Berg,
der an die Bergpredigt
erinnert,
ursprünglich aber sich an den buddhistischen
Namen des
Feudalherren
Ôtomo Yoshishige (1530-1587) bezieht – zu
bewundern sind.
Beide
Gärten
sind Yoshishige gewidmet, der im Alter von
48 Jahren zusammen mit
anderen
Familienangehörigen zum Christentum
konvertierte und mit dem Namen
Francisco getauft wurde. Yoshishige sandte
im Jahre 1582 die erste
japanische
diplomatische Mission nach Europa.
Mit
Bezug auf
Heideggers
Deutung menschlichen Verstehens in Sein
und Zeit, wonach die
"Vor-Struktur
des Verstehens" durch "Vorhabe", "Vorsicht"
und "Vorgriff"
gekennzeichnet
ist /1/, will die
folgende Analyse das
Phänomen
der Botschaft (Gr. angelía) bei
Franz Xaver auslegen und
zwar aus der (Vor-) Sicht der
zwischenmenschlichen
kommunikativen
Situation unter Leitung eines philosophisch
zu gewinnenden
Botschaftsbegriffs.
Eine Theorie der Botschaft, eine Angeletik,
ist nicht ganz
selbstverständlich
obwohl oder gerade weil wir in einer
Informationsgesellschaft oder in
einer message society leben /2/.
Eine
solche Theorie
in Beziehung zu anderen vergangenen oder
gegenwärtigen
Verstehensentwürfen
des Botschaftsphänomens und somit zu anderen
Informationsgesellschaften
zu setzen, bleibt weiterhin ein Desiderat
der Forschung /3/.
Wenn unter dieser Prämisse die Analyse sich
mit Theorie und Praxis
der Botschaft bei Franz Xaver (1506-1552)
befaßt, dann ist dieses
Ziel nur innerhalb einer umfassenden
interdisziplinären Arbeit zu
erreichen. Das gilt sowohl in bezug auf die
Analyse des
Botschaftsphänomens bei Franz Xaver
als auch auf das
Verständnis dieses
Phänomens durch Franz Xaver selbst.
I.
ANGELETIK IM UMRISS
Die
Möglichkeit, andere
Menschen in ihrem Denken und Handeln zu
beeinflussen oder gar über
sie zu herrschen, hängt unter anderem damit
zusammen, inwieweit
der
Sender einer Botschaft für sich beanspruchen
kann, sie zu
bloßen
(Befehls-)Empfängern zu machen. Diese
Verteilungs- und
Herrschaftsstruktur Eins-zu-Vielen
kennzeichnet weitgehend
nicht nur die
Sendungen der
Massenmedien im 20. Jahrhundert, sondern
auch die angeletische
Struktur
früherer Kulturen, in denen die Hegemonie eines
Herrschers
durch das von ihm beanspruchte
Botschaftsmonopol sanktioniert wurde.
Diese
Struktur
wurde, zumindest
teilweise, in der abendländischen Tradition
durch die Entstehung
der
Philosophie in Frage gestellt. Ich bezeichne
diesen Vorgang als die
Geburt
der Philosophie aus dem Geiste der angelía
/4/.
Nicht die Götter dürfen Botschaften (mit
einem allgemeinen
und
imperativen Charakter) senden, sondern jeder
(männliche
Bürger
Athens) kann und soll sich fragen, was und
wem er (selten: sie) zu
sagen
hat und welche Begründung (lógos)
er für
eine einem anderen mitgeteilten
Meinung (doxa)
aufweisen kann.
Das Medium dieser doxologischen
Kultur im antiken Griechenland
war
die Oralität (lógos). Der
philosophische Dialog
versuchte
in Auseinandersetzung mit der
vertikal-hierarchischen Struktur
mythischer
Verkündung, menschliche Botschaften
horizontal-dialogisch
auszutauschen.
Die Geburt der Philosophie hängt mit der
Infragestellung des
hierarchischen
Mitteilungsmodus zusammen, ohne aber
aufzuhören sich
angeletisch
zu verstehen. Sie tut dies missionarisch
in Form
philosophischer
Schulen. An der Stelle der göttlichen und
dichterischen Sendung (angelía)
tritt, in unterschiedlichem Maße, die
philosophische Sendung (lógos)
ein. Die Möglichkeit, durch philosophische Schriften
eine
Botschaft
zu senden, die wiederum vom Empfänger zum
Gegenstand einer eigenen
Sendung gemacht werden kann, blieb bis zur
Erfindung des Buchdrucks
sehr
beschränkt. Was aber wie eine Substitution
aussieht, ist in
Wahrheit
die Transformation der dogmatischen
in die doxologische
Angeletik.
Die philosophía
bleibt, contre-coeur (?), philangelía.
Woher bekommen die philosophischen messages
ihre
Legitimität?
Nicht mehr von der Autorität von Göttern und
ihren Boten -
allen
voran Hermes und den Dichtern, worauf Platon
in seinem Dialog "Ion"
eingeht
- oder von den Herrschern und ihren
Vermittlern, sondern vom
gemeinsamen mit-den-anderen-geteilten
Logos. Die Frage
der
Legitimation
der horizontal ausgetauschten Botschaften,
die Wahrheitsfrage also, ist
der angeletische Stachel der Philosophie. Zu
Beginn rekurriert der
philosophische
lógos noch auf die mythische hierarchische
Struktur im Sinne der
Autorität des Senders: autós éphas,
'Er hat
das
gesagt', so pflegten die Schüler des
Pythagoras, des Namengebers
der
Philosophie, auf denjenigen zu antworten,
die wagten, die Meinung des
Meisters
in Frage zu stellen, wie Cicero in De
natura deorum (I, 10)
berichtet.
Paradoxerweise wird sich das Christentum der
Logos-Begrifflichkeit
bedienen,
indem es aber zugleich den Botschaftgedanken
in den Mittelpunkt
rückt.
Seit der Neuzeit sind vor allem wissenschaftliche
Autoritäten,
in deren Namen die prognostische Wahrheit
einer Mitteilung
bekräftigt
wird.
Die
Antike
kennt keine ausdrückliche téchne
angeletiké
oder ars nuntiandi,
wenn
man die Philosophie selbst nicht als eine
solche verstehen will. Es
gibt
aber eine ausgebildete philosophische und
theologische Engellehre sowie
eine sowohl im Christentum als auch in
anderen Religionen
unterschiedlich
aufgefaßte und gepflegte Praxis und
Reflexion der missionarischen
Verkündung der göttlichen Offenbarung und
der
dazugehörigen
Religionspädagogik /5/.
