DIE BOTSCHAFT DES BUDDHA

Weisen und Wege des Loslassens



Rafael Capurro

 

 

Bodhisattva_Chuguiji temple

Miroku Boisatsu

 


INHALT

Einführung

I. Kleines buddhistisches Wörterbuch
II. Buddhistische Texte
III. Übersetzungen aus dem Dhammapada
IV. Lotos-Sutra

Übergänge zu anderen Ufern

Literatur

Danksagung

 

 

 
  

„Die Botschaft des Buddha kann mit den Worten
zusammengefaßt werden, die als seine letzten überliefert sind:
„Wirke mit Sorgfalt auf deine Erlösung hin.“
(Panikkar 1996, 56)



EINFÜHRUNG


Die folgenden Teilübersetzungen aus dem Dhammapada entstammen einer Auseinandersetzung mit der Übertragung von Munish B. Schiekel (Dhammapada 2008).

Ich versuche eigene Wege zu gehen, dem Gedanken Heideggers folgend: „Über-setzen – auf ein anderes Ufer – an das Ufer eines Anderen!!“ (Heidegger 2000, 341) folgend. Über den Sinn dieses „Über-setzens“ an das Ufer eines Anderen, einschließlich des Gesprächs mit dem eigenen Selbst und der eigenen Sprache, schreibt er:

„Man meint, das „Übersetzen“ sei die Übertragung einer Sprache in eine andere, der Fremdsprache in die Muttersprache oder auch umgekehrt. Wir verkennen jedoch, daß wir ständig auch schon unsere eigene Sprache, die Muttersprache, in ihr eigenes Wort übersetzen. Sprechen und Sagen ist in sich ein Übersetzen, dessen Wesen keineswegs darin aufgehen kann, daß das übersetzende und das übersetzte Wort verschiedenen Sprachen angehören. In jedem Gespräch und Selbstgespräch waltet ein ursprüngliches Übersetzen. Wir meinen dabei nicht erst den Vorgang, daß wir eine Redewendung durch eine andere derselben Sprache ersetzen und uns der „Umschreibung“ bedienen. Der Wechsel der Wortwahl ist bereits die Folge davon, daß sich uns das, was zu sagen ist, übergesetzt hat in eine andere Wahrheit und Klarheit oder auch Fragwürdigkeit. Dieses Übersetzen kann sich ereignen, ohne daß sich der sprachliche Ausdruck ändert. Die Dichtung eines Dichters, die Abhandlung eines Denkers steht in ihrem eigenen, einmaligen, einzigen Wort. Sie zwingt uns dieses Wort immer wieder so zu vernehmen, als hörten wir es zum ersten Mal. Diese Erstlinge des Wortes setzen uns jedes Mal über zu einem neuen Ufer. Das sogenannte Übersetzen und Umschreiben folgt immer nur dem Übersetzen unseres ganzen Wesens in den Bereich einer gewandelten Wahrheit. Nur wenn wir schon diesem Übersetzen übereignet sind, sind wir in der Sorge des Wortes. Erst aus der so gegründeten Achtung vor der Sprache können wir die meist leichtere und begrenztere Aufgabe übernehmen, fremdes Wort in das eigene zu übersetzen.“ (Heidegger 1982, S. 17-18).

Ob es mir dabei tatsächlich gelingt auf ein anderes Ufer, nämlich auf das Ufer des Buddha, des „Erleuchteten“ oder „Erwachten“ wie die üblichen Übersetzungen lauten, zu setzen und somit zu einer Verwandlung meines Menschseins durch den Widerspiel einer anderen Erschlossenheit oder einer anderen 'Welt'? Vielleicht wäre ‚der Gelassene’ ein zutreffenderes Wort. Meine Übersetzungen sind freilich, ohne Kenntnis des Sanskrit und des Pali, hilflose Versuche. Ich verlasse mich auf die kundige Hilfe der von Schiekel zitierten Quellen sowie auf das Werk von Raimon Panikkar (1996).

Meine Wege der „Über-Setzung“ haben ihren Ursprung in der existenzphilosophischen Tradition. Odo Marquard hat in seinen neulich veröffentlichten frühen Vorlesungen auf diese Tradition (Kierkegaard, Heidegger, Sartre) hingewiesen und sie von essentialistischen Denkern – von Platon bis Hegel und Husserl – unterschieden (Marquard 2013). Buddhas Wege des Loslassens, die Einsicht in die Wesenlosigkeit der Dinge und unseres Selbst (âtman) lassen sich von diesem Ufer aus erreichen, wenn man zum Über-setzen bereit ist.

Der Gelassene verkündet keine Religion im Sinne einer göttlichen Offenbarung. Er ist auch kein göttlicher Vermittler. Vielleicht erging es ihm aber so, dass seine Schüler daraus eine Quasi-Religion machten. Dem Buddha folgte der Buddhismus. Darauf weist folgende Geschichte hin:

„Als der Buddha einige Monate vor seinem Tod gefragt wurde, wen er denn zu seinem Nachfolger bestimmen wolle, antwortete er folgendermaßen (Längere Sammlung [Digha-Nikaya] 16, 2, 25-26, und 16, 6, 1, gekürzt):

"Wieso erwartet der Orden das von mir? Ich habe die Lehre (dhamma) dargelegt, ohne ein Innen und Außen zu unterscheiden, denn in bezug auf die Lehre hat der Vollendete nicht die geschlossene Faust eines Lehrers, der gewisse Wahrheiten zurückhält. [...]
Ein Vollendeter glaubt nicht, daß unbedingt er den Orden leiten müsse, oder daß der Orden auf ihn angewiesen sei. [...]

Darum seid selbst eure Insel, selbst eure Zuflucht, habt die Lehre als Insel, die Lehre als Zuflucht, habt keine andere Zuflucht! [...]" (Dhammapada 2008, 10)

"Der Buddhismus, der zunächst nur Resonanz bei Einzelnen hatte, wurde zu einer breiten Reformbewegung, als der Buddha nach seinem Tode zu einer göttlichen Inkarnation erklärt wurde. Die Legende bemächtigte sich seines Lebens, verband ihn mit den bekannten Göttern und erfand Wundergeschichten. Das war der Preis dafür, daß der Buddhismus in die Massen eindringen konnte.
Aus einer philosophischen Erkenntnis, die besagte: "den Schlüssel zur Glückseligkeit tragen wir in uns", machte das Volk am Ende eine Religion, weniger in dem wörtlichen Sinne von Religion, das auf das Lateinische "religare" (rückbinden) zurückgeht, sondern in der Art einer überirdischen Verehrung mit bestimmten Kulten und Riten." (Percheron 1988, 14-15).

