1.
DER GRIECHISCHE URSPRUNG
Der
Ursprung des heutigen digitalen Weltentwurfs liegt wohl in der
abendländischen
Metaphysik. Wir sollten zunächst bedenken, inwiefern die Kategorie
des Signals zum Seienden selbst im metaphysischen Sinne gehört
oder
ob sie aus einem Handelnden (einem Göttlichen oder einem
Menschlichen
oder einem ‘bloß’ Lebenden) zu verstehen ist. Mir scheint, dass
die
antike Philosophie eher den ersten Sinn betont, während der zweite
seit der Neuzeit aufgrund der Trennung von Subjekt und Objekt
vorherrschend
wird. Das moderne Verstehen von 0 und 1 hat auch eine andere
Bewandtnis
im Rahmen einer Theorie der Signalübertragung als zum Beispiel im
Rahmen einer kabbalistischen Überlegung über die Bedeutung
dieser
Zeichen. Letzteres würden wir dann eher als Symbol kennzeichnen.
In
der Neuzeit wird die Unterscheidung zwischen Signal und Symbol
teilweise
eingeebnet. Genau genommen werden aber keine Reihen von Nullen und
Einsen
gesendet, sondern elektromagnetische bzw. elektronische Signale, die
wir dann als
1 und 0 interpretieren. Der Code 0/1 ist also unser Anteil am
ontologischen
Entwurf.
Wir
nehmen
aber die Signalübertragung als ein Ganzes
wahr. Das
Gehirn braucht dazu Zeit. Aber phänomenal gesehen, entsteht in der
Tat der Ein-Druck der Ganzheit, oder, anders ausgedrückt,
die
Tätigkeit des Gehirns (nur des Gehirns?) ist auf Ganzheit hin
orientiert.
Schon wieder ist eine metaphysische Kategorie (to holon) impliziert.
Es ist eine beliebte Metapher, die
gegliederte
Auflösung in 0/1 im digitalen Bereich mit der Auflösung im
neuronalen
Netz unseres Gehirns zu ver-gleichen. Wir müßten
dabei
eine metaphysische Unterscheidung (diairesis)
vornehmen. Zahl
und logos
hängen in der
Sprache
der Metaphysik (Platon) so zusammen, dass die Zahl einen höheren
Seinswert
(Freisein vom materiellen Substrat) hat als der logos. Insofern
erfaßt
die Zahl das eidos
der Dinge, während der logos
die Möglichkeit hat, näher
am Wahrnehmbaren zu sein.
Als
Ausgangspunkt für diese Überlegungen kann die
folgende
Passage aus Heideggers Sophistes-Vorlesung im Wintersemester
1924/25
in Marburg dienen:
"Dabei ist zu beachten, daß für Aristoteles die
primäre
Bestimmung der Zahl, sofern sie auf die monas
als die arche
zurückgeht, einen noch viel ursprünglicheren Zusammenhang mit
der Konstitution des Seienden selbst hat, sofern zur Seinsbestimmung
jedes
Seienden ebenso gehört, daß es ‘ist’, wie daß es
‘eines’
ist; jedes on ist
ein hen.
Damit bekommt
der arithmos im weitesten
Sinne — der arithmos
hier für das hen
— für die Struktur des Seienden überhaupt eine
grundsätzlichere
Bedeutung als ontologische Bestimmung. Zugleich tritt er in einen
Zusammenhang
mit dem logos,
sofern das Seiende in seinen letzten Bestimmungen nur zugänglich
wird
in einem ausgezeichneten logos,
in der noesis,
während die geometrischen Strukturen allein in der aisthesis gesehen
werden. Die aisthesis ist
das, wo das geometrische Betrachten halt
machen muß, stesetai,
einen Stand
hat. In der Arithmetik dagegen ist der logos,
das noein,
am
Werk, das von jeder thesis,
von jeder anschaulichen Dimension und Orientierung, absieht."
(GA19:117) (1)
Das Trennen (
chorizein),
so Heidegger, ist der Grundakt der Mathematik für Aristoteles
(Trennen,
aber kein Getrenntes). Die
mathematiká
sind ein Herausgenommenes aus den natürlichen Dingen (
physei
onta).
Der Mathematiker
bringt etwas von seinem Platz (
chora)
weg. Es gibt für Aristoteles keinen himmlischen Ort (
topos
ouranós)
für
die Zahlen. Der Unterschied zwischen Geometrie und Arithmetik besteht
zunächst
darin, dass die
monas nicht
gesetzt wird (
ousia áthetos),
der Punkt (
stigme)
aber doch. Die
monas das,
was schlechthin bleibt. Punkte muß
man setzen. Orte
gehören
zum Seienden: Jedes Seiende hat seinen Ort: das Feuer oben (
ano),
die Erde unten (
kato)
etc. Diese Bestimmungen gelten für Aristoteles teilweise absolut,
dann aber auch für uns (
pros
hemas), d.h. je nachdem, wo wir
uns befinden. Der Ort
ist
schwer zu fassen. Erst z.B. beim Bewegenden, d.h. beim Ortswechsel,
werden
wir uns des Ortes bewußter. Der Ort ist die Grenze des
periechon, also
dessen,
was einen Körper umgrenzt, was an seine Grenzen stößt.
Die Welt ist für Aristoteles absolut orientiert, es gibt
ausgezeichnete
Orte (ein absolutes Oben etc.). Heideggers Fazit lautet: Der Ort hat
eine
dynamis,
er
ist die Möglichkeit der rechten Hingehörigkeit eines
Seienden,
er gehört zum Seienden als sein Anwesendseinkönnen, sein
Dortseinskönnen.
Es ist, wenn es da ist.
Heidegger
entwickelt anschließend die Genesis von
Geometrie und
Arithmetik im Ausgang vom topos.
Wenn man vom topos
absieht und nur die möglichen Lagen und Orientierungsmomente
behält,
dann sind wir bei der Geometrie. Das Geometrische ist nicht mehr an
seinem
Ort. Die pérata sind
nicht mehr als die Grenzen des
physischen Körpers
verstanden,
sondern sie erhalten durch die thesis
eine eigentümliche Eigenständigkeit. Es ist aber nicht so,
dass
die höheren Gebilde aus solchen Grenzen (Punkte usw.) einfach
zusammengesetzt
sind. Linien entstehen nicht aus Punkten, Körper nicht aus
Flächen,
denn zwischen zwei Punkten gibt es immer eine Linie (grammé).
Aristoteles und Platon sind hier "in der schärfsten Opposition"
(GA19:111).
"Zwar
sind
die Punkte die archai des
Geometrischen, aber doch nicht
so, daß aus ihrer Summierung
die
höheren geometrischen Gebilde aufgebaut werden könnten."
(ebd.)
Eine "bestimmte Zusammenhangsart" ist darüber hinaus erforderlich.
Ähnlich im Bereich des Arithmetischen ist die monás noch
keine Zahl. Die erste Zahl ist die zwei. Weil die monás
im Unterschied zu den Elementen der Geometrie keine thesis
in sich trägt, ist die Zusammenhangsart eines arithmetischen
Ganzen
anders als bei Punkten. Beide Formen von Mannigfaltigkeit (Faltung)
sind verschieden oder, wie wir auch sagen könnten: Beide Formen
der Vernetzung sind verschieden. Zahlen sind anders vernetzt
als Punkte usw. Wie aber? Antwort: Es gibt mehrere Formen, wie Dinge
miteinander
(vernetzt) sind — Heidegger bezieht sich dabei (GA 19:113-116)
auf
Aristoteles Physik V, 3 — , nämlich:
- hama =
zugleich;
wenn Dinge an einem Ort sind
- choris =
getrennt;
was an einem anderen Ort ist
- haptesthai =
sich berühren (an einem Ort)
- metaxy =
dazwischen
(oder das Medium: wie z.B. der Fluß, in dem sich ein Schiff
bewegt)
- epheches =
das
Darauffolgende; da gibt es zwischen dem, was vorher ist, und dem, was
folgt,
kein Zwischen vom selben genus (Seinsabkunft) wie das
Vernetzte.
So stehen die Häuser einer Straße in einer Reihe, aber in
einem
Medium, was kein Haus ist. Das ist die Art der Vernetzung der 'monades'
(monas),
wobei bei ihnen
nichts dazwischen steht. Sie berühren sich aber nicht wie bei der syneches
- echomenon =
was sich hält, ein Nacheinander, was sich
zusammenhält und
sich berührt, die Enden stoßen zusammen an einem Ort (wie
etwa
bei Kabel und Steckdose)
- syneches = continuum.
Hier gibt es kein Zwischen. Es ist ein echomenon aber ohne Zwischen,
also ein ursprüngliches echomenon.
Beispiel: Die Grenzen des einen Hauses sind identisch mit denen der
anderen.
Das ist die Vernetzungsart der Punkte, die eine Linie bilden.
Jedes
Seiende (on) ist ein hen.
In
der Geometrie ist die Wahrnehmung (aisthesis)
am Werk, während in der Arithmetik der logos von jeder Setzung
('thesis')
und jeder Anschauung absieht. Die Dinge, sofern (he)
sie eins sind, gehören zusammen oder sind vernetzt in der Weise
der epheches,
d.h.
sie müssen sich nicht berühren und es muß nicht immer
etwas
dazwischen sein.
Sodann
analysiert Heidegger: Aristoteles: Kategorien,
Kap. 6: Über die Quantität (poson)
(GA19:116). Die Quantität ist teils diskret (diorismenon)
teils kontinuierlich (syneches)
oder indiskret. Nach Metaphysik V, 13 heißt
'quantitativ',
was in Bestandteile zerlegbar ist. Was quantitativ zählbar ist,
ist
Menge. Was meßbar ist, ist Größe. Menge zerfällt
potentiell in Größe und umgekehrt. Es gibt eine
Quantität
von Teilen, die eine Lage ek thesin
zueinander haben und aus Teilen,
die keine Lage
haben.
Zahl und Rede sind diskret. Linie, Fläche und Körper sowie chronos
und topos kontinuierlich.
Das Diskrete besteht aus Teilen,
die nicht
gesetzt sind, das continuum aus Teilen, die gesetzt sind.
Deshalb
ist die Weise ihrer Vernetzung oder Einheit verschieden. Die Teile bei
den Zahlen haben keinen gemeinsamen horos
oder Begrenzung. Bei 10 zum Beispiel gibt es bei den Teilen 5 und 5
keine
gemeinsamen Grenzen, jeder ist für sich, (diorisménon),
jeder ist etwas anderes, so auch bei 7 und 3. Die Teile (moria)
können nicht zusammengenommen werden, denn es gibt kein
Allgemeines
(koinon),
mit
Bezug auf welches jede Zahl ein Fall wäre. Eine Generalisierung
ist
nicht möglich. Wie ist aber dann der Zusammenhalt
möglich?
Aristoteles
erläutert dies am Beispiel des logos:
Er ist Verlautbarung (meta phone
gignomenos).
Diese ist artikuliert durch einzelne
Silben als ihre Elemente (stocheia).
Es gibt also eine eigentümliche Einheit des nicht stetigen
Mannigfaltigen,
wo jeder Teil eigenständig ist. Die Silben sind eigenständig.
Es gibt keine Silbe überhaupt und keine Zahl überhaupt.
Dagegen
ist ein Punkt wie alle Punkte. Die Linie hat eine andere Weise der
Einheit.
Man kann aus ihr etwas herausnehmen und im gleichen Sinne ansprechen
wie
bei jedem anderen Teil. Die Punkte sind alle gleich. Aber eine Linie
ist
mehr als eine Mannigfaltigkeit von Punkten, sie ist eine Setzung
(thesis).
Diese fehlt bei
der Zahlenreihe, die ja nur durch Nacheinander (epheches)
bestimmt ist, wo das, was sie verbindet, nichts mit ihnen zu tun hat
und
durchaus auch gänzlich fehlen kann. Deshalb ist diese
Voraussetzung
ontologisch früher als die der Punkte und des continuum.
Sie
ist sozusagen genereller und kann auch ohne Wahrneh- mung (aisthesis)
also nur mit der Vernunft (nous)
vernommen werden. Dennoch
ist für Aristoteles die
Arithmetik
nicht die ursprünglichste Wissenschaft vom Seienden in seinem
Sein,
denn der Ursprung (arche)
der Zahl, die Einheit, ist selbst keine Zahl und muß deshalb in
der
Metaphysik aufgeklärt werden.
So
wie die
Griechen die Mathematik aus dem ‘nützlichen’
Zusammenhang
mit dem natürlich Seienden (physis)
lösten, so lösen wir sie heute aus ihrem gedanklichen
Zusammenhang mit dem menschlichen Geist (nous)
und dem menschlichen Leib und verlagern sie nicht mehr in einen theo-logischen,
sondern in einen techno-logischen Ort. Was zunächst aber
rätselhaft
erscheint, ist die Möglichkeit eines Zugangs zum Sein ohne den logos.
Ich denke an Gadamers Satz: "Sein, das verstanden werden kann,
ist Sprache" (2). Gadamer schreibt
anschließend:
"Das hermeneutische Phänomen wirft hier gleichsam
seine eigene
Universalität auf die Seinsverfassung des Verstandenen
zurück,
indem es dieselbe in einem universellen Sinne als Sprache
bestimmt
und seinen eigenen Bezug auf das Seiende als Interpretation. So reden
wir
ja nicht nur von einer Sprache der Kunst, sondern auch von einer
Sprache
der Natur, ja überhaupt, von einer Sprache, die die Dinge
führen."
(ebd.)
Kehren wir zu Heidegger (GA19:632) zurück. Sofern wir es
sind,
die das Sein auslegen, ist immer die Zeit im Spiel, denn wir
sind
zeitlich. Offenbar stellt Heidegger hier die Möglichkeit, das Sein
des Daseins vom Sein der Welt auszulegen oder umgekehrt, zur
Entscheidung
und entscheidet sich für das Umgekehrte. Der Grund? Weil das
Zeitlichsein
des Daseins eine eigene (eigentliche) Zeitlichkeit besitzt, die nicht
identisch
ist mit der Zeitlichkeit der Welt (und somit mit den Seinskategorien
der
Welt). "Der nächste Sinn von Sein" (GA 19:633) ist nämlich
der
Sinn vom Sein (der Welt) als das Gegenwärtige. Für uns ist
aber
Vergangenheit und Zukunft eine Weise zu sein, die dem Sein der Welt in
seinem Begegnen nicht entsprechen. Welt ist nur da in der Weise der
Anwesenheit.
"Das Sein der Welt ist Anwesenheit." (ebd.)
Die
Aneignung des Seienden in logischen und digitalen
Zusammenhängen
wird der Interpretation des Seins des Daseins nicht gerecht. Umgekehrt
aber gilt, dass durch die zureichende Interpretation des Seins des
Daseins
"der nächste Sinn von Sein", die Anwesenheit nämlich, die
auch
das Sein der logischen und digitalen Zusammenhänge ausmacht,
positiv
aufgeklärt werden kann. Es ist schon etwas merkwürdig, dass
Aristoteles
von Herauslösen spricht, wo man in der Regel meint, der Denker der
Loslösung (horismos)
sei ja Platon.
Ich
fasse
zusammen: Punkte haben einen Ort und
dadurch lassen
sie sich voneinander differenzieren. Zahlen sind zwar ortlos, aber in
sich
selbst differenziert. Beide, sowohl Punkte als auch Zahlen, werden aus
dem natürlich Seienden (physis)
herausgelöst, also sie bestehen zunächst nicht für sich
wie Platon meint. Das digital Seiende, oder das Seiende, sofern es
digital
ist, oder die aus dem natürlich Seienden herausgelöste
Zahl-Struktur,
löst das Seiende zugleich aus seinem natürlichen Ort heraus.
Das digitalisierte Seienden oder das Seiende in seinem
Digitalisiert-sein ist ortlos, weil es als Zahl aufgefaßt wird.
Das ist die
Bedingung
der Möglichkeit für die Einrichtung einer Technik, die genau
den Gesichtspunkt des Ortes weg läßt im Gegensatz etwa zu
einer
Bibliothek, die auf die Materie (hyle)
der Bücher baut. Zugleich aber schafft die Schrift auch eine
Ortlosigkeit,
denn Bücher können woanders sein, als dort, wo sie
hergestellt
wurden. Die Ortlosigkeit des logos ist
eine merkwürdige
Eigenschaft,
die vielleicht den Unterschied zwischen Platon/Sokrates und den
Sophisten
ausmacht. Denn Platon legt immer großen Wert auf die
situationelle
Gebundenheit des logos gegenüber
der Schrift, wie er dies im Phaidros
in Zusammenhang mit dem Mythos der Erfindung der Schrift darlegt. Die
Sophisten
scheinen den logos von der
strengen ‘dia-lektischen’ Situation zu
lösen,
um die so losgelösten ‘Erkenntnisse’ überall zu vermarkten.
Der
sophistische mündliche logos
wäre also, von Platon aus
gesehen,
nicht weniger losgelöst als der schriftlich fixierte logos.
Aristoteles
knüpft an die Einsicht der Sophisten an, ohne aber deren Praxis zu
teilen.
Mit
Bezug
auf die Ortlosigkeit des logos
lösen die techne
und die poiesis
das natürlich Seiende mit seiner hyle
aus seinem angestammten Ort heraus. Die Frage ist aber, ob durch die
Vernetzung
den Zahlen doch ein wechselbarer Ort zugewiesen wird: Sie sind immer
irgendwo,
aber nicht ausschließlich an einem Ort. Sie sind also an
der
technischen Schnittstelle zwischen hyle,
Punkt und logos angesiedelt.
Wie steht es aber mit der von
Heidegger
hervorgehobenen Unterscheidung zwischen monas
und hen?
Wenn
das hen zu
dem
natürlich Seienden gehört, dann sind das ens et unum
convertuntur
der Scholastik (Griechisch: on kai
hen) sowie das 'Ein und
Alles' (hen kai pan) von
hier aus zu verstehen. So wie sich also
das
Seiende gegen das Nicht-Seiende abhebt, so hebt sich die monas gegen die 0
ab.
Zunächst haben wir also die natürliche Welt und dann durch
Herauslösung,
das Ort- und Weltlose (atopos).
Wir haben also folgende Abstufung der Abstraktion oder der
Herauslösung
aus dem natürlich Seienden:
- das natürlich Seiende (physei onta):
bestimmt durch Einheit, Ort und Setzung (hen, topos, thetos)
- der Punkt (stigme):
bestimmt durch Ortlosigkeit und Setzung (topos, thetos)
und Berührung (syneches, continuum)
- die Einheit (monas):
bestimmt durch Ortlosigkeit und Ungesetztheit (atopos, athetos)
Diese
Herauslösung ist heute gekoppelt mit der technischen
Einprägung
oder Her-Stellung von Zahl und Punkt im
elektromagnetischen
bzw. elektronischen Medium. Die Frage, die wir uns angesichts der
Entwicklung von der
Formung
durch den Schöpfer über den Golem bis hin zum Computer
stellen,
ist dann die unseres möglichen Aufenthaltes in dieser so
erschlossenen
Welt.
Die
Griechen — weniger pauschal: Platon und
Aristoteles
— orientierten sich am logos und
entwickelten demnach eine Ontologie.
Der logos behält die
Kontrolle auf verschiedenen Stufen, letztlich
auch als logos, der den
Ursprung der 'monas', d.h. das
hen
erkennt.
In
GA19 geht Heidegger auf die Diskussion des on
als hen (Parmenides) ein.
Der Satz:
'Alles,
was ist, ist Eins’ (hen on to pan)
stellt eine verwickelte
Geschichte
über die Deckung oder Nicht-Deckung dieser Begriffe mit der
wohlgerundeten
Kugel des Parmenides dar. Ein wichtiger Unterschied ist der zwischen
der
Einheit im Sinne der Ganzheit von Teilen und der Einheit, die dieser
Ganzheit
vorausgeht (GA19:457). Griechisch ausgedrückt: hen als patos
epitois meresi oder syneches
ek pollon
meron on und hen
alethós,
das letztlich aufgedeckte Eins. Das hat zur Folge, dass das on
als ein hen alethós
nicht gleich dem holon als
Ganzheit von
Teilen
ist. Wenn das holon aus
dem on
als solchem herausfällt, dann fallen auch genesis
und ousia heraus, weil das
Werden in
einem
gewordenen Ganzen im Sinne eines fertigen, ganzen Seienden sich
vollendet.
Wenn es aber kein Werden und kein Sein gibt, dann ist das on
nicht. Der Satz des Parmenides führt also, wie Heidegger Platons
Überlegungen
nachzeichnet, in einen Selbstwiderspruch.
