PHÄNOMENOLOGIE DER FREUNDSCHAFT

Dasein als Weiblich- und Männlichsein
 
 
Rafael Capurro
 

 
Rezension des Buches von  Michael Eldred: Phänomenologie der Männlichkeit. kaum ständig noch.  Dettelbach, Verlag J.H. Röll 1999.
 

 
   
  

DIE SEINSFRAGE

Heidegger steht, zumindest beim mainstream der Philosophieprofessoren in Deutschland, nicht auf der Agenda, anders als zum Beispiel in Frankreich, USA oder Japan, wo man seine Ansätze aus verschiedenen Perspektiven weiterdenkt. Die Enthüllungen um Heideggers Verstrickung mit dem Nationalsozialismus bilden, vor allem für die Nachkriegsgeneration, eine kaum überwindbare Hürde, um sich mit Heideggers Denken und mit seiner eigentümlichen Sprache ernsthaft auseinanderzusetzen. Man hat inzwischen nicht einmal Lust, sich über ihn lustig zu machen. Man argumentiert sachlich, indem man den gesunden Menschenverstand zum Denken auffordert, so daß im Prinzip jeder verstehen kann, worum es geht. Zuerst die Attacken der Frankfurter Schule, dann die der Kritischen Rationalisten und zuletzt der (noch?) dominierende Einfluß der Analytischen Philosophie haben nicht nur die philosophischen Fragen, sondern vor allem den Stil des philosophischen Denkens in Deutschland radikal verändert. Das ist paradox, denn Heideggers Sprache war zu seiner Zeit extrem modern und, wie einige NS-Philosophen bemerkten, undeutsch. Hier eine Kostprobe des NS-"Philosophen" Ernst Krieck, erschienen 1934 in Volk im Werden:        

"Als besonders "klar" empfiehlt Harms den Heideggerschen Satz: "Die Hineingehaltenheit des Daseins in das Nichts auf dem Grunde der verborgenen Angst ist das Übersteigen des Seienden im Ganzen: die Transzendenz". Sätze von solcher "Klarheit" und Deutschheit kann man aus Heidegger gleich zu hunderten herausholen! (...) Es ist die Aufgabe solcher Philosophie, Geradliniges krumm, Einfaches verbogen, Schlichtes verworren, Anschauliches undurchsichtig, Sinnhaftes unsinnig zu machen. "Deine Sprache verrät dich, Galiläer!"." (wieder abgedruckt in G. Schneeberger: Nachlese zu Heidegger, Bern 1962, Nr. 160)

Heideggers lateinisch-griechisch (und "galiläisch"!) gefärbte Sprache von Sein und Zeit war aber auch die Sprache der Tradition, auch und gerade wenn sie sich gegen sie wandte. Die große philosophische Frage, die die abendländische Tradition kennzeichnet und worauf sich die Bezeichnung Philosophie bezieht, ist ohne Zweifel die Frage nach dem Sein, die quaestio circa esse, ti to on: Was ist also das Seiende als Seiendes? Was sollen wir unter Sein verstehen? Der Tisch ist, ein Kunstwerk ist, ein Computerprogramm ist, ein Mensch ist männlich, Gott ist Mensch (männlich) - überall haben wir mit einem Existenzoperator Sein zu tun. Das Sein ist bloß der Wert einer Variable. Das ist alles. Ist das alles? Die Tradition sagte: Es gilt, daß die Dinge sind, ihre Existenz (existentia) und was sie sind, ihr Wesen (essentia). Heidegger fragt, ob alle Dinge, d.h. einschließlich des Menschseins, im Wie ihres Seins gleich sind. Anders ausgedrückt: Ist der Mensch so wie ein Ding? Die Antwort der Tradition: Alles, was ist, ist in der Tat genauso durch essentia und existentia charakterisiert, ob Gott, Mensch oder Stein. Die menschliche Seele ist eine Eigenschaft sowie das Rot einer Rose eine solche. Rosen und Menschen, die kommen nicht weniger vor, wenn sie vorkommen, als Steine und Götter.   

