ANSÄTZE ZUR BEGRÜNDUNG EINER NETZETHIK

Rafael Capurro

 
 
 


Vortrag im Rahmen des Symposiums "Medientheorie und Medientheologie" an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik (Prof. Dr. Dr. Klaas Huizing) am 25.-27. Januar 2002. Erschienen in:  Klaas Huizing, Horst F. Rupp (Hg.): Medientheorie und Medientheologie. Münster: LIT, 2003, 122-137. Eine längere Fassung erschien mit dem Titel Operari sequitur esse. Zur existenzial-ontologischen Begründung der Netzethik in Th. Hausmanninger, R. Capurro (Hrsg.): Netzethik. Grundlegungsfragen der Internetethik. München: Fink 2001, 61-77.
 
 

 
INHALT
 

Einführung 

1. Umriss des digitalen Weltentwurfs 
2. Zur existenzial-ontologischen Begründung der Netzethik 

Ausblick 

Literatur 
 

 
 
 

EINFÜHRUNG


Der Mensch ist, so Heidegger, "weltbildend". Genauer: Weltbildend ist "das Da-sein im Menschen" (Heidegger 1983: 414). Das "Dasein im Menschen" ist jene Unbestimmtheit oder Weltoffenheit, die uns ermöglicht, alles, was ist, auf das Sein hin zu entwerfen und diese Weltentwürfe zu verändern. Die Spannung zwischen Offenheit und Bestimmtheit bildet den Ausgangspunkt für die Ethik, sofern damit ein Vorgreifen auf Handlungsgründe mit ausdrücklicher Rücksichtnahme auf die anderen Handelnden gemeint ist.   

Wir sind nicht nur in einer Welt, mit uns geschieht Welt. Als diejenigen, die der Weltoffenheit ausgesetzt sind, sind wir ursprünglich die Orientierungsuchenden. Wären wir es nicht, würden wir keine Welt bilden, um dadurch bestimmte Verbindlichkeiten unseres Daseins auf unterschiedliche Weise zu (be-)gründen. Wir tun das, indem wir uns mit Rücksicht auf vorgegebene Möglichkeiten richten und dabei das (natürlich) Seiende auf seine Strukturen und Prozesse hin entdecken, auslegen und auf der Grundlage eines "freien Sich-entgegenhaltens" uns von ihm binden lassen (Heidegger 1983, a.a.O). Ferner, indem wir Vereinbarungen treffen, die dem Miteinandersein eine konkrete bestimmte verbindliche und uns so (ver-) bindende Gestalt, eine Moral oder ein Ethos also, geben.   

Was sich als Ethos oder in Form des positiven Rechts niederschlägt, ist deshalb nicht unveränderbar, aber auch nicht beliebig, denn es hat seine Wurzeln in vorausgehenden Entwürfen. Wir können daraus schließen, dass es eine Spannung zwischen Ethik, Moral und Recht gibt. Den Vorrang der Moral gegenüber Ethik und Recht nennen wir Fundamentalismus. Den Vorrang des Rechts gegenüber Ethik und Moral nennen wir Legalismus. Den Vorrang der Ethik gegenüber Moral und Recht nennen wir Rigorismus. Es macht das Eigentümliche unseres Handelns aus, dass wir zwar diese Sphären jeweils überschreiten können, ohne aber dadurch aufzuhören, uns im Kreise zu bewegen.  

Ein existenzieller Konstruktivismus behauptet, dass wir es zwar immer sind, die eine Welt bilden, ohne aber zu meinen, dass dies ein zureichender Grund für das Sichöffnen des Möglichen oder der Weltoffenheit selbst ist. So wie Kant und Heidegger den kritischen Blick auf die Metaphysik jeweils in eine besondere Richtung gedreht haben — und es lässt sich leicht feststellen, dass es vielen Zeitgenossen und auch nicht wenigen späteren Kritikern dabei schwindlig wurde, so dass sie verständlicherweise manchmal auch an Schwindeln dachten —, haben wir die Aufgabe vor uns, eine Drehbewegung auf jenes technische Weltverhältnis zu vollziehen, das sich heute anschickt, die Welt digital und netzwerkartig zu entwerfen.  

Wo ist der Ort der heutigen Reflexion über die Grenzen des digitalen Weltentwurfs im allgemeinen und der Weltvernetzung im besonderen? Wo und wer sind wir, wenn wir über das Internet sprechen? Wie läßt sich eine Informationsethik oder Netzethik begründen?  

Die Antwort auf diese Fragen setzt voraus, dass wir uns zunächst auf das Phänomen des digitalen Weltentwurfs einlassen, sofern nämlich dieser Entwurf unser heutiges In-der-Welt-sein prägt. In einem zweiten Schritt sollen die Konsequenzen in bezug auf die Begründung einer Informationsethik gezogen werden. Eine These dieses Beitrags lautet, dass eine solche Begründung in einer im digitalen Medium sich selbst reflektierenden Hermeneutik zu finden ist. Das bedeutet aber zugleich, so die zweite These, dass eine Netzethik sich nicht paradoxerweise mit den Grenzen des digitalen Weltentwurfs deckt oder nur auf diesen Entwurf zurückgreifen kann. Dies setzt voraus, dass der digitale Weltentwurf in seiner spezifischen Begrenztheit erfasst wird. Damit ist lediglich der Rahmen für eine dergestalt fundierte informationsethische Reflexion gegeben, nicht aber diese selbst in Auseinandersetzung mit vergangenen Informationsmoralen sowie eine Erörterung der anstehenden Herausforderungen durch die digitale Globalisierung ausgearbeitet.


