I.
VORBEMERKUNGEN ZUR PHÄNOMENOLOGISCHEN METHODE
Die
phänomenologische Philosophie
gehört zu den großen Denkbewegungen dieses Jahrhunderts. Sie
ist zunächst eine Gegenbewegung gegen die metaphysischen Systeme
des
19. Jahrhunderts und gegen die Auflösung der Philosophie in den
positiven
Wissenschaften (Ströker/Jansen 1989). Zu Beginn steht das Werk
Edmund
Husserls, insbesondere die "Logischen Untersuchungen" (1900/1901), wo
die
Selbständigkeit des Logischen gegenüber dem Psychischen
herausgearbeitet
wird und zugleich Grundkategorien der Phänomenologie, wie z.B.
Intentionalität
und kategoriale Anschauung, bestimmt werden. In den folgenden
Vorbemerkungen
zur phänomenologischen Methode werde ich nicht auf die
verschiedenen
Schulen der Phänomenologie eingehen (Ströker/Jansen 1989),
sondern
werde mich auf die Verwandlung der Phänomenologie Husserls durch
Heidegger
einschränken (Capurro 1988 und 1991). Dies wiederum allein mit dem
Ziel einer Vorbereitung zum Hauptthema dieses Vortrags.
Die
phänomenologische
Maxime lautet "zu den Sachen selbst". Diese Maxime richtet sich gegen
ein
vordergründiges sich als Philosophie angebendes Spiel mit
tradierten
Begriffen und Problemstellungen unter Umgehung der 'Sachen selbst'.
Bereits
in ihrem Namen betont die Phänomenologie die Ausrichtung auf die
Phänomene,
also auf das, was sich zeigt ('phainomenon') und zwar in der Rede
(logos).
Diese wird dabei so wie bei anderen Komposita, wie z.B. Biologie oder
Geologie,
als eine 'sacherfassende Rede' (logos
apophantikos) und nicht als ein
bloßes allgemeines Bedeuten, verstanden.
Der
Gegenbegriff zu
Phänomen
ist Verdeckung. Phänomenologie ist Arbeit am Abbauen von
Verdeckungen
und Verstellungen, sie ist "Destruktion" wird Heidegger in "Sein und
Zeit"
sagen. Die Phänomene der Phänomenologie sind also nicht im
Sinne
einer unmittelbaren sinnlichen Wahrnehmung oder eines naiven Realismus
zu verstehen. Im Gegensatz aber zu einer Bezeichnung wie Biologie wird
im Titel Phänomenologie nichts über die Inhalte dieser
Wissenschaft
ausgesagt (Heidegger 1979).
Husserl
hat das
Erfassen
der Phänomene auf den Bereich des Bewußtseins
eingeschränkt.
Das bedeutet, daß bei der phänomenologischen Betrachtung die
Frage nach der Existenz der Dinge und mit ihr auch die Frage nach der
Existenz
der Außenwelt ausgeklammert wird. Somit umgeht Husserl, zumindest
vorläufig, eine zentrale methodische Frage der tradierten
Erkenntnistheorie.
Dieser erste methodische Schritt bezeichnet Husserl mit dem
griechischen
Wort epoché
(Sichenthalten) bzw. mit dem deutschen Ausdruck
"Reduktion".
Durch diese Reduktion soll der Blick für die Sachhaltigkeit der
Phänomene
geschärft werden, indem nicht primär gefragt wird, ob das
erfaßte
Seiende auch existiere, wie diese Existenz an sich aufzufassen ist, wie
sie sich im Verhältnis zum Bewußtsein zeigt u.a.m.
Dem
folgt
eine zweite Reduktion. Aus der Vielfalt des im Bewußtseinsstrom
Erlebten
wird nur eine Struktur, oder, wie Husserl sagt, ein 'Eidos'
herausgearbeitet
und zwar mit Hilfe der imaginären Betrachtung von Varianten, die
im
Hinblick auf ihre Übereinstimmung bzw. Differenz abgewogen werden,
mit dem Ziel das invariante Eidos
zur Anschauung zu bringen. Es
handelt
sich also um eine 'eidetische Reduktion' oder 'Ideation'. Die
phänomenologische
Frage lautet: Was ist die wesentliche 'eidetische' Struktur eines
Hauses,
einer Tür, eines Fensters usw. und nicht ob dieses Fenster
existiert,
wie es konkret hier und jetzt aussieht usw.
Heideggers
Kritik richtet
sich vor allem gegen die erste Reduktion, hat aber Auswirkungen auf die
zweite. Wenn Husserl die Frage nach der Realität ausklammert, dann
scheint er zu wissen, was eben 'Realität' oder 'Sein' bedeutet.
Gemeint
ist zugleich, daß das Sein des Menschen, genauer, das, was als
'Bewußt-sein'
zugrundegelegt wird, scheinbar keiner Untersuchung bezüglich eben
seines Seins bedarf. Die Unklarheit bei der Unterscheidung des
Physischen
gegenüber dem Psychischen, die Husserl in den "Logischen
Untersuchungen"
aufheben wollte, bleibt in verwandelter Form bestehen. Diese Unklarheit
wird nicht dadurch beseitigt, daß anstelle von Bewußtsein
z.B.
von Person, Geist, Ich oder Seele die Rede ist. Es ist eher so,
daß
eine an der Seinsweise der materiellen Natur orientierte Ontologie den
Boden für eine Einteilung des Menschen in Leib und Seele oder Leib
und Bewußtsein liefert.
