Das
Verhältnis zwischen Philosophie und Theater stellt sich
zunächst als zweideutig dar. Einerseits kann die Philosophie die
gedankliche Struktur eines Theaterstücks auslegen und sie von der
dramatischen Form aussondern, andererseits kann das Theater bestimmte
philosophische Gedanken als Stoff nehmen und sie in eine Handlung
umsetzen. Im ersten Fall haben wir es mit einer Philosophie des
Theaters (genitivus obiectivus)
zu tun, deren Fragwürdigkeit sich so ausdrücken
läßt: inwieweit projiziert die Philosophie ihre
Fragestellungen in das Drama hinein? Im zweiten Fall handelt es sich um
eine Philosophie des Theaters (genitivus
subiectivus), wo die Legitimationsfrage lautet: inwieweit kann
das Theater philosophische Gedanken in eine dramatische Handlung
umsetzen, ohne sie dabei zu verändern? Diese letzte Frage bringt
ein neues Element zur Sprache, nämlich die Wechselwirkung zwischen
Philosophie und Theater bzw. zwischen Gedanken und Handlungen. Diese
Wechselwirkung kann weder durch ein rationalistisches noch durch ein
irrationalistisches Theater unterdrückt werden. Hinter dem Schein
der philosophischen Verherrlichung, die sich z.B. in einem
rationalistischen Theaterstück zeigt, ist die Aufgabe der
Philosophie, diesen Schein in Frage stellen und die dramatische
Umwandlung des Gedankens (und des Denkens!) hervorzuheben.
Der Stand der Forschung über
Calderóns Drama "La vida es sueño" wurde von Hermann
Dommel in seiner Dissertation "Die gedankliche und dramatische Struktur
von Calderóns Drama 'La vida es sueño'" (Würzburg
1971) in etwa neunzig Seiten kommentierter Bibliographie,
zusammengefaßt. Der Autor stellt das Ergebnis seiner Untersuchung
folgendermaßen dar:
"Wichtigstes
Ergebnis unserer Analyse ist die Einsicht, dass in "La vida es
sueño" das Dramatische vom Gedanklichen bestimmt wird; dies ist
auch der Grund, weshalb wir besonderen Wert auf die Beleuchtung von
Calderóns geistigem Raum legten" (Dommel 1971, 433)
Im Ineinanderwirken von Gedanklichem
und Dramatischem, gibt H. Dommel dem Gedanken das Primat, während
das Dramatische nur ein Hilfsmittel ist. Wird aber eine solche
Feststellung der dramatischen Gattung gerecht? Ändert sich die
Idee nicht notwendigerweise, wenn sie im Element des Dramatischen
erscheint?
A.M. García, in seiner Analyse
"El fondo conceptual en el proceso de conversión de Segismundo",
beschreibt den Bekehrungsprozeß Segismundos: Leitfaden des Dramas
ist nicht ein bestimmter Gedanke der Freiheit bzw. des Lebens, sondern
eine innere Erfahrung, deren christliches Modell García in den
"Ejercicios Espirituales" von Ignacio von Loyola sieht:
"Calderón
no persigue un examen ontológico de la realidad. La frase 'la
vida es sueño' no es una mera proposición
metafísica, sino afirmación de una experiencia
ascética." (García 1976, 196-97)
Für den von den Jesuiten
erzogenen Calderón dürfte diese Meinung zutreffen. Sie
schließt aber nicht aus, daß die geistige Erfahrung im
Hintergrund philosophisch-theologischer Auseinandersetzungen stattfand.