Die Engellehre
wurde
besonders durch die Aufklärung diskreditiert
/6/.
Über den säkularen Kern dieses Mythos haben
wir aber heute
keinen
Grund mehr zu Lachen, denn sie macht die
Realität unseres
Informationszeitalters
aus. Die Vorläufer einer anthropotechnischen
Botschaftstheorie
finden
sich seit Beginn des 20. Jahrhunderts in
Kybernetik und
Informationstheorie
sowie im Zusammenhang mit der Entwicklung
militärischer
Aufklärungstechnik
im Zweiten Weltkrieg /7/.
Das
Botschaftsphänomen
gewann an gesellschaftlicher Bedeutung in
der Neuzeit durch die
terrestrische
Globalisierung des Briefsverkehrs und in der
Gegenwart durch
individuelle
Kommunikationsmedien wie Fax und Telefon
sowie zuletzt durch die
elektronische
Vernetzung. Die electronic messages
haben eine paradigmatische
Bedeutung
für die entstehende Cyberkultur des 21.
Jahrhunderts.
Die
Kommunikationswissenschaften
haben in Anschluß an Marshall McLuhans
berühmten Spruch:
„The
medium is the message“ die Frage des
Mediums thematisiert /8/.
Ich möchte die von Mihai Nadin
vorgeschlagene Umkehrung dieses
Satzes,
nämlich: "Die Botschaft ist das Medium" /9/ ,
aufgreifen,
um den Blick auf das Phänomen der Botschaft
zu richten, worauf eigentlich
McLuhans Spruch selbst hinweist. Die
Medientheorie übersieht den
Botschaftscharakter
eines jeden Mediums. Weder sind aber Medien
nur Botschaften noch
reduziert
sich der Sinn von Botschaft auf das Medium.
Die hier anvisierte
Angeletik
versteht sich als eine interdisziplinäre
Wissenschaft, die sowohl
an technische als auch an
kulturgeschichtliche Problemstellungen
anknüpft /10/ und
sich an der
Schnittstelle
von Hermeneutik, Rhetorik, Pädagogik,
Informationstechnik,
Medienwissenschaft
und – Theologie befindet.
Die
Drucktechnik und die
modernen Kommunikationsmedien haben
wesentliche angeletische
Veränderungen
bewirkt. Das Privileg der Wenigen eine
Botschaft zu senden, wurde
allmählich
zur Möglichkeit der Vielen und sogar zu
einem Menschenrecht aller.
Zum antiken freedom of speech und
neuzeitlichen freedom of
the
press stellt sich heute als
Herausforderung das freedom of
access,
d.h. die Freiheit Informationen im globalen
Maßstab zu senden und
zu empfangen. Paradoxerweise zeichnen sich
die Massenmedien des 20.
Jahrhunderts
durch jene Eins-zu-Vielen-Struktur aus, die
durch die Buchkultur
aufgelockert
worden war. Ein Schriftsteller zu werden,
das Ideal der
bürgerlichen
europäischen Buchkultur, war zwar nicht für
jedermann, aber
auch
nicht prinzipiell nur für die Wenigen offen.
Nach der
Französischen
Revolution setzt sich in Europa mit der
Verstaatlichung der
Büchersammlungen
von Kirche und Adel die Idee des
öffentlichen Bibliothekswesens
durch.
Die Telefonie und zuletzt die elektronische
Weltvernetzung bringen uns
dem Zustand einer allgemeinen
Botschaftskultur näher, wo im
Prinzip
jeder – one-to-one, one-to-many,
many-to-one, many-to-many –
eine
Botschaft senden und empfangen kann. Das
Internet ist kein
Massenmedium,
wohl aber ein Medium für die Massen. Es hat
bereits eine
grundlegende
angeletische Veränderung im Leben von
Millionen von Menschen
bewirkt.
Eine Überbietung des Internet durch eine
ubiquitäre
Computertechnik
(ubiquitous computing) steht
unmittelbar bevor. Die Frage des
Vernetzt-
oder Nicht-vernetzt seins (digital divide)
wird dabei immer mehr zum
sozialen
Sprengstoff künftiger Gesellschaften und
ihres Zusammenlebens.
Kommunikation
und Macht sind zwei Seiten der einen
Welt.
Der
Ausdruck Angeletik
als Kennzeichnung für eine nur in Ansätzen
vorhandene Theorie
der Botschaft /11/,
bezeichnet demnach keine
Lehre
über heilige Boten und deren Botschaften.
Aber die Analyse
religiöser
Missionserfahrungen kann mehr als eine
Inspirationsquelle dafür
sein,
sofern sie nämlich eine theoretische und
praktische Quelle der
Reflexion
über die Phänomene des Meldens, Verkündens,
Mitteilens,
Informierens, Bekanntmachens, Kundtuns und
Dolmetschens darstellen. Die
Angeletik will aber nicht nur an das Moment
des Kundtuns oder
Offenbarens
in Mythos, Theologie und Philosophie
erinnern, sondern ebensosehr – um
das andere Ende der Skala anzudeuen – jene
Boten und Botschaften
analysieren,
die mit Absicht auf Profit alle möglichen
Waren und
Dienstleistungen
verkünden, ja den realen und/oder
digital-vermittelten Weltmarkt
selbst
als die wahre Botschaft preisen. Die
Botschaftstheorie ist aber
wiederum selbst weder ein euangelion
noch ein dysangelium.
Ihre Sache geht als Tatsache der
hermeneutischen Arbeit des
Erklärens
und Auslegens voraus. Als Botschaftstheorie
will sie der Tatsache
der Mitteilens Rechnung tragen, indem sie
diese zur Kenntnis
bringt.
Hermeneutik und Angeletik bleiben sowohl
theoretisch als auch praktisch
aufeinander angewiesen: Die Mitteilung einer
Botschaft setzt ein
Vorverständnis
als Grundlage einer Deutung voraus und
umgekehrt, nur durch die
Mitteilung
kann sich ein Vorverständnis (weiter)
ausbilden.
Während
die Medienwissenschaft
fragt: 'Was sind Medien?' geht die Angeletik
von der Frage aus: 'Was
sind
Botschaften?'. Wann genau sprechen wir von
Botschaften in Zusammenhang
menschlicher Kommunikation? In Anschluß an
Niklas Luhmanns
Unterscheidung
zwischen "Mitteilung", "Information" und
"Verstehen" /12/,
möchte ich den Botschaftsbegriff auf
"Mitteilung", d.h. auf das
"Sinnangebot"
beziehen. Botschaft im Sinne von
"Mitteilung" ist ein heteronomer
Begriff.