In
seinem
Hauptwerk "Sein
und Zeit" (1927) will Heidegger unter anderem diese auch in Husserls
Phänomenologie
herrschenden Ontologie sozusagen falsifizieren. Er will nämlich
zeigen,
daß diese Ontologie, welche das Sein der Dinge am zunächst
selbstverständlichen
Charakter ihres Vorhandenseins festlegt - wir sagen nämlich,
daß
etwas ist, wenn etwas 'da', d.h. vorhanden ist - zumindest für
unsere
eigene Seinsweise, für das (menschliche) "Dasein" oder die
"Existenz",
wie Heidegger unsere Seinsweise terminologisch kennzeichnet, nicht
zutrifft.
Heideggers Formel "In-der-Welt-sein" ist der Ausweis dieser
existentialen
Falsifizierung der der Phänomenologie des Bewußtseins
zugrundeliegenden
Ontologie.
Heidegger
wird
pointiert
sagen, daß das menschliche Dasein, wenn wir es
phänomenologisch
ausarbeiten, und die verschiedenen ontologischen Verdeckungen
wegnehmen,
die es unter der Vorgabe des Vorhandenseins auslegen –
am
deutlichsten
in der einflußreichen Ontologie des Descartes abzulesen – ,
eine
andere
Struktur oder ein anderes 'Eidos' aufweist, als das der
nichtdaseinsmäßigen
Seienden. Der Ausdruck 'ist' in den Aussagen: 'ein Haus ist' und 'ein
Mensch
ist' meint also, phänomenologisch betrachtet, Verschiedenes. Das
Sein,
so hatte schon Aristoteles bemerkt, läßt sich in vielfacher
Weise auslegen ('to on legetai pollachos' Met. Z 1028 a 10).
Heidegger
illustriert den
Übergang oder, besser gesagt, den Durchbruch von der
Phänomenologie
des Bewußtseins zur Phänomenologie des Existenz
folgendermaßen:
"Wir
vergleichen das Subjekt
und seine Innensphäre mit der Schnecke in ihrem Haus. (...) Die
Schnecke
kriecht zuweilen aus ihrem Gehäuse und behält es dabei
zugleich,
sie streckt sich nach irgendetwas aus, nach Nahrung, nach gewissen
Dingen,
die sie am Boden findet. Kommt die Schnecke dadurch erst in ein
Seinsverhältnis
zur Welt? Nein! Das Herauskriechen ist nur eine örtliche
Modifikation
ihres Schon-seins-in-der Welt. Auch wenn sie im Gehäuse ist, ist
ihr
Sein rechtverstandenes Draußensein. Sie ist in ihrem Haus nicht
wie
das Wasser im Glas, sondern sie hat das Innen ihres Hauses als Welt,
daran
sie sich stößt, das sie betastet, darin sie sich wärmt
und dergleichen. Alles was vom Seinsverhältnis des Wassers im
Glase
nicht gilt, oder, wenn es zuträfe, auch vom Wasser, nötigte
uns
aufgrund dessen zu sagen: Wasser hat die Seinsart des Daseins, es ist
so,
daß es eine Welt hat." (Heidegger 1979, 223-224; Capurro 1994a).
Damit
wird
deutlich, daß
Heidegger Husserls Reduktionen insofern rückgängig macht, sie
selbst also abermals einer existentialen Reduktion unterwirft, indem er
die ihnen zugrundeliegende Struktur, das "In-der-Welt-sein", aufweist.
Der Schweizer Psychiater und langjährige Freund Heideggers Medard
Boss hat die Bedeutung einer Infragestellung der menschlichen Psyche im
Sinne einer "Psyche-Kapsel" für die Psychoanalyse erkannt und
daraus
ein neues Paradigma für die Psychoanalyse auf der Grundlage der
Daseinsanalyse
entwickelt (Boss 1975).
Der Mensch ist, so eine Grundeinsicht dieses
neuen
Paradigma, nicht im Raum und in der Zeit wie die leblosen Dinge oder
wie
die sonstigen Lebewesen, sondern er hält auf je unterschiedlicher
Weise die Offenheit seines Im-Raum- und In-der-Zeit-seins so aus,
daß
er in vielfältigen und nicht endgültig festgelegten
Bedeutungs-
und Verweisungszusammen- hängen lebt, die er auch neu entwirft.
Dieses
Aushalten ist aber nicht bloß mentalistisch zu verstehen, sondern
hat, aufgrund unserer Leiblichkeit, eine wesentliche sinnliche
Dimension.
Daher auch die Gleichursprünglichkeit von Gestimmtsein und
Verstehen
in Heideggers "Sein und Zeit" (Capurro 1994 und 1993). In seinem
Hauptwerk
"Grundriss der Medizin und der Psychologie", daß ein Ergebnis der
langjährigen Zusammenarbeit zwischen Boss und Heidegger darstellt,
schreibt Boss:
"Das
jederzeitige "Hier"
des Menschen ist stets jenes "Hier", in dem er sich gerade
aufhält.
