Einleitung
Das
Verhältnis zwischen
Ethik, Recht und Politik hat eine lange Tradition in der
abendländischen
Philosophie. In grober Annäherung läßt sich sagen, dass
die griechische Antike sowohl in der platonischen als auch in der
aristotelischen
Tradition auf eine differenzierte Einheit orientiert war, während
die Neuzeit eine Spaltung zwischen Recht und Moral herbeiführte.
So
spricht
Platon in den
"Gesetzen" mehrmals über die Nützlichkeit von "Einleitungen"
(proimia), wodurch die Anordnung, die durch Androhung (bia)
durchgesetzt werden soll, in einen sittlichen Kontext gestellt wird
(Nom.
722 d). Die "Proömien" sollen den Adressaten überreden (peitho),
dem Gesetz freiwillig zu gehorchen. Platons Dialog selbst geht in Form
eines nicht-juridischen und gesetzeskritischen Diskurses über die
Gesetze hinaus, indem er nicht auf einzelne Gesetzesregelungen, sondern
auf die Legitimationsgrundlagen des Strafrechts sowie auf die Natur des
Gerechten überhaupt hinzielt. Dadurch kommt auch das spezifische
platonische
Spannungsverhältnis zwischen Ethik und Recht oder zwischen
Philosophie
und Politik zum Ausdruck (Thanassas 2002). Auch Aristoteles hat
besonderen
Wert darauf gelegt, die Verwirklichung der Tugend im Rahmen der polis
aufzufassen, ohne sie mit dieser gleichzusetzen. Die politische und
gesetzgeberische
Praxis erfordert für Aristoteles eingehende ethische Beratung, die
auf der Basis von Moralität (ethos) stattfindet (Capurro
2002).
Die
neuzeitliche Spaltung
zwischen Recht, Politik und Moral läßt sich sowohl in der
angelsächsischen
Tradition seit Hobbes als auch in der Kontinentalphilosophie sei Kant
feststellen.
Die Hegelsche Tradition bis hin zu Habermas sowie der Pragmatismus in
Anschluß
an Pierce und Rorty suchen unterschiedliche Wege der Vermittlung
zwischen
den Sphären des Rechts, der Politik und der bürgerlichen
Gesellschaft
(civil society), nicht zuletzt auf der Basis von Massenmedien
und
Internet. Wichtig scheint es mir dabei, dass der gegenwärtig
politisch
institutionalisierte ethische Diskurs sich in einem Spannungsverhältnis
zur Politik, zur Moral, zum Recht sowie zu den Massenmedien versteht.
Wie
gestaltet sich dieses Spannungsverhältnis in Europa?
I.
Ethik in der Politik
Ethik
in der
Politik hat eine
öffentliche Beratungsfunktion und zwar im Hinblick auf jene
moralischen
Fundamente menschlichen Handelns, die aufgrund ihrer Allgemeinheit
einer
Deutung oder Applikation auf den Einzelfall bedürfen. Das gilt
auch
in bezug auf jene Handlungsmaximen die in Form von Gesetzen unter
Strafandrohung
zwingend sind. Das ist keine selbstverständliche These, zumal wenn
man diese Beratungstätigkeit nicht nur im herkömmlichen
akademischen
Sinne, als indirekte meistens schriftlich vermittelte Reflexion also,
sondern
als politisch institutionalisierte Beratung versteht.
Mehrere
Einwände lassen
sich gegen eine solche Beratungsart erheben, auf die hier kurz
eingegangen
werden soll. Zuallererst die Vorstellung von Ethik-Fachleuten selbst.
Sie
klingt moralisch anmaßend. Dazu wäre zu sagen, dass hier
eine
Verwechslung von Ethik und Moral vorliegt. Ethik im Sinne von Reflexion
über Moral schreibt nicht vor, sondern sucht plausible
Gründe,
warum in einer bestimmten Situation eine moralische und/oder rechtliche
Maxime so oder so zu verstehen wäre, wenn bestimmte Handlungsziele
erzielt oder verhindert werden sollen und welche Gegengründe dann
dafür oder dagegen sprechen. Sie ist also, um es Kantisch
auszudrücken,
reflektierender und nicht bestimmender Natur. Sodann könnte man
einwenden,
dass eine solche Tätigkeit einschließlich der Gesetzgebung
im
Falle von Demokratien ohnehin im Parlament geschieht und geschehen
soll.