Buddhas Einsicht in die conditio humana als Leiden richtet sich an jeden Einzelnen, der ohne Hilfe eines göttlichen Erlösers in der Lage ist, sich vom Zustand der Abhängigkeit nicht nur von den Dingen, sondern vor allem von sich selbst, von seinem Selbst als eine Wesenheit, los zu lassen.

Diese Einsicht ist zugleich mit Übungen verbunden, die aber einen ganz anderen Sinn haben, als etwa Meditationstechniken im Christentum. Die Wege des Loslassens sind individuell, d.h. sie sind Wege des Selbst in die Selbstlosigkeit. Das Selbst ist der eigentliche Ursprung des Leidens als die Wurzel allen Verhaftet-Seins.

Die Einsicht in die Vergänglichkeit und Wesenlosigkeit aller Erscheinungen sowie das Ansprechen des je eigenen Selbst verbindet und trennt Grundeinsichten des Gelassenen mit existenzphilosophischen Denkern zweieinhalbtausend Jahre danach.

Das explizit Machen seiner Einsichten hat der Gelassene nicht in schriftlicher Form überliefert, aber das, was seine Schüler festhielten, deutet darauf hin, dass der Gelassene eine vorherrschende Moral und deren Reflexion in Form einer Ethik in Frage stellt. Wenn dies seine Grundeinsicht war, dann ist auch sein „Schweigen“ (Panikkar 1996) bezüglich zum Beispiel der Frage nach Gott und somit die Darlegung einer Theologie konsequent. Das Schweigen des Gelassenen bezüglich der Ewigkeit der Welt, dem Wesen des Göttlichen oder dem Wesen des Selbst beruht auf der Einsicht, dass diese Sachverhalte keine Dinge sind „worüber“ wir, im Sinne Wittgensteins aber auch Kants oder Heideggers, sinnvoll sprechen könnten. Panikkar erwähnt die folgende Geschichte unter dem Titel „Keine angemessene Antwort“:

„Darauf stattete Vacchagotta, der Wanderer, dem Erhabenen einen Besuch ab… und sagte:
„Nun Meister Gautama, gibt es ein Selbst?“
Auf diese Worte hin schwieg der Erhabene.
„Wie ist es nun, Meister Gautama, dann gibt es also kein Selbst?“
Der Erhabene schweig abermals.
Darauf erhob Vacchagotta, der Wanderer, sich von seinem Sitz und ging fort.
Nicht lange nach dem Fortgang des Wanderers sagte der ehrwürdige Ânanda zum Erhabenen:
„Wie kommt es, Herr, daß der Erhabene auf die Frage des Wanderers Vacchagotta keine Antwort gab?“
„Wenn ich,  Ânanda, auf die Frage des Wanderers: ‚Gibt es ein Selbst? geantwortet hätte: ‚Es gibt ein Selbst’, dann, Ânanda, hätte ich damit die Partei der Einsiedler und Brahmanen ergriffen, die an die Ewigkeit glauben.
„Wenn ich aber, Ânanda, auf die Frage: ‚Dann gibt es also kein Selbst?’ geantwortet hätte, daß es keines gebe, dann hätte ich damit die Partei der Einsiedler und Brahmanen ergriffen, die an die völlige Vernichtung glauben.
„Wenn ich auf die Frage des Wanderers, Ânanda,: ‚Gibt es ein Selbst?’ wiederum geantwortet hätte, dass es eines gebe, wäre meine Antwort dann im Einklang mit dem Wissen, daß alle Dinge vergänglich sind?“
„Gewiß nicht, Herr.“
„Wenn ich auf die Frage des Wanderers Vacchagotta, ‚Dann gibt es also kein Selbst?’ wiederum geantwortet hätte, daß es keines gebe, so hätte es für den verwirrten Vacchotta noch mehr Verwirrung gegeben. Denn er hätte gesagt: ‚Früher hatte ich gewiß ein Selbst, aber jetzt habe ich keines mehr.“ (Panikkar 1996, 127-128)

Der Gelassene ist kein Religionsgründer, sondern ein Ethiker, der seine Einsichten nicht im Sinne einer Theorie etwa über das gute Leben verstanden wissen will, sondern allem voran im Sinne eines Ansporns an jeden Einzelnen, sich um sein eigenes Selbst zu kümmern. So gesehen gleicht die Ethik des Gelassenen der des Aristoteles, der nicht müde wurde zu betonen, dass der Sinn der Ethik als praktische Philosophie sich in der Übung vollendet, die zum Gutsein des Einzelnen im Sinne der areté führt. Für den Gelassenen ist aber nicht das Gutsein des Selbst das Ziel, sondern gerade das Loslassen von allen Zielen und theoretischen Überbauen, Riten und Dogmen, die das Selbst sich setzt und vor allem vom Selbstsein selbst.

Dieses Loslassen vom Selbst ist das worauf das Grundwort nirvana  hinweist. Ein Denken im Sinne einer Praxis des „Über-setzens“ müsste hier anschließen, wenn es darauf ankommt zum Beispiel den Dhammapada zu übersetzen, um auf das Ufer des Gelassenen hinüber zu setzen.

Freilich, eine Über-setzung vom Ufer des existenzphilosophischen Denkens aus und in ihren vielfältigen Ausprägungen ist nicht weniger ein Wagnis als andere Versuche von anderen Ufern aus. Was würde der Gelassene zu diesen meinen hilflosen Versuchen sagen? Vermutlich würde er mich fragen, ob sie meine Wege sind. Das sind sie.


I. KLEINES BUDDHISTISHES WÖRTERBUCH

abinnâ – Das vollkommene Verstehen

„tiefgründiges Wissen; im späteren Pali-Texten dann stets in der Bedeutung: "die sechs Geisteskräfte: magische Kräfte (z.B. durch die Luft fliegen, über das Wasser gehen, etc.), himmlisches Ohr, Gedankenlesen, himmlisches Auge, Erinnerung früherer Daseinsformen, Versiegung aller Triebe und letztendliche Befreiung" (Dhammapada 2008, 126)

amata – der Fug

Loslassen. Siehe nirvâna


anakkhata – namenlos

Siehe nirvâna


arahat –  Der Gelöste, der Selbsterlöste


arahatta –  Der Schutz der Selbstlosigkeit


ariya-puggala – Die Wanderungen des Selbst

Eintritt, Wiederkehr, Niewiederkehr, Selbstlosigkeit.