Dabei haben die Jesuiten, wie A. Valbuena Prat in seiner "Historia de
la Literatura española" bemerkt, eine Synthese
zwischen den platonisch-augustinischen und den
aristotelisch-thomistischen Schulen angestrebt. Gerade für den
Gedanken (und die Erfahrung!) der Freiheit ist der augustinische und
nicht nur thomistische Hintergrund Calderóns von großer
Relevanz:
"Calderón, que se formó
en los teólogos jesuítas, especialmente, siguió en
su obra sacra, dentro de esta dualidad (sc. zwischen Platon und
Aristoteles bzw. Augustinus und Thomas v. Aquin). Francisco
Suárez, por ejemplo - que murió en
1617 -, en el tratado "De Gratia", interesante para los problemas de la
libertad y la predestinación que tanto cautivaron al dramaturgo,
y que hicieron vibrar a toda la España de la
época, considera a San Agustín, como el autor fundamental
para su tema, advirtiendo cómo Santo Tomás se
adhirió profundamente al Divino Africano en este punto. Willy
Kaspers considera el pensamiento teológico de Calderón
dentro de la dirección agustiniana a la vez que perfectamene
encajado en el sistema de la Escolástica." (Valbuena Prat 1968,
42)
M. F. Sciacca versucht dem
Platonismus Calderóns nachzugehen: "sueño" und
"despertar" entsprechen dem "mundus sensibilis" bzw. "intelligibilis".
Die Fragwürdigkeit einer solchen Interpretation läßt
sich nur aus der Absicht Sciaccas verstehen:
"[...] la
belleza de las páginas calderonianas me ha inducido a meditar
acerca de la "aventura" de Segismundo." (Sciacca 1976, 541)
Die Freiheiten in der
Textinterpretation sind eher das Ergebnis einer philosophischen
"meditación" als die einer kritischen
literaturwissenschaftlichen Analyse.
Schließlich ist die Darstellung
der "filosofía de la libertad" de T. Carreras y Artau (1927) zu
erwähnen, die H. Dommel folgendermaßen zusammenfaßt:
"Dem
Verfasser liegt vor allem am Problem der Freiheit. Er betont, daß
es ihm mehr um die Idee als um die Tatsache der Freiheit gehe und
unterscheidet bei Segismundo drei, in etwa den "jornadas" entsprechende
Phasen: "La libertad natural, el libre albedrío y la libertad
moral o sabiduríai" [...] Grundsätzlich ist gegen diese
Gliederung nichts einzuwenden, doch bleibt die Bedeutung des freien
Willens in der Analyse zu sehr im Hintergrund" (Dommel 1971, 42)
Unsere Untersuchung über die
Frage nach der Freiheit in Calderóns Drama "La vida es
sueño", stellt zunächst diese Frage in Zusammenhang mit den
anderen Kerngedanken des Dramas dar. Die Frage nach der Freiheit war
für die Philosophie und die Theologie des 16. und 17. Jahrhunderts
Thema endloser eifriger Auseinandersetzungen. Die Erörterung
dieses philosophiehistorischen Hintergrundes trägt wesentlich zum
Verständnis von Calderóns Auffassung der Freiheit bei. Der
zweite Teil der Untersuchung ist eine Analyse der dramatischen
Darstellung der Frage nach der Freiheit. Zum Schluß folgen
kritische Bemerkungen über den Freiheitsgedanke und seiner
Darstellung bei Calderón.
I.
Kerngedanken und philosophiehistorische Hintergründe des Dramas
In diesem Abschnitt geben wir
zunächst einen kurzen Überblick über die Kerngedanken
des Dramas, ohne aber auf ihre dramatische Darstellung einzugehen. Der
zweite Teil dieses Abschnittes ist den philosophiehistorischen
Hintergründen der Frage nach der Freiheit gewidmet. Wir werden
diese Frage in metaphysischer und anthropologischer Hinsicht behandeln,
und anhand des Streites zwischen D. Bañez und Luis de
Molina exemplarisch erörtern.
1) Die Kerngedanken des Dramas
Der Titel des Dramas deutet auf die
zentrale Funktion des Traumgedankens hin. Der Begriff "sueño" is
einerseits ein biologischer Vorgang, andererseits wird er hier
metaphorisch verwendet. Die Zweideutigkeit des Wortes "sueño"
als Schlaf und Traum, spielt dabei eine vermittelnde Rolle. Der
gedankliche Gehalt der Aussage 'la vida es sueño',
läßt sich nur in Zusammenhang mit den anderen Kerngedanken
des Dramas auslegen. Das Leben, das hier gemeint ist, ist das irdische
Leben. Der Gedanke, daß alle Lebenden träumen,
läßt auch auf die Existenz eines Bereiches schließen,
indem diese nicht träumen. Das irdische Leben wird als "Wahn",
"Täuschung", "Schatten", "Fiktion", schließlich als ein
Traum, der nichts weiteres ist als Traum gekennzeichnet:
"¿Qué es la
vida?, un frenesí;
¿qué es la vida?, una ilusión,
una sombra, una ficción,
y el mayor bien es pequeño,
que toda la vida es sueño,
a los sueños, sueños son." (II, 29)
Damit ist nicht einfach die
Nichtigkeit alles Irdischen gemeint. Der Gedanke des Lebens als Traum
ist nicht primär ein metaphysischer Gedanke, obwohl die Frage "¿qué
es la vida?" den
Seinsgrund des Lebens ausspricht. Diese Frage aber und mit ihr der
Traumgedanke gründen in der ethischen Erfahrung der Freiheit.
