Inhalt
I. Was
ist Wissen?
II. Was ist Wahrheit?
III. Vorläufige Resultate
IV. Was bedeuten Informations- und Wissensmanagement?
V. Ist Wissen (ökonomisch) meßbar?
Literatur
Capurro,
R.: Skeptisches
Wissensmanagement
(2001)
Capurro, R.:
Lässt sich
Wissen managen? Eine informationswissenschaftliche Perspektive. In:
W.-F.
Riekert, M. Michelson, Hrsg.: Informationswirtschaft. Innovation
für
die Neue Ökonomie. Gabler 2001, S. 139-172.
Capurro, R.: Einführung
in die Informationswissenschaft
Capurro, R.: Information - Ein
Begriff macht Geschichte (2004)
Capurro, R.: Beständiges
Wissen? (2006)
:: Capurro, Rafael / Hjørland, Birger: The Concept of
Information (2003)
I.
Was ist
Wissen?
Seit 2500 Jahren
wird in der
abendländischen Tradition darüber nachgedacht und die
Meinungen
sind immer noch sehr unterschiedlich.
Dabei
spielt gerade der Unterschied zwischen Wissen und Meinen in der
griechischen
Philosophie (Griechisch: Wissen = episteme, Meinen = doxa;
Lateinisch: scientia bzw. opinio) eine
entscheidende
Rolle. Gegenüber dem bloßen Meinen unterscheidet sich Wissen
durch die Angabe von Gründen (Griechisch: logos,
Lateinisch: ratio) in bezug auf den zu erkennenden Gegenstand
oder
Sachverhalt
in seinem Da- und Sosein. Wenn der Prozess der Angabe von Gründen
wiederum einer Kritik unterzogen wird, spricht man von
wissenschaftlicher
Methode. Die Angabe von Gründen auf der Basis von Methodenwissen
ist
die Auszeichnung von Wissenschaft. Empirische Wissenschaft fragt nach
dem
Wie und Warum eines Sachverhaltes und stellt die Gründe in Form
von
gesetzmäßigen Zusammenhängen dar.
Die 'Was-Frage'
im Sinne
des Erfassens der Grundzüge oder des 'So-seins' oder Wesens
(Griechisch eidos, idea, Lateinisch forma, essentia,
species) eines Gegenstandes ist Aufgabe der Philosophie.
Diese Form
des Wissens richtet sich auf das Erfassen von Bedeutungen oder
Sinngehalten
in einem Sinnhorizont. Das Ergebnis dieses Erkenntnisprozesses ist das
Verstehen (Griechisch: dianoia, nous, Lateinisch: intellectus,
ratio).
Daraus
entstand seit dem 19. Jahrhundert der Gegensatz zwischen Erklären
und Verstehen und die methodische Unterscheidung zwischen Geistes- und
Naturwissenschaften (W. Dilthey). Diese berühmte Kontroverse
führte
im 20. Jahrhundert - durch die Analyse des Verstehensprozesses durch
die
Hermeneutik (H.-G. Gadamer) und des wissenschaftlichen
Erklärungsprozesses
durch die Wissenschaftstheorie (K. Popper) - zu der Einsicht, dass
Erklären
immer schon auf der Basis eines Vorverständnisses in Form
eines
'Paradigmas' (Th. S. Kuhn) beruht.
Der
sogenannete 'Zirkel des Verstehens' ist eine allgemeine Form dessen,
was
die Wissenschaft methodisch bei der Angabe von Gründen
vollzieht.
Mit
dem 'Zirkel des Verstehens' oder dem 'hermeneutischen Zirkel' ist der
Zusammenhang
von:
(Vor-)Verstehen
-> Auslegen -> Bildung eines neuen Vorverständnisses->...
gemeint.
