Einleitung
Der
Titel
dieses Beitrags
weist auf eine Kontroverse, die sich schon beinah ein Jahrhundert
erstreckt,
hin. Sie wurde durch die Deutung des Informationsbegriffs im Kontext
der
Nachrichtentechnik durch R.V.L. Hartley (1928) sowie insbesondere durch
die von Claude Shannon entwickelte "A Mathematical Theory of
Communication"
(1948) entfacht. Die Wirtschaftswissenschaftler Fritz Machlup und Una
Mansfield
gaben 1983 einen Band heraus mit dem Titel: "The Study of Information.
Multidisciplinary Messages" (Machlup und Mansfield 1983). Für
Machlup
gehört der Informationsbegriff in den Kontext menschlicher
Kommunikation.
Sein Gebrauch durch die sog. Informationstheorie ist irreführend
(Machlup
1983, S. 661). Im Jahre 1996 erschien ein von Klaus Kornwachs und
Konstantin
Jacoby herausgegebener Band: "Information. New Questions to a
Multidisciplinary
Concept" (Kornwachs/Jacoby 1996), in dem die Breite der
Anwendungskontexte
des Informationsbegriffs abermals sichtbar wurde. Die vor allem aus
naturwissenschaftlichen
Überlegungen stammende Idee einer Einheit der Wissenschaften gaben
Anlaß zu mehreren internationalen Konferenzen, die sich mit der
Möglichkeit
einer einheitlichen Theorie der Information auf der Basis der
Evolutionstheorie
befaßten (Hofkirchner 1999, Capurro/Fleissner/Hofkirchner 1999).
Im
Folgenden
soll diese Kontroverse
zwischen Naturalisten und Kulturalisten vorgestellt werden. Sie hat
ihre
Wurzeln im sog. "Capurroschen Trilemma", worauf im zweiten Absatz
eingegangen
werden soll. Es ist hier nicht beabsichtigt, eine umfassende
Darstellung
der verschiedenen Prägungen des Informationsbegriffs vorzulegen
(Capurro
1978, Capurro und Hjørland 2002).
I. Der
kulturalistische
Ansatz
und seine Kritiker
Peter
Janich
hat die Naturalisierung
des Informationsbegriffs einer eingehenden Kritik unterzogen. Die
Naturwissenschaften
betrachten Information ‒
so Janich mit Bezug auf das Diktum Norbert
Wieners
("Information ist Information, nicht Materie oder Energie") ‒ als
etwas,
was, analog zu Stoff und Energie, von Maschinen verarbeitet und
transportiert
werden kann (Janich 1996, 290). Sie gehen also einen Schritt
über
Shannon und Weaver hinaus, die Information im Kontext menschlicher
Kommunikation,
wenngleich in einem eingeschränkten Sinne, bestimmten.
Naturwissenschaften
liefern Kausalerklärungen für natürliche Zustände
oder
Vorgänge. Janich unterscheidet zwischen Kausalerklärungen und
informationstheoretische Beschreibungen. Letztere sind von einer
menschlichen
Zwecksetzung abhängig und beziehen sich also primär auf
künstlich
hergestellte Objekte.
Im
Falle der
vom Menschen
künstlich hergestellten Objekte, etwa eines Gemäldes oder
eines
Taschenrechners, tritt die Dimension eines Zwecks ein, die sich nicht
aus
einer Kausalbeschreibung ‒
etwa aller Teile einer Taschenrechners oder
alle Pigmente eines Ölgemäldes ‒ ableiten läßt,
sondern
diesen Objekten vorausgeht. Wenn wir also einen Taschenrechner nach
seinem
Zweck beschreiben, tun wir dies aus der Sicht eines wissenden
Konstrukteurs.
Diese Sicht nennt Janich eine kognitive oder informationstheoretische
Beschreibung
(Janich 1996, 294).
Es
liegt nahe,
dieses technische
Modell auf die naturwissenschaftlichen Vorgänge zu
übertragen.
