Message
1
Alle
— Politik,
Wirtschaft,
Wissenschaft, die Gesellschaft insgesamt — sind inzwischen aufgeregt
und,
wie ich meine, mit guten Gründen, denn die digitale Welvernetzung
greift in die Breite und Tiefe unseres Lebens ein.
Dass wir von einem digital divide sprechen ist dafür
symptomatisch.
Der Zugang
(access) zum Internet ist zum Maßstab unserer politischen
und ökonomischen Existenz geworden.
Die Aufregung betrifft weniger
eine Disziplin, die Informatik, als vielmehr die Auswirkungen einer,
wie
man früher sagte, Weltanschauung. Wie schaut die Welt heute aus?
Antwort:
digital-vernetzt, oder genauer, digital-vernetzt geteilt.
Message
2
Die
vorherige
Weltkonstruktion
war die der Newtonschen Mechanik — sein Werk "Philosophiae
naturalis
principia mathematica" erschien 1687 —, die im 20. Jahrhundert
durch
die Quantenmechanik und durch die Digitalisierung in ihrem Geltungs-
und
Wirkungsanspruch erschüttert wurde. Wie können wir existieren
innerhalb einer Weltkonstruktion, die sich durch einen in sich
geschlossenen
(immanenten) Determinismus auszeichnet?
Die theoretischen und praktischen
Herausforderungen waren gewaltig. Hume und Kant gaben jeweils eine
skeptische
und eine kritische Antwort auf die theoretische Herausforderung. Die
praktische
Antwort war die Industriegesellschaft und die neuzeitliche staatliche
Maschinerie.
Claude
Elwood Shannons Schrift
"A Mathematical Theory of Communication" (1948) stellt so etwas wie die
"Philosophiae artificialis principia informatica" dar. Sie bildet
zusammen
mit der Quantenmechanik, der "Philosophiae naturalis principia
quantica",
die Grundlage der heutigen Weltkonstruktion.
Die philosophische Antwort
darauf läßt auf sich warten. Die praktischen Auswirkungen,
zunächst
unter dem unscheinbaren Titel "Informationsgesellschaft", sind
unübersehbar
auch wenn sie erst in ihren Anfängen sind.
Der Materialismus des 19.
und auch der des 20. Jahrhunderts ist durch den Informatismus
abgelöst
worden.
Message
3
Die
Erschütterung der
bisherigen
Weltkonstruktion und ihrer philosophischen Entsprechung zeigt sich
vielleicht
am deutlichsten in der Diskussion um die Würde des Menschen in
Zusammenhang
mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms auf der Basis der
digitalen Technik. "Würde" war Kants Antwort auf die
Naturalisierung
und Quantifizierung des Menschen. Dem Menschen als Naturwesen ("homo
phaenomenon")
korrelierte der Mensch als Freiheitswesen ("homo noumenon").
Der neuzeitliche
Mensch konnte als Naturwesen innerhalb der mechanischen
Weltkonstruktion
alles, einschließlich sich selbst, auf seinen quantifizierbaren
Wert
hin berechnen, allen voran seine Waren. Das Kapital und die
Warenzirkulation
der Industriegesellschaft konnten sich am Beispiel der so d.h.
mechanisch
und deterministisch konstruierten Natur verselbständigen. Marx
nannte
diesen Prozeß "Fetischismus".
Das Geheimnisvolle der digitalisiert-vernetzten
Information besteht darin, dass sie den produzierenden und
kommunizierenden
Menschen widerspiegelt. Die Netze werden zu gesellschaftlichen Dingen,
obwohl ihre physische Natur mit dem gesellschaftlichen Verhältnis
der Menschen untereinander nichts zu schaffen hat (K. Marx, Das
Kapital,
I, Erster Abschnitt, 1. Kapitel, IV).
Die Grundlage gesellschaftlicher
Prozesse ist der digital-vernetzte Geist, der zugleich die Natur
umfaßt.
Message
4
Der
Reichtum der
Gesellschaften
erscheint heute nicht mehr nur wie eine "ungeheure Warensammlung",
sondern
wie eine ungeheure Vernetzung digitaler Informationen. Unsere
Untersuchung
müsste daher mit der Analyse der Information beginnen. Die
Produkte
der menschlichen Hand sind in der Informationswelt zugleich Produkte
des
menschlichen Kopfes, die so nicht mehr in die "Nebelregion der
religiösen
Welt flüchten" (K. Marx, a.a.O.).
Anstelle der Gesellschaftstheorie
tritt jetzt die Informationstheorie oder, genauer gesagt, die
Informatik
ein, d.h. jene Disziplin die zugleich für die Grundlagen der neuen
Weltkonstruktion und für ihr praktisches Funktionieren sorgt.
Das
neue Klassenbewußtsein äußert sich im Aufstellen einer
Differenz, des digital divide. Sie richtet sich nicht mehr
allein
nach dem Warenbesitz und dem der Produktionsmittel, sondern nach der
Herrschaft
über die digitalen Informationsmittel. Die Geldzirkulation ist
jetzt
an die digitale Informationszirkulation gekoppelt. Das macht das Wesen
der new economy aus.
Message
5
Was
tun? Der Pragmatismus
rät
uns dazu, von Fall zu Fall zu entscheiden und uns nicht (mehr) ums
"Grundsätzliche"
zu kümmern. Das hat aber den Nachteil, dass wir die
Herausforderung
der neuen Weltkonstruktion nicht als solche annehmen, sondern uns mit
dieser
Konstruktion einfach identifizieren.
Somit fallen wir hinter unseren eigenen
Möglichkeiten zurück. Eine andere Strategie besteht darin,
uns
mit den Antworten, die wir für die Herausforderungen der
mechanistischen
Weltkonstruktion entwickelten, zufrieden geben zu können glauben.
Wenn wir aber ehrlich sind, merken wir, dass die Fragen, auf die wir
eine
Antwort suchen müssen, zumindest teilweise neu sind.
Wie können
wir uns so individuell uns sozial entwerfen, dass wir der
digital-vernetzten
Weltkonstruktion und ihren zum Teil noch verborgenen Möglichkeiten
gewachsen sind?
Denn ich glaube nicht, dass wir Herr unserer
Weltkonstruktionen sind. Vielleicht also dadurch, dass wir in die Ab-Gründe
informationeller Prozesse hineinschauen und uns darin den Spiegel
vorhalten.
Letzte
Änderung: 15. Febrar 2017