ETHISCHE HERAUSFORDERUNGEN DER KÜNSTLICHEN INTELLIGENZ

Rafael Capurro

  
  
  
Diskussionsbeitrag zum "Workshop Wissenschaft" im Rahmen der Tagung WISSENSWERTE 2017, Darmstadt, 4. Dezember 2017.

Kennen Sie das Kunstwort onlife? Ich sage:  Kein gutes onlife ohne ein gutes offlife.
Das bedeutet: Lass Dir Dein gutes Leben nicht durch die Digitalisierung kaputt machen. Das fängt leise bei Gewohnheiten und Bequemlichkeiten an und hört mit Abhängigkeit, Bevormundung, Cybermobbing und vielem Anderen mehr auf. Verkaufe Deine Freiheit und deine Daten nicht leichtfertig aufgrund der lauten Versprechungen der IT Evangelisten, von welcher Kanzel sie sie auch immer verkünden.

Was Not tut:  Dem Absolutheitsanspruch der Digitalisierung Widerstand zu leisten.

Das ist kein romantischer Aufruf um aus dem digitalen Zeitalter auszusteigen, sondern ein Weckruf zum kritischen Denken. Die ethischen Herausforderungen der künstlichen Intelligenz betreffen, um mit Kant zu sprechen, sowohl die theoretische als auch die praktische Vernunft.

Zur theoretischer Vernunft: wir müssen an einer Kritik der digitalen Vernunft arbeiten.
Das bedeutet eine Kritik der  Cybergnosis oder des unbedingten Glaubens an die Macht der Algorithmen als die wahre via regia menschlichen Erkennens. Die von der digitalen Technologie bestimmten Welt ist nicht die Welt, sondern nur eine bestimmte Perspektive auf sie.

Zur praktischen Vernunft: wir müssen an einer Kritik der praktischen Vernunft gemeinsam  arbeiten wenn wir die Illusionen, Obsessionen und Ambitionen der KI entlarven wollen. Digitale Aufklärung bedeutet vor allem Aufklärung über das Digitale, sofern dieses eine Aufhebung der Differenz zwischen dem Leben und dem Digitalen bedeutet, so dass letztlich die Gleichung gilt: wer wir sind = was wir sind. Ich nenne die Unterscheidung zwischen wer und was wir sind, die ethísche Unterscheidung.

Es geht darum, die theoretische und praktische Deutungshoheit des Digitalen in Frage zu stellen, vor allem derjenigen, die sich als Glücksbringer und Menschheitsretter aufspielen.

Es gilt dabei genau zu überlegen, in welchen Kontexten und zu welchen Zwecken wir die Freiheit ganz oder teilweise an Algorithmen abgeben und wann genau wir dies auf keinem Fall tun wollen und wollen können. Dies erfordert eine sorgsame ethische, rechtliche und politische Abwägung. Wir sollten nicht glauben, dass wir die Urteilkraft an Algorithmen delegieren können.  

Wenn wir glauben, dies tun zu können oder sogar aus ethischen Gründen tun zu müssen, da wir eine Antwort "auf das Leben, das Universum, auf alles" erwarten (Adams 1979), dann können wir sicher sein, dass Deep Thought lange, etwa siebeneinhalb Millionen Jahre, braucht, um uns dann zu sagen, dass die Antwort auf die Große Frage "42" lautet. Angesichts der angespannten und hoffnungsvollen Gesichter wird uns jemand zuflüstern: "Jetzt werden sie uns wohl lynchen, was meinst du?" auch wenn Deep Thought meint, dass es "eine sauschwere Arbeit" war. "Wenn ihr erst mal genau wisst, wie die Frage wirklich lautet", sagte Deep Thought, "dann werdet ihr Wissen, was die Antwort bedeutet."

Die ethischen Herausforderungen der künstlichen Intelligenz bestehen darin, zu erforschen wie die Lebensfragen lauten, die sich aus der Unterscheidung zwischen Wer- und Was-sein ergeben. Echte Fragen unterscheiden sich von Scheinfragen dadurch, dass sie von ausdrücklichen oder unausdrücklichen Vorgaben (Vor-Urteilen) ausgehen und offen sind. Diese Offenheit ist aber keine uferlose, sondern sie wird durch einen Fragehorizont umgrenzt.


Literaturhinweise

Adams, Douglas (1979). The Hitchhiker's Guide to the Galaxy. London (dt. Per Anhalter durch die Galaxis, 1981).

Capurro, Rafael (1995). Leben im Informationszeitalter. Berlin.

Capurro, Rafael (2017). Homo Digitalis. Beiträge zur Ontologie, Anthropologie und Ethik der digitalen Technik. Heidelberg.

Capurro, Rafael, Eldred, Michael und Nagel, Daniel (2013). Digital Whoness: Identity, Privacy and Freedom in the Cyberworld. Berlin.


Letzte Änderung: 3. Dezember  2017



 
    

Copyright © 2017 by Rafael Capurro, all rights reserved. This text may be used and shared in accordance with the fair-use provisions of U.S. and international copyright law, and it may be archived and redistributed in electronic form, provided that the author is notified and no fee is charged for access. Archiving, redistribution, or republication of this text on other terms, in any medium, requires the consent of the author.

 

 
Zurück zur digitalen Bibliothek 
 
Homepage Forschung Veranstaltungen
Veröffentlichungen Lehre Interviews