Einführung
Der
Begriff
Informationsethik
geht vermutlich zurück bis in die 1970er Jahre, als der Einzug des
Computers im Bereich der Fachinformation sich allmählich
durchsetzte
und neue Fragen vor allem in bezug auf die Speicherung und den Zugang
zu
wissenschaftlich-technischen Dokumenten oder ihren Surrogaten (abstracts)
zunächst in Form von bibliografischen Datenbanken aufkamen.
Als
Mitte der
1990er Jahre
das Internet entstand, weitete sich die Bedeutung auf dieses Medium aus
und es gab neue konkurrierende Bezeichnungen, wie zum Beispiel Cyberethik.
Dies geschah zunächst nicht nur in Abgrenzung zu den ethischen
Fragen im Bibliothekswesen (Bibliotheksethik) und
in der Informatik (Computerethik), sondern vor allem in bezug auf den
Bereich
der Massenmedien (Medienethik), wobei der Ausdruck 'Medienethik'
inzwischen auch umfassender gebraucht wird (Wiegerling 2004)
Gleichwohl
umfasst Informationsethik
daher als Begriff die ethischen Fragen der Digitalisierung, d.h. der
Rekonstruktion
aller möglichen Phänomene (oder die Definition ihrer
künftigen
Möglichkeit als Phänomene) der Welt, des Lebens und des
Handelns
im Medium von 0 und 1 als digitale Information sowie des Austauschs,
der
Kombination und Verwertung dieser Information und schließlich der
digital vermittelten Kommunikation. Die Diffusität dieses Begriffs
von Informationsethik ist dabei der Umfassendheit der Digitalisierung
geschuldet,
ihrem Sog, alles in sich aufzusaugen und als "alles" nur noch gelten zu
lassen, was digitalisierbar ist. Ich spreche in diesem Zusammenhang von
einer digitalen Ontologie (Capurro 2002).
Im
Rahmen
dieses Verständnisses
von Informationsethik wollen wir, d.h. im Rahmen des ICIE Projektes, jedoch -
zunächst
und für unsere nähere
künftige
Arbeit - einen Schwerpunkt setzen. Dieser soll die Auseinandersetzung
mit
dem Internet (Netzethik) und der digital vermittelten Kommunikation
sein.
Diese Schwerpunktsetzung ist pragmatisch: Informationsethik muss mit
einem
der möglichen Gegenstände beginnen und das Netz stellt
hierbei
zweifelsohne eine der neuartigsten Herausforderungen dar. Das
läßt
sich am Beispiel der aktuellen Diskussion um die Wissensgesellschaft
zeigen.
1.
Topthemen der aktuellen Diskussion um die Wissensgesellschaft
Auf
der
praktischen Ebene hat
das Nachdenken darüber, was der Anruf der Freiheit in der
kategorialen
Gestalt des Netzes verspricht, längst begonnen. Nach den konkreten
Ausformungen von Informationsfreiheit zu fragen, heißt, auf die
Ungerechtigkeiten
in der realen Welt zu achten, nicht zuletzt, indem wir uns fragen, was
sollen und können wir im Netz und mittels des Netzes tun, um eine
Welt zu gestalten, die ökonomisch, militärisch, politisch,
technisch,
moralisch, religiös... zumindest weniger gewaltsam wird.
Welche
sind die
Topthemen
in der aktuellen Diskussion um die digitale Weltverneztung? Ich nehme
als
Beispiel diie von polit-digital e.V. und der Deutschen Gesellschaft
für die
Vereinten Nationen mit Unterstützung vom Bundesministerium
für
wirtschaftliche Zusammenarbeit betreut wird. Die Themenliste
umfaßt
folgende Rubriken, deren Erläuterungen hier abgekürzt
wiedergegeben
sind:
1.
Digitale
Spaltung:
Wer von "Digitaler Spaltung" redet, redet immer auch über fehlende
technische Infrastruktur. Die Frage ist, ob und wie Technik zur
Überwindung
der digitalen Spaltung beiträgt.
2.