Da
Platon
im Horizont des hen
argumentiert
und dem me on eine
entsprechende
"Stelle"
im Ganzen zuweist, wäre die Frage, wie das me on im Horizont des
Digitalen
zu denken ist: Was ist aber
eine ‘digitale Spur’? Sie verweist auf das Gewesene (me on) des
Digitalen. Es scheint
mir so zu sein, dass wir in
einer
digitalen Ontologie mit einem umgekehrten Parmenides zu tun haben:
Während
bei Parmenides das holon —
also die
Ganzheit
im Sinne von Ganzheit von Teilen — aus dem on herausfällt, und
es
somit keine genesis
und keine ousia gibt, so
fällt bei
der
digitalen Ganzheit das aus dem hen
on
heraus, so dass wir nur genesis
und ousia
aber nicht ‘Sein’ und ‘Totalität’ (pan)
haben. Die Frage ist dann, ob in der digitalen Ontologie lediglich die
'monas' und nicht das hen
gesehen werden kann.
2.
DIGITALE ONTOLOGIE UND ANGELETIK
Durch
die Computertechnik und die
Vernetzung haben wir aber eine andere
Möglichkeit für die Ortlosigkeit der Zahlen: sie sind zwar
ortlos,
aber sie können an allen möglichen Orten sein, oder besser
gesagt,
sie sind zunächst technisch an einem Ort, aber an diesen Ort nicht
von Natur aus gebunden, also zugleich ortsgebunden und ortlos. Wenn
jetzt
nicht nur Raum und Zeit, sondern sogar ein elektromagnetisches bzw.
elektroni- sches Medium
hinzukommt,
dann haben wir es wohl hier mit der Konstitution des "digital Seienden"
zu tun. Und wie steht es mit der Frage nach der Vernetzung? Mir
scheint,
dass wir heute den Begriff Netz oder Vernetzung sehr inflationär
gebrauchen.
Welches neue Phänomen wird dadurch konstituiert?
Die
digitale Welt ist eine Welt und doch keine, sie ist
lokal und doch
global und umgekehrt. So hat der Mensch nicht nur die Möglichkeit
zuweilen beim Immerseienden zu ver-weilen, sondern auch bei einer Art
von
Seiendem, das von der techne monas
hervorgebracht wird. Was passiert,
wenn wir den logos mit
der Welt
der
technisierten Arithmetik verbinden? Dass der logos
sich vom natürlich Seienden und somit von der Stimme (phone)
trennen läßt, das zeigt die Auseinandersetzung von
Sokrates/Platon
mit den Sophisten und Platons Kratylos in der
physei/thesei-Debatte.
Wir
sprechen in der Informationswissenschaft von information
retrieval,
d.h. vom Ab- bzw. Rückruf von Information. Wie unterscheiden sich
der ‘logische’ und der ‘mathematische’ Ab- bzw. Anruf des Seienden? Um
was für einen Vorgang handelt es sich hier? Dass die
natürlichen
Dinge sich uns ‘zusprechen’, mag einsichtig sein, aber wie können
uns Dinge ansprechen, die wir erst konstruieren müssen? Für
Platon
lag hier ein höherer Zuspruch wohl vor, dem wir entsprechen, wenn
wir die Ideen nachahmen. Die Platonische Lösung dessen, was wir
Kreativität
nennen, sind die Ideen als Vorbilder für die künstliche
Herstellung
von Seiendem. Für Aristoteles bleibt das natürlich Seiende
das
Leitende, wovon sich die logoi
abheben. Zahl und logos
lassen Seiendes anders sein als es von sich
aus,
d.h. natürlich ist, und sie lassen auch deshalb Seiendes anders
werden,
d.h. Seiendes vom logos oder
von der Zahl her entstehen, techne on,
onto- und monado- oder arithmo-logisch. Die
Verbindung
ergibt das onto-arithmo-logisch Seiende. Dadurch wird
nicht
nur das natürlich Seiende (physei
onta) anders
vergegenwärtigt, sondern es wird
Seiendes
in seinem Sein anders vernommen. Mit anderen Worten, die
onto-arithmo-logische
Technik läßt Seiendes anders sein als eben die physis und
die bisher bekannten Formen der Herauslösung (Punkt, Zahl).
Wie ist also onto-arithmo-techno-logisches Seiendes zusammen? Antwort:
Indem es zugleich an einem Ort, aber nicht an ihm gebunden ist.
Die
Ontologie orientiert sich am logos
oder am on legomenon am
Seienden, wie es vorliegt als das Worüber eines Sagens. Hier
liegt
ein Unterschied zu uns: Wir orientieren uns an der monas oder an den mathematika
aber nicht schlechthin, sondern sofern diese — die monades oder
Einheiten — techno-logisch eingebunden sind. Die Bezeichnung digitale
Ontologie ist, von hier aus gesehen, ein Oxymoron.
Eher könnten
wir von digitaler Ontoarithmetik sprechen.
Die
Ursprünge der griechischen Mathematik liegen, so
Van der Waerden
in seinem klassischen Werk "Erwachende Wissenschaft" (3),
in Ägypten. Der Grund für die Entwicklung der Mathematik in
Ägypten
lag für Aristoteles darin, dass die ägyptische Priesterkaste
die nötige Muße (scholazein)
dafür hatte, nachdem die notwendigen und angenehmen Dinge des
Lebens
geordnet waren (Met. A 1, 981 b 15 ff). Für Van der Waerden hat
aber
Herodot recht, der den Ursprung darin sieht, dass die Ägypter
dabei
einen Sinn für das Praktische hatten:
"Wenn der Nil ein
Stück seines Ackers
weggeschwemmt hatte,
so musste wegen der Steuer festgesetzt werden, wieviel an Fläche
verlorengegangen
war "und dies war, wie mir scheint, der Anfang der Geometrie, die dann
nach Griechenland kam" (Herodot II, 109). Und Demokritos
schreibt:
"Im Konstruieren von Linien mit Beweisen übertrifft mich keiner,
selbst
nicht die sogenannten Seilspanner der Ägypter." Die Seilspanner
(Harpedonapten),
die Demokritos hier meint, sind wahrscheinlich die
Landesvermesser,
deren wichtigstes Messinstrument überall das gespannte Seil ist."
(ebd. S. 25)
Die Mathematik und die
Geometrie entwickeln sich also, zumindest in
Ägypten,
aus den Bedürfnissen der Lebenswelt, der
prágmata wie die
Griechen sagen würden, heraus und auf sie hin. Die
Griechen
lösen dann Punkte und Zahlen aus dem 'natürlichen Seienden'
heraus
und projizieren, wie Aristoteles, ihre Sicht auf die Ägypter
zurück!
Für
Aristoteles wird das hypokeimenon
als das schon
Vorliegende im Hinblick auf das legein,
also als etwas, was vor dem Sprechen schon da ist, verstanden.
Wie
aber, wenn der Grundcharakter des Seins nicht aus dem logos,
sondern aus dem arithmos
gewonnen wird? Und wie, wenn dieser arithmos
techno-logisch aufgefaßt wird? Welches ist dann die formale
Bestimmung
von etwas, was überhaupt ist? Was liegt vor dem Zählen? Wie
ist
das Zählen möglich? Durch die monas,
die ja ungesetzt (athetos)
ist. In Met. V, 1016b18 sagt Aristoteles, daß das hen
das Prinzip für etwas ist, was wir dann unter dem Gesichtspunkt
des
Zählens (arithmos)
auffassen können. Das hen
ist aber ein Metaprädikat, denn, was wir als hen
betrachten, ist je nach Seiendem unterschiedlich. Wenn das, was wir
zählen,
von der Art des Unteilbaren (adiaireton)
und Ungesetzten (atheton)
ist, dann ist die Einheit, die monas,
etwas Unteilbares. Eine Linie ist dann in eine Richtung teilbar etc.
Aristoteles
trifft hier eine weitere Unterscheidung: Das hen-sein
läßt sich der Zahl nach oder dem Eidos oder der Analogie
nach
unterscheiden:
- Das hen der
Zahl
nach hat mit der hyle
zu tun
- Dem eidos nach
mit dem logos oder
dem schema
tes kategorias
- Der Analogie nach,
wie das Verhältnis des
Einen
zum Anderen.
Aristoteles
sagt, dass das Verhältnis
dieser drei Ebenen so ist,
dass
die erste Ebene, die der Zahl, die grundlegende ist. Was also der Zahl
nach eins ist, hat auch ein Eidos (aber nicht umgekehrt). Die monas ist also
eine
Form (unter anderen) von Einheit (hen).
Aristoteles sagt wenig später, dass die Einheit in der Zahl
Ursprung
und Maßstab ist (en tou
arithmou arche kai metron). Gemeint ist
wohl,
dass
das hen als monas
oder besser
gesagt,
dass das hen arché der monas
ist und dass die monas
wiederum Ursprung des Zählens (arithmos)
ist.
Kehren
wir
aber zu Heidegger zurück. Was ist
ontologisch entscheidend:
die monas oder
das hen?
Jedes on ist zwar
ein hen, aber
das hen-sein
des
Seienden
ist ja nicht einerlei und nicht mit der monas und dem artihmos
gleich. Dennoch ist das hen
der Zahl nach grundlegend für das Einssein von Eidos und Analogie.
Die Zahl (arithmos)
ist also dem logos vor-gesetzt,
denn sie ist nicht gesetzt, athetos.
Heidegger schreibt (GA19:121), daß deshalb die Zahl für
Platon
grundlegender ist als der logos
im Hinblick auf die ontologische Besinnung, weil sie weniger braucht
als
der Punkt, wobei aber das hen
("nicht mehr selbst Zahl ist"
(ebd.).
Heidegger
schreibt mit Bezug auf die Zahl: "Dasselbe ist
durchgeführt
am Beispiel des logos"
(GA19:120)
Zahlen und Silben sind eigenständig. Es gibt keine Silbe
überhaupt,
während ein Punkt wie alle Punkte ist. Das elektromagnetische bzw.
elektronische
Medium
ist z.B. im Falle einer CD auch eine Prägemasse, und die
Digitalisierung
der Hardware, wie z.B. Schaltbretter, ist ebenfalls ein Prägen. In
beiden Fällen, oder noch allgemeiner gesagt im Vorgang der
Verschriftlichung
des logos
findet,
so scheint es, eine Herauslösung des Mitgeteilten aus dem
Zusammenhang
und somit aus dem Ort statt, was ja Platon in seiner Schriftkritik klar
erkennt. Aber schon der gesprochene logos
ist eine Herauslösung
aus der Seele des Sprechenden, wodurch dann die Praxis der Sophisten,
sofern
sie die logoi aus ihrem
ursprünglichen 'dialektischen' oder
Wahrheitssuchenden
Zusammenhang entreißen und für beliebige Zwecke verwenden,
möglich
wird.
Die
Zahlen
sind, wenn sie an der technischen Schnittstelle
zwischen
Materie (hyle), Punkt und logos
angesiedelt
werden, nicht schlechthin ortlos, aber auch nicht an einen Ort gebunden
Das ist erstaunlicherweise auch eine Form von Im-Ort-Sein, die Thomas
von
Aquin den (von der Materie) 'getrennten Intelligenzen' (intelligentiae
separatae) zuweist. Die oft lächerlich gemachten
scholastischen
Überlegungen zur Seinsweise der intelligentiae separatae,
also
dessen, was theologisch 'Engel' genannt wird, könnte als ein sehr
interessantes Gedankenexperiment in Zusammenhang mit der Seinsweise
digitaler
Virtualität ausgelegt werden. Es waren aber zuvor die arabischen
Philosophen
des Mittelalters, die in Anschluss an die antike Kosmologie diesen
philosophischen
Begriff prägten. Diese 'getrennten Intelligenzen' sollten zum
Beispiel
dazu dienen, die Sterne und Planeten ewig zu bewegen. Sie waren also
als motores gedacht. Diese himmlische Mechanik wurde in der
Neuzeit
durch natürliche Kräfte ersetzt, woraus sich dann auch eine
sehr
praktische Industrie der Maschinenherstellung entwickeln konnte.
Am
Ende
dieser Entwicklung werden die Maschinen wieder
abstrakt und
wir kommen zurück zu einer Art von 'Intelligenz', die sich durch
ihre
Virtualität auszeichnet, die aber nicht von einem göttlichen,
sondern von einem menschlichen Erbauer hergestellt wird. Die reine
universelle
Zahlenmaschine vermischt sich aber im Laufe des 20. Jahrhunderts mit
dem logos. Um aber dem
universellen Charakter der Zahlen und Punkte zu
entsprechen,
muß der logos
künstlich berechenbar werden. Gehört
aber
zu diesem logos eine
besondere Form von Verstehen? Ergibt sich
daraus
nicht so etwas wie eine artifizielle oder digitale Hermeneutik?
Kommen wir dem Sein dadurch, paradoxerweise, (anders) näher als
durch
die natürliche Sprache? Ist das "aisthetische Sichzeigen"
nicht
bereits ebenfalls eine Loslösung des Seienden zum Anderen hin?
Denn
nach Aristoteles bildet sich "in der Seele" ein Bild (phantasmata)
der sichtbaren Dinge, was aber nicht wie eine Verdoppelung der Dinge im
Bewußtsein zu interpretieren ist, sondern eher so, dass die
Wahrnehmung
auf die Dinge je mit dem jeweiligen Sinnesorgan zugeht und dabei das
Eigene
— Aristoteles nennt das die idia
— ‘wahr-nimmt’. So nimmt das Ohr zum
Beispiel sein Eigenes, also die
Laute wahr.
Ist
es aber
nicht so, dass die metaphysische Vorstellung vom
Ort des logos in der Seele (psyche)
und vom Ort des Denkens als einem Dialog der Seele mit sich selbst
(Platon)
die eigentliche Herauslösung des logos
aus dem existentiellen
Zwischen
bedeutet, was Heidegger in "Sein und Zeit" (§ 33-34) mit dem
Vorrang
der Rede und mit ihr des "hermeneutischen Als" vor dem "apophantischen
Als" bezeugt? Gilt die Unwahrheit bzw. Verstellung nur für
den logos oder auch für
die
Zahlen? Wo liegt der Unterschied in der
Art der Entbergung zwischen den Zahlen und dem logos? Wie
gehören
diese beiden Formen der Entbergung zusammen? Gibt es nur diese zwei
oder
auch andere? Und wenn nicht, warum nur diese zwei?
Für
uns ist nicht die sophia als
Wissenschaft vom hen,
sondern die Wissenschaft und Technik von monas und arithmos
grundlegend. Wenn wir also den arithmos
als grundlegend für die
Struktur des Seienden nehmen,
dann
bedeutet dies, dass wir uns zwar in den Fußstapfen der
griechischen
Ontologie bewegen, aber ohne das hen
und die sophia.
Das bedeutet auch, dass wir dem Gegenwärtigen den Primat auch bei
der Auslegung des Daseins geben. Heute besitzen wir eine ausgebildete
Mathematik
und Logik, ja sogar eine mathematische Logik, aber keine Ontologie im
Sinne
einer Wissenschaft vom Einen. Geblieben ist lediglich das Eine als
logische
Kategorie. Eine Wissenschaft vom "Einzigen" scheint heute nur im
Bereich
der Religion, öfter in dem der Esoterik, möglich. Zugleich
aber
entwickelt sich eine digitale Ontologie, deren Herrschaft mir nicht
kleiner
erscheint als die des Materialismus im vorigen Jahrhundert.
Aber
diese
minimalistische digitale Ontologie is not the
whole story.
Ich meine, daß wir hier eine ontologische Spannung
brauchen,
nicht um das menschliche Dasein als Krone der Schöpfung
hervorzuheben,
sondern um zu zeigen, wie verschiedene Ontologien
aufeinanderstoßen
und sich dabei verändern, vorausgesetzt, sie werden irgendwie
thematisiert,
sonst bleibt alles in den gewohnten Bahnen. Wie wirkt sich aber der
Sinn
vom Sein des Daseins auf den "nächsten Sinn vom Sein" und zwar auf
den der Präsenz in der Form der arithmetischen Weltvernetzung aus?
Und umgekehrt?
Damit
sind
wir wieder beim Phänomen des An- und
Abrufens. Sollen
wir dieses Phänomen des Abrufens des Seienden vom Menschen aus
oder
umgekehrt als eine ‘Verfallsform’ eines ‘eigentlichen’ An- und Abrufens
verstehen? Oder ist jede Art des An- und Abrufens an sich eine
abgeleitete
Form eines ursprünglichen Angerufenseins? Heidegger hat die Frage:
Was heißt denken? im Sinne von: Was heißt uns denken?
gefragt,
wobei er im ‘heißen’ nicht das Fordern, sondern das
"Gelangenlassen"
hervorhebt. Durch das Nennen von etwas versehen wir die Dinge nicht mit
einem Etikett, sondern wir lassen etwas in ein Anwesen ankommen (4).
Beim Phänomen des Rufens kann es um den ‘Ruf’ eines blühenden
Baumes gehen, der sich uns vorstellt (M. Heidegger, Was heisst
Denken?
S. 16). So kehrt Heidegger das Rufen oder Denken der modernen
Subjektivität,
die ihren Gegenstand so anruft, dass sie ihn vor-stellt,
um.
Wir
achten
nicht auf den Ruf des Mediums selbst, weil wir
nur Ohren
für messages haben und dabei immer das Ereignis des messengers
überhören. Boten sind demnach etwas Akzidentelles, was mit
dem
Sinn der Botschaft nichts zu tun hat. So wird schließlich auch
jedes
Medium als Botschaft wahr-genommen. Medien lassen sich nach
McLuhan
deshalb nicht bloß instrumentell verstehen, weil sie unser Sein
verändern (5). Aber nicht das, was ein
Medium
‘verkündet’,
sondern dass er es tut, bleibt bei McLuhan ungedacht.
Ungedacht
bleibt auch dementsprechend die Dimension des
Angerufen-werden-könnens.
Das ist aber, wenn ich recht sehe, genau die Seinsweise, die dem Dasein
eigen ist, wenn dieses in allem, was sich ihm vorstellt, dem Ruf des
Seins
ausgesetzt bleibt.
Avital
Ronell hat in einem in Form eines Telefonbuchs
gedruckten Buches
mit dem Titel "The Telephone Book" dieses Thema vor allem aus
psychoanalytischer
Sicht thematisiert (6). Ronell schreibt:
"Maintaining and joining, the
telephone line holds
together what it
separates. It creates a space of asignifying breaks and is tuned by the
emergency feminine on the maternal cord reissued. The telephone was
borne
up by the invaginated structures of a mother's deaf ear." (Avital
Ronell,
The Telephone Book, a.a.O. S. 4)
Gemeint sind die Mutter und
die Ehefrau von Alexander Graham Bell:
beide
nämlich waren taub. Ronell schreibt, dass die ersten aufgeregten
Abnehmer
von Telefonanrufen die Schizophrenen waren. Wenn ein Schizophrener
glaubt,
alle Anrufe seien für ihn bestimmt, dann glaubt der Neurotiker, so
könnten wir hinzufügen, er hat eine Botschaft, die er an alle
verkünden muß. Mir
scheint, dass durch die digitale
Vernetzung
die Lage sich verschärft hat und zwar in dem Sinne, dass wir mit
viel
komplexeren Formen des technischen Anrufens zu tun haben als die
Dualität
von Massenmedien und Individualmedien, die die Gesellschaft des 20.
Jahrhunderts
jeweils als Massenmediengesellschaft und atomisierte
Individualität
prägten.
Ronell
beginnt ihre Auslegung des "Rufens" in Heideggers:
"Was heisst
Denken?" mit dem Beispiel der Mutter, die nach ihrem Buben ruft, "der
nicht
nach Hause will", und ihn zum Hören und "Gehorchen" zwingen
muß
(Ronell a.a.O. S. 28). Heidegger schreibt:
"Was heißt
Denken? Hüten wir uns vor der
blinden
Gier, die für diese Frage eine Antwort in der Form einer Formel
erraffen
möchte. Bleiben wir bei der Frage. Achten wir auf die Weise, in
der
sie frägt: "Was heißt Denken?"
'Warte, ich werde dich lehren, was gehorchen heißt' - ruft die
Mutter ihrem Buben nach, der nicht nach Hause will. Verspricht die
Mutter
ihrem Sohn eine Definition über den Gehorsam? Nein. Aber
vielleicht
gibt sie ihm eine Lektion? Auch nicht, falls sie eine rechte Mutter
ist.
