Inhalt
1. Die
Grundidee des Buches: Implizites Wissen
2.
Implizites Wissen im Unternehmen
3.
Das Middle-up-down Modell des Managements
4.
Der Prozeß der Wissensschaffung
Schluß
1.
Die Grundidee des Buches: Implizites Wissen
Die Grundidee
dieses Buches hatten die Autoren bereits 1986 veröffentlicht.
Damals
hatten sie in einem Artikel in der Harvard Business Review die These
vertreten,
der Erfolg japanischer Unternehmen ließe sich mit der Metapher
des
Rugby erläutern, insofern nämlich als alle Spieler mit ihren
jeweiligen persönlichen und gemeinsamen Interessen den 'Ball',
also
die Ziele des Unternehmens, durch ihre Interaktion an seine Bestimmung
bringen. Diese Metapher steht der Metapher des Staffellaufs entgegen,
bei
dem der Ball in festgelegter und linearer Weise von einem Team zum
nächsten
weitergegeben wird.
Dabei
greifen die Autoren ein altes und klassisches Thema der Philosophie
auf,
nämlich die Frage, wie neues Wissen entsteht und wie es mitgeteilt
wird. Wie von zwei japanischen Autoren zu erwarten, versuchen Nonaka
und
Takeuchi die westliche Tradition der modernen Subjekt/Objekt-Spaltung
und
des Körper-Geist-Dualismus mit dem auf Harmonie, Ganzheit und
Konkretheit
gerichteten japanischen Denken zu konfrontieren. Diese
Gegenüberstellung
wird aber insofern abgeschwächt, als die Autoren sich auf den von
Michael Polanyi entwickelten Begriff des 'impliziten Wissens' ('tacit
knowing') beziehen.
In
seinem Buch The Tacit Dimension (1966) hatte Polanyi über
die
Bedeutung von körperlichen Reaktionen als eine Form von
(implizitem)
Wissen oder von verinnerlichten Handlungen geschrieben, die zum
Beispiel
in Form von moralischen Annahmen oder auch von wissenschaftlichen
Theorien
unsere Praxis leiten. Für Polanyi, der sich dabei auf Wilhelm
Diltheys
Begriff der 'Einfühlung' sowie auf Hans Lipps beruft, bedeutet
dieses
Wissen die Grundlage des sogenannten objektiven Wissens. Wenn aber, so
Polanyi, die moderne Wissenschaft nur letzteres akzeptiert und ersteres
aufheben will, dann führt dieser Prozeß zur
Selbstzerstörung.
Mit anderen Worten, Formalisierung hat nur einen Sinn, wenn sie auf
konkreten
informellen Erfahrungen basiert und sich ihr zuwendet. Da das Neue per
definitionem etwas ist, was wir noch nicht explizit erfassen
können,
können wir uns ihm nur annähern, wie wir es im Falle des
'impliziten
Wissens' tun, nämlich durch Einfühlung.
Polanyi
vergleicht dieser Vorgang mit dem biologischen Phänomen der
'Emergenz'.
Wissensübertragung beruht also, so Polanyi, auf einer immer
vorwiegend
implizit bleibenden Tradition, die keine Aufklärung restlos
explizit
machen kann. Das ist kein Plädoyer für Traditionalismus oder
gar Obskurantismus, sondern Polanyi deckt auf, daß die
Wissenschaft
aus dem Bewußtsein der Begrenzheit ihrer Sichtweisen ihre
Stärke
zu neuen Entdeckungen zieht. Das ist aber genau, was die sinnliche
Wahrnehmung
uns lehrt, indem wir die Einsicht in bestimmte Aspekte des
Wahrgenommenen
mit dem Bewußtsein von weiteren uns verborgenen Sichtweisen
verbinden.
Es kommt also bei der Entdeckung neuen Wissens darauf an, das explizite
Wissen als möglichen (!) Ausdruck einer nicht völlig
erkannten
'impliziten' Dimension zu sehen. Wenn also aus 'Fakten'
Möglichkeiten
werden, läßt sich diesen nachgehen und dies kann u.U. zu
ganz
'überraschenden' Einsichten führen.
