IV. DRAFTS
ON SIGMUND FREUD
Sigmund Freud: Vorlesungen
zur Einführung in die Psychoanalyse (1916-17),
in Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey (eds.):
Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse und Neue Folge,
Frankfurt am Main: S. Fischer,Vol. I. (Engl. transl. G. Stanley Hall: A General
Introduction to Psychoanalysis, New York 1920.
Closing the
lecture 18 of the Second Part: The
Dream of the Introduction to
Psychoanalysis (1915-1916) Sigmund Freud writes:
Die dritte und empfindlichste Kränkung
aber soll die menschliche Größensucht durch die heute
psychologische Forschung erfahren, welche dem Ich nachweisen will,
daß es nicht einmal Herr ist im eigenen Hause, sondern auf
kärgliche Nachrichten angewiesen bleibt, von dem, was
unbewußt in seinem Seelenleben vorgeht. (Freud 1989, p. 284)
The third and most sensitive offence [besides
the ones by Copernicus and Darwin, RC] experienced by human megalomania
is due to present-day psychological research, which wants to prove to
the ‘I’ that it is not even master in its own home, but is dependent
upon scanty messages concerning all that goes on unconsciously in the
life of its soul.
Where are the
“sparse messages” coming from our individual and social
self-concealment in a society that calls itself ‘information society’?
Are we, information and communication scientists, aware of them? Are
there any symptoms we can and do perceive? Is it the simple fact of
being and having been overwhelmed day by day – and night by night –
here and there and everywhere with all kinds of digital messengers and
messages? We call this symptom ‘information overload’ which is a kind
of fuzzy term for different but related phenomena. “Sparse messages”
come from beyond the digital, that is to say, they come from our
bodies, our face-to-face relations, our life in the physical world that
we share with others. Such symptoms of not being even masters
of one’s own self or as a
self sharing with others a common physical world, become manifest, for
instance, in personal burn-out syndrome. Information societies react to
the challenges and dangers arising from the digital sphere that
permeate them at all levels, with different kinds of control and
surveillance systems and devices in order to prove to themselves that
they are masters in their own home. But if symptoms that we are not
masters in our personal homes are so empirically evident, how can we
pretend to be masters at the social level? And how can we advise others,
persons or societies, that the situations brought about by digital
technology can be mastered, if we are not able to master them in our own homes?
These are key ethical issues of information societies. They concern not what but who we
are.
Freud was a wise man. So he added the
following sentences to the ones quoted:
Auch diese Mahnung zur Einkehr haben wir
Psychoanalytiker nicht zuerst und nicht als die einzigen vorgetragen,
aber es scheint uns beschieden, sie am eindringlichsten zu vertreten
und durch Erfahrungsmaterial, das jedem einzelnen nahegeht, zu
erhärten. (Freud 1989, p. 284)
We psychoanalysts were neither the first, nor
the only ones to announce this admonition to self-examination. It
appears that we are fated to represent it most insistently and to
confirm it by means of empirical data which are of importance to every
single person.
Information
and communication scientists are not the first to announce the
admonition to self-examination which goes back in the Western tradition
to, for instance, Plato’s criticism of writing. Maybe we should speak
about message societies in
so far as a main phenomenon underlying social life is the one of message transmission,
a term that is at the core of Shannon’s
mathematical theory of communication but remains undefined. Becoming
aware of the “sparse messages” (and messengers) coming from beyond the
digital might be as uncanny for present message societies as it was
Freud’s discovery of messages coming from ‘beyond’ consciousness. If
this is the case, our discovery will be probably rejected or repressed
or minimalized as something we can master with more digital technology
until our selves become indistinguishable from computational machines
that we are able to fully understand because we have produced them on
the basis of quantification. But even then, in case we can eventually
explain what consciousness is, I guess that, if we still retain some
kind of wisdom, we might be able to perceive some strange “sparse
messages”. If I am right, then we should conceive a science that is
particularly aware of such messages. I have gotten used to calling it angeletics.
WARUM EINE BOTEN-/BOTSCHAFTSTHEORIE?