Sie wird vielmehr dem Sohn das Gehorchen beibringen. Oder noch besser
und
umgekehrt: sie wird den Sohn in das Gehorchen bringen. Das glückt
um so nachhaltiger, je seltener sie schilt. Es glückt um so
einfacher,
je unmittelbarer die Mutter den Sohn ins Hören bringt. Nicht erst
so, daß er sich dazu nur bequemt, sondern so, daß er vom
Hörenwollen
nicht mehr lassen kann. Weshalb nicht? Weil er hörend geworden ist
für das, wohin sein Wesen gehört. Das Lernen läßt
sich darum durch kein Schelten bewirken. Und dennoch muß einer
beim
Lehren bisweilen laut werden. Er muß sogar schreien und schreien,
selbst wenn es sich darum handelt, eine so stille Sache wie das Denken
lernen zu lassen. Nietzsche, der einer der stillsten und scheuesten
Menschen
war, wußte von dieser Notwendigkeit. Er durchlitt die Qual,
schreien
zu müssen. In einem Jahrzehnt, als die Weltöffentlichkeit
noch
nichts von Weltkriegen wußte, als der Glaube an den "Fortschritt"
fast die Religion der zivilisierten Völker und Staaten
wurde,
hat es Nietzsche hinausgeschrien: "Die Wüste wächst..." Er
hat
dabei die Mitmenschen und vor allem sich selber gefragt: "Muß man
ihnen erst die Ohren zerschlagen, daß sie lernen, mit den Augen
zu
hören? Muß man rasseln gleich Pauken und
Bußpredigern?"
(Also sprach Zarathustra, Vorrede n. 5). Aber Rätsel über
Rätsel!
Was einmal Schrei war: "Die Wüste wächst..." , droht zum
Geschwätz
zu werden. Das Drohende dieser Verkehrung gehört zu dem, was uns
zu
denken gibt." (M. Heidegger, Was heisst Denken?, a.a.O. S. 19)
Ronell verbindet das Rufen
der Mutter (und später des
Gewissens)
mit der Telefon-Metapher und sie übergeht den vorangehenden
entscheidenden
Absatz, in dem es um den 'Ruf' eines blühenden Baumes geht, der
"sich
uns vorstellt", uns also unmerklich in seinen Bereich
einläßt,
so dass wir uns als diejenigen verstehen können, die in der
Möglichkeit
des Hörens
oder
Nicht-Hörens sind (M.
Heidegger, Was
heisst
Denken? a.a.O. S. 142). Für Ronell spielt das Medium Telefon
als Metapher des Anrufens insofern eine entscheidende Rolle, als es
zeigt,
dass wir in der Lage sind, einen Anruf
nicht
anzunehmen. Das
bedeutet,
dass Rufen nicht die Struktur des Befehlens und Gehorchens hat, was
Heidegger
in Anschluß an eine Auslegung der Stelle im Neuen Testament ("Und
da Jesus viel Volks um sich sah, hieß er hinüber jenseits
des
Meeres fahren" Math. VIII, 18) folgendermaßen auf den Punkt
bringt:
"Daß im alten
Wort "heißen" nicht das
Fordern vorwaltet,
sondern das Gelangenlassen, daß somit im "Heißen" das
Moment
des Helfens und Entgegenkommens anklingt, wird dadurch bezeugt,
daß
das selbe Wort im Sanskrit noch so viel wie "einladen" bedeutet."
(M.Heidegger,
Was heisst Denken? a.a.O. S. 82).
Die digitale Ontologie
bedenkt ein Medium, nämlich die digitale
Weltvernetzung
, in dem unser Sein sich der Weise eines vielfältigen Rufens und
Angerufenwerdens
abspielt, wo also die Grenzen zwischen der
One-to-many-Struktur
der Massenmedien und der
One-to-one-Struktur der
Individualmedien
beim Telefon, im Hegelschen Sinne "aufgehoben" werden. Wenn wir das
griechische Wort für
message, nämlich
angelia,
bedenken, dann können wir sagen,
dass wir eine neue 'angeletische'
Situation vor uns haben, deren Struktur eine digitale Ontologie
thematisieren
kann. Ich nenne die entsprechende Wissenschaft, die sich mit dem
Phänomen
der Botschaft befaßt,
Angeletik. Während sich die
Hermeneutik
um die Frage des Verstehens von (textuellen) Botschaften (!)
kümmert,
setzt sie stillschweigend das Phänomen des Verkündens selbst
voraus.
3.
DIGITALE INFORMATION UND DASEINSANALYTIK
Wie
und
wo sind wir, wenn wir im Netz sind? Was für ein Zwischen
ist
(erlaubt) das Netz? Es gibt hier eine Architektonik, die nicht nur
durch
die Ortlosigkeit der Geometrie und die Ungesetztheit der Zahlen,
sondern
auch durch die Seinsweise des Daseins zustande kommt. Das
elektromagnetische
bzw. elektronische Medium ist wie das Papier für ein Buch auch
eine Prägemasse. To ekmageion ist
die Masse, worin man etwas abdrückt, Wachs, Gips, und to
ekmagma ist
das
Aus- oder Abgedruckte in Wachs, Gips, daher ein getreues Abbild,
Ebenbild.
Dieses Wort entspricht dem Lateinischen informatio. Mageia bedeutet
Zauberei. Das ekmageion kommt
bei Platon in der berühmten Stelle
über das Aufnehmende (chora)
im Timaios in der es geht um das Aufnehmende für
alles
Seiende, um die "Amme des Werdens" (Tim. 52b) geht, die selber "von
allen
Sichtbarkeiten (eidon)
frei sei" und "alle Herkünfte (gene)
in sich aufnehmen, empfangen soll." (Tim. 50e). Platon behauptet,
"dasjenige
aber, das weder auf Erden noch irgendwo am Himmel sei, das sei nicht"
(Tim.
52b). Übersetzt heißt dies, dass jedes Seiende eines Mediums
bedarf.
Das
elektromagnetische bzw. elektronische Medium ist eine
Prägemasse, die
das digital
Seiende aufzunehmen vermag. Das digital Seiende kann sich aber auch
frei
durch dieses Medium bewegen und Platz darin einnehmen. Insofern ist
dieses Medium wie die chora
ein Raum zum Aufnehmen vom digital, d.h.
arithmologisch zergliederten
Seienden. Damit verdient das elektromagnetische bzw. elektronische
Medium als Dimension
den
Namen Cyberspace, den es nun genauer zu untersuchen gilt. Die
Behandlung
vom Raum in Sein und Zeit kann uns dazu als Leitfaden
dienen.
Heidegger
schreibt: "Aber weder steht die je vorgängig
entdeckte
Gegend, noch überhaupt die jeweilige Räumlichkeit
ausdrücklich
im Blick." (SuZ:111, § 24). Das Erkennen des Raumes als Raum
findet
also auf der Basis eines unauffälligen Einräumens statt. Ein
solches Einräumen ist, so Heidegger im vorausgehenden Paragraphen,
ein Ent-fernen. Eigentlich müßte er das Da-sein Dort-sein
nennen,
wenn er z.B. schreibt:
"Das
Dasein ist gemäß seiner
Räumlichkeit
zunächst nie hier, sondern dort, aus welchem Dort es auf sein Hier
zurückkommt und das wiederum nur in der Weise, daß es sein
besorgendes
Sein zu... aus dem Dort-zuhandenen her auslegt." (SuZ:107f § 23)
Heidegger
unterscheidet zwischen:
i) der Angabe einer Stelle, an der ein Körperding ist,
ii) dem "Platzeinnehmen" von dem Zuhandenen an einem Platz aus einer
Gegend her,
iii) dem Räumlich-sein des Daseins in der Weise des Ent-fernens
(ebd.).
Bei
diesem Ent-fernen
kommen wir aber nicht dazu,
die Abstände
zu durchqueren, wie wenn wir eine Straße durchqueren, so dass der
Abstand dann verschwinden würde: Kaum sind wir da, stellen wir
fest,
dass wir eigentlich immer zugleich dort sein können! Wir nehmen
das
Dort-sein sozusagen immer mit. Das ist etwas für Alice in
Wonderland,
aber Heidegger schreibt wörtlich:
"Seine
Ent-fernung hat das
Dasein
so wenig durchkreuzt, dass es sie vielmehr mitgenommen hat und
ständig
mitnimmt, weil es wesenhaft Ent–fernung, das heißt räumlich
ist." (ebd. S. 108)
Wenn
also
zwei Dinge voneinander getrennt sind, sprechen wir
vom Abstand
und sagen, dass das eine Ding den Platz einnehmen kann, den das andere
in einem gewissen Abstand befindliche Ding einnimmt. Wenn wir aber ein
Buch, das dort im Regal ist, zu uns holen und so den Abstand zwischen
Buch
und Auge verringern, dann ist das Dort-sein-können keineswegs
verschwunden.
Heidegger spricht von einem "Umkreis von Ent-fernungen", in dem wir
nicht
"umherwandern", sondern den wir "immer nur verändern" können
(ebd. S. 108). Die Vorstellung, wir können im Umkreis unserer
"Ent-fernungen"
"umherwandern", bedeutet, daß wir gewissermaßen ortlos zu
den
verschiedenen Orten gehen könnten. Wenn wir uns ent-fernen, ist es
nicht so, wie wenn wir wandern, dass wir an Orte kommen, wo wir nicht
schon
gewesen sind, sondern das Wandern ist ein Ent-fernen. Wir können
mit
anderen Worten nicht an einem Ort und nicht zugleich an einem anderen
Ort
sein. Wenn wir da sind, sind wir auch immer schon dort. Wie aber
verändern
wir die Ent-fernungen? Zunächst indem wir uns leiblich bewegen,
aber
auch durch Rede und Schrift.
Weil
wir in
der Weise des Ent-fernens sind, oder weil wir
immer schon
in der Möglichkeit des Dort-seins sind, können wir auch
solche
Technologien entwickeln und sie auch benutzen. In der
ursprünglichen
Fassung von Sein und Zeit heißt es: "Mit dem ‘Rundfunk’
zum
Beispiel vollzieht das Dasein heute eine in ihrem Daseinssinn noch
nicht
übersehbare Ent-fernung der ‘Welt’ auf dem Wege einer Erweiterung
der alltäglichen Umwelt." (SuZ:105) Der Zusatz "und
Zerstörung"
ist eine spätere Randbemerkung, die auf die Auswirkung der Medien
Bezug nimmt. In diesem phänomenologischen d.h. ‘neutralen’ Sinne
schreibt
Heidegger auch:
"Auf
seinen Wegen durchmißt das Dasein nicht als
vorhandenes Körperding eine Raumstrecke, es ‘frißt nicht
Kilometer’,
die Näherung und Ent-fernung ist je besorgendes Sein zum
Genäherten
und Ent-fernten." (SuZ:106)
Hier
ist es
sogar so, daß das
Ent-fernen
im direkten Bezug zum Besorgen gesehen wird. Es wäre m.E.
verkehrt,
die leibliche Erfahrung des Ent-fernens in der "alltäglichen Welt"
dem Ent-fernen im digitalen Medium gegenüber zu stellen und
hieraus
noch ‘kulturkritische’ oder sogar technikfeindliche
Schlußfolgerungen
zu ziehen. Die tatsächliche Zerstörung der alltäglichen
Umwelt hat im Prinzip nichts damit zu tun, daß das Dasein "eine
wesenhaft
Tendenz zur Nähe" (SuZ:105) hat und deshalb Techniken entwickelt,
um "alle Arten der Steigerung der Geschwindigkeit" (SuZ:105)
ermöglichen.
Was sich zunächst verändert hat, ist die Reichweite unserer
"alltäglichen
Umwelt". Allerdings betont Heidegger, daß "die objektiven
Abstände
vorhandener Dinge" sich nicht "mit Entferntheit und Nähe des
innerweltlich
Zuhandenen" decken (SuZ:106). Entscheidend für das Phänomen
des
Ent-fernens ist der Blickpunkt des Besorgens gegenüber dem des
Messens.
Die Verräumlichung des Daseins in seiner Leiblichkeit ist, wie
Heidegger
an dieser Stelle bemerkt (SuZ:108), eine besondere Problematik.
Kehren
wir
aber zum Thema der Ortlosigkeit des logos
und des
digital
Seienden zurück. Die Beliebigkeit des Ortes betrifft im Grunde
jedes
Seiende unter dem Gesichtspunkt des Vorhandenseins. Die Bindung der
Dinge
an einen Ort hat, wenn wir Heideggers Phänomenologie folgen, mit
unserem
Umgang mit ihnen zu tun (Zuhandensein), während Aristoteles diese
Bindung von der physis, von
ihrem natürlichen Ort also, her denkt. Wenn wir
aber die
Möglichkeit
und die Seinsweise des Ent-fernens immer mit uns tragen oder sie uns
trägt,
dann besteht ein möglicher Zusammenhang zwischen dem Dort- und
Dasein
und der Ortlosigkeit des Netzes. Der logos
kann über die
Vergegenwärtigung
des Seienden zwar beliebig verfügen, dann aber ohne Anspruch auf
Entbergung
(aletheuein). Das
Einräumen des Daseins steht vordergründig gesehen in einem
schroffen
Gegensatz zur Ortlosigkeit des Digitalen, wo also jede Ent-fernung
genau
das Gegenteil bedeutet und beinhaltet als das daseinsmäßige
Ent-fernen. Letzteres impliziert ja, dass ein Da-sein ein immer schon
Weg-
oder Dort-sein-können bedeutet. Die leibliche Bewegung des Daseins
(oder: im Da-sein) besagt, dass beim Gehen von hier nach dort, zwar
eine
andere Stelle im Raum-Zeit-Kontinuum eingenommen wird, daß dies
aber
nur die Sichtweise des Vorhandenen ist. Ich meine aber, dass unser
Hier-und-dort-sein-können
— gleichgültig ob wir dies leiblich vollziehen oder nicht — eine
Bedingung
der Möglichkeit darstellt, dass wir solche leiblosen (und auch die
leiblichen!) Techniken des Fort-seins entwickeln. Wären wir nicht
von dieser Art in unserem Im-Raum- und In-der-Zeit-sein, könnten
wir
niemals ein Auto oder das WWW erfinden.
Was heißt 'Ent-fernen'? Es heißt nicht, so Heidegger, etwas
"in den geringsten Abstand von irgendeinem Punkt des Körpers
bringen."
(SuZ:107), wie wenn wir zum Beispiel eine Brille tragen. Dazu schreibt
Heidegger: "Dieses Zeug hat so wenig Nähe, daß es oft
zunächst
gar nicht auffindbar wird." (SuZ:107) Vielmehr: beim Durchqueren eines
Abstandes nimmt das Dasein seine Ent-fernung ständig mit, "weil
es wesenhaft Ent-fernung, das heißt räumlich ist."
(SuZ:108)
Wir hören nicht in der Weise des besorgenden Seins-zu... auf zu
sein,
wenn wir im digitalen Medium die Dinge anders ent-fernen. Wenn wir ein
digital Seiendes abrufen, das dann auf dem Bildschirm flackert und uns
sehr nah oder sehr fern "vorkommen" kann, ist dieses Vorkommen nicht
bloß
‘virtuell’ oder gar ‘subjektiv’, sondern: "In solchem ‘Vorkommen’
aber
ist die jeweilige Welt erst eigentlich zuhanden." (SuZ:106)
Heidegger
schreibt, daß wir — nach Platon — zwei
Möglichkeiten
haben, uns Seiendes anzueignen, nämlich im logos oder aber in
der praxis
(GA19:274). Beim legein wird
der Gegenstand nicht verändert (ouden
demiourgei). Er wird auch nicht an
einen anderen Ort,
z.B.
ins Bewußtsein, transponiert, sondern er bleibt, "wo er ist"
(GA19:276).
Während der topos zum
natürlich Seienden (physei onta)
gehört, trennt
Aristoteles
davon die arithmetischen und geometrischen Gegenstände, also die
Einheit
(monas) und
den
Punkt (stigme),
die ortlos (atopoi)
sind. So wie das natürlich Seiende aber an einem Ort gesetzt
(thetos)
ist,
so sind die
geometrischen Gegenstände auch gesetzt, aber, da sie aus der physis
herausgenommen
wurden, haben sie "gegenüber dem physischen Körper eine
Eigenständigkeit".
(GA19:110) Heidegger schreibt:
"Die
geometrischen
Gegenstände sind
zwar nicht an einem Ort; gleichwohl kann ich an ihnen das Oben und
Unten,
das Rechts und Links bestimmen; an einem Quadrat z.B. kann ich die
Seiten
bestimmen: oben, unten, rechts, links." (ebd.).
Das
ist bei
den Zahlen
dann nicht mehr möglich. Ihre Ordnung ist lediglich die des
"Darauffolgenden"
(ephexes).
"Der
Mathematiker trennt" (ho
mathematikos chorizei), so Aristoteles
(Phys. II,2
193b31ff).
Offenbar ist chora,
der Platz oder Raum, nicht dasselbe wie topos,
der Ort, obwohl Heidegger das terminologisch nicht so sauber trennt.
Der
Sache nach ist es aber so, daß Zahlen und Punkte zwar ortlos,
aber
zugleich getrennt (vom natürlich Seienden) sind. Sie haben also
eine chora, d.h. sie
sind
als 'choristá'
bestimmt.
Zu
Beginn
der Sophistes-Vorlesung (GA 19:18) erwähnt
Heidegger
zwei griechische Definitionen des Menschen, nämlich to zoon logon
echon und das
rechnend-berechnende
Seiende (arithmein) oder zoon
arithmon echon wie wir sagen könnten. Durch den logos
können wir etwas über die Welt sagen d.h. zu- oder absprechen
(kataphasis und apophasis),
wenngleich diese Wahrheits-Funktion des logos nicht die einzige ist.
Die Bitte z.B., wie Aristoteles in Peri
hermeneias
(17a) bemerkt, ist eine Form des Aufweisens, die aber nicht auf
Wahrheit
oder Falschheit ausgerichtet ist, wie die hinweisende auf
Übereinkunft
beruhende Verlautbarung (phone
semantike kata syntheke). Heidegger
schreibt:
"Nicht
jeder
Satz
ist ein theoretischer Satz, eine Aussage über etwas, sondern
irgendein
Ausruf, eine Bitte, ein Wunsch, ein Gebet ist kein logos apophantikos,
in dem etwas mitgeteilt wird, wohl aber semantikos,
er bedeutet etwas, wobei das Bedeuten aber nicht den Sinn des
theoretischen
Erfassens von etwas hat." (M. Heidegger: Prolegomena zur Geschichte
des Zeitbegriffs, GA20:116).
Der
logos
apophantikos
ist also der
"sacherfassende
und mitteilende Logos", wobei
wir nach Aristoteles uns das Seiende
sowohl
hinsichtlich seiner spezifischen Seinsstrukturen, wozu zum Beispiel die
Zahl (arithmos) oder die
Bewegung
gehören als auch hinsichtlich dessen, was dem Seienden als
Seiendes
gehört. Zum Letzteren gehört zum Beispiel das Eine
(hen ), so Heidegger
(GA19:212).
Was
tut nun
der logos apophantikos?
Antwort: Er deckt
auf (aletheuei) und zwar
nach
Aristoteles auf fünf
unterschiedliche Weisen: episteme,
techne, phronesis, sophia, nous, die Heidegger im
einleitenden Teil und
vor der Erörterung der Mathematik und der Geometrie darstellt
(ebd.
S. 21ff). Wie verhalten sich aber aufdecken (aletheuein)
und abtrennen (chorizein)?
Durch
Abtrennen (chorizein)
können
die Ur-Sachen (archai)
des
Seienden
nicht bestimmt werden, so Aristoteles gegen Platon. Die Anhänger
der
Ideen trennen aber die physika,
d.h. sie wenden eine unzulässige oder unsachgemässe Art des logos diesem Seienden
gegenüber an.
Dadurch entsteht (der Schein) einer anderen Sache. Trivial gesagt: wir
können nicht die Sonne von ihr selbst trennen und als die wahre
Sonne,
oder als Idee der Sonne in einem getrennten Ort setzen oder sie dort
entdecken
wollen.
Hier
müßen wir über die "Ortlosigkeit des Logos" nachdenken.
Wie ist das Aufdecken (aletheuein)
durch den zu- und absprechenden logos?
Wichtig scheint mir hier der
Gedanke,
daß für Aristoteles der logos
apophantikos an die aisthesis
sowie an
die phantasia
gebunden bleibt. Das drückte Thomas von Aquin mit dem von
Karl
Rahner ausführlich analysierten Grundsatz der conversio ad
phantasmata
aus, d.h. der Rückkehr der trennenden Abstraktion zu den sinnlich
wahrnehmbaren Dingen, so wie sie uns erscheinen (7).
Was
tun wir
aber, indem wir Punkte und Zahlen in das
elektromagnetische bzw. elektronische
Medium setzen? Eigentlich setzen können wir ja nur Punkte und von
hier aus die geometrischen Figuren, also so etwas wie ein Netz
konstruieren.
Die Ordnung der Zahlen wird ja nicht durch das Netzchaos berührt!
Auf die Zahlen können wir uns nicht nur rechnend, sondern auch
berechnend
einlassen. Die globale Vernetzung ist also ortlos, aber gesetzt.