1. UMRISS DES DIGITALEN WELTENTWURFS

Wir leben in einer global digitalisiert-vernetzten Welt. Die Rede von der Globalisierung ist inzwischen selbst global und trivial geworden. Sie ist nicht nur der Ort, an dem sich alle treffen, die gern darüber sprechen und schreiben, sondern auch jene Kreuzung selbst, an der sich drei Wege ('tri-viae') kreuzen, um in Form einer einzigen Sendung oder eines ganzheitlichen Ereignisses zu emergieren, nämlich abendländische Metaphysik, moderne Wissenschaft und digitale Technik. Dass wir global oder sphärisch denken, zeigt Peter Sloterdijk in seinem opus magnum (Sloterdijk 1998/99), wobei eine Pointe dieses Ansatzes darin besteht, zu zeigen, dass Sphären immer wieder platzen und sich immer wieder neu bilden.   

Drei große sphärologische Projekte prägen maßgeblich unsere Geschichte. Da ist zum einen die Globalisierung der Vernunft in der griechischen Philosophie. Wir nennen dieses Projekt die metaphysische Globalisierung. Es ist jene Globalisierung, die über die Natur hinausgeht, indem sie sie geistig umfängt und im Reich des Göttlichen aufhebt. Sie faßt, von Aristoteles bis Hegel, das Göttliche selbst sphärisch oder selbstbezüglich, als das sich selbst denkende Denken auf. Diese Sphäre platzt mit dem Aufkommen der modernen Wissenschaft, indem diese den noetischen Ansprüchen des sich widerspiegelnden Denkens die freche Widerlegung durch den Einzelfall entgegenzustellen wagt. In diesem ungleichen Kampf siegt der mit der kleinen Kugel ausgestattete David. Von diesem Platzen profitiert im 20. Jahrhundert jene Form des kritischen Rationalismus, die zwar ständig auf die Falsifizierbarkeit eines All-Satzes pocht, zugleich aber die regulative Idee einer Annäherung an die nie erreichbare Wahrheit behält.   

Die zweite Globalisierung ist die terrestrische. Sie findet ihren Ausgang im Europa des 15. Jahrhunderts und erstreckt sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Vorstellung eines runden Planeten Erde sowie die Versuche die Weltmeere zu durchkreuzen, besser, zu umrunden, sind zwar älter, aber für das selbstbewußte und mit imperialen Ambitionen sich wähnende sphärologische und sphärokratische Subjekt zahlt es sich aus, zumindest vorläufig.   

Die dritte Globalisierung schließlich ist die digitale. Sie hat ihre Vorläufer im Spätmittelalter (Raimundus Lull, Nikolaus von Kues) und in der frühen Neuzeit (Pascal, Leibniz), bis sie schließlich im 20. Jahrhundert in Form eines globalen und digitalen Netzes jene raum-zeitlichen Grenzen aufhebt, welche die terrestrische Sphäre kennzeichneten.   

Dass Sphären platzen, bedeutet nicht, dass wir aufhören sollten oder könnten, ganzheitlich zu denken, sondern dass jede Form von Globalisierung nicht ein Problem, sondern etwas Problematisches darstellt. "Problematische Begriffe" sind, so Kant, diejenigen "vom Objekt, welches einer Idee korrespondiert", wovon wir "keine Kenntnis" haben können (Kant 1975: A 339).  Für die sich daraus ergebenden Fragen gibt es für Kant wohl keine Lösung, sondern eine "Auflösung": Globale Begriffe sind regulative Ideen. Die Trennung zwischen dem Empirischen und dem Transzendentalen ist die Art und Weise, wie Kant eine scheinbare empirische Totalität platzen läßt, indem er den Sprung vom empirischen zum reinen Gebrauch der Vernunft zeigt.   

Den Grund für unser Mißtrauen gegenüber dem globalen Denken und Handeln finden wir aber nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern existentiell, in unserem In-der-Welt-sein im Sinne einer gebrochenen Globalisierung. Heideggers Formel für die durch die Daseinsanalytik zum Platzen gebrachte metaphysische Globalisierung lautet "das Seiende im Ganzen". Die Daseinsanalytik bedeutet, mit anderen Worten, die Falsifizierung jener metaphysischen These, die besagt, dass alle Seienden sich in ihrem Sein am Maßstab der Anwesenheit zu messen haben, wobei das höchste (göttliche) Seiende das ständig Seiende ('aei on', 'nunc stans') ist. Die Grenze unserer existentiellen raum-zeitlichen Totalität oder das, wodurch unser In-der-Welt-sein ständig platzt, ist unser "Vorlaufen zum Tode", ob wir dies eigentlich wahrhaben wollen oder nicht. Die Wahrnehmung dieses Unterschiedes, nämlich des Unterschiedes zwischen der Vorstellung einer metaphysischen Totalität und der Offenheit des Daseins ermöglicht eine andere Sicht auf die existentiellen Möglichkeiten und auf die sie ermöglichenden Weltentwürfe selbst.   