Dieser
Zusammenhang besagt, dass das Erfassen oder Verstehen eines
Sachverhaltes
in seiner Bedeutung oder in seinem 'So-sein' immer auf der Basis eines
tradierten vorverstandenen Bedeutungszusammehangs oder eines
Bedeutungsnetzes
('Horizontes') stattfindet, der aber durch den Interpreten nie total
ausgeschöpft
werden kann, d.h. implizit bleibt. Der Interpret bewegt sich oder lebt
als Handelnder immer schon im Rahmen einer 'praktisch' vorverstandenen
Welt ('Lebenswelt'). In dem wir z.B. die Sprache erlernen, nehmen wir
dieses
tradierte Vorverständnis als gegeben wahr und dabei auch als
'wahr'
d.h. wir handeln danach. Die Sprache ist ein Handlungshorizont. Das
ausdrückliche
oder explizite Verstehen von etwas 'als' etwas in Form einer Aussage
oder
des wissenschaftlichen Erkennens findet also immer auf der
Basis
eines mit anderen 'mit-geteilten' oder implizit kommunizierten
Vorverständnisses
statt. Die Zirkularität des Verstehens bedingt auch den
Erkenntnisfortschritt
in den Wissenschaften, die ihre 'Vor-Urteile' mit äußerster
Exaktheit durchleben. Diese Auffassung des Verstehens hat weitreichende
Konsequenzen für die Theorie und Praxis des Informations- und
Wissensmanagements
(Capurro
1986
und 1999).
Während
also das Verstehen
auf die Sichtbarmachung der Sachverhalte in ihren Bedeutungs- und
Verweisungszusammenhägen
zielt und dabei immer auf vorgegebene Interpretationen basiert, richtet
sich das Augenmerk des wissenschaftlichen Erklärens auf das
Erfassen
von Gesetzmäßigkeiten und somit auf die Prognose oder
Vorhersage.
Die klassische Wissenschaftstheorie, zum Beispiel
in den Traditionen des Positivismus und des Logischen Empirismus, sah
das
Ziel wissenschaftlicher Erklärung in der zureichenden
Begründung
und der empirischen Verifizierbarkeit von Aussagen an.
Demgebenüber
betonte der Kritische Rationalismus (K. Popper) die Idee der kritischen
Prüfung oder der 'Falsifizierbarkeit'. Eine zureichende
(Letzt-)begründung
von Sätzen führt entweder zu einem unendlichen Regreß,
oder zu einem Zirkel im Beweis oder zu einem willkürlichen Abbruch
des Begründungsverfahrens ('Münchhausens Trilemma').
Gegenüber
der Idee der Verifiziebarkeit setzte der Kritische Rationalismus die
Idee
der Falsifizierbarkeit und mit ihr des revidierbaren Wissens
(Vermutungswissen)
auf der Basis der Möglichkeit seiner (empirischen) Falsifikation.
Das
grundlegende Modell für Erklärung und Vorhersage von
Ereignissen
lieferten C.G. Hempel und P. Oppenheim (HO-Schema): Ein zu
erklärendes
Ereignis ('Explanandum') wird aufgrund von Anfangsbedingungen und
universellen
Gesetzesaussagen ('Explanans') erklärt, wobei:
a) das
'Explanans'
mindestens
ein universelles Gesetz enthalten soll, das wirklich für die
Erklärung
benutzt wird,
b) die
Gesetze des
'Explanans'
müssen empirischen Gehalt haben,
c) alle
Aussagen
des Explanans
müssen wahr oder (nach Popper) hochbestätigt sein.
Schließlich
muß
das 'Explanandum' logisch aus dem 'Explanans' folgen.
Explanans:
A1, A2 ....,
Ak
Anfangsbedingungen
G1, G1....,
Gn
Gesetze
____________________________
logische Ableitung
Explanandum:
E
Außer
dieser deduktiv-nomologischen
also auf (Kausal-)Gesetzen (Griechisch: 'nomos') basierenden
Erklärungsart,
ist auch eine induktiv-statistische auf Wahrscheinlichkeit beruhende
Erklärung
möglich.
Das deduktive
Modell der
Erklärung stützt sich auf Realgründen im Gegensatz zur
bloßen
Angabe von Überzeugungen oder Meinungen. Es unterscheidet sich von
einer induktiven Argumentation u.a. dadurch, daß die
Einzelinformationen
über singuläre Fakten mit Gesetzesaussagen verbunden werden.