Mit
Hinblick auf das vorher Gesagte sollten wir auch
anmerken, dass
im Cyberspace das Dasein nicht weniger, wenngleich anders, ‘besorgend’
umgehen kann als in der ‘natürlichen’ Umwelt. Ein digital Seiendes
hat keinen Ort, wo es natürlich hingehört. Es ist aber hier
die
Frage, ob wir nicht anders als Aristoteles und auch anders als Platon
vorgehen.
Denn wir blicken auf das Seiende weder von einem übersinnlichen
Topos
noch von der 'physis',
sondern umgekehrt, vom Mathematischen und Geometrischen her, von wo aus
dann auch die 'physei onta'
als Konstrukte erscheinen.
Die
Frage
ist nur, ob all die sinnlich-leiblichen
Dimensionen in ihrem
Sein nur dann zugelassen und das heißt als seiend zugelassen
werden,
wenn sie sich von der Digitalisierung her erschließen lassen. Die
digitale Ontologie erhebt, wie jeder andere Seinsentwurf, einen
Totalitätsanspruch,
der aber nicht mit Hinweis auf ontische Begebenheiten relativiert
werden
kann. Meines Erachtens ist eine solche Relativierung nur dadurch
möglich,
daß der ‘Anruf’ anderer Seinsentwürfe ‘wieder-holt’ und
wachgehalten
wird. Der dadurch entstandene Wettstreit der Seinsentwürfe
läßt
die gigantomachia peri tes ousias
(Platon), die Seinsfrage also,
wieder
offen. Um dies mit anderen Worten zu sagen: Wenn wir alles als Materie
oder als Geist oder als Leben etc. erschließen, besteht gerade
die
Arbeit des Denkens darin, diese Seinsentwürfe als solche zu
thematisieren.
Dies führt letztlich zu der von Heidegger gestellten Frage nach
dem
‘Ort’, wo die Seinsfrage sich stellt, zum ‘Da-sein’ also, sowie zu der
Einsicht, daß das Dasein grundsätzlich auf das Sichmelden
des
Seins (im Seienden) offen ist.
Diese
Daseinsweise wird scheinbar durch die Seinsart der
Mittel durchkreuzt,
wenn also kein leibliches Ent-fernen stattfindet. Aber das Nahebringen
von z.B. Bildern, Tönen (oder: eines Vogels, eines Fisches etc.)
ist
nur möglich, wenn die Möglichkeit des Dort-sein-könnens
eingeräumt ist. Das ist ja in gewisser Weise bei allen Lebewesen
der
Fall, sofern sie nämlich an der Offenheit teilnehmen. Bei uns ist
aber diese Erfahrung ‘umsichtig’ und ‘ent-fernend’. Wo liegt das
besondere
des digitalen Ent-fernens und seiner heutigen Instrumentalisierung? Wie
und wo sind wir, wenn wir im Netz sind? Was für ein Zwischen ist
(erlaubt)
das Netz? Es gibt hier eine Architektonik, die nicht nur durch die
Ortlosigkeit
der Geometrie und die Ungesetztheit der Zahlen, sondern auch durch die
Seinsweise des Daseins zustande kommt.
Vielleicht
sollten wir bedenken, dass wir bei aller Geisterhaftigkeit
unserer Erfahrung des Im-Netz-seins, wir doch dabei immer 'aisthetisch'
sind (8). Alles, was sich am Bildschirm zeigt, zeigt
sich uns in der Weise der Anwesenheit und somit dessen, was wir zu
Beginn
bezüglich des Ausdrucks "Der nächste Sinn von Sein" sagten.
In
der digital vorgestellten Welt erfüllt sich der Sinn des Satzes:
"Das
Sein der Welt ist Anwesenheit." (GA19:633). Wenn aber der logos selbst
informierend wäre, ohne Weltverweis, wäre das auch eine Weise
des Her-vor-bringens oder somit auch des Künstlich-seins. Die
Unterscheidung
zwischen der techne poietike
und der techne ktetike, d.h.
der
herstellenden und der aneignenden
Technik
wird aufgehoben. Dies war die sophistische Ent-deckung des logos.
Auch
im
Zustand des Traumes befinden wir uns in einem
Medium, in dem
einige der merkwürdigen Eigenschaften des Cyberspace vorkommen so
z.B. die plötzliche Beziehung auf räumlich Entferntes oder
das
Überspringen der kosmischen Zeit. Eigentlich ist das Klicken mit
den
Fingern nur ein Mittel, wodurch wir uns "in diesem Raum bewegen", was
auch
für Augenlider oder Gehirntätigkeit gilt. Diese
körperlichen
Bewegungen setzen etwas in Bewegung, nämlich die Lichtsignale,
wodurch
dann die Daten zu uns kommen. Es findet eine digitale Auslagerung oder
"ein outsourcing des nous"
(M. Eldred) statt. Die Computerprogramme objektivieren — etwa auf einer
Festplatte — das Verstehen von Welt und machen die Auslegung dieses
Verstehens
vom Prozessor berechenbar. Ich habe früher ein solches
Phänomen
ein ‘verobjektiviertes Vorverständnis’ genannt und zwar in bezug
auf
die ausdrücklichen Horizonte, die wir zum Beispiel einer Datenbank
zugrunde legen, wenn wir in/aus ihr etwas finden wollen. Dergleichen
sind
Klassifikationen oder Thesauri, d.h. alphabetisch geordnete Sammlungen
von Fachtermini, die dann für eine gezielte Suche (information
retrieval) verwendet werden (9).
Was
sich
also zwischen dem Dasein und der
elektromagnetischen bzw. elektronischen Dimension
bewegt sind die Licht– (bzw. elektromagnetischen oder
elektronischen) Signale. Zugleich aber,
wie beim Telefon oder beim Fernsehen, sind wir in einer
bestimmten
Weise bei den entfernten Dingen selbst. Das bedeutet, daß wir die
Möglichkeit haben, über Entfernungen, die unsere
gewöhnlichen
körperlichen Möglichkeiten übersteigen, zu agieren. Ich
nenne das actio digitalis in distans (10).
Unsere
Möglichkeit der digitalen Ent-fernung ist eine ausgezeichnete
Weise
des In-der-Welt-seins.
Wir
sind inzwischen über die
Vorstellung einer Synthese
von mechanischen
und menschlichen Elementen hinaus, das Paradigma der Mechanik ist von
dem
der Digitalisierung abgelöst worden. Das bedeutet m.E. nicht nur,
daß wir uns in einem universellen Bereich der Zahlen und
Buchstaben
bewegen, sondern daß wir sie in ein bestimmtes
elektromagnetisches oder elektronisches ekmageion
einprägen, (wobei der Platonische Ausdruck hier nur teilweise
richtig
ist, denn das ekmageion
ist ja gänzlich formlos, während das elektromagnetische bzw.
elektkronisches
Medium
schon eine Form hat), um von hier aus alles Seiende in seinem Sein als
digital-seiend aufzufassen und zu formen, oder, um es Heideggerianisch
auszudrücken, um unser Sein-bei umsichtig (digital) zu besorgen.
Da
wir aber im Netz auch ‘mit’ den Anderen sind, sind auch alle
Möglichkeiten
des Ent-fernens von Dasein zu Dasein und somit auch alle
(Verfalls-)Formen
der "Fürsorge" — von der "einspringend-beherrschenden" bis zur
"vorspringenden-befreienden"
— innerhalb der Möglichkeiten dieses Mediums gegeben. Das
bedeutet,
dass wir uns zugleich in unterschiedlichen Seinsentwürfen bewegen,
auch wenn wir sie nicht als solche wahrnehmen. Das elektromagnetisch
und
mathematisch in-formierte ekmageion)
wird also zum Aufnehmenden. Es ist die chora,
in die dann die topoi
eingeschrieben werden. Platonisch gedacht
vermittelt dieser Raum
zwischen
dem Sinnlichen und dem Übersinnlichen (dem Mathematischen).
4.
WAS IST INFORMATION?
Wir
sprechen von digitaler Information. Was ist aber Information? Vor
etwa zwanzig Jahren untersuchte ich diese Frage dem etymologischen Wink
folgend, den Carl Friedrich von Weizsäcker gab:
"Man beginnt sich daher heute daran zu gewöhnen,
daß Information
als eine dritte, von Materie und Bewusstsein verschiedene Sache
aufgefasst
werden muß. Was man aber damit entdeckt hat, ist an neuem Ort
eine
alte Wahrheit. Es ist das platonische Eidos, die aristotelische Form,
so
eingekleidet, daß auch ein Mensch des 20. Jahrhunderts etwas von
ihnen ahnen lernt." (11)
Dieser Text stammt aus einem Vortrag "Sprache als Information", den
Weizsäcker
im Rahmen der Vortragsreihe "Die Sprache" hielt, die vom 19.-23. Januar
1959 in der Aula der Universität München, sowie vom 26.-30.
Januar
im Ernst-Reuter-Haus in Berlin stattfand. Sie wurde von der Bayerischen
Akademie der Schönen Künste und der Akademie der Künste
zu Berlin veranstaltet. An dieser Vortragsreihe nahm auch Heidegger mit
dem Vortrag "Der Weg zur Sprache" teil
(12).
Heidegger
spricht von einem "Geflecht von Beziehungen, darein wir selber schon
einbezogen
sind", wenn wir versuchen "die Sprache als die Sprache zur Sprache zu
bringen".
"Ein Geflecht", so Heidegger, "drängt
zusammen, verengt
und verwehrt die gerade Durchsicht im Verflochtenen. Zugleich aber ist
das Geflecht, das die Wegformel nennt, die eigene Sache der Sprache.
Darum dürfen wir von diesem Geflecht, das dem Anschein nach alles
ins Unentwirrbare zusammendrängt, nicht wegsehen. Die Formel
muß
unser Nachdenken eher bedrängen, damit es versuche, das Geflecht
zwar
nicht zu beseitigen, aber so zu lösen, daß es den Blick in
das
freie Zusammengehören der durch die Formel genannten Bezüge
gewährt.
Vielleicht ist das Geflecht von einem Band durchzogen, das auf eine
stets
befremdende Weise die Sprache in ihr Eigentümliches entbindet. Es
gilt, im Geflecht der Sprache das entbindende Band zu erfahren. Der
Vortrag,
der die Sprache als Information bedenkt und dabei die Information als
Sprache
denken muß, nennt dieses in sich zurücklaufende
Verhältnis
einen Zirkel und zwar einen unvermeidlichen, zugleich aber sinnvollen.
Der Zirkel ist ein besonderer Fall des genannten Geflechtes."
(ebd.)
Nach Heidegger sprechen nicht primär wir, sondern die Sprache
'spricht'
oder eher sollten wir sagen 'zeigt', was Heidegger die 'Sage' nennt,
und
die uns das Sprechen gewährt. "Die Bewegung der Sage zur Sprache
ist",
so Heidegger, "das entbindende Band, das verbindet, indem es
er-eignet."
(ebd.). Heidegger kontrastiert das Ent-sprechen der Sage oder, wie wir
auch sagen könnten: das Ent-sprechen der natürlichen Sprache,
mit dem Entsprechen der Dinge in ihrer Bestellbarkeit, dem
Ge-Stell
also: "Das so gestellte Sprechen wird zur Information" (ebd.). Von hier
aus wird die "natürliche" Sprache als die "noch nicht
formalisierte"
Sprache aufgefaßt, das "Unbestellbare des Ereignisses" ist nicht
mehr im Blick. Eine Umkehr würde sich dann ereignen, "wenn das
Ereignis
durch seine Einkehr jegliches Anwesende der bloßen Bestellbarkeit
entzöge und es in sein Eigenes zurückbrächte." (ebd.)
Heidegger
sagt wohl der "bloßen" Bestellbarkeit, denn auch wenn das
Seiende
aus dem Blick des Unbestellbaren, also des von sich Ereignenden,
erblickt
wird, lässt es sich ja auch bestellen, so wie umgekehrt auch,
sonst
wäre keine "Einkehr" möglich. Ich habe dieses Geflecht einmal
folgendermaßen zur Sprache gebracht:
"Die Sprache meldet sich zwar in der Information,
sie kommt
aber wesentlich zu Wort in der Dichtung" wobei ich dann, Heidegger
folgend,
unter "Dichtung" nicht das Machen von Gedichten verstehen, sondern die
dichterisch-denkerische Erfahrung der (von der) Sprache verstehe, also
das Sich-sagen-lassen, das uns immer schon eingeholt hat, auch und
gerade,
wenn wir Sprache als Instrument (also Sprache als Information)
gebrauchen." (13)
Genau dieser Zirkel zwischen Sprache als Sprache und Sprache als
Information
ist das, was Weizsäcker im Blick hat wenn er von Information als
(sprachliche)
Mitteilung
und von Information im Sinne von Struktur (oder
Form)
eines Gegenstandes auffaßt. Mit dieser doppelten Sichtweise von
Information
hat sich Weizsäcker öfter auseinandergesetzt. Ich habe diesen
Weg woanders zusammengefaßt
(14). Hier nur so
viel: Information zielt auf Eindeutigkeit (und Genauigkeit) und
befindet
sich dabei in einem Geflecht mit der natürlichen Sprache. Was sie
zum Ausdruck bringt, ist eben die Form eines Gegenstandes, wobei
Weizsäcker
in diesem (frühen) Vortrag die Frage offen läßt,
inwiefern
wir von Information jenseits der (menschlichen) Sprache sprechen
können.
Dies wird in den späteren Schriften vertieft und zwar im Sinne der
bedeutungsschweren griechischen Begriffe:
eidos,
idea,
typos
und
morphe. Dabei
hängen
beide
Informationsbegriffe zusammen in einem Geflecht, sozusagen, wobei dann
alles auf die Frage nach dem "lösenden Band" ankommt: Die
gewußte
Form ist zugleich die Form des Gegenstandes, das subjektive Wissen ist
zugleich "objektivierte Semantik". Daraus leitet Weizsäcker zwei
grundlegende
Thesen, auf die er immer wieder zurückkommen wird, ab,
nämlich:"Information
ist nur, was verstanden wird" und "Information ist nur, was
Information
erzeugt". Die erste These ist so gemeint, dass auch von einem
Organismus,
der die DNS-Information in Proteingestalten umsetzt, gesagt werden
kann,
dass dieser die Information "versteht". Information und Verstehen sind
also Phänomene des Lebendigen. Daraus wird die zweite These
abgeleitet.
Der Informationsbegriff wird hier auf den Prozeß der organischen
Formung bezogen.
Im
Begriff
der Information, so Heidegger im zusammen mit
Eugen Fink
veranstalteten Heraklit-Seminar vom Wintersemester 1966/67, liegt eine
Zweideutigkeit vor, zum einen "die informations-theoretische
Interpretation
des Biologischen und zum anderen den darauf gegründeten Versuch,
aktiv
zu steuern":
"Die Gene", so Fink, "zeigen eine bestimmte
Geprägtheit und haben
daher den Charakter von Langspeichern. Der Mensch lebt durch die
genetische
Bedingtheit sein Leben, das er scheinbar als freies Wesen hinbringt.
Hier
ist jeder der Bedingte der Vorfahren. Man spricht auch von der
Lernfähigkeit
der Gene, die wie die Komputer lernen können.
Heidegger: Wie aber steht es mit der Information?
Fink: Unter Information versteht man einmal das informare, die
Prägung,
das Formeinpressen und zum anderen die Nachrichtentechnik.
Heidegger: Wenn die Gene das menschliche Verhalten bestimmen, entfalten
sie dann die in ihnen liegenden Nachrichten?
Fink: Gewissermaßen. Bei den Nachrichten handelt es sich hier
nicht um die, die der Mensch aufnimmt. Gemeint ist, daß er sich
so
verhält, wie wenn er einen Befehl aus dem Genespeicher
bekäme.
Von hier aus gesehen wird die Freiheit zur geplanten Freiheit.
Heidegger: Information besagt also einmal das Prägen und zum
anderen
das Nachricht-Geben, auf das der Benachrichtete reagiert. Durch die
kybernetische
Biologie werden die menschlichen Verhaltensweisen formalisiert und die
gesamte Kausalität wird verwandelt. Wir brauchen keine
Naturphilosophie,
sondern es genügt, wenn wir uns darüber klar werden, woher
die
Kybernetik kommt und wohin sie führt." (15)
Das Problem des Informationsbegriffs liegt für Heidegger nicht
darin,
dass er im Sinne von Prägen gebraucht wird, sondern in der damit
verbundenen
(kybernetischen) Vorstellung, eines Nachricht-gebens. Bei dieser
zweiten
Bedeutung übertragen wir aber eine Dimension des menschlichen
Seins
auf die Ebene der Gene und begehen wir eine
metabasis eis allo genos.
Dies kann in vieler Hinsicht nützlich sein, aber wenn diese
Vorstellung
sich absolut setzt, dann ist es natürlich mit dem offenen
Menschsein
dahin. Dieses Problem hat Weizsäcker Zeit seines Lebens
beschäftigt.
Er drückt das mehrfach im Sinne der oben genannten "objektivierten
Semantik" aus. "Wieviel Information enthält die objektivierte
Semantik
einer gegebenen Informationsmenge? Wieviel bits braucht man, um ein bit
zu verstehen?" Zwei Antworten sind, so Weizsäcker,
möglich:
Wir können z.B. die Anzahl der genetischen Information auf
2 n
bits festlegen. Mit dem
n drücken wir die Formmenge eines
bestimmten
Individuums einer Spezies aus. Wir können aber auch die Formmenge
eines Organismus etwa so erfassen: DNS-Buchstaben x Anzahl der
Eiweißmoleküle
x Anzahl der Zellen ... eine sehr große Zahl also, die
Information
über die DNS-Kette des Kerns einer beliebigen Zelle eines
beliebigen
Organismus dieser Spezies. Die erste Zahl artikuliert die Form oder das
Eidos aber nicht die Informationserzeugung, die zweite umgekehrt. Beide
Aspekte gehören aber im Informationsbegriff zusammen
(Weizsäcker
a.a.O.).
Die
Sprache
ermöglicht uns, so Weizsäcker in einer
späteren
Schrift (16), in einem Feld von
Möglichkeiten/Formen
zu handeln. Begriffe sind kein Abbild der Welt, sondern
Möglichkeiten
unseres Handelns. Information ist für uns wissbare Form über
die Gestaltenfülle der Dinge. Da wir in einem
Selbstformungsprozeß
des Universums einbettetet sind, ohne dass wir das Ganze zu erfassen
vermögen,
hat unsere Begrifflichkeit oder unsere In-formation —
also die Art und Weise wie wir in-formiert werden und wie wir die Dinge
(wissend) in-formieren) — eine besondere Unschärfe, die sich nicht
aufheben läßt. Wir können die Dinge, Kantisch
gesprochen,
nicht so fassen, wie sie "an sich" sind. Oder, Heideggerianisch gesagt,
die Sage übersteigt immer unser Sprechen, und wenn wir die Sprache
als Sprache zur Sprache bringen, dann bewegen wir uns in Richtung auf
diese
Gestaltenfülle, die wir durch das Setzen von Sprache als
Information
notwendigerweise reduzieren und somit reduzieren wir auch die Dimension
der möglichen Gestaltenfülle oder des Seins dessen, was
ist.
Information
meint also genau diese
Spannung zwischen
Formgebung oder
Bestimmung der Form (genitivus
subjectivus) also den
Prozeß
der Erzeugung von In-forma-tionen und Bestimmung der Form (genitivus
objectivus), also den
Prozeß wodurch wir eine Form sprachlich
bestimmen, das Seiende also eidetisch/sprachlich fest-halten. Dieses
können
wir auch in bezug auf die Sprache selbst tun, worauf sich Heidegger
ebenfalls
im Vortrag bezog. Wo ist aber im Geflecht der Sprache mit sich selbst
und
im Geflecht der Sprache mit der Welt das "entbindende Band"? Genau in
der
Bewegung der "Sage" zur "Sprache", d.h. in einer Bewegung die
ent-bindet,
oder ent-läßt oder er-eignet, also Möglichkeiten
eröffnet,
anstatt sie fest-zu-schreiben. Das gilt, meine ich, auch für das
Geflecht
zwischen Sprache und Welt, sofern nämlich hier die Bewegung von
der
Welt her in die Sprache ent-lassen wird, so dass wir der
Gestaltenfülle
in unserem Sprechen von der Welt und in unserem Handeln 'in' ihr so
sind,
dass wir uns auf das Möglich-sein der Dinge einlassen, sie also
von
unseren Be-griffen ent-binden, nachdem wir sie so und so
auf-gefaßt
haben. Es handelt sich also um eine doppelte Bewegung, deren Band auch
unsere Wissenschaft und Technik entläßt und uns
selbst
in das Frei-sein des Möglichen einläßt.