Medien
& Kompetenz:
Ein Computer allein reicht nicht mehr. Auf die kompetente Bedienung
kommt
es an. Die Frage lautet dann, wie die Vermittlung von Medienkompetenz
bei
der Überwindung des digitalen Grabens helfen kann.
3.
Inhalte
& Vorbilder:
Auf die Inhalte kommt es an. Was ist aber ein guter Inhalt? Wo kann das
Internet Mehrwert sein? Und wo ein Vorbild?
4.
Wissen
& Besitz:
Im Internet türmen sich Berge von Informationen. Doch wem
gehören
Sie? Unternehmen, der Allgemeinheit oder gar dem Staat? Wie steht es um
die Kommerzialisierung von Wissen?
5.
Multi
& Kulti:
Das Internet steht für Vielfalt in einer globalisierten Welt. Es
ist
die Frage, ob es diesem Anspruch auch gerecht wird. Gibt das Netz
kulturelle
Vielfalt wieder oder dominiert eine Kultur alle anderen?
6.
Beteiligung
& Spielregeln:
Um die neuen Medien zu nutzen, um damit Bürgerbeteiligung und
Gemeinwesen
zu stärken, braucht es Regeln und Gesetze. Die Diskussion rund ums
eGovernment und eDemocracy ist voll im Gange.
7.
Piraten
& Terroristen:
Wie gefährlich ist Cyberkriminalität? Ist eine
Kriminalisierung
von Hackern und Raubkopierern gerechtfertigt oder wird mit
Bedrohungsszenarien
übertrieben?
8.
Daten
& Schutz:
Ist das Sicherheitsbedürfnis von Einzelpersonen real, die wahre
Bedrohung
aber nur virtuell? Wie sollten und können die individuellen Rechte
geschützt werden? Wie viel Daten müssen z.B.
Provider
speichern, was den Sicherheitsbehörden melden?
9.
UNO und
Info-Gesellschaft:
Wie kann die UNO den Wandel hin zu einer Wissens - und
Informationsgesellschaft
mitgestalten und welche Positionen hat sie dabei bislang eingenommen?
Vordringliches
Ziel des World Summit on the Information Society (WSIS) ist es, allen
Menschen gleichberechtigten Zugang zu Wissen
zu
ermöglichen, so der Generalsekretär der Vereinten Nationen,
Kofi
Annan. Auf diesem UNO-Gipfel (2003 in Genf, 2005 in Tunis) ist oder
zumindest scheint vieles neu:
Zivilgesellschaft
und Wirtschaft dürfen stärker mitreden als bisher.
Diese
Fragen
weisen auf Chancen
und Gefahren der globalen Vernetzung hin. Sie stellen eine zugleich
politische
und ethische Herausforderung dar. Verschiedene insbesondere zivile
Organisationen
bemühen sich um Lösungsvorschläge bezüglich der
ethischen
und juristischen Rahmenbedingungen einer gerechte(re)n
Weltinformations-
und Kommunikationsordnung zum Beispiel in Form eines Wertekatalogs, der
als Orientierung politischen Handelns sowie rechtlicher Normierung
dienen
soll.
2.
„Charta der Bürgerrechte für eine nachhaltige
Wissensgesellschaft„
"Die
Ausgangsthese ist",
so Olga Drossou, Referentin für Medienpolitik und Neue Medien der
Heinrich Böll Stiftung in Berlin, "dass die Digitalisierung
einen erheblichen Neuordnungsbedarf im Hinblick auf den Umgang mit
Wissen
hervorruft. Aus unserer Sicht wird die Auseinandersetzung hierzulande,
aber auch weltweit, sehr stark durch die Bestandsinteressen der
Informationswirtschaft
und der Verwertungsindustrie geprägt. Das herrschende
Problembewusstsein
erschöpft sich in Begriffen wie Raubkopien und geistiger
Enteignung.