Sender und Empfänger können zwar ihre
Stellung wechseln, aber
nicht den Modus ihres Bezugs: Der Empfänger
kann als
Empfänger
keine Botschaft anfordern. Er kann aber
selber zum Sender werden und
damit
die Heteronomie umkehren. Ferner schließt
dieses Phänomen
das
Moment der Neuheit ein. Eine Botschaft
verursacht Überraschung
oder
zumindest Ungewißheit. Sie bewirkt eine
Differenz, was wiederum
mit
Gregory Batesons bekannter Definition von
Information als "ein Unterschied,
der einen Unterschied ausmacht"
übereinstimmt /13/.
Sie ist, zumindest aus der Sicht des
Senders, immer relevant für
den
Empfänger. Sie kann durch verschiedene
Medien oder Boten
übertragen
d.h. angeboten werden. Sie hat
einen, im umfassenden Sinne, sprachlichen
Charakter und schließt somit z.B. Bilder,
Töne und Gestik
ein.
Botschaften lösen beim Empfänger einen
Verstehensprozeß
aus, und zwar auch dann, wenn dieser das
Sinnangebot ablehnt. Der
Heteronomie
der Botschaft steht die Autonomie des
Deuters gegenüber.
Botschaften
sind also, so
können wir diese vorläufige Wesensdeutung
zusammenfassen,
eine
besondere Art von Sprechhandlungen, die auf
eine bestimmte Wirkung auf
den Empfänger zielen. Sie sind pragmatische
Mitteilungen.
Anstelle
einer Sprechhandlung können auch Gegenstände
als Botschaften
aufgefaßt werden. Die Sprechhandlung bleibt
dabei implizit. Wir
können
uns zwei extreme Formen seitens des Senders
bzw. des Empfängers
einer
Botschaft vorstellen: Auf der einen Seite
der Glaube eines Senders
und/oder
eines Boten, eine Botschaft für alle
Menschen aller Zeiten zu
besitzen
und, auf der anderen Seite, der umgekehrte
Glaube eines
Empfängers,
der alles als eine auf ihn gerichtete
Botschaft auffaßt. Beide
Fälle
sind als Verfallsformen vorstellbar, die
sich dann einstellen, wenn die
Kluft zwischen dem Kategorialen und dem
Transzendentalen, um es
Kantisch
auszudrücken, nicht wahrgenommen wird.
Universale heilige
Botschaften,
wie im Falle der Religionen, befinden sich
auch im Grenzbereich, sofern
sie nämlich den Unterschied zwischen Glauben
und Wissen nicht
aufheben
und ihre Glaubensverkündung als Sinnangebot
verstehen. Wir
können
Botschaften auch in bezug auf ihr Ziel, ihre
Form, ihren Inhalt und
ihren
Produzenten bestimmen, was aber hier nicht
weiter ausgeführt
werden
kann /14/. Franz Xaver
hatte eine starke, d.h.
universell
ausgerichtete heilige Botschaft. Zugleich
bemerkte er am 29. Januar
1552,
dass er "niemals schreiben könnte, wieviel
er denen in Japan
verdankt" /15/.
Der Überbringer der
christlichen Botschaft
empfand sich nach zwei Jahren auch als
dankbarer Empfänger der
Lehre
Japans.
II.
THEORIE UND PRAXIS DER BOTSCHAFT BEI FRANZ
XAVER
Der
Schwerpunkt
der folgenden
Analysen bilden einige Ereignisse in
Zusammenhang mit Franz Xavers
Japan-Mission /16/. Die
Japanfahrt begann in Cochin
(Indien) am 25.
April 1549 in Begleitung von P. Cosme de
Torres, dem Bruder Juan
Fernández
und drei zum Christentum bekehrten Japanern,
nämlich Antonio, Juan
und Pablo, der aus Kagoshima,
im Süden der Insel Kyushu, stammte –
jener Stadt wo die Gruppe am 15. August 1551
ankam und von Pablos
Verwandten
"mit viel Liebe" empfangen wurde (Doc. 90,
S. 369) /17/.
Karte von Asien, Judas
Hondius, um 1660
Quelle: Franz Xaver -
Patron der Missionen, op.cit. Abb. 9
Alle
drei hatten in Goa,
so Xaver, "lesen und schreiben gelernt" und
die
Exerzitien gemacht (Doc. 85, S. 349). Im
selben Brief aus Malakka
schreibt
Xaver über sein Missionsziel: "Wenn wir in
Japan ankommen, sind
wir
entschlossen, auf die Insel zu fahren, wo
der König wohnt, und ihm
die Botschaft darzulegen, die wir von Jesus
Christus haben." (Doc. 85,
S. 351) /18/. Wir
sind im Zeitalter der
"terrestrischen
Globalisierung" (Sloterdijk) /19/.
Sie vollzieht
sich
zu Wasser und zu Land. Ferner stellen Briefe
ein wichtiges Medium der
Gemeinschaft
dar. Xavers Korrespondenz ist dafür ein
eindrucksvolles Zeugnis.
Dabei
ist aber zu berücksichtigen, dass der
Briefverkehr zwischen Goa
und
Rom etwa acht Monate dauerte (Doc. 59, S.
237). Die
christlich-jesuitische
Gemeinschaft wird besonders durch die
"Exerzitien" zusammengehalten.
Vortrag,
Meditation und Gebet stellen sozusagen die
Beziehung der Boten
untereinander
sowie zu jenem Sender her, von dem die zu
verbreitende Gute Botschaft (euangelion)
stammt /20/. Ein
solches tele-metaphysisches
Netz
zwischen dem Sinnlichen und dem
Übersinnlichen funktioniert nach
genauen
Regeln, wozu vor allem jene Ignatianischen
"Regeln für die
Unterscheidung
der Geister" gehören, die in den auch
ethisch gemeinten Regulae
ad directionem ingenii (1628) des von
den Jesuiten erzogenen
René
Descartes eine säkulare Übersetzung finden /21/.
Allerdings, schrieb Xaver an P. Gonzalo
Rodriguez am 22. März
1552,
"Gott unser Herr weiß wieviel lieber ich
Euch sehen als schreiben
würde, denn es gibt viele Dinge, die man
viel besser macht durch
Worte
und leibliche Anwesenheit als durch Briefe."