5.
DASEIN, DAWESEN UND TOD
Der
Philosoph und Mathematiker Oskar
Becker (1889-1964), der bei Edmund
Husserl habilitierte und Mitherausgeber des "Jahrbuchs für
Philosophie
und Phänomenologische Forschung" war, in dem Sein und Zeit
zuerst erschien, suchte in seinem Spätwerk eine Synthese zwischen
dem mathematischen und dem "existentiellen" Denken. Er sprach von einer
"paraexistentiellen" Naturverbundenheit oder "Dawesen" des Menschen —
komplementär
zum "Dasein" — aus der heraus er Mathematik betreibt. Er
schreibt:
"Denn das mathematische Denken
verbindet höchste
Rationalität
mit - im Prinzip - völligem Mangel an geschichtlichem
Bewußtsein.
Also nicht aus den Kräften heraus, die ihn zum
geschichtsbewußten,
'existentiellen' Wesen aufsteigen ließen, treibt der Mensch
Mathematik,
sondern aus seiner unzerstörbaren, 'paraexistentiellen'
Naturverbundenheit
erwächst ihm die Macht, die Natur, da wo sie unverstehbar ist, und
gerade da, durch mathematisches Denken zu enträtseln, das
heißt
sie in dem ihr allein eigentümlichen 'kristallenen' Licht leuchten
zu lassen. So ermöglicht uns die Abwägung der Seins-Gewichte
von Geschichte und Mathematik einen tiefen Einblick in die
Doppelgestaltetheit
des Menschen, in sein 'Dasein' und 'Dawesen'".(17)
Becker stellt fest, dass "die
philosophische Frage nach der Grenze der
mathematischen Denkweise" erst in der Neuzeit auftaucht, auch wenn sie
in der Antike präfiguriert war und zwar im Gegensatz zwischen
Platon
und Aristoteles bzw. zwischen dem "platonischen Realismus" und dem
"Nominalismus"
oder "Konzeptualismus". Becker erläutert die Entstehung der
mathematischen
Gebilde bei Aristoteles durch "Abstraktion" ('aphairesis') und sieht
hier
"einen ersten Ansatzpunkt" für das Problem der Grenze des
Mathematischen
(ebd. S. 152). An einer anderen Stelle erläutert er die Entstehung
des Mathematischen bei Aristoteles wie folgt:
"Aristoteles ist der
philosophische Theoretiker des
Unendlichen, dessen
Wesen er im unbegrenzt fortsetzbaren Prozeß erblickt, so
daß
es nach ihm bloß in der Form der Möglichkeit, 'der Potenz
nach',
sein Sein hat. Den Grund des Seins des Mathematischen überhaupt -
das ist seine zweite fundamentale These - sieht der Stagirit im
Gegensatz
zu Platon in der Abstraktion. Das heißt: er faßt die
mathematischen
Gebilde nicht als in sich selbst und aus sich selbst bestehende
Wesenheiten
('Substanzen') auf, sondern erklärt sie für durch
'Weglassung'
(Aphairesis) aus den konkreten physischen Dingen entstandene
Objekte,
d.h. für Gedankendinge, Produkte des menschlichen (und vielleicht
auch des göttlichen) Geistes. In einem eigenartigen Zusammenhang
damit
erfaßt er das Wesen der 'allgemeinen' mathematischen
Gegenstände,
wie z.B. die Proportionen im Sinne der Eudoxischen Theorie, durch eine
höhere Stufe der Abstraktion von nicht generalisierender, sondern
formalisierender Art.
Hieran und an gewisse spätantike Weiterbildungen knüpft im
17. Jahrhundert die neue abendländische Mathematik an, die in
ihrer
Idee einer Mathesis universalis, auf der Buchstabenrechnung
Vières,
der analytischen Geometrie des Descartes und endlich auf den
Leibnizschen
kühnen Entwürfen universaler Kalküle fußend, sich
im Laufe der drei folgenden Jahrhunderte zu einer gewaltigen,
weitverzweigten
Wissenschaft von immer formaler werdendem Charakter entfaltet. Allein,
dieser unaufhaltsame Drang nach vorwärts, wie ihn besonders die
Analysis
des 18. Jahrhunderts zeigt, führt zu Unbesonnenheiten, die
Widersprüche
zur Folge haben." (ebd. S. 98-99)
Dadurch ergibt sich für
Becker die Frage nach der Grenze des
mathematischen
Denkens, die aber "weder Descartes noch Leibniz kennen". Für sie
war
die Zahl "eine metaphysische Grundgestalt, welche die Struktur des
Universums
wesentlich mitbestimmt." Erst mit Kant aber tritt ein
"höchstbemerkenswerter
Rückschlag" ein (ebda. S. 153). Der Mensch ist nicht mehr, wie
für
Leibniz, ein schaffender Spiegel des Universums, eine Ebenbild Gottes,
sondern er ist auf Anschauungen angewiesen und somit begrenzt.
Geometrie
und Arithmetik sind nicht rein verstandesmäßig, sondern
bedürfen
des Schemas der Zeitreihe. Hier liegt für Kant die Grenze des
mathematischen
Denkens, denn Zeit, als Form des inneren Sinnes, ist etwas spezifisch
Menschliches,
"das nicht jedem Vernunftwesen zukommt." (ebd. S. 154). Ob und wie aber
etwa göttliche oder andere nicht menschliche Wesen zählen,
darüber
wissen wir nichts. Wie wirkt sich diese Grenze für Kant aus? Im
Falle
der theoretischen Physik gelten die Gesetze der euklidischen Geometrie soweit
sie in die Sinne fällt, was
aber die
Möglichkeit
der modernen Physik offen läßt, so Becker, wenn diese andere
Strukturgesetze der Natur entdeckt. In bezug auf die reine Mathematik
scheint
es so zu sein, dass Kant ihre Anwendung auf Dinge an sich ablehnen
würde.
Becker sieht einen tieferen Grundsatz bei Kant, nämlich den von
der
"Endlichkeit des Menschen". Hier trifft er sich mit Heideggers
Existenzialanalytik.
Er schreibt:
"Die Zeit ist nicht nur die
Form des inneren Sinnes,
sondern die Grundstruktur
des menschlichen Daseins überhaupt. Wir sind als Menschen
wesentlich
zeitlich; unsere Existenz selbst ist keine bloße Form, die uns
umgibt,
sondern ganz und gar unser Sein und Wesen.
Das zeigt sich auch - so oft es auch verkannt wird - an der Mathematik.
Es ist nicht so, daß das mathematische Denken durch die
Zeitlichkeit
und die damit aufs engste zusammenhängende Endlichkeit des
Menschen
eingeschränkt oder gehemmt würde; sondern im Gegenteil wird
es
allererst durch sie ermöglicht. Wir können und müssen
nur
deshalb zählen und rechnen, weil wir zeitliche Wesen und endliche
Wesen sind. Ein ewiges unendliches Wesen zählt nicht. Es braucht
nicht
zu zählen, ja es kann gar nicht zählen. Die Tätigkeit
des
Zählens und Rechnens hätte für es gar keinen Sinn."
(ebd.
S. 158).
Das steht im Gegensatz zu
Leibniz ("Dum Deus calculat et cogitationem exercet, fit
mundus" G.W. Leibniz: Die philosophischen Schriften, Hildesheim 1961,
Bd. 7, S. 191),
aber auch zum Geometrietreibenden Gott des Platon. Fazit: Nur ein
endliches
Wesen stellt sich das mathematische Problem nach der Beherrschung des
Unendlichen.
Auch ein unendlich lebender Mathematiker käme mit dem Zählen
an ein Ende. Dies weist wiederum auf den Aristotelischen Begriff der
potentiellen
Unendlichkeit. "Weder Gott noch Tier können Mathematik betreiben,
das kann nur das Zwischenwesen Mensch." (ebd. S. 161)
Schließlich
zitiert Becker Heideggers Wort, dass
"Mathematik nicht
strenger, sondern nur enger als Geschichte oder Philosophie ist". Damit
wird Mathematik "an den Rand des Gebiets des Erkennbaren
gedrängt".
Das, worauf es ankommt, ist ganz un-mathematisch:
"Die mathematische
Betrachtungsweise verlegt sich ganz auf
den "Bezugssinn"
einer Erscheinung, ist gleichgültig gegen ihren Gehalt (den sie
als
bloßen Stoff ansieht) und vernachlässigt den Vollzugssinn —
soweit wie möglich. Daß ihr das nicht völlig gelingt,
daran
ist, wie wir sahen, die unzerstörbare Verknüpftheit auch des
mathematischen Operierens mit der Endlichkeit des Menschen schuld.
Seine
vornehme Zurückgezogenheit auf den Bezugssinn, seine
"Neutralität",
muß der Mathematiker freilich mit der Verarmung seiner "Existenz"
bezahlen. Er ist dem lebendigen Dasein entfremdet." (ebd. S. 161-162)
Damit knüpft Becker an
eine Überlegung zum Problem
Verstehen/Erklären
an: Weder kann die Mathematik die Phänomene verstehen wie
dies
die interpretierenden Geisteswissenschaften tun, noch kann sie immer
alles erklären. Sie kann aber ein Erscheinungsgebiet
"beherrschen"
und hier sind ihr "keine Grenzen gesetzt" (ebd. S. 168).
Mit
anderen
Worten, die Grenzen des Mathematischen sind die,
wo die
Interpretation der historischen Phänomene ansetzt und umgekehrt,
die
Grenze des hermeneutischen Denkens zumindest die der anorganischen
Natur.
Somit erweist sich diese Schranke als eine Grenze, die nicht die ihre
ist,
sondern, paradox gesagt, die des historischen Verstehens:
"Was also eigentlich
beschränkt wird, ist der
universale Anspruch
des historisch-hermeneutischen "Geistes", alles verstehen zu
können.
Von hier aus gesehen, erfährt die früher angeführte
Äußerung
Heideggers über die "Enge" der Mathematik im Vergleich zur
Geschichte
eine eigentümliche Beleuchtung. Nicht die Mathematik, sondern die
"Geschichte" erscheint jetzt als "eng", d.h. beschränkt in ihrem
möglichen
Ziel und ihres allumfassenden Anspruchs beraubt. Die Gebiete der
Mathematik
und Geschichte schränken sich gegenseitig ein; in diesem Punkte
besteht
eine symmetrische Gleichberechtigung von beiden. Aber in anderer
Hinsicht
ist ein Unterschied zwischen ihnen. Das mathematische Denken macht von
vornherein nicht den Anspruch, allumfassend zu sein." (ebd. S. 170).
Das scheint mir das
'Vor-Urteil' von Oskar Becker gegenüber dem
Universalitätsanspruch
der Hermeneutik zu bestätigen. Wenn aber Heidegger einen anderen
nicht-sprachlichen
Zugang zum Sein sucht, dann denkt er wohl weder mathematisch, noch
'logisch',
noch hermeneutisch. Könnte es sein, dass Heidegger hier nach den
Grenzen
des logos sucht, und diese im
Sein erblickt? Hätten wir aber dann
nicht eine ähnliche Situation wie Kant gegenüber dem "Ding an
sich", d.h. etwas worüber er eigentlich nicht sprechen — was er
nicht
begreifen — kann, das er aber dennoch benennt? Was für einen Sinn
hat die Rede von 'Grenze', worauf Becker hinweist?
Ich
denke
in diesem Zusammenhang an Jacques Derridas Apories
. Mourir
— s'attendre aux 'limites de la vérité' (18).
Wir sprachen ja auch von den Grenzen von Punkten und Linien. Wir haben
dabei stets mit Raum und Zeit zu tun. Heidegger nennt sogar das
Mensch-sein
von seiner Grenze her als "Sein-zum-Tode". Wird da der Tod
'verstanden',
indem er zur Sprache gebracht wird? Derrida thematisiert auch in diesem
Zusammenhang die Frage des Wartens und Erwartens, der "Sorge" also, ein
klassisches jüdisch-christliches Thema (ebd. S. 139).
Wir
sprechen auch vom 'Zeitpunkt' des
Todes, was juristisch
und medizinisch
zum Beispiel in Zusammenhang mit Spenderorganen wichtig ist. Für
Heidegger
gehört die Vorstellung von Zeitpunkten, die 'Jetztzeit', zum
'vulgären'
Zeitbegriff von dem sich die ursprüngliche Zeitigung des
Existierens
abhebt. Letztere bezieht sich auf das Zusammengehören der drei
"Zeitekstasen"
(Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft). Der späte Heidegger
bedenkt
sogar dieses Zusammengehören im Sinne einer vierten Dimension der
Zeit. Daraus läßt sich schließen, dass die
'eigentliche'
Zeit einen Raumcharakter hat oder, anders ausgedrückt, dass die
'Zeitpunkte'
zwar abstrakt oder 'gesetzt' sind, aber durch diese Setzung den
ursprünglichen
'Ort', das Dasein, nicht mehr erblickt wird. Dadurch können wir
sie
zählen und zum Beispiel Uhren bauen. Die Uhren zählen dann
die
Zeit und bringen den Tod, wie in antiken Uhren sichtbar, mit einem
Punkt
zusammen. Die Grenze des Todes wird dadurch nicht begriffen aber
berechenbar.
Mit dem Zählen der Zeit werden die Zahlen auf einen Ort (in einer
Uhr) festgelegt. Daraus entsteht ein neues Gefüge zwischen Zeit,
Punkt,
Zahl und Ort, in dem die Punkte verzeitlicht und die Zahlen verortet
werden.
Mir scheint dieses Gefüge wesentlich für die Konstruktion von
Maschinen — zunächst Uhren, dann Computer —, die nach diesem
Prinzip
funktionieren. Dem Geviert von Zeit-Ort-Punkt-Zahl entspricht das
Geviert
Tod-Leben-Logos-Eidos und immer bedenken wir dabei
ihr eigenes 'Sein':
Tod-sein, Am-Leben-sein, So-und-so-sein und So-und-so-verstanden-sein.
Zum Todesbegriff (eigentlich ist das ein Oxymoron!) gehört dann
auch
'Materie', so wie zu Leben auch 'lebendige Materie' gehört. Aber
das
sind metaphysische Begriffe: Sie kennzeichnen nur ein Problem. Wir
können
aus der jeweiligen Perspektive die anderen Seinsweisen erblicken aber
dadurch
verzerren wir sie auch aufgrund der Perspektive.
6. DIGITALE
WELTVERNETZUNG UND KAPITAL
Zu
Beginn von
Das Kapital im ersten Kapitel "Die Ware" schreibt
Marx:
"Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen die kapitalistische
Produktionsweise
herrscht, erscheint als eine
ungeheure
Warensammlung, die
einzelne
Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der
Analyse der Ware."
(19) Jetzt müssen wir
diesen
Satz folgendermaßen umformulieren: Der Reichtum der
Gesellschaften,
in welchen die digitale Produktionsweise herrscht, erscheint als eine
ungeheure
Informationssammlung, die
einzelne Information als seine
Elementarform.
Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Information. Die
Information ist aber — ich ändere den folgenden Text von Marx —
kein
äußerer Gegenstand, kein Ding, das durch seine Eigenschaften
menschliche Bedürfnisse irgendeiner Art befriedigt, sondern
Information
ist ein Prädikat zweiter Ordnung. Menschliche
Informationsbedürfnisse
werden nicht durch die Eigenschaft eines äußeren Dinges
genannt
Information befriedigt, sondern ein Ding mit Eigenschaften tritt erst
in
ein Informationsverhältnis ein, wenn es in einem (digitalen)
Wertzusammenhang
erfaßt wird.
Das
Eigentümliche dieses Verhältnisses liegt
darin, dass auch
wir prima facie sagen, dass ein ‘objektiver’ Informationsbedarf
oder ein subjektives Informationsbedürfnis befriedigt wird, in
Wahrheit
dieser Bedarf/dieses Bedürfnis ins Unermeßliche steigt, denn
wir können nie genug/ausreichend informiert (und
in-formiert)
sein. Warum nicht? Weil die Situationen, in denen wir die Dinge in ein
Informationsverhältnis bringen können (oder in denen sie
erscheinen
können), im wahrsten Sinne des Wortes un-endlich sind. Lediglich
der
Tod stellt eine (für uns) nicht überschreitbare Grenze der
In-formation
dar. Das Wertsein läßt sich nicht allein und
ausschließlich
durch den Bezug auf seine Herstellbarkeit durch den Menschen ausmessen,
sondern hat eine Eigendynamik, weil wir, in der Sprache der
Systemtheorie
ausgedrückt, keine Beobachterstelle außerhalb des Systems
besitzen:
Jede Beobachtung ist eine Bewertung, die im selben Augenblick (wie bei
der Quantenmechanik) den Wert des Beobachteten ändert. Wenn dies
auch
von anderen Beobachtern/Bewertern getan wird, dann ist es
buchstäblich
unmöglich, mich überall bei mir und bei den anderen zu
befinden.
Einen absoluten Beobachter der alle Werte in sich vereint, scheint es
nicht
zu geben. Die Dinge haben also letztlich einen unfaßbaren
Wert. Unter einer eingeschränkten ökonomischen Perspektive
und
bezogen auf das Wissen gilt aber insofern die Marxsche Analyse als nur
jenes Wissen wertvoll ist, dass zur Steigerung des Kapitals
beiträgt
und somit gewinn-bringend ist, der Maßstab des Wissens ist nicht
die Wahrheit, sondern der Gewinn, dies nicht kulturkritisch gemeint,
sondern
im Sinne dessen, was Wissen aus der Perspektive des Wertes ist,
damit geht ineins die Veränderung der Wissensinstitutionen,
-vermittlungen
etc. Der gierige Mensch ist deshalb gierig, weil er sich dem
un-endlichen
Drang der Mittel aussetzt und er tut dies, weil er ein unbegrenztes
Verlangen
nach Leben, Genuß und eben auch nach Wissen ist.
Wenn
die
Digitalisierung zu einem Entbergungsmodus des
Seienden im Ganzen
wird und wir dann mit Recht von einer ‘digitalen Ontologie’ sprechen
können,
dann erscheinen alle ‘Regionen’ oder ‘Sphären’ des Seienden als
digital-seiend.
So sprechen wir jetzt von E-Commerce und E-conomy, aber auch von
virtuellen
Hochschulen, virtuellen Gemeinschaften, Internet-Demokratie, digitalen
Bibliotheken, usw. Wie ist das Verhältnis zwischen den Zahlen und
dem Kapital? Wodurch wird das Kapital konstituiert? Bedarf das Kapital
auch eines homogenen Mediums wie die Zahlen?
Dazu
gehört die schon angesprochene Qualität der
Verselbständigung
bei technischen Produkten. Die digitale Weltvernetzung ist aber eine
hybride
Erscheinung, die zugleich selbständig und unselbständig ist.
Das macht sie auch so schillernd, menschenfreundlich oder -ähnlich
und fetischartig zugleich. "Fetischismus" kommt vermutlich vom
Portugiesischen feitiço,
was so viel bedeutet wie
"Zaubermittel",
wörtlich "Nachgemachtes, künstlich Zurechtgemachtes" sowie
dann
"mit magischer Kraft erfüllter Gegenstand, Götzenbild"
(DUDEN).
Eigentlich
gehört Eigenleben dem Natürlichen, der physis also.
Eine
Kategorie wie Warenbesitzer ist nicht eins zu eins
übertragbar
auf Informationsbesitzer. Der Austausch von Informationen und der
Austausch
von Waren sind nicht gleichwertig. Die Zirkulation von Information und
die Warenzirkulation schaffen nicht dieselbe Art von Wert, weil sie ja
nicht menschliche Bedürfnisse im selben Maße ‘befriedigen’.
Geldfetisch und Warenfetisch entstehen dadurch, daß Dinge
außer
Kontrolle des "gesellschaftlichen Produktionsprozesses" geraten (Marx Das
Kapital
a.a.O. Band 1, 1. Kap.). Ausgerechnet das abstrakte Medium Geld ist
"nur
das sichtbar gewordene, die Augen blendende Rätsel des
Warenfetischs."
(ebd.) Menschliche Arbeit ist aber nur eine (mögliche) Form von
In-Formation
und sie wird heute im Rahmen des Digitalen vollzogen. Das
verändert
aber die ganze Marxsche Analyse von Grund auf. Marx schreibt, daß
der Fetischcharakter der Waren dadurch entsteht, daß diese als
selbständig
(also als Waren) erscheinen, obwohl sie (bloß) ein Produkt
gesellschaftlicher
Arbeit sind. "Es ist nur das bestimmte gesellschaftliche
Verhältnis
der Menschen selbst, welches hier für sie die phantasmagorische
Form
eines Verhältnisses von Dingen annimmt." (ebd.). Nicht nur die
In-formationsprozesse
der (natürlichen) Dinge untereinander (die Evolution also),
sondern
ebensosehr die menschlichen und ganz besonders die digitalisierten
Informationsprozesse
setzen in tar Tat unabsehbare ‘phantasmagorische’ Prozesse in Gang,
welche
aus der Sicht der Warenwelt im Sinne von materiellen Arbeitsprodukten
nur
geahnt werden können, oder, "um eine Analogie zu finden,
müssen
wir in die Nebelregion der religiösen Welt flüchten." (ebd.)