Dazu ist zu sagen, dass das selbstverständlich für alle Arten
von Problemen, die einer gesetzgeberischen und politischen Lösung
bedürfen, gilt. Dennoch bedarf die Politik in vielen Fällen
einer
außerparlamentarischen Beratung, die zugleich eine
öffentliche
Aufklärungsfunktion erfüllen soll.
Dies
scheint auch bei
moralischen
Fragen der Fall zu sein, zumal wenn sie sich auf komplexe nicht zuletzt
durch Wissenschaft und Technik mit verursachten Möglichkeiten
beziehen,
die weitreichende soziale Folgen haben. Ferner könnte der Einwand
erhoben werden, dass die Tätigkeit der Applikation von
gesetzlichen
Maximen im Gerichtssaal stattzufinden hat. Das schließt aber
wiederum
nicht aus, das im Vorfeld über diese Maxime reflektiert werden
könnte
und sollte. Schließlich könnte der Einwand erhoben werden,
dass
eine solche kritische Instanz in einer Demokratie durch die freie
Presse
und die elektronischen Massenmedien garantiert ist. Dazu ist zu sagen,
dass eine Demokratie eine Vielfalt von kritischen Instanzen
zuläßt,
die sich nicht nur gegenseitig ergänzen, sondern auch begrenzen.
Die
Massenmedien sind wiederum per se keine moralische Instanz.
Natürlich
ist eine politische
Institutionalisierung ethischer Reflexion nicht ohne Risiken, wie die
Diskussion
in Deutschland in Zusammenhang mit der Einrichtung des Nationalen
Ethikrates
neben der vom Bundestag eingesetzten Enquete-Kommission "Recht und
Ethik
der modernen Medizin" zeigte. Der Verdacht einer politischen
Instrumentalisierung
ethischer Argumentation liegt nahe und kann nur durch die Praxis
widerlegt
werden. Ähnliches gilt für das Problem einer Verrechtlichung
der Ethik, d.h. wenn das Spannungsverhältnis zwischen Ethik und
Recht
nicht ausgehalten und thematisiert wird. Schließlich könnten
solche Beratungsgremien eine ausdrücklich oder unausdrücklich
geltende Moral lediglich sanktionieren und somit die Differenz zwischen
Ethik und Moral aufheben. Die Tatsache aber, dass eine
Institutionalisierung
ethischer Reflexion in vielen demokratischen Ländern seit einigen
Jahren stattgefunden hat, ist m.E. darauf zurückzuführen,
dass
die Politik einen Reflexionsbedarf angemeldet hat, der sich
zunächst
vor allem in Zusammenhang mit den neuen Möglichkeiten der
Biotechnologie
ergab. Mit anderen Worten, der Bedarf an ethischer Reflexion entsteht
spätestens
dann, wenn die moralischen Grundlagen einer Gesellschaft ins Wanken
geraten.
Das bedeutet, dass Ethik gerade dann sich nicht als Garant der (nicht
mehr)
geltenden Moral versteht, sondern eine Anstrengung der Reflexion
unternimmt,
um einer sich verändernden Moral neue Perspektiven aufzuzeigen.
Eine
solche institutionalisierte Beratung zielt also nicht auf eine
Moralisierung
der Politik ab. Das wäre ein "reflexionsmoralischer
Fehlschluß"
(Vollrath 1996). Sie soll statt dessen, wie Marcus Düwell mit
Recht
betont, "moralische Argumentationen im Hinblick auf die Regelung neuer
Technologien transparent machen und Begründungsmöglichkeiten
für moralische-normative Beurteilungen" skizzieren nicht zuletzt
durch
die öffentliche Präsenz ihrer Mitglieder sowie ihrer
Beratungsergebnisse.
Was sie aber nicht soll, ist eine parlamentarische Entscheidung
vorwegnehmen
(Düwell 2002).
II.
Ethik in Europa zwischen Forschung und Politik
Nicht
nur fast
alle europäischen
Länder – darunter Belgien, Dänemark, Deutschland, Finnland,
Frankreich,
Griechenland, Großbritannien, Italien, Niederlande,
Österreich,
Portugal, Schweden, Spanien – haben eigene Ethikräte,
sondern
auch in der EU-Kommission existiert seit zehn Jahren die "European
Group
on Ethics in Science and New Technologies" (EGE), die 1991 als "Group
of
Advisers on the Ethical Implications of Biotechnology" (GAEIB)
gegründet
wurde. Romano Prodi hat die Gruppe, die aus zwölf Mitgliedern
besteht,
auf vier Jahre berufen (2001-2004).