Des Menschen Aufenthalt aber ist sein Bezogen-sein auf das ihm
Begegnende.
Jetzt gerade bin ich zum Beispiel hier mit meinem Gesprächspartner
beim Thema unserer Diskussion. Ich bin in Südafrika, bei einer
dort
durchgeführten Herztransplantation. Ich bin aber ineins auch hier,
wo dort der Tisch und wo dort drüben das Fenster ist und wo weiter
dort draußen das Haus auf der gegenüberliegenden
Straßenseite
steht. Das jederzeitige "Hier" eines Menschen gibt es immer nur als
sein
hiesiges Sein bei den Gegenbenheiten dort.
Also bestimmt sich
mein
jeweiliges "Hier" stets von dem "Dort" des mir im offenständigen
Vernehmensbereich meiner Welt Begegnenden her." (Boss 1975, S. 284)
Wir
sind zwar
nicht leiblich
überall zugleich, aber wir sind in gewisser Weise, d.h.
intentional,
oder, wie Heidegger sagt, 'ek-statisch' für die uns räumlich
und zeitlich ansprechenden und ansprechbaren Dinge offen. Diese immer
schon
gemeinsam mit den anderen Menschen 'mit-geteilte' Offenheit oder
Unbestimmtheit
wird auf verschiedener Weise existential gestaltet bzw. sozial
konstruiert.
Unsere Seinsweise ist wesentlich die des Weltentwurfs oder der
Weltbildung,
wenngleich ein solcher Entwurf endlich, auf der Basis einer schon
erschlossenen
Welt stattfindet. Wir sind in der Weise des "geworfenen Entwurfs" und
zwar
zwischen Gebürtlichkeit und Tod. Über das Wie dieses
"Zwischen"
schreibt Heidegger:
"Das
Dasein füllt
nicht erst durch die Phasen seiner Momentanwirklichkeit eine irgendwie
vorhandene Bahn und Strecke "des Lebens" auf, sondern erstreckt sich selbst dergestalt, daß
im vorhinein sein eigenes Sein als
Erstreckung
konstituiert ist. Im Sein des
Daseins liegt schon das
"Zwischen"
mit Bezug auf Geburt und Tod." (Heidegger 1976, S. 374).
Heidegger
unterscheidet zwischen
der "Weltbildung" des Menschen, der "Weltarmut" der Tieres und der
"Weltlosigkeit"
der nichtlebendigen Natur. Das bedeutet aber nicht, so Heidegger,
"daß
das Leben gegenüber dem menschlichen Dasein minderwertig oder eine
niedere Stufe sei. Vielmehr ist das Leben ein Bereich, der einen
Reichtum
des Offenseins hat, wie ihn vielleicht die menschliche Welt gar nicht
kennt."
(Heidegger 1983, S. 371-372)
Vor
diesem
Hintergrund widme
ich mich der Frage nach einer Phänomenologie des Bauens. Ich
orientiere
mich dabei vor allem an zwei Vorträge Heideggers, nämlich an
den Vortrag "Der Ursprung des Kunstwerkes" (1935; 1972) und an "Bauen
Wohnen
Denken" (1951; 1967). Den Leitfaden dieser Phänomenologie bilden
die
Begriffe 'Welt' und 'Erde' sowie 'Bauen' und 'Wohnen'.
II.
WELT UND
ERDE, BAUEN UND WOHNEN
Heideggers
Schrift
"Der Ursprung
des Kunstwerkes" umfaßt drei Vorträge, nämlich "Das
Ding
und das Werk", "Das Werk und die Wahrheit" und "Die Wahrheit und die
Kunst".
Ich lege diese Vorträge vor dem Hintergrund der Frage nach dem
Bauen
aus.
Ergebnis
des
Bauens sind
die Bauten. Bauten sind, so können wir im Rahmen des ersten
Vortrags
feststellen, Dinge. Heidegger legt drei Auffassungen von Dingen aus.
Erstens,
Dinge als Gesamtheit von Substanz und Akzidenzien. Man kann sagen,
daß
die Bestimmung der Bauten dem Bau des Satzes, die Verknüpfung von
Subjekt und Prädikat, entspricht und umgekehrt. Bei dieser
Auffassung
bleibt aber unsere Wahrnehmung der Dinge bzw. der Bauten
unberücksichtigt.
Deshalb nennt Heidegger an zweiter Stelle die Vorstellung vom Ding als
Einheit von Empfindungen. Aber der Versuch die Dinge, sprich die
Bauten,
in den Bereich der Empfindungen aufzulösen schlägt fehl, da
die
"Standhaftigkeit" der Dinge und eben auch der Bauten außer Acht
bleibt.
Deshalb scheinen, drittens, die Dinge ihre Konsistenz erst dadurch zu
gewinnen,
daß sie als Synthese von Stoff und Form aufgefaßt werden.
Die
Herkunft dieser (griechischen) Auslegung sieht Heidegger in der
Verwendung
der Dinge, in ihrer "Dienlichkeit". Man kann sagen, daß Bauwerke
die Doppel- deutigkeit der Begriffe Stoff/Form bzw. Ding/Zeug in sich
vereinen,
wobei das Moment der "Selbstgenügsamkeit" (Heidegger 1972, S. 18)
dasjenige ist, wodurch dienliche Bauten oder Zweckbauten sich
von
Kunstbauten oder Bauwerken unterscheiden.