Die Nebelregion ist jetzt die der materiellen Welt, und die Warenform
im
Sinne des Wertverhältnisses der Arbeitsprodukte ist bloß ein
Derivat der In-formation. Wir müssen, mit anderen Worten, Marx und
das Kapital auf die Füsse der Information stellen. Der Ansammlung
von Geld im Kapital folgt heute die Vernetzung von Information.
Für
Massimo Negrotti gehört zur Künstlichkeit
die Nachahmung
eines Originals — das auch wiederum etwas Künstliches sein
kann — wenn in seinen Funktionen und/oder im Substrat etwas
verändert
wird (20). Laut Negrotti müssen wir immer
bestimmte
Perspektiven gegenüber dem Original einnehmen, d.h. wir
können
nicht gleichzeitig das Original insgesamt wiedergeben.
Dadurch
verursachen wir einen Unterschied, der die Künstlichkeit des
Hergestellten
gegenüber dem Original ausmacht. Die Nachahmung kann sich entweder
auf die natürliche Wiedergabe des Originals oder auch auf einer
abstrakten
oder instrumentellen Ebene abspielen, ja letztere kann rein rational
entstehen,
wenn bestimmte Funktionen durch Maschinen ausgeführt werden
sollen.
Außer der "künstlichen Technologie" sind wir aber auch in
der
Lage "konventionelle Technologie" herzustellen, deren Ursprung nicht in
der Nachahmung eines Originals, sondern in der persönlichen Welt
bzw.
im Vorverständnis oder im "taciten" Wissen (M. Polanyi) des
Autors/Herstellers
liegt.
Dementsprechend
unterscheidet Negrotti zwischen "Naturoiden"
und "Technoiden"
und entwirft eine kulturgeschichtliche Entwicklung zwischen diesen
beiden
Polen. So wäre zum Beispiel in der Antike die Nachahmung
(mimesis)
an
die Natur orientiert,
während zur Zeit des Rationalismus bestimmte Maschinen nach
bloßen
zweckrationalen oder instrumentellen Kriterien entwickelt wurden. In
diesem
Fall spricht Negrotti von "konventioneller Technologie".
Künstliche
Maschinen sind aufgrund ihres naturoiden Charakters
naturgemäß
benutzerfreundlicher. Auch eine rein rationale Technik wie die
Computertechnik
sucht nach freundlichen Benutzerschnittstellen. Die Welt des Digitalen
entspringt zunächst dem rein Rationalen und ist keine
künstliche
Technik im Sinne Negrottis. Erst wenn sie in Zusammenhang mit einem
Original
gebraucht wird, wird sie zu einer Technologie des Künstlichen.
Wenn
aber die gesamte Realität in all ihren Dimensionen, das Seiende im
Ganzen also, als Original anvisiert wird, dann haben wir als Ergebnis
eine
digitale Ontologie, oder, genauer gesagt, eine Ontologie des
Künstlichen.
So
gesehen
hängen Fetischisierung und
Künstlichkeit nicht
zusammen, wie die Wortherkunft es andeutet. Auch die
Verselbständigung
eines künstlich Hergestellten gegenüber dem Hersteller ist
eine
bestimmte Form von Künstlichkeit. Für Negrotti haben nur
natürliche
Gegenstände und Maschinen der konventionellen Technologie einen
autonomen
Status, denn sie bestimmen sich nicht durch ihren Bezug auf ein
anderes.
Das ist aber bei künstlichen Maschinen wesentlich. Fetischisierung
hängt mit der Selbständigkeit der konventionellen Technik
zusammen.
Man könnte lediglich sagen, dass die Arten der
Selbständigkeit
bei natürlichen Gegenständen und bei konventionellen
Maschinen
unterschiedlich ist und dass dieser Unterschied in der Fähigkeit
der
Fortpflanzung besteht. Wenn also konventionelle Technologie — wodurch
auch
immer — eine Eigendynamik der Fortpflanzung erhält, die zu
nicht vorhergesehenen
Zielen und Nebenwirkungen führt, dann haben wir mit einer
nicht beabsichtigten
Entwicklung zu tun, die dem Wesen der konventionellen Technik
widerspricht.
Beim Künstlichen wäre aber eine solche Erscheinungsweise
durchaus
'natürlich', d.h. beabsichtigt.
Negrotti
sieht das so:
"In this sense we can easily
understand, without approving
of all
their views, the sceptical of (sic!) negative reactions that bring
together
many philosophical traditions which are very different from each other.
These include such authors as Hegel, Whitehead, Heidegger and Habermas.
Despite such a good premise, one of the worst consequences of these
traditions
has been to prevent a part of mankind from understanding not only the
interest
and beauty of conventional technology as such, that is to say a genuine
creation of reason, but also of understanding the deep difference
between
conventional technology and the technology of the artificial, and man's
likewise different and illuminating connections with human nature."
(Negrotti,
a.a.O. S. 34)
Die erste Phase der
Globalisierung war, in Negrottis Terminologie,
durch
eine nachahmende Technik bestimmt. Die Globalisierung war insofern
eine
künstliche, als sie die natürlichen Formen der Globalisierung
und ihre 'Instrumente' nachahmte. So also zum Beispiel ein Segelschiff,
das die Erdumrundung von Fischen oder Vögeln 'kunstvoll' also techne-haft
nachahmt. Die zweite Phase in Europa ist die der konventionellen
Technik,
aus der sich die Entwicklung des Computers herleitet. Diese mündet
aber in eine Form, die die 'natürlichen' Gespräche zwischen
den
Menschen nachahmt. Das tat zwar schon die Schrift und später der
Buchdruck
in unterschiedlicher Weise, jetzt aber dient dazu das digitale Medium.
Wir hätten also zunächst mit einer künstlichen
Globalisierung,
dann mit einer technischen und jetzt mit einer
künstlichen-technischen
zu tun.
Es
ist
dieser Entfernungen abschaffende, Zeitdifferenz
einebnende Seinsentwurf,
der durch die digitale Technik die Welt als ein einheitlicher Globus
erst
ermöglicht. In der Ent-sprechung zum digitalen Entwurf werden wir,
die Menschen, gezwungen, mit der neuen Weltöffnung mitzulaufen.
Zugleich
sind wir aber wir selbst, die diese Entwicklung herbeischaffen, auch
wenn
wir dann uns den Gesetzmäßigkeiten des Geschaffenen
unterstellen
müssen. Dazu gehört die schon angesprochene Qualität der
Verselbständigung bei technischen Produkten. Die digitale
Weltvernetzung
ist aber eine hybride Erscheinung, die zugleich
künstlich
und technisch, also selbständig und unselbständig ist. Das
macht
sie auch schillernd, menschenfreundlich oder menschenähnlich und
fetisch-artig
zugleich. Dieser arithmologische Entwurf hat also eine doppelte
Herkunft:
Auf der einen Seite ist er, sofern er rein mathematisch ist, eine rein
technische Produktion des menschlichen Geistes, ohne Bezug zu etwas
Vorhergehendem
oder zu einem Original, auf der anderen Seite aber stellen wir
künstliche
Zusammenhänge zu einzelnen Seienden, ja zum Seienden im Ganzen her
so dass die Digitalisierung einen ontologischen Rang erhält. Wir
leben
dann mitten in einer digitalen Welt, die zugleich arithmetisch oder
"technologisch"
und "künstlich" ist, in Negrottis Terminologie.
Negrotti
sieht die verschiedenen Phasen der
Technikentwicklung, eine
nachahmende oder "künstliche" Technik in der Antike, eine
"konventionelle
Technik" in der Neuzeit, eine gemischte Form von Technik heute, als
weder
geplante noch planbare Entwicklung. Kreativität liegt für
Negrotti
darin, dass implizites Wissen sich allmählich den Weg in die
gemeinsame
Welt bahnt, also 'ent-borgen' und so mit anderen geteilt wird. Negrotti
schreibt:
"In fact, personal meanings,
or, on a different level,
tacit or personal
knowledge (Polanyi, 1966) are the original objects that belong to the
subjective
context and, therefore, can be reproduced in a sharable way only if
their
bearer succeeds in making them visible as if they were, so to say,
objects
of the external world. This explains the frequent, though often
illusory,
use of the analogy by which someone who does not know the object at the
centre of someone else's discourse tries to build a reliable
representation
of the matter.
The aim of this book is to put forward a theory of what it means to
build an artificial object or machine when human beings are not
intentionally
looking for radically new realities but are, on the contrary, trying to
reproduce something which potentially everybody sees, or something they
perceive in their own internal 'landscape', which they wish to share
with
other people." (Negrotti, a.a.O. S. 17)
In diesem Sinne sehen die
Wirtschaftswissenschaftler Nonaka und
Takeuchi
den Prozess der Schaffung neuen Wissens in einem Unternehmen wesentlich
durch Metaphern und Analogien sowie durch das Explizitmachen
'impliziten
Wissens' (
tacit knowledge)
ermöglicht
(21).
Warum
also
die negative Kritik im Hinblick auf die
Verselbständigung?
Liegt nicht hier bei Marx implizit der Gedanke des Verlusts
menschlicher
Kontrolle, also die Gefahr des Inhumanen in bezug auf ein menschliches
Produkt, das Kapital, das rein zweckrationalen Charakters ist? Wenn
aber
das Kapital nicht zu den künstlichen, sondern zu den
konventionellen
Technologien gehört, ist diese Verselbständigung
'natürlich'.
Es besteht das Problem, dass die so beschaffene Technik, 'übers
Ziel
hinaus' geht und sich in diesem Sinne (!) 'verselbständigt', d.h.
die rational vorgesehene Teleologie verläßt. Sie wird so zu
einem merkwürdigen Gebilde: Es ist rational gedacht, verhält
sich aber wie die Naturprozesse, die zwar teleologisch erscheinen, ohne
aber den Sinn ihres Daseins preiszugeben. Diese Lage ist nur dann
paradox,
wenn wir diejenigen sind, die eine solche Erscheinung hervorbringen und
dabei zugleich die Kontrolle über sie verlieren. Das Ding wird
dann
zum - Fetisch, oder sollen wir vielleicht sagen: zum Geschick?
Dieses
Geschick ist nichts Schicksalhaftes im Sinne einer
fremden Macht,
die über unsere Geschicke entscheiden würde, sondern wohl der
von uns nie völlig durchschaubare und steuerbare, zuweilen
sprunghafte
Verlauf, keine behagliche Ent-wicklung also, unserer Entbergung von
Welt,
d.h. der verschiedenen Weisen, wie wir den Phänomenen begegnen
können
und sie ansprechen bzw. wie wir uns von ihnen ansprechen lassen
können.
Selbstbewegung ist das, was die moderne Biologie mit dem Begriff der
Selbstorganisation
teilweise meint. Es handelt sich nicht um eine Quasisubjektivität,
sondern es sind die vielfältigen Möglichkeiten der
Wechselwirkung
der Teile, die die Bewegung des Ganzen (holon)
unberechenbar machen. Dabei nützt wenig, dass im Grunde die
Komplexität
dieser Wechselwirkung nur auf z.B. zwei Bausteinen (0/1) beruht.
In
seiner
Arbeit zum Wertbegriff bei Heidegger
erläutert Carlos
Gutiérrez den Unterschied zwischen der englischen (Adam Smith)
und
der deutschen Werttradition (22). Während die
englische
Schule Wert in einem objektiven Sinne, als "Quantität der Arbeit"
bestimmt, geht die von Kant beeinflußte Denktradition von
Wertsetzung
durch das autonome Subjekt, das wiederum einen absoluten Wert bzw. Würde
besitzt, was aber im gewissen Sinne eine zirkelhafte Argumentation
darstellt
und in der Ethik zur Absolutsetzung dieses einen Wertes führt.
Sowohl
der frühe Hegel als auch Heidegger haben sich deshalb um eine
Rückführung
der Ethik auf das frühgriechische ethos (ethos mit epsilon = Gewohnheit bzw. ethos
mit etha =
Charakter)
bemüht.
Dadurch werden Handlungen nicht mit einem absoluten Ideal im Rahmen
intersubjektiver
Verständigung verglichen, sondern in ihrer eigenen Finalität
gesehen (Gutiérrez, a.a.O. S. 34). Das Kantische Reich der
Endzwecke
wird dann bei Rickert zum Reich der Werte, die Erkenntnistheorie wird
zur
Wertlehre. Die Kälte der Kantischen Philosophie wird im
Laufe
des 19. Jahrhunderts — zum Beispiel bei H. Lotze mit dessen Werk
Heidegger
vertraut war —, durch den Bezug auf das Gefühl kompensiert.
Heideggers
frühe Schriften zeugen von dieser Herkunft,
so zum Beispiel
seine Überlegungen zum Geltungsbegriff. Erst mit dem Durchbruch in
Sein und Zeit stellt sich die Wertfrage ganz anders,
nämlich
in bezug auf den praktischen Umgang mit den Dingen. Der "Wert" der
Dinge
hängt mit dem praktischen Gebrauch, den wir von ihnen machen,
zusammen.
Die Geschichte der Metaphysik ist die Geschichte der
Verselbständigung
von Sein als Anwesenheit, dessen Anfang die platonische Ideenlehre
darstellt.
Heideggers Kritik des Wertbegriffs ist also metaphysisch und zielt auf
die Infragestellung dieser Verselbständigung, die dem zeitlichen
und
endlichen Charakter menschlichen Lebens, des "Daseins" also, nicht
entspricht.
Wir können von einer Fetischisierung des Sollens sprechen, so wie
sie Marx in bezug auf das Kapital ankreidet. Die Schaffung einer
Sphäre
der absoluten Werte entsteht aber nicht aus der Nachahmung eines
'Originals',
sondern sie wird rein rational postuliert, hat also eher den Charakter
eines Kunstwerkes. Die rationale Begründung einer solchen
Sphäre
kann sich somit letztlich nur 'im Kreise drehen', denn sobald sie das
In-der-Welt-sein
berührt, verliert sich ihre Aura und wird zum 'ethos'.
Darin liegt also eigentlich Heideggers Kritik.
Wenn
bei
Rickert Kants "kopernikanische Wendung" so
verstanden wird,
dass das menschliche Leben sich nicht um die Realität, sondern um
Werte dreht, dreht sich für Heidegger dieses Denken letztlich um
den
Willen der wertsetzenden Subjektivität, wie sie Nietzsche
postuliert
(C. Gutiérrez, a.a.O. S. 108 ff.). Menschliches Leben ist aber
für
Heidegger primär weltentwerfend und nicht wertsetzend. Erst aus
den
so oder so ausgerichteten Weltbezügen können wir die
Offenheit
und Vorläufigkeit des Lebens 'wahr-nehmen'. Das Gegenteil ist aber
der Fall, wenn wir uns hinter den Werten verschanzen und in deren
"trüben
Gewässern" fischen, wie Heidegger 1935 in einer
berühmt-berüchtigten
Passage seiner "Einführung in die Metaphsysik" (S. 152) in bezug
auf
die "nationalsozialistische Philosophie" bemerkte. Daraus ergibt sich
freilich
das Problem, sich für eine Sache zu engagieren, deren
Entwicklungsmöglichkeiten
offen, die aber nicht dadurch weniger "trübe" sind. Natürlich
widerlegt der "Fall Heidegger" keineswegs die Spannung menschlichen
Lebens,
das sich zwar mit Hilfe von Werten schützen kann, letztlich aber
das
Leben selbst unter das Diktat der Ökonomie und der
Vergleichbarkeit
aller Werte stellt. Der ethische Konsequentialismus zieht daraus alle
Konsequenzen,
die durch den Wegfall der metaphysischen Wertlehre möglich sind.
Der
Ruf nach einem stabilen Wertekanon wird dann bald laut und wir sind
dort
angekommen, von wo aus wir gestartet sind.
Wir
könnten aber weniger von der
Unübersichtlichkeit als von
der Unberechenbarkeit der binären Differenz sprechen.
Komplexität
und Einfachheit widersprechen sich nicht. Die Seinsfrage ist damit
nicht
direkt gestellt, aber wir können sie zumindest teilweise in die
Sprache
der Wissenschaft über-setzen (auf die Gefahr hin, sie zu
verfälschen).
Natürlich sind Komplexität und System Seinsweisen oder Weisen
wie das, was ist, sich zeigt.
Die
Zirkulation des Kapitals ist aber auch denkbar einfach.
Sie beruht
nämlich auf dem wertenden Entwurf des Seins, der zwar seine
Ursprünge
in der griechischen Metaphysik hat, aber erst in Europa im 19. Jh. voll
zur vollen Entfaltung kommt. Das verschaffte damals nicht weniger
Unruhe
als heute die digitale Ontologie. Beunruhigend sind also nicht die
Seinsentwürfe
selbst und ihre Unberechenbarkeit, sondern daß wir immer noch
nicht
gelernt haben, mit ihnen umzugehen, also zu denken. Hier liegt die
Falle
des Humanismus: Nicht dass der Mensch tot wäre, oder dass wir
keine
Moral mehr hätten (stimmt ja teilweise), sondern dass die Antwort
auf die Ontologie der Bestellbarkeit kaum aus der Metaphysik des
Humanismus
kommen kann, denn diese ist wiederum eine Antwort auf einen ganz
anderen
Seinsentwurf und Seinsruf. Bei Heidegger klingt das zum Teil
kulturkritisch,
aber es klingt nur so, solange wir nicht lernen, der Sache gewachsen zu
sein. Dies wird aber wiederum nur verstanden mit Rückgriff auf die
vergangenen Antworten auf vergangene Seinsentwürfe.
Seinsentwürfe
laufen immer auf nichts hinaus, denn es gibt nichts außer
dem Seienden, das Sein ist ja nichts außer dem Sich-geben selbst.
Dass es aber ein Sichgeben gibt, läßt sich nicht wiederum
vom
Seienden her denken. Der Wille zum Willen bedeutet die Bewegtheit um
der
Bewegtheit willen, ohne Warum und ohne Ziel. Diese Form des Seins ist
uns
offenbar un-heimlich und deshalb suchen wir nach einem Prinzip, anstatt
sie sein zu lassen, als was sie ist.
Die
Rede
von der Verselbständigung der Kapital- und
Informations-zirkulation
kann ins Metaphysische (hypokeimenon)
abdriften. Gemeint ist aber nicht eine uns gegenüberliegende oder
zugrundeliegende Substanz, welcher Art auch immer, sondern gerade die
Infragestellung
von sub-stantiellen Verhältnissen. Das Bleibende, um es
paradox
zu sagen, sind nicht die Sub-jekte, sondern die nicht voraussagbaren
unberechenbaren
Ereignisse und ihr Anrufcharakter. Vielleicht ist die
Verselbständigung
so zu verstehen, daß uns gewisse Phänomene, die von uns
her-gestellt
werden, einen eigenen Anrufcharakter bekommen. Wir glauben dann, sie
wären
etwas Selbständiges und/oder versuchen sie zu entzaubern, bis wir
aber endlich entdecken, dass dies keine Entfremdung bedeutet, sondern dass
alles, was ist, uns als solches anzusprechen vermag. Wir aber
tendieren
dazu, zumindest verstärkt seit der Neuzeit, uns selbst diese
Möglichkeit
des Anrufens allein zuzubilligen. Wir sind aber als Dasein ein angeletisches
Medium. Dass wir Sein als Botschaft vernehmen, ist wohl die
Bedingung der Möglichkeit dafür, dass wir auf mögliche Vor-würfe
des Seins mit unseren Ent-würfen antworten. Vielleicht
liegt
hier auch das Problem des Ansprechens und Angesprochenwerdens von
Kreisläufen.
Ich denke dabei an den ‘hermeneutischen Zirkel’ und frage mich, ob
dieses
Modell nicht auch auf den Kreislauf des Kapitals angewandt werden kann.
Anders ausgedrückt: Ob die Wirtschaftswissenschaften versuchen,
den
Kreislauf des Kapitals von außen oder ‘objektiv’ zu erfassen,
während:
"Das Entscheidende ist nicht, aus dem Zirkel heraus-, sondern in ihn
nach
der rechten Weise hineinzukommen." (Heidegger, Sein und Zeit a.a.O.
