EINFÜHRUNG
Der
Mensch ist,
so Heidegger,
"weltbildend". Genauer: Weltbildend ist "das Da-sein im Menschen"
(Heidegger 1983: 414). Das "Dasein im Menschen" ist jene Unbestimmtheit
oder Weltoffenheit, die uns ermöglicht, alles, was ist,
auf
das Sein hin zu entwerfen und diese Weltentwürfe zu
verändern.
Die Spannung zwischen Offenheit und Bestimmtheit bildet den
Ausgangspunkt
für die Ethik, sofern damit ein Vorgreifen auf
Handlungsgründe
mit ausdrücklicher Rücksichtnahme auf die anderen Handelnden
gemeint ist.
Wir
sind nicht
nur in einer
Welt, mit uns geschieht Welt. Als diejenigen, die der
Weltoffenheit
ausgesetzt sind, sind wir ursprünglich die Orientierungsuchenden.
Wären wir es nicht, würden wir keine Welt bilden, um dadurch
bestimmte Verbindlichkeiten unseres Daseins auf unterschiedliche Weise
zu (be-)gründen. Wir tun das, indem wir uns mit Rücksicht auf
vorgegebene Möglichkeiten richten und dabei das (natürlich)
Seiende
auf seine Strukturen und Prozesse hin entdecken, auslegen und auf der
Grundlage
eines "freien Sich-entgegenhaltens" uns von ihm binden lassen
(Heidegger
1983, a.a.O). Ferner, indem wir Vereinbarungen treffen, die dem
Miteinandersein
eine konkrete bestimmte verbindliche
und uns so (ver-) bindende
Gestalt,
eine Moral oder ein Ethos also, geben.
Was
sich als
Ethos oder in
Form des positiven Rechts niederschlägt, ist deshalb nicht
unveränderbar,
aber auch nicht beliebig, denn es hat seine Wurzeln in vorausgehenden
Entwürfen.
Wir können daraus schließen, dass es eine Spannung zwischen
Ethik, Moral und Recht gibt. Den Vorrang der Moral gegenüber Ethik
und Recht nennen wir Fundamentalismus. Den Vorrang des Rechts
gegenüber
Ethik und Moral nennen wir Legalismus. Den Vorrang der Ethik
gegenüber
Moral und Recht nennen wir Rigorismus. Es macht das Eigentümliche
unseres Handelns aus, dass wir zwar diese Sphären jeweils
überschreiten
können, ohne aber dadurch aufzuhören, uns im Kreise zu
bewegen.
Ein
existenzieller
Konstruktivismus
behauptet, dass wir es zwar immer sind, die eine Welt bilden,
ohne
aber zu meinen, dass dies ein zureichender Grund für das
Sichöffnen
des Möglichen oder der Weltoffenheit selbst ist. So wie Kant und
Heidegger
den kritischen Blick auf die Metaphysik jeweils in eine besondere
Richtung
gedreht haben — und es lässt sich leicht feststellen, dass es
vielen Zeitgenossen und auch nicht wenigen späteren Kritikern
dabei
schwindlig wurde, so dass sie verständlicherweise manchmal auch an
Schwindeln dachten —, haben wir die Aufgabe vor uns, eine Drehbewegung
auf jenes technische Weltverhältnis zu vollziehen, das sich heute
anschickt, die Welt digital und
netzwerkartig zu entwerfen.
Wo
ist der Ort
der heutigen
Reflexion über die Grenzen des digitalen Weltentwurfs im
allgemeinen
und der Weltvernetzung im besonderen? Wo und wer sind wir, wenn wir über das Internet sprechen?
Wie läßt sich eine
Informationsethik
oder Netzethik begründen?
Die
Antwort auf
diese Fragen
setzt voraus, dass wir uns zunächst auf das Phänomen des digitalen
Weltentwurfs einlassen, sofern nämlich dieser Entwurf unser
heutiges
In-der-Welt-sein prägt. In einem zweiten Schritt sollen die
Konsequenzen
in bezug auf die Begründung einer Informationsethik gezogen
werden.
Eine These dieses Beitrags lautet, dass eine solche Begründung in
einer im digitalen Medium sich selbst reflektierenden Hermeneutik zu
finden
ist. Das bedeutet aber zugleich, so die zweite These, dass eine
Netzethik
sich nicht paradoxerweise mit den Grenzen des digitalen Weltentwurfs
deckt
oder nur auf diesen Entwurf
zurückgreifen kann. Dies setzt voraus,
dass der digitale Weltentwurf in seiner spezifischen Begrenztheit
erfasst
wird. Damit ist lediglich der Rahmen für eine dergestalt fundierte
informationsethische Reflexion gegeben, nicht aber diese selbst in
Auseinandersetzung
mit vergangenen Informationsmoralen sowie eine Erörterung der
anstehenden
Herausforderungen durch die digitale Globalisierung ausgearbeitet.
1.
