Es
ist eine unscharfe Photographie überhaupt ein Bild eines
Menschen?, Ja kann ein unscharfes Bild immer mit Vorteil durch ein
scharfes ersetzen? Ist das unscharfe nicht oft gerade das, was wir
brauchen? (Wittgenstein 1990, 141)
Menschenbilder
in den Medien sind
Konstruktionen eines seit Jahrtausenden andauernden Semiose-Prozesses,
der in Abhängigkeit von den jeweiligen Denk-, Gefühls-
und Wissensstrukturen einer Kultur und deren medientechnologischer
Entwicklung erfolgte. Unabhängig davon, dass die Modelle des
Menschenbilds in den jeweiligen Bereichen der Gesellschaft (Religion,
Philosophie, Naturwissenschaft, Kunst u.s.f.) synchron un diachron
miteinander um die Vormachtstellung konkurrierten, ist ihnen eines
gemeinsam: Sie wurden in Medien dargestellt.
Menschenbilder,
die einem größerem Publikum als mediatisierte Vorbilder dienten, wurden vor allem
mittels narrativer
Zuschreibungs- operationen in Epen, Märchen, Romanen,
Tragödien
usw. vorstellbar gemacht. Helden, die diese Vorbildfunktion innehatten,
waren immer in dynamischen Handlungsprozessen eingebunden, die auf
narrativ vermittelten Weltmodellen basierten. Gleichzeitig ist auch
offensichtlich, dass Texte allein nicht ausreichen, um Akteure als
Vorbilder zu semantisieren, der Hang zur Visualisierung bzw.
Bildhaftigkeit ist eklatant. Die Geschichte der Helden-Erzählungen
ist zugleich auch eine Geschichte der Heldenbilder, die in Fresken,
Illustrationen, Photographien, Werbeplakaten usw. zeitlich und
räumlich eingefroren sind. Der Film und die elektronischen Medien
haben schließlich die Bewegung der Bilder und damit das
raum-zeitliche Pendant zu den Erzählungen in Printmedien
ermöglicht.
Medien sind heute "alltägliche Instrumente der
Wirklichkeitskonstruktion" (Schmidt 2000, S. 43). Die mittels Medien
stattfindende selektive "Selbstbeobachtung der Gesellschaft (ebd.) soll
hier unter dem Aspekt der Vorbilder, die Massenmedien darstellen, aus
ethischer Perspektive beleuchtet werden. Eine medienethische
Betrachtung will keine bestimmte Moralperspektive auf Medien
zementieren oder sogar ein bestimmtes Moralprinzip unhinterfragt
postulieren. Vielmehr ist es Ziel der medienethischer Reflexion,
Anschlußmöglichkeiten für weitere Fragestellungen, die
Widersprüche offenlegen, anzubieten. "Das Balancieren von
Widersprüchen ist die zentrale methodische Herausforderungen der
Medienethik." (Krainer 2002, S. 158).
Das Thema "Menschenbilder in den Medien - ethische Vorbilder?"
läßt sich nicht auf eine Perspektive
verkürzen. Zielt ist es, theoretische und praktische Zugänge
miteinander zu verbinden und einen auf Offenheit und Anschlussbarkeit
angelegten Reflexionsprozess zu ermöglichen.
Im ersten Kapitel Theoretische
Grundlagen wird ein Entwurf für eine Systematisierung der
Medienethik sowie ein medienphilosophischer Zugang zum mediatisierten
Menschenbild vorgestellt. Das zweite Kapitel Reflexionen über das Menschenbild beinhaltet
Beiträge, die das Thema aus medienrechtlicher, theologischer und
philosophisch-anthropologischer Perspektive betrachten. Im dritten
Kapitel Normierungen und moralische
Narrationen werden ethische Fragen anhand von Fallstudien
behandelt, die unterschiedliche mediale Strategien der moralischen
Kommunikation aufweisen. Im vierten Kapitel Bedeutung des Menschenbildes für die
Praxis setzen sich die Autoren mit den Anforderungen des
Jugendmedienschutzes und der Verantwortung der Medienakteure kritisch
auseinander.
Kündigt sich ein Wandel im Menschenbild unserer Kultur an? Klaus
Wiegerling beschäftigt sich in seinem Beitrag Mediatisierte Menschenbilder mit
den Thematisierungen des Menschen vor dem Hintergrund des 11.
Septembers, der Bio- und Gentechnologie und des neuen
Verhältnisses von Privatheit und Öffentlichkeit. Seine
medienphilo- sophischen Thesen befassen sich mit der
Orientierungsfunktion
von Menschenbildern und den neuen Herausforderungen, die das mediale
Wesen (animal mediatum) durch
Massenmedien und Cyberspace erfährt.