Entsprechend diesem Modell finden Einzelbeobachtungen oder
Einzelinformationen
auf der Basis einer vorhergehenden Theorie oder Hypothese statt
('Theoriebeladenheit
der Beobachtungen'). Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass
"gewisse
Formen des Verstehenszirkels in einem engen Zusammenhang stehen zum
'Problem
der Theoriebeladenheit der Beobachtungen'" stehen (Stegmüller
1979,
S. 82), so dass dieser 'Zirkel' nicht mehr zur Abgrenzung zwischen
Geistes-
und Naturwissenschaften dient, sondern ein Ausdruck der gemeinsamen
Probleme
darstellt.
Die
Weiterentwicklung der wissenschaftstheoretischen Diskussion führte
zu einer Neuauffassung der Entstehung und Entwicklung
wissenschaftlicher
Theorien (Th. S. Kuhn). In seinem Buch "Die Struktur wissenschaftlicher
Revolutionen" (1976) zeigte Kuhn, dass der Prozess der
Wissenschaftsentwicklung
nicht kumulativ-kontinuierlich nach internen Kriterien ('context of
justification'
= Begründungszusammenhang), sondern von wissenschaftsexternen
sozialen
Faktoren ('context of discovery' = Entdeckungszusammenhang)
diskontinuierlich
verläuft.
Der Schlüsselbegriff
dafür ist der des
"Paradigmas",
womit u.a. anerkannte Vorbilder und Modelle wissenschaftlicher Praxis
gemeint
sind, die das bestimmen, was je nach Disziplin als 'rational' gilt.
Wenn
sich ein Paradigma durchgesetzt hat, spricht Kuhn von "normaler
Wissenschaft",
die im Falle eines "Paradigmenwechsels" eine "revolutionäre Phase"
vollzieht. Eine revolutionäre Phase wird u.a. durch auftretende
Anomalien
oder unerwartete Ereignisse eingeleitet, die der Prognose entsprechend
dem gültigen Paradigma widersprechen. Das führt u.U. zu
größeren
Komplikationen sowie schließlich zu einer Krise und zur
Durchsetzung
eines neuen Paradigmas. Eine verschärfte Form des Relativismus in
Zusammenhang mit wissenschaftlichen Methoden und dem
Erkenntnisfortschritt
vertritt Paul Feyerebend, der eine enge methodische Normierung
zugunsten
eines kreativen Denkens fordert (Feyerabend 1986).
Die
'nomologische' Erklärungsart und die damit verbundene Auffassung
von
Wissen stößt auf besondere Schwierigkeiten im Falle
der
Erklärung menschlichen Handelns und der damit
zusammenhängenden
historischen Entwicklungen, sofern nämlich keine universellen
Gesetze
dafür verfügbar sind. Hier beruhen die
Regelmäßigkeiten
auf Gewohnheiten oder auf durch Institutionen erlassenen Gesetze, die
aber
nicht von der Art der Naturgesetze sind. Neben der Relativität
dieser
Regelungen kommt auch die Deutung der Handlungszwecke und der Motive
oder
Gründe (im Gegensatz zu den kausalen 'Ursachen') sowie der
spezifischen
Situationen hinzu. Hier tritt die Erkenntnisform des Verstehens, d.h.
des
Deutens und praktischen (ethischen, politischen, rechtlichen)
Argumentierens
ein. Die Folgerungsbeziehungen betreffen Deutungen und Handlungen
anstelle von Gesetzen und Ereignisaussagen.
II.
Was ist Wahrheit?
Die Frage
nach der Wahrheit läßt sich, wenn wir die Tratidionen von
Hermeneutik
und Wissenschaftstheorie berücksichtigen, zweifach
unterscheiden,
je nachdem, ob wir etwas im Vorverständnis als 'wahr' in einem
bestimmten
Sinnzusammenhang 'nehmen', oder ob wir, wie bei der wissenschaftlichen
Erkenntnis, nach dem Wahrheitsgehalt von Sätzen fragen und uns
dabei
auf der (nomologische oder Motive deutende) Erklärungsebene
bewegen.