(Doc. 102, S. 439)
Eine
so
gebildete (Heils-)Gemeinschaft
verfügt ad intra über ein
Vorverständnis, das
bei
der Botschaftsverkündung nicht vorausgesetzt
werden kann. Das gilt
natürlich für den harten Kern
der
Heilsbotschaft,
sofern dieser auf einer übernatürlichen
Offenbarung basiert.
Da eine solche Offenbarung aber wiederum in
diesem Fall kategorial oder inkarniert
stattfindet, ergibt sich ad extra
ein
spezifisches
angeletisches Dilemma, das darin besteht,
entweder den Inhalt der
christlichen
Heilsbotschaft so an das Vorverständnis des
Empfängers
anzupassen,
dass dabei das eigentlich Überraschende und
eine Differenz
Erzeugende
bis zur Unkenntlichkeit verwischt wird oder
dieses in einer kulturellen
Form wiederzugeben, die vom fremden
Empfänger im wahrsten
Sinne
des Wortes nicht verstanden wird. Wenn also
der
Botschaftsüberbringer erfolgreich
sein will, tut er gut
daran, sich über
den Anderen,
seine Kultur und seine Sprache, zu
informieren und – ins Gespräch
mit ihm zu kommen.
Xaver
läßt sich
von Pablo Einiges über die Wesensart der
Japaner erzählen. So
zum Beispiel, dass sie geistige Übungen
praktizieren, die aus
einem
Vortrag, einer einstündigen Meditation und
einem sich
anschließenden
Gespräch bestehen /22/.
Gegenstand der
Meditation
ist zum Beispiel, was die Seele im
Augenblick des Todes dem Körper
sagen würde. Ferner will Xaver im voraus
wissen, ob Pablo sich an
irgendeinen gepredigten Grundsatz erinnert,
worauf dieser z.B. auf
stehlen
und lügen hinweist und hinzufügt, dass die
Japaner einen
großen
Wissensdrang haben (Doc. 85, S.
353-354; Doc. 59, S. 234). Zwei
Jahre
später wird Xaver bemerken, dass dieser sich
auf die "Sphäre"
d.h. auf die Himmelserscheinungen bezieht.
Er wird empfehlen, dass
diejenigen,
die nach Japan in seiner Nachfolge kommen,
"Sophisten" sein sollten,
geübt
in der Kunst der Dialektik, um die Anderen
von der Botschaft zu
überzeugen,
so dass ihre Einwände sich als
widersprüchlich erweisen (Doc.
110, S. 467). Pablo hatte ihm erzählt, dass
die Japaner ihn viele
Fragen stellen und besonders darauf achten
würden, ob er so lebte,
wie er predigte (Doc. 59, S. 234).
Xaver
läßt sich
auch vom
Kapitän Jorge Alvarez, einem befreundeten
portugiesischen
Händler,
einen schriftlichen Bericht über die Japaner
erstellen, in dem
dieser
erzählt, dass die (Yamabushi-)Priester wie
Laien gekleidet sind,
Waffen
tragen und sich den für Buddhisten typischen
"Juzu" (Rosenkranz)
um
den Hals binden. Laut Alvarez würde Xaver
mehr Erfolg mit seiner
Mission
in Japan als in Indien haben, da die Japaner
"sehr verständige
Leute
sind" ("gente de mucha razón") (Doc. 59, S.
234-235) /23/.
Bereits anhand dieser Hinweise wird klar,
mit welchen gewaltigen
interkulturellen
Fragen nicht nur die Missionare, sondern
auch die Händler
konfrontiert
waren. Dass Xaver sich von Alvarez berichten
läßt, zeigt,
dass
er sich, bei aller Verschiedenheit der
jeweiligen Botschaften und der
damit
verbundenen Ziele, über gemeinsame Probleme
bewußt war. Zu
den
letzteren gehörten auch die Naturgewalten:
Wenn von drei Schiffen,
die nach Japan starteten, drei ankamen, war
das eine große
Rettung!
(Doc. 85, S. 352). Alvarez' Hinweis auf die
Verständigkeit der
Japaner
zeigt wiederum sein Einfühlungsvermögen
bezüglich
dessen,
worauf es bei der Xaver interessierenden
Sache auch ankam, nämlich
auf ein Sinnangebot, das im Gespräch
ausgehandelt wird.
Das
Sprachproblem stand naturgemäß
im Mittelpunkt von Xavers Vorbereitungen.
Der bei seiner Ankunft in
Japan
22 Jahre alte Bruder Fernández lernte
Japanisch auf der Reise
und
wurde auch Dolmetscher des 45 Jahre alten
Xaver und des 38 Jahre alte
Torres.
Paul war sprachbegabt: Er hatte innerhalb
acht Monate, so berichtet
Xaver,
Portugiesisch in Wort und Schrift gelernt
(Doc. 70, S. 282) und kannte
das Matthäusevangelium auswendig, das er mit
japanischen
Schriftzeichen
niedergeschrieben und in mehreren Teilen
eingeteilt hatte, so dass er
es
besser behalten konnte /24/.
Da er aber von den
gelehrten
Quellen des Buddhismus vermutlich wenig
Ahnung hatte /25/,
waren er und Xaver einer doppelten Gefahr
ausgesetzt: Zum einen, der
verhängnisvollen
Verwechslung (Homonymie) von zentralen
christlichen und japanischen
Begriffen,
zum anderen des wechselseitigen
Mißverständnisses
(Äquivokation).
Am Anfang waren sie schweigsam "wie
Statuen", da sie die Sprache nicht
kannten. Xaver selbst bemühte sich, sie
"nach Kindesart" zu
erlernen
(Doc. 90, S. 380).
Er
war
sich
bewußt,
dass
der Erfolg seiner Mission nicht zuletzt von
seinem Verhältnis
zu den herrschenden Schichten abhängen würde.
Das
läßt
eine doppelte angeletische Strategie, nämlich
eine top-down
und eine bottom-up, erkennen. Nicht zu
vergessen ist dabei,
dass
Juan III, König von Portugal, Xaver vor seiner
Abreise nach Indien
1541 die Ernennung als päpstlicher Nuntius für
Ostindien
überreicht
hatte. Zur top-down-Strategie gehörte zum
Beispiel sein Besuch am
Hof von Bungo bei Ôtomo Yoshishige – jenem 22
Jahre alten Herzog,
der später zum Christentum konvertierte und den
Namen Francisco
annahm,
dem die oben erwähnten Gärten im Daitoku-ji
Kloster gewidmet
sind – sowie beim japanischen Kaiser in "Miyako"
(Kyôto). Er sei
dazu entschlossen, schrieb er an Ignatius am 12.