Warum eine Boten-/Botschaftstheorie? Der
unmittelbare Grund ist die Wahrnehmung des Rangs des
Boten-/Botschaftsphänomens in der entstehenden Weltkultur. Ich
deute die vielbesprochene Globalisierung als ein angeletisches
Phänomen. Hinter dem Ausdruck ‘angeletisch’ verbirgt sich keine
esoterische Lehre über heilige Boten - obwohl die theologische
Engellehre eine nicht unbedeutende Inspirationsquelle dafür ist -,
sondern dieser Ausdruck weist auf schlichte Tatsachen bzw. auf Tat-Sachen,
nämlich auf das Melden, Verkünden, Mitteilen, Informieren,
Bekanntmachen, Kundtun und Dolmetschens, hin. Die Sache der Angeletik
ist eine Tat-Sache in dem Sinne, daß sie der theoretischen Arbeit
des Erklärens und Auslegens vorausgeht. Die Theorie des
Erklärens und Auslegens, als Hermeneutik oder Methodenlehre, setzt
immer voraus, daß es etwas
überhaupt da ist, was sich als auslegungsbedürftig kundtut.
OFFEBARUNGSTHEORIE
DER WAHRHEIT
Es macht meines Erachtens die besondere Stärke der Heideggerschen
Hermeneutik aus, daß sie das angeletische Moment, das ‘Daß’
oder das ‘daß es etwas gibt und nicht vielmehr nicht gibt’, vor
allem theoretischem Erkennen und vor aller Auslegung,
hervorhebt, während sowohl die Hermeneutik Gadamers als auch die
heutigen Theorien der Interpretation dieses ‘prä-logische’ Moment
entweder nicht thematisieren oder für überflüssig und
trivial halten. So hat zum Beispiel der kritische Rationalist Hans
Albert die hermeneutische Wahrheitstheorie als eine
„Offenbarungstheorie der Wahrheit“ besonders heftig und ‘nach Art des
Hauses’ polemisch attackiert.
Obwohl er dabei Heidegger und Gadamer
‘unisono’ in Visier hatte, richtet sich dieser Angriff vor allem gegen
den Heideggerschen Begriff der Wahrheit als „Un-Verborgenheit“ (gr. ‘aletheia’). Heidegger hatte
nämlich der in der griechischen Welterfahrung das ‘Von sich aus
Aufgehende’, das phainomenon,
neu entdeckt und diese Welterfahrung gegenüber zum Beispiel der
Weltkonstruktion der modernen Subjektivität abgehoben. Der
hermeneutische logos der
Heideggerschen Phänomenologie geht vom Sichmelden des
Phänomens aus, will sagen, der logos ist seiner
Abkünftigkeit bewußt. Die Heideggersche Phänomenologie dreht
sich von Anfang an um die Natur dieses
Phänomens des Sichmeldens selbst.
Für Gadamer hat das Verstehen Vorrang
gegenüber der Ontologie gemäß dem Motto „Sein, das
verstanden werden kann ist Sprache“. Mit dieser „Urbanisierung der
Heideggerschen Provinz“ (Habermas) verliert aber die Hermeneutik die
sie ermöglichende und von ihr nicht einzuholende Dimension des
Seins. Der späte Heidegger wird Geschichte und Sprache im Sinne
des sich ereignenden „Schickens“ eines „Seingeschicks deuten, dem
unsere Sinnentwürfe nur jeweils zu entsprechen vermögen, ohne
sie aber von einem neutralen oder außergeschichtlichen Ort zu
überblicken.
LOGIK
UND ANGELETIK
Gleichwohl gilt es, daß eine
Boten/Botschafts-Theorie sich selbst der Interpretation eines
Phänomens verdankt und somit sich der Arbeit des hermeneutischen
und methodischen logos unterzieht.
Sie würde aber ihre eigene Mitteilung oder ihr message verfehlen
und dabei einen performativen Selbstwiderspruch
begehen, wollte sie sich im ‘lógos’, zum Beispiel als Logik,
theoretisch einholen. Genau das Gegenteil behauptet sie, nämlich,
daß der philosophische logos sich in der
Logik einen bestimmten Regelwerk zur Zähmung der messages gibt.
Der philosophische logos tut
dies in Auseinandersetzung mit der Struktur mythischer Verkündung,
aber er begreift sich dabei weniger als Transformation dieser
Angeletik, sondern vielmehr als ihre Substitution.
Die Geburt der Philosophie in Griechenland
gründet in der sokratischen Kritik (z.B. im Dialog "Ion") des
vertikalen oder hierarchischen Mitteilungsmodus ohne
aber aufzuhören selbst Mitteilung zu sein und
in vielfacher Weise auch missionarisch - etwa in Form der Gründung
philosophischer Schulen - zu agieren. Anstelle
der göttlichen und dichterischen angelía trat
der philosophische logos als
Dialektik (dialegethein) ein.