Kant hat dagegen Einspruch erhoben. Sein ist kein reales Prädikat: Hundert Taler sind, was ihre essentia anbelangt, hundert Taler, ob ich sie in meiner Tasche habe oder nicht. Die existentia ist bloß die Position eines Dinges. Von der essentia aber ohne jede empirische Anschauung auf die existentia zu schließen, ist unzulässig. Begriffe ohne Anschauung sind blind. Anschauungen ohne Begriffe leer. Die Dinge, über die wir aber keine Anschauung haben (können), und die Dinge, so wie sie ihr Schöpfer erkennt, sind aber weiterhin für Kant Dinge, mit einem Zusatz: an sich. Heidegger hat auf seine Weise die Metaphysik falsifiziert, das heißt, er hat nachgewiesen, daß es zumindest ein Seiendes gibt, bei dem das Wie seines Seins nicht von der Art eines Dinges ist. Wenn dem so ist, dann sind menschliche Eigenschaften im Wie ihres Seins nicht von derselben Art wie dingliche Eigenschaften. Heidegger unterscheidet deshalb terminologisch zwischen Kategorien und Existenzialien. Männlichsein und Weiblichsein sind also, wenn sie vom Wie des Daseins her gedacht werden, streng genommen, keine Eigenschaften, sondern Existenzialien, oder Weisen des Menschen da zu sein.


ELDREDS "ÜBER-SETZUNG"

 Genau diesem Ansatz widmet sich Michael Eldred in seinem Buch: Phänomenologie der Männlichkeit. Er entdeckt dabei, daß die abendländische Metaphysik nicht nur an die Seinsweise des Dinges, sondern auch an die des Männlichseins orientiert ist. Diesem Befund entspricht metaphysisch die Ständigkeit des Seins. Es war Heideggers philosophische Entdeckung, daß diese Ständigkeit oder ständige Anwesenheit bereits von der Zeit her gedacht ist: Was ständig ist, ist gegenwärtig. Was vergangen ist, ist nicht (mehr) und was zukünftig ist, ist (noch) nicht. Die Rangabzeichnungen im Bereich des Seins werden aufgrund der Fähigkeit zum Ständigsein vergeben. Je unerschütterlicher etwas da zu sein vermag, um so mehr Sein hat es. Die Hierarchie der Seienden gipfelt in einem Seienden, das immer da ist, ein nunc stans, ein ständiges Jetzt. Eldreds Zugang zu dieser Metaphysikkritik nimmt den Ansatz des Geschlechtlichen als einen Quereinstieg, aber im Gegensatz zu den wissenschaftlichen Analysen der gender studies setzt er nicht bei Mann und Frau an, sondern bei einem männlich bzw. weiblich Seienden, das in der Weise des Daseins ek-sistiert. Diese, nein nicht Kopernikanische, sondern Heideggerianische Wende erlaubt ihm, den ontischen Blickpunkt zeitweilig zu verlassen. Wozu Philosophie? Nicht zuletzt zur Korrektur wissenschaftlicher Begrifflichkeit. Männlichkeit und Weiblichkeit sind von hier aus nicht primär die sich verändernden Eigenschaften von Mann und Frau, was sie zweifellos auch sind, sondern sie haben etwas mit dem Wie unseres Seins, mit unserem Dasein und somit mit unserem In-der-Welt-sein zu tun. Sie durchdringen mit anderen Worten das ganze Geflecht von tatsächlichen und möglichen Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen, in denen wir eingebettet sind. Wie aber sind Männlichkeit und Weiblichkeit unter dieser ontologischen Perspektive zu verstehen? Was macht das Männlich-sein oder Weiblich-sein bei einem Wesen aus, das in der Weise des Daseins existiert? Wie sind die Bezüge zwischen dem Männlich-sein und, zum Beispiel, dem Sterblich-sein? Oder dem Mit-den-anderen-sein? Oder dem Leiblich-sein? Oder dem Gestimmt-sein? Oder dem In-der-Zeit- und Im-Raum-sein?   

