Mit Wolfgang
verbindet mich eine mehr als zwanzig Jahre währende Freundschaft,
die durch
wechselseitige Wertschätzung und viel Humor geprägt ist. Sie
begann, glaube
ich, während der von Christiane
Floyd,
Reinhard Keil-Slawik, Reinhard Budde und Heinz Züllighoven
veranstalteten
Konferenz Software Development and
Reality Construction, die am 25.-30. September 1988 in Schloss
Eringerfeld
stattfand. Es war die beste und kreativste Konferenz, die ich jemals
erlebt
habe, auch da neben den Organisatoren
Personen wie Donald Knuth, Joseph Goguen, Kristen Nygaard, Heinz von
Forster,
Bo Dahlbom, Dirk Siefkes, Walter Volpert, Arne Raeithel, Fanny-Michaela
Reisin,
Klaus Fuchs-Kittowski und eben Wolfgang Coy daran teilnahmen. Wolfgang
sprach über „Soft Engines – Mass-Produced Software for Working
People?“ Mir
sind die vielen Gespräche um das
kurz zuvor, im Jahre 1986, erschienene Buch von Terry Winograd und
Fernando
Flores “Understanding Computers and Cognition – A New Foundation for
Design“ in
Erinnerung geblieben. Dieses Buch setzte die mir vertraute
philosophische
Tradition der Hermeneutik mit dem mir nur halbwegs vertrauten Gebiet
der
Informatik in Verbindung. Eine damals und heute
außergewöhnliche connection. Wolfgang
schrieb ein
Nachwort zur 1989 erschienenen deutschen Übersetzung mit dem Titel
„Ein
post-rationalistischer Entwurf“.
„Menschen
sind“, schreibt er „nicht bloß
rationale Wesen, nach deren Ebenbild andere rationale Wesen – eben
Computer –
als Freunde Partner, Diener, Kollegen oder Feinde konstruiert werden
können.
Menschen werden statt dessen als verantwortliche Wesen gesehen, die in
der
Arbeit wechselseitige Verpflichtungen (commitments)
eingehen.“
Winograd und Flores
wäre es gelungen, so Wolfgang, eine
kalifornische Konkurrenz zur skandinavischen Schule von Kirsten Nygaard
und
seiner Gruppe in Oslo herzustellen.
Ich glaube,
dass es Wolfgang und seinen Mitstreiter/Innen im Laufe der folgenden
zwei
Jahrzehnte gelungen ist, eine sozial-orientierte Auffassung von
Informatik zu
entwickeln, die heute, angesichts der Bedeutung der Informationstechnik
in
allen Lebensbereichen, als eine Selbstverständlichkeit erscheint.
Es gab damals
kein Internet, kein Google, kein Twitter und kein Facebook und auch
kein cyberwar und keine digitalen Spaltung
geschweige denn die Aussicht auf eine Transformation politischer
Strukturen und
Prozesse oder sogar auf eine neue Auffassung von Demokratie auf der
Basis
interaktiver Kommunikationsprozesse. Wolfgang erkannte früh, dass
der Computer
kein bloßes Werkzeug, sondern ein Medium sozialer Interaktion ist
und das hieß
damals vor allem über dessen Einsatz in die Arbeitswelt
nachzudenken. In seinem
Geleitwort zum Buch von Michael
Friedewald: „Der Computer als Werkzeug und Medium. Die geistigen und
technischen Wurzeln des Personal Computers“ (1999) mit dem Titel
„Computer umgeben uns überall“ brachte Wolfgang das zur Sprache,
was viel
später pervasive computing oder ambient
intelligence genannt wurde. Damit
setzte er jene Auseinandersetzung um die sozialen Folgen der
Computerisierung
fort, auf die Pioniere wie Norbert Wiener und Joseph Weizenbaum seit
den
fünfziger Jahres des 20. Jahrhunderts aufmerksam gemacht hatten
und die heute unter
dem Schlagwort der Informations- und Wissensgesellschaft in aller Munde
ist,
was Wolfgang aber viel prägnanter mit dem Ausdruck
„Turing-Galaxis“
kennzeichnete.
Es war
folgerichtig, dass die Gesellschaft für Informatik zu Beginn der
neunziger
Jahre einen Arbeitskreis „Informatik und Verantwortung“ ins Leben rief,
deren
Sprecher Karl-Heinz Rödiger war, und an dem Wolfgang und ich
zusammen mit Herbert
Damker, Bernd Lutterbeck, Hartmut Przybylski, Herrmann Rampacher, Horst
Röpke,
Gabriele Schade, Jürgen Seetzen, Reinhard Stransfeld, Roland
Vollmar und Rudolf
Wilhelm mitwirkten. Das Ergebnis war eine Vertiefung unserer
Freundschaft sowie
die 1994 von der GI verabschiedeten „Ethischen Leitlinien“ deren
Präambel in
der 2004 überarbeiteten Version mit den folgenden Sätzen
beginnt:
„Das Handeln
von Informatikerinnen und Informatikern steht in Wechselwirkung mit
unterschiedlichen Lebensweisen, deren besondere Art und Vielfalt sie
berücksichtigen sollen. Mehr noch sehen sie sich dazu
verpflichtet, allgemeine
moralische Prinzipien, wie sie in der Allgemeinen Deklaration der
Menschenrechte formuliert sind, zu wahren. Diese Leitlinien sind
Ausdruck des
gemeinsamen Willens, diese Wechselwirkungen als wesentlichen Teil des
eigenen
individuellen und institutionellen beruflichen Handelns zu betrachten.