Damit hätten wir zwar kausale Vorgänge in eine
informationstheoretische
Terminologie übertragen, es bliebe aber fraglich, ob wir bei
solchen
Erklärungen, nicht das voraussetzen, was eigentlich im Falle der
Natur
erst später zustande gekommen ist. Denn, so Janich, die Atome oder
Moleküle sind nicht im gleichen Sinne Teile eines Organismus wie
das
bei einer künstlichen Maschine der Fall ist, bei der die Idee
ihrer
Zusammensetzung eben diesen Teilen oder Komponenten vorausgeht. Den
Unterschied
zwischen einer kausalen Erklärung und einer
informationstheoretischen
Beschreibung erklärt Janich am Beispiel der Rechenmaschine, die
zwar
nach kausalen Gesetzen richtig arbeiten kann, die gelieferten
Ergebnisse
aber wahr oder falsch sein können.
Es
kann zwar
sinnvoll sein,
Tiere und Menschen wie Maschinen mit Bezug auf bestimmte Zwecke zu
interpretieren.
Es läßt sich aber dabei keine Ableitung des zu
Erklärenden
(des Explanandum) auf der Basis des ihm vorausgehenden (des Explanans)
herstellen. Informationstheoretische Erklärungen sind nur mit
Bezug
auf Sprache und zweckgerichtetes Handeln möglich (Janich 1996,
297-298). Es ist auch nichts an Erkenntnis gewonnen wenn wir zum
Beispiel
sagen, dass ein Gefäß eine Flüssigkeit "informiert".
Denn
eine solche Redeweise bedeutet entweder nur eine Verdoppelung dessen,
was
wir kausal beschreiben können oder sie setzt voraus, dass wir
zunächst
eine informationstheoretische Beschreibung leisten, womit wir dann den
Vorgang interpretieren. Es gibt also, so Janich, keinen Naturgegenstand
"Information", sondern die Frage ist, "auf welche menschlichen
Handlungen
und damit auf welche Handlungsverben oder auch Adjektiva" Information
zurückzuführen
ist (Janich 1996, 300).
Für
Janich
gehört
somit Information zum Kontext der menschlichen Praxis des Redens,
Zuhörens
und Verstehens. Informieren ist ein Prädikat menschlicher
Handlungen:
"A informiert B, daß s" bedeutet nach Janich, dass ein
menschlicher
Sprecher A einem menschlichen Zuhörer B den sprachlichen Ausdruck
s äußert. Der sprachliche Ausdruck s kann wiederum, im Falle
einer Behauptung, eine Aussage, die einen Sachverhalt darstellt, sein,
im Falle einer Aufforderung ein Aufforderungssatz usw.:
"Informieren
bringt
eine klare Rollenverteilung von Sprecher und Hörer zum Ausdruck.
Wenn
technische Hilfsmittel für Kommunikation ins Spiel kommen ‒ etwa
zur
Überbrückung von Raum oder Zeit ‒, sprechen wir (wie bei
einer
Korrespondenz) von Sender und Empfänger. Schon die
Verschriftlichung
des gesprochenen Wortes ist ein solches technisches Hilfsmittel des
Kommunizierens,
an dem Anforderungen an die technische Substitution des gesprochenen
Wortes
erläutert werden können: das geschriebene Wort muß
leistungsgleich
mit dem gesprochenen Wort sein ‒ wenigstens in einer besonderen
Hinsicht.
(Daß mit technischen Substitutionen auch immer etwas an der
menschlichen
Kommunikation verlorengeht, muß dabei nicht vergessen werden.)"
(Janich
1996, 301)
Information
ist
für Janich
immer auf Informationshandlungen bezogen. Eine solche
Informationshandlung
liegt zum Beispiel vor, wenn jemand nach dem Weg zum Bahnhof fragt.
Frage
und Antwort, Sprecher und Hörer, sind Rollen, die bei einer
Informationshandlung
gewechselt werden. Sie können auch durch technische Mittel ‒ z.B.
einen Automaten ‒
in
bestimmter Hinsicht substituiert werden.