Wir meinen dagegen, dass es bei der Gestaltung der künftigen
Wissensordnung
mehr zu bedenken gibt als die Absatzprobleme einzelner Branchen. Aus
unserer
Sicht geht es um nichts Geringeres als die Konzeption einer
nachhaltigen
Wissensgesellschaft, die auch für die künftigen Generationen
das Wissen der Vergangenheit zugänglich vorhält. Nur durch
den
ungehinderten Zugang zu Wissen können die kreativen Potenziale
erschlossen
und soziale und wirtschaftliche Erfindungen gefördert werden, die
für die Zukunft unserer Gesellschaft und ihrer Verantwortung
für
globale Nachhaltigkeit erforderlich sein werden." (Drossou
2003)
Die
ethischen
Werte die nach
dieser "Charta" zu bewahren und zu fördern gilt, lauten in
Kurzform:
1.
Wissen ist
Erbe und Besitz
der Menschheit und damit frei
2.
Der Zugriff
auf Wissen
muss frei sein
3.
Die
Verringerung der digitalen
Spaltung muss als Politikziel hoher Priorität anerkannt werden
4.
Alle
Menschen haben das
Recht auf Zugang zu den Dokumenten öffentlicher und
öffentlich
kontrollierter Stellen
5.
Die
ArbeitnehmerInnerechte
müssen auch in der elektronisch vernetzten Arbeitswelt
gewährleistet
und weiterentwickelt werden
6.
Kulturelle
Vielfalt ist
Bedingung für individuelle und nachhaltige gesellschaftliche
Entwicklung
7.
Mediale
Vielfalt und das
Angebot von Information aus unabhängigen Quellen sind
unerlässlich
für den Erhalt einer aufgeklärten Öffentlichkeit
8.
Offene
technische Standards
und offene Formen der technischen Produktion garantieren die freie
Entwicklung
der Infrastrukturen und somit eine selbstbestimmte und freie
Kommunikation
9.
Das Recht
auf Achtung
der Privatheit ist ein Menschenrecht und ist unabdingbar für die
freie
und selbstbestimmte Entfaltung von Menschen in der Wissensgesellschaft.
Diese
knappen
Hinweise auf
brisante Diskussionsthemen der Wissensgesellschaft unter einer
ethischen
Perspektive machen aber deutlich, dass hier nicht nur eine politische,
sondern eine kulturelle und letztlich auch eine philosophische
Herausforderung
ersten Ranges vorliegt, die mit Diskussionen in Online-Foren oder mit
der
Erstellung von Wertekatalogen nicht erschöpft ist. Sie verlangt
vielmehr
einen langfristigen interdisziplinären und interkulturellen
Dialog,
der nicht zuletzt sich des Mediums bedient, das er zugleich
problematisieren
soll.
Ein
solcher
Dialog kann wiederum
selbst als ethisch bezeichnet werden, sofern nämlich damit nicht
nur
eine intellektuelle Tätigkeit der Reflexion über Moral und
insbesondere
der Moralbegründung, sondern eine gestaltende Kraft gegeben ist,
die
sich aber keinesfalls einbildet, aus der hohen Warte der Moral, anderen
zu diktieren, wie sie im Netz oder ohne das Netz zu denken und zu
handeln
haben.
3.
Ansätze zur Informationsethik
Es
ist eine
Stärke und
kein Manko sowohl der Ethik als auch der Informationsethik, dass sie
sich
auf unterschiedliche Denkansätze berufen kann. Diese Vielfalt
schützt
uns vor fundamentalistischen Verkürzungen und entläßt
uns
keineswegs aus der Verantwortung im jeweiligen Fall zu
berücksichtigen,
was genau zum Beispiel unter Menschenwürde zu verstehen ist und
wie
diese in bezug auf unser Informationshandeln gegebenenfalls (besser) zu
schützen wäre.
In
der heutigen
ethischen
Diskussion ist es beinah Mode geworden, utilitarische und
deontologische
Ansätze als unvereinbare Gegensätze darzustellen und sie
manchmal
sogar mit geographischen Einteilungen diesseits und jenseits des
Atlantik
oder, innerhalb Europas, diesseits und jenseits des Ärmelkanals zu
identifizieren. Im Unterschied zu solchen Verkürzungen sehen wir
die
lebendige Einbeziehung ethischer Ansätze unterschiedlicher
philosophischer
Provenienz, sowie aus anderen Kulturen und Epochen, als ein pharmakon
gegen einseitiges Denken und parteiliches Handeln.