Die
EGE ist,
laut Satzung,
"an independent, pluralist and multidisciplinary body which advises the
European Commission on ethical aspects of science and new technologies
in connection with the preparation and implementation of Community
legislation
or policies." (EGE) Dafür bereitet die aus zwölf Mitgliedern
bestehende Gruppe im Antrag der Kommission oder auf eigener Initiative
sogenannte "Opinions", wobei auch das Parlament und der
Europäische
Rat Vorschläge unterbreiten können. Die zuletzt erarbeitete
"Opinion"
(7/5/2002) befaßte sich mit dem Thema: "Ethische Aspekte der
Patentierung
von Erfindungen im Zusammenhang mit menschlichen Stammzellen".
Die
am 7.
Dezember 2000 verabschiedete
Charta der Europäischen Grundrechte ist ein Meilenstein in der
europäischen
Geschichte. Die EGE hat wesentlich zu der Formulierung z.B. des Artikel
3 (Integrität der Person) beigetragen. In diesem Artikel wird
generell
das Prinzip der Achtung vor der physischen und psychischen
Integrität
der Person festgelegt und zugleich auf folgende Aspekte der
medizinischen
und biologischen Forschung konkretisiert: informed consent,
Verbot
eugenischer Praktiken, Verbot der Kommerzialisierung des menschlichen
Leibes
und seiner Teile, Verbot des reproduktiven Klonens. Wenn die Charta
zugleich
im Artikel 22 das Prinzip der Achtung kultureller, religiöser und
linguistischer Unterschiede aufstellt, dann bedeutet die Formulierung
im
Artikel 3 eine gemeinsame moralische Basis europäischen
Forschungshandelns.
Natürlich ist damit die Suche nach einer "europäischen
Seele",
wie Jerôme Vignon beim "European Ethics Summit" am 30. August
2002
in Brüssel bemerkte, eine offene Aufgabe, die nicht mit einem
moralischen
Minimalkonsens erledigt ist (European Ethics Summit 2002).
Die
Bedeutung
ethischer Prinzipien
in Zusammenhang mit dem 6. Rahmenprogramm der Europäischen
Gemeinschaft
kommt im Beschluß des Europäischen Parlaments und des Rates
deutlich zum Ausdruck. Im Artikel 3 heißt es:
"Bei
allen Forschungsmaßnahmen
innerhalb des Sechsten Rahmenprogramms müssen ethische
Grundprinzipien
beachtet werden." (EU 2002)
Im
Anhang I
"Wissenschaftliche
und technologische Ziele, Grundzüge und der Massnahmen und
Prioritäten"
wird dies näher bestimmt:
"Bei
der Durchführung
dieses Programms und bei den entsprechenden Forschungstätigkeiten
sind die ethischen Grundprinzipien einschließlich des
Tierschutzes
zu beachten. Diese umfassen unter anderem die Prinzipien, die sich aus
der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ergeben, den
Schutz
der Menschenwürde und des menschlichen Lebens, den Schutz
personenbezogener
Daten und der Privatsphäre sowie den Umweltschutz in Einklang mit
dem Gemeinschaftsrecht und, soweit zutreffend, internationale
Übereinkünfte;
hier sind beispielsweise zu nennen: die Erklärung von Helsinki,
das
am 4. April 1997 in Oviedo unterzeichnete Übereinkommen des
Europarates
über Menschenrechte und Biomedizin und das am 12. Januar 1998 in
Paris
unterzeichnete Zusatzprotokoll über das Verbot des Klonens von
Menschen,
das UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes, die
Allgemeine
Erklärung der UNESCO über das menschliche Genom und die
Menschenrechte
und die einschlägigen Resolutionen der Weltgesundheitsorganisation
(WHO), das Protokoll von Amsterdam über den Tierschutz sowie
geltende
Rechts- und Verwaltungsvorschriften und ethische Leitlinien der
Länder,
in denen die Forschungstätigkeiten durchgeführt werden."
(ebda.)