âtman – Das Selbst

„Neben seiner Bedeutung als (demonstratives, indefinites und sogar reflexives) Pronomen wurde âtman als „Seele“, „Substanz“, „Ich“, „Selbstheit“, „Selbst“ usw. übersetzt. Seltsamerweise kann man all diese Übersetzungen nicht falsch nennen, obgleich sie entweder den Hintergrund oder die Schattierungen des Originals verfehlen. […]

Die Intuition des Buddha ist die der reinen Kontingenz. Sie ist die Entdeckung der Abwesenheit eines höchsten handelnden Subjekts; sie ist die primäre Erfahrung der Vergänglichkeit und daher des Leidens, das allen Wesen innewohnt. Mit der Verweigerung, vom âtman zu reden, meint der Buddha, dass es kein letztes höchstes Objekt und kein primäres Subjekt der menschlichen Erfahrung gibt, nichts, das als letzter, definierter Grund für alles andere gesetzt werden könnte. Umgekehrt läßt sich sagen, dass das Konzept des Buddha gleichbedeutend ist mit der Feststellung, dass es in dieser Welt keine bevorzugten Wesen gibt. Es gibt keine Substanzen hier und Akzidentien dort. Nein, alles, was wir erfahren können, ist gleichermaßen vergänglich, flüchtig und unbeständig – nicht nur Farben und Gefühle, sondern auch das sie erfahrende Subjekt.“ (Panikkar 1996, 65-67)


bojjhanga – Die sieben Weisen des Erwachens

Achtsamkeit
Erforschung der Lehre
Willenskraft
Freude
Ruhe
Sammlung
Gleichmut

brahma-cariya – Der Befreite

auch: der Entsagende, rein Lebende


Buddha – Der  Gelassene


cattāri ariyasaccāni
– Die vier edlen Wahrheiten

dukkha: Leiden (das Leben ist Leiden)
samudaya: Ursache (Ursachen des Leidens sind Gier, Haß und Verblendung)
nirodha: Erlöschen (durch das Erlöschen der Ursachen erlischt das Leiden)
magga: Siehe sammā (Der achtfache Pfad)


dhamma – Die Fügung

auch: das Gesetz, die Lehre, die Wirklichkeit.
Dhammapada:  Weg der Fügung


duhkha - Das Leiden

gantha – Die vier Fesseln

Verlangen [tanhā]
Hass
Regeln und Rituale,
Dogmen


jhan
ās – Die Übungen der Selbstlosigkeit

Güte (metta)
Leerheit (vipassana)
Ruhe (samatha)
Gehen

(Siehe: Dhammapada 2008, 133-142).


khandha – Die Weisen des Menschseins

Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Psyche, Bewusstsein

mara – Leiden, Tod

Siehe: samsara

nirvâna – Das Wegsein

„Die Etymologie des Wortes ist aufschlussreich. Das Sanskrit-Verb nirvâ bedeutet „ausgelöscht werden“ oder „verzehrt werden“, nie im transitiven Modus, sondern immer wie ein Feuer, das „ausgeht“ oder eine Flamme, die aus Mangel an Brennstoff verlischt. Man erinnert sich an den Wind (wie der lateinische spiritus oder das griechische pneuma). Der Wind löscht jedoch nicht nur das Feuer, er mildert auch die Hitze, so daß nirvâna etymologisch auch die Bedeutung von „erfrischend“ oder „angenehm“ hat. […]

Nirvâna ist mehr als ein psychologischer Zustand. Nirvâna ist die Auslöschung der als negativ und bedingt angesehene Existenz. Es ist das „Ausgehen“ von Zeitlichkeit, Tod und allem Sterblichen – von allem was (noch) geboren werden kann. Denn wo endet alle sinnliche oder intellektuelle menschliche Erfahrung? Im Leiden. Aber das Leiden ist das Kennzeichen und Merkmal des Daseins. Dann muß das Endziel des Menschen die reine Negation der Negativität selbst sein – das a-no-nada-miento. Die „Zu-nicht-nichtigkeit“ der spanischen Mystik, die Vernichtung jenes Nichts, der nonada, die man „ist“. Offensichtlich hängt alles von der Bedeutung ab, die man dem Verbum „sein“ verleiht. Für den Buddha „ist“ das, was man ist, gewiß nicht das, was man zu sein glaubt, fühlt oder denkt, oder was man je sein glauben, fühlen oder denken könnte. Nirvâna ist das Aufhören aller samskâra. Es ist die Auflösung aller Bindungen. Es ist das Löschen des Durstes. Es ist die Vernichtung der drei Hauptlaster. Nirvâna gehört zum „anderen Ufer“, oder pâra, dem entgegengesetzten Ufer selbst dessen, was die Überlieferung der Upanishaden meinte und vermitteln wollte. Mit einem Wort, nirvâna kann als Heiligkeit (arhatva), als das Ideal des arhant verstanden werden: „Die Auflösung von Leidenschaft, von Hass, von Verwirrung wird nirvâna genannt“.

Die am wenigsten falsche Aussage, die wir über nirvâna machen können, ist vielleicht die, daß es akrita sei: nicht gemacht, nicht errichtet, anders als das Verarbeitete (samskrita), das Errichtete, sogar das Geschaffene. Wenn Dasein das ist, was ist, dann ist nirvâna das Nichtsein.“ (Panikkar 1996, 79-81).


pann
ā – Der Hellblick, die Einsicht


parinibbuta
– Die völlige Ruhe


prajñā selbstloses Selbst (Weisheit)

Siehe sammā.
Siehe hier.


pratitya-samutpada - die Kausalkette

Siehe hier.

punna – Die guten Werke, Die Verdienste

saggapayā – Der Himmel und die niederen Daseinsfährten

"die sechs Daseinsbereiche der Götter, Dämonen, Menschen, Tiere, Geister und der leidenden Wesen in den Höllen." (Dhammapada 2008, 126)
 

sammā – Der achtfache Pfad

selbstloses Selbst (Weisheit) (prajñā):
1. rechte Erkenntnis (sammā-ditthi)
2. rechtes Denken (sammā-sankappa)

Loslassen von Gewalt (sīla):
3. rechtes Reden (sammā-vācā)
4. rechtes Handeln (sammā-kammanta)
5. rechter Lebensunterhalt (sammā-ājiva)

Sammlung (samādhi):
6. rechtes Bemühen (sammā-vāyāma)
7. rechte Achtsamkeit (sammā-sati)
8. rechte Sammlung (sammā-samādhi)

Siehe hier.


samyojana – Die zehn Fesseln

Die fünf niederen Fesseln:
Selbstsucht
Uneinsichtigkeit
Verhaftung an Regeln und Ritualen
Sinnliches Verlangen
Übelwollen 

Die fünf höheren Fesseln:
Höheres körperliches Verlangen
Geistiges Verlangen
Dünkel
Unruhe
Verblendung, Ignoranz.

Auch: samyoga - Die vier Fesseln: Sinne, Leben, Meinungen (Gerede), Ignoranz.

samsara – Der Kreislauf des Daseins


sīla – Das Loslassen von Gewalt

Siehe: sammā
Davon leiten sich ethische Prinzipien auf verschiedenen Ebenen ab.


tath
āgata – Der Gelöste


vipassan
ā – Die Einsicht in Leiden, Vergänglichkeit, Selbstlosigkeit


viveka – Die Abgeschiedenheit


yoga – Die Übungen im Menschsein




II. BUDDHISTISCHE TEXTE

Nach der Darstellung von (Panikkar 1996, 62-64).