Wahrheit meint im ersten Fall die (menschliche) Fähigkeit etwas in
seiner Bedeutung kundzumachen oder aufzudecken, wie der griechische
Begriff
von Wahrheit ('a-letheia' = ent-hüllen) ausspricht. Diese Vorgang
kann sowohl sprachlich als auch durch andere nicht-sprachliche
Verhaltensweisen
wie Bilder, Gesten, Töne etc. stattfinden.
In
der klassischen Logik bedeutet Wahrheit die Eigenschaft eines Urteils,
durch die richtige Verbindung von Subjekt und Prädikat einen
Sachverhalt
zu treffen. Wahrheit ist die Übereinstimmung von Denken und Sache
('veritas est adaequatio intellectus et rei'). Eine bloße formale
Übereinstimmung wird als 'Richtigkeit' bezeichnet. Für die
semantischen
Wahrheitstheorien (A. Tarski) ist der Satz "p" wahr dann und nur dann,
wenn p, d.h. wenn der mit dem Satz gemeinte Sachverhalt besteht.
Pragmatische
Wahrheitstheorien, wozu auch die Kohärenztheorie der Wahrheit
gehört,
legen Wert auf die Dienlichkeit einer Aussage insbesondere für die
Zwecke wissenschaftlicher Forschung. Verwandt damit ist die
Konsenstheorie
der Wahrheit, die Wahrheit im Hinblick auf den zu erreichenden Konsens
im Rahmen eines "herrschaftsfreien" Diskurses (J. Habermas) bestimmt.
Für
konstruktivistische Wahrheitstheorien schließlich bedeutet
Wahrheit
ein Prozeß des gemeinsamen Konstruierens oder Gestaltens eines
Sinn-
und Begrün- dungszusammenhangs, dessen Ergebnis sich pragmatisch
bewährt.
Wissen
im Sinne von Verstehen eines Sachverhaltes hat zunächst mit der
Wahrheit
von Aussagen sowie mit ihrer methodischen Begründung nichts zu
tun,
wohl aber mit der Bedeutung von Wahrheit im Sinne von 'etwas kundtun',
was sowohl in Form von Sprache, aber auch und heute zunehmend, durch
Bild
und Ton stattfindet. In diesem Sinne ist also Wissen das Ergebnis eines
Verstehensprozesses, der immer ein sozialer, d.h. ein
Kommunikationsprozess
ist. Sprache im weiteren Sinne des Wortes, also auch Bild und Ton, ist
ein soziales Phänomen. Die Mitteilung von Wissen nennen wir
Information.
Ohne Information ist kein Wissenserwerb möglich.
Wissensmitteilung
beruht aber wiederum auf einem vorhergehenden tradierten und mit
anderen
immer schon 'mit-geteilten' Wissen. Das Erlernen der eigenen
Muttersprache
ist dabei ein eindrucksvolles Zeugnis dieses kommunikativen und auf
tradiertem
Vorwissen basierenden Prozesses des Wissenserwerbs durch Information.
Nicht
zufällig bedeutet das Wort 'Information' so viel wie
'Einprägen'
oder 'In-formieren'. Im 19. Jahrhundert verwendete man das Wort
'Informator'
im Sinne von 'Erzieher' und unser ehrwürdiges Wort 'Bildung' ist
nichts
anderes als die deutsche Übersetzung des lateinischen Wortes informatio.
Dieses wiederum verweist auf die griechischen Ursprünge des
Wissensbegriffs,
denn forma ist das lateinische Wort für eidos oder
idea.
III.
Vorläufige Resultate
Die Kontroverse
um den Wissens- und Wahrheitsbegriff im 20. Jahrhundert zeigt folgende
Resultate:
- Eine
scharfe Trennung zwischen Wissen und Meinen ist nicht möglich, da
Wissen immer schon auf der Basis eines Meinens (Vorverständnis,
Theoriebeladenheit
der Beobachtung) stattfindet.
- Eine
ausschließliche Ausrichtung von Wissen in Zusammenhang mit
sprachlichen
Aussagen erweist sich nicht nur als einen verkürzenden
Intellektualismus,
sondern verkennt auch die Wissensfähigkeit anderer menschlicher
Ausdrückweisen,
darunter insbesondere Ton und Bild, wodurch Sachverhalte 'zum Ausdruck'
kommen können. Diese Einsicht hat eine besondere Bedeutung in
unserer
durch Bild- und Tonmedien geprägten Welt.