In
einer
Mitteilung der Kommission
an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und
Sozialausschuß
und den Ausschuß der Regionen mit dem Titel "Hin zu einem
europäischen
Forschungsraum" vom 18. Januar 2000 wird ein "Raum der gemeinsamen
Werte"
gefordert. Zwar gelten in ganz Europa "im großen und ganzen" die
gleichen Werte und Grundsätze, diese werden jedoch in der
Praxis
"nicht
überall
in der gleichen Weise umgesetzt. So findet man zu ethischen Fragen im
Zusammenhang
mit dem wissenschaftlichen und technischen Fortschritt von Land zu Land
unterschiedliche Standpunkte vor." (Kommission 2000, S. 24)
Die
Erklärung
dafür
findet die Kommission "in den bestehenden kulturellen Unterschieden und
unterschiedlich strengen moralischen Maßstäben, die in jedem
Fall respektiert werden müssen." (ebda.) Mit anderen Worten, die
Kommission
stellt fest, dass zwischen der Allgemeinheit ethischer oder, besser,
moralischer
Standards, ein ethischer Reflexionsprozeß vonnöten ist, bei
dem unter Umständen diese Unterschiede zu wahren sind. Zugleich
heißt
es aber:
"Auf
der anderen
Seite ist es jedoch problematisch, wenn die Meinungen zu weit
auseinandergehen.
Daher muß alles daran gesetzt werden, um insbesondere in den
Bereichen,
in denen Programme auf Gemeinschaftsebene verwirklicht werden sollen,
einen
gemeinsamen Nenner zu finden." (ebda.)
Wie
ist diese
Arbeit der Applikation,
d.h. der Deutung und Anwendung moralischer Maßstäbe im
Rahmen
eines ethischen Diskurses konkret möglich? Die Kommission weist in
diesem Zusammenhang auf zwei Wege hin. Da sind zum einen die
verschiedenen
Initiativen der Parlamente, den Dialog zwischen Bürgern,
Forschern,
Experten, Verantwortlichen aus der Industrie und den politischen
Entscheidungsträgern
zu fördern, z.B. in Form von "Bürgerkonferenzen". Zum anderen
schlägt die Kommission vor, die Verbindungen zwischen den
Ethikkommissionen
in den Mitgliedstaaten und jener auf EU-Ebene, nämlich der
"European
Group on Ethics in Science and New Technologies" (EGE), zu
verstärken.
Schließlich geht es darum, die unterschiedlichen ethischen
Maßstäbe
bei Programmen der Gemeinschaft und bei denen der Mitgliedstaaten zu
vergleichen
und möglichst anzugleichen, "wobei auf die Vielfalt Rücksicht
zu nehmen ist." (ebda.) Diese vorsichtigen Formulierungen bei denen ein
Balanceakt zwischen gemeinsamen moralischen Standards und Achtung vor
der
Vielfalt deutet darauf hin, dass die Kommission die Aufgabe ethischer
Reflexion
nicht mit einem wie auch immer gearteten Moralkodex abschließen,
sondern solche Kodifizierungen in einen dynamischen Prozeß
einbinden
will, der als ethischer Diskurs Teil von Forschung und Politik ist oder
besser gesagt, der zwischen Forschung und Politik angesiedelt ist.
Was
auf der
Ebene der Kommission
durch die EGE sowie im Bereich der Generaldirektion Forschung und
zwischen
diesen beiden Institutionen stattfindet, läßt sich, mutatis
mutandis, auf die nationalen Zuständigkeiten übertragen.
So fand zum Beispiel am 27. September 2001 ein "Joint Workshop of the
European
Commission Services and the European Group on Ethics" zum Thema
"'ETHICS'
in the RTD Framework Programme" statt, dem eine umfangreiche
Dokumentation
zugrunde lag und bei dem sowohl eine gegenseitige Unterrichtung als
auch
künftige gemeinsame Aktivitäten, wie zum Beispiel die
Vernetzung
ethischer Gremien, die Stärkung der Europäischen Ethikgruppe,
die Erarbeitung gemeinsamer Grundsätze, die Koordination von
Dokumentationsaktivitäten,
sowie die Erforschung der Rolle, die solche Ethik-Gremien im
demokratischen
Prozeß spielen sollte, besprochen wurden (European Commission -
Research
Directorate-General 2001).