Welche Fragen stellen sich aus medienethischer Sicht, wenn man
über die Moral in den Medien reflektiert? Ist das Massenmedium
Fernsehen eine moralische Schaubude oder ein ethisches Forum? Petra
Grimm setzt sich in ihrem Beitrag Reflexion
der Moral in den Medien. Entwurf einer Systematisierung medienethischer
Fragen zuerst mit dem Verhältnis von Moral und Ethik
auseinander. Anschließend beschreibt sie die unterschiedlichen
Ebenen einer medienethischen Beobachtung der Massenmedien und stellt
mögliche Strategien einer ethischen Kommunikation in den Medien
zur Diskussion.
Das Menschenbild aus medienrechtlicher Perspektive ist Gegenstand von
Dieter Dörrs Beitrag Das
Menschenbild des Grundgesetzes und seine Bedeutung für die Medien.
Er behandelt die zentrale Frage, welche Rolle und
Funktion die elektronischen Massenmedien in einer demokratischen
Gesellschaft under Beachtung des im Grundgesetz verankerten
Menschenbilds haben. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der
Grundwert der Verfassung: das Prinzip der Menschenwürde. Welchen
Bezug der Rundfunk nicht nur zur Demokratie sondern auch zur
persönlichen Freiheit des Einzelnen aufweist, erklären seine
dezidierten Ausführungen zur Rundfunkfreiheit, zum Jugendschutz,
zum kulturellen Auftrag und zur dienenden Funktion des Rundfunks.
Dan Peter bring mit seinem Beitrag Das
christliche Menschenbild im Kontext der Medien die theologische
Perspektive ein. Er erläutert die für Christen relevante
Rolle der Medien, führt in die christliche Anthropologie ein und
diskutiert die Beziehungen bzw. Unfähigkeit zu tragfähigen
Beziehungen unter dem Aspekt der "existentiellen Not des Menschen im
Spiegel der Medien." Schließlich zeigt er auf, dass auf allen
Ebenen des Mediensystems (Medienunternehmen, Medienschaffende und
Medien- nutzer) Handlungsmöglichkeiten bestehen.
Rafael Capurro befasst sich mit dem philosophisch-anthropologischen
Wendepunkten in der Geschichte der Menschheit. In seinem Beitrag Menschenbilder. Eine Einführung in
die philosophische Anthropologie geht er auf die zentralen
Fragestellungen ein, die mit den Menschenbildern der Antike, des
Mittelalters, der Renaissance und der Moderne verbunden waren. Die in
der gegenwärtigen Informationsgesellschaft bestehende Bedeutung
der Technologie für die Anthropologie diskutiert er unter dem
Gesichtspunkt einer humanitär ausgerichteten Anthropologie, die
sich als eine auf die "Selbstveränderung des Menschen offene
Anthropologie" versteht.
Unter dem provokativen Titel Bilder
von Transsexuellen - Menschenbilder? befasst sich Hans Krah mit
den filmischen und visuellen Strategien der Medien. Nach einer
Einführung, die das Verhältnis von 'Film' und 'Wirklichkeit'
und die methodische Zugangsweise einer Film- und Fernsehanalyse
beschreibt, zeigt er auf, wie die Strategien der Darstellung zur
"Diskursbegrenzung", Typisierung und Stigmatisierung von Menschen
aussehen, die unter das Paradigma "Abweichung" fallen. Seine Thesen
lassen sich auch auf andere mediale Angebote, die unter dem Vorwand
eines vermeintlichen Tabubruchs inszeniert werden, übertragen.
Anhand des Genres "Gerichtsshow" befasst sich Thomas Hausmanninger in
seinem Beitrag Sehnsucht nach
Normen? Das neue Ordnungs- fernsehen der Gerichtsshows mit der
Orientierungsfunktion dieses aktuell sehr erfolgreichen
Programmformats. Er reflektiert unter dem Aspekt der
Orientierungsstiftung die Typisierung der dargestellten Charaktere und
die Anleihen bei fiktionalen Genres. Aus ethischer Sicht fokussiert er
die Nahtstelle zwischen Transparenz und Intransparenz fiktionaler
Realitätsmuster sowie die pflichtethischen Potenziale und deren
mögliche Gefährdung. Anstelle einer populistischen
Diskreditierung dieses Genres plädiert er dafür, sich
vor Augen zu führen, ob und auf welche Weise die ästhetische
Kodierung ggf. zu einer Diskriminierung oder doch zur
Toleranzförderung führt.
Zwischen Theorie und Praxis, heißt es häufig, lägen
Welten. Dass diese Sicht verkürzt ist, zeigt Martin Rabius in
seinem Beitrag Medienethik: Die
Verantwortung der Programm-Macher. Als Jugendschutzbeauftragter
eines privaten Fernsehsenders ist er 'Mediator' zwischen der Welt der
Quote und der Welt des Jugendschutzes. Er erläutert die Aufgaben
eines Jugendschutzbeauftragten und zeigt anhand von Filmbeispielen und
Werbespots, welche Beurteilungskriterien für die Ausstrahlung von
Filmen relevant sind. Wie Sender ihre Verantwortung darüber hinaus
wahrnehmen können, stellt er exemplarisch anhand von
medienpädagogischen Spots vor.