- Wissen
ist kein individueller, sondern ein sozialer Prozeß. Das
sogenannte
'Wissen in den Köpfen' ist nicht das Ergebnis eines solipsistisch
verlaufenden Erkenntnisprozesses, sondern basiert auf einem
Informationsprozess.
Wissen und Information bedingen sich gegenseitig.
- Wissen
ist in einem allgemeinen Sinne nicht primär auf die Frage nach
methodisch
gerichteter Erkenntnis und somit auf Wahrheit von wissenschaftlichen
Aussagen
ausgerichtet, sondern bedeutet 'etwas kundtun' und ist somit auf
Mitteilung
und Information bezogen.
- Wissen
findet sowohl in einem Verstehen- als auch in einem
Erklärungszusammenhang
statt, wobei der Verstehenszusammenhang auf das 'Was'´, der
Erklärungszusammenhang
auf das 'Wie und Warum' eines Sachverhaltes ausgerichtet ist. In beiden
Fällen ist ein 'produktiver' Zirkel nicht nur nicht zu vermeiden,
sondern notwendigerweise auch zu begehen. So wie es kein Wissen ohne
Vorverständnis
gibt, so gibt es auch keine wissenschaftliche Erklärung ohne
Vorurteile
bzw. ohne 'Vor-Urteile'. Empirisches Wissen ist immer
'theoriebeladen'.
- Die
Einsicht in die pragmatische Dimension des Wissens führt dazu,
dass
der Kategorie der Relevanz eine entscheidende Bedeutung nicht nur bei
Wissensvermittlungsprozessen,
sondern auch bei Verstehens- und Erklärungsprozessen beigemessen
wird.
Wissen, ob als Ergebnis eines Verstehens- oder
Erklärungsprozesses,
bedeutet immer Selektion. Sofern Selektion von einem Handelnden
vorgenommen
wird, sind immer pragmatische oder 'lebensdienliche' Ziele impliziert,
die als Relevanzkriterien fungieren. Auch Wahrheit ist, wie Nietzsche
hervorgehoben
hat, eine pragmatische Kategorie. Das bedeuet wiederum nicht die
Auflösung
der Wahrheitsfrage, sondern die Einsicht in die Differenz zwischen
'nomologischen'
auf Ursachen und 'pragmatischen' auf Ziele und Motive basierenden
Erklärungen.
IV.
Was bedeuten Informations- und Wissensmanagement?
Es ist ein Unterschied, ob
wir
Wissensvermittlungsprozesse
(Informationsmanagent) oder Verstehens-
und/oder (wissenschaftliche) Erklärungsprozesse managen
(Wissensmanagement) managen. In
beiden Fällen stellt sich die Frage der Relevanz an erster Stelle,
im Hinblick nämlich auf die gesteckten Ziele sowie auf die
dafür
möglicherweise in Frage kommenden Mittel. Sie sind ein guter Koch,
aber sie brauchen u.U. jemand, der Ihnen
die Ingredienzien kauft, auch wenn natürlich gute Köche die
wichtigsten
Dinge selbst einkaufen! Das Management des Kaufs von Lebensmitteln
bedeutet
nicht gleichzeitig, dass Sie gut kochen können und umgekehrt.
Wissensmanagement
bedeutet das Management von Verstehens-
und Erklärungsprozessen im Hinblick auf bestimmte Ziele,
insbesondere
auf die einer Organisation oder, enger gefaßt, auf die eines
Unternehmens.
Informationsmanagement bedeutet das Management von
Wissensvermittlungsprozessen
im Unternehmen, wobei hier auch das Datenmanagement zu differenzieren
ist. Der
Informationsmanager behandelt Wissen in dekontextualisierter Form, so
wie
derjenige der Lebensmittel einkauft, diese aber noch nicht in einem
Prozeß
der Speisezubereitung miteinander mischt. Der Wissensmanager ist
derjenige,
der das vermittelte Wissen einem (erneuten) Verstehens- und/oder
Erklärungsprozeß
unterzieht und sie also rekontextualisiert. Natürlich hängen
diese Prozesse eng zusammen und deshalb ist es auch sinnvoll, dass
diejenigen,
die sich vor allem mit dem Vemittlungsprozess
von Wissen beschäftigen (Informationsmanagement) auch
von Wissensmanagement und von Datenmanagement etwas verstehen und
umgekehrt.