Im 5.
Forschungsprogramm
war ethische Beratung ("ethical assessment") im Bereich
"Lebensqualität"
in Form eines Drei-Stufen-Prozesses vorgesehen, nämlich:
1)
Ethische
Analyse ("ethical
reviews")
2)
Wirkungsforschung
("impact assessment of projects")
3)
Langfristige
Konsequenzen
und öffentlicher Dialog ("long-term consequences and public
dialogue")
Das
neue
Rahmenprogramm will
dieses Modell auf andere Bereiche ausdehnen. Ferner soll mit einer
neuen
Unit "Ethics in Science and Research" ein interface zwischen
Wissenschaft
und Gesellschaft geschaffen werden, bei dem ethische Beratung eine
größere
Unabhängigkeit gegenüber den einzelnen Programmen
genießt.
Inzwischen sind "ethical reviews" für die Programme "Competitive
and
sustainable Growth", "Human training and mobility" und "International
co-operation"
entwickelt worden. Um die Vielfalt moralischer Wertmaßstäbe
zu berücksichtigen, wurde eine Expertendatenbank angelegt, die
auch
Kandidaten aus Entwicklungsländern berücksichtigt (European
Commission
- Research Directorate-General 2001, 9-12).
Wörtlich
heißt
es im 6. Forschungsprogramm:
"The
principle of
sustainable development, socio-economic, ethical and wider cultural
aspects
of the envisaged activities, and gender equality, will be duly taken
into
account, where relevant for the activity concerned" (EU 2002/EC, S. 6).
Und
ferner in
bezug auf den
Bereich "Wissenschaft und Gesellschaft":
"responsible
use
of scientific and technological progress, in harmony with fundamental
ethical
values: assessment, management and communication of uncertainty and
risk;
expertise, analysis and support to best practice in the application of
the precautionary principle in different areas of policy making:
European
reference system; research on ethics in relation to science, technology
developments and their applications." (EU 2002/EC, S. 24).
Die DG
Research
finanziert seit
etwa zehn Jahren, genauer: seit dem 3. Forschungsprogramm, als einzige
Institution in Europa gemeinsame Forschungsprojekte in der Bioethik mit
der expliziten Bedingung der Teilnahme von Wissenschaftlern aus
mehreren
Ländern. Im 6. Rahmenprogramm wird es verschiedene
Möglichkeiten
geben, sich als Ethik-Forscher zu beteiligen und zwar sowohl innerhalb
der großen integrierten Projekte als auch der Netzwerke, wo
Ethik-Forschung
im Rahmen des Schwerpunktes "Wissenschaft und Gesellschaft"
stattfindet.
Schließlich auch als Gutachter für Fragen der Ethik in den
spezifischen
Gutachter-Runden für Forschungsprojekte, die ethisch sensible
Methoden
anwenden.
In
Vorbereitung des
6. Forschungsprogramms sind derzeit folgende Ausschreibungen im Bereich
"Ethik und Forschung" offen:
- Bereitstellung
einer Studie
über einzelstaatliche, internationale und professionelle
Schulungsmaterialien
zu ethischen Fragen in der Forschung (Dokumentennummer
136141-2002)
- Bereitstellung
von Studien über
ethische Verhaltensnormen in der Forschung (Dokumentennummer
136144-2002)
- Untersuchung
von Schulungsprogrammen
im Bereich "Ethik in der Forschung", die in wissenschaftlichen
Fakultäten
in ganz Europa durchgeführt werden (Dokumentennummer
136146-2002)
- Unterstützung
zur Erstellung
eines europäischen Verzeichnisses lokaler Ethik-Gremien
(Dokumentennummer
136147-2002)
- Unterstützung
zur Erstellung
einer Studie über lokale Ethik-Gremien im Bereich Tierhaltung
("animal
welfare") (Dokumentennummer 136142-2002)
Ausblick
Die
Stellung der
Ethik zwischen
Forschung und Politik in Europa gewinnt an Gestalt und an Bedeutung.
Das
gilt für die Aktivitäten innerhalb der Kommission, zwischen
dieser
und den Mitgliedstaaten und zwischen den Mitgliedstaaten untereinander.