Januar 1549, zuerst
beim
"König" vorstellig zu werden, um die
Missions-Erlaubnis zu
bekommen.
Ignatius
von
Loyola und Franz Xaver beim Studium in Paris,
Kupferstich
Quelle: Franz Xaver. Patron der Missionen, op.cit.
Abb. 5
Sie
bekamen
aber keine Audienz und als sie erfuhren,
dass der Kaiser keine
Macht hatte, bemühten sie sich nicht mehr
darum (Doc. 96, S. 407).
"Nach 11tägigen Aufenthalt in Kyôto", so
Aoyama, "kehrten
Xaver
und seine Gefährten nach Sakai zurück und
von da nach Hirado.
Bei dieser Rückreise, die in der Zeit von
Ende Januar bis Anfang
März
erfolgte, litten sie viel mehr als früher
unter Kälte,
Schnee,
Eis und Wind. Trotz der großen
Reisestrapazen übte Xaver
dennoch
verschiedene Liebesdienste auf dem Weg." Er
nahm z.B. "von den
Herbergen
einige trockene Früchte mit, die man ihm für
sein Geld gab
und
die er in seine Brust oder die Ärmel
steckte; und wo er Kinder auf
den Straßen spielen sah, teilte er davon
unter sie aus und gab
ihnen
seinen Segen." /26/
Damit sind wir bei der bottom-up-Strategie
angekommen
und bei dem, was die Japaner sehr schätzten,
nämlich
jemand der genau so handelt, wie er predigt
("si vivía conforme
a lo que hablaba") (Doc. 59, S. 234).
Allerdings, so stellte Torres
fest,
wurden sie "viele Male von den jungen
Burschen mit Steinen beworfen".
Sie
waren "immer zu Fuß und viele Male barfuß
wegen der sehr
großen
Flüsse, die es in diesem Lande gibt (denn es
regnet in ihm fast
immer)". /27/
Über
die
Reise von Yamaguchi
zu Ôtomo Yoshishige nach Bungo, die etwa
fünf bis sieben
Tage
in Anspruch nahm, berichtet
Schurhammer:
"Xaver
reist fast
Mitte September mit 2 christlichen
Fidalgos, sowie Bernardo und Matheus
von Yamaguchi ab, seinem Brauch gemäß zu
Fuß, ein
Bündel
mit dem Altarstein, Meßkelch und den
Ornamenten auf dem
Rücken,
die er als heilige Dinge nie einen anderen
tragen ließ, um sich
in
einem Hafen der Provinz Suwô nach Bungo
einzuschiffen. Er war
bereits
2 Tage unterwegs und seine Füße waren
angeschwollen, da er
ein
Jahr lang nicht mehr gewandert war, als er
einige Portugiesen traf, die
ihm entgegengeritten waren. Duarte da Gama
hatte sie mit einem Fahrzeug
übers Meer zur Gegenküste von Suwô
geschickt, den Pater
abzuholen, und sie waren von dem Hafen
eine halbe Meile
landeinwärts
geritten, bis sie ihn trafen. Da er das
angeborene Reittier ablehnte,
begleiteten
sie ihn zu Fuß bis zum Hafen, wo er ihr
Fahrzeug bestieg und mit
ihnen nach Bungo zum Hafen von Figi fuhr,
wo er das Portugiesenschiff
Duarte
da Gamas traf und sich von den beiden
japanischen Fidalgos
verabschiedete,
die ihn im Namen aller Christen Yamaguchis
bis dahin begleitet hatten." /28/
Hervorheben
möchte ich
dabei Xavers "angeschwollene Füße", die zu
jenen
körperlichen
Strapazen gehören, die er bei der
Verbreitung seiner Botschaft
teilweise
freiwillig auf sich nahm: Sein Leib war
Teil seiner Botschaft.
Der
Lohn dafür war die Genugtuung ("placer"),
die er empfand, als er
die
"Heiden" in Disputationen überzeugen und
bekehren konnte (Doc. 96,
S. 4419).
Er
bewundert
das asketische
Leben der Japaner, ihr sparsames Essen,
"wenngleich nicht so ganz beim
Trinken, und sie trinken Reiswein, denn es
gibt kein Weinbau in diesen
Gegenden" (Doc. 90, S. 370). "Sie töten und
essen nicht das, was
sie
züchten, manchmal essen sie Fisch und Reis
und Getreide,
wenngleich
wenig" (Doc 90, s. 381). Die Leute sind
gesund und werden alt: "Wir
leben
in diesem Land körperlich sehr gesund. Möge
Gott, dass es
unseren
Seelen auch so geht!" (Doc. 90, S. 381-382)
Japan ist ein kaltes Land
und
es gibt keine Betten (Doc. 110, S. 467).
"Diejenigen, die in diesen
Ländern
leben, sind diskret und scharfsinnig. Aber
es gibt nur Reis zu essen.
Auch
etwas Getreide und Gemüse und andere Dinge
von wenig Substanz. Sie
machen Reiswein und es gibt keinen anderen,
und dieser ist teuer und
wenig.
Und die größte Herausforderung sind
die ständigen
und offensichtlichen Todesgefahren." (Doc.
97. S. 423). Xaver hält
vor allem Flamen und Deutsche als besonders
geeignet für die
Japan-Mission,
sofern sie nämlich wegen mangelnder
Sprachkenntnisse in Spanien
oder
Italien nicht predigen können und – mit
einem kalten Klima besser
auskommen (Doc. 97, S. 423). Nach
zweieinhalb Jahren hatte Japan sein
Haar
gebleicht /29/.
Über die Begegnung mit
Ôtomo
Yoshishige schreibt Schurhammer:
"Yoshishige
wünschte ein Freundschaftsbündnis mit dem
König
Portugals
zu schließen. Er hörte den Pater mit
Interesse an, als er
ihm
vom christlichen Glauben sprach. Er gab
ihm gern die Erlaubnis, in
seinem
Lande zu predigen, und ließ ihm eine
Wohnung in Okinohama
anweisen,
wo das Schiff Duarte da Gamas vor Anker
lag und die Portugiesen ihre
Waren
verkauften, und ließ es an
Aufmerksamkeiten aller Art nicht
fehlen
und ihn aufs beste mit allem versorgen.