Von
diesem
engen Sinne des
(Bau-)Werkes als Kunstwerk handelt Heideggers zweiter Vortrag in der
Abhandlung
"Der Ursprung des Kunstwerkes". Hier werden diejenigen Begriffe
thematisiert,
nämlich "Welt" und "Erde", die den Kern einer Phänomenologie
des Bauens ausmachen. Heidegger argumentiert zunächst aus der
Sicht
des Verlustes oder des Kontextmangels eines Bauwerkes, wie im Falle des
Tempels von Paestum oder des Bamberger Doms: "die Welt der vorhandenen
Werke ist zerfallen" (Heidegger 1972, S. 30). Ins Positive gewendet
heißt
dies, daß das Bauwerk erst dann ein Werk ist, wenn es solche
Bezüge
eröffnet und in sich versammelt. Die "Welt" ist der Sinnkontext
in dem Bauten stehen und entstehen.
Solche
Bezüge sind,
wenn wir an Heideggers Bestimmung des Mensch-seins als
In-der-Welt-seins
denken, die der schon entworfenen aber auf Möglichkeiten hin
offenen
Welt, in der wir sind. Wir bauen zunächst immer schon im Horizont
solcher geöffneten Bezüge oder Sinnkontexte. Beim Bauen eines
Werkes werden sie offen gehalten, das heißt "aufgestellt": "Zum
Werksein",
so Heidegger, "gehört die Aufstellung einer Welt" (ibid. S. 34).
Dabei
unterscheidet Heidegger zwischen Werk und Zeug. Ich spezifiziere diese
Unterscheidung indem ich von Bauwerken (oder Kunstbauten) und
Zweckbauten
spreche. Während bei den letzteren die Dienlichkeit in den
Vordergrund
und die Stofflichkeit in den Hintergrund tritt, hebt das Tempel-Werk
das
Stoffliche hervor. Man könnte sagen, daß die Dienlichkeit in
der Durchsichtigkeit besteht. Während die Auffälligkeit eine
Zeugs von seiner relativen Unbrauchbarkeit bezeugt. Heidegger hat in
"Sein
und Zeit" dieses Phänomen eingehend erörtert (Heidegger 1976,
S. 72ff). Einige Informatiker haben daraus interessante Konsequenzen
für
den Bau benutzerfreundliche, sprich unaufdringliche oder durchsichtige
Syste- me, gezogen (Winograd/Flores 1989; Budde/Züllighoven 1990;
vlg.
auch Capurro 1986).
Die
Dimension
worauf das
Bauwerk ruht und "worauf und worin der Mensch sein Wohnen gründet"
(ibid. S. 31) nennt Heidegger "Erde". Es liegt nahe unter "Erde" nur
das
Stoffliche zu bezeichnen, was beim Bauwerk im Vordergrund steht.
Für
Heidegger bezeichnet aber "Erde", darüber hinaus, jene
Entzugsdimension,
aus der her so etwas wie ein "Aufstellen einer Welt", also die
Eröffnung
und das Offenhalten der Bedeutungsbezüge, entstehen kann. Sie
entspricht
in gewisser Weise jenen Entzugsdimensionen "zwischen" denen sich unsere
Existenz erstreckt.
Denn,
so muß man
erneut bedenken, Heidegger
faßt
menschliches "In-der-Welt-sein" zwar, wie wir heute sagen,
konstruktivistisch
auf: Der Mensch existiert in der Weise des Entwerfens von Welt, des
Eröffnens
und Offenhaltens von Bedeutungs- und Verweisungszusammenhängen. Er
ist aber zunächst in solchen bereits eröffneten
Zusammenhängen
"geworfen", so daß er sie weder gänzlich von sich aus
aufstellt,
noch restlos aufklären oder begründen kann.
Dieses
Verhältnis zwischen
"Geworfenheit" und "Entwurf" kommt jetzt in der Form von "Aufstellen
einer
Welt" und "Herstellen der Erde" zur Sprache. Es handelt sich auch um
jenes
Verhältnis, das Heidegger mit Bezug auf das griechische Wort
für
Wahrheit, nämlich "aletheia", als ein Verhältnis, oder, wie
er
hier betont, als einen "Streit" zwischen "Entbergung" ('a-') und
"Verborgenheit"
('letheia') auffaßt. Dieser "Streit" ist nicht etwas, was
beigelegt
werden könnte oder sollte, sondern es handelt sich um ein
bleibender
Streit (ibid. S. 38). "Welt" meint den Sinnkontext, "Erde" den sinnlichen
Kontext des Bauens, wobei aber Heideggers Pointe gegenüber
der
metaphysischen Unterscheidung zwischen Sinn und Sinnlichkeit darin
besteht,
daß er sie als gleichursprünglich auffaßt.
Wenn
wir bauen,
so können
wir schlußfolgern, bauen wir im Streit zwischen Welt und Erde.
