VORSPANN
Familiengründer
Giobatta
d'Alberto Capurro
(Voltri 1798 - Montevideo 1872) war ein italienischer Entrepreneur, der
das Patent als capitán de
gran cabotaje (Kapitän zur See) vom König Vittorio
Emanuele II (1820-1878) "Von Gottes Gnaden König von Sardinien,
Zypern und Jerusalem, Herzog von Savoyen und Genua, Fürst von
Piemont usw." im Alter von vierunzwanzig Jahren erhielt. Zunächst
betreibt er Handel am Schwarzen Meer und kommt in Montevideo vermutlich
um
1825, einige Jahre vor der Unabhängigkeit Uruguays (1830), an.
Er war
Freimaurer,
d.h. kosmopolitisch und liberal, und wird 1829 Mitglied der Masonería Oriental. Der
Ausdruck Oriental bezog sich
auf die Lage dieser Provinz, genannt Banda
Oriental, weil östlich vom Fluß Uruguay gelegen. Im
Jahre 1836 heiratet er Prudencia de Castro (1821-1888), Sproß
einer spanischen Patrizierfamilie. Die Sage lautet, dass eines Tages
der Vater von Prudencia ihre Tochter rief, um ihr ihren künftigen
Ehemann mit dem Worten vorzustellen: "Prudencia, ich habe beschlossen,
dass Du diesen Herren heiratest". Sie war fünfzehn Jahre alt. Sie
hatten vier Kinder (Juan Alberto, Agustín, Luis Federico und
Eduardo), wovon zwei (Juan Alberto und Luis Federico) Nachkommen
hinterließen. Mein Großvater väterlicherseits, Haroldo Capurro
Ruano, war ein Sohn von Luis Federico. Giuseppe Garibaldi
(1807-1882), einer der Hauptprotagonisten des Risorgimento, kehrt in einem Schiff
von Giobatta nach Italien zurück.
Giobatta
war an
mehreren Unternehmen beteiligt wie z.B. an der Wasserversorgung, an der
Errichtung der Lager am Hafen, sowie eine Versicherungsgesellschaft
für maritime Geschäfte. Ferner beteiligte er sich an der
Gründung einer Bau- und Hypothekenbank und des Opernhauses Teatro Solís. Er war
Aktionär des von italienischen Einwanderer gegründeten Ospedale Italiano Umberto Primo
sowie an der Errichtung der Uruguayischen Eisenbahngesellschaft. Der cavaliere Capurro
hat ein großes Vermögen erworben und hinterließ der
Stadt einen Viertel mit seinem Namen und dem schönsten Blick auf
die Bucht von Montevideo.
UMWERTUNG DER
KOLONIALEN WERTE
Giobatta war ein
Vertreter der modernen europäischen Zivilisation, die in wenigen
Jahrzehnten am Rio de la Plata eine kulturelle Umwälzung dessen
vollzog, wozu in
Europa Jahrhunderte brauchte. Man pflegt in der lateinamerikanischen
Tradition diese kulturelle
Umwälzung mit den
Schlagworten Zivilisation vs. Barbarei zu kennzeichnen.
Die Historiker
José Pedro Barrán, Gerardo Caetano und Teresa Porzecanski
gaben eine zweibändige Studie mit dem Titel "Historias de la vida
privada en el Uruguay" (Geschichte des Privatlebens in Uruguay), Band
1: "Entre la honra y el desorden 1780-1870" (Zwischen Ehre und
Unordnung) und Band 2: "El nacimiento de la intimidad 1870-1920)
(Montevideo, Ed. Santillana 1996) heraus, in der sie die Umwertung
der von der spanischen Kolonialzeit herstammenden Werte analysieren.
Der Reichtum und die Abgewogenheit der Analysen lassen sich nicht mit
wenigen Worten zusammenfassen. Dennoch kann die folgende Tabelle einen
Hinweis auf die Umwertung, die sich zwischen 1800 und 1920 vollzogen
hat. Die Reihenfolge
impliziert keine Rangfolge. Sowohl die Barbarei als auch die
Zivilisation implizieren unterschiedliche Ausformungen von
Männlichkeit / Weiblichkeit sowie vom Machismo als Verfallsform
der Spannung zwischen den Geschlechtern.