UMRISS DES DIGITALEN WELTENTWURFS
Wir
leben in
einer global digitalisiert-vernetzten
Welt. Die Rede von der Globalisierung ist
inzwischen
selbst global und trivial geworden. Sie ist nicht nur der Ort,
an dem sich alle treffen, die gern darüber sprechen und schreiben,
sondern auch jene Kreuzung selbst, an der sich drei Wege ('tri-viae')
kreuzen, um in Form einer einzigen Sendung oder eines ganzheitlichen
Ereignisses
zu emergieren, nämlich abendländische Metaphysik, moderne
Wissenschaft
und digitale Technik. Dass wir global oder sphärisch denken, zeigt
Peter Sloterdijk in seinem opus magnum (Sloterdijk 1998/99),
wobei
eine Pointe dieses Ansatzes darin besteht, zu zeigen, dass Sphären
immer wieder platzen und sich immer wieder neu bilden.
Drei
große sphärologische
Projekte prägen maßgeblich unsere Geschichte. Da ist zum
einen
die Globalisierung der Vernunft in der griechischen Philosophie. Wir
nennen
dieses Projekt die metaphysische Globalisierung. Es ist jene
Globalisierung,
die über die Natur hinausgeht, indem sie sie geistig umfängt
und im Reich des Göttlichen aufhebt. Sie faßt, von
Aristoteles
bis Hegel, das Göttliche selbst sphärisch oder
selbstbezüglich,
als das sich selbst denkende Denken auf. Diese Sphäre platzt mit
dem
Aufkommen der modernen Wissenschaft, indem diese den noetischen
Ansprüchen
des sich widerspiegelnden Denkens die freche Widerlegung durch den
Einzelfall
entgegenzustellen wagt. In diesem ungleichen Kampf siegt der mit der
kleinen
Kugel ausgestattete David. Von diesem Platzen profitiert im 20.
Jahrhundert
jene Form des kritischen Rationalismus, die zwar ständig auf die
Falsifizierbarkeit
eines All-Satzes pocht, zugleich aber die regulative Idee einer
Annäherung
an die nie erreichbare Wahrheit behält.
Die
zweite
Globalisierung
ist die terrestrische. Sie findet ihren Ausgang im Europa des
15.
Jahrhunderts und erstreckt sich bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Die
Vorstellung eines runden Planeten Erde sowie die Versuche die Weltmeere
zu durchkreuzen, besser, zu umrunden, sind zwar älter, aber
für
das selbstbewußte und mit imperialen Ambitionen sich
wähnende
sphärologische und sphärokratische Subjekt zahlt es sich aus,
zumindest vorläufig.
Die
dritte
Globalisierung
schließlich ist die digitale. Sie hat ihre
Vorläufer
im Spätmittelalter (Raimundus Lull, Nikolaus von Kues) und in der
frühen Neuzeit (Pascal, Leibniz), bis sie schließlich im 20.
Jahrhundert in Form eines globalen und digitalen Netzes jene
raum-zeitlichen
Grenzen aufhebt, welche die terrestrische Sphäre
kennzeichneten.
Dass
Sphären platzen,
bedeutet nicht, dass wir aufhören sollten oder könnten,
ganzheitlich
zu denken, sondern dass jede Form von Globalisierung nicht ein Problem,
sondern etwas Problematisches darstellt.
"Problematische Begriffe"
sind,
so Kant, diejenigen "vom Objekt, welches einer Idee korrespondiert",
wovon
wir "keine Kenntnis" haben können (Kant 1975: A 339).
Für
die sich daraus ergebenden Fragen gibt es für Kant wohl keine
Lösung,
sondern eine "Auflösung": Globale Begriffe sind regulative Ideen.
Die Trennung zwischen dem Empirischen und dem Transzendentalen ist die
Art und Weise, wie Kant eine scheinbare
empirische Totalität
platzen
läßt, indem er den Sprung vom empirischen zum reinen
Gebrauch
der Vernunft zeigt.
Den
Grund
für unser
Mißtrauen gegenüber dem globalen Denken und Handeln finden
wir
aber nicht nur erkenntnistheoretisch, sondern existentiell, in unserem
In-der-Welt-sein im Sinne einer gebrochenen
Globalisierung. Heideggers
Formel für die durch die Daseinsanalytik zum Platzen gebrachte
metaphysische
Globalisierung lautet "das Seiende im Ganzen". Die Daseinsanalytik
bedeutet,
mit anderen Worten, die Falsifizierung
jener metaphysischen These, die
besagt, dass alle Seienden sich in ihrem Sein am Maßstab der
Anwesenheit
zu messen haben, wobei das höchste (göttliche) Seiende das
ständig
Seiende ('aei on', 'nunc stans') ist. Die Grenze unserer
existentiellen
raum-zeitlichen Totalität oder das, wodurch unser In-der-Welt-sein
ständig platzt,
ist unser "Vorlaufen zum Tode", ob wir dies eigentlich wahrhaben wollen oder
nicht. Die Wahrnehmung dieses
Unterschiedes,
nämlich
des Unterschiedes zwischen der Vorstellung einer metaphysischen
Totalität
und der Offenheit des Daseins ermöglicht eine andere Sicht auf die
existentiellen Möglichkeiten und auf die sie ermöglichenden
Weltentwürfe
selbst.