Diese Sicht ist die Basis einer Ethik, deren Kernpunkt also die Offenlegung jener Risse ist, wodurch wir auf die Sorge, die aus dem Unbestimmten stammt, zurückgeworfen werden. Das, was die Sphären zum Platzen bringt ist nicht mehr und nicht weniger als die Entschlossenheit zum Handeln. Das bedeutet, dass Sphären nicht nur, wie Sloterdijk hervorhebt, Raumhorizonte sind, sondern dass sie uns im Bann der Jetzt-Zeit umringen, und dass erst im "Augenblick" (Kierkegaard), in dem "der Blick des Daseins in den drei Richtungen der Sicht" sich (uns) entschließt, und dabei die Weltoffenheit neu erschließt, dieser Bann gebrochen wird (Heidegger 1983: 226).   

Der Mensch ist ein "Wesen der Ferne" (Heidegger 1973: 54).  Das bedeutet, dass wir zwar in Ganzheiten leben, indem wir ent-fernen, zugleich aber entwerfen wir uns immer über Grenzen hinaus. Dieses In-Über-Verhältnis (Przywara 1962)  verstehen wir in diesem Zusammenhang nicht im Hinblick auf eine transzendente Sphäre im Sinne einer absoluten persönlichen Transzendenz. Es ließe sich sagen, dass eine solche Transzendenz gerade dasjenige wäre, das letztlich das Platzen aller immanenten Sphären möglich macht. Ob eine solche Aussage aber letztlich ebenfalls ein sphärologisches Projekt ist, sofern es uns nämlich in einem Letzten versichert und dabei die Sorge abnimmt, die aus dem Überschreiten selbst entspringt, bleibe dahingestellt. Demgegenüber gilt: Wir sind die Orientierungsuchenden. Wären wir es nicht, wäre die offen bleibende Frage nach Orientierung sinnlos. Wir trennen methodologisch die Frage nach einer philosophischen von der nach einer theologischen Ethik. Ein zugleich philosophischer und religiöser Ansatz, der durch den Bezug auf den ganz Anderen oder den Unendlichen das Denken in Totalitäten durchbricht, stellt das Werk von Emmanuel Lévinas dar (Lévinas 1987, Capurro 1991).  

Wodurch zeichnet sich der heutige digitale Weltentwurf aus?  Erstens dadurch, dass er einen entscheidenden Ursprung in der abendländischen Metaphysik hat (Capurro 2002). Es ist hier nicht der Ort, diesem Ursprung im Einzelnen nachzugehen. Nur soviel: Die griechische Metaphysik in ihrer klassischen platonischen und aristotelischen Ausformung zeichnet sich wesentlich durch den Vorgang des Trennens ('chorízein') aus. Die Genese von Mathematik und Geometrie zeigt die Herauslösung oder Abstraktion von Zahlen und Punkten aus dem Zusammenhang mit den natürlich Seienden ('physis').  

Während aber für Aristoteles dieser Vorgang sich im Falle geometrischer, aus Punkten bestehender Figuren in der Wahrnehmung ('aisthesis') und im Falle der Zahlen im 'logos' und im 'nous' abspielt, zeichnet sich der heutige digitale Weltentwurf, zweitens, dadurch aus, dass Zahlen und Punkte technologisch und zwar im elektromagnetischen Medium eingeprägt werden, was sich ideengeschichtlich als Information auffassen läßt. Das elektromagnetische Medium ist jener platonischen Prägemasse ('chora'), der "Amme des Werdens", vergleichbar, die die Formen der Dinge aufgrund der demiurgischen Tätigkeit, so Platon im "Timaios" (52b), annimmt.   

Wenn, wie Heidegger meint, der gewöhnliche Sinn von Sein Anwesenheit ist, und wenn dieser Seinssinn die abendländische Metaphysik prägt, dann ist der digitale Weltentwurf ein höchst metaphysischer Entwurf, denn, alles was ist, wird hier in Form einer ständigen digitalen Verfügbarkeit vorgestellt. Der ontologische Name für diese Verfügbarkeit ist Virtualität.   

Mehr noch, der digitale Weltentwurf hält nicht nur das Seiende in Form beständiger digitaler Anwesenheit, sondern die Welt selbst im Sinne der Totalität dessen, was in ihrem Sein erfaßt werden kann, wird auf ihre Digitalisierbarkeit hin entworfen. Die in Anlehnung an Berkeleys dictum "Their esse is percipi" (Berkeley 1965: 62) gebildete Aussage "esse est computari" bedeutet weder eine Stellungnahme zugunsten des digitalen Weltentwurfs, noch soll damit ausgesagt werden, dass zum Beispiel die Seienden in ihrer Materialität keinen Bestand mehr haben oder dass der digitale Weltentwurf so etwas wie die digitale Version des philosophischen Idealismus wäre. "Esse est computari" ist, mit anderen Worten, keine Aussage, die sich auf eine bestimmte Art von Seienden, nämlich die Digital-Seienden, bezieht. Es wird damit auch nicht behauptet, dass alle Seienden digital sind, im Sinne also einer digitalen Metaphysik. Und es ist, schließlich, auch keine bloße erkenntnistheoretische Aussage, sondern sie betrifft die Art und Weise, wie wir uns in der Welt zu uns selbst und zu den Dingen verhalten. Es handelt sich also um einen Weltentwurf im Sinne der Bestimmung eines Weltverhältnisses. 