Heidegger
bestimmt im dritten Vortrag dieses Geschehen als ein
"Wahrheitsgeschehen",
wodurch die Wahrheit, die a-letheia,
"sich-ins-Werk-setzt", wodurch
also
eine bestimmte Ausformung der weltlichen Bedeutungs- und
Verweisungszusammenhänge
aufgestellt und offengehalten wird, indem zugleich die sie
ermöglichende
und entziehende Dimension (a-)
diese Aufstellung als ein
'grund-loses'
Geschehen aufweist. Beim Beispiel des Tempels von Paestum oder des Doms
zu Bamberg zeigt sich die Instabilität der "Welt" in Form ihres
Fehlens
oder Verfalls. Mit dem Weltverfall zerfällt auch den für
Dienstbauen
tragenden Kontext. Das bedeutet umgekehrt gesehen: Je mehr die
Dimension
der Dienlichkeit bei einem Werk zurücktritt, um so deutlicher kann
das einfache 'bodenlose' Faktum, daß etwas ist und nicht vielmehr
nicht ist, und mit ihm auch die Grundlosigkeit des Erscheinenden selbst
zum Vorschein kommen. Dieses sinnliche Hervorscheinen dessen, was sich
entzieht, nämlich des Grundes oder Sinns, nennt Heidegger
"Herstellen
der Erde":
Das
Bauwerk zeigt sich in
seiner 'sinnlich-sinn-losen'
"Selbstgenüg- samkeit".
Es ist letztlich ohne Warum. Es erscheint nicht eingebettet in einem
fortlaufenden
es begründenden Prozeß, in einem Fortschritt also, sondern
es
zeigt nur die ephemere Form des Sich-gebens. Das Sich-geben von Welt im
Streit mit der "Erde" nennt Heidegger "Ereignis". Von hier aus
läßt
sich besser verstehen, warum die anfangs erörterten Bestimmungen
des
Dinges für Heidegger im phänomenologischen Sinne von
sekundärer
Bedeutung sind. Denn sie verdecken das, was eigentlich Zweckbauten als
auch Bauwerken bestimmt, nämlich ihre Zwischenstellung zwischen
"Aufstellen
einer Welt" und "Herstellen der Erde".
Ein
Hinweis auf
die Auffassung
von Welt und Erde bei Paul Klee scheint hier hilfreich, zumal sich
Heidegger
mehrmals auf Klee bezogen hat (Peetz 1995).
Im
Klees Diagramm (Klee
1922/1981,
S. 67) sieht man innerhalb eines großen als "Welt" bezeichneten
Kreises,
einen kleinen Kreis, die "Erde", von dem aus das "Auge" des
Künstlers
und das "Du" oder der "Gegenstand" hervorgehen. Das Verhältnis
zwischen
Künstler und Gegenstand, genauer: vom Gegenstand zum
Künstler,
wird von Klee als "optisch physischer Weg" bezeichnet.
Es
ist der
phänomenologische
Weg im wörtlichen Sinne, der Weg der Erscheinungen.
Demgegenüber
gehen auf den Künstler zwei andere "nicht optische" Wege zu,
nämlich
der Weg der "Welt" als "Weg kosmischer Gemeinsamkeit" und der Weg der
"Erde"
als "Weg gemeinsamer irdischer Verwurzelung" mit den jeweiligen
Zusätzen:
"Dynamik" bei "Welt" und "Statik" bei der "Erde". Beide Wege
durchziehen
Künstler und Gegenstand und stellen eine dynamische aber an der
Statik
der Erde gebundene nicht optische kosmisch-irdische Einheit dar.
Die
Einheit der
Kräfteverhältnisse
wird sowohl durch die gezogene Ellipse als auch durch die linke Klammer
mit der Überschrift "metaphysischer Weg" unterstrichen. Die
Bezeichnung
"metaphysisch" zeigt, daß diese Dimensionen mit den unmittelbaren
Erscheinungsweisen nicht zu verwechseln sind. Anders ausgedrückt,
sie werden erst im Rahmen einer sie der Verdeckung herausholenden im
philosophischen
Sinne phänomenologischen Sicht thematisiert. Die
optisch-physischen
Wege bezeichnen verschiedene Kunstrichtungen, so z.B. den
optisch-physischen
Weg den Impressionismus, die "sichtbare Verinnerlichung" des Dinges,
den
analytischen Kubismus.
Wir
können
daraus zunächst
festhalten, daß sowohl Klee als auch Heidegger die
künstlerischen
und dementsprechend auch die architektonischen Konstruktionen vor dem
Hintergrund
eines Spannungs- feldes verstehen, wo nicht allein und primär die Form,
sondern die Formung oder,
präziser gesagt, nicht die In-formation,
sondern die Trans-formation
das Entscheidende bei der
Konstruktion
der Dinge, beim Bauen also ist. Das bedeutet nicht nur Abschied nehmen
von absoluten Idealvorstellungen, die in zeitlosen Bauten zu
verwirklichen
wären, sondern auch, wie Heidegger in "Sein und Zeit" betont,
daß
die Möglichkeit das Primat vor der Wirklichkeit erhält
(Heidegger
1976, S. 38).
Die
Bauten werden vom
Bauen, von der "Welt" her also,
bestimmt.