Menschliches
Denken und Handeln
finden immer im Kontext statt, was nicht heißt, dass wir dadurch
völlig determiniert oder einem unentrinnbaren Schicksal
ausgeliefert
wären. Vielmehr bildet diese Einsicht in unsere Kontingenz die
Voraussetzung
dafür, dass wir die heutigen Bedingungen der digitalen
Weltvernetzung
und auch die ethischen Zugänge zu ihrer Orientierung im Horizont
der
Kontingenz reflektieren. Wir denken und leben in kontingenten Netzen --
das kann man geradezu als unsere Grundbefindlichkeit betrachten.
Thomas
Hausmanninger sieht
im Anschluß an Überlegungen von Hans Blumenberg die ersten
Wurzeln
dieser Kontingenzerfahrung schon in der nominalistische Verunsicherung
nach der Hochscholastik, wodurch die göttliche Garantie für
die
Vernünftigkeit der Welt zerbricht (Hausmanninger/Capurro 2002,
13-14).
Mit den Umbrüchen zu Neuzeit und Moderne, die sich daran
anschließen,
wird diese Wende zur Kontingenz vollendet: Pluralisierung und
Entsubstantialisierung
der Subjektvorstellung und die Heraufkunft eines nachmetaphysischen
Zeitalters
benennen schlagwortartig unsere Zeitsituation. Die Relativierung und
Kontingentierung
der Vernunft, die dabei geschieht, die Endlichkeit und Pluralität
des Vernünftigen, erscheint jetzt, im Informationszeitalter, in
der
Erfahrung der digitalen Vernetzung, der unterschiedliche Formen
technischer
Netzwerke vor allem im 19. und 20. Jahrhundert vorausgingen.
Pluralisierung
und Relativierung
bedeutet aber keineswegs Beliebigkeit und Relativismus. Hausmanninger
weist
in Anschluß an Kant mit Recht darauf hin, dass Freiheit "nicht
aus
sich selbst bestehen (bleiben) kann, sondern als reale eröffnet,
durch
Grenzziehungen offengehalten werden muss. Hierfür ist
zunächst
einmal die Ethik zuständig (als Basis auch des Rechts)"
(Hausmanninger/Capurro
2002, 18).
Wenn
wir in
diesem Rahmen
Informationsethik zu betreiben versuchen, sind wir uns zunächst
darin
einig, dass das erste Verbindende die Frage selbst ist: Wir treffen uns
in der plural-dezentrierten Zeitsituation und in der globalisierten
Welt
zuallersert in der Frage nach einer Orientierungsbasis. Sie erlaubt es
uns, mitten in den constraints der real-politischen
Auseinandersetzung,
vor allem aber mitten in der real-sozialen Wahrnehmung dessen, was
unerträglich
ist, und was keinen Aufschub erduldet, doch Zeit und Raum zu finden, um
uns auf die Differenzen einzulassen, sie in uns, individuell und
sozial,
zuzulassen.
Eben
dieses
Zulassen der
Frage und ihrer Zeitlichkeit, ist bereits ein Teil jener nicht-substanziellen
Orientierungsbasis, die wir, bei allen Differenzen, gemeinsam
suchen.
In der Sprache der Tradition würden wir sagen, dass wir im Kontext
der Informationsethik nach Möglichkeiten der Verwirklichung
menschlicher
Freiheit unter den kategorialen Bedingungen der Weltvernetzung fragen.
Der Ausdruck "nicht-substantielle Orientierungsbasis" ist dabei in
einem
gewissen Sinne ein Oxymoron, sofern nämlich mit Basis etwas Festes
angedeutet wird, während in Wahrheit die digitale Weltvernetzung
uns
mit einer zugleich kollektiven und kontingenten Form von Freiheit,
Geschichte
und Subjektivität konfrontiert, also mit Dynamik, Vielfalt, mit
einem
Wegbrechen der traditionellen Festigkeiten, deren Tragweite wir heute
kaum
ermessen können.