Informationsmanagement bedeutet eine gezielte Ausrichtung der
Vermittlung
von Wissen. Wissensmanagement bedeutet, dass der Verstehens- und/oder
Erklärungsprozess
ebenfalls im Hinblick auf bestimmte Ziele ausgerichtet wird.
V.
Ist Wissen (ökonomisch) meßbar?
Ist Wissen
meßbar? Und, wenn ja, wie ist es ökonomisch zu bewerten?
Von Anbeginn
unserer philosophischen
Tradition ist die erste Frage an die Frage: Was ist Wissen? gekoppelt.
Für Platon war das Maß des Wissens die 'Idee' und
Aristoteles
unterschied zwischen der Möglichkeit eines sicheren theoretischen
Wissens (episteme), dem 'praktischen' oder 'ethischen' Wissen,
das
wir uns durch einsichtiges Abwägen in bezug auf das Ziel des
'guten
Lebens' aneignen, und dem 'technischen' Wissen, das wir zur Herstellung
von Gegenständen brauchen. Die Auseinandersetzung zwischen
Philosophen
und Sophisten bestand u.a. darin, inwiefern für die Vermittlung
'höherer'
Wissensformen auch ökonomische Maßstäbe gelten sollen.
Der
Buchdruck eröffnete die Möglichkeit der ökonomischen
Bewertung
externalisierten Wissens auf der Basis eines Vertrages zwischen Autor
und
Verleger (copyright/droit d'auteur). Mit dem Aufkommen
der
Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert wuchs die Bedeutung von Wissen
als ein Wirtschaftsfaktor neben Kapital, Boden und Arbeit. Nicht nur
die
Autoren-, sondern vor allem die Erfinderrechte wurden durch Patente
geschützt.
Doch die Frage, wie das Wissen eines Unternehmens, das nicht patentiert
ist, sondern in den Köpfen und Fähigkeiten der Mitarbeiter,
also
sowohl implizit in Form von know how als auch explizit in Form
von know that, zu managen und (ökonomisch) zu
bewerten
ist, wurde
meistens nicht gestellt oder blieb unbeantwortet.
In
einer durch die Informationstechnologie geprägten Welt wurde die
wirtschaftliche
Bedeutung von Wissen und ihrer digitalen Vermittlung immer deutlicher.
Dieser Prozeß der in den 70er Jahren mit dem Aufkommen der
wissenschaftlichen
Datenbanken und Datenbankanbieter (seit etwa Mitte der 80er Jahren auch
auf kommerzieller Basis) und mit der Entwicklung der ersten Management
Informationssysteme (MIS) führte zunächst zu einem
einseitigen
Vertrauen (und Mißtrauen!) in die Wirkung der Einführung von
EDV-Systemen in Unternehmen. Diese Entwicklung erfuhr eine abermalige
Umwälzung
seit dem Entstehen des Internet vor etwa zehn Jahren. Das Aufkommen von
dezentralen weltweit vernetzten Informationsanbietern mit großer
Speicherkapazität, die Nutzung dieses Netzes für
Kommunikation
(E-Mail) und Datentransfer, die Möglichkeiten der multimedialen
Aufbereitung
von Wissen und schließlich die Nutzung all dieser
Möglichkeiten
durch transportable und 'handliche' Geräte läßt die
Frage
nach der wirtschaftlichen Bedeutung von Wissen und seiner Vermittlung
in
einer digitalisierten und globalisierten Ökonomie ganz anders
erscheinen
als im Kontext der Industriegesellschaft. Es geht nicht mehr darum zu
fragen,
ob Wissen und Information einen ökonomischen Wert haben oder ob
sich
der Einsatz von EDV 'lohnt', sondern die Frage ist jetzt welche
Methoden
müssen Unternehmen einsetzen, um Wissen und Information
profitabler
zu machen und wie diese Steigerung in den verschiedenen Bereichen
möglichst
genau zu bewerten ist ('Wissensbilanz').