Wer dazu etwas erfahren möchte, dem wird Eldreds Analyse der Männlichkeit als Wersein sicherlich nicht leicht fallen - wenn sie/er sich nicht einläßt, oder, anders ausgedrückt, wenn sie/er ihren Standpunkt vor und nach der Lektüre weiter behält, quod erat demonstrandum. Anstatt das Buch zu lesen und sich dabei mit einem un-gewöhnlichen Denken zu konfrontieren, wäre es besser, er/sie würde sich die Lektüre ersparen und gleich das glauben, was Rolf Löchel darüber schreibt (http://www.literaturkritik.de/txt/1999-04-11.html). Ignoranz und Vorurteil prägen offenbar eine Generation (?), die mit Warnungen und kritischen Mauern aufgewachsen ist. Trotz des Geredes von Kritik und Dialog verschanzt man(n) sich hinter Vor-Urteilen. Wir leben bekanntlich in einer politischen Welt. Was aber heißt genau für ein Wesen, das in der Weise des Daseins ist, politisch zu sein? Eine Antwort darauf wird man sicherlich bei den Politikwissenschaftlern vergebens suchen, denn es ist auch nicht deren eigentümliche Aufgabe, darauf einzugehen. Die heutigen (deutschen) Philosophen ziehen aber gleich, sagen wir, mit Habermas mit und erklären kurzerhand die ganze Frage für ein Problem des herrschaftsfreien Dialogs. Will man(n) jedoch dieser Sache auf den Grund gehen, dann ist Kapitel 4 von Eldreds Monographie zu empfehlen. Er schreibt über Ruf und Namhaftigkeit folgendes: 

"Die Ausgesetztheit in der Öffnung der politischen Öffentlichkeit erfordert Abwehrfähigkeit. Die Unverborgenheit des Wer-Kerns, die in der Möglichkeit des Redens-über... gegeben ist, muß dadurch geschützt werden, daß der Wer sich zur Wehr setzt. Sich zur Wehr setzend, hält der Wer seine Ek-sistenz in der ‚pólis‘ aus, bzw. aufrecht. Der Rückzug aus der ‚pólis‘ ist einer aus der Unverborgenheit der Ek-sistenz in die Eigenheit des in seinem ursprünglichen Sinn verstandenen ‚idiótes‘. Der Idiot ist nämlich kein Blöder, sondern ein Eigensinniger, der sich der Öffentlichkeit der ‚pólis‘ entzieht."(S. 89)

Politiker(Innen) sind also keine Idioten, sondern (bloß) Namensträger. Sie sind Wer. Sie halten sich im Bereich der, horribile dictu, Wahrheit als Un-Verborgenheit (Heidegger) auf. Im Klartext: Sie halten die Offenheit der allgemein bekannten Bedeutungsbezüge aus. Ihr Name steht nicht nur für sie (als Personen), sondern für dieses Aus-halten selbst. Sie können sogar beides aus-einander-halten, wenn zum Beispiel ihr idiotisches Leben erschüttert wird, ihr politisches Dasein aber weiterbesteht. Auf Einzelfälle brauche ich hier nicht einzugehen: Sie sind ja nicht nur in aller Munde, sondern vor allen (medialen) Augen. Das alles ist aber keine billige (oder teuere) Kulturkritik oder gar (medienpolitische) Schelte. Wer-Sein als Männlich-sein ist, so Eldred, eine Weise des Seins des Daseins. Diese tritt aber erst als solche hervor, wenn die Weise des Weiblich-seins zeit-weilig aus der Verborgenheit ent-deckt wird, was wiederum zeigt, daß Sprache und Männlichkeit, zumal in der Weise der theoretischen Entdeckung, etwas miteinander zu tun haben.   