Was aber wie eine Substitution aussah, war in Wahrheit eine
Transformation im Sinne einer Säkularisierung der mytischen
Sendestruktur. Woher aber sollten die neuen messages ihre
Legitimität bekommen? Nicht mehr von der Autorität von
Göttern und ihren Vermittlern - allen voran Hermes und die Dichter
-, sondern vom logos selbst. Die
Logik als Dialektik wurde zum Kern der philosophischen Angeletik.
Die philosophische Frage nach der logischen
Unterscheidung zwischen ‘waren’ und ‘falschen’ messages zeigte
sich zwar als universal anwendbar aber sie konnte diesen Anspruch,
aufgrund ihres formalen Charakters nur mangelhaft erfüllen. Ferner
zeigte sich auch, daß die Frage nach ‘wahr’ und ‘falsch’ weder
zum Beispiel mit der techischen Frage nach dem funktionieren oder nicht
funktionieren eines Gerätes noch mit der nach dem Erfolg oder
Mißerfolg der Verbreitung von Nachrichten im politischen oder
ökonomischen Bereich identisch. Die Logik war eine notwendige aber
nicht hinreichende Bedingung der neuen philosophischen
Verkündigungen auf allen Gebieten: von der Physik über die
Pädagogik, Ethik, Politik bis hin zur Ökonomie.
TECHNE
ANGELETIKE - ARS NUNTIANDI
Inwiefern läßt sich von einer Angeletik singulare
tantum sprechen? Mir scheint es sinnvoll, wenn
wir über eine Botschaftstheorie im anthropologischen (nicht
anthropozentrischen) oder kulturellen Bereich reflektieren, dieses
Phänomen in der Tat theoretisch sensu proprio als
Angeletik zu kennzeichnen.
Das Wort mutet etwas seltsam an. Soweit ich
weiß, gab es keine mit diesem Titel ausgeführte téchne angeletiké in
der griechischen Antike oder eine ars nuntiandi in
der lateinischen Tradition, aber es gab eine techne rhetoriké sowie
eine mythische und theologische Engellehre und eine vor allem durch das
Christentum aber auch im Islam oder im Buddhismus entwickelte Theorie
(und Praxis) über Verkündung göttlicher Botschaften Und
es gab auch ein Nachdenken über Boten und Botschaften in
Zusammenhan mit ökonomischen, militärischen und politischen
Theorien
Die Angelelltik verbreitete sich bereits seit
dem Beginn 20. Jahrhunderts in Form von Informations- und
Kommunikationstheorien und gewann an gesellschaftlicher Bedeutung vor
allem mit den Massen- und Individualmedien sowie zuletzt durch die
digitale Weltvernetzung. Die digital messengers
und messages haben eine paradigmatische Bedeutung
für eine sich im Entstehen befindende Weltkultur, die sich auch
gerne mit dem Wort Cyber schmückt.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf eine andere am Anfang des
öfteren mit Skepsis betrachtete Wissenschaft unseres Jahrunderts,
nämlich auf die Kybernetik hinweisen.
Hier stehen die messages oder
die Information im Dienste
eines Steuerungsprozesses (gr. kybernein) und es ist auch kein
Zufall, daß in unserem Jahrhundert die Managementlehre eine
ungeahnte Entfaltung erfuhr.
KANTISCHE
TAT-SACHEN
Was soll eine künftige Botschaftstheorie
leisten? Sie kann sich zunächst auf einer ontologischen oder
strukturellen Ebene bewegen. Sie kann sodan die Einheit und Vielfalt
menschlicher Mitteilungsformen thematisieren. Die Tat-Sache des
Meldens, welche die Dimension des Anderenvoraussetzt,
steht als Tat nur nachträglich dem menschlichen logos offen.
Diese Nachträglichkeit des logos ist nicht
nur von der Hermeneutik, sondern zum Beispiel auch von der kritischen
Philosophie Kants hervorgehoben. Letzteres meint, in meinem
Verständtnis, daß das Sichgeben (oder das Datum)
des Realen nur dann theoretisch (a priori) einholbar ist, wenn
wir durch den logos die
Realität (der Ideen) ins Dasein rufen. Das ist aber, wie Kant
bemerkte, das Privileg der göttlichen archetypischen im
Gegensatz zu unserem abgeleiteten oder ektypischen Vernunft.