Zur sofortigen Annahme des
christlichen
Glaubens und dessen strengen
Sittenvorschriften konnte er sich freilich
noch nicht entschließen. Mußte er ja auch
fürchten,
dadurch
seinen immer noch recht unsicheren Thron
zu gefährden, da manche
seiner
mächtigen Vasallen einen solchen Schritt
zum Anlaß nehmen
konnten,
sich gegen ihn zu erheben." /30/
Fast
dreißig
Jahre später,
als er im Jahre 1578 zum Christentum
konvertierte, erzählte
Yoshishige
wie er 1545 von einem portugiesischen
Kaufmann namens Diego Vaz
beeindruckt
war:
"Da
fragte ich ihn,
ob er zu den Kamis und Hotokes (= den
shintoistischen und
buddhistischen
Göttern) bete. Er aber lachte und sagte,
er bete nur den
Schöpfer
des Himmels und der Erde an, den Erlöser
der Welt. Diese Worte
habe
ich nie vergessen, und es schien mir, wenn
er als Kaufmann und Laie
trotz
aller Geschäfte sich täglich die Zeit zum
Gebet nehme, dann
müsse
es etwas Wichtiges sein um die Verehrung
seines Gottes." /31/
Von
Paul
wußte Xaver,
dass die Japaner ihr "Gesetz" von Indien
über China bekommen
hatten,
worüber er Ignatius einen langen Bericht
("muy larga
información")
schreiben will (Doc. 70, S. 282). Am 5.
November 1549 erzählt er
von
einer Begegnung in Kagoshima mit einem
Weisen /32/
namens
"Ninxit" (Ninshitsu), der im Gespräch
unschlüssig war, ob die
Seele unsterblich ist oder nicht: "einmal
sagt er mir ja, andere Male
wiederum
nein". Dazu bemerkt Aoyama:
"Der
Begriff "Seele"
ist in den Zen-Sekten nämlich von dem des
Christentums sehr
verschieden.
Das absolute Wesen, das der Welt und der
Seele innewohnt, wurde bei den
japanischen Zen-Mönchen verschieden
benannt: "Kokoro" (das Herz),
"Ware" (das Ich) usw. Man machte aber
dabei einen klaren Unterschied
zwischen
diesem Absoluten und dem Ich im
gewöhnlichen Sinne, welches man
oft
auch "Shôga" (das kleine Ich) nannte und
von dessen egoistischen
Neigungen man sich zu befreien suchte. Im
religiösen Gespräch
der Zen-Mönche konnte darum häufig
dasselbe Wort zwei
voneinander
verschiedene Wesen bezeichnen, wie das
Wort des hl. Paulus "Ich lebe -
nein nicht mehr ich, sondern Christus in
mir"." /33/
Xavers
Übersetzer Paul,
war bei einer solchen gelehrten Diskussion
offensichtlich
überfordert.
Xaver fürchtete, dass die anderen Gelehrten
nicht so sind wie
dieser
"sein Freund, der wunderbar ist". Alle,
Priester und Laien, wundern
sich
aber, so Xaver, dass sie von so weit her
kommen ("que son más de
seis mil leguas"), "bloß um über diese Dinge
über Gott
zu sprechen, und wie die Leute ihre Seelen
retten können, indem
sie
an Jesus Christus glauben, und indem wir
sagen, dass wir in diese
Länder
kommen, weil es Gottes Wille ist" (Doc. 90,
S. 372). Ein Grund für
die Echtheit dieser Freundschaft findet
Aoyama in der folgenden von Br.
Almeida tradierten wunderbaren Anekdote, die
er in Kagoshima von
Ninshitsus
Schülern erfuhr und welche auch nicht nur
die Identität und
die
Differenz, sondern auch das gegenseitige
Nicht-Verstehen zwischen
Christen
und Zen-Buddhisten versinnbildlicht:
"Jene
Bonzen (in
Fukushô-ji) haben den Brauch, daß sie sich
in einem Jahre
100
Tage lang für eine oder zwei bestimmte
Stunden in Betrachtung
versenken,
was sie Zazen nennen... In ihrer
Körperhaltung zeigen sie eine
solche
Bescheidenheit, Sammlung und Ruhe, als
wären sie in
göttlicher
Beschauung verzückt. Als P. Magister
Francisco einmal mit diesem
alten
Bonzen, dem Oberen des Klosters, durch den
gemeinsamen Raum schritt, wo
alle Bonzen (gerade) damit beschäftigt
waren, ihre Betrachtung zu
halten, fragte der Pater Ninjit: 'Was tun
diese Ordensleute hier?' Da
lächelte
jener und antwortete ihm: 'Die einen
berechnen, wieviel sie die
vergangenen
Monate von ihren Gläubigen eingenommen
haben; andere
überlegen,
wo sie bessere Kleider und Behandlung für
ihre Person bekommen
können;
andere denken an ihre Erholungen und ihren
Zeitvertreib; kurz, keiner
an
etwas, das irgendwelche Bedeutung hätte."
/34/
Das
Interesse der
Gebildeten
an den Missionaren mag auch darin begründet
gewesen sein, wie
Aoyama
bemerkt (S. 76), dass diese nicht aus
Europa, sondern aus Tenjiku
(Indien),
der Heimat Buddhas, kamen. "Die Leute
bewunderten Paul", so Aoyama,
"weil
er als erster Japaner Indien gesehen hatte."
(S. 48) Das Interesse der
Herrschenden lag sicherlich auch an den von
den Portugiesen
mitgebrachten
Waren und Waffen sowie an der Möglichkeit,
durch den neuen
Glauben,
sich Machtverhältnisse zu sichern. Am 5.
November 1549 berichtet
Xaver
aus Kagoshima von seinem Vorhaben, die
"Grundsätze des Glaubens"
durch
Paul ins Japanische übersetzen und drucken
zu lassen, denn "die
wichtigsten
Leute können lesen und schreiben" und "wir
können nicht
überall
hinfahren" (Doc. 90, S. 387). Sie
verfertigten eine lateinische
Transkription,
die des Japanischen nicht kundigen
Missionare auf Straßen laut
vorlesen
konnten (Doc. 96, S. 405-406). Schurhammer
schreibt:
"Eine
gewisse Methode
war bereits festgelegt. Der Katechismus,
das in Kagoshima
verfaßte
Buch, von dem die Neubekehrten in
Yamaguchi bereits Abschriften in
sino-japanischer
Schrift hergestellt hatten, diente als
Grundlage für den
Unterricht.