"Information
an sich" ist lediglich eine Abstraktion. Es gibt keine konkreten
Gegenstände
auf die sich "Information" direkt bezieht, sondern mit Information
meinen
wir etwas Abstraktes, das bei allen Informationshandlungen invariant
bleibt.
Für
den
Wissenschaftstheoretiker
Erhard Oeser hat Information den Charakter eines "Metaprädikats",
d.h. Information ist keine Eigenschaft von Objekten, sondern eine
Eigenschaft
von Eigenschaften, zum Beispiel bestimmter Signale. Wir sprechen von
Information
in ähnlicher Weise wie bei den natürlichen Zahlen, die als
Abstraktionsklassen
äquivalenter Mengen interpretiert werden (Oeser 1976, Bd. 2, 11).
Für Janich sind diese Mengen immer menschliche
Informationshandlungen,
d.h. "die Praxis des Redens, Zuhörens und Verstehens, des
Austausches
von Nachrichten, des Kommunizierens." (Janich 1996, 300)
Nach
Janich
lassen sich dann,
ausgehend vom menschlichen Handlungsbezug, Anwendungen des
Informationsbegriffs
auf künstliche Gegenstände, im Sinne einer Substitution
menschlicher
Rede denken, wie am Beispiel des Taschenrechners ersichtlich. Auch eine
Anwendung in der Biologie ist möglich, etwa wenn tierisches
Verhalten
nach Analogie menschlicher Kommunikation verstanden wird. Allerdings
sind
solche Anwendungen für Janich immer metaphorisch. Sie sind dann
sinnlos,
wenn sie Kausalerklärungen lediglich verdoppeln.
Janich
knüpft an die
alltägliche Bedeutung von Information,
"wo
es
entscheidend
auf Verständnis und Geltung ankommt: Wer sich etwa bei der
Auskunft
der Bahn über Zugverbindungen "informiert", erwartet als
selbstverständlich,
dass die gegebene "Information" zutrifft, d.h. eindeutig verstehbar
und
gültig ist. "Nicht richtig informiert" zu sein, gilt als schwere
Beeinträchtigung
der eigenen Handlungsmöglichkeiten und ist unstrittig ein
Orientierungsdefizit."
(Janich 1998, 169)
Janich
nennt zwei
historische
Wurzeln des Informationsbegriffs, nämlich die Herkunft aus dem
Lateinischen informatio/informare,
sowohl im Sinne des Formens eines Stoffes als auch
im Sinne von Unterrichten oder Darstellen (Capurro 1978), und die
nachrichtentechnische
von Shannon und Weaver geprägte Bedeutung. Letztere brachte nicht
nur eine Technisierung, sondern zugleich eine Naturalisierung des
Informationsbegriffs
zustande. Der Vorgang der technischen Nachrichtenübertragung wurde
auf physikalische, chemische und biologische Systeme und letztlich
unter
einer evolutionären Sichtweise auch auf den Menschen selbst
ausgeweitet.
Dieser
Naturalisierung des
Informationsbegriffs stellt Janich seine "kulturalistische" Kritik
entgegen,
wonach Information ursprünglich auf den Bereich menschlicher
Handlungen
in Zusammenhang mit der Aufstellung von Mitteln und Zwecken zu tun hat.
So rechnet eigentlich die Rechenmaschine nicht, sondern sie rechnet nur
aus der Sicht des Benutzers, sofern sich diese Sicht von der eines
Ingenieurs
unterscheidet, der das Gerät baut oder repariert und dieses dabei
unter einem physikalischen oder mechanischen Gesichtspunkt betrachtet.
Diese zwei Beschreibungsebenen, nämlich die des rechnenden
Benutzers
und die des reparierenden Technikers, sind nicht aufeinander
reduzierbar.
Die Geltung eines Rechnerergebnisses wird nicht auf die Maschine,
sondern
auf den Konstrukteur bezogen. Ähnliches gilt für
natürliche
Organe, wie im Falle unseres Gehirns, wenn dieses nach dem Modell
technischer
Systeme betrachtet wird. Und schließlich auch für die
Genetik
("Erbinformation"). Janich wörtlich:
"Die
Anwendung informationsbegrifflicher
Sprechweise auf den Modellbaukasten molekularer Genetik ist eine
Analogiebildung",
in der eine Semantik hineinprojiziert wird, die eigentlich nur dem
menschlichen
Handeln eigen ist (Janich 1998, 177).
