Zur Erinnerung: "Lyotard
spielt den aktuellen Bezug seiner Sprachreflexion deutlich aus. Er
versteht seine Konzeption als Widerstandspotential gegen den heute
dominanten Uniformierungsmodus: die drucktechnische
Uniformierung, welche Sprechen auf den Austausch von gedruckten Büchern reduziert
und alles Sprachliche in die Anpassung an das neue universelle Idiom der Bleisetzung zwingt und
dabei Erwartung, Ereignis, Wunder eliminiert." (Im Original hießt
es jeweils: informationstechnologische, Informationen, Bit um Bit)
Ich frage mich, ob Welsch (und Lyotard) sich die Sache, um
die es
(nicht nur bei der Postmoderne) geht, nicht vielleicht zu einfach
macht. Mit Hilfe eines Zauberworts nämlich: Heterogenität
(oder Pluralität), von dem es heißt, es stünde bereits
zu Beginn der Moderne, sei aber nachher verschüttet (so Welsch in
seinem Buch: Unsere postmoderne Moderne, S. 83). Diesem Zauberwort wird
die "Hegemonie der Informatik" (ibid. S. 219) bzw. die "Axiomatik der
Computer-Rationalität" (in "Stunde des Philosophierens")
gegenübergestellt.
Mit scheint, daß diese Gegenüberstellung schief
ist, bzw.
daß sie so die Sache nicht trifft, um die es eigentlich geht.
Man braucht nur die letzte Seite von Lyotards "Das
postmoderne Wissen"
zu lesen, um zu sehen, daß die Problematik der "Informatisierung
der Gesellschaft" nicht in eine Gegenüberstellung von
Heterogenität der Diskursarten und Homogenität der
Computer-Rationalität mündet. Die Sache, um die es geht, so
steht es dort zu lesen, "ist im Prinzip sehr einfach: Die
Öffentlichkeit müßte freien Zugang zu den Speichern der
Datenbanken erhalten."
Es geht also um Zugang
zu Datenbanken
und nicht etwa um die Kennzeichnung dieser Datenbanken als
"informations-technologischen Uniformierungsmodus". Welsch scheint
nicht zu merken, daß gerade die Informationstechnologie selbst
die Heterogenität der Diskursarten, d.h. der Abfrageperspektiven
(hermeneutisch: "Vorverständnisse") in den Vordergrund rückt,
und zwar in potenzierter Form gegenüber dem Gedruckten. Die
Informationstechnologien sind die "postmoderne" Form der Moderne, d.h.
des Buches. Sie ersetzen allerdings das Buch nicht. Sie führen das
dabei Erträumte, nämlich ein universelles (über Zeit und
Raum) zu führendes (im Kantischen sinne) öffentliches Gespräch auf
einer anderen Ebene von Vielfalt –
vorausgesetzt der öffentliche
Zugang wird gewährleistet. Und hier liegt in der Tat einer
der Haken:
Es genügte im Sinne der Aufklärung auch
"damals" nicht,
Bücher zu Drucken, man musste vielmehr zugleich auch
öffentliche Bibliotheken schaffen, um das aufklärerische
Potential wirksam werden zu lassen. Man musste auch "den Leuten" "das
Lesen" beibringen, d.h. eine gewaltige Erziehungsarbeit findet seitdem
(noch?) statt, die darauf zielt, "den Leuten" klarzumachen, daß etwas nicht deshalb wahr ist, weil es
geschrieben (sprich: gedruckt) steht. Datenbanken (dieser
Begriff umfaßt eine Heterogenität (!) von Sachverhalten,
wovon weder bei Welsch noch bei Lyotard die Rede ist) stellen den
Suchenden stets vor ein hermeneutisches
Problem: Sie konfrontieren ihn unmittelbar mit einer Vielfalt von
möglichen Perspektiven, die sich eben nicht, wie im Falle der
(Bibliotheken der) Moderne, auf der "Lösung" einer
"Universalklassifikation" (man denke an die "Dezimalklassifikation" im
19. Jh.) reduzieren lassen.
Was dabei in Frage gestellt wird, ist auch nicht "einfach"
das Prinzip
der Klassifikation selbst, sondern der Anspruch dieses Prinzips
gegenüber seiner tatsächlichen Leistung. Klassifikationen
drücken eben die Herrschaft eines
homogenen Prinzips aus. Das systematisch (!) gegliederte Buch bzw. die
Enzyklopädie waren die Hauptwerke des modernen Denkens. Ihm steht
nicht einfach die Postmoderne gegenüber: Klassifikationen spielen auch heute noch,
etwa bei der Suche in bibliographischen Datenbanken, neben anderen (!)