Wie aber kommen diese beiden Weisen da zu sein miteinander in Berührung? Eine auch sehr ontische Weise sich das zu veranschaulichen ist das Schmeicheln. Das tut das Wer, so Eldred, gewissermaßen kraft Amtes. Wir sind in der Weise des Wer sowohl in der Möglichkeit des Schmeichelns sowie der gegenseitig hochschaukelnden Bestätigung (S. 167). Die Bestätigung dieser Einsicht findet man(n) täglich in der Tagesschau, im Büro, beim Einkaufen usw. Wir können nicht ohne Masken (Eldred: Larven) leben. Ist aber dies unsere einzige Möglichkeit da zu sein? Oder gibt es einen "Weg aus der Spiegelhalle"?:   

"Schon den Anderen hören zu können, setzt eine zeitweilige Überwindung der Selbstbespiegelung voraus. Freunde rufen einander zu, sie rufen einander an, sie wollen erfahren, wie es dem Anderen jeweils in seiner Weltsorge geht. Die erste Person vermag in der Rede eine zweite mit einzubeziehen. Diese sind wohl ontisch Selbstverständlichkeiten, und das Thema Freundschaft ist heute in der Philosophie kein Thema. Hat sich dieses Thema erschöpft? Leidet es unter einem falschen Pathos? Oder gibt es außer in einer - schon längst geleisteten und erschöpften - Tugendlehre kein Wissen von ihr? Ist die Freundschaft im Grund bisher vom Standpunkt einer bequemen Egozentrik aus behandelt worden, während sie eigentlich eine unbequeme Existenzmöglichkeit darstellt? Zerbricht die Egozentrik am Anderen?" (S. 169-170) 

Man(n) kann natürlich mit Löchel Eldreds Antwort(en) - die meistens fragende Antworten sind - als déjà vu Antworten à la Lévinas, Heidegger, Lacan etc. bezeichnen. Damit bezeugt man(n) freilich bloß seine Ignoranz und Verbohrtheit. Gelernt ist gelernt. Man(n) bleibt hart und bekämpft mit Argumenten den Standpunkt des Anderen. Ist aber dies die einzige Möglichkeit, miteinander zu reden? Wann werden die (einige) Intellektuelle(n) in Deutschland (endlich) dem Erbe des Denkens Heideggers gewachsen sein? Muß ihnen alles zuerst, sagen wir, durch das amerikanische Sieb serviert werden, damit sie sicher sind, daß sie politisch korrekt denken? Als (mögliche) Antwort auf die vorherigen Fragen schreibt Eldred:   

"Im gleichen Maß, wie das ‚ich bin‘ mit dem Sein nicht ohne weiteres gleichzusetzen bzw. unter es zu subsumieren ist, läßt sich auch nicht das ‚du bist‘ selbstverständlich unter Seiendes subsumieren - eine Einsicht, die zum tragenden Grund der dialogischen Philosophie in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts wurde, worauf ich hier jedoch nicht näher eingehen möchte. (...) Wenn ich von mir erzähle, mich darstelle, gebe ich einen Umriß von mir, worüber sich sprachlich weiter verfügen läßt. (...) Das gegenseitige Du-sagen als gegenseitiges Aussprechen der jeweiligen Eigennamen dagegen hat etwas ganz und gar Unbeständiges und Unscheinbares, das darüber hinaus mich endgültig aus meinem Fürmichsein herauszureißen und dadurch den Anderen als bloß der-Andere-für-mich zu überwinden vermag. (...) Es schwingt in der Begegnung immer ein weiteres, unfaßbares Moment mit, das von der Rede über Seiendes übertüncht bzw. unterschlagen wird, denn deine Andersheit ist mir zugleich wunderbar und fremd, sie ist eine Aura, die dich umgibt. Man muß nicht wie Buber im Bestreben nach Beständigkeit dieses Moment Gott als "ewiges Du" nennen, sondern man kann das Aufflackern des Zwischen so nehmen, wie es ist: als Augen-Blick des Aufscheinens von ich und du." (S. 171-172) 

Wer nach der Lektüre dieser Passage immer noch denkt, daß es sich beim Heideggerschen Dasein um eine mystifizierende und egozentrische Philosophie handelt, dem ist nicht mehr zu helfen. Eldreds Sprache ist auch eine sehr poetische Sprache. Das mögen - im doppelten Sinne dieses Wortes - einige Ich-redende und -verstehende Intellektuelle in Deutschland heute nicht. Sie spielen lieber mit Argumenten. Hören wir Eldred noch einmal: 