Meine These lautet, dass seit dem Aufkommen des Computers, aber vorbereitet durch vielfältige Entwicklungen — ich nenne als Beispiel Leibniz' mathesis universalis —, unser Seins- und Weltverständnis umgeschlagen ist, dass also ein neuer Weltentwurf entstanden ist. Dieser Umschlag ist dem vom idealistischen zum materialistischen Seinsverständnis im 19. Jahrhundert vergleichbar. Das bedeutet nicht unbedingt, dass alle Menschen oder eine bestimmte Gruppe, etwa alle Naturwissenschaftler oder alle Informatiker, sich mit diesem Weltentwurf identifizieren. Es ist vielmehr so, dass ein neues Weltverständnis sich zunächst kaum bemerkbar macht und erst allmählich sich bis hin zu einem banalen, nicht mehr hinterfragten generalisierten Vorverständnis entwickeln kann. "Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm bringen. Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt", heißt es in Nietzsches Zarathustra (Nietzsche 1976, Bd. 2, S. 675).  

Ich behaupte aber, dass der digitale Weltentwurf nicht nur ein neues Seinsverständnis darstellt, sondern dass es sich in einer relativ kurzen Zeitspanne zu einem generalisierten Vorverständnis entwickelt hat. Das mag einen Grund im Einfluß von Naturwissenschaft und Technik auf die Gesellschaft haben sowie in der digitalen Globalisierung selbst, die zugleich Gegenstand und Medium dieses Seinsverständnisses ist. Wenn wir heute etwas verstehen wollen, dann meinen wir in den unterschiedlichsten Wissenschaften, aber auch in einer diffusen Weise im Alltag, dass wir das entsprechende Phänomen digital erfassen müssen. Damit meinen wir nicht nur, wie im modernen mathematischen Entwurf der Natur, die Mathematisierung der Phänomene, sondern ihre entsprechende technische Kodierung auf der Basis von Punkt und Zahl im elektromagnetischen Medium. Das heißt dann nicht, dass alle Phänomene digital sind, sondern dass wir sie als digitalisierbar auslegen. Das bedeutet: Was nicht digitalisierbar ist, fällt durch die Maschen dieses Rasters durch.   

Dass es sich dabei um ein mögliches Verhältnis des Menschen zur Welt handelt, wird aber von diesem sowenig wie von einem anderen Weltentwurf thematisiert. Für einen Materialisten des 19. Jahrhunderts —  und für frühere und spätere Materialisten vielleicht auch! —  stand außer Frage, dass alles was ist, Materie ist. Dafür hatten und haben sie gute Gründe, nämlich dass die Phänomene auf ein bestimmtes Vorverständnis — von den Atomen des Demokrit bis zur Quantentheorie — in einer entsprechenden Form antworten. Wir können aber Weltentwürfe als solche erkennen, weil wir nicht nur Seiendem, sondern der Weltoffenheit und ihrer Unbestimmtheit ausgesetzt sind.   

Die Frage, die sich dann stellt, ist nämlich: Wie hängen die verschiedenen Weltentwürfe zusammen? Und ferner: Was gibt Anlass zu solchen Umschlägen? Dazu nur soviel: Da die Phänomene offensichtlich unterschiedlich antworten, wäre es, erstens, töricht von unserer Seite die Wahrheit eines Weltentwurfs zu postulieren. Und zweitens, wäre es kaum plausibel einen wie auch immer gearteten  Fortschritt zu konstruieren, sofern wir nämlich Weltbildner, aber keine Weltschöpfer sind. Das bedeutet nicht, dass wir uns nicht um Kohärenz innerhalb eines Paradigmas, wie wir wissenschaftliche Weltentwürfe seit Thomas Kuhn (1976) nennen,  bemühen, oder dass wir nicht Übergänge zwischen den Paradigmen suchen sollten. Das Gesagte ist, mit anderen Worten, kein Plädoyer für Beliebigkeit, sondern lediglich für Nüchternheit. Diese stellt sich aber erst dann ein, wenn wir Weltentwürfe als solche betrachten, das heißt, wenn wir die Weltoffenheit nicht nur theoretisch, sondern vor allem praktisch zum Vorschein kommen lassen und dabei den sphärologischen Schein durchschauen und durchqueren. Weltentwürfe stellen nicht nur eine theoretische, sondern eine praktische Herausforderung dar. Sie entspringen nämlich aus der Sorge, uns in der Welt zu orientieren. Ich meine, dass das Zum-Platzen-bringen der digitalen Sphäre zur Kernaufgabe einer Netzethik gehört.  
 