Diese
Situation
fordert auch
von EthikerInnen eine Offenheit, die Wagnischarakter hat.
Interessanterweise
ist es ausgerechnet ein Theologe, der schon 1965 solche Offenheit als
Erfordernis
für die Ethik in der Moderne einfordert: Gegenüber der Moral,
die an der Verteidigung von bestimmten Gestalten interessiert ist, muss
die Ethik, so Karl Rahner in einem berühmten Vortrag mit dem Titel
"Experiment Mensch", sich dem schmerzhaften Wagnis der Freiheit stellen
(Rahner 1966). Ich glaube, dass das Internet Teil dieses
Freiheitswagnisses
ist.
Sich
zu diesem
Wagnis zu
bekennen, bedeutet nicht, Ambivalenzen zu verkennen. Wohl ist im
industriellen
und post-industriellen Zeitalter der Netzbegriff vorwiegend positiv
belegt,
während er in der Agrargesellschaft stärker zwiespältige
Konnotationen besaß. Die Sprache jedoch bewahrt Spuren dieser
Ambivalenz
-- zum Beispiel in den Ausdrücken "den Faden verlieren", "sich in
den Netzen verfangen", sowie in Worten wie "Liebesnetze" und
"Fangnetze".
Die Ambivalenz bleibt auch für die digitalen Netze bestehen: Bei
aller
Anerkennung um die Vorteile der digitalen Vernetzung sollten wir uns
zugleich
immer bewußter werden, dass wir beispielweise, wenn wir eine
Orwellsche surveillance society vermeiden wollen, gerade auf
die
Lücken
des Netzes angewiesen sind. Je engmaschiger die Netze, um so
schwieriger
ist es auch, im informationstechnischen Labyrinth zwar nicht den
einen
wohl aber einen Ariadnefaden zu finden, den wir aber immer mit anderen
Fäden selbst verknüpfen müssen (Capurro 2003, 48-50).
Die
Maschen, die wir dabei stricken und in denen wir uns volens nolens
verstricken, sind unser Leben selbst. Denn wir sind immer schon als
Natur-
und Kulturwesen vernetzt, im Netz des Lebens, das heißt der Natur
und der Sprache.
Den
Begriff der
Netzethik,
die wir uns in den kontingenten Netzen von Lebenswelt, Kultur und
Digitalität
zur Aufgabe gemacht haben, können wir dabei im Sinne eines genitivus
objectivus und subjectivus verstehen. In der ersten
Bedeutung
meinen wir die Kritik an einer Ausformung unseres digitalen Seins, die
von den realen Nöten der Menschen absieht, anstatt zu fragen,
inwiefern
das Netz bestehende Ungerechtigkeiten zementiert und sogar vertieft
oder,
positiv ausgedrückt, inwiefern die Globalisierung den Menschen
konkrete
Chancen bietet, sich in einer pluralen und komplexen Welt ein nach
ihren
eigenen Vorstellungen und Wünschen besseres Leben zu gestalten.
Diese
Problematik wird heute vor allem unter dem Stichwort digital divide
thematisiert. Wir können auch von digitaler Apartheid
sprechen.
Die
zweite
Bedeutung bezieht
sich auf die Art und Weise wie wir im Netz sind. Hier sehe ich die
Chance
für eine Netzethik im Rahmen einer "Philosophie der Lebenskunst"
(Schmid
1998). Wenn Wilhelm Schmid auf die "Gefahr einer bloßen
Unterwerfung
des Selbst unter die technologischen Bedingungen" (Schmid 1998, 136)
aufmerksam
macht, dann ist zu fragen, inwiefern dabei die Unterscheidung zwischen
den Massenmedien und dem Internet ausfällt, die vermutlich die
entscheidende
Veränderung zwischen der Massenkultur des 20. Jahrhunderts und
einer
neuen Kommunikationskultur in diesem zweifellos nicht undramatisch
beginnenden
21. Jahrhundert darstellt.
Wenn
Misstrauen
und nicht
Gelassenheit am Platz ist, dann vor allem in bezug auf jene
Schleusenwärter
der Information, die mittels einer hierarchischen one-to-many
Struktur,
eine Masse durch eine universal ausgerichtete Botschaft neuerdings auch
durch das Internet zu erreichen und ihre Aufmerksamkeit zu fesseln
versuchen.