Diese
Sicht ist
die Basis
einer Ethik, deren Kernpunkt also die Offenlegung jener Risse ist,
wodurch
wir auf die Sorge, die aus dem Unbestimmten stammt, zurückgeworfen
werden. Das, was die Sphären zum Platzen bringt ist nicht mehr und
nicht weniger als die Entschlossenheit zum Handeln. Das bedeutet, dass
Sphären nicht nur, wie Sloterdijk hervorhebt, Raumhorizonte sind,
sondern dass sie uns im Bann der Jetzt-Zeit umringen, und dass erst im
"Augenblick" (Kierkegaard), in dem "der Blick des Daseins in den drei
Richtungen
der Sicht" sich (uns) entschließt, und dabei die
Weltoffenheit
neu erschließt, dieser Bann gebrochen wird (Heidegger 1983:
226).
Der
Mensch ist
ein "Wesen
der Ferne" (Heidegger 1973: 54). Das bedeutet, dass wir zwar in
Ganzheiten leben, indem wir ent-fernen, zugleich aber entwerfen wir uns
immer über Grenzen hinaus. Dieses In-Über-Verhältnis
(Przywara 1962) verstehen wir in diesem Zusammenhang nicht im
Hinblick
auf eine transzendente Sphäre im Sinne einer absoluten persönlichen Transzendenz. Es
ließe sich sagen, dass eine
solche Transzendenz
gerade dasjenige wäre, das letztlich das Platzen aller immanenten
Sphären möglich macht. Ob eine solche Aussage aber letztlich
ebenfalls ein sphärologisches Projekt ist, sofern es uns
nämlich
in einem Letzten versichert und dabei die Sorge abnimmt, die aus dem
Überschreiten
selbst entspringt, bleibe dahingestellt. Demgegenüber gilt: Wir
sind
die Orientierungsuchenden. Wären wir es nicht, wäre
die offen bleibende Frage
nach Orientierung sinnlos. Wir trennen
methodologisch
die Frage nach einer philosophischen von der nach einer theologischen
Ethik.
Ein zugleich philosophischer und religiöser Ansatz, der durch den
Bezug auf den ganz Anderen oder den Unendlichen das Denken in
Totalitäten
durchbricht, stellt das Werk von Emmanuel Lévinas dar
(Lévinas
1987,
Capurro 1991).
Wodurch
zeichnet sich der
heutige digitale Weltentwurf aus? Erstens dadurch, dass er einen
entscheidenden Ursprung in der abendländischen Metaphysik hat
(Capurro
2002). Es ist hier nicht der Ort, diesem Ursprung im Einzelnen
nachzugehen.
Nur soviel: Die griechische Metaphysik in ihrer klassischen
platonischen
und aristotelischen Ausformung zeichnet sich wesentlich durch den
Vorgang
des Trennens ('chorízein') aus. Die Genese von Mathematik
und
Geometrie zeigt die Herauslösung
oder Abstraktion von
Zahlen und
Punkten
aus dem Zusammenhang mit den natürlich Seienden ('physis').
Während
aber für
Aristoteles dieser Vorgang sich im Falle geometrischer, aus Punkten
bestehender
Figuren in der Wahrnehmung ('aisthesis') und im Falle der Zahlen
im 'logos' und im 'nous' abspielt, zeichnet sich der
heutige digitale
Weltentwurf, zweitens,
dadurch aus, dass Zahlen und Punkte
technologisch
und zwar im elektromagnetischen Medium eingeprägt werden,
was
sich ideengeschichtlich als Information auffassen
läßt.
Das elektromagnetische Medium ist jener platonischen Prägemasse ('chora'),
der "Amme des Werdens", vergleichbar, die die Formen der Dinge aufgrund
der demiurgischen Tätigkeit, so Platon im "Timaios" (52b),
annimmt.
Wenn,
wie
Heidegger meint,
der gewöhnliche Sinn von Sein Anwesenheit
ist, und wenn dieser
Seinssinn
die abendländische Metaphysik prägt, dann ist der digitale
Weltentwurf
ein höchst metaphysischer Entwurf, denn, alles was ist, wird hier
in Form einer ständigen digitalen
Verfügbarkeit vorgestellt.
Der ontologische Name für diese Verfügbarkeit ist
Virtualität.
Mehr
noch, der
digitale Weltentwurf
hält nicht nur das Seiende in Form beständiger digitaler
Anwesenheit,
sondern die Welt selbst im Sinne der Totalität dessen, was in
ihrem
Sein erfaßt werden kann, wird auf ihre Digitalisierbarkeit hin
entworfen.
Die in Anlehnung an Berkeleys dictum "Their esse is percipi"
(Berkeley 1965: 62) gebildete Aussage "esse est computari"
bedeutet
weder eine Stellungnahme zugunsten
des digitalen Weltentwurfs, noch
soll
damit ausgesagt werden, dass zum Beispiel die Seienden in ihrer
Materialität
keinen Bestand mehr haben oder dass der digitale Weltentwurf so etwas
wie
die digitale Version des philosophischen Idealismus wäre. "Esse
est computari" ist, mit anderen Worten, keine Aussage, die sich auf
eine bestimmte Art von Seienden, nämlich die Digital-Seienden,
bezieht.