2. ZUR EXISTENZIAL-ONTOLOGISCHEN BEGRÜNDUNG DER NETZETHIK   

Wir verstehen, was ein Weltentwurf ist, wenn wir das Seiende, das wir selbst sind, in seinem spezifischen Wie, als Weltbildner also, auslegen, so dass die ethische Differenz sichtbar wird. Mit ethisch ist hier die dem Menschen eigene Weise in der Welt zu sein, gemeint. Wie kommt die ethische Differenz im digital-vernetzten Handeln so zum Vorschein, dass der sphärologische Charakter dieses Weltentwurfs gesprengt wird?  

Eine erste Antwort auf diese Frage ergibt sich aus der umrißhaften Freilegung dieses Entwurfs. Es wurde dabei sichtbar, dass Punkt und Zahl vom natürlich Seienden herausgelöst und im elektromagnetischen Medium eingeprägt werden. Dadurch gerät das natürlich Seiende als solches aus dem Blick und wird nur aus der Perspektive seiner Digitalisierbarkeit sichtbar. Dieser Ausschluß kommt in Bernd Frohmanns (2000), einen kanadischen Philosophen und Informationswissenschaftlers, pointierter Formulierung: "Cyber Ethics: Bodies or Bytes?"  zum Ausdruck, wenngleich es sich hier insbesondere um die menschliche Leiblichkeit handelt, die Frohmann an der körperlosen Netz-Anthropologie und der sich daraus ableitenden Netzethik von Pierre Lévy (1997) dingfest macht.  Eine "disembodied ethics of angels" ist aber ein Widerspruch.  

Es gibt keine Engel-Ethik, wohl aber eine Botschaftsethik oder eine Angel-Ethik, sofern mit dem Begriff der Botschaft (angelía) ein Grundphänomen menschlichen Seins angesprochen ist, das auf der Grundlage der digitalen Vernetzung zur Signatur einer global-vernetzten Gesellschaft geworden ist. So gesehen ist Information ein soziales Phänomen. Es bezieht sich auf soziale Praktiken mit all ihren leiblichen Dimensionen: "ethics concerns the body" (Frohmann).  Eine digital-vernetzte Weltgesellschaft ist keine Gesellschaft von reinen Vernunftwesen. Sie ist aber auch keine Gesellschaft von idealisierten rationalen und moralischen Agenten, die lediglich kontrafaktisch eine "ideale Kommunikationsgemeinschaft" bilden (Habermas/Apel).   

Zunächst gilt es aber anzudeuten, inwiefern die Bildung der digitalen Weltvernetzung durch die besondere Weise unseres leiblichen Im-Raum- und In-der-Zeit-seins ermöglicht wird. In Sein und Zeit hebt Heidegger unsere Seinsart im Raum vom bloßen Vorkommen eines "Körperdings" an einer Stelle im "Weltraume", sowie vom "Zuhandensein an einem Platz" hervor (Heidegger 1976: 104).  Das Im-Raum-sein des Menschen wird durch die Charaktere der "Ent-fernung" und der "Ausrichtung" bestimmt. "Ent-fernung" meint unsere "Tendenz auf Nähe". Die Brille ist mir abstandsmäßig näher als ein Bild an der gegenüberliegenden Wand. Dieses ist mir aber existenziell näher, sofern ich es entfernend in die Nähe bringen kann. Das bedeutet, dass wir zwar immer räumlich hier, aber zugleich dort sind. In der Weise des Ent-fernens sind wir ein "Wesen der Ferne". Wir können im "Umkreis" unserer Ent-fernungen "nicht umherwandern", sondern wir können sie "immer nur verändern". Indem wir ent-fernen, orientieren wir uns immer schon in eine bestimmte Richtung, die mit Hilfe eines "Zeichens" angegeben werden kann. Heideggers Beispiele zeigen nicht nur das Im-Raum-sein des Daseins als Bedingung der Möglichkeit für die aufkommenden Entfernungstechnologien, sondern auch die besondere Problematik, die diese mit sich bringen, und zwar sowohl beim "Besorgen" als auch im "fürsorglichen" zwischenmenschlichen Verhältnis. Menschliche Leiblichkeit wird in ihrer Andersartigkeit gegenüber der "Körperhaftigkeit" ausgelegt. Wir sind nicht nur leiblich, sondern wir "leiben" sozusagen unsere Existenz.   

Auch das menschliche In-der-Zeit-sein hat einen existenzialen Charakter, der uns zum Beispiel von der "Jetzt-Zeit" eines Uhrzeigers unterscheidet. Menschliche Zeitlichkeit ist nach den drei Zeitdimensionen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, gegliedert, wobei eine Pointe dieses Ansatzes darin besteht, dass diese Dimensionen gleichursprünglich sind. Dadurch wird das Primat der Anwesenheit als Leitfaden für den metaphysischen Weltentwurf falsifiziert, indem nämlich nachgewiesen wird, dass das Sein dieses Seienden sich nicht in Gegenwart ausschöpft, sondern sich auf Vergangenheit und in die Zukunft ausstreckt, und dass sogar die Zukunft ein gewisses Primat hat, sofern Ek-sistieren als ethische Sorge um das Zu-sein ein Antworten auf (gewesene) Möglichkeiten ist.   