Takeuchi
und Nonaka greifen den Begriff des 'impliziten Wissens' auf und
verstehen
ihn so, daß dieses Wissen sowohl körperliche als auch
geistige
Dimensionen aufweist. Es bedeutet sowohl das Ergebnis von 'learning by
doing' als auch die Verinnerlichung von Werten und Idealen in den
konkreten
Individuen. Ein Unternehmen besteht aber aus der Interaktion von allen
beteiligen Individuen. Aus dieser zweiten Prämisse folgt dann die
Conclusio, daß Kreativität und neues Wissen im Unternehmen
nur
durch die Einbeziehung des impliziten Wissens der Mitarbeiter
stattfnden
kann. Die Verwandlung von implizitem in explizites Wissen ist für
die Autoren der Schlüssel für die Frage nach dem Erfolg
japanischer
Unternehmen.
2.
Implizites Wissen im Unternehmen
Das Musterbeispiel
dazu liefern die Autoren mit Hilfe von Hondas 'Tall Boy'. Aus dem Motto
der Geschäftsführung 'Let's Gamble' (Wer wagt,
gewinnt),
folgte die Idee bzw. die Metapher von der 'Automobilevolution' und
diese
mündete in das Bild einer Kugel (kurzes, hohes Auto), welches die
'Detroit-Logik' nach Vorrang von Aussehen gegenüber Komfort, in
Frage
stellte. An diesem Beispiel zeigen die Autoren die Anknüpfung an
'implizites
Wissen' mittels Metaphern und Analogien, durch Mittel also, die der
Wahrnehmung
und der Intuition nahestehen. Diesen Mitteln stellen die Autoren noch
weitere
hinzu, wie zum Beispiel, das Sich-gegenseitig-Mitteilen von
individuellem
Wissen und die Schaffung von Zweideutigkeit und Redundanz. Auf die
Struktur
eines Unternehmens bezogen, bedeutet dies, daß das mittlere
Management
eine entscheidende Vermittlungsfunktion zwischen den Visionen des
Topmanagement
und dem impliziten Wissen der Mitarbeiter spielt.
Der
Schlüssel für die Schaffung neuen Wissens liegt für die
Autoren in der Verwandlung von implizitem in explizites Wissen, was sie
Externalisierung nennen. Gegenüber der Vorstellung, daß
Wissen
nur durch die Einführung von externen Informationen und deren
Verarbeitung
entsteht, betonen sie, daß eine Information im Sinne von 'einer
Nachricht
von einem Unterschied' (G. Bateson) nur in Verbindung mit konkreten
Vorstellungen
und Handlungen in einem dynamischen Kontext einen Sinn hat.
'Information
ist ein notwendiges Medium oder Material für die Bildung von
Wissen'.
Information wird zum Wissen, wenn sie 'kontext- und
beziehungspezifisch'
wird (S. 70).
Gegenüber
der naiven Vorstellung von 'Informationsverarbeitung' betonen die
Autoren
also die Einbettung der Information in den folgenden Prozessen:
-
Wandlung
von inplizitem zu implizitem Wissen (Sozialisierung)
-
Wandlung
von implizitem zu explizitem Wissen (Externalisierung)
-
Wandlung
von explizitem zu explizitem Wissen (Kombination)
-
Wandlung
von explizitem zu implizitem Wissen (Internalisierung)
Die entscheidende
Wandlung ist die Externalisierung aufgrund von Analogien, Metaphern und
Modellen. Sie ist eingebettet in einem Fünf-Phasen-Modell der
Wissensschaffung
im Unternehmen, nämlich:
-
Wissen
austauschen
-
Konzepte
schaffen
-
Konzepte
erklären
-
einen
Archetyp bilden
-
Wissen
übertragen.
Diese
Phasen werden sehr einleuchtend mit dem Beispiel der Entwicklung des
Heimbackautomaten
von Matsushita erläutert. Dabei stellt der Gang des Ingenieurs in
die Lehre des impliziten Wissens des Bäckermeisters eine
schlagkräftige
Erläuterung des Wertes von Handwerkerwissen dar. Die
Bäckermeisterin
Tanaka konnte aber immerhin den Ingenieuren erläutern, inwiefern
die
'Drehdehnung' entscheidend für den Prozeß des Backens
'schmackhafter
Brote' war.
3.