Es wird damit auch nicht behauptet, dass alle Seienden digital sind, im
Sinne also einer digitalen Metaphysik. Und es ist, schließlich,
auch
keine bloße erkenntnistheoretische
Aussage, sondern sie betrifft
die Art und Weise, wie wir uns in der Welt zu uns selbst und zu den
Dingen
verhalten. Es handelt sich also um einen Weltentwurf im Sinne der
Bestimmung
eines Weltverhältnisses.
Meine
These
lautet, dass
seit dem Aufkommen des Computers, aber vorbereitet durch
vielfältige
Entwicklungen — ich nenne als Beispiel Leibniz' mathesis universalis
—, unser Seins- und Weltverständnis umgeschlagen ist, dass also
ein
neuer Weltentwurf entstanden ist. Dieser Umschlag ist dem vom
idealistischen
zum materialistischen Seinsverständnis im 19. Jahrhundert
vergleichbar.
Das bedeutet nicht unbedingt, dass alle Menschen oder eine bestimmte
Gruppe,
etwa alle Naturwissenschaftler oder alle Informatiker, sich mit diesem
Weltentwurf identifizieren. Es ist vielmehr so, dass ein neues
Weltverständnis
sich zunächst kaum bemerkbar macht und erst allmählich sich
bis
hin zu einem banalen, nicht
mehr hinterfragten generalisierten
Vorverständnis
entwickeln kann. "Die stillsten Worte sind es, welche den Sturm
bringen.
Gedanken, die mit Taubenfüßen kommen, lenken die Welt",
heißt
es in Nietzsches Zarathustra (Nietzsche 1976, Bd. 2, S.
675).
Ich
behaupte
aber, dass der
digitale Weltentwurf nicht nur ein neues Seinsverständnis
darstellt,
sondern dass es sich in einer relativ kurzen Zeitspanne zu einem
generalisierten Vorverständnis entwickelt
hat. Das mag einen Grund im
Einfluß
von Naturwissenschaft und Technik auf die Gesellschaft haben sowie in
der
digitalen Globalisierung selbst, die zugleich Gegenstand und Medium
dieses
Seinsverständnisses ist. Wenn wir heute etwas verstehen wollen,
dann
meinen wir in den unterschiedlichsten Wissenschaften, aber auch in
einer
diffusen Weise im Alltag, dass wir das entsprechende Phänomen digital
erfassen müssen. Damit meinen wir nicht nur, wie im
modernen
mathematischen
Entwurf der Natur, die Mathematisierung der Phänomene, sondern ihre
entsprechende technische Kodierung auf der Basis von Punkt und Zahl im
elektromagnetischen Medium. Das heißt dann nicht, dass
alle
Phänomene digital sind,
sondern
dass wir sie als digitalisierbar
auslegen. Das
bedeutet:
Was nicht digitalisierbar ist, fällt durch die Maschen dieses Rasters durch.
Dass
es sich
dabei um ein mögliches Verhältnis
des Menschen zur Welt handelt, wird aber
von diesem sowenig wie von einem anderen Weltentwurf thematisiert.
Für
einen Materialisten des 19. Jahrhunderts — und für
frühere
und spätere Materialisten vielleicht auch! — stand
außer
Frage, dass alles was ist, Materie ist. Dafür hatten und haben sie
gute Gründe, nämlich dass die Phänomene auf ein
bestimmtes
Vorverständnis — von den Atomen des Demokrit bis zur
Quantentheorie
— in einer entsprechenden Form antworten. Wir können aber
Weltentwürfe als solche
erkennen,
weil wir nicht nur Seiendem, sondern der
Weltoffenheit
und ihrer Unbestimmtheit ausgesetzt sind.
Die
Frage, die
sich dann
stellt, ist nämlich: Wie hängen die verschiedenen
Weltentwürfe
zusammen? Und ferner: Was gibt Anlass zu solchen Umschlägen?
Dazu nur soviel: Da die Phänomene offensichtlich unterschiedlich
antworten,
wäre es, erstens,
töricht von unserer Seite die Wahrheit
eines
Weltentwurfs zu postulieren. Und zweitens,
wäre es kaum plausibel
einen wie auch immer gearteten Fortschritt zu konstruieren,
sofern
wir nämlich Weltbildner, aber keine Weltschöpfer sind. Das
bedeutet
nicht, dass wir uns nicht um Kohärenz innerhalb eines Paradigmas,
wie wir wissenschaftliche Weltentwürfe seit Thomas Kuhn (1976)
nennen,
bemühen, oder dass wir nicht Übergänge
zwischen den
Paradigmen
suchen sollten. Das Gesagte ist, mit anderen Worten, kein Plädoyer
für Beliebigkeit, sondern lediglich für Nüchternheit.
Diese
stellt sich aber erst dann ein, wenn wir Weltentwürfe als solche
betrachten,
das heißt, wenn wir die Weltoffenheit nicht nur theoretisch,
sondern
vor allem praktisch zum Vorschein kommen lassen und dabei den
sphärologischen
Schein durchschauen und durchqueren.