Das Bauen aber, wie Heidegger im Vortrag "Bauen Wohnen Denken"
ausführt,
vom Wohnen her. Das Wohnen in Sinnkontexten ist aber untrennbar von der
raum-zeitlichen Erstreckung unserer Sinnlichkeit. Der scheinbar
zeitlose
Sinn einer bestehenden "Welt" von Bedeutungs- und
Verweisungszusammenhängen
ist durchzogen von der zerfallenden und zugleich aufgehenden Dimension
des Zeitlichen, der "Erde" , oder dessen was, so Heidegger, die
Griechen physis (Natur)
nannten (Heidegger 1972, S. 31). Bauwerke stellen eine
Welt auf. Aber der Grundriß bei der Aufstellung einer Welt
bedeutet
immer schon zugleich ein Herausreißen, ein Streit also, mit dem,
was solche Aufstellung erst möglich macht, mit der "Erde".
Wir
bauen aus
dem und für
das Wohnen im Sinne eines raum-zeitlichen Zerrissenseins, in und
für
das "Zwischen" zwischen der "Welt" und der "Erde". Am Beispiel des
Tempels
heißt das, daß er zum einen die offenen Bezüge –
"Geburt
und Tod, Unheil und Segen, Sieg und Schmach, Ausharren und Verfall"
(Heidegger
1972, S. 31) – zur Bestimmtheit bringt,
zum anderen aber, daß das
Bauwerk den Naturgewalten, der physis,
so ausgesetzt ist, daß,
zum Beispiel, der Felsgrund in seiner zeitlich-tragenden dem
Aufgehenden
ermöglichenden Dimension zum Vorschein kommt. Dabei gewinnt das
Moment
des Zerfalls oder der Vergänglichkeit der die "Aufstellung einer
Welt"
'zeit-weise' tragenden "Erde" eine, wie Gianni Vattimo bemerkt,
positive
Bestimmung (Vattimo 1990, S. 69).
Heideggers
Phänomenologie
des Bauens ist nicht nur modern in dem Sinne, daß sie gegen
absolute
oder zeitlose Maßstäbe gerichtet ist, sondern sie ist
vielmehr,
'horribile dictu', als postmodern aufzufassen, da sie die einseitige
weltbezogene
Sicht der Moderne abermals in Frage stellt und sie vom Streit mit dem
Entzug
her denkt. Es ist diese phänomenologische Entdeckung des Entzuges
oder der Differenz, die von Denkern wie Jacques Derrida oder Gilles
Deleuze
aufgegriffen wurde, um eine sich mißverstehende Moderne in Frage
zu stellen.
Das
Projekt der
Moderne läßt
sich eben nicht zu Ende führen, ohne dabei in einem performativen
Selbstwiderspruch zu verfallen. Die Moderne zu Ende führen
bedeutet,
sie stets zu ihren Enden zu führen, nämlich dorthin, wo sie
sich
in unausschöpfbaren Formen, besser: Transformationen, "entfaltet"
(Deleuze
1995). Vattimo betont, daß die Hervorhebung der "Erde" in
Heideggers
Vortrag keine bloße Umkehrung des Verhältnisses zwischen
Mittelpunkt
und Peripherie bedeutet, sondern, daß dabei "die kritische
Funktion
des Unterschiedes zwischen dem Dekorativen als Überschuß und
dem "eigenen" des Dinges und des Werkes" verloren geht (Vattimo 1990,
S.
96). Jede Art von architektonischer Emphase des Substantiellen
gegenüber
dem Dekorativen oder umgekehrt geht dabei verloren.
Wenn
wir Klees
Diagram anschauen,
dann zeigt sich, daß nicht die Welt und schon gar nicht das Ich
oder
der Gegenstand, sondern die Erde die Bezeichnung "Centrum" erhält.
Ein Zentrum, das aber in bezug auf die Welt-Sphäre abermals
dezentriert
ist. Die Erde hat zwar einen Mittelpunkt aber sie ist nicht der
Mittelpunkt
der Welt. Man kann sagen, daß Heideggers "schwache Ontologie"
(Vattimo)
uns erlaubt, sowohl die architektonische Emphase des Idealen als auch
die
des rein Dienlichen in Frage zu stellen, indem sie die Dimensionen von
Welt und Erde, Bauen und Wohnen und ihren Streit aus der Verdeckung
holt
und zum Phänomen werden läßt.
AUSBLICK:
ARCHITEKTUR
IM INFORMATIONSZEITALTER
Bauten
haben also,
so können
wir die Ergebnisse dieses phänomenologischen Denkversuchs
zusammenfassen,
einen transitorischen, ephemeren oder, wie wir heute im
Informationszeitalter
sagen, virtuellen Charakter (Capurro 1995).
Unsere
Weltoffenheit gestaltet
sich zunehmend medial. Unsere Tele-Existenz und die sich daraus
ableitende
Umgestaltung unserer Städte als "Telepolis" (Rötzer 1995)
zeigen
stärker als die bisherigen Verkehrs- konstruktionen der
industriellen
Zivilisation den weltoffenen Charakter menschlichen Existierens. Dabei
scheint die Dimension der Erde in der Globalisierung der Tele-Welt
verloren
zu gehen. In Wahrheit aber zeigt die vernetzte Hypertext-Architektur
die
Virtualität des "Centrums" (Klee). Diese Telearchitektur, die sich
gewissermaßen als 'Archi-Textur', als Vernetzung von Formen,
versteht,
läßt die Differenz zwischen Metropole und Provinz
verschwinden
(Lübbe 1995).