Wir können diese Gefahr als das CNN-Effekt bezeichnen. Das Subjekt
ist aber ein historisches Gebilde, als face-to-face
Diskutierender,
Leser, Zuschauer oder Zuhörer von massenmedialen Botschaften und
--
als Sender und Empfänger im digitalen Netz. Die moralischen und
rechtlichen
Bedingungen der Massenmedien lassen sich nicht eins zu eins auf das
Internet
übertragen, ohne damit die Chancen dieses Mediums für eine
neue
Form der Ausgestaltung unserer Freiheit aus dem Blick zu verlieren. Das
heißt wiederum nicht, dass im Internet keine rechtlichen und
moralischen
Normen notwendig wären. Es ist gerade die Hauptaufgabe einer
Informationsethik
zur Bildung eines Cyberethos beizutragen, von dem aus sich
rechtliche
Normen herauskristallisieren können.
Informationsethik
lässt
sich demnach als deskriptive und emanzipatorische Theorie unter jeweils
historischer und systematischer Perspektive auffassen:
- Als
deskriptive Theorie beschreibt
sie die verschiedenen Strukturen und Machtverhältnisse, die das
Informationsverhalten
in verschiedenen Kulturen und Epochen bestimmen.
- Als
emanzipatorische Theorie
befaßt sie sich mit der Kritik der Entwicklung moralischen
Verhaltens
im Informationsbereich. Sie umfaßt individuelle, kollektive und
menschheitliche
Aspekte.
Mit
anderen
Worten, Informationsethik
soll
- die
Entwicklung moralischen
Verhaltens im Informationsbereich, und insbesondere im Bereich der
digitalen
Weltvernetzung, beobachten,
- Informationsmythen
aufdecken
und kritisieren, Machtverhältnisse, die das Informationsverhalten
bestimmen, analysieren,
- verdeckte
Widersprüche
der herrschenden theoretischen und praktischen Sprachnormierung
offenlegen,
- die
Entwicklung informationsethischer
Fragestellungen beobachten.
Eine
so
verstandene informationsethische
Reflexion umfaßt kultur- und philosophiehistorische Dimensionen.
Die gegenwärtige Frage nach der Freiheit des Zugangs zum digitalen
Netz (freedom of access) lässt sich zum Beispiel im Rahmen
der modernen Pressefreiheit (freedom of the press) und der
antiken
Redefreiheit (freedom of speech) erörtern.
Daraus
ergeben
sich Ausbildungsziele
für Schulen und Hochschulen:
- Selbständige
Erkennung
und Problematisierung ethischer Konflikte im digitalen
Informationsbereich.
- Verantwortungsinn
für die
Auswirkungen individuellen und kollektiven Handelns im digitalen
Informationsbereich
wecken.
- Fähigkeit
zum interkulturellen
Dialog im Sinne von Anerkennung der Vielfalt von Informations- und
Medienkulturen
mit ihren jeweiligen Werten und Traditionen.
- Grundkenntnisse
ethischer Begriffe
und Theorien und ihre Relevanz für die alltägliche
Informationspraxis
vermitteln.
Mit
anderen
Worten, die primäre
Aufgabe einer Netzethik besteht darin, unser Im-Netz-sein im Kontext
von
Freiheit, Gerechtigkeit, kultureller Vielfalt und Chancengleichheit zu
thematisieren und umgekehrt, diese Dimensionen menschlichen Seins aus
der
Perspektive des digitalen Weltentwurfs neu zu reflektieren.
Unsere
digitalen Wohnorte
sind nur scheinbar raum- und zeitlos. Das Thema des Interrnational
ICIE Symposium
2004 drückt eine wichtige vor uns liegende Denkaufgabe aus,
nämlich
das Lokalisieren des Internet aus ethischer und interkultureller
Perspektive.