Weltentwürfe stellen nicht
nur
eine theoretische, sondern eine praktische Herausforderung dar. Sie
entspringen
nämlich aus der Sorge, uns in der Welt zu orientieren. Ich meine,
dass das Zum-Platzen-bringen der digitalen Sphäre
zur
Kernaufgabe
einer Netzethik gehört.
2.
ZUR EXISTENZIAL-ONTOLOGISCHEN BEGRÜNDUNG DER NETZETHIK
Wir
verstehen,
was ein Weltentwurf
ist, wenn wir das Seiende, das wir selbst sind, in seinem spezifischen
Wie, als Weltbildner also, auslegen, so dass die ethische Differenz
sichtbar
wird. Mit ethisch ist hier
die dem Menschen eigene Weise
in der Welt zu
sein, gemeint. Wie kommt die ethische Differenz im digital-vernetzten
Handeln
so zum Vorschein, dass der sphärologische Charakter dieses
Weltentwurfs
gesprengt wird?
Eine
erste
Antwort auf diese
Frage ergibt sich aus der umrißhaften Freilegung dieses Entwurfs.
Es wurde dabei sichtbar, dass Punkt und Zahl vom natürlich
Seienden
herausgelöst und im elektromagnetischen Medium eingeprägt
werden.
Dadurch gerät das natürlich Seiende als solches aus dem Blick
und wird nur aus der Perspektive seiner Digitalisierbarkeit sichtbar.
Dieser
Ausschluß kommt in Bernd Frohmanns (2000), einen kanadischen
Philosophen
und Informationswissenschaftlers, pointierter Formulierung: "Cyber
Ethics:
Bodies or Bytes?" zum Ausdruck, wenngleich es sich hier
insbesondere
um die menschliche Leiblichkeit handelt, die Frohmann an der
körperlosen
Netz-Anthropologie und der sich daraus ableitenden Netzethik von Pierre
Lévy (1997) dingfest macht. Eine "disembodied ethics of
angels"
ist aber ein Widerspruch.
Es
gibt keine Engel-Ethik,
wohl aber eine Botschaftsethik oder eine Angel-Ethik, sofern
mit
dem Begriff der Botschaft (angelía) ein
Grundphänomen menschlichen Seins
angesprochen ist, das auf der Grundlage der
digitalen
Vernetzung zur Signatur einer global-vernetzten Gesellschaft geworden
ist.
So gesehen ist Information ein soziales Phänomen. Es bezieht sich
auf soziale Praktiken mit all ihren leiblichen Dimensionen: "ethics
concerns
the body" (Frohmann). Eine digital-vernetzte Weltgesellschaft ist
keine Gesellschaft von reinen Vernunftwesen. Sie ist aber auch keine
Gesellschaft
von idealisierten rationalen und moralischen Agenten, die lediglich
kontrafaktisch
eine "ideale Kommunikationsgemeinschaft" bilden
(Habermas/Apel).
Zunächst
gilt es aber
anzudeuten, inwiefern die Bildung der digitalen Weltvernetzung durch
die
besondere Weise unseres leiblichen Im-Raum- und In-der-Zeit-seins
ermöglicht
wird. In Sein und Zeit hebt Heidegger unsere Seinsart im Raum
vom
bloßen Vorkommen eines "Körperdings" an einer Stelle im
"Weltraume",
sowie vom "Zuhandensein an einem Platz" hervor (Heidegger 1976:
104).
Das Im-Raum-sein des Menschen wird durch die Charaktere der
"Ent-fernung"
und der "Ausrichtung" bestimmt. "Ent-fernung" meint unsere "Tendenz auf
Nähe". Die Brille ist mir abstandsmäßig näher als
ein Bild an der gegenüberliegenden Wand. Dieses ist mir aber
existenziell
näher, sofern ich es entfernend
in die Nähe bringen kann.
Das
bedeutet, dass wir zwar immer räumlich hier, aber zugleich dort
sind.
In der Weise des Ent-fernens sind wir ein "Wesen der Ferne". Wir
können
im "Umkreis" unserer Ent-fernungen "nicht umherwandern", sondern wir
können
sie "immer nur verändern". Indem wir ent-fernen, orientieren wir
uns
immer schon in eine bestimmte Richtung, die mit Hilfe eines "Zeichens"
angegeben werden kann. Heideggers Beispiele zeigen nicht nur das
Im-Raum-sein
des Daseins als Bedingung der Möglichkeit für die
aufkommenden Entfernungstechnologien,
sondern auch die besondere Problematik, die
diese
mit sich bringen, und zwar sowohl beim "Besorgen" als auch im
"fürsorglichen"
zwischenmenschlichen Verhältnis. Menschliche Leiblichkeit wird in
ihrer Andersartigkeit gegenüber der "Körperhaftigkeit"
ausgelegt.
Wir sind nicht nur leiblich, sondern wir "leiben" sozusagen unsere
Existenz.
Auch
das
menschliche In-der-Zeit-sein
hat einen existenzialen Charakter, der uns zum Beispiel von der
"Jetzt-Zeit"
eines Uhrzeigers unterscheidet. Menschliche Zeitlichkeit ist nach den
drei
Zeitdimensionen, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, gegliedert,
wobei
eine Pointe dieses Ansatzes darin besteht, dass diese Dimensionen gleichursprünglich sind.