Der zweite Kerngedanke des Dramas ist
die Freiheit. In der ersten "jornada", nennt Segismundo ihre Merkmale:
"Nace el ave, y con las galas
[...]
¿y teniendo yo más alma,
tengo menos libertad?
Nace el bruto, y con la piel
[...]
¿y yo, con mejor instinto,
tengo menos libertad?
Nace el pez, que no respira,
[...]
¿y yo, con más albedrío,
tengo menos libertad?
Nace el arroyo, culebra,
[...]
¿y teniendo yo más vida,
tengo menos libertad?" (I, 2
Nicht nur die Freiheit des Willens
("albedrío"), sondern auch die "Seele", der "Instinkt" und das
"Leben" gehören zum Wesen der menschlichen Freiheit. Der Mensch
besitzt diese Attribute in ausgezeichneter Weise ("más").
Trotzdem empfindet der physisch, und dadurch auch psychisch, gefangene
Mensch, ein Weniger ("menos") an Freiheit. Das Bewußtsein der
Freiheit steht in Widerspruch mit ihrer Verwirklichung. Die Ursache
dieses Widerspruchs ist aber nicht unmittelbar die Freiheit selbst,
sondern eine äußere Macht, das Fatum.
Der dritte Kerngedanke des Dramas ist
das tugendhafte Handeln. Dieser ethische Gedanke steht im engen
Zusammenhang mit den Traum- und Freiheitsgedanken. Der Gegensatz zum
tugendhaften Handeln wird von Segismundo folgendermaßen
ausgedrückt:
"¿qué tengo más
de saber,
después de saber quien soy,
para mostrar desde hoy
mi soberbia y mi poder?" (II, 3)
Statt "soberbia" rät der
Erzieher Clotaldo:
"Segismundo, que aun en sueños
no se pierde el hacer bien." (II, 18)
Das Wesen des "hacer bien" besteht in
der Demut, die Segismundo zum Schluß des Dramas seinem Vater
gegenüber zeigt:
"[...] humilde aguarda
mi cuello a que tú te vengues" (III, 14)
"Soberbia" und "humildad" sind
moralische Werte, die im Laufe des Dramas, besonders in Zusammenhang
mit dem politischen Handeln Segismundos, einen sozial-ethischen
Charakter gewinnen.
2) Philosophiehistorische
Hintergründe des Freiheitsgedankens
Die spanische Philosophie der
Renaissance ist aufs engste mit der Gegenreformation verbunden. Eine
erneuerte Scholastik war das philosophische Rüstzeug für die
Auseinandersetzung. Die Dominikaner lieferten zuerst das Vorspiel mit
Francisco de Vitoria (1483-1546), der zum 'echten' Thomas
zurückkehrte. Im Jahre 1588 veröffentlichte in Lissabon der
Jesuit Luis de Molina (1536-1600) die Schrift: "Concordia liberi
arbitrii cum gratiae donis, divina providentia, praedestinatione et
reprobatione". Der Anlaß zum berühmten Streit zwischen
'Molinisten' und 'Bañezianisten', war die Gegenthese
des Schülers Vitorias, Dominicus Bañez
(1528-1604).