Der
offene Charakter der nachfolgenden Artikel wird mit dem Begriff
Leitlinien
unterstrichen.“
Wolfgang sah
die Informatik als „eine Disziplin in Umbruch“ und suchte eine Theorie
der
Informatik, zu deren Kern soziale, politische, rechtliche und ethische
Aspekten
gehörten. Das war der Ansatz der interdisziplinären Tagung
„Theorie der
Informatik“, die von Wolfgang zusammen mit Frieder Nake,
Jörg-Martin Pflüger,
Arno Rolf, Jürgen Setzen und Reinhard Stransfeld organisiert wurde
und an der
ich teilnehmen durfte.
Das
Verhältnis zwischen Ethik und Informatik beschäftigte mich in
den folgenden
Jahren und führte zur Gründung des International
Center for Information Ethics (ICIE), ein, wie man es heute nennt,
soziales
Netzwerk. Das ICIE veranstaltete im Jahre 2002 in Augsburg ein
Symposium zum
Thema „Digital Divide aus ethischer Sicht“ an dem Wolfgang mitwirkte.
Im selben
Jahr beteiligte sich das ICIE an einer Vortragsreihe zur Ausstellung
des
Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) mit dem Titel „CTRL
[SPACE]
Rhetorik der Überwachung von Bentham bis Big Brother“. Wolfgang,
Petra Grimm,
Thomas Hausmanninger, Christoph Pingel und ich nahmen im Rahmen dieser
Vortragsreihe am 18. Januar 2002 an einer Podiumsdiskussion mit dem
Titel
„Internet – Ende der Aufklärung?“ teil. Wolfgang hatte einige
Jahre zuvor einen
Beitrag mit dem Titel „Wer kontrolliert das Internet?“
veröffentlicht. Das
Thema Internet und Aufklärung ist in vielfacher Weise virulent
geblieben von
den Diskussionen über Buchkultur im digitalen Zeitalter, über
das Verhältnis
von Internet und Journalismus, die Bedeutung von sozialen Netzwerken
bei
politischen Umwälzungen wie im Falle des ‚arabischen
Frühlings’ bis hin zu den
heutigen Fragen um Datenschutz und Privatheit.
Im Jahre 2004
veranstaltete das ICIE die erste internationale Konferenz über
Informationsethik aus interkultureller Sicht. In dieser Konferenz, die
am ZKM
stattfand und von der Volkswagenstiftung gesponsert wurde, trug
Wolfgang zum
Thema „On Sharing Ideas and Expressions in Global Communities“ vor. Der
Vortrag
erschien in dem von mir mitherausgegeben Buch „Localizing the Internet.
Ethical
aspects in intercultural perspective“ (2007). Der erste
Satz von Wolfgangs Beitrag lautet:
"There
is now a vivid discussion of
commercial aspects and the protection of intellectual artifacts, ideas
and forms
and how they are expressed.“
Dieses Problem hat sich
seitdem weiter zugespitzt, wenn man zum Beispiel an
die Debatten um das ACTA-Abkommen (Anti-Counterfeiting
Trade Agreement = Handelsabkommen gegen Fälschung) in den USA
oder an die
Novellierung von Copyrightgesetzen in Europa denkt. Wolfgangs
Schlusssatz wirkt heute so frisch und
aktuell wie
damals:
„While we can
find no strong moral evidence for the present state of
intellectual property laws, there is still the open question of how to
achieve
the optimal use of ideas and art for a maximum number of people
worldwide. For
the time being we may keep as a
not too comfortable insight: In the long
term all ideas and expressions belong to the public.”
Ich schließe
diese akademischen und persönlichen Erinnerungen mit zwei
Hinweisen. Zum einen
auf die von Wolfgang an der Humboldt Universität im Jahre 2007
veranstalte
Tagung mit dem Titel Shapes of the Things
to Come. Die Zukunft der
Informationsgesellschaft an der ich über Ausformungen der
Informationsgesellschaft im „Fernen Osten“ und im „Fernen Westen“
sprach, zwei
Ausdrücke, die ich dem französischen Philosophen und
Sinologen François Jullien
verdanke. Die anschließende Diskussion über interkulturelle
Fragen der
Informationsethik in einer durch die Informationstechnologie
globalisierten
Welt zeigt mir, dass Wolfgang hier erneut diese erst entstehende
Debatte mit
großem Interesse und Zustimmung verfolgte. Als im Jahre 2009 mein
Kollege
Michael Nagenborg eine Tagung im ZKM aus Anlass meiner Pensionierung
zum Thema
„Von Boten und Botschaften“ veranstaltete, freute ich mich sehr
über Wolfgangs
Teilnahme.
Ich wünsche
Dir, lieber Wolfgang, weiterhin eine unruhige und gelassene Zeit nach
Deinem
fünfundsechzigsten Geburtstag und, dass ich Dir auch in zwanzig
Jahren eine
Freundes- und Freudebotschaft wie diese senden darf.
Letztes
Update: 25. August .2017