Aus der Perspektive der Landesmedienanstalten reflektiert Werner
Röhrig die Bewertungspraxis und deren gesetzliche Vorgaben in
seinem Beitrag Werte und Normen als
Gegenstand der Programmaufsicht. "Die Würde des Menschen ist
antastbar." Verletzungen der Menschenwürde,
Persönlichkeitsrechte und desorientierende Beiträge im
Fernsehen. Nach einer Einführung in die für
Rundfunkprogramme maßgeblichen Grundsätze gibt er einen
Überblick über den für den Jugendschutz relevanten
Rechtsrahmen, stellt die Handlungsfelder der Programmaufsicht dar und
weist auf die aktuellen Problembereiche des Programmangebots hin.
Der erste Band der Schriftenreihe Medienethik "Menschenbilder in den
Medien - ethische Vorbilder oder moralische Trugbilder?" ist Ergebnis
und Weiterführung eines medienethischen
Symposiums, das in der Hochschule der Medien, Stuttgart, im Herbst 2001
veranstaltet wurde. Die Vorträge der Referenten wurden um
weitere Beiträge von Autoren, die sich mit dem Thema eingehend
auseinandergesetzt haben, ergänzt. Der medienethische Dialog
geht auf eine seit 1996 stattfindende Veranstaltungsreihe zur
"Medienethik und Informationsethik" zurück, die in der Hochschule
für Bibliotheks- und Informationswesen (HBI), der Hochschule
für Druck und Medien (HDM) und seit dem 1. September 2001 nach
ihrer Zusammenführung in die Hochschule der Medien (HdM)
durchgeführt wurde.
An dieser Stelle ist vor allem dem Referat für Technik- und
Wissenschaftsethik an den Fachhochschulen Baden-Württembergs
(rtwe) und insbesondere Herrn Prof. Dr. Michael Wörz zu danken,
die diese medienethische Veranstaltungsreihe nachhaltig
unterstützen.
Ebenfalls ist den Studierenden zu danken, die sich aktive bei der
Organisation und der Präsentation der Veranstaltungen im Internet
engagierten.
Die Themenvielfalt der medienethischen Veranstaltungsreiche
dokumentiert folgende Übersicht:
"Privatheit und Medien: Paradigmenwechsel
in der Gesellschaftsethik?" (HDM/HBI-Workshop zur
Medienethik, 20.-21. November 2000)
"Ethik als Wirklichkeitskonstruktion.
Ansätze zu einer konstruktivistischen Informationsethik" (IV.
Internationaler HBI-Workshop zur Informationsethik, 18.-19. November
1999)
"Ethik der Cyberkultur" (III.
Internationaler HBI-Workshop zur Informationsethik, 19.-20. November
1998)
"Digitale Bibliotheken. Ethische Fragen
einer neuen Informationskltur" (II. Internationaler
HBI-Workshop zur Informationsethik, 20. November 1997)
"Informationsarmut - Informationsreichtum"
(I. Internationaler HBI-Workshop zur Informationsethik, 20. November
1996)
Die Herausgeber der Schriftenreihe Medienethik danken an dieser Stelle
besonders den Veranstaltern Prof. Dr. Wolfgang von Keitz, Prof. Dr.
Frank Thissen und Prof. Dr. Uwe Jäger, ohne deren Kooperation die
oben genannten Veranstaltungen nicht realisierbar gewesen wären.
Für die Unterstützung des Rektors der Hochschule der Medien,
Prof. Dr. Uwe Schlegel, den medienethischen Dialog intensiv
fortzusetzen, sei ebenso gedankt.
Mit der Gründung des International
Center for Information Ethics (ICIE)
wurde ein weiteres Forum geschaffen, das sich
schwerpunktmäßig mit ethischen Fragen des Internets befasst.
Das erste ICIE-Symposium zur Informationsethik setzte sich grundlegend
mit dem Thema "Konzepte der Informationsethik" auseinander, 28. Februar
- 2. März 2001, Veranstalter: ICIE und die Professur für
Christliche Sozialethik an der Universität Augsburg (Prof. Dr.
Thomas Hausmanninger). Das zweite ICIE Symposium zur Informationsethik
widmet sich dem Them "Digital Divide aus ethischer Sicht" (3.-5.
Oktober 2002).
Dass Studierende, die zukünftig Medien produzieren, gestalten,
programmieren, verbreiten und in Medienunternehmen arbeiten, auch
über die Verantwortung ihrer Tätigkeit reflektieren
können, ist Wunsch und Ziel dieser medienethischen Veranstaltungen
und Schriftenreihe.
BIBLIOGRAPHIE
Krainer, Larissa (2002): Medienethik als angewandte Ethik. Zur
Organisation ethischer Entscheidungsprozesse. In: Medien und Ethik,
hrsg. von Matthias Karmasin. Stuttgart: Reclam, S. 156-174.
Schmidt, Siegfried J. (2000). Kalte Faszination. Medien. Kultur.
Wissenschaft in der Mediengesellschaft. Weilerswist: Velbrück
Wissenschaft.
Letzte Änderung:
16. August 2017
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