In metaphysischer Hinsicht stellte
sich die Frage nach der Mitwirkung Gottes beim Handeln seiner
Geschöpfe. Im Falle übernatürlicher Handlungen, z.B. des
Glaubens, heißt die Mitwirkung Gottes Gnade ("gratia"), im Falle
natürlicher Handlungen, einfach Mitwirkung ("concursus"). Der
"concursus" kann mittelbar oder unmittelbar sein: im ersten Fall
beeinflußt Gott die Handlungen nur indem er neue Geschöpfe
schafft und sie am Leben erhält, im zweiten Fall indem er "von
nahe" die Handlungen beeinflußt. Der unmittelbare "concursus"
kann "physisch" oder "moralisch" sein: "physisch", indem er die
"physischen" bzw. "natürlichen" Kräfte verstärkt,
"moralisch", indem er berät, überzeugt, usw. Die physische
Mitwirkung ("concursus physicus") kann wiederum "vor" der Handlung
("concursus praevius") oder "zusammen" mit dieser ("concursus
simultaneus") stattfinden, wobei "vor" oder "zusammen" nicht zeitlich,
sondern (metaphysisch) kausal verstanden werden. Bañez
vertrat die These des "concursus praevius", auch "praemotio physica"
genannt, Molina die des "concursus simultaneus".
Tabellarisch, lassen sich die Thesen
folgendermaßen darstellen:
gratia
|
|
|
|
concursus
|
mediatus
|
|
|
|
immediatus
|
physicus
|
praevius (Bañez) |
|
|
|
simultaneus (Molina)
|
|
|
moralis
|
|
Einig waren sie sich Molina und
Bañez in der "physischen" Natur des "concursus". Während
aber Bañez die Allmacht und Vorherbestimmung Gottes
und dadurch seine Einwirkung ("in-fluit") in die menschliche Freiheit
betonte, setzte Molina das Gewicht auf die Seite der menschlichen
Freiheit, wobei Gott lediglich mitwirkte ("con-fluit"). Der "concursus
praevius" ist von sich aus bestimmt ("de se determinatus") und zielt
auf eine bestimmte Handlung, er ist wirksam "ab intrinseco" und
erreicht eine Wirkung. Der "concursus" simultaneus" ist nicht von sich
aus vorbestimmt bzw. ist "gleichgültig" ("indifferens"), er wird
von der Entscheidung des Geschöpfes bestimmt bzw. ist wirksam "ab
extrinseco". Der Streit wurde vom Papst Paul V. durch ein "non liquet"
entschieden, da weder die Dominikaner Calvinisten noch die Jesuiten
Pelagianer waren (Napoli 1963; Vorländer 1975)
In anthropologischer Hinsicht
unterschied die Scholastik und mit ihr die spanische Philosophie der
Renaissance, zwischen "libertas a coactione extrinseca" einerseits,
d.h. die Freiheit von einem äußeren Zwang, z.B.
Gefangenschaft, Armut, usw., und "libertas a necessitate intrinseca"
andererseits, d.h. die Willensfreiheit, die auch "libertas arbitrii",
"libertas indifferentiae" oder einfach "libertas" genannt wurde. Bei
den von Augustinus beeinflußten Denkern, z.B. Suárez,
wurde zwischen "liberum arbitrium" bzw. Willensfreiheit und "libertas"
als die Freiheit die erst erreicht ist, wenn der Mensch bei Gott ist,
unterchieden.
Gegenüber dem "liberum
arbitrium" gab es zwei Lehren, die es bestritten: der Fatalismus und
der Determinismus. Der Fatalismus wurde von der
griechisch-römischen Denktradition ("ananke", "moira", "fatum",
"destino") sowie von den Gründern der Reformation (Luther, Calvin,
Jansenius) vertreten. Der Determinismus fand in den Wissenschaften,
insbesondere in der Astrologie seine Verfechter.
Im 16. Jahrhundert gab es eine
Trennung zwischen erlaubter und unerlaubter Astrologie. So schrieb der
Theologe Rvdo. Maestro Ciruelo im Jahre 1547:
"Pues el
verdadero filósofo, que conoce las virtudes y propiedades de las
estrellas, podrá, por ellas, conocer los efectos sobredichos en
los elementos y en los hombres y aves y animales y árboles; y
podrá, naturalmente, decirlos antes que vengan [...] Y esta
astrología es lícita y verdadera, como la
filosofía natural y la medicina." ("Reprobación de las
supersticiones y hechicerías", zitiert von Dommel, a.a.O.,
260-61)
Das Fatum wurde von Thomas von Aquin
der göttlichen Vorsehung untergeordnet, an einigen Stellen aber
wörtlich mit dem göttlichen Willen identifiziert:
"Et idea
causaliter Dei potestas vel voluntas dici potest fatum. Essentialiter
vero fatum est ipsa dispositio seu series, idest ordo causarum
secundarum." (Summa Theol. I, 116, 2 ad 1)
Damit hebt Thomas die Identität
des Schicksals mit der Anordnung der Zweitursachen und die primäre
Urheberschaft Gottes hervor.