Von hier aus läßt sich zeigen, inwiefern menschliches Existieren eine Grundlage für die heutige Weltvernetzung bildet und zugleich Möglichkeiten und Grenzen dieses Weltentwurfs zum Vorschein kommen läßt. Wenn wir im Netz sind, sind wir gewissermaßen ort-, zeit- und leiblos. Der Philosoph Andreas Greis (2001) hebt mit Recht hervor, dass "Entörtlichung", "Entzeitlichung" und "Entkörperlichung" die Strukturmerkmale des Virtuellen im Internet darstellen.  Das erklärt, warum Pierre Lévy eine engelische Anthropologie des Cyberspace und eine 'Ethik' für reine Vernunftwesen entwickeln konnte. Die Ort-, Zeit- und Leiblosigkeit der digitalen Weltvernetzung bildet den Grund für die Geisterhaftigkeit virtueller Erfahrungen. Dabei ist auch zu bedenken, dass die "Entzeitlichung" das metaphysische Primat der Anwesenheit in Form der ständigen virtuellen Verfügbarkeit im Medium des Digitalen wiederherstellt. Frohmann bringt durch seine Kritik diese aus der physis herausgelöste Sphäre zum Platzen. Er tut dies unter Berufung auf den menschlichen Leib als diejenige Dimension, wovon der digitale Weltentwurf absieht, mit der Möglichkeit der Erweiterung oder Zerstörung der "alltäglichen Umwelt", die wir leiblich mit den anderen teilen. Diese Kritik läßt sich auf die physis insgesamt ausweiten. Mit anderen Worten, eine Netzethik, die keine bloße Bereichsethik sein will und den doppelten Genitivus bedenkt, hat die Aufgabe, nicht nur die Besonderheiten dieses Ethos zu erfassen, sondern zugleich das Verhältnis des digitalen Weltentwurfs sowohl in bezug auf die physis als auch auf die Weltoffenheit selbst freizulegen.  

Wenn wir diejenigen sind, die im Netz sind, dann heißt dieses Im-Netz-sein immer schon ein zugleich Hier- und Dort-sein, wenngleich die Weise des digitalen Entfernens nicht dieselbe wie die des leiblichen Entfernens ist. Daraus läßt sich eine ethische Grundorientierung für eine Netzethik ableiten, sofern nämlich die Verhältnisse des "Besorgens" und der "Fürsorge" auf soziale Praktiken mit ihren leiblichen Dimensionen auszurichten sind.   

Ich meine hiermit den nicht nur digitalen, sondern auch physischen Ausschluß ganzer Gesellschaften, sofern sie nicht nur nicht vernetzt sind, sondern auch im Falle ihrer Vernetzung letztlich im Hinblick auf die leibliche Existenz und die damit verbundenen Leiden und Nöte der Mehrheit ihrer schwächsten Mitglieder nichts davon haben. Das ist die Grundproblematik dessen, was zwar digitale Spaltung (digital divide) genannt wird, ohne aber zu merken, dass dieser Spaltung eine Spaltung vom Physischen vorangeht, die mit einer vermeintlichen Überwindung des digital divide u.U. vertieft wird. In Anschluß an Vattimos "schwaches Denken" (Vattimo 1990) können wir eher von einer Verwindung oder von einem sich gegenseitig abschwächenden Verhältnis zwischen der physis und dem Digitalen sprechen. Das soll dazu führen können, dass wir als Mitspieler ein Wohnen lernen, das auf Absolutheitsansprüche verzichtet.  

Dies kann auch die Möglichkeit gewaltloser Emanzipation eröffnen. Im Klartext: Eine netzethische Reflexion muß fragen lernen, wie sich digitale Handlungen im Netz auch und vor allem auf das leibliche Miteinandersein der Menschen auswirken, unabhängig davon, ob die Betroffenen einen geographischen Ort oder eine gemeinsame Kultur in ihrem leiblichen Alltag teilen oder nicht. Und umgekehrt: Sie muß auch fragen (lernen), wie sich verfestigte und voneinander abgeschottete Strukturen in der physischen Welt aufgrund der digitalen Vernetzung öffnen können, auch wenn die Möglichkeit eines leiblichen Miteinanderseins damit nicht erfüllt ist.  

Wir sind immer schon innerhalb von Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen eingebettet, die wir miteinander teilen. Es macht das Besondere des Im-Netz-seins aus, dass bestehende geographische oder kulturelle Grenzen überschritten werden. Dabei entsteht eine neue Form von alltäglicher Vertrautheit, die auf dem digital-vernetzten Miteinandersein basiert und sich (relativ) unabhängig vom gewöhnlichen raum-zeitlichen Leiben vollzieht, wenngleich diese Vollzüge ebenso sehr in der Weltoffenheit gründen. Damit haben wir eine ethische Doppelbewegung, nämlich das Überschreiten der alltäglichen Umwelt im Cyberspace und die Resituierung der ort- und zeitlosen Netzerfahrung im Hinblick auf die leiblichen zeit- und ortabhängigen Bedürfnisse.   