Damit verliert die Architektur ihre starke moderne
Maske,
ihre zeitüberdauernde zu verwirklichende 'arche'. Die mediale
Vermittlung
verwandelt die architektonischen Formen in Kulissen, sie schwächt
ihre Materialität ab und kontaminiert sie zeitweise mit anderen
Kontexten.
Das "Centrum" ist im Lokalen, d.h. überall und nirgendwo. Es ist
immer
nur virtuell da und verweist auf den "nicht optischen Weg gemeinsamer
irdischer
Verwurzelung" (Klee).
Das bedeutet nicht, daß wir die
Sterilität
unserer Städte zugunsten der körperlosen Medialität
aufgeben,
sondern, daß wir "Fleisch und Stein" (Sennett) der Städte
aus
der erstarrten Dienlichkeit und/oder Repräsentationsvorstellungen
der modernen Welt entlassen, indem wir sie mehr zum sozialen
Vergnügen,
zum Spiel, umgestalten, besser: sich selbst gestalten lassen. Aber auch
das dürfte im Falle einer Telearchitextur gelten: Eine reine
Dynamik
eines "nicht optischen Weges kosmischer Gemeinsamkeit" im Falle von
leiblich
existierenden Wesen ist nicht vollziehbar.
Auch im
Informationszeitalter
wohnen wir zwischen Welt und Erde. Damit könnte eine
Phänomenologie
des Bauens einen Beitrag wenn nicht zur Überwindung so doch
zumindest
zur Verwindung der "Metaphysik der Architektur" (Eisenmann) leisten. Es
wäre vielleicht nicht "der" aber zumindest ein "Anfang der
Bescheidenheit"
(Pehnt), nämlich den Raum für telearchitektonische
Spielräume
zu eröffnen und auch so offen zu halten, daß die neuen
kosmischen
Welt-Ideale, auch das der Telestadt, irdisch-revidierbar und somit
schwach
bleiben.
Nachbemerkung für Architekten
Wenn
ich
etwas bauen will, und dieses Bauen in vielfältiger Beziehung
sowohl
zum Menschen als auch zu anderen Dingen steht, sollte ich nicht zuerst,
will ich 'sachgerecht' bauen, etwas über diese 'Dinge' selbst
wissen?
Und wie steht es mit dem Sein das Bauens selbst? Was ist das 'Eidos'
menschlichen
Bauens? Ist der Begriff des Bauens in den Sätzen: 'ein Vogel baut
ein Nest', 'wir bauen ein elektronisches Netzwerk', 'das Haus ist
schlecht
gebaut' usw. eindeutig, d.h. synonym für alle Verwen-
dungskontexte?
Da
die Strukturen des menschlichen Daseins, sein 'Eidos' also, von einer
anderen
Qualität sind, als die des Unlebendigen und des Lebendigen aber
nicht
menschlichen, unterscheidet Heidegger terminologisch diese Strukturen
von
denen der nicht-daseinsmäßigen Seienden, und spricht von
"Existenzialien",
weil eben nur der Mensch entsprechend seiner Seinsweise 'ek-sistiert'.
Die Tradition sprach von 'Kategorien', im Sinne der Grundformen, die
allen
(!) Seienden zukommen und von ihnen ausgesagt werden können
('kategorein').
Bauen
Architekten jene Gehäuse, aus denen wir wie aus dem
Bewußtsein
hinauskönnen? Gehen sie von der Vorstellung aus, daß Bauten
so etwas wie ein größeres Bewußtsein sind, so
daß
es eine Innenwelt und eine Außenwelt gibt, und daß man
deshalb
die Türe, Fenster, Treppen usw. braucht, um den Menschen den
Zugang
zur Außenwelt zu ermöglichen? Man sieht sogleich, daß
z.B. die Frage: Was ist eine Tür? ganz unterschiedliche Antworten
haben kann, je nachdem, was unter Phänomenologie verstanden wird.
Der Mensch kommt also, folgt man Heideggers Phänomenologie des
menschlichen
Daseins, nicht dann zur Außenwelt, indem er ein Gehäuse
verläßt,
sondern sein Sein ist "rechtverstandenes Draußensein".
Rechtverstanden,
das bedeutet, daß das Gehäuse keineswegs
überflüssig
ist, sondern daß es zu einem Mißverständnis
führen
kann, wenn die Rede von einer Innen- und einer Außenwelt
einsetzt,
und man dann das ursprüngliche Phänomen, das Heidegger
"In-der-Welt-sein"
nennt, vergißt oder nicht mehr in den Blick bekommt. Ob
Architekten
nicht einen besonders ausgeprägten Sinn für dieses
Draußensein,
d.h. für die spezifische Weise, in der wir in der Welt sind,
entwickeln
sollten?
Heideggers
"Ver-legung" der Ortschaft des Denkens und somit auch des Wohnens und
Bauens
ist eher, wie er sagt, als eine "Revolution" als eine "Ver-legung"
aufzufassen,
so wie Kant von einer "Revolution der Denkart" sprach. Denn die, im
negativen
Sinne, "Ver-legung" war eigentlich die der Phänomenologie des
Bewußtseins.