Wir beschließen hiermit die
Darstellung einiger philosophiehistorischen Hintergründe des
Freiheitsgedanken in der spanischen Philosophie der Renaissance, die
uns jetzt zum Verständnis der dramatischen Darstellung der Frage
nach der Freiheit in Calderóns Drama "La vida es sueño"
dienen sollen.
II. Dramatische Darstellung
der Frage nach der Freiheit
In diesem Abschnitt stellen wir die
dramatische Entfaltung des Freiheitsgedanken dar. Wir folgen dem Weg
der drei "jornadas", in denen Segismundo jeweils eine neue
Bewußtseinsstufe erreicht. Inwiefern dieses zunächst
lediglich heuristisches Schema, sich in der dramatischen Handlung und
im Bewußtsein der Zuschauer vollzieht, bleibt vorläufig eine
offene Frage.
1)
Die gekettete Freiheit ("jornada primera")
Der Begriff Freiheit taucht zum
ersten mal auf, als Segismundo sich im ersten Monolog mit der Natur
vergleicht, und erkennt, daß obwohl er "alma", "instinto",
"albedrío" und "vida" hat, weniger Freihiet als die Tiere
besitzt. Dabei ist die Einschränkung seiner äußeren
Freiheit gemeint: er ist ein Gefangener. Dadurch, daß er
Gefangener ist, ist sich Segismundo auch seiner Willensfreiheit
bewußt. Gegenüber der geketteten Freiheit, seht sich
Segismundo nach einer uneingeschränkten äußeren
Freiheit, d.h. nach der Willkür, die über Gesetzt,
Gerechtigkeit und Vernunft zu sein glaubt:
"¿qué ley, justicia o
razón
negar a los hombres sabe
privilegio tan süave,
excepción tan principal,
que Dios le ha dado a un cristal,
a un pez, a un bruto y a un ave?" (I, 2)
Das Bewußtsein der Freiheit,
schließt hier Gott nicht aus, wohl aber die Vorbestimmung eines
neutralen Gesetzes. Die Frage hat somit molinistische Akzente.
Segismundo vermutet in seiner Unfreiheit eine Strafe des Himmels:
"Apurar, cielos, pretendo,
ya que me tratáis así,
qué delito cometí,
contra vosotros naciendo;" (I, 2)
Segismundo ahnt, daß der Grund
seiner physischen Unfreiheit, ein Gebot des Himmels ist. Er spürt
den Kerker als Schranke gegen seinen uneingeschränkten Willen zur
Freiheit:
"[...] Ah cielos,
qué bien hacéis en quitarme
la libertad. Porque fuera
contra vosotros gigante,
que para quebrar al sol
esos vidrios y cristales,
sobre cimientos de piedra
pusiera montes de jaspe!" (I, 3)
Die Empörung Segismundos
gegenüber der vom Himmel befohlenen Unfreiheit gründet im
Bewußtseins seiner Willensfreiheit ("albedrío"). Diese
steht über allen Versuchen seinen Hochmut und seine Leidenschaft
durch Vorherbestimmung seiner Handlungen zu unterdrücken. Aus dem
durch seine physische Unfreiheit wachsenden Bewußtsein seiner
Willensfreiheit entfaltet sich der reine Wille zur Freiheit, dessen
Machtgier im Bild eines Riesen ("gigante") projiziert wird, der gegen
den Himmel aufstehen und die Sonne zerschlagen will.