Im
Mittelpunkt von
Janichs kulturalistischer
Auffassung von Information steht das Auffordern gegenüber dem
Behaupten:
"Grundlegend
für
gelingende Aufforderungspraxen ist jedoch, daß durch sie eine
für
die beteiligten Personen gelingende Verbindung der (sprachlichen)
Handlung
des Aufforderns und der (gegebenenfalls nicht-sprachlichen) Handlung
des
Befolgens stattfindet." (Janich 1998, 178)
Janich
kommt es
insbesondere
auf die mögliche Standardisierung von Aufforderungen an:
"Lebenspraktisch
spielen in Aufforderungsdialogen häufig bestimmte Invarianzen eine
prominente Rolle: Sprecher-, Hörer - und Darstellungsinvarianz.
Das
heißt, für bestimmte in Aufforderungen erfragte
Auskünfte
soll es keine Rolle spielen, wer die Auskunft (Sprecher) erteilt, an
wen
sie geht (Hörer) und mit welchen Worten sie mitgeteilt wird - wie
im genannten Beispiel der Fahrplanauskunft selbstverständlich der
Fall: Jeder Reisende darf erwarten, am Schalter eine richtige Auskunft
zu erhalten; jede Auskunft gebende Person soll gleichermaßen
verständliche
und gültige Auskünfte geben, und schließlich soll es
nicht
darauf ankommen, mit genau welchen Worten, in welcher Tonlage, welchem
Dialekt usw. die Auskunft gegeben wird, sondern es soll
schließlich
auf die gelingende Kooperation ankommen". (Janich 1998, 179).
Information
ist an
sprachliche
Mitteilungen gebunden. Ferner handelt es sich um Mitteilungen, bei
denen
es auf ein kommunikatives und kooperatives Gelingen ankommt und zwar
als
Antwort auf eine Aufforderung. Schließlich soll es sich um
Mitteilungen,
die invariant gegenüber Sprecher, Hörer und Darstellung sind.
Dies ist die Grundlage für ihre mögliche technische
Substitution.
Die jeweiligen Artefakte sind entweder Adressaten oder Urheber von
Aufforderungen.
Diese metaphorische Zuschreibung gilt auch für das Auffordern
nicht-symbolischer
Maschinen, wie etwa das Bedienen eines Autos. Eine
Anthropomorphisierung
oder Vermenschlichung der Maschine ist dabei unvermeidbar, vor allem
wenn
die Mensch-Maschine Aufforderungsverhältnisse in beiden
Richtungen
stattfinden. Das Kriterium für ein ge- oder mißlingendes
Aufforderungsverhältnis
bleibt die zwischenmenschliche Kommunikation und Kooperation. Die
Standardisierung
eines solchen Verhältnisses und ihre maschinelle Substitution
ermöglichen
aber, dass die von Shannon und Weaver aufgestellte Definition von
Information
im eingeschränkten Sinne angewandt werden kann.
Der
kulturalistische Ansatz
von Peter Janich wurde Gegenstand zum Teil heftiger Kritik, die in zwei
Sonderheften der Zeitschrift "Ethik und Sozialwissenschaften" (1998,
2001)
ausgetragen wurde. Diese Kritik bezieht sich vor allem auf Janichs
Auffassung,
den Informationsbegriff ursprünglich im zwischenmenschlichen
Bereich
anzusiedeln und die weiteren Anwendungskontexte lediglich im
metaphorischen
Sinne zuzulassen. Die Meinungen schwanken zwischen einem extremen
Kulturalismus
und einem extremen Naturalismus. Für den Philosophen Andreas
Bartels
zum Beispiel
"gibt
es gute Gründe,
auch biologischen Systemen weit unter der Schwelle des Auftretens von
Bewußtsein
Zielgerichtetheit zuzusprechen: Biologische Mechanismen sind im
Evolutionsprozeß
gerade im Hinblick darauf ausgelesen worden, daß diese
Mechanismen
Resultate hervorbringen, deren Realisierung in der Wechselwirkung mit
einer
spezifischen Umgebung Vorteile gegenüber Varianten geboten hat.