An dessen Lesung schlossen sich Ansprachen
und an diese Disputationen
an,
bei denen der sprachgewandte Bruder
Fernández als Dolmetscher
diente.
Mit Hilfe von Auszügen, welche die
Neubekehrten aus den
buddhistischen
heiligen Büchern machten, hatte man die
Hauptlehren der einzelnen
Sekten und ihre Überlieferungen über das
Leben ihrer
Hauptgötter
Shaka und Amida kennengelernt und
bestimmte Fragen für jede Sekte
zusammengestellt, die man deren Anhängern
bei deren Besuch
vorlegte,
sowie die Argumente, die ihre Irrtümer
widerlegten. Für den
Gottesnamen
war der Ausdruck Dainichi durch das
lateinische Deus ersetzt worden, um
Mißverständnisse bei den Buddhisten zu
vermeiden. Was aber
die
von den abendländischen so verschiedenen
Sitten und Gebräuche
Japans betraf, war Xaver für weitgehende Anpassung.
'Wenn
etwas',
so legte er Torres ans Herz, 'keine
Beleidigung Gottes ist, dann
scheint
es das Vorteilhafteste zu sein, nichts zu
ändern, falls eine
Änderung
nicht mehr zum Dienste Gottes gereicht.'
Und das wollte er verstanden
wissen
von der Kleidung, dem Essen und ähnlichen
Dingen, die in sich
indifferent
waren, deren Änderung aber Ärgernis geben
konnte." /35/
Die
Nutzung des
lateinischen
Ausdrucks Deus sollte also zur
Unterscheidung zwischen dem
wahren
Gott der Missionare und dem falschen
Gott der Shingon-Sekte,
dem
als Erzeuger der Welt angebetenen
"Dainichi", dienen. In Wahrheit aber,
so berichtet Xaver am 29. Januar 1552 aus
Cochin, klang der
lateinische
Ausdruck wie "Dayuzo", was soviel wie "große
Lüge" bedeutet.
Ein gutes Argument, um sich dem neuen Gott
nicht anzuschließen
und
um darüber zu spotten (Doc. 96, S. 413-414)
und ein Beispiel auch
dafür, wie eine angebliche Lösung des angeletischen
Dilemmas,
des Übersetzers-Dilemmas also, auch und
gerade in prinzipellen
Fragen,
sich ins Gegenteil verkehren kann: Anstelle
einer Unterscheidung findet
eine Äquivokation statt. Für einen nicht nur
im christlichen
Glauben, sondern auch in der abendländischen
Prinzipien-Metaphysik
wurzelnden Missionar war dies der Weg der
Dialektik. Nach jeder Predigt
gab es, wie Xaver mehrmals betont, "sehr
lange Disputationen" (Doc. 96,
S. 407). Der Weg des Herzens führte
zwar, wie im Falle der
Freundschaft mit Ninshitsu, zu einer
gemeinsamen menschlichen
Ebene,
ohne aber von hier aus die Perspektive des
Anderen annehmen zu
können.
Auf
Xavers
Wunsch verfertigte
Fernández die spanische Übersetzung des
Protokolls einer
solchen
Disputation, die er im Auftrag von P. Torres
in japanischer Sprache
aufgeschrieben
hatte. Hier ein kleiner Auszug, der
teilweise auch in einem Brief
Xavers
zu finden ist (Doc. 96, S. 408-409):
"Zuerst
kamen
viele Zen-shû, Patres und Laien.
Wir fragten sie,
was
sie täten,
um Heilige zu werden. Sie antworteten
lachend: es gebe keine Heiligen;
es sei also gar nicht notwendig, sich
seinen Weg zu suchen. Denn
nachdem
jenes große Nichts ins Dasein
getreten sei, könne es
nichts
anderes tun, als sich wieder ins Nichts zu
verwandeln.
Wir fragten
sie
viele Dinge,
um ihnen klarzumachen, daß es ein
Prinzip gebe, das allen
anderen
Dingen ihren Anfang gibt.
Sie gaben
zu,
daß
dem so sei, indem sie sagten: 'Dies ist
ein Prinzip, aus dem alle Dinge
hervorgehen: Menschen, Tiere, Pflanzen.
Jedes geschaffene Ding hat in
sich
dieses Prinzip und wenn der Mensch oder
das Tier sterben, dann
verwandeln
sie sich in die vier Elemente, in das, was
sie waren, und dies Prinzip
kehrt zurück in das, was es ist.' Dieses
Prinzip, sagen sie, ist
weder
gut noch böse, hat weder Seligkeit noch
Schmerz, stirbt nicht und
lebt nicht, so daß es ein Nichts ist.
[...]
Andere
kamen und
fragten: 'Was ist Gott?'
Wir
antworteten
ihnen: 'Von
allen Dingen, die es gibt, wissen wir, daß
sie einen Anfang
hatten.
Wir wissen aber wohl, daß sie nicht aus
sich selber ihren Anfang
nahmen. Darum gibt es ein Prinzip, das
ihnen allen ihren Anfang gab.
Dies
hatte keinen Anfang und wird kein Ende
haben, und dies nennen wir in
unserer
Sprache Gott.'
Sie
fragten, ob
er einen
Körper habe, und ob man ihn sehen könne?
Wir
antworteten
ihnen [...]" /36/
Eine
solche
Disputation setzt
gegenseitige Kenntnisse etwa der
griechischen Metaphysik und ihrer
scholastischen
Umdeutung, der christlichen Schöpfungslehre,
der Buddhistischen
Auffassung
des Nichts, des Ignatianischen "Principio y
Fundamento" usw. voraus,
will
sie mehr als eine sophistische Übung
sein. Die "Bonzen",
so
Xaver, widmen sich der Meditation und manche
kommen dabei sogar auf den
Gedanken eines "Prinzips". Da sie aber keine
Bücher und folglich
auch
"keine Autoritäten" darüber haben, teilen
sie dies den
anderen
nicht mit (Doc. 96, S. 416). Diese Bemerkung
ist nicht nur interessant
bezüglich der dem Buch beigemessenen
Bedeutung als Medium und
Legitimationsinstanz,
sondern auch bezüglich des Hinweises auf die
eigene Suche
eines
Denkweges, der unter Umständen dorthin
führt, wo der Andere
sich
befindet. Allerdings wird dies hier
von Xaver nur einseitig
wahrgenommen.
Aoyama
berichtet, dass im
16. Jahrhundert, die Japaner nicht so sehr
die Kraft und die
Intelligenz
des Menschen hochschätzten, "sondern das
zartsinnige Gefühl
der
Liebe und das Leiden um der Liebe willen.