Basilio, König und Astrolog,
verkörpert die Rede des Wissens bzw. das Vertrauen der Vernunft in
der Vorherbestimmung unserer Handlungen durch Schicksal und Horoskop:
"Pues dando crédito yo
a los hados, que, divinos,
me pronostrican daños
en fatales vaticinios,
determiné de encerrar
la fiera que había nacido,
por ver si el sabio tenía
en las estrellas dominio." (I, 6)
Basilio bezeugt damit einerseits
seinen Glauben ans Schicksal, andererseits versucht er als "sabio" das
Schicksal zu überlisten. Im selben Monolog revidiert aber Basilio
seine Vorbeugungsstrategie, indem er der Willensfreiheit eine Chance
geben will:
"[...] pues aunque su
inclinación
le dice sus precipicios,
quizá no le vencerán,
porque el hado más esquivo,
la inclinación más violenta,
el planeta más impío,
sólo el albedrío inclinan,
no fuerzan el albedrío." (I, 6)
Während also für Segismundo
in dieser ersten "jornada" das Bewußtsein seiner Willensfreiheit
sich in Machtwille verwandelt, wird sich Basilio der möglichen
Kraft des Willens gegenüber Schicksal und Horoskop bewußt.
2) Die ent-täuschte
Freiheit ("jornada segunda")
Basilio will Segismundos
Willensfreiheit prüfen. Der Maßstab für die Erkennung
des Sieges oder Niederlage des "albedrio" ist das ethische Handeln:
"[...] porque el hombre
predomina en las estrellas.
Esto quiero examinar,
trayéndole donde sepa
que es mi hijo, y donde haga
de su talento la prueba.
Si magnánimo la vence,
reinará; pero si muestra
el ser cruel y tirano,
le volveré a su cadena." (II, 1)
Segismundo erwacht im Palast. Seine
äußere Unfreiheit ist aufgehoben. Statt sich aber dem
Maßstab Basilius anzupassen, vollzieht er seinen Machtanspruch:
"¿qué tengo
más de saber,
después de saber quien soy,
para mostrar desde hoy,
mi soberbia y mi poder?" (II, 3)
Sein Stolz bzw. Hochmut und seine
Macht äußeren sich in lasterhaften Handlungen. Seine
Freiheit wird von der Willkür seines Willens bzw. von seinem
Egoismus bestimmt. Seine Machtbesessenheit wandelt sich zuletzt in
Gewalttätigkeit um: Segismundo ermordet seinen Diener. Für
den Tyrannen Segismundo war das kein Mord, sondern lediglich ein
Fenstersturz.
Gegenüber diesen Handlungen
zeigt sich Basilio in seinen Hoffnungen enttäuscht:
"Pésame mucho que cuando,
príncipe, a verte he venido,
pensando hallarte advertido,
de hados y estrellas triunfando,
con tanto rigor te vea," (II, 6)
Segismundo klagt seinerseits seinen
Vater an:
"Tirano de mi albedrío" (II, 6)
Die Vorbeugungsmaßnahmen
Basilios haben aus Segismundo ein Tier gemacht:
"[...] y sé que soy
un compuesto de hombre y fiera." (II, 6)
Segismundo zieht aber aus dieser
Selbsterkenntnis keine positiven Konsequenzen. Seine Enttäuschung
betrifft nur die Härte und Hartherzigkeit seines Vaters. Ihn
interessiert aber nicht die Widerlegung des Schicksals. Sein Handeln
zielt nicht auf die Prüfung des Wissens, sondern auf die totale
Verwirklichung seines Willens.