Dadurch wird das Primat der Anwesenheit als
Leitfaden für
den
metaphysischen Weltentwurf falsifiziert, indem nämlich
nachgewiesen
wird, dass das Sein dieses Seienden
sich nicht in Gegenwart
ausschöpft,
sondern sich auf Vergangenheit und in die Zukunft ausstreckt, und dass
sogar die Zukunft ein gewisses Primat hat, sofern Ek-sistieren
als
ethische Sorge um das Zu-sein ein Antworten auf (gewesene)
Möglichkeiten
ist.
Von
hier aus
läßt
sich zeigen, inwiefern menschliches Existieren eine Grundlage für
die heutige Weltvernetzung bildet und zugleich Möglichkeiten und
Grenzen
dieses Weltentwurfs zum Vorschein kommen läßt. Wenn wir im
Netz
sind, sind wir gewissermaßen ort-, zeit- und leiblos. Der
Philosoph Andreas
Greis
(2001) hebt mit Recht hervor, dass "Entörtlichung",
"Entzeitlichung"
und "Entkörperlichung" die Strukturmerkmale des Virtuellen im
Internet
darstellen. Das erklärt, warum Pierre Lévy eine engelische Anthropologie des
Cyberspace und eine 'Ethik' für
reine
Vernunftwesen
entwickeln konnte. Die Ort-, Zeit- und Leiblosigkeit der digitalen
Weltvernetzung
bildet den Grund für die Geisterhaftigkeit
virtueller Erfahrungen.
Dabei ist auch zu bedenken, dass die "Entzeitlichung" das metaphysische
Primat der Anwesenheit in Form der ständigen virtuellen
Verfügbarkeit
im Medium des Digitalen wiederherstellt. Frohmann bringt durch seine
Kritik
diese aus der physis herausgelöste Sphäre zum
Platzen.
Er tut dies unter Berufung auf den menschlichen
Leib als diejenige
Dimension,
wovon der digitale Weltentwurf absieht, mit der Möglichkeit der
Erweiterung
oder Zerstörung der "alltäglichen Umwelt", die wir leiblich
mit
den anderen teilen. Diese Kritik läßt sich auf die physis
insgesamt ausweiten. Mit anderen Worten, eine Netzethik, die keine
bloße
Bereichsethik sein will und den doppelten Genitivus bedenkt, hat die
Aufgabe,
nicht nur die Besonderheiten dieses Ethos
zu erfassen, sondern zugleich
das Verhältnis des digitalen Weltentwurfs sowohl in bezug auf die physis
als auch auf die Weltoffenheit selbst freizulegen.
Wenn
wir diejenigen sind,
die im Netz sind, dann heißt dieses Im-Netz-sein immer schon ein
zugleich Hier- und Dort-sein, wenngleich die Weise des digitalen
Entfernens
nicht dieselbe wie die des leiblichen
Entfernens ist. Daraus
läßt
sich eine ethische Grundorientierung für eine Netzethik ableiten,
sofern nämlich die Verhältnisse des "Besorgens" und der
"Fürsorge"
auf soziale Praktiken mit ihren leiblichen Dimensionen auszurichten
sind.
Ich
meine
hiermit den nicht
nur digitalen, sondern auch physischen
Ausschluß ganzer
Gesellschaften,
sofern sie nicht nur nicht vernetzt sind, sondern auch im Falle ihrer
Vernetzung
letztlich im Hinblick auf die leibliche Existenz und die damit
verbundenen
Leiden und Nöte der Mehrheit ihrer schwächsten Mitglieder
nichts
davon haben. Das ist die Grundproblematik dessen, was zwar digitale
Spaltung (digital divide) genannt wird, ohne aber zu
merken, dass dieser
Spaltung eine Spaltung vom Physischen
vorangeht, die mit einer
vermeintlichen Überwindung des digital divide u.U.
vertieft wird. In
Anschluß an Vattimos "schwaches Denken" (Vattimo 1990)
können
wir eher von einer Verwindung oder von einem sich gegenseitig abschwächenden
Verhältnis zwischen der physis und dem Digitalen sprechen.
Das soll dazu führen können, dass wir als Mitspieler ein
Wohnen
lernen, das auf Absolutheitsansprüche verzichtet.
Dies
kann auch
die Möglichkeit
gewaltloser Emanzipation eröffnen. Im Klartext: Eine netzethische
Reflexion muß fragen lernen, wie sich digitale Handlungen im Netz
auch und vor allem auf das
leibliche Miteinandersein der Menschen
auswirken,
unabhängig davon, ob die Betroffenen einen geographischen Ort oder
eine gemeinsame Kultur in ihrem leiblichen Alltag teilen oder nicht.
Und
umgekehrt: Sie muß auch fragen (lernen), wie sich verfestigte und
voneinander abgeschottete Strukturen in der physischen Welt aufgrund
der
digitalen Vernetzung öffnen können, auch wenn die
Möglichkeit
eines leiblichen Miteinanderseins damit nicht erfüllt ist.