S.153)
Die
"rechte
Weise" meint wohl eine, die den Fetischcharakter
eines eigenständigen
Kreislaufs nicht dadurch entzaubert, dass ein Subjekt sich als
Grundlage
dieses Phänomens auslegt und den Kreislauf auf sich
zurückführt,
sondern dass ein Kreislauf als ein Angebot von Sinn- (und
Un-Sinn-)Möglichkeiten
‘wahr-genommen’ wird, so daß es zu einer Bewegung von Verstehen,
Auslegung und Bildung eines (neuen) Vorverständnisses kommt.
Übersetzt
in ökonomische Kreisläufe heißt das, dass der Wert
einer
Ware nicht auf eine letzte ‘Aussage’ (z.B. an der Börse, am
Wochenmarkt)
zurückgeführt werden kann, sondern daß eine solche
Prädikation
und ihre Mitteilung das Ergebnis einer Aneignung ist, die immer auf
unentfaltete
Möglichkeiten (ich meine ‘Anrufsmöglichkeiten’) der Waren
beruht.
Es
ist
für die Ökonomie schwer, den Wert von Waren
unter dem
Blickpunkt eines abgründigen Spiels aufzufassen. Unser
ökonomisches
Denken ist vorwiegend darauf ausgerichtet, (gute) Gründe für
den Wert von Waren anzugeben. Dennoch staunen wir ständig
darüber,
wieviel Psychologie in der Ökonomie steckt. Wenn wir also den
Wertbegriff
in diesem abgründigen Sinnhorizont bedenken, betreten wir
Grenzland.
Heidegger spricht in Sein und Zeit über die Wissenschaft
von
der Wirtschaft im Zusammenhang mit dem Umschlagen von Zuhandenheit in
Vorhandenheit:
"Überdies kann doch auch
Zuhandenes zum Thema
wissenschaftlicher
Untersuchung und Bestimmung gemacht werden, zum Beispiel bei der
Erforschung
einer Umwelt, des Milieus im Zusammenhang einer historischen
Biographie.
Der alltäglich zuhandene Zeugzusammenhang, seine geschichtliche
Entstehung,
Verwertung, seine faktische Rolle im Dasein ist Gegenstand der
Wissenschaft
von der Wirtschaft. Das Zuhandene braucht seinen Zeugcharakter nicht zu
verlieren, um ‘Objekt’ einer Wissenschaft werden zu können. Die
Modifikation
des Seinsverständnisses scheint nicht notwendig konstitutiv zu
sein
für die Genesis des theoretischen Verhaltens ‘zu den Dingen’.
Gewiß
— wenn Modifikation besagen soll: Wechsel der im Verstehen verstandenen
Seinsart des vorliegenden Seienden. (Heidegger, Sein und Zeit, a.a.O.
S.361).
Nicht also die Seinsart des
vorliegenden Seienden wird durch das
Umschlagen
verändert, sondern die Seinsart des Daseins. Also auch die
Wissenschaft
von der Wirtschaft setzt ein Umschlagen der Seinsart des Daseins voraus
(andere Wissenschaften, wie z.B. die Physik, modifizieren auch die
Seinsart
ihrer Objekte). So ist also die Wirtschaftswissenschaft in ihrem
(bisherigen)
Entwurf auf das Zuhandensein der Dinge angewiesen bzw. diese
vorgängig
erschlossen.
Heidegger
erörtert die Frage nach dem
Wert im
Zusammenhang mit
seiner Nietzsche-Auslegung. Es wäre aber jetzt die Frage, ob
dieser
vorgängige Entwurf durch die Digitalisierung der Wirtschaft nicht
grundlegend verändert wird, ähnlich der Veränderung der
newtonschen Physik gegenüber der, sagen wir, aristotelischen
Physik.
So wird also jetzt das Seiende der Wirtschaft im vorgängigen
Entwurf
der digitalen Seinsverfassung entworfen.
7.
GELD UND GIER
Was
ist
Geld? Ich meine diese Frage nicht in einem essentialistischen
Sinne,
oder etwa im Sinne einer "Philosophie des Geldes" (G. Simmel), sondern
in bezug auf die wechselnde Seinsweise wie Geld entworfen wird.
Marx betonte den Bezug des Geldes zur menschlichen Arbeit, und die
Entfremdung
der Arbeit (des Arbeiters) durch die Nicht-Rückführung der
verdinglichten
Arbeit an den lebendig tätigen Arbeiter. Dies scheint sich jetzt
nicht
nur zu verschärfen, sondern sich in eine ganz andere Seinsweise zu
verdrehen, denn auch wenn Geld in Form des Kapitals einen Bezug zur
Arbeit
hat, scheint mir, dass diese Begriffe (und damit meine ich die Sachen
selbst)
nicht weniger einer Verwandlung unterzogen sind, als dies auch schon in
der Geschichte des Geldes der Fall gewesen ist. Die Seinsgeschichte ist
so in gewisser Weise eine Geldgeschichte, und das Geld ist die Masche,
worunter wir alles betrachten, was ist oder wodurch wir etwas sein
lassen.
Ich fasse den Tausch nicht in Zusammenhang mit dem Marxschen
Tauschwert,
sondern im Sinne eines formalen Prozesses, also prozedural, auf.
Bedeutet
die Betrachtungsweise von allem unter dem
seinlassenden Blickpunkt
des Geldes, dass die Digitalisierung des Geldes bzw. das Digitale als
Geld
so etwas wie ein allgemeines Medium ist, wo Sein sich anders ent-birgt?
Denn auch wenn wir z.B. einen Satelliten ins All schicken oder
Beobachtungen
von entfernten Galaxien etc. machen, oder die subatomare Welt
erforschen,
werden wir von der Form des Digitalen, ‘in-Form’ des Geldes geleitet,
oder
anders ausgedrückt, Geld ist das Medium, worin wir unsere
Möglichkeiten
und Grenzen er-messen. Unterscheidet uns also Geld etwa von den
sonstigen
Möglichkeiten des Tierseins? Sind wir businessmen in einem
ontologischen Sinne?
Wir
könnten den Grund-Satz einer digitalen
Ökonomie auch so
formulieren: Nihil est sine fortuna - Nichts ist wertlos, in
Anklang
an das Leibnizsche principium grande: Nihil est sine ratione
- Nichts ist ohne Grund. Dies bedeutet auf den ersten Blick, daß
alles (s)einen Wert hat, aber auch, daß Werte ohne Grund sind,
denn
ein solcher (letzter) Grund wäre wieder ein Wert, der wiederum
nach
einem Grund verlangen würde usw. Das Geld-haben ist in der Tat
eine
Dimension unseres Möglich-seins. Ähnlich wie mit der Technik
hat alles den Schein, als ob es sich dabei um ein Instrument handeln
würde,
aber diese instrumentalistische Sicht des Geldes verbirgt die
eigentliche
ontologische Herausforderung. Wir sind als Menschheit dem Horizont des
Geldes (noch) nicht gewachsen. Wenn wir dann auch noch bedenken,
daß
die Form des Geldes mit der Form des Wissens (und somit mit der
In-Formation)
in Wechselwirkung steht, dann wird die Sache immer spannender, denn,
dass
wir ein 'zoon logon echon' sind, das wissen wir schon lange, aber dass
der logos uns
jetzt in der
Form der digitalen Ökonomie hat (und nicht umgekehrt), das
dämmert
erst allmählich, jenseits einer kurzsichtigen ‘Moral’.
Wenn
wir
genauer überlegen, dann zeigt sich, dass
unsere Begierde
(nach Geld) nur die Kehrseite dessen sein kann, was von sich aus
un-ermeßlich
ist. Geld ist ein Ausdruck für dieses Unermeßliche in dem
Sinne,
daß es ein Horizont für alles Messen ist, wonach die Dinge
über
ihre qualitativen (wesensmäßigen) Unterschiede hinaus gleich
sind. Geld ist also das uns zugängliche, grund-lose Wert-Maß
für alles, was ist, wenn wir die Dinge (die natürlichen und
die
künstlichen, hergestellten = die Waren) außerhalb der
Zusammenhänge
sehen, in denen sie sind. Es ist also kein Wunder, dass
ausgerechnet,
wenn alle Dinge aus dem Blickpunkt ihres natürlichen Standortes
herausfallen
und im allgemeinen elektronisch-digitalen Medium zum Erscheinen oder
ins
Sein kommen, dass sie dann nicht nur unter dem abstrakten wert-losen
Gesichtspunkt
des 'arithmos'
oder genauer der 'monas'
gezählt werden können, sondern dass
dieses zugleich zum
Wert-Maß
wird.
Damit
treten die Waren endgültig aus dem
ausschließlichen
Horizont der menschlichen Arbeit (Marx) heraus oder besser gesagt:
menschliche
Arbeit ist nicht (mehr) der allein preis/wert-gebende Horizont, von wo
aus die Dinge in ihrem Sein/Wert gemessen werden können. Wird aber
dadurch die Selbständigkeit des Geldes aufgehoben? Oder handelt es
sich um unser Verhältnis zum Selbständigen? Und gilt dann ein
solches Verhältnis generell gegenüber allem
Selbständigen?
Und schließlich, wie soll sich dieser Schritt im globalen
und lokalen Handeln vollziehen?
Unsere
Gier
ist eine bestimmte Art und Weise wie wir
uns im Kreis
oder im hermeneutischen Zirkel eines Selbstverständnisses
bewegen.
Auch die Neugier gehört dazu. Ich meine, dass wir diese Begriffe
(oder
besser: diese Verhaltensweisen) nicht vorschnell mit moralischen
Kategorien
verwechseln oder behaften sollten. Die Moral versucht bestimmte
Aussagen
dingfest zu machen, den Kreislauf also vorläufig anzuhalten.
Dieser
Mechanismus ist zwar notwendig, denn er erlaubt uns, ähnlich wie
in
der Wissenschaft, innerhalb eines ausdrücklichen Entwurfs von
Regeln
und Normen zu leben. Zugleich aber verdeckt jede Moral den anhaltenden
‘Anruf’ der Dinge in ihren wechselnden und nicht offenbarten
Bezügen
und Potentialitäten. So gesehen ist unsere Gier eine Entsprechung
gegenüber der Maßlosigkeit des Seins selbst. Wir aber sind
in
der Weise, die eine solche Maßlosigkeit nur bedingt, d.h. durch
die
Dinge hindurch, ‘wahr-nehmen’, so daß der ethische Maßstab
so lauten könnte, dass wir uns gegen unbedingte Ansprüche
zu wehren haben, seien diese politischer, ökonomischer,
künstlerischer...
Art. Um es in einer konventionellen Sprache auszudrücken: Unsere
"Würde"
besteht darin, daß wir das Unbedingte nur im Bedingten
‘wahr-nehmen’
können. Wir können uns auf die verschiedenen Kreisläufe
nur so einlassen, dass in diesen von uns nie völlig
durchschaubaren
und steuerbaren Entbergungweisen die Phänomene begegnen und wir
uns
von ihnen ansprechen lassen und somit auch kreativ sein können.
Die
angeletische Dimension in der Ökonomie ist die Werbung. Diese
Dimension
ist wesentlich für das Zustandekommen der Waren-, Kapital- und
Informationszirkulation.
Wir können durch eine Wertethik das "gierige Menschenwesen" nicht
einschränken. Sowohl die Gier als auch die Dinge sind ambivalent
und
nur in ihrem Zusammenspiel zeichnet sich eine Grenze ab, die sowohl der
Unermeßlichkeit der Gier als auch der Festlegung einer bedingten
Aussage gerecht werden kann. Mit anderen Worten, ohne den Drang zum
Unermeßlichen,
aber auch ohne die Wahrnehmung der Dinge und unserer Be-dingtheit
durch sie verlieren wir das Maß für das, was uns jeweils und
überhaupt wert-voll sein kann.
Offenbar
handeln wir aufgrund unserer
Seinsbedürftigkeit, was Thomas
von Aquin "agere propter indigentiam" nennt (Summa Theologica I 44, 4,
ad 1) Für Thomas ist Gott das Ziel unseres "desiderium naturale".
Gott ist aber unendlich. An einer anderen Stelle (Summa Theologica II,
2, 77, 4) unterscheidet er zwischen zwei Formen des Tausches
("commutatio"),
eine, die er natürlich und notwendig nennt, den Tausch Ding gegen
Ding ("commutatio rei ad rem") und eine andere: Geld gegen Geld
("denariorum
ad denarios"), die den Profit ("lucrum") anstrebt. Diese dient der
Profitgier
("servit cupiditati lucri") und kennt kein Ende, sondern strebt nach
Unendlichkeit ("quae terminum nescit, sed in infinitum tendit"). Sie
kennt zwar weder einen "finem honestum" noch einen "vitiosum", kann aber
zum Guten gelenkt werden. Thomas bezieht sich dabei auf Aristoteles
(Pol.
1256 a 40), der zwischen einer naturgemäßen Erwerbskunst
(ktetike
kata physin) (für
die
Hausverwalter und die Staatsmänner) und einer Kunst des
Gelderwerbs
(chremastike) unterscheidet.
Erstere
ist auf die Autarkie eines guten Lebens (agathen zoen) gerichtet und ist
nicht unbegrenzt (apeiron).
Mit
den
Informationen ist es wie mit dem Geld: sie sind
Mittel, die
aber, wenn sie als Ziel anvisiert werden, un-endlich sind. Ihr Wesen
haben
aber Informationen im Wissen im Sinne des Kontextes, wovon sie
abstrahiert
sind. Informationen sind Wissen-als-Ware und somit Wissen-als-Geld. Sie
haben keinen Wert an sich, sondern ihr Wert hängt vom Markt ab.
Wie
ist aber der Umsatz von Informationen zu verstehen? Dadurch dass sie
irgendwann
nützlich sind, also einen Gebrauchswert als Wissen-für
haben.
Der
gierige Mensch ist deshalb gierig,
weil er sich dem
un-endlichen
Drang der Mittel aussetzt und er tut dies, weil er ein unbegrenztes
Verlangen
nach Leben und Genuss 'ist', aber auch nach Wissen. Was ist aber das
Telos
des Wissens? Von der Wissensgier sagt Aristoteles, daß wir sie physei, d.h. von Natur, haben. Die
Frage
ist
aber wohl nach einem "freien Verhältnis" (Heidegger) zu diesen
Entbergungsweisen,
was sich wohl nur aus dem Bezug zur Verborgenheit (lethe)
d.h. also zum Nicht-Wissen ergibt. Für die sogenannte
Informations-
und Wissensgesellschaft ist das Verhältnis zum Nicht-Wissen
zentral.
Die Frage ist dann, wie können wir dem Sokratischen Nicht-Wissen
in
der digitalisierten Welt entsprechen? Und wie unterscheidet sich dieses
Nicht-Wissen von allen Formen der Ignoranz und der
Desinformation?
8.
DIGITALE HERMENEUTIK
Es
bleibt
also die Frage nach dem eidos
in einer digitalen Ontologie virulent, sofern nämlich hier die monas und nicht
der logos den
Leitfaden
für die Verständigung liefert oder zu liefern beansprucht. In
Wirklichkeit sieht es aber eher so aus, als ob der Aufenthalt und somit
auch der Halt im digitalen Netz nicht nur numerisch und
geometrisch,
sondern auch logisch wäre. Ist dann das elektromagnetische Medium,
das durch die Zahlen in-formiert wird, zugleich das ekmageion
für den logos? Das
müssen wir weiter präzisieren, denn
der Sinn des Ganzen ist, wie der Fremde im Sophistes sagt, das
Mitteilen
im Sinne des Sichverständigens (Sophistes 246e3). Ist das
digitale
Netz ein globales Verständigungsnetz, d.h. ein moralisches Medium
auf der Basis von Zahlen und geometrischen Formen?
Die
instrumentelle Sicht banalisiert die
(Informations-)Technik und
bringt sie auf eine Ebene, wo wir für die
Gesetzmäßigkeiten
oder für das Sein dieser Sachverhalte blind sind. Vielleicht ist
hier
die Rede eines "Twisting" (M. Eldred) (23)
angebracht:
Wir winden uns und ver-winden so die Verhältnisse. Es wäre
aber
fatal, bei den oben angegebenen Beschreibungen den Eindruck von
moralischer
Verwerflichkeit herauszulesen. Nach welchem Maßstab oder Gesetz
bewegt
sich das digital Seiende? Ein leeres Prinzip ist nicht gleich
wie
ein Prinzip Leerheit.Wir stecken in der Rede von Prinzipien erneut in
der
Metaphysik. Das Worumwillen dieses Seinsentwurfs ist schwer
auszumachen.
Verkauft wird aber die Sache unter humanistischen Prämissen, wobei
die Rede von Verständigung am schillerndsten ist, denn wir
können
uns kaum vor-stellen, wie etwa 6 Milliarden (und demnächst 10 oder
12 Milliarden) Menschen sich im digitalen Raum verständigen
sollen.
Hier sind die Grenzen der "Theorie des kommunikativen Handelns" und die
der "Diskursethik" (J. Habermas) klar erkennbar. Sie antwortet
auf
eine andere Sendung, die auch noch da ist, aber immer mehr an
Antwortqualität
verliert. Denn es ist so, dass das Worumwillen ('hou heneka') einer
Sendung sich nur relativ im
Zwischen er-gibt.
Wir
sind
mittlerweile gewohnt, nach dem Zusammenbruch der
großen
wissenschaftlichen Systeme, die Objektivität der Wissenschaft in
Frage
zu stellen. Das ist aber nur die halbe Miete. Denn natürlich gibt
es wissenschaftliche Resultate verschiedener Qualität (und Sicherheit),
aber es geht darum, auf welche Sachverhalte und Traditionen wir wann
und
wo antworten. Wir leben weniger in systematischen als in (sozusagen) postalischen
oder angeletischen Verhältnissen. Ordnung und Sicherung
sind
Begriffe, die im Zusammenhang mit der globalen Vernetzung eine wichtige
Rolle spielen. Es ist nur die Frage, ob sie metaphysisch oder
‘grund-los’
verstanden und umgesetzt werden. Es scheint so zu sein, als ob das
Internet
mehr freien Raum für Unberechenbarkeit offen läßt als
es
einigen (vielen?) lieb ist. Das Informations-Gestell, wie ich
es
nenne, hat also einige Eigenschaften, die eine andere Aussicht
erlauben,
nämlich die von Heidegger angesprochene des "photographischen
Negativs
des Ereignisses" (in den Seminaren von Le-Thor).
Wir
leben
zunächst und zumeist in der Welt der
digitalen Information,
die nicht weniger wahr ist als die Bücherwelt des modernen
Bürgertums
oder die Manuskriptwelt des Mittelalters. Obwohl wir mit einer globalen
Vernetzung zu tun haben, und global also auf Kreis hinweist,
frage
ich mich, ob wir hier von einem Kreislauf sprechen können, denn
die
Art dieses Informationsflusses ist ganz eigenartig. Wir sprechen schon
seit langem vom free flow of information, aber vielleicht ist
das
eine übernommene und überkommene Sicht, die zu sehr im Blick
des Blutkreislaufs oder des merkantilen Kapitals verhaftet
bleibt.
Vermutlich
ist die postalische oder angeletische Sicht
hierfür
besser geeignet: Senden und Empfangen und Senden... aber nicht
unbedingt
in der Form eines Kreislaufs, denn das setzt voraus, daß immer
alle
Sendungen empfangen und beantwortet werden. Um dem Stellen und dem
Bestellen
ontologisch gewachsen zu sein, brauchen wir, so Heidegger, ein "freies
Verhältnis" zum (Be-)Stellen. Dafür müssen wir wiederum
die Seinsfrage stellen — so würden wir sagen, und dabei
würden
wir wieder die Sache verfehlen, denn wir stellen ja Fragen, die
Seinsfrage ist aber von der Art, dass sie sich uns
unverfügbar
vor-stellt. Wir müssen uns also zuerst in einer Haltung
ein-finden,
wo wir uns in (die) Frage stellen lassen.
Warten
hieße in diesem Zusammenhang, ant-worten, also
die Sendung
als eine solche bestätigen, sich als Adressat erkennen und nach
einer
Ant-Wort suchen. Das ist leichter gesagt als getan. Denn, was sind
Antworten
auf Sendungen?
Solange
wir
jedoch im digitalen Entwurf frag-los
‘eingebettet’
bleiben, zeigt sich alles als bit. Wie kann sich alles als bit zeigen?
Mir scheint, dass gerade diese Sicht des Ganzen (holon),
dass wir alles, was ist, nur dann in seinem Sein zulassen und
verstehen,
wenn wir es im Horizont des Digitalen anschauen, die Kernthese einer
digitalen
Ontologie darstellt. Das bedeutet nicht, dass wir, sagen wir, die Atome
auf bits reduzieren, wohl aber, dass wir erst dann ein Verständnis
des Seins der Atome haben, wenn wir diese digital berechenbar machen.
Wir
sollten aber eine solche Berechenbarkeit nicht mit irgendeiner Form von
Determinismus verwechseln.