Basilio warnt ihn vor der
Täuschung der Ent-täuschung:
"Y aunque sepas ya quién eres,
y desengañado esttés,
y aunque en un lugar te ves
donde a todos te prefieres
mira bien lo que te advierto,
que seas humilde y blando,
porque quizá estás soñando,
aunque ves que estás despierto." (II, 6)
Damit deutet Basilio auf die
ethisch-pädagogische Wirkung des Traumgedankens hin. Diese soll
Segismundo nicht nur über die Traumwirklichkeit alles Irdischen,
sondern auch über den scheinbaren Sieg des Machtwillens
ent-täuschen. Der Erzieher Clotaldo faßt, für den
erneut eingekerkerten Segismundo, die Lehre des Traums zusammen:
"[...] que aun en sueños
no se pierde el hacer bien." (II, 18)
Das Bewußtsein des ethischen
Handelns ("hacer bien") äußert sich bei Segismundo, indem er
durch die Enttäuschung sich wieder im Kerker zu befinden,
ent-täuscht über die scheinbare Wahrheit seines Machtwillens
ist. es ist wahr, die Verwirklichung des Willens besteht in der
Beherrschung seines Machtanspruchs:
"Es verdad; pues reprimamos
esta fiera condición,
esta furia, esta ambición,
por si alguna vez soñamos;" (II, 19)
Das Versagen von Segismundos "libre
albedrío" führt Basilio zum Schlußkonflikt und
Schuldbewußtsein. Der Traumgedanke dient als Vermittlung zu einem
neuen Freiheitsbewußtsein bei Segismundo: nicht mehr die Freiheit
steht im Dienste des Willens, sondern der Wille im Dienste der
ethischen Freiheit ("hacer bien"). Dabei zeigt sich die enge
Verknüpfung der Kerngedanken des Dramas.
3) Die
aufgeklärte Freiheit ("jornada tercera")
Die doppelte Enttäuschung
Segismundos, die ihn zur praktischen Resignation führt, wird durch
eine Rebellion verwandelt. Eine zweite Prüfung des Willens zur
Freiheit findet statt:
"Sal, pues, que en ese desierto,
ejército numeroso
de bandidos y plebeyos
te aclaman: la libertad
te espera; oye sus acentos." (III, 3)
Die ent-täuschte Willensfreiheit
Segismundos läßt sich aber diesmal nicht durch die Rufe
"Viva Segismundo, viva!" blenden. Er spürt, daß es sich
nicht einfach um die Wiederholung einer vergangenen Erfahrung handelt.
Diesmal ist er ent-täuscht, d.h. er kennt den Maßstab seines
Handelns:
"pues que la vida es tan corta,
soñemos, alma, soñemos
otra vez; pero ha de ser
con atención y consejo
de que hemos de despertar
deste gusto el mejor tiempo;" (III, 3)
Im Bewußtsein seiner wahren
Freiheit, unternimmt Segismundo die Befreiung seines Volkes:
"Vasallos, yo os agradezco
la lealtad; en mí lleváis
quien os libre osado y diestro
de extranjera esclavitud." (III, 3)
Im Augenblick also, wo Segismundo
sich der Mächtigkeit der irdischen Macht bewußt wurde, gibt
ihm das Volk die Macht.
Die Ent-täuschung ("des-engaño")
führt Segismundo jetzt zum nüchternen Handeln, das durch
Überlegung ("atención") und Klugheit ("consejo")
gekennzeichnet ist. Er nimmt sich nicht die Macht, sondern diese wird
ihm verliehen. Mit den Worten "atrevámonos a todo" unternimmt er
eine neue Prüfung seines Freiheitsbewußtseins: diesmal
handelt es sich aber nicht um eine vom Wissen veranstaltete
Prüfung, sondern um eine Entscheidung "unter freiem Himmel", wo
die göttliche Vorsehung mitwirkt, ohne daß sie primär
zum Vorschein kommt. Segismundo entscheidet sich frei für das
ethische Handeln:
"Que estoy soñando, yo que
quiero
obrar bien, pues no se pierde
el hacer bien, aun en sueños." (III, 4)
Mit dieser Wiederholung von Clotaldos
Worten, zeigt der Prinz das klare Ziel jedes Handelns "auch in
Träumen". Diese ethische Aufklärung Segismundos steht
jenseits des metaphysischen Zweifelns "Wahrheit oder Täuschung":
"mas sea verdad o sueño
obrar bien es lo que importa:" (III, 4)
Gegenüber dem
Schuldbewußtsein Basilios, der sich zuletzt seinem Schicksal
übergibt, zeigt Segismundo das negative Beispiel eines Menschen,
der einen falschen Gebrauch von seiner Einsicht in das Künftige
gemacht hat:
"Mi padre, que está presente,
por excusarse a la saña
de mi condición, me hizo
un bruto, una fiera humana:" (III, 14)
Er gesteht also die schicksalhafte
Neigung ("condición"); seine Erfahrung der Freiheit hat ihm aber
gezeigt, daß das Schicksal nur mit Klugheit und
Mäßigkeit überwunden werden kann. Das Bewußtsein
seines inneren Sieges führt den Prinzen nicht zu einer neuen
Überheblichkeit. So wie Basilio in Demut sein
Schuldbewußtsein bezeugt, löst Segismundo auch in Demut
diesen letzten inneren Widerspruch:
"[...] humilde aguarda
mi cuello a que tú te vengues:
rendido estoy a tus plantas." (III, 14)
III.