"Die kanonischen buddhistischen Texte können gemäß den fünf Kategorien klassifiziert werden. Die erste und die [sic] älteste, die zur Theravâda Tradition gehört, bildet den Pâli-Kanon. Dazu gehören auch Fragmente des gleichen Kanons in Sanskrit, die zu den Schulen Sarvâstivâda, Mularsarvâstivâda und Mahâsânghika gehören. Die spätere Mahâyâna-Tradition verfaßte ebenfalls ihre kanonischen Texte im Sanskrit.

A. Theravâda, die Schule der Älteren: Zu den Schriften dieser Tradition gehören die ältesten Texte, genannt Tripitaka (Tripitaka im Sanskrit): Die drei Körbe (pitaka).

1. Vinaya Pitaka: Der Korb der monastischen Disziplin.
a. Sutta Vibhanga: Die Klassifkationen der Regel.
Bhikkhuvibhanga, für die Mönche.
Bhikkhunîvibhanga, für die Nonnen.
b. Khandhaka: Der Textteil
Mahâvagga: Der große Teil.
Cullavagga (Culavagga): Der kleine Teil.
c. Parivâra: Der Nachtrag, ein Anhang, eine Art Index, der die anderen Texte des Vinaya zusammenfaßt.

2. Sutta Pitaka: Der Korb der Texte. Sammlung der Reden des Buddha und seiner Schüler. Dies sind die wichtigsten Dokumente der Lehre (dhamma). Es gibt fünf nikâya (Sammlungen oder Teile)
a. Dîgha-nikâya: Sammlung der Langen Sutta (34)
b. Majjhima-nikâya: Sammlung der Mittleren Sutta (142)
c. Samyutta-nikâya: Sammlung der Kombinierten Sutta (56 Gruppen)
d Anguttara-nikâya: Sammlung der Sutta, klassifiziert nach Themen (11 Gruppen)
e. Khuddaka-nikâya: Sammlung der Kurzen Texte (15), unter ihnen:
(1) Dhammapada: Verse des Dhamma.
(2) Udâna: Äußerungen (meistens in metrischer Form).
(3) Itivuttaka: "So ist gesagt worden", die Reden des Buddha.
(4) Sutta Nipâta: Sammlung der Reden (meistens in Versen) über den Buddha, die Gesellschaft und die Ethik.
(5) Theragâthâ: Die Strophen der Älteren: Mönche.
(6) Therîgâthâ: Die Strophen der Älteren: Nonnen.
(7) Jâtaka: Geschichten über frühere Geburten des Buddha.

Das Milinda Pañha: Man kann hier diesen Dialog zwischen dem König Milinda und einem Mönch über das Wissen und die Weisheit hinzufügen. Die burmesische Tradition betrachtet ihn als diesem Kanon zugehörig. Obwohl dies eine Pâli-Version ist, war das Original wahrscheinlich nicht in Pâli.

3. Abhidamma Pitaka oder Sattapakarana: Die Sieben Abhandlungen. Detaillierte und klassifizierende Auslegung der Lehre. Unter den Kommentaren des Pâli-Kanons ist der Visuddhimagga: der Weg der Vollkommenen Reinigung, von Buddhagosa, der berühmteste. Es ist eine systematische und zusammenfassende Behandlung der ganzen Lehre.

B. Sarvâstivâda
Fragmente in Sanskrit des Vinaya, der Sutta und anderer Texte dieses Kanons. Der Großteil existiert nur in der chinesischen und tibetischen Übersetzung.

C.  Mularsarvâstivâda
Ein wichtiger Teil des Vinayavastu ist in Kashmir aufbewahrt. Fragmente des Vinaya. Ein kompletter Vinaya existiert auf Tibetisch.

D. Mahâsânghika
Der Mahâsânghika, betrachtet als der Vinaya Pitaka dieser Schule, obwohl er viele Texte des Typs von Sutta und Legenden vereinigt. Das wichtigste Fragment dieses Kanons ist in Nepal aufbewahrt.

E. Mahâyâna
Die Texte gehören der späten Periode seit etwa dem 2. Jh. n.Chr. (Nâgârjuna) an, obwohl die Entstehung einiger von ihnen wahrscheinlich am Anfang der christlichen Ära zu plazieren [sic] ist. Die zwei wichtigsten Schulen waren Mâdhayamika (Shunyavâda) und Vijñânavâda (Yogâcâra).

Zu den größten Sûtren dieser reichen Literatur gehören:

Prajnâpâramitâ, Sammlung der Sûtra-Texte in Prosa über die Große Weisheit, hergeleitet von Shûnyatâ.

Lalitavistara Sûtra: Ausführliche Darstellung des Spiels, eine legendäre Geschichte über die menschliche Erscheinung des Buddha.

Lankâvatâra Sûtra: Das Herabsteigen (âvatâra) des Buddha nach Srî Lañka, wo er eine Zeit lang die 108 Fragen des Bodhisatva Mahâmati beantwortete und begründete Berichte über die Lehre gab.

Saddhara Pundarîka Sûtra: Sutra des Lotos des wahren Gesetzes. Über die Natur der Erscheinungen des Buddha, über die Meinungen des Buddha und der Bodhisattvas. Es enthält verschiedene Parabeln.

Mañjushrî Mûlakalpa: Das Ursprungs-Kalpa des Mañjushrî. Dieses Kalpa ist eine Abhandlung, die die Regel des Rituals setzt. Ein späterer Text, eine Art Enzyklopädie über viele Sachen: rituelle Lehre, Astrologie, Geschichte."




III. ÜBERSETZUNGEN AUS DEM DHAMMAPADA



1 DIE WAHL

1
Alle Dinge entstehen im Selbst,
Sind unseres mächtigen Selbst Schöpfung.
Rede mit unreinem Selbst,
Handle mit unreinem Selbst,
Und Leiden wird dir folgen,
Wie das Rad dem Fuß folgt,
der den Wagen zieht.

2
Alle Dinge entstehen im Selbst,
Sind unseres mächtigen Selbst Schöpfung.
Rede mit reinem Selbst,
Handle mit reinem Selbst,
Und Glück wird dir folgen,
Wie der Schatten dem Körper folgt,
und nicht weicht.

[…]
 

2 DIE WACHSAMKEIT
 

21
Wachsamkeit [appamāda] ist der Weg zum Wegsein [nirvâna],
Unwachsamkeit der Weg zum Unfug des Daseins.
Wer wachsam lebt, der kehrt nicht mehr wieder,
Doch der Unwachsame ist schon wie ein Wiederkehrender.