Unseren
heutigen Zugang zur Realität bezeichne ich in
Abwandlung
des Satzes von George Berkeley: "Das Sein der Dinge ist ihr
Wahrgenommensein"
("Their esse is percipi") mit dem Satz: "esse est
computari".
Das bedeutet keineswegs, alles sei bloß virtuell oder die Dinge
bestünden
aus bits, sondern es bedeutet, dass wir meinen, etwas in seinem Sein
erklärt
und verstanden zu haben, wenn wir es auf der Basis von Zahlen und
Punkten
im elektromagnetischen bzw. elektronischen Medium erfassen. Dieser
Grund-Satz der digitalen
Ontologie besagt also, daß unser Seinsverständnis von dieser
Art ist. Es wäre auch möglich diesen Satz so zu formulieren:
"esse est informari", wobei der In-formationsprozeß im
Sinne
eines im elektromagnetischen bzw. elektronischen Medium stattfindenden
Formungsprozesses zu
verstehen ist. Die globale Vernetzung ist die Art und Weise, wie wir
heute
jene Totalität erfahren und gestalten, die die Metaphysik das
Seiende
im Ganzen nannte.
Mit
anderen
Worten, die digitale Ontologie ist ein
Seinsentwuf,
so wie die Newtonsche Physik auf einer anderen Vorauslegung beruht. Ich
denke an Heideggers Deutung der mathematischen Physik in Sein und
Zeit
(§ 69 b): "Und so besteht denn auch das Vorbildliche der
mathematischen
Naturwissenschaft nicht in ihrer spezifischen Exaktheit und
Verbindlichkeit
für "Jedermann", sondern darin, daß in ihr das thematische
Seiende so entdeckt ist, wie Seiendes einzig entdeckt werden
kann: im vorgängigen
Entwurf seiner Seinsverfassung." Und er fügt hinzu: "Mit der
grundbegrifflichen
Ausarbeitung des führenden Seinsverständnisses determinieren
sich die Leitfäden der Methoden, die Struktur der Begrifflichkeit,
die zugehörige Möglichkeit von Wahrheit und Gewißheit,
die Begründungs- und Beweisart, der Modus der Verbindlichkeit und
die Art der Mitteilung. Das Ganze dieser Momente konstituiert den
vollen
existenzialen Begriff der Wissenschaft." Die Frage ist also, wie die
von
Heidegger angesprochenen Momente einer auf dem digitalen Entwurf des
Seins
basierenden Wissenschaft sich konstituieren.
Vielleicht
können wir das Wort Ge-Wissen im
Anklang zum
Heideggerschen Ge-Stell als die Sammlung aller Weisen des
Her-Stellens von Wissen verwenden, wobei die Nähe zum moralischen
Gewissen durchaus erwünscht ist! Was unser Verhältnis zum Ge-Wissen
betrifft, kann dieses nicht nur die Form des begründenden und
vorhersagbaren
Wissens haben, sondern vielleicht die der flüchtigen angeliai,
der messages, ein angeletisches Verhältnis zum Seienden im
Ganzen läßt auch das Wissen als message zum Zweck
des
Gewinns und des Ge-Wissens sein, ohne aber alle messages
durch das Sieb des begründenden Wissens (episteme)
zu sortieren. Während die Massenmedien das digitale Medium zur
Botschaft
selbst machen, gemäß der Devise "The medium is the message"
(M. McLuhan), gilt es jetzt auf der Basis der digitalen
Weltvernetzung
das Verhältnis von Medium und Botschaft zeitlich und räumlich
zu entkoppeln.
Das
bedeutet zunächst soviel wie Einkehr in ein
angeletisches Verhältnis,
d.h. in die Freiheit, eine Botschaft zu senden oder zu empfangen oder
nicht.
Die Sprache ermöglicht uns, in einem Feld von
Möglichkeiten/Formen
zu handeln. Begriffe sind kein Abbild der Welt, sondern
Möglichkeiten
unseres Handelns. Information ist für uns wißbare Form
über
die Gestaltenfülle der Dinge. Da wir in einen
Selbstformungsprozeß
des Universums eingebettet sind, ohne dass wir das Ganze zu erfassen
vermögen,
hat unsere Begrifflichkeit — unsere In-formation: also die Art und
Weise,
wie wir in-formiert werden und wie wir Dinge wissend in-formieren
— eine eigentümliche Unschärfe, die sich nicht aufheben
läßt.
Wir können die Dinge — Kantisch gesprochen — nicht so fassen, wie
sie ‘an sich’ sind. Oder — Heideggerisch gesagt — die Sage
übersteigt
immer unser Sprechen, und wenn wir die Sprache als Sprache zur Sprache
bringen, dann be-wegen wir uns, d.h. machen den Weg, in
Richtung
auf diese Gestaltenfülle, die wir durch das Setzen von Sprache als
Information notwendigerweise reduzieren und somit auch die Dimension
der
möglichen Gestaltenfülle oder des Seins dessen reduzieren,
was
ist. Ich verstehe also unter Information genau diese Spannung zwischen
Formgebung oder Bestimmung der Form (genitivus subjectivus),
also
den Prozeß der Erzeugung von In-forma-tionen im Sinne einer
Gestaltenfülle
einerseits, und andererseits die Bestimmung der Form (genitivus
objectivus),
also den Prozeß, wodurch wir eine Form sprachlich bestimmen, das
Seiende also eidetisch-sprachlich festhalten (24).
Dieses
können wir auch in Bezug auf die Sprache selbst
tun, worauf
sich Heidegger in seinem Vortrag "Der Weg zur Sprache" bezieht. Wo ist
aber im Geflecht der Sprache mit sich selbst und im Geflecht der
Sprache
mit der Welt das "entbindende Band" (a.a.O. S. 243)? Genau in der
Bewegung
der "Sage" zur "Sprache", d.h. in einer Bewegung, die ent-bindet, oder
ent-läßt oder er-eignet, also Möglichkeiten
eröffnet,
anstatt sie fest-zu-schreiben. Das gilt, meine ich, auch für das
Geflecht
zwischen Sprache und Welt, sofern nämlich hier die Bewegung von
der
Welt her in die Sprache ent-lassen wird, so dass wir der
Gestaltenfülle
in unserem Sprechen von der Welt und in unserem Handeln 'in' ihr so
sind,
daß wir uns auf das Möglich-sein der Dinge einlassen, sie
also
von unseren Be-griffen ent-binden, nachdem wir sie so und so
auf-gefaßt
haben. Es handelt sich also um eine doppelte Bewegung, deren Band auch
unsere Wissenschaft und Technik entläßt und uns selbst in
das
Freisein des Möglichen einläßt. Wir sind zugleich
Sender und Empfänger. Über diese botmäßige
Struktur
des Da-seins spricht Heidegger in seinen letzten Schriften "von" (nicht
"über") der Sprache, besonders im Gespräch mit einem
Japaner (25).
Es
besteht dann die Möglichkeit, dass
wir uns nach
diesen Vor-gaben
— auch im Heideggerschen Sinne der Vor-Struktur des Versehens in Sein
und Zeit: Vorhabe, Vorsicht,
Vorgriff — richten. Wenn ‘man’ das
tut,
dann haben wir sogar auf sozialer Ebene die Verobjektivierung oder
digitale
Auslagerung des ‘Man’ ins digitale Medium. Entscheidend ist aber, dass
diese verobjektivierten Vorverständnisse die Weltoffenheit selbst
nicht wahrnehmen können, dass sie also — auch wenn wir sie
lernfähig
machen und durch den Input des Fragenden/Suchenden dynamisieren
—
für das Vorverständnis der Offenheit selbst, für die
Unbestimmtheit
als solche, verschlossen bleiben, denn Unbestimmtheit zu programmieren
ist ein Widerspruch in sich. Wir können lediglich fuzzy
Systeme
programmieren, aber das ist wieder etwas anderes. Schließlich
sollten
wir nicht das Vernehmen der Weltoffenheit mit dieser selbst
verwechseln.
Sie ist nicht allein unser Werk.
EXKURS 1: Über die
Entstehung
der Zahl
0
Sind
dann 1
und 0 Zahlen oder das, was das Zählen und
somit die
Zahlen ermöglicht? Wo kommt die 0 her? Van der Waerden berichtet,
dass sie in Indien zur Zeit des Buddhismus (ca. 600 v.Chr.) entstand,
als
die Buddhisten anfingen sich für sehr große Zahlen zu
interessieren.
Dazu erzählt er folgende Geschichte:
"Im Buch Lalitavistara
kommt folgende Szene vor
(Siehe etwa
B. Datta und A. N. Singh, History of Hindu Mathematics, Part. I (Lahore
1935)). Prinz Gautama (Buddha) hält beim Fürsten
Dandapani
um die Hand seiner Tochter Gopa an. Er muss sich nun zuerst mit
fünf
anderen Freiern im Schreiben, Fechten, Bogenschiessen, Laufen,
Schwimmen
und Rechnen messen. Er siegt natürlich mit Glanz. Dann stellt der
grosse Mathematiker Arjina ihm Fragen:
"Oh Jüngling, weißt du, wie die Zahlen weitergehen in
Hunderten
oberhalb koti?"
"Ich weiss es."
"Wie gehen die Zahlen weiter oberhalb koti in
Hundertern?"
"Hundert koti heissen ayuta, hundert ayutas niyuta,
hundert
niyutas kankara, hundert hankaras vivara..."
So fährt Buddha fort, durch 23 Stufen hindurch. Nach einem
Rechenbuch ist koti hundert mal hunderttausend (sata sata
sahassa).
Die höchste Zahl, die Buddha nennt, ist also 10 zur 7.
Potenz
. 10 zur 46. Potenz = 10 zur 53. Potenz. Aber in den meisten
Rechenbüchern
haben die Wörter ayuta und niyuta andere Zahlenwerte, nämlich
10 zur 4. Potenz und 10 zur 5. Potenz.
Buddha ist noch nicht fertig: Dies ist erst die erste
Reihe,
sagt er. Darüber kommen noch acht andere Reihen.
Es ist klar, dass diese Zahlwörter nie zum wirklichen Zählen
und Rechnen gebraucht wurden. Es sind reine Spekulationen, wie indische
Türme, die in Stufen zu schwindelerregenden Höhe aufgebaut
werden."
(Van der Waerden, a.a.O. S. 85-86)
Offenbar hängt in Indien
die Erfindung der 0 mit der
Buddhistischen
Leere zusammen. Van der Waerden berichtet aber, dass die griechischen
Astronomen
sich des Zeichens 0 bedienten. Es scheint so zu sein, dass in der Zeit
zwischen 200 und 600 v.Chr. die Inder die griechische Astronomie und
mit
ihr das Sexagesimalsystem und die Null kennenlernten und beide Systeme
verschmolzen. Das indische Zahlensystem wurde durch die Araber im
Mittelalter
übernommen. Wie dem auch historisch gewesen sei, was dabei
interessant
ist, ist die Tatsache, dass die 0 ein Unterscheidungszeichen ist,
nämlich
für die Unterscheidung von 1 und 60 im Sexagesimalsystem. Dazu
nochmals
Van der Waerden:
"Die wichtigste Ziffer ist die
Null. Es ist eine geniale
Idee, sich
das Nichts zunutze zu machen, indem man ihm einen Namen gibt, ein
Symbol
dafür erfindet. "It is like coining the Nirvana into dynamos",
sagt Halsted. Das babylonische Sexagesimalsystem war
unvollkommen, weil
die Null fehlte: Zwischen 60 und 1 oder 1/60 war kein Unterschied. Es
gab
in späteren Zeiten ein Zeichen für eine fehlende Zahl
inmitten
einer Zahl, aber nicht an ihrem Ende." (Van der Waerden, a.a.O. S. 91)
So gesehen ist die Null
eigentlich keine Zahl, sondern ein Unterschied,
oder eine Information wie wir heute sagen würden, "a difference
that
makes a difference", wie Gregory Batesons Definition von Information
lautet.
Dieser Indikator scheint aber in der abendländischen Metaphysik,
die das Eine und die Einheit bedenkt, keine Rolle zu spielen, im
Gegensatz
zum Buddhismus. Heraklit huldigt ihm und Parmenides setzt sich mit
aller
Kraft zur Wehr gegenüber dem Nichts, jenem Nichts also, das
Unterschiede
hervorbringt.
EXKURS 2: Husserl und Rickert
über die
Zahlen
Auf zwei Denkpfade im Umkreis Heideggers zu Beginn des 20.
Jahrhunderts
möchte ich noch kurz eingehen. Zum einen handelt es sich um die
Kontroverse
zwischen Husserl und Frege bezüglich der Frage, ob 0 und 1 Zahlen
sind oder nicht bzw. ob es einen Artunterschied zwischen 0 und 1 und
den
sonstigen Zahlen besteht. Für Frege besteht kein Artunterschied.
Auf
die Frage: Wieviel Monde hat dieser Planet? Kann man mit der Zahl 0
oder
1 genauso gut antworten wie 2 oder 3. Für Husserl dagegen
antworten
Zahlen auf die Frage "wieviel". Genausowenig wie die Antworten
"nirgendwo"
und "niemals" zu Orten oder Zeiten gehören, gehören also 1
oder
0 zu den Zahlen. Gleichwohl sieht Husserl auch "gute Gründe" warum
wir sie, wenn nicht logisch so doch sprachlich und wissenschaftlich zu
den Zahlen zählen. So gibt es also für Husserl einen
Zahlbegriff
im engeren und einen im weiteren Sinne. Er spricht von einer
"Übertragung"
des Zahlbegriffs auf 0 und 1, wodurch dann, wie mir scheint, das
Problem
der Analogie entsteht (26).
Zum
anderen
denke ich an Heinrich Rickerts "Das Eine, die
Einheit und
die Eins" (27). Dort unterscheidet Rickert zwischen
drei Sphären, nämlich die der "psychophysischen
Wirklichkeit",
die des Logischen und die des Mathematischen. Der Begriff des 'Einen'
und
der Begriff der 'Identität' gehören zum "rein Logischen".
Ferner
auch der Begriff der 'Andersheit'. Denn so wie die Form ihr anderes,
den
Inhalt, "fordert", so fordert, allgemein gesagt, das Eine das Andere.
"Das
Eine und das Andere" können aber nicht 'gezählt' werden,
sondern
gehören zusammen: "Einen Satz der Identität gibt es daher
streng
genommen in völlig adäquater Formulierung nicht." (Rickert,
Das
Eine, a.a.O. S. 19). Die Tautologie ist im Wahrheit eine "Heterologie".
Die Einheit des Einen "und" des Anderen sind als eine Einheit des
Mannigfaltigen
zu denken. Somit hätten wir die Begriffe "das Eine" und "die
Einheit"
bestimmt.
Wesentlich
ist aber für Rickert der Unterschied
zwischen der logischen
und der mathematischen Mannigfaltigkeit. Logische Mannigfaltigkeit
nichts mit Zahlen zu tun hat: "Der Sache nach gibt es beim rein
logischen
Gegenstand
allein das Eine und das Andere, und damit ist seine Mannigfaltigkeit
vollkommen erschöpft." (Rickert, Das Eine, a.a.O. S. 35).
Das
Eine, ebensowenig
wie das Andere, ist keine Zahl und hat auch keine "Stelle" wie die
Zahl.
Das Eine und das Andere lassen sich nicht vergleichen: "Identität
schließt deshalb Andersheit aus, während Gleichheit sie
fordert."
(ebda. S. 36) Er zitiert Thomas von Aquin ("aequalitas
diversorum
est") und Meister Eckhart ("Gleichheit steht in Unterschied"). Nicht
nur
physische und psychische Objekte, sondern auch Zahlen sind nur partiell
identisch und fallen deshalb unter "denselben" Begriff, auch wenn sie
nicht
identisch sind. Das Gleichheitszeiten beim Satz der Identität (A =
A) verwischt diesen Unterschied. Diese Formel ist, so Rickert,
nicht
tautologisch, sondern "heterologisch" und ist deshalb zur Darstellung
eines
rein logischen Faktors ungeeignet. Wie aber läßt sich dann
das Eine vom Anderen unterscheiden?
Mit Hilfe eines "Mediums" oder einer "Stelle", wobei im Falle der
logischen
Stellen diese "vollständig mit dem Einen und dem Anderen
zusammen(fallen),
so daß das Eine nicht an der einen Stelle, das Andere
nicht an der anderen Stelle ist, sondern die eine und die
andere Stelle
selbst bildet." (ebd. S. 38) Dieses eigentümliche Verhältnis
wird durch das Wort "und" ausgedrückt.
Im
Gegensatz zu einem solchen heterogenen Medium (das
verbindende und
trennende "und") (H.
Rickert),
das die logische "Einheit des Mannigfaltigen" ermöglicht, haben
wir
bei der Zahl und insbesondere bei der Eins mit einem Gegenstand in
einem
"homogenen Medium" zu tun. Rickert erläutert dieses Medium
zunächst
am Beispiel von Gegenständen, die in der Zeit und im Raum
verschiedene
"Stellen" einnehmen können und dabei, obwohl gleich, sich
voneinander
unterscheiden können. Er hebt aber die Homogeneität überhaupt
hervor: Wir haben bei den Zahlen bloß mit einem "noch" einer
weiteren
Stelle zu tun. Dadurch verlassen wir die Sphäre des rein
Logischen:
"Wir drehen uns nicht mehr im Kreise" (ebd. S. 61). Raum und Zeit sind
zwar noch nicht da, aber die "Reihe". Dieses erste "alogische Element"
erlaubt uns keine Ordnung, sondern nur eine "Fülle" oder "Menge"
von
Elementen. Das zweite "alogische Element" zur Bestimmung der Zahl ist
für
Rickert "das Quantum", das er als "eine Art von Qualität"
definiert.
Zahlen sind also raum- und zeitfrei, bedürfen aber eines
"homogenen
Mediums".
Rickert
erwähnt zwar "das Problem der Null", aber er
läßt
die Frage offen, ob die Null "eine Zahl, wie die Eins, oder nur eine
Zahlstelle
ist." (ebda. S. 69). Er unterscheidet zwischen dem Begriff der Eins
oder
den Zahlbegriffen überhaupt, den Zahlstellen und den Zahlen
selbst.
Zahlstellen und Zahlbegriffe lassen sich nicht zählen. Jeder
Begriff
ist mit sich selbst identisch. Es gibt aber die Exemplare der Eins.
Gäbe
es sie nicht, hätte der Satz 1 = 1 keinen Sinn. Zusammenfassend
schreibt
er:
"Die erste und die zweite
Stelle kann man nicht so
addieren, daß
sie zusammen irgendeiner Stelle gleichen, sondern man kann nur sagen,
daß
eine Stelle und noch eine Stelle zusammen so viel wie zwei
Stellen
sind. Auch daß die zweite Stelle größer als die erste,
die dritte größer als die zweite ist, gibt keinen Sinn. Die
Zahl darf niemals als bloßes Stellenzeichen definiert werden,
jedenfalls
die Zahl nicht, mit der man rechnen kann. [...] Hier war nur zu
zeigen,
daß die Zahl ist etwas anderes ist, als ihr Begriff und als die
Stelle
des homogenen Mediums, an der sie sich befindet, und die durch sie
geordnet
wird." (ebda. S. 70-71)
Schließlich geht
Rickert kurz auf den Begriff des "Einzigen" im
Sinne
der "Gegensatzlosigkeit" ein, jenseits also von der mathematischen
(durch
"Stelle" und "Quantum" bestimmten) und logischen (durch "und"
bestimmten)
Einheit. Das All-Eine hätte keine Stelle und auch kein Quantum und
nichts könnte ihm entgegengesetzt werden:
"Als reine
"Identitätsphilosophie", die
überlogisch sich
gestalten müßte, hätte der Monismus die Aufgabe, in
einem
philosophischen System das ewig Andere aus der Welt zu schaffen, jenes
Andere, auf dem wie wir gesehen haben, alles gegenständliche
Denken
überhaupt, also auch alle Wissenschaft beruht." (eda. S. 74)
Man sieht hier nicht nur die
Grenze des Logischen, sondern auch die
Grenzen
des Mathematischen in bezug nämlich auf das "qualitativ bestimmte
Reale", das sich als ein "heterogenes Kontinuum" darstellt (ebda. S.
79).
Konsequenterweise lehnt Rickert den Gedanken "einer universalen
Mathematik als Logik" ab (ebda.). Die Abhandlung schließt mit dem
Unterschied zwischen dem "Sein des Logischen" und dem des
"Existierens",
"das entweder ein ideales oder ein reales
Existieren
ist."
(ebda. S. 80). Womit wir bei Heideggers Frage nach den
unterschiedlichen
Seinsweisen und nach der Seinsfrage überhaupt angekommen
wären.