"Solange ich der identische redende, und verstehende Mensch bin, habe ich nicht die Kraft, vertrage ich es nicht und kann es nicht zulassen, bezüglich deiner anzunehmen, du seiest und seiest nicht, aber sobald ich dazwischen bin, vermag ich diesen Widerspruch zu vertragen, obwohl es meinem Verstand und meiner Fähigkeit, es in Worte zu fassen, entgleitet. Dann bin ich nicht mehr ein und derselbe identische Wer, sondern durch dich infiziert und affiziert, d.h. dir inzwischen ausgeliefert. Mit dir dazwischen bin ich nicht mehr ich selbst, obwohl ich bin. Inzwischen haben wir unsere jeweilige Identitäten aufgegeben, ausgesetzt, wenn nicht aufgehoben, da gibt es keine abgrenzende Trennungslinie mehr zwischen uns, was aber keineswegs auf eine Verschmelzung hinausläuft. Ich vermag es nicht festzustellen, ob du seiest oder nicht seiest, aber ich bilde mir ein, daß du bist. Dazwischen kümmert mich dieser Widerspruch nicht, er geht mich kaum an, sondern an mir vorbei. Bezüglich deiner hilft mir meine Vernunft, mein den-Logos-haben wenig, um ins Klare zu kommen, denn dazwischen ist keine klare Sache. Ich bin außer Stande, dich zu fassen. Hier vermag der Logos, als Rede verstanden, wenig auszurichten, obschon er auf keinen Fall überflüssig geworden ist. Denn unter anderem reden wir freilich miteinander. Unser Gespräch kommt indes zu keinem Endresultat, zu keiner endgültigen Feststellung, sondern streut sich unsammelbar durch die Zeit. Unser Gespräch ist nur unbestimmbares, aber gestimmtes Teilmedium unseres wechselseitigen zwischenhaften Angangs. Der Logos - weder als Rede noch als Vernunft - hat nicht die Kraft, diesen Angang zu sammeln und zu beherrschen." (S. 178) 

Wie übt man sich aber ins Sein im Zwischen? Die Rede von einer notwendigen Bildungsreform von der Schule bis zur Universität und darüber hinaus ertönt überall. Die Philosophie hat ein kleines Reservat in der Schule als ein wenig sagendes Fach neben Religion. Ist aber die Philosophie nicht Teil des Problems? Eldred will sicherlich Philosophie und Logik nicht abschaffen. Es wäre sogar die Frage, inwiefern die Philosophie bereits in ihrem Ursprung nicht zugleich im Zwischen angesiedelt ist, auf das Eldred hinweist. Die Frage nach dem Zwischen der Geschlechter im Sinne eines Kampfes zwischen den beiden Geschlechtern ist eine leitende Frage nicht nur seit der gegenwärtigen Kulturdebatte, sondern bei der Gründung einer menschlichen Gemeinschaft überhaupt. Eldred stellt seine ontologische Geschlechterfrage quer zu dieser üblichen Zwischen-Frage. Er fragt nach dem Wie-Sein im Zwischen aus der Differenz von Männlich- und Weiblich-sein. Das und wird dabei zum eigentlichen theoretischen und praktischen Problem: Wie sind wir zugleich identisch und nicht-identisch? Wie bin ich zugleich ich und du? Wie kann ich zugleich reden und zuhören? Und - wie kann ich dies alles lernen? Wie kann ich mich darin ein Leben lang einüben? Wie lerne ich zu unterscheiden zwischen einer Frage, die auf das Begreifen eines Problems ausgerichtet ist, von einer Frage, die auf einen Anderen als einen Anderen gerichtet ist, oder besser gesagt, die sich an den Anderen richtet, weil ich von diesem zuerst angesprochen wurde? Welche Rückwirkung haben die Erfahrungen in diesen beiden Weisen da zu sein aufeinander? Und wie ist das heute, im Informationszeitalter, zu lernen? Was heißt: Leben im Informationszeitalter? Womit ich auf meine eigenen Versuche zu dieser Frage hinweisen möchte (vgl. v. Vf. Leben Informationszeitalter, Berlin 1995). Wie übt man sich ins Sein im Zwischen? Diese Frage läßt sich auch so übersetzen - und Eldred ist nicht nur vom Beruf, sondern auch als Denker ein Über-Setzer: Wie ist Freundschaft möglich?