Diese
Frage ist im Rahmen einer volkswirtschaftlichen oder
makroökonomischen
sowie gesamtmenschlichen Betrachtung sehr schwer zu beantworten. Die
Digitalisierung
von Wissen und seine weltweite Vermittlung im Internet stellen uns auch
vor neuen politischen und kulturellen Herausforderungen, die eine
konkrete Auslegung und Anwendung der Menschenrechte - zum Beispiel:
Achtung
der Menschenwürde, Vertraulichkeit, Chancengleichheit, Recht auf
Privatheit,
Recht auf freie Meinungsäußerung, Recht auf Beteiligung am
kulturellen
Leben, Schutz der materiellen und geistigen Arbeit - im Rahmen einer
'sozialen
Informationswirtschaft' erfordern.
Ein
(auch ethisch) kluges betriebliches Informations- und Wissensmanagement
sollte stets Rücksicht auf nicht-ökonomische
Wissensmaßstäbe
nehmen. Der freie Zugang zum Internet in öffentlichen
Institutionen
sollte durch politische und ökonomische Rahmenbedinungen auf
regionaler
und internationaler Ebene, die durch weitere Maßnahmen in
Erziehung
und Bildung sowie durch internationale 'top down' und 'bottom up'
Initiativen gewährleistet werden. Dies ist das Gebot der Stunde
gerade
im Sinne einer makroökonomischen Betrachtung, die den Wert von
Kommunikation,
Bildung und Erziehung unter den Bedingungen der digitalen
Weltvernetzung
richtig einschätzt und zwar nicht nur für die Betriebs- und
Volkswirtschaft,
sondern ebenso für die kulturellen und politischen Dimensionen
eines
globalen Zusammengehörens.
Ein
weltweites 'knowledge sharing' sowie ein unter fairen Bedingungen
gewährleisteter
Zugang zur digitalen Information mit der Möglichkeit einer aktiven
Teilnahme am Kommunikationsprozeß stellen sich letztlich als den
unschätzbaren Rahmen einer Wissensökonomie im
Weltmaßstab
dar. Eine Reduktion des Menschen auf den 'homo laborans' und des
Wissens
und seiner Mitteilung auf den zweckrationalen Einsatz für
partikulare
primär ökonomisch gerichtete Interessen stellt nicht nur eine
unzulässige Verkürzung menschlichen Zusammenlebens und
-denkens
dar, sondern versiegelt eigentlich die Quelle, woraus Kreativität
und somit letztlich auch innerbetriebliche Innovation und
Wertschöpfung
entspringen.
Literatur
und Links
Capurro,
R. (1999): Einführung
in den Informationsbegriff. (Skript, Kap. 1) CyberChart-Version.
-
(1986): Hermeneutik der
Fachinformation.
Freiburg/München
-
(1985): Leben im
Informationszeitalter.
Berlin
-
(1999): Wissensmanagement
und
darüber hinaus.
Feyerabend,
P. (1986): Wider den Methodenzwang. Frankfurt a.M.
Gadamer,
H.-G. (1975): Wahrheit und Methode. Grundzüge einer
philosophischen
Hermeneutik, Tübingen
Kuhn,
Th. S. (1976): The Structure of Scientific Revolutions. Chicago 1962
(Dt.
Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt a.M. 1967,
1976).
Popper,
K.R. (1976): Logik der Forschung, Wien 1934, Tübingen 1976
Schwemmer,
O. (1980): Art. Erklärung. In: J. Mittelstraß, Hrsg.:
Enzyklopädie
Philosophie und Wissenschaftstheorie, Mannheim
Stegmüller,
W. (1979): Walther von der Vogelweides Lied von der Traumliebe und
Quasar
3 C 273. Betrachtungen zum sogenannten Zirkel des Verstehens und zur
sogenannten
Theoriebeladenheit der Beobachtungen. In: ibid.: Rationale
Rekonstruktion
von Wissenschaft und ihrem Wandel. Stuttgart, S. 27-86.