Wir
sind immer
schon innerhalb
von Bedeutungs- und
Verweisungszusammenhängen eingebettet, die wir miteinander teilen. Es
macht das Besondere des Im-Netz-seins aus, dass
bestehende geographische oder kulturelle Grenzen überschritten
werden.
Dabei entsteht eine neue Form von alltäglicher Vertrautheit, die
auf
dem digital-vernetzten Miteinandersein basiert und sich (relativ)
unabhängig
vom gewöhnlichen raum-zeitlichen Leiben
vollzieht, wenngleich
diese
Vollzüge ebenso sehr in der Weltoffenheit gründen. Damit
haben
wir eine ethische Doppelbewegung, nämlich das Überschreiten
der
alltäglichen Umwelt im Cyberspace und die Resituierung der ort-
und
zeitlosen Netzerfahrung im Hinblick auf die leiblichen zeit- und
ortabhängigen
Bedürfnisse.
Sofern
das
Im-Netz-sein sich
als eine Flucht vor der alltäglichen Umwelt und der Fürsorge
um das Miteinandersein, einschließlich der eigenen Leiblichkeit
manifestiert,
ist dies ein Anzeichen für ein Sich-verschließen des Daseins
im digitalen Weltenwurf. Und umgekehrt: Eine Abschottung in der
alltäglichen
Umwelt verhindert den Prozeß des vernetzten Entfernens. Dies
gilt
ganz besonders für sprachliche Mitteilungen. Es gilt aber um so
mehr
für die Digitalisierung der Produktion und des Austausches von
Waren,
also für die digitale Ökonomie im Sinne einer sich
verselbständigenden
Sphäre. Eine Netzethik umfaßt somit sozial- und
wirtschaftsethische
Aspekte und stellt sich kritisch gegenüber einem Fetischismus des
Digitalen auch im ökonomischen Bereich.
Als
Weltbildner
haben wir
eine auf das physische und digitale Wohnen ausgerichtete ethische Aufgabe
bei der semantischen und pragmatischen Konstruktion des Netzes. Ich
nenne
diese Aufgabe artifizielle Hermeneutik. Die digitale
Ontologie
basiert zwar auf Punkt und Zahl und ihrer Einprägung im
elektromagnetischen
Medium, aber sie ermöglicht dadurch die Entfaltung jener
semantischen
und pragmatischen Räume und Strukturen — von den persönlichen
Websites, über die Suchmaschinen, bis hin zu (multimedialen)
Diensten
wie E-Mail, Newsgroups, Internet-TV, Internet-Ratio,
Internet-Telefonie
oder Video-Konferenzen —, die eine digitale Offenheit erst zu einer menschlichen digitalen Weltoffenheit
machen. Sowohl die philologische als auch die
philosophische
Hermeneutik haben bisher weitgehend versäumt, besser: versagt, die
Kunst des hermeneuein im Medium des Digitalen zu thematisieren.
Wir haben eine "Hermeneutik im Rückblick" (Gadamer 1995), aber
kaum
eine im Vorblick. Gadamers Hermeneutik spielt das face-to-face
gegen
das interface aus. Das "Abrufen von Daten aus Datenbanken" wird
der "verklärenden Zaubermacht des Erinnerns"
gegenübergestellt
(Gadamer 1995: 220). Wahr ist, dass die digitale Weltvernetzung
die
traditionellen Machtverhältnisse der "Gutenberg-Galaxis" (McLuhan)
und die Oligopole der Massenmedien fragwürdig
macht und sie
abschwächen
kann, wobei neue Machtkonstellationen und digitale Gefahren — von Viren
bis zu Cyberwars — entstehen.
Eine artifizielle
Hermeneutik
muss zeigen:
Inwiefern die
digitale
Weltvernetzung neue Formen von Traditionen möglich macht, und wie
sie sich zueinander verhalten.
Inwiefern die
digitale
Virtualität eine besondere Form zeitloser Präsenz darstellt
und
wie das in einer digitalen Teilöffentlichkeit erstrebte oder
erreichte
Verständnis mit anderen Perspektiven integriert werden kann.
Wie sich die
unvorhersehbaren
Verstehens- und Nicht-verstehens-Konstellationen, die sich lokal oder
global
im Netz ereignen (oder nicht ereignen), artikulieren, und wie sie sich
auf entsprechende Freiräume von Traditionen beziehen (oder nicht)
(Capurro 2001, Figal 1996).
Entscheidend
und Voraussetzung
dafür scheint mir aber die Einsicht zu sein, dass Hermeneutik als
Kunst des Verstehens auf dem Phänomen der Verkündung oder des
Bringens einer Botschaft (gr. 'angelia') basiert. Ich
spreche von
Angeletik als Gegenstück zur Hermeneutik. Eine solche Theorie der
Botschaft liegt in Ansätzen vor. Jean-Luc Nancy
schreibt in
einer hier in extenso wiedergegebenen, weil besonders denkwürdigen
Stelle:
"Gleichsam
auf der
äußersten Spitze des hermeneutischen Denkens - eine Spitze,
die so fein ist, daß dieses Denken sie oft selbst vergißt,
obwohl es darauf zuläuft und auch dort ankommt - gibt es freilich
etwas, das der Interpretation trotzt und sie von innen her
zerreißt.