FRAGEN

    Zuerst zu Eldreds Kritik an die Neutralität des Heideggerschen Daseins (Kap. 7). Wenn Männlich- und Weiblichsein aus ontologischer Sicht nicht mit Sexualität und Biologie zu tun haben, sondern als Weisen eines (unseres) Weltverhältnisses aufzufassen sind, dann ist in der Tat die Frage, ob sie nicht zum Seyn (diese Schreibweise ist Heideggers code für seine zeitliche Seinsauffassung) selbst gehören, in dem Sinne, daß das Sein ursprünglich sich (uns) zwiefältig gibt oder sich (uns) nur zwiefältig geben kann. In der Sprache Heideggers wäre dies die Differenz zwischen Entbergung und Verbergung oder zwischen Dasein und Wegsein. Diese Zwiefalt wäre auch, Heidegger zufolge, der Ur-Sprung der biologischen Sexualität in ihren vielfältigen Formen. Das würde wiederum bedeuten, daß Männlich- und Weiblichsein, wie sie Eldred als Weisen des Mitseins versteht, gleichursprünglich mit der Differenz im Sein zu denken sind. Männliches Wesen (oder männlich wesen) bedeutet also, verbal verstanden, eine Weise Zu-Sein im Sinne einer Begegnung aus der Ständigkeit und zur Ständigkeit hin. Weiblichkeit läßt sich wiederum, ontologisch verstanden, als "die ursprüngliche, nicht zum Stand zu bringende Dimension des Mitseins" (S. 226). Eldreds Leistung bestehe u.a. darin, die ontischen Geschlechtskategorien in die ontologische Dimension zu über-setzen. Dabei erfährt auch das Seinsdenken eine Drehung, bei der die Gewichte sich verlagern, nämlich von der "ungefalteten Einheit des Seins" (S. 224) auf "eine zwiespältige Offenheit des Daseins fürs Sein" (S. 231) (Vgl. M. Eldred, Hg.: Twisting Heidegger. Drehversuche parodistischen Denkens, Cuxhaven 1993).   

Eldreds Pointe besteht darin, diese Zwiefalt, die von Heidegger geschlechtsneutral verstanden wurde, auch im Horizont der Geschlechtlichkeit zu deuten oder zu über-setzen. Dabei zeigt sich die Freundschaft als der zeitweilige Über-Gang vom Einen zum Anderen. Die Dimension des Seinsentzugs erscheint aus dieser Perspektive nicht nur als schwer zu fassen, sondern als eine dem Männlich-sein und seinem Begreifen entgegenkommende mit ihm gleichwohl mitschwingende Weise seines Daseins, die sich aber nur im Zwischen eines gebrochenen Spiegels auftut. Die Tradition nannte die dabei verwendete Sprache, die Sprache des Herzens (philosophia cordis). Eldred nennt sie Freundschaft, philía. Sie ist unscheinbar, kaum hörbar, unbeständig (oder un-an-ständig). Sie entsteht zwischen uns. Sie ermöglicht uns, in produktiven Mißverständnissen zu leben, denn sie ist nicht primär auf ein Verständnis oder auf eine Verständigung, sondern auf die offenen Möglichkeiten des Zwischen hin orientiert. Ihre Melodie ist durch Risse und Umrisse gekennzeichnet. Sie ist eigentümlich ambivalent, für beide gültig, aber sich dabei auch der Macht des gemeinsam Begreifens entziehende, gerade wenn eine Über-ein-Stimmung erreicht wird. Die philosophía verwandelt sich in philophilía. Der Freund der Weisheit wird zum Freund der Freundschaft. Das Verhältnis wird nicht durch Du sollst, sondern durch Möchtest Du bestimmt. Menschliches Dasein west doppelstimmig. Daß wir vom Sein angesprochen werden, liest sich in Eldreds Über-Setzung so:   

"Dieses fremde Element, die Sprache aus deinem Mund, vermag mich zuweilen zu überfluten und zu verschieben. Ich weiß nie, was du sagen wirst, wie deine Worte kommen werden, wie du mich entwerfen wirst." (S. 203). 