Die duldenden
Shintô-Gottheiten
[...] wurden vom Volk hoch verehrt. Nach dem
Glauben des damaligen
Volkes
verdienten diese Gottheiten durch ihr Leiden
bzw. durch ihren
leidvollen
Tod das Glück ihres Sohnes und wurden durch
diesen Sohn wieder vom
Leiden befreit oder ins Leben
zurückgebracht. In den
zeitgenösischen
Gemälden ist das Leiden bzw. der leidvolle
Tod dieser Gottheiten
aus
tiefer Verehrung ihres Leidens sehr
ausdrucksvoll und schmerzvoll
dargestellt." /37/
Kein Wunder also, dass die
einfachen Leute
während einer Straßenpredigt anfingen zu
weinen, als es beim
Leben Christi um seine Passion ging, wie
Xaver berichtet (Doc. 96, S.
406).
Über Xavers bottom-up-Methode
schreibt Aoyama: "Xaver
predigte
häufig auch dem gewöhnlichen Volk vor dem
Haupteingang des
Fukushôji-Klosters.
Vermutlich las er dabei bloß aus seinem
Katechismus vor, den er
im
Winter 1549 bis 1550 mit seinem Dolmetscher
Paul auf japanisch
verfaßt
hatte, und ließ Paul dem Volk das Gelesene
erklären." /38/
AUSBLICK
Jenseits
seines
missionarischen
Selbstverständnisses und auch dessen seiner
Zeit lag aber wohl der
Gedanke, nicht bloß mit Buddhisten zu
disputieren, um sie zu
bekehren,
sondern etwa mit ihnen zu meditieren und
sich einer anderen
kategorialen
Erfahrung des Göttlichen zu öffnen, ein Weg,
den Spätere
in unterschiedlicher Weise gegangen sind.
Ich denke dabei zum Beispiel
an Enomiya Lasalle, Teilhard de Chardin,
David Steindl-Rast, Karl
Rahner,
Hans Küng oder – Pedro Arrupe /39/.
Xaver
selbst hat von Japan nicht nur viel gelernt,
sondern er hat Freunde
gewonnen.
Er schreibt den europäischen Mitstreitern
aus Cochin am 29. Januar
1552:
"Über
Japan
gibt es so viel zu schreiben, dass es kein
Ende nehmen würde. Ich
fürchte, dass das, was ich geschrieben
habe, Viele ärgern
wird,
weil es viel Lesen bedeutet. Ich tröste
mich aber damit, dass
diejenigen,
die sich wegen des Lesens ärgern, sich
diesen Ärger
entledigen
können, indem sie nicht mehr lesen. Womit
ich Schluß mache,
ohne abschließen zu können, indem ich
meinen geliebten
Patres
und Brüdern über so große Freunde
schreibe, wie dies
die
Christen in Japan sind." (Doc. 96, S. 420)
Eine
von Br.
Almeida überlieferte
Episode zwischen Xaver und Ninshitsu besagt,
dass Xaver ihn gefragt
hätte,
welche Zeit ihm als die bessere erscheine,
die Jugend oder das Alter,
in
dem er bereits stehe:
"Nachdem
er
ein
wenig nachgedacht hatte, gab er zu
Antwort: die Jugend. Nach dem Grund
befragt, sagte er, dann sei der Körper
noch frei von Krankheiten
und
Beschwerden, und man habe noch die
Freiheit, ungehindert zu tun, was
man
begehre. Darauf erwiderte ihm der Pater:
'Wenn Ihr ein Schiff
sähet,
das vom Hafen ausgefahren ist und das
notwendigerweise zu einem anderen
gelangen muß, wann könnten sich dann die
Passagiere mehr
freuen,
wenn sie noch mitten im offenen Meer sind,
den Winden, Wellen und
Stürmen
ausgesetzt, oder wenn sie sich schon dem
Hafen nahe sehen und anfangen,
durch die Barre einzulaufen, um darin von
den früheren
Schiffbrüchen
und Stürmen auszuruhen?' Darauf antwortete
Ninjit: 'Pater, ich
verstehe
Euch sehr gut, ich weiß wohl, daß
natürlicherweise der
Anblick des Hafens angenehmer und
freudiger ist für jene, die in
ihn
einzulaufen haben. Da ich aber bis jetzt
noch nicht im klaren bin und
mich
noch nicht entschlossen habe, welcher
Hafen der bessere ist, so
weiß
ich nicht, wie und wo ich landen muß." /40/
Der
öfter in
Seenot geratene
Xaver wirft eine metaphysische Frage auf,
die ein ebenfalls mit dem
Meer
und den Häfen vertrauter Japaner
lebensweltlich beantwortet. Es
wäre
nämlich fatal, so scheint Ninshitsu
anzudeuten, man würde
einen
fahrenden Kaufmann, die Vorstellung von einem
idealen und
absolut
sicheren Hafen näher bringen wollen, während
er in Wahrheit
die
Erfahrung macht, dass das Loslassen von
dieser Idee, seine Existenz als erfahrener
weil fahrender und heute wohl auch surfender
Kaufmann erst möglich macht. Mit anderen
Worten, er möchte
die
Güter und ihre Sicherheit nicht gegen das
Leben, gegen Nichts
also,
umtauschen – auch im Alter nicht.
Welchen
Nutzen
haben diese
Erfahrungen und Überlegungen im Hinblick auf
die Herausforderungen
des gegenwärtigen interkulturellen Dialogs
vor allem auf der Basis
der digitalen Weltvernetzung? Diese ist
weder ein böser Dämon
noch ein bloßes Werkzeug
marktwirtschaftlicher
Zweckrationalität.
Sie öffnet die Möglichkeit einer
Abschwächung der
massenmedialen
Herrschaftsstrukturen des 20. Jahrhunderts.
Die Frage ist nur: Was
haben
wir uns zu sagen?
Eine
Theorie
der Botschaft
kann einen Beitrag zur Kritik heutiger
techno-missionarischer
Ambitionen
leisten. Sie versteht sich dabei auch als
Teil einer affirmativen
Medienphilosophie,
die ein vielfältiges Gelingen des
Menschseins in einer
weltumspannenden
message-Kultur anvisiert. Eine Kernfrage
dieser Kultur wird sicherlich
sein, inwiefern wir uns dem Wort des
Anderen öffnen auch
und
gerade, wenn wir meinen, eine universale
und/oder sogar heilige
Botschaft
zu besitzen.
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