Nicht das Dasein nimmt die Stelle des Bewußtseins ein, sondern
sie
tritt "als Stelle" auf, so "daß das Bewußtsein im Dasein
gegründet
ist." (Heidegger 1977, S. 123)
Denn,
so können wir die sich an Heideggers Daseinsanalytik orientierende
Daseinsanalyse von Medard Boss andeutungsweise wiedergeben (Boss 1975),
der Mensch ist nicht im Raum wie die leblosen Dinge, sondern er
hält
auf je unterschiedlicher Weise die Offenheit des Raumes aus und zwar im
Hinblick auf die Bedeutungs- und Verweisungszusammenhänge in denen
er lebt oder die er neu entwirft. Wir sind zwar nicht leiblich
überall
zugleich, aber wir sind in geweisser Weise, d.h. intentional, oder,
'ek-statisch'
für die uns räumlich und zeitlich ansprechenden und
ansprechbaren
Dinge offen. Was wiederum die Voraussetzung dafür ist, daß
wir
so etwas wie Verkehrssysteme und symbolische Netzwerke bauen
können.
Wenn wir nicht einen Sinn für das Hiersein und das mögliche
Dort-sein
und Dort-gewesen-sein hätten, würde ein solches Bauen nicht
entstehen,
wie aus der nicht-daseinsmäßigen Tierwelt ersichtlich.
Letzteres
bedeutet wiederum keine Abwertung der Tierwelt. Heidegger unterscheidet
zwischen der "Weltbildung" des Menschen, der "Weltarmut" des Tieres und
der "Weltlosigkeit" z.B. eines Steines. Das bedeutet nicht, schreibt
Heidegger,
"daß
das Leben gegenüber dem menschlichen Dasein minderwertig oder eine
niedere Stufe sei. Vielmehr ist das Leben ein Bereich, der einen
Reichtum
des Offenseins hat, wie ihn vielleicht die menschliche Welt gar nicht
kennt."
(Heidegger 1983, S. 371-372).
Demnach
unterscheidet sich in einer Phänomenologie des menschlichen Bauens
zum Beispiel der 'eksistentiale' Sinn einer Tür vom Sinn einer
Öffnung
eines Vogelnests. Vögel bauen zwar Nester, aber sie bilden dabei
keine
Welt, sondern sind auf je eigentümliche Weise ihrer Umwelt offen,
wobei der Mensch vielfältig diese Umweltbezüge zwar durch die
Art und Weise seines raum-zeitlichen Erstrecktseins überschreitet
aber keines- wegs verläßt, sondern mit ihnen verwoben bleibt.
Letzteres
gibt wiederum Anlaß für eine vertiefende
phänomenologische
Reflexion über das menschliche Bauen, sofern das Bauen seinen
unmittelbaren
Sinn aus den Umweltbezügen nimmt, und rücksichtsvoll oder
rücksichtslos
ihnen gegenüber sich vollziehen kann, aber zugleich mit einer
"ek-sistentialen" Bedeutung geladen ist, die sich keineswegs in den
unmittelbaren Verwertungszusammenhängen
erschöpft. Damit meine ich nicht die sogenannte symbolische
Bedeutung,
die etwa ein Fenster haben kann, zum Beispiel als Metapher für das
Auge. Der gesunde Menschenverstand sagt uns, daß wir Fenster
bauen,
damit wir nach draußen schauen können bzw. damit wir das
Tageslicht
in den Raum hineinscheinen lassen können. Aber vielleicht
verhält
es sich auch so, daß wir nur deshalb Fenster bauen können,
weil
wir den Sinn dafür haben, uns von Dingen ansprechen zu lassen, zum
Beispiel vom Sonnenlicht, so daß diese Möglichkeit erst das
Fenster möglich macht.
Während
aber eine Tür auf die Möglichkeit des leiblichen
Gehen-könnens
bezogen bleibt, bietet die Telekommunikationstechnik zunehmende vom
Leib
abstrahierende Formen des Im-Raum- und In-der-Zeit-seins dar. Dies wird
manchmal als ein Verlust gedeutet, ja sogar als eine Bedrohung oder
Verarmung
menschlichen seins. Ich meine aber, ganz im Gegenteil, daß dies
das
ursprüngliche Phänomen unseres offenen und durchsichtigen
Draußen-sein-könnens,
unseres Existierens also, zum Ausdruck bringt.
Unsere
"Ek-sistenz" macht unsere Tele-Existenz erst möglich. Denn was ich
telematisch von dem Dort erfahre, zerstört nicht etwa mein
ursprüngliches
Leiblich-sein hier, sondern es gehört wesentlich dazu. Wenn
Fenster
und Türe, Treppen und Hof, Plätze und Straßen genau
diese
Struktur zum Ausdruck bringen, umso mehr, so kann man sagen, jene
anderen
Telearchitekturen, wodurch die Erstreckung meines Dort-Gewe- senseins
oder
-Seinkönnens sich qualitativ und quantitativ in einer Weise
ausbreitet,
wie dies niemals mit Hilfe eines Fensters oder einer Tür
möglich
wäre. Vielleicht hat die telematische Gestaltung des menschlichen
Offenseins eine vergleichbare Auswirkung auf unsere Bauten wie die
Auflösung
der mittelalterlichen Stadtarchitektur in der Modernität.