BARBAREI
|
ZIVILISATION
|
1800-1860
|
1860-1920
|
Verschwendung
|
Sparsamkeit
|
Spontaneität
|
Ordnung |
Krankheit
|
Gesundheit
|
Gerüche
|
Geruchslosigkeit
|
Leib peinigen
|
Seele peinigen
|
Sinnlichkeit
|
Verdrängung
|
Mann und Frau
|
Mann vs. Frau
|
Schuldlos
|
Schuldgefühl
|
Gott in allen Dingen
|
Gerechtigkeitsgott
|
Spiel
|
Pünktlichkeit
|
Lachen
|
Ernst
|
Otium
|
Arbeit
|
Treue/Verrat
|
Machismo
|
Freiheit
|
Macht |
Schmutz
|
Hygiene
|
In bezug auf die
Vaterfigur lässt sich diese Gegenüberstellung wie folgt
darstellen:
Barbarie: Respekt und Gewalt
Zivilisation: Respekt und Liebe
Die Zivilisation
hat
Angst vor der Sexualität. Die Frau soll deshalb beherrscht werden.
Die ideale Frau ohne Begehren (vs. Nutte, Hexe) stellt die Macht des
Mannes nicht in Frage. Der sexuelle Genuß ist eine
Exklussivität des Mannes.
FAZIT
Disziplinieung (logos)
Solare
Männlichkeit.
Ohne Sexualität.
Intoleranz, Stolz.
Dem Widerspenstigen das Daseinsrecht absprechen.
Macht haben.
Nur Fakten gelten.
Illusion der Stärke.
Priapisches Prinzip.
Bedrohungen:
Feminismus, Friedensbewegung, Schwulenbewegung, Umweltbewegung,
Freiheitsbewußtsein, Tierschutz, Priapisches Prinzip dem
Gelächter preisgegeben.
Barbarei (eros)
Chtonischer
Phallus.
Dionysos (orgiastisch): Semele, Ariadne, Aphrodite, Nymphen und
Mänaden; Satyrn, Kentauren, Silenen
Männlichkeit enthält starke Elemente der Weiblichkeit.
Fühlt sich mit den Weibern auf einer Weise vertraut, die keine
apollinische Männlichkeit kennt.
Fürchtet, dass ihn das Weibliche von der Bruderschaft
ausschließt.
Sein Leiden überträgt sich auf die Frauen, die wahnsinnig
werden.
Bedrohungen:
Psychoides
Unbewußtes: Grenzüberschreitungen, Einbeziehung des
Gegensätzlichen, Verweiblichung.
Denk- und Lebensaufgaben:
Grenzen der
nackten
Sexualität prüfen.
Den Vergewaltiger in sich begegnen.
Die Verfallsformen der
beiden phalloi durcharbeiten:
- die Herrschaftssucht des solaren Phallus (Machismo)
- die Gewaltsamkeit des chtonischen Phallus
Sich mit der inneren Weiblichkeit beschäftigen:
- Einsamkeit
- Gespenst des Bösen (Solar) und der Weiblichkeit (chtonisch)
- Den aufgeblasenen phallischen Stolz schlagen.
- Niemanden vorschreiben, wen er/sie lieben soll.
Bisexualität:
Wenn ein Mann/eine Frau ein mehr an Vater/Mutter
braucht.
Frauen sind nicht die alleinigen Tägerinnen des Eros. Der
Mann hat Weib in sich. Männer sind nicht alleinige Träger des
Logos
Hermes:
widersprüchlich, geht über Grenzen, setzt Grenzen. Dieb
(Kühe seines Bruders Apollon): chtonisches impulsives
Verhalten (Eigentum). Herme:
Grenzstein: Versteinerung. Bändigung des chtonischen Phallus.
Wer nicht mit der
chtonischen Unterwelt vertraut ist, kann andere nicht führen.
Integration: Ich und Selbst, Spiritualität und Sinnlichkeit. Die
Herrschaft des Mannes über sich selbst (enkrateia) darf nicht mit der
Herrschaft über die Frau verwechselt werden (und umgekehrt). Keine
Kodifizierung,
sondern neue Existenzformen schaffen, in denen wir die Sexualität
freier als unter dem Code des Machismus leben können.
Es geht nicht
primär um die Sexualität, sondern um Formen der Macht und um
den Zugang zur Wahrheit: Diätetik, Ökonomik und Erotik als
Ästhetik der Existenz (M. Foucault).
Von der
Asymmetrie der
Partner
zur Konvergenz der Liebe.
Uns Freiheit
gewähren aber zugleich sie
unter strengen Forderungen stellen. Die Dunkelheit (chtonischer
Phallus) ist die numinose Quelle des Mannseins.
Offene Augen
für
die Dualität unseres Wesens.
Ein gentleman ist auch ein wildes
Tier: man(n) muß nur ein
Gefühl für den richtigen Moment haben, in dem er zu diesem
Tier werden kann. Das ist die Integration der Schattenseite des
chtonischen Phallus. Sonst gibt es nur die Auswege (Irrwege) des
disziplinaren
oder des barbarischen Machismus.