(...)
Wie sollte das Auftreten entwickelter bewußter Formen von
Informationsverarbeitung
verstanden werden, wenn nicht als Ergebnis einer Entwicklung aus
nicht-bewußten
Vorläufen?" (Bartels 1998, 184)
Der
Informatiker
Klaus Fuchs-Kittowski
und der Biologe Hans Rosenthal verteidigen ein evolutionäres
Konzept
von Information. Dessen Grundgedanke besagt:
"eine
biologische
Struktur entsteht auf der Basis spezifischer (genetischer) Information
und ermöglicht funktionelle Aktivitäten, die letztlich die
Erhaltung
und Reproduktion dieser Information bewirken."
(Fuchs-Kittowski/Rosenthal
1998, 201).
Auch der
Informatiker Klaus
Haefner vertritt eine gegenüber Janich geradezu entgegengesetzte
Auffassung,
nämlich:
"Eine
Informationstheorie
und damit der Begriff der Information müssen invariant sein
gegenüber
der betrachteten Ebene, da diese aufeinander aufbauen und ineinander
verzahnt
sind! D.h. konkret, daß Information und Informationsverarbeitung
sowohl auf der physikalischen als auch auf der chemischen, der
genetischen,
der neuronalen, der sozialen, der technischen sowie der
soziotechnischen
Ebene angebbar sein müssen." (Haefner 1998, 212).
Der
Technikphilosoph Klaus Kornwachs
zieht folgendes Fazit:
"Zwar
ist Janich
zuzustimmen, wenn er - in brillanter Diskussion der Beispiele - es
für
Unfug hält, aus der materiellen Struktur
informationsverarbeitender
Systeme den Bedeutungsgehalt der darin wirkenden Information ermitteln
zu wollen (...) Gleichwohl löst auch Janich das Problem nicht, wie
die verschiedenen Beschreibungsebenen, die weder logisch noch kausal
aufeinander
reduziert werden können, befriedigend vermittelt werden
können."
(Kornwachs 1998, 222)
Der
Informatiker
Wolfgang Hesse
stimmt wiederum den Kernthesen Janichs im wesentlich zu. Er
schreibt:
"Das
Prädikat
einer wahren "Informationsgesellschaft" hätte eine menschliche
Gemeinschaft
erst dann verdient, wenn sie ihre Mitglieder (oder wenigstens deren
Mehrheit)
in die Lage versetzte, aus der Datenflut das für das eigene
Überleben
und das der Nachkommenschaft Wesentliche herauszufiltern und die daraus
notwendigen Konsequenzen für das alltägliche Handeln zu
ziehen."
(Hesse 1998, 214)
Ich
lasse hier die
Frage offen,
inwiefern mit dem Informationsbegriff tatsächlich das
Phänomen
eines nicht-deterministischen Kausalitätsvorgangs angesprochen
werden
kann (Capurro, Fleissner und Hofkirchner 1999).
II. Das "Capurrosche Trilemma"
Günter
Ropohl hat versucht,
diesen Streit zu schlichten (Ropohl 2001). Er schlägt vor, die
vielfache
Verwendung von Information weder äquivok noch univok, sondern
analog
zu verstehen, womit wir beim sog. "Capurroschen Trilemma" wären.
Der
Informatiker Peter Fleissner und der Sozialwissenschaftler Wolfgang
Hofkirchner
haben in einem Beitrag mit dem Titel "Informatio Revisited. Wider den
dinglichen
Informationsbegriff" (Fleissner/Hofkirchner 1995) dieses Trilemma
folgendermaßen
dargestellt:
"Zwar
ist
sicher, daß
der Begriff "Information" fast universell benutzt wird, nämlich in
einer großen Zahl spezieller Disziplinen, außerdem im
Alltag
und in unterschiedlichen Kontexten. Das sagt aber nur wenig
darüber
aus, wie er in den verschiedenen Bereichen verstanden wird. Nach
Capurro
gibt es da nur drei Möglichkeiten: Der Informationsbegriff
bedeutet
in allen Bereichen
- entweder
genau dasselbe
- oder
nur
etwas ähnliches
- oder
jeweils
etwas ganz anderes.