Das Middle-up-down Modell des Managements
Die Analyse
von verschiedenen Managementmodellen (Kap. 5) (hierarchisches Modell,
partizipatives
Modell, Middle-up-down-Modell) führt zur Herausarbeitung der Rolle
des Mittelmanagements (drittes Modell) sowie zur Unterscheidung in der
'Gemeinschaft der Wissensschaffung' zwischen:
-
Wissenspraktiker
(Mitarbeiter und Linienmanager)
-
Wissensingenieure
(Mittelmanager)
-
Wissensverwalter
(Führungskräfte).
Gemäß
der Devise, daß ein Unternehmer nicht bloß Informationen
von
außen verarbeitet, sondern primär ein Erzeuger von neuem
Wissen
ist und somit kreativ gegenüber der Umwelt vorgeht, suchen die
Autoren
die Dynamik der verschiedenen Ebenen der Wissensschaffung sowohl
innerhalb
des Unternehmens als auch mit der Umwelt (Kontakt mit den Kunden), was
vor allem den Wissenspraktikern eigen ist. Zu diesen zählen die
Autoren
die 'Wissenswerker' und die 'Wissensspezialisten'. Jene sammeln und
erzeugen
implizites Wissen in Form von Fertigkeiten, die auf Erfahrungen
beruhen.
Zu ihnen zählen z.B. Angestellte in der Verkaufsabteilung,
Facharbeiter
in der Montage. Ihre Stärke liegt darin, daß sie 'mit Kopf
und
Händen' arbeiten. Die 'Wissensspezialisten' wiederum sammeln,
erzeugen
und erneuern Wissen. Sie mobilisieren strukturiertes explizites Wissen
in Form von technisschen, wissenschaftlichen und anderen
quantifizierbaren
Daten. Dazu zählen die Autoren z.B. F&E Wissenschaftler,
Software-Ingenieure,
Experten aus Stabsbereichen.
Anstelle
der klassischen hierarchischen Struktur eines Unternehmens schlagen die
Autoren eine Hypertextorganisation vor und zeigen anhand von Beispielen
wie das Zusammenspiel von implizitem und explizitem Wissen an
bestimmten
Firmen (Kao, Sharp) funktioniert.
Weltweite
Wissensschaffung führt schließlich (Kap. 7) zu bereichernden
multikulturellen Erfahrungen (Informationsbeschaffung vor Ort), so z.B.
die Erfahrung, daß bei einer 800-km-Fahrt von Brüssel nach
Zürich
ein Sitz gebraucht wird, in dem man nicht ermüdet!
Itakura,
der Planungsleiter von Großgeräten bei Adachi, lernte in
Amerika
das Problem der Gleichberechtigung kennen, usw.
4.
Der Prozeß der Wissensschaffung
Das Programm
zur Wissensschaffung in einem Unternehmen läßt sich
(vereinfacht)
als ein Sieben-Schritte-Prozeß beschreiben:
-
Eine Wissensvision
schaffen
-
Eine Wissensgemeinschaft
bilden
-
Ein energiegeladenes
Interaktionsfeld erzeugen
-
Auf dem
neuen Entwicklungsprozeß aufbauen
-
Das Middle-up-down-Management
einführen
-
Auf eine
Hypertextorganisation umstellen
-
Ein Wissensnetz
mit der Außenwelt einrichten.
Die theoretischen
Konsequenzen dieses Modells sehen die Verfasser zum Beispiel in der
Übewindung
von modernen (westlichen) Dichotomien, wie die zwischen
-
implizit/explizit,
-
Körper/Geist,
-
Individuum/Unternehmen,
-
hierarchisch/partizipativ,
-
Bürokratie/Arbeitsgruppe,
-
Staffellauf/Rugby,
-
Osten/Westen.
Schluß
Einige
Rezensenten dieses Buches (O. Hauptman, J. Neuriger, Carleton
University,
Ottawa, Canada, In: Technological Forecasting and Social Change, 1997,
55, S. 99-101) warnen aber vor übereifrigen und eiligen
Anwendungen
in der Praxis. Sie schreiben:
"We
strongly recommend this book for scholars and practitioners alike with
a warning to the latter: although it might be tempting to apply the
presented
concepts directly and quickly, this should be done with extreme caution
and with thorough preparation. But this is only a problem if one does not
recognize it as one. Understanding this, one can capture the
generalizable
concepts and apply them."
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