Kritische Bemerkungen
Calderóns Drama "La vida es sueño" ist kein
philosophisches Lehrbuch, obwohl es zweifellos von der Philosophie,
Theologie und Wissenschaft seiner Zeit beeinflußt wurde. Es
wäre m.E. verkehrt, eine philosophische Stellungnahme
Calderóns, z.B. für den Molinismus, in diesem Drama zu
suchen. Was das Drama widerspiegelt ist zunächst die
Problemstellung selbst. Diese gründet in der spanischen
Philosophie der Renaissance. Das heißt aber nicht, daß eine
bestimmte philosophische Auffassung der Freiheit einfach
übernommen wurde. Auch wenn die dramatische Darstellung des
Freiheitsgedankens zu einer moralischen Lehre führt,
läßt die Form des Dramas nicht zu, diese Belehrung als einen
philosophisch bewiesenen Grundsatz zu verstehen. Der Vollzug der
Erfahrung der Freiheit, der Segismundo den Zuschauern zeigt, ist
zunächst für diese die Darstellung einer Frage und nicht der Beweis einer
Lehre.
Die Frage nach der Freiheit als Wille
zur Freiheit ist einer der Kernfragen der zeitgenössischen
Philosophie. Natürlich bedeutet die Freiheit des Willens etwas
anderes als der Wille zur Freiheit. Dieser Unterschied trennt unsere
Fragestellung von der barocken. Aber so wie die Erfahrung der
Willensfreiheit auch den Willen zur Freiheit in sich birgt, so
schließt auch unsere Erfahrung (und Denken!) des Willens zur
Freiheit die des Wählen- und Entscheidenkönnens ein.
"La vida es sueño" ist kein
museales Lesestück, das uns Auskunft über 'altmodisch'
gewordene Fragestellungen gibt, ohne die historischen Schranken zu
überwinden. Hinter der barocken Fassade von Fatum und Astrologie,
von göttlicher Vorherbestimmung und ihrer Mitwirkung, von
ethisch-religiöser Tugendauffassung, vollzieht das Drama als Drama eine Umwandlung des
Gedankens und des Denkens, und wirkt somit nicht als
Verherrlichung einer bestimmten Freiheitslehre, sondern als Frage nach
der Freiheit selbst.
Literatur
Carreras y Artau, Tomás: La Filosofía de la
libertad en "La vida es sueño" de Calderón.
In: Estudios eruditos in memoriam de Adolfo Bonilla y San Martín
(1875-1926). Tomo I, Madrid 1927.
Dommel, Hermann, Die gedankliche und dramatische Struktur von
Calderóns Drama "La vida es sueño" (Diss.
Würzburg 1971).
García, A.M.: El fondo conceptual en el proceso de
conversión de Segismundo. In: Hans Flasche: Hacia
Calderón. Tercer Coloquio Anglogermano. Berlin, New York: de
Gruyter 1976 (Calderoniana, Bd. 10) 185-215.
Kommerell, Max: Beiträge zu einem deutschen Calderón. Band
I, Etwas über die Kunst Calderóns. Frankfurt a.M. 1946.
Napoli, Ioannes di: Manuale Philosophiae. Marietti 1963.
Sciacca, M. Federico: Verdad y sueño de "La vida es
sueño" de Calderón de la Barca. In: M.
Durán, R. González Echevarría: Calderón y
la Crítica: Historia y Antología. Madrid: Gredos 1976
(Bibl. Románica Hispánica, II. Estudios y Ensayos 238).
Valbuena Prat, Angel: Historia de la literatura Española.
Barcelona: Gili 1968.
Vorländer, Karl: Philosophie der Renaissance, Rowohlt 1975.