Im Aktionsplan "Wissenschaft und Gesellschaft" heißt es:
"Die
Europäische
Gruppe für Ethik hat im Hinblick auf ethische Fragen in der
Wissenschaft,
die kulturellen sensitiv sind, Orientierungshilfe für die
Gemeinschaft
geleistet. Die Freiheit der Wissenschaft und ethische Erwägungen
in
der Forschung, die in der Charta der Grundrechte verankert sind,
müssen
eingehalten und umgesetzt werden, nach Möglichkeit auch in anderen
Teilen der Welt. Daher sollte die deutsch-französische Initiative
für ein weltweites Übereinkommen für das Verbot des
reproduktiven
Klonens von Menschen (Artikel 3 der Charta), mit der die Vereinten
Nationen
befaßt wurden, unterstützt werden." (Europäische
Kommission,
Aktionsplan 2002)
Der
Nationale
Ethikrat der Bundesrepublik
Deutschland und der Nationale Beratende Ethikrat der Französischen
Republik in Zusammenarbeit mit dem Auswärtigem Amt, dem
Bundesministerium
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und der
Deutschen
Stiftung für Internationale Entwicklung (DSE) veranstalteten
am 3.-4. Juni 2002 einen interkulturellen Dialog zum Thema: "Auf dem
Weg
zu einer globalen Bioethik?" an dem etwa siebzig Wissenschaftler und
Politiker
aus fünfzehn Ländern teilnahmen (Auswärtiges Amt 2002).
Im "final statement" wurde ein Konsens in wichtigen Fragen der
Bioethik,
wie zum Beispiel beim Verbot des reproduktiven Klonens, erzielt,
zugleich
aber kamen unterschiedliche kulturelle und moralische Traditionen
deutlich
zum Ausdruck. In einzelnen Gesprächskreisen wurde auf die Gefahr
eines
moralischen Kolonialismus oder zumindest auf die Möglichkeit einer
moralischen Bevormundung hingewiesen.
Vor
diesem
Hintergrund läßt
sich die ethische Dimension in der Wissenschaft und in den neuen
Technologien
so wie sie im Aktionsplan der Europäischen Kommission zum Ausdruck
kommt, als vorbildlich bezeichnen. Folgende konkrete Aktionen sind
vorgesehen:
"Aktion
29: Es wird
eine Informations- und Dokumentationsstelle aufgebaut werden, die
aufzeigen
und analysieren soll, wie sich ethische Fragen in der Wissenschaft
national
und international entwickeln."
"Aktion
30:
Zwischen Nichtregierungsorganisationen,
Unternehmen, Wissenschaftskreisen, Religionsgruppen, kulturellen
Gruppen,
philosophischen Schulen und anderen interessierten Gruppen wird ein
offener
Dialog etabliert werden, der den Meinungs- und Gedankenaustausch zu
einer
Reihe kritischer Fragen fördert, z.B. zu den ethischen
Auswirkungen
neuer Technologien auf künftige Generationen und auf die
Würde
und Unversehrtheit des Menschen, zur "Info-Ethik" und zur
Nachhaltigkeit.
Verschiedene Verfahren (Fokus-Gruppen, Umfragen, Internet-Diskussionen,
Workshops, institutionalisierte Foren) werden dabei zum Tragen kommen."
"Aktion
31:
Modell-Lehrgänge
und Ausbildungsmodelle werden entwickelt werden, um Forscher im Bereich
der Ethik zu sensibilisieren."
"Aktion
32:
Netzwerke von
Ethik-Ausschüssen werden sowohl auf nationaler als auch auf
regionaler
Ebene gefördert werden. Sie sollen eine engere Zusammenarbeit und
einen effektiveren Erfahrungsaustausch und Austausch vorbildlicher
Verfahrensweisen
ermöglichen."
"Aktion
33:
Durch eine Reihe
von Konferenzen und Workshops wird ein internationaler Dialog über
ethische Grundsätze geführt werden. Wichtiges Ziel dabei wird
es sein, in den Entwicklungsländern Kapazitäten für die
ethische Überprüfung aufzubauen."
"Aktion
34:
Netzwerke von
Ausschüssen für den Tierschutz und die Ausbildung von
Nachwuchswissenschaftlern
im Bereich des Tierschutzes werden gefördert werden, um die
Umsetzung
der europäischen Rechtsvorschriften über den Tierschutz in
der
Forschung zu unterstützen." (Europäische Kommission,
Aktionsplan
2002, 21-22)