Anders gewendet und in Anschluß an Kant
gedacht: Die Möglichkeit eine Welt zu konstruieren, sie
wörtlich nach einem typos (‘ek-typos’)
zu in-formieren - sei es
analog-mimetisch oder nach einem vorgegebenen Schema oder
nach einem Algorithmus im Hinblick auf einen von uns gesetzten Zweck
oder mit offenem Ausgang -, ist an die Möglichkeit eines Datums gebunden.
Kants setzt sich mit der Frage der Legitimität dieses (Sich)Gebens auseinander.
Gegenüber den engelischen Überschreitungen
eines Emmanuel Swedenborg als auch gegenüber der scheinbar
rationalen Kundschaft des Realen in der Leibnizschen Metaphysik
vernimmt er die Botschaft der neuzeitlichen Wissenschaft, deren Geltung
er freilich auch einschränkt.
Vgl. meine Notizen: Was ist Metaphysik?.
Der Kategorische Imperativ als
der formale Ruf (!) des Gewissens, der uns zur Verallgemeinerung der
Maximen unserer Handlungen auffordert, ist, angeletisch
aufgefaßt, Kants praktische Entsprechung gegenüber eines
unbedingt sich meldendenVorgegebenen, dem
Faktum der Vernunft, wonach (‘ek-typos’)
wir unsere Handlungen in-formieren sollten.
SÄKULARISIERTE
ENGELLEHRE
Wie vernehmen wir aber wiederum die Kantische Botschaft heute, nach
zweihundert Jahren von nachfolgenden und nach-folgenden Botschaften?
Und wie steht es mit dem Anspruch einer Theorie welche diesen
Prozeß des Meldens und Sichmeldens zum Gegenstand hat? Ist sie
nicht selbst wiederum eine zu relativierende Botschaft? In der Tat.
Eine, um mit Vattimo zu reden, starke oder metaphysische Angeletik
wäre nichts anderes als eine göttlich, wissenschaftlich oder
technisch sanktionierte Engellehre. Ich meine aber, daß ganz im
Sinne Vattimos (und Heideggers) eine umgekehrte Interpretation unserer
vernetzten Botschaftskultur möglich ist, nämlich im Sinne
einer Abschwächung oder Säkularisierung von metaphysischen
Botschaftstheorien und -praktiken.
Ich spreche, in Anschluß an Heidegger,
von Informations-Gestell und meine damit, daß die verschiedenen
Formen des Stellens von Sprache nur prima facie in
einem instrumentalischen Sinne verstanden werden können. Vielmehr
lehren uns die technischen Meldungen (!) unserer Gegenwart, daß
unsere Herrschaftsansprüche durch die Machtzumahme technischer
Mittel dramatisch gegenüber etwa dem Modell der Handwerktechnik
abgenommen hat. Das bedeutet nicht, daß ‘die Dinge’ nicht (gut
oder schlecht) funktionieren. Sie funktionieren wie sie funktionieren
und wir sind Cyborgs oder
Teile dieses uns bis in den Alltag hinein bestimmenden Meldesystems.
Dabei sind wir weniger kybernetische Organismen als halb organische
halb elektronische Boten, weder Engel noch Tier, um an Pascal zu
erinnern.
Will man daraus schließen, daß
eine Botschaftstheorie nichts anderes sei als eine säkularisierte
Engellehre, dann könnte man diesen Einwand insofern umkehren, als
viele unserer abendländischen Theorien sich einer solchen
Säkularisierung verdanken. Mit anderen Worten, der Einwand, falls
er immer und für jede Botschaftstheorie in all ihren Aspekten
zutreffen würde, was ich nicht glaube, wäre eher als ein
Gütesiegel zu verstehen.
Wie steht es mit einer Angeletik, die, gerade
wenn sie sich kritisch etwa gegenüber einer esoterischen oder
theologischen Engellehre gibt, ihren eigenen eingeschränkten
Geltungsanspruch anerkennen muß? Ich meine, daß man diese
Frage genau im Sinne dieses letzten Einwands und im Sinne dieser
Theorie auch beantworten kann, nämlich, daß man sich nicht
von vornherein verschließen sollte, bevor man die Kunde einer
(dieser) Theorie vernommen hat. Denn, was sind Theorien anders als
Botschaften? Die Argumentation wirkt zwar zirkulär ist sie aber
nicht. Denn eine Botschaftstheorie versteht sich durchaus in der
Tradition des philosophischen logos auch und
gerade wenn sie ihn angeletisch als Botschaft zu interpretieren
versucht. Sie verlangt aber wiederum als Theorie nicht unbedingt
gefolgt zu werden, etwa nach dem Motto: „Die Botschaft höre ich
schon, allein mir fehlt der Glaube“ (Goethe). Sie gibt sich nicht,
trotz des neuen und alten Namens als eine zu glaubende Offenbarung
obwohl sie gerade dieses Moment des Offenbarens oder Kundtuns besonders
hervorhebt. Wenn sie dabei an die Offenbarungstheologie erinnert, dann
tut sie das vielmehr mit Bezug auf die allzu irdischen Boten (angeloi) und Botschaften, die in
ökonomischer Absicht den Weltmarkt selbst als die frohe
Botschaft preisen.