[…]

 

3 DAS SELBST
 

33
Wie der Pfeilmacher seine Pfeile
Zurechtschnitzt und gerade macht,
So richtet der Wachsame sein unruhiges
Und schwer zu zügelndes Selbst aus.
 

34
Wie ein Fisch, dem Wasser entrissen
Und am Ufer gestrandet,
So zappelt dieses unstete Selbst
Unter der Macht des Leidens [māra]

35
Schwer zu zügeln ist das Selbst,
Es wandert nach seinem Belieben.
Es ist gut, es zu bewachen,
Und es zu zähmen führt zum Glück

36
Schwer zu erkennen ist das Selbst,
Es wandert nach seinem Belieben.
Es ist weise, es zu behüten,
Und es zu schützen führt zum Glück.

37
Dieses umherwandernde Selbst,
Im Körper wohnend und doch nicht fassbar,
Wer dieses Selbst bemeistert,
Wird frei von māras Fesseln.
 

38
Ein Mensch, der unstet ist im Selbst,
Ohne Vertrauen und ohne Klarheit,
Und des Gelassenen Einsichten [saddhamma] nicht versteht,
In dem kann keine Einsicht [paññā] wachsen.
 

39
Ein Mensch, im Selbst frei von Verlangen
Und von Abneigung nicht mehr bedrückt,
Der alles Gut und Böse losgelassen hat,
Der lebt dank seiner Wachsamkeit
frei von Gefahren.


40
Erkenne deinen Körper
als ein zerbrechliches Gefäß,
Und schütze dein Selbst gleich einer Burg,
Überwinde māra mit deinem tiefen Verstehen
Schütze das Erworbene im Loslassen [
sīla]
und gib dein Anhaften auf.


41
Denn gar bald wird dieser Körper
Auf der Erde liegen,
Weggeworfen und ohne Bewusstsein,
So wie ein nutzloses Stück Holz.
 

42
Dein schlimmster Feind
und jene, die dich hassen,
Vermögen dir niemals so sehr schaden,
Wie dein eigenes Selbst
Wenn du es auf das Unheilsame richtest.


43
Dein Vater, deine Mutter
und jene, die dich lieben,
Vermögen dir niemals so sehr zu helfen
Wie dein eigenes Selbst,
Wenn du es auf das Heilsame richtest.

 

4 DIE BLUMEN

[…]
 

46
Sieh, wie der Körper einer Schaumblase gleicht,
Einer flüchtigen Spiegelung in der Luft,
Entferne die blütengeschmückten Pfeile Maras,
Und verlasse unsichtbar dies Reich des Unfugs.
 

47
Wenn du immer all diese Blumen pflücken willst,
Wenn dein Herz immer voll des Verlangens ist,
So wird dich der Unfug plötzlich überraschen,
Gleich, wie die Flutwelle ein schlafendes Dorf.
 

[…]

  

5 DER UNWISSENDE UND TOR
 

[…]

61
Wenn du auf deiner Wanderung
Keinen sittlich Gleichgesinnten findest,
So gehe du alleine weiter,
Denn nur Unheil bringt eines Tores Begleitung.

[…]

67
Warum tust du Dinge,
Die du später tief bedauern wirst,
Die dir Tränen und Schmerzen bringen,
Wenn dein Handeln Früchte trägt?

[…]
 

74
„Mögen alle meine Arbeit kennen,
Laien, Mönchen und Nonnen,
Und mögen sich in allen Dingen
Stets Alle nach meinem Willen richten.“
So ist das Denken und Wünschen des Toren,
Und so wächst sein Stolz immer mehr an.
 

75
Der eine Weg führt zu Gewinn,
Der andere Weg zum Wegsein [nirvâna].
Ein Mönch und ein Schüler des Gelassenen,
der dies klar erkennt, der sollte sich nicht
An Gastfreundlichkeit und Ehre ergötzen,
Der übe sich mit Hingabe
in der Abgeschiedenheit [viveka].

 

6 DER WEISE

[…]

88
Auch wenn es für dich schwer sein mag,
Dich am Loslassen zu erfreuen,
Lasse dennoch all dein Verlangen los,
Und mache so Herz und Selbst frei
Von allem Unfug [kilesa].

89
Wenn du dein Selbst recht entfaltet hast
In den sieben Weisen des Erwachens [bojjhanga]
Wenn du dich losgelöst hast von allem Verlangen
Und dich der Freiheit des Loslassens erfreust,
Wenn deine Leidenschaften
vollkommen versiegt sind
Und du in strahlend klarer Einsicht verweilst,
Dann bist du zur Ruhe gekommen [paranibbuta].

 

7 DER SELBSTERLÖSTE
 

90
Wer den Pfad hindurchgegangen ist,
Der ist vollkommen befreit,
Frei von Kummer,
Frei von allen Fesseln [gantha],
Frei vom Willen. 

[…]
 

8 DIE TAUSENDE
 

[…]

103
Besser als Tausende von Kriegern
In einer Schlacht zu besiegen,
Ist es, einzig nur dein Selbst zu besiegen,
Dann bist du wirklich siegreich im Kampf.

[…]
 

9 DER UNFUG
 

116
Beeile dich, Fügsames zu tun,
Und halte dein Selbst vom Unfug fern.
Wenn du darin zögerst,
Wird sich dein Selbst am Unfug erfreuen.

[…]
 

10 DIE GEWALT


129
Alle Wesen zittern vor der Gewalt,
Alle Wesen fürchten den Tod;
Sieh dich selbst in anderen,
Und töte nicht, verletze nicht

[…]

 

11 DAS ALTERN

[…]

155
Wer weder ein gelöstes Leben geführt hat,
Noch in jungen Jahren Wohlstand geschaffen hat,
Der gleicht einem alten, flügellahmen Reiher
An einem ausgetrockneten, fischleeren Teich.

[…]

 

12 DIE SELBSTERZIEHUNG

[…]
 

159
Du selbst handle stets so,
Wie du die anderen belehrst,
Selbstbezähmt magst du die anderen bezähmen,
Doch schwierig ist es, sich selbst zu bezähmen.
 

160
Du selbst bist dein eigener Beschützer,
Wer sonst könnte dich wohl beschützen?
Selbstbezähmt erlangst du den Schutz der Selbstlosigkeit [arahatta]
Der schwer zu erlangen ist. 

[…]

165

[...]
Du selbst bis die Quelle
aller Reinheit und Unreinheit,
Und keiner kann
Einen anderen Menschen läutern.
 

166
Vernachlässige nicht deine eigene Selbstbefreiung,
Selbst nicht für großes künftiges Wohl,
Erkenne deine eigene Aufgabe,
und dann vollbringe sie.
 