Betrachten
wir
die erste Möglichkeit:
Wären die in den verschiedenen Wissenschaften gebräuchlichen
Informationsbegriffe synonym, dann müßte das, was
Information
genannt wird, etwa auf die Welt der Steine (Physik) im selben Sinn
zutreffen
wie auf die Welt der Menschen (Psychologie etc.). Dagegen sprechen aber
gute Gründe, die qualitativen Unterschiede zwischen diesen Welten
ins Treffen führen. Diese Möglichkeit scheidet damit aus.
Die
zweite
Möglichkeit:
Nehmen wir an, die Begriffe seien analog. Welcher der verschiedenen
Informationsbegriffe
sollte dann das primum analogatum,
den Vergleichsmaßstab für
die übrigen, und mit welcher Begründung abgeben? Wäre es
z.B. der Informationsbegriff einer Wissenschaft vom Menschen,
müßten
wir in Kauf nehmen, zu anthropomorphisieren, wenn wir nicht-menschliche
Phänomene behandeln wollen, d.h. fälschlicherweise
Begriffsinhalte
von einem Bereich ‒
hier
dem menschlichen ‒
auf
einen anderen zu
übertragen,
wo sie nicht passen. Etwa behaupten zu müssen, daß die Atome
miteinander reden, wenn sie sich zu Molekülen verbinden usw.
Wäre
es z.B. ein physikalischer Informationsbegriff, von dem wir ausgehen
wollten,
handelten wir uns eine physikalistische Reduktion des biologischen oder
sozial-kulturellen Informationsgeschehens ein, d.h. die falsche, weil
nicht
der Komplexität der Gegenstandsbereiche Rechnung tragende Behauptung,
was in der Biologie
oder in der Kultur informationell abläuft, sei nicht anders, als
was
im physikalischen Bereich und mit physikalischen Methoden analysiert
werden
kann. In jedem Falle eine Konsequenz, die zu verwerfen ist. Aus diesem
Grund kommt auch diese Möglichkeit nicht in Betracht.
Bleibt
noch die
dritte Möglichkeit:
Wenn die Begriffe äquivok wären, also gleichlautende Worte
für
unvergleichbare Designate - wie stände es da um die Wissenschaft?
Sie gliche dem Turmbau zu Babel, die Fächer könnten nicht
miteinander
kommunizieren, so wie Kuhn das auch von einander ablösenden
Paradigmen
annimmt, die Erkenntnisobjekte wären disparat, wenn überhaupt
abgrenzbar. Also ist auch die letzte Möglichkeit unbefriedigend.
Dies
ist das
Capurrosche Trilemma.
Wir müßten annehmen, daß der Wissenschaft nichts
anders
übrigbleibt, als entweder an der Suche nach einer Weltformel zu
scheitern
oder mit der subjektiven Beliebigkeit der Projektionen zwischen den
unterschiedlichsten
Gebieten jeden allgemeingültigen Anspruch aufzugeben oder im
Fachidiotentum
dahin zu vegetieren. Ein Ausweg aus dem Trilemma scheint nicht zu
existieren,
ein einheitlicher, vereinheitlichter, einziger Informationsbegriff aus
logischen Gründen unmöglich." (Fleissner und Hofkirchner
1995, 126-127)
Als
Lösung
dieses Trilemmas
schlagen Fleissner und Hofkirchner das Paradigma der Selbstorganisation
vor. Ein einheitlicher Informationsbegriff, der Allgemeines und
Einzelnes
miteinander vermittelt, soll dem evolutionären
Informationsgeschehen
Rechnung tragen. So zeichnet sich zum Beispiel dieses
Informationsgeschehen
auf der Ebene sozialer Systeme durch eine hohe Anzahl von
Freiheitsgraden
aus, während dies bei biotischen Systemen nicht der Fall ist. Auch
auf der Ebene physikalischer Systeme treten Phänomene der
selbstorganisierten
Strukturbildung auf, die ebenfalls durch Freiheitsgrade
gekennzeichnet
sind bzw. die nicht vollständig durch ein
Ursache-Wirkungs-Verhältnis
beschreibbar sind. Information hat also mit Selbstorganisation zu tun.