Dieser Satz läßt sich wohl als möglichen Grundsatz - als Satz (oder Sprung) vom Grund, im Heideggerschen Sinne - eines durch das Denken Heideggers und Eldreds verwandelten dialogischen Konstruktivismus weiterdenken.   

Wenn die Dimension des Zwischen oder der zwischenmenschlichen Begegnung "kein Seinsverständnis, sondern nur anstimmenden, unfaßbaren Angang durch dich, der keine verstehbare Spur hinterläßt", ist, dann wäre wohl dieser (und jeder andere) ontologische Versuch unmöglich. Richtiger wäre zu sagen, daß entgegen dem Diktum: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen" (L. Wittgenstein, Tractatus Logico-Philosophicus, 7) wohl die Möglichkeit besteht, zwischen einem Sprechen von und einem Sprechen über zu unterscheiden, worauf Heidegger in seinen Schriften von der Sprache mehrmals hinweist. Es geht dabei nicht um ein Be-greifen, sondern, wie Eldred in Anschluß an Aristoteles bemerkt, um ein Be-rühren in der Sprache und an ihr. Damit ist keine Art von rührender Gefühlsphilosophie gemeint, sondern "die Berührung zwischen Freunden (ist) wesenhaft mit Auseinandersetzung verbunden" (S. 187), eine Auseinandersetzung, die wiederum sich auf die Divergenz in der Begegnung bezieht und keine dauerhafte Verschmelzung zu "einer Seele in zwei Leibern" anstrebt. Mit anderen Worten, Freundschaft heißt: das Zwischen vom Anderen her aufleuchten lassen, so daß beide (Individuen, Völker, Gemeinschaften, Kulturen...) dieses Zwischen und wenn nur für einen Augen-Blick geschehen lassen. Was eine solche freundschaftliche Auseinandersetzung mit sich bringt, ist kaum zu ermessen.

Eldreds Deutung der Intimität (S. 222 ff) klingt zuweilen intimistisch, was eine Spannung zum ek-statischen Dasein schafft. Man denke an das Wort des Augustinus: "intimior intimo meo et superior summo meo". Exteriorität und Intimität schließen sich also nicht aus, sondern sind zwei Aus-Sichten desselben Phänomens, d.h. des Da-seins. Eldreds Phänomenologie der Freundschaft ist eine große denkerische Leistung. Ich möchte sie in Erwiderung zur folgenden Erfahrung des Augustinus beim Tod eines Freundes stellen:

"So war es mit mir damals bestellt, genau so, ich erinnere mich. Sieh auf mein Herz, mein Gott, sieh ins Innere! Sieh, daß ich mich erinnere, meine Hoffnung, der du mich von der Unreinheit solcher Empfindungen reinigst, indem du meine Augen sich auf dich richten läßt und meine Füße aus der Schlinge ziehst. In der Tat wunderte ich mich, daß andere Sterbliche noch am Leben waren, weil der, den ich wie einen Unsterblichen geliebt hatte, gestorben war, und mehr noch verwunderte mich, daß ich sein zweites Ich ("quia illi alter eram"), noch leben konnte, obwohl er tot war. Treffend sagt einmal ein Dichter von seinem Freund, er sei die Hälfte seiner Seele ("dimidium animae meae" Horaz, Oden I, 3). Denn auch ich hatte das Gefühl, daß meine Seele und seine Seele nur eine Seele in zwei Körpern ("unam fuisse animam in duobus corporibus") (vgl. Ovid, Tristien IV, 4, 72) gewesen seien und deshalb war mir das Leben ein Greuel ("mihi horrori erat vita"), weil es mir widerstrebte, als halber Mensch zu leben ("quia nolebam dimidius vivere") und deshalb fürchtete ich vielleicht auch den Tod, fürchtete, mein Freund, den ich doch sehr geliebt hatte, werde dann ganz sterben ("ne totus ille moreretur, quem multum amaveram")." (Bekenntnisse, Buch IV, Kap. 6, 11 in der Übers. von K. Flasch und B. Moysisch, Reclam 1989)


Letzte Änderung: 26. Mai 2017

 
 
   

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