 

13 DIE WELT

[…]

170
Sieh diese ganze Welt
Wie eine Blase im Wasser,
Wie eine Spiegelung in der Luft
So gehst du jenseits dieses Reichs des Unfugs  

[…]


14 DER SELBSTLOSE

[…]

183
Höre auf Böses zu tun,
Wende dich dem Guten zu,
Läutere Herz und Selbst:
Dies ist die Lehre des Gelassenen.

[…]

 

15 DAS GLÜCK

206
Glück und Segen ist es,
Selbstgelösten zu begegnen,
Und anstatt mit Getriebenen
Mit Wachsamen zusammenzuleben,
So kann man immer glücklich sein.
 

[…]

 

16 DAS VERGNÜGEN

[…]

211
Hänge dein Herz an nichts,
Damit nicht Verlust dir Schmerzen bringt.
Gehe jenseits von Zuneigung und Abneigung.
So wirst du frei von allen Fesseln.
 

[…]
 

17 DER ÄRGER


221
Gib den Ärger auf und den Stolz,
Befreie dich von allen Fesseln [samyojana]

[…]

  

18 DIE VERUNREINIGUNGEN

[…]
 

236
Erbaue dir deine eigene Insel und Zuflucht,
Beeile und bemühe dich, entwickle Einsicht,
Befreie dich von allem Unfug,
Und erreiche so ein gelöstes Leben.
 

[…]

 

19 DIE FÜGUNG (DHAMMA)
 

[…]
 

267
Doch wenn du alles Gut und Böse lässt,
Und als ein Befreiter [brahma-cariya]
Diese Welt des Unfugs durchwanderst,
Dann gilst du wirklich als ein Gelassener.

[…]

 

20 DER PFAD


273
Der höchste Pfad ist der achtfache Pfad [samma]
Die höchste Wahrheit ist die vierfache Wahrheit [
cattāri ariyasaccāni]
Das höchste Ding ist die Loslösung,
Und der höchste Mensch ist der Gelöste,
der erkennt.

[…]

289
Erkenne dies alles sehr klar,
Lebe weise und gelöst,
Und suche rasch für dich
Den Weg zum Wegsein [nirvâna].

 

 

21 DIE VIELFÄLTIGE ÜBUNG
 

[…]
 

305
Sitze wachsam, liege wachsam, gehe wachsam,
Übe unermüdlich
Und wachsam bezähme dich selbst,
Voller Freude verweile
In der Einsamkeit der Wälder.


22 DIE ABGRÜNDE DES LEIDENS 

[…]

307
Viele tragen wohl die gelbe Robe,
Doch zügeln nicht ihr unheilsames Tun;
Und so führen sie die Folgen ihres Tuns
In die Abgründe des Leidens.

[…]

 

23 DER ELEFANT

[…]

328
Wenn du einen weisen Freund findest,
einen Gefährten,
Der auf die rechte Weise lebt und versteht,
So überwinde alle Hindernisse
und wandere mit ihm,
Wachsam und mit offenem Herz und Selbst. 

329
Wenn du keinen weisen Freund findest,
keinen Gefährten,
Der auf die rechte Weise lebt und der versteht,
So gehe wie ein König, der sein Königreich aufgibt,
Und wandre allein
Wie der Elefant im Dschungel.

[…]

 

24 DAS VERLANGEN

[…]

336
Wenn du das Elend bringende
Verlangen bezwingst,
Das schwer zu Überschreitende in dieser Welt,
So fallen alle Sorgen von dir ab,
Wie vom Lotusblatt die Wassertropfen.

[…]

353
„Alles habe ich überwunden und alles erkannt,
An nichts mehr haftend
und durch nichts befleckt,
Alles habe ich losgelassen,
Und alles Verlangen ist versiegt,
Erlöst bin ich und frei,
Aus mir selbst heraus habe ich dies erkannt,
Wen sollte ich da meinen Lehrer nennen?“

[„diese Antwort gab der Buddha bald nach seinem
Erwachen dem Asketen [samana] Upaka, als dieser
dem Buddha auf der Straße begegnete, und beeindruckt
von Buddhas strahlendem und friedlichem Wesen, nach
seinem Lehrer fragte (Mittlere Sammlung [Majjhima-Nikaya] 26)“]

(Dhammapada 2008, 111)

 

25 DER EINSAME
 

[…]

367
Verweile beim Körper und beim Selbst
Ohne Anhaftung an ein „Ich“ und „Mein“,
Und beklage nicht den Verfall:
So wirst du zu Recht ein Einsamer genannt.

[…]

379
Durch deine eigene Anstrengung
Durch deine eigene Selbstbeobachtung,
Durch deine eigene Achtsamkeit
Wirst du glücklich leben, o Einsamer.
 

380
Du selbst bist dein eigener Meister,
Du selbst bist deine eigene Zuflucht,
Du selbst erziehe dich
So, wie der Züchter sein edles Pferd.

[…]

 

26 DER BRAHMANE UND DER HEILIGE


[…]

392
Der Brahmane verehrt das heilige Feuer,
Aber du verneige dich vor dem Menschen,
Durch den du die Lehre gehört und verstanden hast,
Die der Losgelassene verkündet hat.

[…]

397
Wer sich von all seinen Fesseln befreit hat,
Nicht mehr erregt ist und besorgt,
Wer von Anhaften und Fesseln wirklich frei ist,
Den nenne ich einen Heiligen. 

[…]

406
Wer inmitten streitender Menschen
ruhig bleibt,
Wer inmitten kämpfender Menschen
friedvoll bleibt,
Wer inmitten gieriger Menschen
losgelöst bleibt,
Den nenne ich einen Heiligen.

[…]

419
Wer klar erkennt, wie überall die Wesen
Vergehen und entstehen,
Wer frei ist von allem Anhaften und erwacht,
Den nenne ich einen Heiligen.


420
Wer auf dem Pfad geht, den keiner kennt,
Kein Gott, kein Himmelswesen
und kein Mensch,
Wer frei ist von allen Trieben und gelöst [arahat],
Den nenne ich einen Heiligen.


421
Wer weder an der Vergangenheit,
Noch an der Zukunft hängt,
Und selbst nicht an der Gegenwart,
Wer frei ist von allem Verlangen,
Und an gar nichts mehr hängt,

Den nenne ich einen Heiligen.

[...]

423
Wer um seine frühere Daseinsformen weiß,
Wer Himmel und Höllen [saggapaya] klar erkennt,
Wer das Ende aller Gestaltungen erreicht hat,
Wer vollkommenes Verstehen [abhinna] verwirklicht hat,
Wer losgelöst lebt als ein schweigender Weiser,

Ein vollkommen Gelöster,
Den nenne ich einen Heiligen.


IV. LOTOS-SUTRA


Harro von Senger: 36 Strategeme. Lebens- und Überlebenslisten aus drei Jahrtausenden.