Diese Bedeutung steckte schon im Lateinischen Gebrauch von informatio / informo,
sofern die Tätigkeit des Formens nicht nur eine menschliche (oder
göttliche), sondern auch eine durch die Natur selbst vollzogene
war:
"eine
Vorwegnahme der heutigen
Auffassung von der Selbstorganisation der Materie! Und die Formen
kennzeichneten
damals Qualitätsunterschiede, also das Informieren einen
Prozeß,
im Resultat dessen etwas Neues entstand! In-Formation: das
selbstorganisierte
Sich-in-Form-bringen gleich welchen Systems - das ist der
Begriffsinhalt,
der an die alte Bedeutung anknüpft und sie im Lichte jüngste
Forschungen neu interpretiert. Das ist genau der Inhalt, der
verspricht,
eine Vielzahl dessen, was mit den unterschiedlichsten
Informationsauffassungen
gemeint ist, zu vereinigen! Versuchen wir es!" (Fleissner und
Hofkirchner
1995, 131)
Janich
vertritt
die zweite Möglichkeit
des Trilemmas, nämlich die der Analogie. Er gibt dem menschlichen
Informationsbegriff den Vorzug und betrachtet die anderen Anwendungen
als
metaphorisch. Im Falle von aufeinander nicht reduzierbaren
Anwendungskontexten
ist er auch bereit, mit Äquivokationen d.h. also mit "völlig
verschiedenen Bedeutungen" zu rechnen. Er schreibt:
"Das
Trilemma
verliert
ja seine Brisanz, wenn tatsächliche Sprachgebräuche so
verstanden
werden, daß sie sich auf bestimmte Kontexte beziehen, die (aus
Bequemlichkeitsgründen,
aber oft auch aus Gründen tatsächlicher
Unmißverständlichkeit)
nicht ausdrücklich genannt werden. Dazu ein Vergleich: Es
stört
doch nicht wirklich, daß z.B. das Wort "Masse" für den
klassischen
Physiker, den Soziologen und den Elektrotechniker völlig
verschiedene
Bedeutungen hat. Bei drohenden Konflikten oder Trilemmata nenne man
einfach
den Kontext hinzu, um Mißverständnisse zu vermeiden. Die
Schwierigkeiten
beim Wort "Information" sind aber wohl mehr denjenigen zu vergleichen,
die jemand hat, wenn er z.B. für die klassische Mechanik die dort
übliche Verwendung des Wortes "Masse" als eines Fachterminus
explizit
angeben möchte: Die Physikbücher schweigen. Die Newtonsche
Formulierung
ist genauso wie moderne axiomatische entweder definitorisch
zirkulär
oder operativ lückenhaft. Dies hat sich in der Entwicklung von der
klassischen zur relativistischen Physik als außerordentlich
störend
und problematisch erweisen" (Janich 1998, 258-259)
Auch
Ropohl
möchte auf
der einen Seite "die breit gestreute Verwendung" des
Informationsbegriffs
rechtfertigen, ohne aber auf einen "präzisen Kern" zu verzichten
(Ropohl
2001, S. 6). Er sucht ein tertium comparationis und findet es
in
einem "Modellbegriff", der sich aufgrund von "bestimmten Analogien
zwischen
menschlichen, technischen und natürlichen
Austauschphänomenen"
herausgebildet hat. Es ist nämlich, so Ropohl, die syntaktische
Dimension,
die den semantischen und pragmatischen Prozessen der
Zeichenübertragung
zugrunde liegt. Bei biologischen Prozessen greift aber der semiotische
Zeichenbegriff zu kurz, so dass anstelle von "Zeichen" das Wort
"Element"
benutzt werden sollte. Information heißt dann soviel wie Struktur
oder Ordnung: "Ob das Wort 'Information', selbstverständlich
allein
im syntaktischen Sinn, geeignet ist, halte ich für
erwägungsoffen."