Sofern das Im-Netz-sein sich als eine Flucht vor der alltäglichen Umwelt und der Fürsorge um das Miteinandersein, einschließlich der eigenen Leiblichkeit manifestiert, ist dies ein Anzeichen für ein Sich-verschließen des Daseins im digitalen Weltenwurf. Und umgekehrt: Eine Abschottung in der alltäglichen Umwelt verhindert den Prozeß des vernetzten Entfernens. Dies gilt ganz besonders für sprachliche Mitteilungen. Es gilt aber um so mehr für die Digitalisierung der Produktion und des Austausches von Waren, also für die digitale Ökonomie im Sinne einer sich verselbständigenden Sphäre. Eine Netzethik umfaßt somit sozial- und wirtschaftsethische Aspekte und stellt sich kritisch gegenüber einem Fetischismus des Digitalen auch im ökonomischen Bereich.  

Als Weltbildner haben wir eine auf das physische und digitale Wohnen ausgerichtete ethische Aufgabe bei der semantischen und pragmatischen Konstruktion des Netzes. Ich nenne diese Aufgabe artifizielle Hermeneutik.  Die digitale Ontologie basiert zwar auf Punkt und Zahl und ihrer Einprägung im elektromagnetischen Medium, aber sie ermöglicht dadurch die Entfaltung jener semantischen und pragmatischen Räume und Strukturen — von den persönlichen Websites, über die Suchmaschinen, bis hin zu (multimedialen) Diensten wie E-Mail, Newsgroups, Internet-TV, Internet-Ratio, Internet-Telefonie oder Video-Konferenzen —, die eine digitale Offenheit erst zu einer menschlichen digitalen Weltoffenheit machen. Sowohl die philologische als auch die philosophische Hermeneutik haben bisher weitgehend versäumt, besser: versagt, die Kunst des hermeneuein im Medium des Digitalen zu thematisieren. Wir haben eine "Hermeneutik im Rückblick" (Gadamer 1995), aber kaum eine im Vorblick. Gadamers Hermeneutik spielt das face-to-face gegen das interface aus. Das "Abrufen von Daten aus Datenbanken" wird der "verklärenden Zaubermacht des Erinnerns" gegenübergestellt (Gadamer 1995: 220).  Wahr ist, dass die digitale Weltvernetzung die traditionellen Machtverhältnisse der "Gutenberg-Galaxis" (McLuhan) und die Oligopole der Massenmedien fragwürdig macht und sie abschwächen kann, wobei neue Machtkonstellationen und digitale Gefahren — von Viren bis zu Cyberwars — entstehen.  
  
Eine artifizielle Hermeneutik muss zeigen:

Inwiefern die digitale Weltvernetzung neue Formen von Traditionen möglich macht, und wie sie sich zueinander verhalten. 

Inwiefern die digitale Virtualität eine besondere Form zeitloser Präsenz darstellt und wie das in einer digitalen Teilöffentlichkeit erstrebte oder erreichte Verständnis mit anderen Perspektiven integriert werden kann. 

Wie sich die unvorhersehbaren Verstehens- und Nicht-verstehens-Konstellationen, die sich lokal oder global im Netz ereignen (oder nicht ereignen), artikulieren, und wie sie sich auf entsprechende Freiräume von Traditionen beziehen (oder nicht) (Capurro 2001, Figal 1996). 

Entscheidend und Voraussetzung dafür scheint mir aber die Einsicht zu sein, dass Hermeneutik als Kunst des Verstehens auf dem Phänomen der Verkündung oder des Bringens einer Botschaft (gr. 'angelia') basiert. Ich spreche von Angeletik als Gegenstück zur Hermeneutik. Eine solche Theorie der Botschaft liegt in Ansätzen vor.  Jean-Luc Nancy schreibt in einer hier in extenso wiedergegebenen, weil besonders denkwürdigen Stelle:  