Frankfurt am Main 2011, 339-342

 

24.15 Buddhas Gleichnis vom brennenden Haus

"Also habe ich gehört. Einst wohnte der Buddha in der Stadt Rajagrha [Hauptstadt des Landes Magadha in Indien] auf dem Geierberg [...] Scharen übersinnlicher Wesen und zahllose Jünger umgaben ihn [...] Zu jener Zeit erhob sich der Welterhabene und sprach [...]

So beginnt das Lotos-Sutra, auch die "Bibel Ostasiens" genannt. Es ist die bedeutendste Schrift des über den ganzen Fernen Ostens verbreiteten Mahajana-Buddhismus. In der Zeit zwischen 200 v. und 200 n. Chr. in Indien entstanden, verdankt es seine herausragende Stellung der unvergleichlichen Anziehungskraft, die es jahrhundertelang auf buddhistische Fromme ausgeübt hat. Ich stütze mich im folgenden auf die vollständige deutsche Übersetzung des unter dem Titel Miao Fa Lianhua Jing überlieferten chinesischen Textes von Margareta von Borsig (Sutra von der Lotosblüte des wunderbaren Gesetzes. Darmstadt 1993).

Die Reden des Lotos-Sutra sind dem zur höchsten Erleuchtung gelangten Buddha in den Mund gelegt. Vor dem Hintergrund einer mythischen Szenerie entfalten sich in den 28 Kapiteln des Sutra grandiose Bilder. Parabeln veranschaulichen den Lehrgehalt, darunter das im dritten Kapitel wiedergegebene Gleichnis vom brennenden Haus. In diesem Gleichnis erzählt Buddha, wie an jeder Seite eines riesigen Gebäudes gleichzeitig Feuer ausbricht und auf das ganze Bauwerk übergreift. Darin befinden sich die noch kleinen, unverständigen Söhne des unermeßlich reichen Hauseigentümers. Sie sind vergnügt in ihr Spiel vertieft, begreifen und merken nichts, erschrecken und fürchten sich nicht. Sie streben nicht danach zu entkommen. Der Vater warnt die Kinder und ruft ihnen zu: "Kommt schnell heraus!" Aber die Kinder nehmen die Worte des Vaters nicht auf. Sie sind nicht erschrocken und fürchten sich nicht, und sie denken nicht daran herauszukommen. Auch wissen sie nicht, was mit "Feuer" gemeint ist oder was mit "Haus" und wovon er meint, sie würden es verlieren. Sie laufen weiter im Spiel hin und her, und das ist alles.

Da überlegt sich der Vater: "Wenn ich und die Söhne das in Flammen stehende Haus nicht sofort verlassen, ist unser Tod unausweichlich." Er weiß, welche kostbaren und seltenen Dinge seine Söhne gern haben, und so ruft er ihnen zu: "Verschiedene Wagen mit Ziegen, mit Hirschen und Ochsen stehen außerhalb des Tors. Ihr könnt mit ihnen spielen. Ihr sollt nun schnell aus diesem brennenden Haus herauskommen. Ich will jedem das, was er will, geben." Als die Kinder von den kostbaren Dingen hören, von denen der Vater spricht und die ihren Wünschen entsprechen, kommen sie eifrig und beherzt, indem sie sich gegenseitig stoßen und einer dem anderen zuvorkommen will, balgend aus dem brennenden Haus.

Als der Vater es erreicht hat, daß alle Kinder unversehrt herauskommen, und er nun sieht, daß sie sich in dem Viereckhof auf die Erde setzen, da ist sein Herz ruhig und von Freude übervoll. Nun sagt jeder der Söhne zum Vater: "Vater, bitte gib uns nun diese schönen Dinge, die Wagen mit Zigen, Hirschen und Ochsen, die du uns vorhin versprochen hast!" Nun gibt der Vater jeder Sohn einen völlig gleichen Wagen. Dieser Wagen ist groß und breit und mit vielen Juwelen ausgeschmückt. [...] Nun steigt jeder Sohn auf einen großen Wagen. Sie haben etwas erhalten, was sie noch nie zuvor besaßen und auch im stillsten nicht erhofft hatten.

 
Dieses Gleichnis erläutert Buddha an einer anderen Stelle des Lotos-Sutra:

"Um der Lebewesen willen, die im Leid verblendet

und verwirrt,

Predige ich das Nirwana.

Dieses geschickte Mittel wende ich an

Und veranlasse sie, in des Buddhas Geisteskraft

einzugehen.

Früher predigte ich noch nicht zu ihnen:

Ihr müßt es erlangen, den Buddha-Weg zu vollenden.

Daß ich es noch nicht predigte, war,

Weil die Zeit der Predigt noch nicht gekommen war;

Nun ist gerade diese Zeit gekommen,

Und unverbrüchlich predige ich das Große-Fahrzeug.

Zunächst verspricht Buddha, dem in der Parabel der Vater entspricht, den Menschen, die mit ihrem irdischen Sinnen und Streben den Kindern im brennenden Haus gleichen, "Wagen mit Ziegen, Hirschen und Ochsen". Das ist ein Bild für das in Aussicht gestellte Nirwana. Mit der Verheißung der völligen Auflösung des Ichs verlockt Buddha die, oder zumindest einige, Menschen, sich von ihren Illusionen und irdischen Wahrvorstellungen (s. 19.4) zu befreien, also gleichsam das brennende Haus zu verlassen und jenen Zustand der Weltentrücktheit zu erlangen, der ihnen an sich erlaubt, ins Nirwana einzugehen. Aber in diesem Augenblick erhalten die so herangereiften Menschen nicht, wie versprochen, "Wagen mit Ziehen, Hirschen und Ochsen", also das sofortige Nirwana, sondern jeder einen gleich großen, breiten, juwelen-geschmückten Wagen. Damit ist die sogenannte Bodhisattvaschaft gemeint. Ein Bodhisattva steht in der letzten Stufe zur Erleuchtung, verzichtet aber darauf, ins Nirwana einzugehen, um sich wieder der Welt widmen zu können und andere Wesen, die nicht die Fähigkeit haben, sich mit eigener Kraft aus dem irdischen "brennenden Haus" zu retten, von seinem hohen geistigen Stand aus zu helfen. Während Jahrtausenden oder Jahrmillionen verzichtet also ein Bodhisattva auf das ursprünglich angestrebte persönliche Zielt – den Eintritt ins Nirwana –, um von seinen fortwährend neu aufgeäuften Verdiensten, die er für sich selbst nicht mehr benötigt, schwachen Wesen auf dem Weg zum Nirwana hin beizustehen.