(Ropohl 2001, 10).
Mit
dieser
Frage hat sich
beinahe ein Leben lang Carl-Friedrich von Weizsäcker
auseinandergesetzt.
Im Hinblick auf die Alternative: menschengerechte Information oder
informationsgerechter
Mensch? - die auch lauten kann: Janich oder Ropohl? - behauptet
von Weizsäcker: "Information ist nur, was verstanden wird", und
"Information ist
nur, was Information erzeugt" (Weizsäcker 1974, 351-352). Mit
anderen
Worten, Information meint auf der einen Seite, die gewußte Form
und auf
der anderen Seite "objektivierte Semantik". Im Gegensatz zu Ropohl geht
Weizsäcker von einer ursprünglichen Einheit von Erkenntnis
und
Erkanntem aus. Weil wir uns aber in einem unvollendeten
evolutionären
Prozeß bewegen und keinen archimedischen Punkt außerhalb
dieses
Prozesses einnehmen können, erreichen wir "niemals völlig
scharfe
Begriffe" (Weizsäcker 1992, 344). Hier liegt auch der Grund
für
meine Skepsis gegenüber einer dialektischen Deutung der Evolution
auf der Grundlage eines sich qualitativ verändernden
Informationsbegriffs,
wie es Fleissner und Hofkirchner (Fleissner und Hofkirchner 1995,
Hofkirchner
1999) vorschlagen.
Ich
neige zu
einer netzwerkartigen
Lösung des Trilemmas, die dem nahe steht, was Wittgenstein
"Sprachspiele"
nennt (Capurro 1998, Capurro 2000). Ich stimme mit Janich überein,
dass Begriffe nach ihren jeweiligen Gebrauchskontexten definiert werden
können und, wenn es sich um wissenschaftliche Fachtermini handelt,
auch sollten. Aufgrund der Komplexität der Realität und der
Vielfalt
der Perspektiven, die wir einnehmen können, glaube ich, dass die
evolutionäre
Lösung zwar eine Sicht darstellt, dass sie aber eine Einheit
postuliert,
die letztlich nur von einem außerweltlichen Beobachter
eingenommen
werden kann.
Ferner
bin ich
der Meinung,
dass die "Familienähnlichkeit" (Wittgenstein) zwischen dem
Gebrauch
eines Terminus in unterschiedlichen Situationen und für
unterschiedliche
Zwecke auch das wissenschaftliche Denken durch immer neu entstehende
Metaphern
und Metonymien beflügeln - aber natürlich auch
irreführen
- kann. Der Übergang vom Paradigma der Linearität zu dem des
Hypertextes bietet einen Ausweg aus dem Trilemma, der weder eine
Reduktion
noch einen Ausschluß impliziert. Was für den
Informationsbegriff
gilt, gilt um so mehr für die Frage: Was ist der Mensch?
Eine
Naturalisierung oder
Technisierung des Informationsbegriffs bedeutet nicht notwendigerweise
eine Dehumanisierung, sofern nämlich diese Debatte uns dazu hilft,
die Unterschiede zwischen den jeweiligen mit Information bezeichneten
Phänomenen
nicht zu verwischen. Die Lösung des "Capurroschen Trilemmas"
besteht
in seiner Wahrnehmung. Eine solche unterscheidende Wahrnehmung ist
selbst
ein Informations- d.h. Selektionsvorgang
(Capurro und Hjørland
2002).
Eine
kulturalistische Informationstheorie
im Sinne Janichs läßt sich als Teil einer allgemeinen
Theorie
der Botschaft oder Angeletik auffassen (Capurro 2002). Deren
Motto
ist die Umkehrung des Diktums McLuhans: "Die Botschaft ist das Medium"
(Nadin 1999).
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- Last update: 2. August 2017