Ziele
des Seminars
Der Begriff
Paradigma (Griechisch: parádeigma = Modell, Urbild)
wurde
durch den amerikanischen Wissenschaftshistoriker Thomas S. Kuhn in die
wissenschaftstheoretische Debatte eingeführt und machte von da an
eine steile Karriere, so dass bald in den verschiedensten Bereichen von
einem Paradigmenwechsel gesprochen wurde. In seinem Buch Die
Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (1962) sprach Kuhn von
Paradigmen
im Sinne von "anerkannten Beispielen für konkrete
wissenschaftliche
Praxis, die eine 'normale' Phase wissenschaftlicher Forschung leiten."
Wenn Anomalien auftreten, die innerhalb des herrschenden Paradigmas
nicht
lösbar sind, bahnt sich eine Krise ein, die zu einem
Paradigmenwechsel
führt. Dadurch verändern sich aber nicht nur die Annahmen und
Theorien, sondern auch die apparativen und institutionellen
Bedingungen.
Wissenschaftliche Revolutionen verlaufen, nach Kuhn, entsprechend einer
nicht-linearen Entwicklung.
Im
Falle der Informationswissenschaft kann man beobachten, dass diese sich
in ihrem paradigmatischen Selbstverständnis und in partieller
Abgrenzung
zum Bibliothekswesen als Theorie und Praxis des Information Retrieval
seit
den 50er Jahren bestimmte. Diese Selbstbestimmung war zunächst
objektivistisch
orientiert, d.h. sie vernachlässigte weitgehend die Rolle des
Erkennenden/Suchenden.
Die
Betonung des cognitive viewpoint brachte in den 70er Jahren so
etwas
wie einen Paradigmenwechsel hervor. Dieser intellektualistische Ansatz
wurde in den 80er Jahren aufgrund der Einbeziehung des pragmatischen
Kontextes
abermals in Frage gestellt. Der Übergang von Theorie und Praxis
des
Information Retrieval zum heutigen Information Management drückt
in
Beruf, Lehre und Forschung dieses Gebietes die neue revolutionäre
Phase aus.
Neue Entwicklungen im
Selbstverständnis der Unternehmen, flankiert
durch die weltweite Vernetzung sowie durch die atemberaubende
Geschwindigkeit
in der Entwicklung der Informationstechnik, lassen vermuten, dass das
dynamische
Verhältnis zwischen Wissen und Information immer mehr als ein
konstitutives
Element nicht nur von Innovationen, sondern des Marktes insgesamt
wahrgenommen
werden (Nonaka/Takeuchi). Hier öffnen sich offensichtlich neue
Perspektiven
der Informationsarbeit.
Es
ist von theoretischem und praktischem Interesse, wenn Studierende des
Studiengangs
Informationsmanagement sich über diese Entwicklung bewusst(er)
werden.
Wir
haben uns in diesem Seminar zum Paradigmenwechsel in der
Informationswissenschaft
und -praxis mit verschiedenen Positionen aus Europa (Ellis, Kuhlen,
Herget,
Krause, Fleissner, Ingwersen), USA/Canada (Saracevic, Frohmann, Belkin)
auseinandergesetzt
und in den breiteren Kontext der Nutzung des Wissens im Unternehmen
(Nonaka/Takeuchi)
gestellt.
Referate zu
D.
Ellis: "Paradigmen und deren Vorstufen in der Retrievalforschung"
von
Gerhard Beck
P.
Fleissner : "Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung:
Informationsprozesse
in der Wirtschaft, die Vernetzung des Denkens und die technische
Integration
der Gesellschaft" von Wolfgang Isele
I.
Nonaka, H. Takeuchi: "Die Organisation des Wissens. Wie japanische
Unternehmen eine brachliegende Ressource nutzbar machen" von Rafael
Capurro