Das Gleichnis vom brennenden Haus zeigt einen Buddha, der anfänglich nur die halbe Wahrheit sagt. Er setzt dem Menschen zunächst nur das eine Ziel, ins Nirwana einzugehen. Dies ist ein echtes, kein vorgegaukeltes Ziel. Erst nachdem er die Menschen unmittelbar vor dieses Ziel hingeführt hat, eröffnet er ihnen sein bislang geheimgehaltenes Ziel, nämlich sie dazu zu bewegen, als Bodhisattvas den Wesen und Menschen zu dienen. Bis zu einem gewissen Grade verhällt lsich Buddha wie in der Bezugsgeschichte 24.1 der König von Jin gegenüber dem Fürsten von Yu. Nur in bezug auf eines seiner beiden Ziele läßt er die Katze aus dem Sack. Wie der Fürst von Yu erfahren auch die von Buddhas "geschicktem Mittel" (fangbian) Betroffenen erst später, daß das Gegenüber noch ein zweites Ziel verfolgt. Im Unterschied zum König von Jin, fügt aber Buddha niemandem irgendeinen Schaden zu. Buddhas Anwendung des Doppelziel-Strategems kann daher als reines Dienststrategem qualifiziert werden. Der Zeck heiligt hier die Mittel. Dies geht aus folgendem Zwiegespräch Buddhas mit seinem Jünger Sariputra hervor, in dem der im Gleichnis geschilderte Vorgang allerdings nicht unter dem Aspekt einer Listanwendung, sondern unter dem engen Gesichtspunkt der Lüge analysiert wird:

"Sariputra! Was ist nun deine Meinung? Ist dieser Vater deshalb, weil er seinen Söhnen in ganz gleicher Weise einen großen Wagen von kostbaren Juwelen gab, nun irgendwie falsch und lügnerisch oder nicht?" Sariputra sagte: "Nein, von aller Welt Verehrter! Dieser Vater bewirkte, daß seine Söhne der Feuergefahr entkamen, und bewahrte ihren Körper und ihr Leben ganz heil. Dies ist keine Falschheit und Lüge. Was ist der Grund dafür? Schon weil er ihnen Leib und Leben ganz bewahrte, erlangten sie ein schönes, kostbares Ding. Er rettete sie mit einem geschickten Mittel aus dem brennenden Haus. Von aller Welt Verehrter! Selbst wenn dieser Vater ihnen nicht einmal den kleinsten Wagen gegeben hätte, wäre er nicht falsch und lügnerisch. Warum ist es so? Dieser Vater hatte ja diesen Gedanken: 'Ich will mit dem geschickten Mittel erreichen, daß diese Kinder herauskommen.' Dieser Beweggrund ist nicht falsch und lügnerisch; um so weniger, da der Vater, im Bewußtsein, daß sein Reichtum unermeßlich ist, seine Söhne reichlich zu beschenken wünschte und also jedem gleichermaßen einen großen Wagen schenkte."




ÜBERGÄNGE ZU ANDEREN UFERN

Meine Übersetzungen führten mich oft nach Japan sowie zu anderen Ufern. Hier sind einige Spuren:

Die Wahrheit des Seins ist ein Schatten der Wahrheit des ZEN.
http://www.capurro.de/zen.htm

On Hermeneutics, Angeletics and Information Technology
http://www.capurro.de/tsukuba.html

Intercultural Information Ethics
http://www.capurro.de/iie_dialogue.html

Ethik der Informationsgesellschaft – ein interkultureller Versuch
http://www.capurro.de/parrhesia.html

Die Lehre Japans. Theorie und Praxis der Botschaft bei Franz Xaver
http://www.capurro.de/xaver.html

A Dialogue on Intercultural Angeletics
http://www.capurro.de/intercultural_angeletics.html

An Intercultural Dialogue on Roboethics
http://www.capurro.de/intercultural_roboethics.html

Intercultural Aspects of Digitally Mediated Whoness, Privacy and Freedom



LITERATUR

Also sprach der Erhabene (1986). Eine Auswahl aus den Reden Gotamo Buddhos. Übertragen von Karl Eugen Neumann. Diogenes Verlag.

Buddhistische Legenden (1985). Übertragen und herausgegeben von Heinrich Zimmer. Mit einem Vorwort von Friedrich Wilhelm. Frankfurt: Insel.

Das Lotos-Sutra (2007). Übersetzt von Max Deeg. Darmstadt: Wiss.Buchges.

Dhammapada (2008). Die Weisheitslehren des Buddha. Aus dem Pali ins Deutsche neu übertragen und kommentiert von Munish B. Schiekel. Stuttgart: Theseus Verlag.

Die Bhagavadgitā. (1980). Aus dem Sanskrit. Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen von Klaus Mylius. Wiesbaden: VMA.

Die vier edlen Wahrheiten. Texte des ursprünglichen Buddhismus (1998). Herausgegeben von Klaus Mylius. Stuttgart. Reclam.

Gytso, Janet (1998). Apparitions of the Self. The Secret Autobiographies of a Tibetan Visionary. A Translation and Study of Jigme Lingpa's Dancing Moon in the Water and Dākki's Grand Secret-Talk. Princeton University Press.

Heidegger, Martin (2000). Zu Hölderlins Übersetzungen der Pindarfragmente. In: Zu Hölderlin – Griechenlandreisen. Frankfurt a.M.: Klostermann, GA 75, 341-347.

Heidegger, Martin (1982). Parmenides. Frankfurt a.M.: Klostermann, GA 54.

Hesse, Hermann (2013). Siddhartha. Eine indische Dichtung. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

Marquard, Odo (2013). Der Einzelne. Vorlesungen zur Existenzphilosophie. Stuttgart: Reclam.

Panikkar, Raimon (1996). Gottes Schweigen. Die Antwort des Buddha für unsere Zeit. Frankfurt a.M.: Fischer (Urtext: „El silencio de Dios”, Madrid 1970; Amerikanische Originalausgabe “The Silence of God. The Answer of Buddha” Maryknoll 1989; Deutsche Übersetzung, München, Kösel 1992).

Pecheron, Maurice (1988). Buddha. Mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten dargestellt von Maurice Percheron. Aus dem Französischen übertragen von Joachim Rassat. Hamburg: Rowohlt.

Upanishaden. Die Geheimlehre des Veda (2007). In der Übersetzung von Paul Deussen. Herausgegeben und eingeleitet von Peter Michel. Wiesbaden: Marix Verlag (2. Aufl.).

Upanishaden. Die Geheimlehre der Inder (1986). Übertragen und eingeleitet von Alfred Hillebrandt. Mit einem Vorwort von Helmuth von Glasenapp. Köln: Diderichs.

Upanishaden. Ausgewählte Stücke (1966). Aus dem Sanskrit übertragen und erläutert von Paul Thieme. Stuttgart: Reclam.


Danksagung

Ich danke Francesca Vidal (Landau) für Korrekturen.



Letzte Änderung: 2. Juni  2020

 

 
 

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