Gezeigt hat sich das insbesondere in der 'Deutung' der 'Bedeutung' des
griechischen hermeneuein, die Heidegger vorschlägt; er
bietet
als den neuesten Sinn dieses Wortes seinen ältesten an und
versteht
ihn als den Sinn der Übermittlung einer Botschaft, der
Ankündigung
einer Neuigkeit. Der Bote ist nicht die Bedeutung der Botschaft, er
interpretiert
sie auch nicht, er gibt ihr keinen Sinn und gibt ihr nicht den Sinn -
während
in einem anderen Sinne die
Haltung des Boten, sein Stil, sein eigenes
Verhältnis
zum Inhalt der Botschaft (den er nicht unbedingt kennen oder verstehen
muß) die Bedeutung derselben begleiten beziehungsweise befallen,
das Signifikat durch die Art und Weise seiner Präsentation
gleichsam
vom Rande her angreifen kann. Und darin bestünde der erste Wert
der 'Vorstellung': Die Philosophie erschafft keinen Sinn, vermittelt
keine
Bedeutungen (oder zumindest ist das keine Beschäftigung, die ihr
eher
zukäme als anderen Diskursen), sondern stellt den Sinn vor; und
sie
stellt ihn vor, weil der Sinn des Sinns, vor aller Bedeutung,
vor
allem darin liegt: präsentiert zu werden, sich zu
präsentieren.
Die 'Botschaft' - ein Begriff, der lange die Idee eine reichen, an
Motiven
und Entwürfen überreichen Bedeutung konnotiert hat und aus
diesem
Grunde jedesmal ins Spiel gebracht wurde, wenn in der Moderne die
literarische
Funktion in Frage stand -, die Botschaft ist eine Bedeutung mit
einer
Adresse, das heißt einer Bestimmung und einer
Präsentation.
(Diese von Heidegger herausgearbeitete Grenze der Hermeneutik
entspricht
gewiß in etwas Wesentlichem der Benjamischen Idee der
Übersetzung,
wie sie andererseits auch mit dem Wittgensteinschen Motiv des Zeigens
im
Gegensatz zum Erklären zusammenhängt.)" (Nancy 2001, 94-95)
"The medium is the
message"
(McLuhan). Wir scheinen inzwischen zu wissen, was Medien sind. Was ist
aber eine message? Die digitale Weltvernetzung hat zwei Seiten,
eine angeletische und eine hermeneutische (Capurro 2001a). Wir leben in
einer message society (Capurro 2000).
AUSBLICK
Diese
Begründung der
Netzethik hat eine schwache Botschaft.
Sie stützt sich nicht auf
ewige
oder universale Prinzipien und sie zielt nicht primär auf die
Aufstellung
von ethischen Normen. Sie bewegt sich in einem lebensweltlichen Vorfeld,
bei dem es um Hinweise geht, wie im Rahmen des digitalen Weltentwurfs
das
Verhältnis von Mensch und Welt so gebildet werden kann, dass die Kontingenz menschlichen
Miteinanderseins in der Welt zum Vorschein
kommt. Zu
dieser
Kontingenz gehört zweifellos unsere physis.
Dementsprechend
hat unsere ethische oder auf
das menschliche Wohnen in
der Welt
ausgerichtete
Reflexion einen weniger normativen oder imperativen und mehr
indikativen
Charakter, der im Rahmen einer Philosophie der Lebenskunst zu
reflektieren
ist.
Wir
entwerfen
auf der Grundlage
unserer Faktizität, was und vor allem wer wir in der Welt sind.
Dadurch
entsteht paradoxerweise unsere Orientierungssuche nach einer
Seinsbestimmung,
die aufgrund unseres vorgängigen In-der-Welt-seins sowie der uns
bedingenden physis selbst nicht beliebig sein kann. Was unserem
Sein
weder beliebig
noch logisch 'folgt', sind unsere jeweiligen Weltentwürfe, die
zusammen
mit der physis um einen Ab-Grund kreisen. Eine
existenzial-ontologische
Reflexion hat die Aufgabe genau diese Spannung freizulegen. Sie tut
dies
in diesem Fall am Leitfaden des digitalen Weltentwurfs, der sich in
seiner
Bestimmtheit zeigen kann, wenn er im Spannungsverhältnis zur
Unbestimmtheit
menschlichen Handelns sowie zur uns bedingenden physis entdeckt
wird. Die primäre Aufgabe eine Netzethik besteht dann darin, unser
Im-Netz-sein im Kontext von Weltoffenheit und physis sehen zu
lassen.
Sofern
menschliches Sehen
ein von der Sorge um die
eigene Existenz geleitetes Sehen ist, kann
diese
Reflexion eine ethische genannt werden. Die Anforderungen an eine
Netzethik
wachsen dementsprechend aus der Fürsorge für unser leibliches
Miteinander sowie für die uns mitbedingende
Natur. Unser
sphärologisches
Im-Netz-sein muss dauernd sich den Herausforderungen unseres physischen Miteinanderseins
stellen und dabei, im doppelten Sinne
des Wortes, endlich
platzen.