DIE
ABSCHWÄCHUNG DER MYTHISCHEN ANGELIA
Um ein mögliches
Mißverständnis vorzubeugen: Eine Angeletik in
kritischer Absicht oder eine säkularisierte
Engellehre, welche von der paradigmatischen Bedeutung der
Weltvernetzung im Sinne eines generalisierten alle
Gesellschaftschichten und alle Dimensionen menschlichen Seins
berührenden (meistens auch bestimmenden)
Phänomens ausgeht, versteht dieses Phänomen paradoxerweise
als eine Abschwächung der
starken Strukturen, die von metaphysischen Botschaftstheorien
herstammen. Ich sage paradoxerweise weil die gegenwärtige
Kulturkritik, einschließlich einer bestimmten Interpretation der
Heideggerschen Technikdeutung, letztlich auf eine Dämonisierung
und somit auf die angebliche Unbeherrschbarkeit und Irrationalität
der modernen Technik hinzielt. Die gegenüberstehende Position
versuchte wiederum den Menschen durch (noch) mehr Technik zur
Herrschaft über die Technik zu verhelfen. Ich meine aber,
daß die moderne Technik, die sich zuletzt als Informationstechnik
mit der Metapher des Netzes immer
mehr identifiziert und dabei die metaphysische Idee einer
unverrückbaren zentralen Kontrollmacht aufgibt, weder als eine
dämonische noch als eine bloß instrumentelle
angemessen gedeutet werden kann. Wir würden dabei ihr entweder
metaphysische Herrschaftsstrukturen, die ihren Charakteren von
Offenheit und Zentrumslosigkeit widersprechen, beilegen, oderdiese
Strukturen erneut für uns reklamieren wollen. Im letzteren Fall
müßten wir aber unsere Augen vor der Tatsache
verschließen, daß in noch viel stärkerem Maße
als bei der herkömmlichen vor-digitalen Technik, die Technik der Chips
and Bites uns als Meldetechnik so
nahe steht, daß wir uns selbst als informationsverarbeitende
Maschinen verstehen.
So schief dieser Ausdruck im Hinblick auf die
Reichhaltigkeit menschlichen Seins auch sein mag, er zeigt, daß
wir dabei im Begriff sind, die Stärke metaphysischer
Botschaftstheorien technisch abzuschwächen, ihnen zumindest Teil
ihres Auras zu nehmen, so
daß das Botschaftsphänomen, aufgrund technischer Machbarkeit und offener
Struktur zugleich, zu einem neuen Sinnbild menschlichen Seins im
Weltmaßstab werden kann. Natürlich besteht hier erneut die
Gefahr einer metaphysischen Verfestigung im Sinne eines angeblichen wahrenMenschseins
oder eines zu erreichenden Cyborgseins bis
hin zu den evolutionären Vorstellungen eines vernetzten
Weltgehirns. Man sieht, wir sind wieder bei einer nicht mehr
theologischen, sondern technologischen Engellehre. Ich meine aber,
daß eine sich davon unterscheidende kritische Angeletik, die mit
der hier erst angedeuteten Begrifflichkeit arbeitet und die Tradition
der Metaphysikkritik weiterführt, einen Beitrag zur
Abschwächung missionarischer Ambitionen jeder Art
(einschließlich ihrer eigenen) liefern kann. Sie will, mit
anderen Worten, die angebliche Schwäche der entstehenden
digital-vernetzten Weltkultur vom Standpunkt einer Schwäche
metaphysischer Ansprüche als ein Positivum deuten,
aber nicht im Sinne eines angeblichen irdischen Engelparadieses,
sondern als Wahrnehmung eines Botschaftsraums - nichts anderes
wäre der Cyberspace -
dessen technischer Natur aus Chips and Bites eine Chance darstellt.