Möglichkeiten, eine wichtige aber keineswegs mehr die
entscheidende Rolle. Und es ist weiterhin sinnvoll, daß
wir (gute!) Bücher mit einem guten (!) Inhaltsverzeichnis
schreiben...
Natürlich war das "Zauberwort" der Pluralität
"damals", also
zur Zeit des Buchdrucks, nicht einfach die Lösung für das neu
entstehende Problem. Es gab, wie gsagt, zwei Dinge zu lösen: der
Zugang und das "Lesen-Lernen". Das Schwierige bei den "neuen
Technologien" ist u.a. daß diese zwei Dinge gewissermaßen
vereint sind: durch den zugang wird erst das "erzeugt", was wir lesen
wollen. Außerdem hat "die Kiste" (= der unsichtbar bleibende
Computer) eine "magische" Ausstrahlung und - es bleibt uns nicht viel
Zeit (ganz sicher keine dreihundert Jahre) um "lesen zu lernen".
Am Ausgang des Mittelalters zwang die Druckerpresse zu
einem
technologischen, wissenchaftlichen, sozialen und kommunikativen
Umdenken. Wir befinden uns in einer ähnlichen Situation.
Natürlich brachte die Druckerpresse gegenüber der Buchmalerei
auch eine "Sprachuniformierung" mit sich. Wo lag aber das eigentliche
Problem? Wohl nicht darin, sondern in der neuen "Seinsweise" des
Gesprächs, die durch diese Technik (und jede Technik ist deshalb
niemals bloß "neutral", sondern eine mögliche menschliche
Seinsweise) ermöglicht wurde.
Das alles soll natürlich nicht gesagt werden, um die
Informationstechnologie etwa zu "glorifizieren". Es geht eben um die
"Stunde des Philosophierens", d.h. des Nachdenkens darüber, wie
wir mit der möglichen Steigerung (!) der Heterogenität der
Diskursarten, die diese Technologien mit sich bringen, umgehen sollen,
wenn wir uns nicht dabei selbst "ad absurdum" führen wollen.
Die entscheidende Frage ist also nicht die, ob die Postmoderne den
modernen Grundzug der Heterogenität in den Vordergrund stellt,
sondern wie wir individuell und
sozial mit Pluralität umzugehen lernen. Dies um so mehr
als, wie gesagt, gerade die Informtionstechnologien diese
Pluralität explosionsartig steigern. Wollen wir nicht nur (wie in
der Moderne) in Büchern, sondern auch in Informationen ersticken,
dann müssen wir das "Auswählen" lernen. Diese Problematik ist
"unendlich" komplex und es genügt nicht, eine Pluralität von
Diskursarten zu fördern. Wir müssen vielmehr hermeneutische Spielregeln
schaffen, um zu einem, wie Vattimo vielleicht sagen würde, "schwachen Gespräch" zu kommen.
Mit einem Wort, es kommt alles darauf an, ob wir die Informationstechnologien als
eine "schwache Technologie" gestalten. Sie sind vielleicht, auch
im Anschluß an Vattimo, unsere "einzige Chance", den hierarchischen Diskurs
der Moderne in seiner uni- (desin-)formierenden Einseitigkeit zu sehen.
Er war es nämlich, der eine "universelle" (sprich: europäische) Uniformieungs-Strategie
propagierte. Dieser Strategie können natürlich
auch die
modernen (!) Informationstechnologien bedienen, wenn wir sie weiterhin
von der Optik der Moderne aus betrachten. Sie bieten aber auch, so wie
der Buchdruck, eine andere Chance, vorausgesetzt wir zwingen sie nicht
in das hierarchische Denken und Handeln der Moderne, sondern entwickeln
sie in ihrer "weichen", verletzlichen Seite. Was wir dabei
"verwirklichen", sind natürlich- wir selbst.
Literatur
R. Capurro: Hermeneutik
der Fachinformation (Freiburg/München: Alber 1986)
- Die Informatik und das
hermeneutische Forschungsprogramm. In: Informatik-Spektrum 10,
1987, S. 329-333.
- Die
Veranwortbarkeit des Denkens. In: Forum für
interdisziplinäre Forschung I, 1988, S. 15-21.
- Übersetzung und Nachwort
von Gianni Vattimo: La fine della modernità
(Garzanti 1985): Das Ende der Moderne, Reclam 1990.
Letzte
Änderung: 4. Juli 2017
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