"Gleichsam auf der äußersten Spitze des hermeneutischen Denkens - eine Spitze, die so fein ist, daß dieses Denken sie oft selbst vergißt, obwohl es darauf zuläuft und auch dort ankommt - gibt es freilich etwas, das der Interpretation trotzt und sie von innen her zerreißt. Gezeigt hat sich das insbesondere in der 'Deutung' der 'Bedeutung' des griechischen hermeneuein, die Heidegger vorschlägt; er bietet als den neuesten Sinn dieses Wortes seinen ältesten an und versteht ihn als den Sinn der Übermittlung einer Botschaft, der Ankündigung einer Neuigkeit. Der Bote ist nicht die Bedeutung der Botschaft, er interpretiert sie auch nicht, er gibt ihr keinen Sinn und gibt ihr nicht den Sinn - während in einem anderen Sinne die Haltung des Boten, sein Stil, sein eigenes Verhältnis zum Inhalt der Botschaft (den er nicht unbedingt kennen oder verstehen muß) die Bedeutung derselben begleiten beziehungsweise befallen, das Signifikat durch die Art und Weise seiner Präsentation gleichsam vom Rande her angreifen kann. Und darin bestünde der erste Wert der 'Vorstellung': Die Philosophie erschafft keinen Sinn, vermittelt keine Bedeutungen (oder zumindest ist das keine Beschäftigung, die ihr eher zukäme als anderen Diskursen), sondern stellt den Sinn vor; und sie stellt ihn vor, weil der Sinn des Sinns, vor aller Bedeutung, vor allem darin liegt: präsentiert zu werden, sich zu präsentieren. Die 'Botschaft' - ein Begriff, der lange die Idee eine reichen, an Motiven und Entwürfen überreichen Bedeutung konnotiert hat und aus diesem Grunde jedesmal ins Spiel gebracht wurde, wenn in der Moderne die literarische Funktion in Frage stand -, die Botschaft ist eine Bedeutung mit einer Adresse, das heißt einer Bestimmung und einer Präsentation. (Diese von Heidegger herausgearbeitete Grenze der Hermeneutik entspricht gewiß in etwas Wesentlichem der Benjamischen Idee der Übersetzung, wie sie andererseits auch mit dem Wittgensteinschen Motiv des Zeigens im Gegensatz zum Erklären zusammenhängt.)" (Nancy 2001, 94-95)
"The medium is the message" (McLuhan). Wir scheinen inzwischen zu wissen, was Medien sind. Was ist aber eine message? Die digitale Weltvernetzung hat zwei Seiten, eine angeletische und eine hermeneutische (Capurro 2001a). Wir leben in einer message society (Capurro 2000). 
 

AUSBLICK

Diese Begründung der Netzethik hat eine schwache Botschaft. Sie stützt sich nicht auf ewige oder universale Prinzipien und sie zielt nicht primär auf die Aufstellung von ethischen Normen. Sie bewegt sich in einem lebensweltlichen Vorfeld, bei dem es um Hinweise geht, wie im Rahmen des digitalen Weltentwurfs das Verhältnis von Mensch und Welt so gebildet werden kann, dass die Kontingenz menschlichen Miteinanderseins in der Welt zum Vorschein kommt. Zu dieser Kontingenz gehört zweifellos unsere physis. Dementsprechend hat unsere ethische oder auf das menschliche Wohnen in der Welt ausgerichtete Reflexion einen weniger normativen oder imperativen und mehr indikativen Charakter, der im Rahmen einer Philosophie der Lebenskunst zu reflektieren ist.  

Wir entwerfen auf der Grundlage unserer Faktizität, was und vor allem wer wir in der Welt sind. Dadurch entsteht paradoxerweise unsere Orientierungssuche nach einer Seinsbestimmung, die aufgrund unseres vorgängigen In-der-Welt-seins sowie der uns bedingenden physis selbst nicht beliebig sein kann. Was unserem Sein weder beliebig noch logisch 'folgt', sind unsere jeweiligen Weltentwürfe, die zusammen mit der physis um einen Ab-Grund kreisen. Eine existenzial-ontologische Reflexion hat die Aufgabe genau diese Spannung freizulegen. Sie tut dies in diesem Fall am Leitfaden des digitalen Weltentwurfs, der sich in seiner Bestimmtheit zeigen kann, wenn er im Spannungsverhältnis zur Unbestimmtheit menschlichen Handelns sowie zur uns bedingenden physis entdeckt wird. Die primäre Aufgabe eine Netzethik besteht dann darin, unser Im-Netz-sein im Kontext von Weltoffenheit und physis sehen zu lassen.   

Sofern menschliches Sehen ein von der Sorge um die eigene Existenz geleitetes Sehen ist, kann diese Reflexion eine ethische genannt werden. Die Anforderungen an eine Netzethik wachsen dementsprechend aus der Fürsorge für unser leibliches Miteinander sowie für die uns mitbedingende Natur. Unser sphärologisches Im-Netz-sein muss dauernd sich den Herausforderungen unseres physischen Miteinanderseins stellen und dabei, im doppelten Sinne des Wortes, endlich platzen.   

 

 
 
 

LITERATUR


Berkeley, G. (1965): The Principles of Human Knowledge. In: ders.: Philosophical Writings. New York, London: Collier McMillan Publishers. 

Capurro, R. (2002): Beiträge zu einer digitalen Ontologie  
- (2001): Hermeneutik im Vorblick. 
- (2001a): Theorie der Botschaft  
- (2000): Ethical Challenges of the Information Society in the 21st Century. In: International Information & Library Review 32, S. 257-276.  
- (1991): Sprengsätze. Hinweise zu E. Lévinas' "Totalität und Unendlichkeit". In: prima philosophia 4, 2, S. 129-148. 

Figal, G. (1996): Der Sinn des Verstehens. Stuttgart: Reclam. 

Frohmann, B. (2000): Cyber Ethics: Bodies or Bytes? In: International Information & Library Review 32, S. 423-435. 

Gadamer, H.-G. (1995): Hermeneutik im Rückblick. In: ders.: Gesammelte Werke. Tübingen: Mohr (Bd. 10). 

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Letzte Änderung: 21. August,  2017

 
 
    

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